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NOTFALLPFLEGE SCHWEIZ 2 | 2023

ARBEITEN IN DER NOTFALLPFLEGE  Was verbindet die Notfallpflegenden über die Landesgrenzen hinaus?

 Weiterarbeiten über das Pensionsalter hinaus  Nurse Practitioners  Gehörlose Patient:innen auf dem Notfall  Ultraschallgestützte PVK-Einlage


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INHALT VERBAND Kurznews Agenda Editorial

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NOTFALLPFLEGE-MEDIZIN INTERNATIONAL Unser Herz schlägt für die Notfallpflege Expedition Spitzbergen

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NOTFALLPFLEGE-MEDIZIN Ultraschallgestützte PVK-Einlage Über das Pensionsalter hinaus auf dem Notfall arbeiten Nurse Practitioners auf der pädiatrischen Notfallstation Was tun, wenn es uns die Sprache verschlägt Wer oder was hat dich geprägt?

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KOLUMNE Der (absolute) Notfall

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KURZNEWS Der Vorstand stellt sich vor Bereits in der letzten Ausgabe haben wir euch hier das neue Co-Präsidium und die neu gewählten Vorstandsmitglieder ­Ursula Feuz und Dirk Becker vorgestellt. Das im Juni aufgenommene Foto gibt euch einen Überblick über die neue Zusammensetzung des Vorstands. Im Bild von links nach rechts: Petra Tobias, Co-Präsidentin, Ressorts Verbands- und Berufspolitik, Öffentlichkeits­arbeit; Petra Valk-Zwickl, Ressorts Pädiatrie, Interna­ tional Relations, Marketing; Ursula Feuz, Ressort Qualität; Lorena Meier, Ressort Events; Dirk Becker, Co-Präsident, Ressort Bildung & Digitales Notfallpflege-Kongress – 22.03.2024 ­Notfallpflege in Extremsituationen

Aktion: 25 % Rabatt auf deinen Jahresbeitrag

Das Programm des Notfallpflege-Kongresses vom Freitag, 22. März 2023, in Nottwil ist online. Du kannst dich auf eine spannende Auswahl an Fachreferaten und Workshops sowie einige Überraschungen freuen. Die Anmeldung ist ab sofort möglich. Profitiere jetzt von den vergünstigen Early-Bird-Tickets! Alle Informationen sind auf www.notfallpflegekongress.ch zu finden.

Gewinne ein neues Mitglied für die NOTFALLPFLEGE SCHWEIZ und dein nächster Jahresbeitrag wird um 25 % reduziert! Profitiere jetzt von der Aktion und hilf ­ mit, unsere Community zu vergrössern – vereint sind wir stark! Ausgenommen davon sind studierende Neumitglieder für das Jahr der Gratismitgliedschaft. Die Aktion dauert bis 31.12.2023.

Es findet erneut eine Posterausstellung am Notfallpflege-Kongress statt. Das Poster soll Weiterentwicklungen und Untersuchungen in der Notfallpflege aufzeigen. Es sind unter anderem Zusammenfassungen von Diplomarbeiten, Praxisentwicklungsprojekten, Projekten zur Qualitätssicherung, evidenzbasierten Forschungspro­ jekten in der Notfallpflege sowie deren Transfer in den Alltag willkommen. Für ein eingereichtes Poster erhältst du einen kostenlosen Eintritt und die Chance, den Posterpreis von CHF 300.– zu gewinnen. Weitere Informationen auf www.notfallpflege-kongress.ch. Bitte ­sende uns dein Abstract des Poster­ themas per E-Mail (event@notfall­pflege.ch) spätestens bis 22. Februar 2024 zu.

Die Eventkommission ist bereits wieder fleissig an der Vorbereitung des nächs­ ten Herbstsymposiums 2024, das am Freitag, 8. November 2024, im Careum Zürich ­stattfinden wird. Erlebe lehrreiche und spannende Referate und freue dich auf interessante Gespräche mit deinen Berufskolleginnen und -kollegen. Das Programm und die Anmeldemöglich­keiten werden wieder frühzeitig publiziert. Instagram und Facebook Auf Facebook @notfallpflege.ch und ­Instagram @notfallpflege_schweiz erfreuen wir uns stetiger Zunahme unserer Follower. Like und teile uns, damit möglichst viele unsere Aktivitäten kennen und Mitglied von NOTFALLPFLEGE SCHWEIZ werden.

«Disaster Nursing»: Pflege bei Katastrophen und in Krisengebieten Überschwemmungen, Waldbrände, Bergstürze: Auch hierzulande ereignen sich immer häufiger Naturkatastrophen. Betroffene Menschen benötigen in solchen Situationen umgehend professionelle Betreuung und Pflege vor Ort. Das gilt besonders für vulnerable Personen. Ähnlich verhält es sich auch bei Ereignissen mit vielen Verletzten, beispielsweise einem Zugsunglück, oder in einem Krisengebiet im Ausland. Pflegefachpersonen leisten im Katastrophenfall lebenswichtige Unterstützung. In einer neuen Weiterbildung können Fachpersonen spezifisches Wissen in «Disaster Nursing» erwerben und ihre Kompetenzen stärken. Zentrale Themen sind Evakuation, Erstversorgung, Gefahren erkennen, interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie Krisen- und Katastrophenmanagement. Angesprochen sind Expertinnen und Experten mit einem Nachdiplomstudium HF in Notfall-, Intensiv- oder ­Anästhesiepflege sowie diplomierte Pflegefachpersonen, Hebammen und Ret­tungs­­ sanitäter:innen. Der Zertifikatslehrgang findet am Berner Bildungszentrum Pflege statt und startet im Frühjahr 2024. www.bzpflege.ch/weiterbildung/ disaster-nursing

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Verband

EDITORIAL

Patrizia Mundel

Arbeiten in der Notfallpflege Therese Blättler und Marianne Kraus waren Mitinitiatorinnen dieser Fachzeitschrift und haben für neue, nachfolgende Redaktionsmitglieder grosse Spuren hinterlassen. Seit Anfang 2023 darf ich Teil der HELP-Fachredaktion sein und ich freue mich darauf, nicht nur die Kolumne weiterzuschreiben, sondern die Fachzeitschrift auch mitgestalten zu dürfen. Danke dafür vorab.

Dies ist unsere 10. Ausgabe der HELP – eine runde Zahl und Grund genug, sich mit unserer Arbeit in der Notfallpflege selbst zu beschäftigen. Notfallpflege ist breit gefächert und so variabel aufgestellt wie die Patient:innen, die auf den Notfall kommen. Das spiegelt sich auch in dieser Ausgabe wider: Wir spannen einen weiten Bogen von der Behandlung Gehörloser auf dem Notfall über die ultraschallgestützte Venenpunktion und die APN-Rolle auf einem pädiatrischen Notfall bis zur Frage, ob Notfallstationen im Ausland genauso arbeiten und mit ähnlichen Problemen kämpfen wie wir in der Schweiz. Gerade in Zeiten von Pflegenotstand und auch Arbeitsplatzunzufriedenheit finde ich das Interview über Kolleg:innen, die schon länger im Beruf der Notfallpflege sind, besonders spannend. Was ist das Geheimrezept, was nicht wenige von uns auf dem Notfall verbleiben und sogar übers Pensionsalter hinaus noch dem Notfall treu bleiben lässt? Ich freue mich besonders, dass wir mit der 10. Ausgabe eine neue Rubrik ins

Leben gerufen haben, in der Sie als Leser:in uns daran teilhaben lassen, wer oder was Sie als Notfallpflegende:n geprägt, inspiriert oder begleitet hat. Wir wollen dieser Rubrik in jeder Ausgabe eine Doppelseite widmen und freuen uns auf Ihre Teilnahme an diesem Projekt. Zu lesen, was andere inspiriert hat, kann auch für unseren Alltag in der Notfallpflege von Bedeutung sein. Ich wünsche Ihnen viel Spass beim Lesen. Patrizia Mundel dipl. Expertin Notfallpflege NDS HF, Fachredaktion HELP

AGENDA TERMIN

THEMA / ORT

VERANSTALTER

22.03.2024

Notfallpflege-Kongress 2024, Nottwil

NOTFALLPFLEGE SCHWEIZ

02. – 03.05.2024

Schweizer Pflegekongress SBK, Bern

SBK-ASI

08.11.2024

Herbst-Symposium 2024, Zürich

NOTFALLPFLEGE SCHWEIZ

Weitere Fort- und Weiterbildungen für die Notfallpflege finden Sie auf www.e-log.ch


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Petra Valk-Zwickl

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Was verbindet die Notfallpflegenden über die Landesgrenzen hinaus? Die im In- und Ausland breit vernetzte Autorin dieses Beitrags ist dieser Frage nachgegangen: Viel mehr als die angespannte Personalsituation sind es auch die Persönlichkeitsstruktur, die Leidenschaft für den Beruf und der Berufsstolz, die vereinen.

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Notfallpflege-Medizin International

P L N O T FA L

Europe 2022, 2022) liegt die Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob Schweiz in Bezug auf die Pflegende auf der ganzen Welt tagtäg- Pflegedichte im europäischen Vergleich lich die gleichen Herausforderungen in den vor­deren Rängen (Abbildung 1). erleben wie wir? Sind es überall die The- In den OECD-Ländern arbeiten durchmen Personalmangel, hohe Burnout-Ra- schnittlich 8,3 Pflegefachpersonen pro ten, Rekrutierungsprobleme und Entloh- 1000 Einwohner:innen. In den EU-Staanung oder leben wir hier in der Schweiz ten Finnland, Irland und Deutschland ist in einer Blase? das Verhältnis der Pflegekräfte zur Be­­ Unter anderem durch mein Engagement völkerung am höchsten, und unter den für die EuSEN (European Society for Nicht-EU-Ländern ist dies in Norwegen, Emergency Nursing) war es mir möglich, der Schweiz und Island der Fall. Im mich in verschiedenen Ländern mit der ­Vergleich mit den internationalen Z ­ ahlen, Akutsjuksköterska, infermiera di emer­ die hauptsächlich mit ausgebildeten genza, Akuttsykepleier, Fachkrankenpfle­ Diplompflegenden gerechnet sind, ger:in Notfallpflege, infermière d’urgen­ inkludiert die Statistik von Norwegen ce, Bráðahjúkrunarfræðingur, Spoedei­ und der Schweiz auch assoziierte Fachsende Hulp Verpleekundige und emer­ personen mit einem niedrigeren Qualifigency nurse zu unterhalten sowie auch kationsniveau (für die Schweiz: FaGe deren Notfallstationen kennenzulernen. EFZ). Diese machen einen Drittel aller Durch den erweiterten Blick über den statistisch erhobenen Pflegekräfte aus, schweizerischen Tellerrand hinaus wurde was die Gesamtzahl im Quervergleich zu deutlich, dass wir uns ähnlicher als ver- den anderen Ländern etwas relativiert. schieden sind. Der europäische Lohnvergleich von Pflegefachleuten in Abbildung 2 illustriert, Pflegefachpersonen pro Einwohner:in dass in Schweizer Spitälern im Vergleich zum EU-Durchschnittsgehalt aller ArbeitGemäss den Zahlen der letzten OECD-­ nehmenden eines Landes dieser leicht Statistik von 2022 (Health at a Glance: unter dem Durchschnittslohn liegt. In

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einigen Ländern wie bspw. Litauen, Frankreich, Lettland und Finnland ver­ dienen die Pflegekräfte im Vergleich zum durchschnittlichen Einkommen aller Berufstätigen des jeweiligen Landes deutlich weniger. Um die erhobenen Zahlen in Relation zu setzen, deklariert Abbildung 3 die Entlohnung (in Euro) von Pflegefachleuten über die Länder hinweg und definiert die Unterschiede vom Gesamtlohn unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten. Dies, um die wirtschaftliche Kaufkraft der Löhne zu berücksichtigen und somit vergleichbar zu machen. Die Einkommen der Pflegenden in der Schweiz liegen innerhalb des Landes kaufkraftbereinigt im Vergleich über dem EU-Durchschnitt, was entsprechend das verhältnismässig hohe Lohnniveau in der Schweiz widerspiegelt. Auch fällt auf, dass in Luxemburg und Belgien das Gehalt des Pflegepersonals dreimal so hoch ist wie bspw. in Litauen oder Lettland, was wohl erklärt, warum gewisse Länder attraktiver für aus­­län­dische Arbeitssuchende sind als andere.


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Fakten versus Leidenschaft Die Frage stellt sich nun erneut: Sind es nur die negativen Schlagzeilen zum Thema Entlohnung und Pflegenotstand, die uns als Notfallpflegende über die Landesgrenzen hinaus verbinden? Da gibt es doch noch etwas anderes: Die Passion für unseren Beruf! Trifft man auf Notfallpflegende aus anderen Ländern, manifestiert sich ein internationales Phänomen: Man kommt sehr schnell in Kontakt und wird innert kürzester Zeit in interessante Gespräche verwickelt. Schon öfters stellte ich mir deshalb die Frage, was für ein Typ Mensch arbeitet denn eigentlich auf einer Notfallstation? Besteht der schnelle «Draht» zueinander, nur weil man eine gemeinsame Leidenschaft und das Gefühl von «We are family» teilt? Oder hat es möglicherweise mit der Persönlichkeit der Pflegefachpersonen zu tun? Eine australische Studie (Kennedy et al., 2014) untersuchte erfahrene Notfallpflegende auf ihre Persönlichkeitsstruktur und verglich diese mit Proband:innen aus der breiteren Bevölkerung. Die qualitative Untersuchung, die mittels eines validierten Persönlichkeitsbeurteilungsinstruments erhoben wurde, zeigt auf, dass sich das Persönlichkeitsprofil deutlich von der Bevölkerungsnorm unterscheidet. Heisst dies also, dass wir Notfallpflegenden «nicht ganz normal» sind?

Abbildung 1: Praktizierende Pflegefachkräfte je 1000 Einwohner:innen, 2010 und 2020 (oder nächst­ gelegenes Jahr). Anmerkung: Der EU-Durchschnitt ist ungewichtet. 1. Die Daten umfassen nicht nur Pflegefachkräfte, die Patient:innen direkt versorgen, sondern auch diejenigen, die im Gesundheitssektor als Manager:innen, Ausbilder:innen, Forscher:innen usw. arbeiten. 2. Assoziierte Pflegefachkräfte mit einem niedrigeren Qualifikationsniveau machen in Kroatien, Rumänien und Serbien 70 % oder mehr der ­Pflegenden aus; in Slowenien sind es etwa 60 %, in der Schweiz und in Island etwa 33 % und im Vereinigten Königreich etwa 20 %. In der Schweiz ist der grösste Teil des Wachstums seit 2010 in dieser Kategorie zu verzeichnen. 3. Griechenland meldet nur Pflegende, die im Krankenhaus beschäftigt sind. 4. Die neusten Daten beziehen sich nur auf 2017. 5. Die ältesten Daten beziehen sich nur auf 2014. Quelle: OECD, Health at a Glance: Europe 2022; Eurostat Database; WHO National Health Workforce Accounts for Moldova and Ukraine.

Abbildung 2 links: Gehälter von Pflegefachpersonen im Verhältnis zum Durchschnittslohn, 2020 (oder nächstgelegenes Jahr) 1. Die Daten umfassen auch «assoziierte berufsausübende» Pflegende, die über geringere Qualifikationen und Einnahmen verfügen. Quelle: OECD, Health at a Glance: Europe 2022 Abbildung 3 rechts: Gehälter von Pflegefachpersonen, kaufkraftbereinigt in Euro, 2020 (oder nächstgelegenes Jahr) 1. Die Daten umfassen auch «assoziierte berufsausübende» Pflegende, die über geringere Qualifikationen und Einnahmen verfügen. Quelle: OECD, Health at a Glance: Europe 2022

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Notfallpflege-Medizin International Wir sind «nicht ganz normal» Notfallpflegende weisen wesentlich höhere Werte in Bezug auf Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen und Freundlichkeit wie auch Empathie auf. Die Extraversion bezieht sich auf die Art und Weise, wie man auf Menschen und die Welt um sich herum zugeht und wird generell auch mit freundlichen Menschen in Verbindung gebracht. Sie neigen im Weiteren dazu, sich schnell in einer neuen Situation zurechtzufinden und besitzen die Fähigkeit, sich leicht mit Fremden auszutauschen und sich in einer hektischen Umgebung wohlzufühlen. Der Bereich «Offenheit für Erfahrungen» bezieht sich darauf, wie eine Person auf verschiedene Arten von Erfahrungen reagiert, aber auch darauf, dass sie die Abwechslung und die Möglichkeit, neue und andere Situationen zu erleben, bevorzugt; dies im Gegensatz zu einem Lebensstil mit ausgeprägter Routine. Die Personen werden als aufgeschlossen und tolerant gegenüber den Lebensentscheidungen anderer beschrieben, sind sich ihrer eigenen Gefühle bewusst und sind auch bereit, soziale, politische und religiöse Werte zu hinterfragen. Zu guter Letzt werden innerhalb des Persönlichkeitsbereichs der «Empathie/Freundlichkeit» Persönlichkeiten definiert, die rücksichtsvoll sind und alles Notwendige tun, um anderen zu helfen; die bescheiden und demütig sind und es vorziehen, nicht im Rampenlicht zu stehen, und lieber die Leistungen anderer hervorheben als ihre eigenen. Erkennst du dich wieder? Offenheit als Grund für Berufsausstieg? Jedoch stellt sich die Frage, ob nicht genau diese Eigenschaften der Pflegefachpersonen dafür verantwortlich sind, dass es vornehmlich auf Notfallstationen im In- und Ausland einen hohen Turnover (Greinacher et al., 2022; Leiter & Maslach, 2009) und entsprechenden Personalnotstand gibt. Eine deutsche Studie (Greinacher et al., 2022) präsentiert, dass die Absicht, aus dem Beruf auszusteigen in einem kausalen Zusammenhang mit Persönlichkeitseigenschaften wie «Offenheit für neue Erfahrungen» und der Veranlagung zu Neurotizismus (Greinacher et al., 2022) steht. Insbesondere neurotisch veranlagte Menschen haben tendenziell Probleme mit Stress und neigen

eher zum Ausbrennen. Sie leiden auch häufiger unter körperlichen Störungen, zeigen ein allgemeines Gefühl von Unzufriedenheit mit sich und ihrer Lebens­ situation. Die von Greinacher durchgeführte Studie demonstriert, dass die beiden Eigenschaften einen signifikant posi­ tiven Einfluss auf den Wunsch haben, den Beruf aufzugeben, was bei 30 % der be­ob­ achteten Personen der Fall ist. Im Zusammenhang mit der Absicht, den Beruf zu verlassen, zeichnen sich in der Literatur zwei pflegerelevante Konzeptansätze ab: «compassion satisfaction» und «compassion fatigue», Mitgefühl­ szufriedenheit und Mitgefühlsmüdigkeit (Dunn & Rivas, 2014; Greinacher et al., 2022; Sacco & Copel, 2018). Die Zufriedenheit durch das Empfinden von Mit­ gefühl bezieht sich auf die positiven Emo­ tionen, die sich aus der Hilfe für ­Pflegebedürftige ergeben. Andererseits beschreibt die Mitleidsmüdigkeit die negativen körperlichen und emotionalen Auswirkungen, die durch eine Überforderung entstehen können. Beides hat erhebliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Pflegepersonals und auf die Qualität der von ihm geleisteten Arbeit (Sacco & Copel, 2018). Es besteht gemäss Literatur zudem ein eindeutiger Zusammenhang wie auch schmaler Grat zwischen Mitgefühlszufriedenheit und -müdigkeit. Die Betreuung von schwer kranken Patient:innen und ihren Familien, in einem anspruchsvollen Umfeld, gilt als Quelle negativer physischer und psychischer Einflussfaktoren auf das Pflegepersonal, einschliesslich Burnout, sekundärem traumatischem Stress und Mitgefühlsmüdigkeit (Woo et al., 2020).

der Pflegefachpersonen (Sacco & Copel, 2018) aus. Die Konzeptanalyse von Sacco & Copel bietet entscheidende Erkenntnisse für eine Stärkung der wissenschaftlichen Beurteilung von Mitgefühlszufriedenheit und deren positiven Auswirkungen auf die Pflegenden. Spannend ist die Feststellung, dass wenn das Personal in seinen stark ausgeprägten positiven ­ Charaktereigenschaften gefördert wird, sich dies präventiv als Burnout-Prophylaxe erweist und dem Verlassen des Berufes entgegenwirkt (Dunn & Rivas, 2014; Sacco & Copel, 2018). Entsprechend lässt sich festhalten, dass die Persönlichkeitsstruktur von Notfallpflegenden direkt den Arbeitsalltag beeinflusst – insbesondere auch, was die Burnout-Rate und Rekrutierung neuer Mitarbeiter:innen betrifft. Es ist daher wichtig zu betonen, dass Unternehmen ihre Fachkräfte in ihrer «compassion satisfaction» unterstützen sollten, um motiviertes Personal langfristig im Beruf zu halten. Last but not least: Was wir in der Schweiz definitiv von unseren Kolleg:innen aus dem Ausland lernen können, ist die Verinnerlichung des Leitsatzes «PROUD TO BE A NURSE» und diesen auch zu leben. Denn stolz auf die eigene Arbeit zu sein, kann zu vielen positiven Ergebnissen führen. Ein gelebter Berufsstolz reduziert nachweislich (Quernheim & Zegelin, 2020) Stress, Müdigkeit und das Gefühl, überfordert zu sein, und steigert gleichzeitig das Selbstvertrauen, die Zufriedenheit und das Gefühl der Kompetenz. Alles andere als in der Norm, aber er­ füllt mit Stolz und viel Herzblut, das sind wir in der Notfallpflege!

Förderung der Charakterstärken als Burnout-Prophylaxe Trotz alledem, dass Pflegende, die ein höheres Mass an Empathie aufweisen und anfälliger für negative Folgen aus ihrer Tätigkeit sind, kann dies als ausgeprägte Charakterstärke ausgelegt werden. Denn die potenziell negativen Auswirkungen können interessanterweise dennoch ein tiefes Gefühl der Erfüllung und Zufriedenheit hervorrufen. Pflegekräfte erfahren diese Mitgefühlszufriedenheit bei der Betreuung von Patient:innen in ihren verletzlichsten Momenten. Dieses Empfinden wirkt sich positiv auf die Gesamtqualität der Pflege wie auch auf die allgemeine Zufriedenheit

AUTORIN: Petra Valk-Zwickl arbeitet seit 29 Jahren in der Pädiatrie und seit 24 Jahren auf pädiatrischen Notfallstationen, aktuell im Kinderspital Zürich (Notfallstation) als Pflegeexpertin und ist zudem schweizweit als Fachexpertin Triage ATS (Australasian Triage Scale) tätig. Sie ist breit vernetzt durch ihre Vorstandstätigkeiten in drei Berufsverbänden im In- und Ausland.


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KONTAKT:

Petra Valk-Zwickl, RN, BScN, PEM MSc cand. Vorstand NOTFALLPFLEGE SCHWEIZ Co-Präsidentin PEMS Vizepräsidentin EuSEN Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung, Notfallstation Steinwiesstrasse 75 8032 Zürich petra.valk-zwickl@notfallpflege.ch

Literaturverzeichnis ▶D unn, D. J., & Rivas, D. M. (2014). Transforming Compassion Satisfaction. Int J Human Car, 18(1), 45–50. ▶G reinacher, A., Helass, M., Nikendei, C., Müller, A., Mulfinger, N., Gündel, H., & Maatouk, I. (2022). The impact of personality on intention to leave the nursing profession: A structural equation model. Journal of Clinical Nursing, 31(11–12), 1570–1579. https://doi.org/10.1111/jocn.16010 ▶H ealth at a Glance: Europe 2022. (2022). OECD. https://doi.org/10.1787/507433b0-en ▶K ennedy, B., Curtis, K., & Waters, D. (2014). The personality of emergency nurses: Is it unique? Australasian Emergency Nursing Journal, 17(4), 139–145. https://doi.org/10.1016/j.aenj.2014.07.002 ▶ L eiter, M. P., & Maslach, C. (2009). Nurse turnover: The mediating role of burnout. Journal of Nursing Management, 17(3), 331–339. https://doi. org/10.1111/j.1365-2834.2009.01004.x ▶Q uernheim, G., & Zegelin, A. (2020). Berufsstolz in der Pflege Das Mutmachbuch (1st ed.). Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG. ▶S acco, T. L., & Copel, L. C. (2018). Compassion satisfaction: A concept analysis in nursing. Nursing Forum, 53(1), 76–83. https://doi.org/10.1111/nuf.12213 ▶W oo, T., Ho, R., Tang, A., & Tam, W. (2020). Global prevalence of burnout symptoms among nurses: A systematic review and meta-analysis. Journal of Psychiatric Research, 123, 9–20. https://doi.org/10.1016/j.jpsychires.2019.12.015

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Notfallpflege-Medizin

Patrick Flury

In der modernen Notfallmedizin gewinnen innovative Technologien zunehmend an Bedeutung, um eine schnelle, präzise und patientenzentrierte Versorgung zu gewährleisten. Eine Entwicklung in diesem Bereich ist die ultraschallgestützte peripher-venöse Kathetereinlage, die auf Notfallstationen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dieser Artikel beleuchtet die Vorteile der ultraschallgestützten PVK-Einlage, die Auswirkungen auf die Behandlungsqualität und -effizienz sowie die Schulungsinitiativen zur Befähigung des Pflegepersonals, insbesondere im Umgang mit Difficult Venous ­Access (DIVA). Einen venösen Zugang zu legen, kann bei bestimmten Patient:innen aufgrund von Faktoren wie Adipositas, Ödemen, chronischen Erkrankungen, Hypovo­ lämie, intravenösem Drogenkonsum, Gefässpathologie und insbesondere bei pädiatrischen Patient:innen schwierig sein (Brannam et al., 2004). Die ultra-

S CHNELL UND PRÄZISE:

ULTRASCHALLUNTERSTÜTZTE ­ PERIPHER-VENÖSE KATHETER­EINLAGE IN DER NOTFALLPFLEGE schallgestützte PVK-Einlage erweist sich als wertvolles Instrument, um die Geschwindigkeit und Präzision bei der Kathetereinlage zu erhöhen. Durch die visuelle Echtzeitdarstellung der Venen­ strukturen können geeignete Punktionsstellen schneller identifiziert werden. Dies führt zu einer effizienteren Einlage des PVK und minimiert Verzögerungen bei der Behandlung. Insbesondere in akuten Notfallsituationen, in denen jede Sekunde zählt, kann dieser Ansatz dazu

beitragen, lebensrettende Massnahmen rechtzeitig zu ergreifen (Egan et al., 2012). Eine Meta-Analyse und systematische Überprüfung durch Stolz et al. (2015) bestätigt die positiven Auswir­ kungen der ultraschallgestützten peripher-venösen Kathetereinlage. Dies führt zu einer gesteigerten Behandlungsqua­ lität und -effizienz. Diese Entwicklung bringt eine erhebliche Verbesserung im herkömmlichen Prozess der Kathetereinlage mit sich, bei der häufig wertvolle Zeit für die Suche nach einer passenden Vene aufgewendet wird und der Patient, die Patientin möglicherweise auf dringend benötigte medizinische Diagnostik, Therapie oder Eingriffe wartet. Effizienzsteigerung und verbesserte Ressourcennutzung Die Implementierung der ultraschallgestützten PVK-Einlage durch das Pflegepersonal kann langfristig zu Kosteneinsparungen führen. Durch die Reduzierung von Fehleinlagen und Komplikationen wie Hämatomen oder Infektionen werden die Behandlungskosten gesenkt (Amick et al., 2021). Darüber hinaus ermöglicht die präzise Platzierung des Katheters eine optimale Medikamentenverabreichung und erleichtert Blutentnahmen, was wiederum den Bedarf an

Darstellung einer Vene in der Kurzachse


HELP 2  | 2023 Notfallpflege-Medizin zusätzlichen Eingriffen verringert. Diese Effizienzsteigerung führt zu einer besseren Ressourcennutzung und ermöglicht es dem medizinischen Personal, sich verstärkt auf die direkte Patientenversorgung zu konzentrieren. Regelmässige Schulungen im Notfallzentrum Basel Die erfolgreiche Umsetzung der ultraschallgestützten PVK-Einlage erfordert gut geschultes und qualifiziertes Pflegepersonal. Regelmässige Schulungen sind entscheidend, um die theoretischen Grundlagen der Sonografie zu vermitteln, potenzielle Fehlerquellen zu identifizieren und das Bewusstsein für Patientensicherheit und Hygiene zu schärfen. Im Notfallzentrum des Universitätsspitals Basel finden diese Schulungen für die Mitarbeitenden des Notfallzentrums alle zwei Monate statt. Das interne Weiterbildungsprogramm der Notfallstation deckt mit diesen Schulungen eine breite Palette von Inhalten ab: Dazu gehören die grundlegenden Prinzipien der Sonografie, die Identifizierung von Venenstrukturen sowie Massnahmen zur Minimierung von Fehlerquellen während der Punktion. Ebenso werden Inhalte zur Aufrechterhaltung der Patientensicherheit und Hygienestandards vermittelt. Ein praktischer Ansatz wird durch die Verwendung von Phantomen ermöglicht, auf denen das Personal das Einlegen des PVK unter realistischen Bedingungen üben kann. Dieses Schulungsprogramm stellt sicher, dass das medizinische Personal über das erforderliche Wissen und die praktischen Fähig­ keiten verfügt, um die ultraschall­gestützte PVK-Einlage erfolgreich durch­­­zuführen. Zeitersparnis, Kosteneffizienz und gut qualifiziertes Pflegepersonal Die Einführung der ultraschallgestützten PVK-Einlage auf der Notfallstation des

Alles im Blickfeld

USB hat sich als wegweisend erwiesen: Vom Einführungsjahr 2020 bis Juni 2023 wurden bereits über 400 PVK erfolgreich eingelegt, wodurch nicht nur die Behandlungsqualität gesteigert, sondern auch Behandlungszeit und Kosten eingespart wurden. Diese positive Entwicklung bestärkt uns in unserem Engagement, qualitativ hochwertige Versorgung durch

Literaturverzeichnis ▶ Amick, A. E., Feinsmith, S., Sell, J., Davis, E. M., Wayne, D. B., Feinglass, J. & Barsuk, J. H. (2021). Ultrasound-Guided peripheral intravenous catheter insertion training reduces use of midline catheters in hospitalized patients with difficult intravenous access. Journal of Patient Safety, 18(3), e697–e703. ▶ Brannam, L., Blaivas, M., Lyon, M. & Flake, M. (2004). Emergency nurses’ utilization of ultrasound guidance for placement of peripheral intravenous lines in difficult-access patients. Academic Emergency Medicine, 11(12), 1361–1363. ▶ Egan, G., Healy, D., O’Neill, H., Clarke-Moloney, M., Grace, P. A. & Walsh, S. R. (2012). Ultrasound guidance for difficult peripheral venous access: Systematic review and Meta-analysis. Emergency Medicine Journal, 30(7), 521–526. ▶ Stolz, L., Stolz, U., Howe, C., Farrell, I. & Adhikari, S. (2015). Ultrasound-Guided Peripheral Venous Access: A Meta-Analysis and Systematic Review. Journal of Vascular Access, 16(4), 321–326.

kontinuierliche Schulungen zu gewährleisten. Die ultraschallgestützte PVK-­ Einlage verdeutlicht den Fortschritt in der Notfallpflege und unterstreicht die Bedeutung einer evidenzbasierten, technologiegestützten Herangehensweise zur besseren Patientenversorgung. Die Kombination aus Zeitersparnis, kosteneffizienter Behandlung und gut qualifiziertem Pflegepersonal zeigt, wie In­novation und Schulung die Grundpfeiler einer modernen Notfallstation bilden können.

KONTAKT: Patrick Flury Dipl. Experte Notfallpflege NDS HF, Berufsbildner NDS Universitätsspital Basel, Notfallzentrum patrick.flury@usb.ch

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Notfallpflege-Medizin

ARBEITEN AUF DER NOTFALLSTATION ÜBER DAS PENSIONSALTER HINAUS –

GIBT ES DAS?

Elisabeth Hillan

Was sind die Gründe, über das Pensionsalter hinaus auf der Notfallstation zu arbeiten? Die Autorin dieses Beitrags, die selbst auf einer Notfallstation tätig ist und sich nächstes Jahr pensionieren lassen könnte, hat ältere Berufskolleginnen und -kollegen dazu befragt. Die Arbeit auf einer Notfallstation ist herausfordernd: Schichtarbeit, Nachtdienste, extreme Stresssituationen, wenig Routine, immer wieder Krankheitsausfälle, die abgedeckt werden müssen, Personalnot. Gleichzeitig ist es eine abwechslungsreiche, sinnstiftende Arbeit. «Mit 60 Jahren steige ich aus», sagt mir meine Kollegin. Ein Kollege kündigte bereits mit 58 Jahren und ist trotz vielen Anfragen nicht mehr für die Notfallarbeit zu haben. Jüngere Kollegen und Kolleginnen denken laut über andere Berufsausbildungen nach oder bekommen Kinder und arbeiten nur noch Teilzeit. Andere wechseln zu einer Temporärfirma und arbeiten an verschiedenen Orten. Es wird zunehmend schwierig, neues Personal zu rekrutieren. Was also motiviert eine kleine Gruppe Notfallpflegender, über das Pensionsalter hinaus auf einer Notfallstation zu arbeiten? Wie haben sie es geschafft, in diesem stressigen Arbeitsumfeld fit zu bleiben? Was sind die Gründe? Welche Eigenschaften haben diese Pflegenden, die teilweise bis zum 70. Lebensjahr und darüber hinaus tätig sind?

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Ich selbst bin 63 Jahre alt, arbeite seit vielen Jahren 80 bis 100 % auf einer Notfallstation und könnte mich nächstes Jahr regulär pensionieren lassen. Für diesen Artikel befragte ich fünf Notfallpflegende im Alter zwischen 64 und 72 zu den Gründen, ihrer Motivation, den Benefits, den Eigenschaften und den notwen­ digen, strukturellen Anpassungen des Arbeitsplatzes. Vier der Befragten arbeiten aktuell auf einer Notfallstation. Eine Pflegende in leitender Position, eine als Berufsbildnerin, im Gipszimmer und/oder im normalen Notfallbetrieb. Eine Pflegende hat bis zu ihrem 70. Lebensjahr gearbeitet und würde gerne wieder einsteigen.

Was motiviert Pflegende? Allen gemeinsam ist eine lange Berufstätigkeit auf derselben Notfallstation. Die Arbeit wird als sinnstiftend beschrieben, die Freude an der Ausübung des Berufes ist deutlich. Alle berichten von einer guten Zusammenarbeit im Team, von grosser Unterstützung. Die Arbeit wird auch als Energiequelle empfunden und als präventiv gegen «zu viel Fokus auf sich selbst».

«ICH ERFAHRE ­ GROSSE UNTERSTÜTZUNG DURCH MEIN TEAM. WIR HABEN IN DEN LETZTEN JAHREN ­VIELE PROBLEME ­ZUSAMMEN GELÖST UND SCHWIERIGE ­SITUATIONEN DURCHGESTANDEN.» Eine Pflegende erklärte, dass ihr die Arbeit helfe, geistig fit zu bleiben. Interesse an Weiterbildung sowie der Erwerb

von aktuellem Wissen über Pflege und Medizin sei unter anderem ihre Motivation.

Was sind die Gründe, länger zu arbeiten? Alle empfinden sich als fit, lieben die Arbeit und die Zusammenarbeit im Team, vor allem mit jungem Personal. Sie berichten, noch nicht bereit gewesen zu sein für die Pension.

«ICH HABE (…) NOCH IMMER FREUDE AN MEINER ARBEIT ‹AM BETT› UND KANN VON EINER GROSSEN ERFAHRUNG PROFITIEREN UND VIELES GELASSENER NEHMEN.» «Ich fühle mich noch fit und hatte mit der hohen Belastung wie keine Vorlaufzeit, um mich ernsthaft mit der Zeit danach zu beschäftigen. Das passt und ich bin jetzt auf der ‹Zielgeraden›. Das heisst auch, dass ich mich gedanklich anders auf meine Zeit nach der Pensionierung ausrichte.» Als eine Pflegende aufgrund des fortgeschrittenen Alters aufhören musste, wurde sie krank. Obwohl über 70 Jahre alt, würde sie jetzt gerne wieder ab und zu arbeiten.

«VON 180 AUF 0 MACHT DICH KRANK.» Zudem wird die Bedeutung der Pension hinausgeschoben: «Pension tut nicht gut, plötzlich bist du alt.» Das Geniessen der beruflichen Erfolge oder das Umsetzen eines lang erwarteten Projekts oder eine Lücke in der Stellenbesetzung ­wurden von zwei in Führungspositionen


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Eigenschaften, die ein langes Arbeiten auf dem Notfall begünstigen

Bild: Eugen Fadeev

stehenden Pflegenden genannt. Auch wichtig sind familiäre Gründe wie zum Beispiel ein:e jüngere:r berufstätige:r Partner:in. Finanzelle Gründe wie Lücken in der Berufstätigkeit und eine demzufolge geringere Rente sind weniger wichtig. Eng verknüpft mit den Gründen sind die Benefits der Entscheidung.

Gute Gesundheit sowie ein unterstützendes familiäres Umfeld sind von Bedeutung. Mit dem Älterwerden wird auch die Bedeutung von Erholung grösser. «Ich bin ein Wanderfan und erhole mich beim Wandern schnell und gut! Draussen sein, die Natur erleben bedeutet mir sehr viel […] und ich habe einen Partner, der mir viel abnimmt. Zum Beispiel das Staubsaugen, was nicht mein Ding ist.» Mit der individuellen Energie sollte sorgsam umgegangen werden. Die Möglichkeit von Teilzeitarbeit oder des schrittweisen Reduzierens wird als hilfreich beschrieben.

Was sind die Benefits? Die Weiterbeschäftigung bietet konstante soziale Kontakte, eine Tagesstruktur und Schutz vor Bewegungsmangel. «[…] sonst redet man in der Migros nur noch mit der Kassiererin.»

«WERTSCHÄTZUNG IST WICHTIG UND DAS KRIEGT MAN HIER. ICH FINDE ES AUCH SEHR POSITIV, WENN MAN NOCH KONTAKT MIT ARBEITSKOLLEGEN HAT.» Da ältere Pflegende häufig pflegebedürftige Familienangehörige haben, kann die Arbeit auch als Schutz vor Selbstausbeutung gesehen werden. Zudem wird das vertraglich gesicherte Einkommen als belohnend empfunden, anders als eine Rentenzahlung. «Finan­ ziell ist es auch ein Gewinn, da ich eine Auszahlung aus der Pensionskasse erst später in Anspruch nehme.» Hinzu kommt die Freiheit, nach dem ersten Jahr jederzeit aufhören zu können, was jedoch oft hinausgeschoben wird oder wurde.

Zeit. Die würden den Arbeitsplatz wechseln. Die andere Gruppe liebe die Un­regelmässigkeit und Abwechslung, sei oft leidenschaftlich engagiert: «Ich habe mehr Mühe mit Regelmässigkeit.» Hilfreich sei auch ein Sonderjob mit ein «bisschen Büro». So liesse sich die Arbeit auf dem Notfall sehr lange «aushalten».

Organisatorische Bedingungen am Arbeitsplatz Es braucht Anpassungen am Arbeitsplatz: Hilfreich sei zum Beispiel, dass man keine Schockräume mehr annehmen müsse, immer im gleichen Spital arbeite sowie die Möglichkeit der individuellen Dienstplangestaltung. Teilzeitarbeit und schrittweises Reduzieren wird als wichtig angesehen. Die Entscheidung, über das Pensionsalter hinaus zu arbeiten, sollte mit der Leitung frühzeitig angesprochen werden. «So haben wir (im Gespräch mit der Pflegedienstleitung) schon weiter im Voraus darüber gesprochen, länger zu arbeiten.»

Bild: Eugen Fadeev

Trotzdem bleibt die Frage, wer so lange auf dem Notfall arbeiten kann. Zwei der Befragten bezeichnen sich als resilient, wie viele aus der Generation der Babyboomer.

«ICH BIN FÜR DEN ­BETRIEB DA, NICHT DER BETRIEB FÜR MICH, WIR BABYBOOMER KÖNNEN HART ARBEITEN.» Sie hätten mittlerweile gelernt, «Energiefresser» zu meiden. Eine Pflegende beschreibt zwei Gruppen von Notfallpflegenden: Alle lieben die Notfallarbeit, aber eine Gruppe vertrage den Stress und die Schichtarbeit nicht auf lange

Bild: Stefan Held, Spital Zollikerberg

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HELP 2  | 2023 Notfallpflege-Medizin Im ersten Jahr besteht eine einjährige Vertragsbindung, danach könne das Arbeitsverhältnis monatlich gekündigt werden. Einige Pflegende liessen sich nach einigen Jahren von einer Temporärfirma anstellen und werden im gleichen Spital eingesetzt. Wichtig sind auch, so eine Pflegende, die Weiterbildungsmöglichkeiten und der Austausch mit der Berufsbildnern zur Wissensüberprüfung und Evaluation der Kenntnisse in der Notfallpflege.

Was sagt die Wissenschaft zum Weiterarbeiten über das Pensionsalter hinaus?

Der Tages-Anzeiger veröffentlichte im Mai 2023 einen Artikel, in dem der Autor (Staehelin, 2023) erklärt, dass es «für die Wirtschaft vorteilhaft wäre, wenn mehr Personen im Rentenalter weiterarbeiten würden». Laut OECD erfordert jedoch die Realisierung von multigenerationalen Teams von den Arbeitgebern mehrere Veränderungen. So sollten Massnahmen zur Vorbeugung der Altersdiskrimination ergriffen, strukturelle Anpassungen zu Gunsten von älteren Mitarbeitenden vorgenommen und auf diese Altersgruppe ausgerichtete Fortbildungen entwickelt werden. Zudem müssten Firmen sich für diese Altersgruppe attraktiver machen.

Ist Arbeiten über das Alter von 64 Jahren hinaus gesund oder hat es sogar einen Benefit? Baxter et al. (2021) analysierten 17 Studien, die entweder empirische Daten über alle Berufe hinweg zur Gesundheit oder Vergleiche zwischen der Gesundheit von Weiterarbeitenden in einer bezahlten Tätigkeit und derjenigen von Pensionierten enthielten. Alle Studien wurden in entwickelten Ländern durchgeführt. Die Analyse kann eine positive Auswirkung auf die Gesamtgesundheit aufzeigen, zumindest schade die Weiterbeschäftigung nicht. Von Bedeutung ist jedoch, ob dies eine freiwillige Entscheidung ist oder die Person zum Beispiel aus finanziellen Gründen weiterarbeiten muss. Männer, Teilzeitarbeitende und solche in hochqualifizierten Berufen profitieren gesundheitlich mehr. Wiederum hat die eigene vorbestehende Gesundheit nur einen geringen Einfluss auf die positive Wirkung. Auswirkungen auf die mentale Gesundheit oder auf die Lebensqualität zeigen gemischte oder neutrale Effekte. Die Autoren und Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass sinnstiftende Tätigkeiten und die Freiwilligkeit der Entscheidung eine positive Auswirkung auf die Gesundheit haben.

Zusammengefasst kann gesagt werden, dass eine sinnhafte Tätigkeit, Teilzeitarbeit, organisatorische Anpassungen sowie die Unterstützung durch den Partner oder die Partnerin von Bedeutung sind. Der bedeutendste Faktor ist die Freiwilligkeit, das Wissen, das man abgesehen vom ersten Jahr jederzeit aufhören könnte – und dies dann eher später als früher umsetzt. Wichtig ist, eine offene Einstellung gegenüber dem Altern zu haben. Dies gilt für die jüngeren Generationen wie auch für die Betroffenen selbst. Der Benefit für die Arbeitnehmenden ist möglicherweise eine gute Gesundheit und für den Arbeitgeber eine wertvolle und loyale Arbeitskraft. Dass die Arbeit angemessen entlöhnt werden sollte, versteht sich von selbst. Alles andere wäre altersdiskriminierend.

KONTAKT:

Elisabeth Hillan Dipl. Expertin Notfallpflege NDS HF Spital Zollikerberg Trichtenhauserstrasse 20 8125 Zollikerberg +41 44 397 24 24 elisabeth.hillan@spitalzollikerberg.ch

Was lässt sich in den Medien zu diesem Thema finden? In der Schweiz schieben zurzeit ungefähr 11 % der Pensionäre die AHV auf, im internationalen Vergleich steht Japan mit 28 % an der Spitze. Im Rahmen des WEF 2023 erschien ein Artikel von Manktelow (2022), in dem er das Arbeiten über das Pensionsalter hinaus als eine mögliche Lösung des Fachkräftemangels sieht.

ZUSAMMENFASSUNG

Literaturverzeichnis ▶ Baxter, S., Blank, L., Cantrell, A., & Goyder, E. (2021). Is working in later life good for your health? A systematic review of health outcomes resulting from extended working lives. BMC Public Health, 21, 1–11. ▶ Manktelow, A. (2022). Great Unretirement: How to plan for people working longer. World Economic Forum. https://www.weforum.org/agenda/2022/10/great-unretirement-older-people-working-longer/ ▶ Staehelin, K. (2023). Pensionierte sollen weiterarbeiten – aber ohne Steuerprivilegien. Tages-Anzeiger. https://www.tagesanzeiger.ch/rentner-sollen-weiterarbeiten-aber-ohne-steuerprivilegien-816109658667


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«Wer auf digitale Transformation setzt, kann im analogen Leben besser helfen.» Das EPD wirkt.

Eine Partnerkampagne des Bundesamtes für Gesundheit BAG und der Kantone.

Deborah Brogle, Pflegeexpertin Neurologie / Neurochirurgie, Kantonsspital St. Gallen

Schliessen Sie sich jetzt dem elektronischen Patientendossier an: patientendossier.ch

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Was sind Nurse Practitioners? Nurse Practitioners sind Pflegefachperso­ nen mit jahrelanger klinischer Erfahrung und einem Master of Science in Pflegewissenschaft, welche selbstverantwortlich Patient:innen behandeln und betreuen. Die Nurse-Practitioner-Rolle entstand 1965 in den USA aus einem Bedarf an pädiatrischer Grundversorgung, zu welcher nicht alle Kinder Zugang hatten. Eine Pflegefachfrau, Dr. Loretta Ford, und ein Pädiater, Dr. Henry Silver, begannen, Pflegefachpersonen in der klinischen Beurteilung, Diagnostik und Behandlung von häufigen pädiatrischen Problemen in der Grundversorgung zu unterrichten, was zur ersten erweiterten Pflegerolle führte (Ford, 2015). Damit veränderten sie die Ausbildung von Pflegefachper­ sonen nachhaltig. Heutzutage finden sich Nurse Practitioners weltweit. Häufige ­S pezialisierungen sind beispielsweise «Family Nurse Practitioner» oder «Emergency ­Nurse Practitioner». Nurse Practitioner, Clinical Nurse Specialist und Advanced Practice Nurse? In der Schweiz finden sich Nurse Practitioners in Hausarztpraxen, in Akut- und Langzeitinstitutionen sowie in der Spitex. Nurse Practitioners arbeiten am Bett und sind in direktem Kontakt mit Patient:innen und deren Familien (personen­orientiert). Clinical Nurse Specialists arbeiten konzeptuell (systemorientiert). Das Schirmkonzept dazu ist Advanced Nursing Practice ANP, wobei die Person Pflegeexpert:in Advanced Practice Nurse APN ist. Die meisten Rollen in der Schweiz beinhalten beide Aspekte, und Pflegexpert:innen APN arbeiten am Bett sowie auch konzeptuell. Im Rahmen eines Master of Science in Pflegewissenschaft haben sie sich Expertenwissen, Fähigkeiten zur Entscheidungsfindung sowie erweiterte Kompetenzen angeeignet. Nurse Practitioners auf der Notfallstation am Universitäts-Kinderspital Zürich Seit Sommer 2022 beschäftigt die Notfallstation des Universitäts-Kinderspitals Zürich eine Nurse Practitioner. Auf dem

NURSE PRAC AUF DER PÄDIATRISCHEN NOTFALLSTATION

Nurse-Led-Fast-Track betreut und behandelt sie eigenverantwortlich Patient:innen mit nicht-dringlichen Krankheiten und Traumata ab der Triage bis zum Austritt. Dies beinhaltet die Anamnese und klinische Untersuchung, die Beurteilung der Befunde, bei Bedarf das in die Wege leiten und/oder Durchführen von therapeutisch-diagnostischen Interventionen wie beispielsweise das Anfordern eines Röntgenbilds oder das Anbringen einer Gipsruhigstellung, die Beratung und Instruktion der Familie sowie das Erstellen eines Berichts. Häufige Krankheiten sind beispielsweise Luftwegsinfekte und gastrointestinale Infekte, während Kopfkontusionen und Trauma der Extremitäten häufige Traumata sind. Eine ärztliche Supervision ist jederzeit gewährleistet, die diensthabende Oberärztin oder der diensthabende Oberarzt sind die An­sprechpersonen bei Fragen oder Anliegen. Alltag einer Nurse Practitioner Der Alltag ist enorm vielfältig. Alle anfallenden Arbeiten werden von der Nurse Practitioner selbst ausgeführt, somit werden alle vorhandenen Skills genutzt. Die Anzahl behandelter Patient:innen variiert stark, durchschnittlich werden auf einer Schicht 14 Patient:innen gesehen. Die Anzahl Patient:innen pro Schicht ist abhängig vom Patientenaufkommen an diesem Tag oder auch davon, ob weiterführende diagnostisch-therapeutische Massnahmen benötigt werden, beispielsweise benötigt eine Gipsruhigstellung mehr Zeit als die Versorgung einer Wunde mittels Wundkleber. Die Schichtzeiten (11– 20 Uhr, 14 – 23 Uhr) wurden anhand des Aufkommens an Patient:innen angepasst, welche sich mehrheitlich mittags und in den Abendstunden vorstellen. Der Arbeitsort der Nurse Practitioner ist im Behandlungsbereich der Notfallsta­ 1

tion. Die Pflegefachperson an der Triage definiert Patient:innen, die sich für den Nurse-Led-Fast-Track qualifizieren könnten. Der Weg von Fast-Track-Patient:innen am Beispiel einer Patientin mit einer Distorsion des oberen Sprunggelenks: Die Nurse Practitioner liest sich in die Triage ein und holt die Patientin in ihren Behandlungsbereich. Die Anamnese aus der Triage wird ergänzt, es folgt eine fokussierte klinische Untersuchung, notwendige Vitalparameter werden erfasst und die klinische Einschätzung mit Patientin und Familie besprochen. Bei Bedarf werden weiterführende diagnostisch-therapeutische Massnahmen in die Wege geleitet wie beispielsweise die Gabe von Analgetika und das Anfordern eines Röntgenbilds. Nach Erhalt des Röntgenbilds wird dieses beurteilt, das Resultat mit der Familie besprochen und eine Empfehlung für die Therapie abgegeben. Bei einer Distorsion des oberen Sprunggelenks ist dies beispielsweise die Anlage eines Stützgipses und die Gabe von Analgetika. Ist die Familie einverstanden, bringt die Nurse Practitioner anschliessend den Stützgips an, erläutert der Patientin und der Familie den Um­ gang mit dem Gips, instruiert diese in Bezug auf die Einnahme von Analgetika und dokumentiert die geleistete Arbeit. Zum Schluss wird ein Brief an die zuständige Kinderärztin verschickt und die Leistungen werden festgehalten. Im gesamten Prozess profitieren Patient:innen und deren Familie vom pflegerischen Wissen, beispielsweise erhalten sie Tipps und Tricks zur Verabreichung von Medikamenten an Kinder unterschiedlichen Alters oder zum Treppensteigen an Unter­­­­arm­gehstöcken. Nebst dem Führen des Nurse-Led-FastTrack gehören auch weitere Aufgaben zur Tätigkeit, beispielsweise sind dies Coaching und Teaching von Pflegefachpersonen auf der Schicht, das Auswerten

von einer Pflegefachperson geführter Behandlungsbereich für Patient:innen mit leichteren Notfällen


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TITIONERS von erbrachten Leistungen sowie die persönliche Fort- und Weiterbildung. Ausbildung der Nurse Practitioner am Universitäts-Kinderspital Zürich Der Titel Master of Science in Pflegewissenschaft Schwerpunkt APN kann in der Schweiz an einer Fachhochschule oder universitär erworben werden. In die theoretische Ausbildung integriert sind klinisch supervidierte Stunden in der Praxis. Die Praxisstunden sind ein grosser Pluspunkt. Für die Supervision konnte eine Leitende Ärztin gewonnen werden. Ihr Engagement ermöglichte der damaligen Studentin eine steile Lernkurve, was sich wiederum enorm motivierend auswirkte. Die Praxisstunden fanden in der an die Notfallstation angeschlossenen Notfallpraxis oder Kinderpermanence statt. So wurde nicht nur eine gezielte klinische Ausbildung und Spezialisierung auf Fast-Track-Patient:innen ermöglicht, die Einsätze vermittelten auch einen Einblick in die zukünftige Arbeit. Das Konzept zu Nurse Practitioners auf der Notfallstation am Universitäts-Kinderspital Zürich sieht vor, dass die neu­ erworbenen Kompetenzen im Rahmen des Studiums die bereits vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten ergänzen. Von Vorteil ist dabei ein Abschluss als dipl. Expert:in Notfallpflege NDS HF. Fördernde und hemmende Faktoren Möglich wurde die Einführung dieser Rolle dank des Pioniergeists und des Engagements aller Beteiligten. Eine interprofessionelle Arbeitsgruppe der Notfallstation und der Pflegeentwicklung beschäftigte sich ab 2019 mit erweiterten Pflegerollen für die Notfallstation und entschied, die Rolle Nurse Practitioner weiterzuverfolgen. Geduld war von allen Seiten gefragt. Bis die Anstellung in einem 60-Prozent-Pensum geschaffen werden konnte, vergingen weitere drei Jahre. Zu Beginn wurde die Finanzierung durch das Spital übernommen, eine Drittmittelfinanzierung ist inzwischen für 2023 vorhanden. Da am Universitäts-Kinderspital Zürich

bereits zahlreiche Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN in unterschiedlichen Fachrichtungen etabliert sind, ist das Berufsbild Pflegeexpertin/Pflegeexperte APN bekannt. Für die Nurse Practitioner auf der Notfallstation musste daher «nur» eine neue Rolle konzipiert und implementiert werden. Weitere fördernde Faktoren sind die vorhandene Unterstützung durch das pflegerische und ärztliche Management, die positive Grundhaltung gegenüber der Pflege und Pflegeexpertise sowie auch die bereits komplett vorhandene Infrastruktur. Hemmende Faktoren sind die bisher in der Schweiz zum jetzigen Zeitpunkt noch fehlenden gesetzlichen Bestimmungen. Damit geht beispielsweise einher, dass Nurse Practitioners aktuell nicht alle erbrachten Leistungen vollumfänglich ab­­ rechnen können. Akzeptanz der Rolle Die bisher erlebte Akzeptanz der Rolle seitens des interprofessionellen Teams sowie von Patient:innen und deren Familien ist hoch. Im ersten Jahr wollten nur drei Familien nach Konsultation bei der Nurse Practitioner eine Ärztin oder einen Arzt sehen. Im Erstkontakt stellt sich die Nurse Practitioner mit Namen und Funktion vor – und wird während der klinischen Untersuchung von den Eltern häufig als Ärztin bezeichnet. Die Eltern werden darauf aufmerksam gemacht, dass die von Nurse Practitioners ausgeführten Tätigkeiten klassischerweise als Kompetenzen von Ärztinnen und Ärzten wahrgenommen werden. Viele Familien äussern, dass sie eine gute Beratung zum aktuellen Gesundheitszustand ihres Kindes wünschen. Dies kann auch durch eine:n Pflegexpert:in APN geschehen. Das Angebot des Nurse-Led-Fast-Track ist zudem auch bekannt geworden. Wiederholt gelangen Rückmeldungen aus dem beruflichen und privaten Umfeld an die Notfallstation, oder Eltern sprechen die Nurse Practitioner direkt an. Häufig stellt sich heraus, dass im Bekanntenkreis der Familie schon einmal ein Kind auf dem Nurse-Led-Fast-Track behandelt wurde, oder die Eltern beispielsweise einen Zeitungsartikel über Pflege­

Notfallpflege-Medizin

expert:innen APN gelesen haben. Die bisherigen Rückmeldungen sind positiv ausgefallen. Einige davon vermerken eine Reduktion der Aufenthaltszeit, da keine erneute Wartezeit entsteht bis zum Austritt und beispielsweise eine Gips­ anlage direkt im Anschluss stattfindet. Eine Evaluation des Nurse-Led-Fast-Track inklusive Befragung von Patient:innen und deren Familien folgt 2024.

Vision Das Angebot von Nurse Practitioners soll erweitert werden, in einem ersten Schritt beinhaltet dies eine zweite Anstellung, sodass Ferienabwesenheiten abgedeckt und das Angebot auf sieben Tage ausgeweitet werden kann. In Zukunft könnten Nurse-Led-FastTracks das aktuelle Angebot der Notfallpraxis ersetzen. Die Zuversicht bleibt, dass Nurse Practitioner zukünftig als eigene Profession anerkannt wird, die sich auch auf anderen Notfallstationen etablieren kann. Die Tätigkeit als Nurse Practitioner auf der Notfallstation ist äusserst abwechslungsreich und erlaubt es, mit erweiterten Kompetenzen direkt mit den Patient:innen zu arbeiten. Es ist eine hervorragende Karrierechance für Pflegefachpersonen, die neue und sinnvolle Karrierepfade eröffnet, um die eigene Expertise erweitern und weiterhin am Bett tätig sein zu können. Für das Universitäts-Kinderspital ist klar: Nurse Practitioners können sich knapp 60 Jahre nach dem Start in den USA auch in der Schweiz etablieren.

Literaturverzeichnis Ford, L. C. (2015). Reflections on 50 years of ­change. J Am Assoc Nurse Pract, 27(6), 294–295. https://doi.org/10.1002/2327-6924.12271

KONTAKT:

Rahel Kugler, MScN, CEN, RN Pflegeexpertin APN/Nurse Practitioner, dipl. Expertin Notfallpflege HF, RN Universitäts-Kinderspital Zürich rahel.kugler@kispi.uzh.ch

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WAS TUN

WENN ES UNS DIE SPRACHE VERSCHLÄGT

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Die Notfallexpertinnen Demi Graf und Rebekka Frank unterhalten sich über die Situation gehörloser Menschen auf der Notfallstation.

Demi: Rebekka, wir haben uns am Notfallkongress kennengelernt und uns über gehörlose Patient:innen auf dem Notfall unterhalten. Wie bist du auf dieses Thema gekommen? Rebekka: Ich hatte vor einiger Zeit eine gehörlose Patientin bei uns im Schockraum. Die Kommunikation in dieser Situation, auch mit den Kolleg:innen, stellte alle vor grosse Herausforderungen. Die Betroffenheit aller, vor allem der Patientin, beschäftigte mich sehr. So befasste ich mich mit diesem Thema in meiner Diplomarbeit. Welchen Bezug hast du dazu? Demi: Ich bin in der gehörlosen Welt aufgewachsen. Meine Eltern sind beide gehörlos. Die Gebärdensprache ist meine Muttersprache. Ich erlebe sehr oft, wie wenig hörende Menschen über Gehörlose wissen in Bezug auf die Kommunikation und den Umgang mit ihnen. Rebekka: Was meinst du, was sind denn die grössten Schwierigkeiten? Demi: Eine erste Hürde im Umgang mit gehörlosen Menschen, tritt schon bei der Bezeichnung auf. Gewisse Gehörlose ziehen den Ausdruck «taub» dem Wort «gehörlos» vor. Sie begründen dies damit, dass im Wort Gehörlosigkeit ein Defizit im Vordergrund steht, das Nichthören-Können. Die betroffenen Personen erleben dies aber meistens nicht als Defizit, sondern als Merkmal ihrer soziokulturellen Zugehörigkeit.

Rebekka: Ich höre auch immer wieder die Bezeichnung «taubstumm». Demi: Dieser Begriff ist absolut unerwünscht! Er suggeriert eine Sprachlosigkeit, die es nicht gibt. Gehörlose Menschen kommunizieren in der Gebärdensprache, sie sind fähig zu sprechen. Ihre Stimme klingt für Hörende jedoch ungewohnt und teilweise befremdend, weil sie sich selbst nicht hören können. Im Wort «taubstumm» klingt das Wort «dumm» mit. Daher sollte diese Bezeichnung nie verwendet werden! Rebekka: Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass die Schweiz eines der wenigen Länder Europas ist, das die Gebärdensprache noch nicht als Landessprache anerkannt hat. Das ist ein grosses Problem. Solange die Gebärdensprache auf nationaler Ebene nicht anerkannt ist, wird sie von H ­ örenden nicht als vollwertige Sprache angesehen, s­ondern nur als Kommuni­­ka­t ionshilfe.

Demi: Genau. Es gibt auch keine internationale Gebärdensprache, das heisst, jedes Land hat seine eigene Sprache. Genau wie in der Lautsprache. Die ­weltweit am häufigsten genutzte Gebärdensprache dürfte die American Sign ­Language (ASL) sein. Rebekka: Das war mir lange nicht klar. In der Schweiz gibt es, wie in der Laut­ sprache auch, die deutschschweize­ rische, die italienische und die französische Gebär­densprache. Demi: Und dann kommen zusätzlich verschiedene Dialekte dazu, genau wie in der Lautsprache. Rebekka: Man schätzt, dass es in der Schweiz rund 10 000 gehörlose Menschen gibt. Neuere Zahlen werden zurzeit erfasst, man geht von deutlich mehr betroffenen Personen aus. Prozentual ist es keine grosse Bevölkerungsgruppe (1). Warum sollte man sich trotzdem mit dieser Gruppe auseinandersetzen?

Gebärdensprache Die Sprache der Gehörlosen ist die Gebärdensprache. Sie ist eng mit der Kultur der Gehörlosen verbunden. Die Gebärdensprache ist eine visuelle Sprache und beinhaltet eine vollständige und komplexe Grammatik. Sie hat sich in einer Sprachgemeinschaft entwickelt, die geprägt ist von kulturellen, gesellschaftlichen und historischen Gegebenheiten, genauso wie andere Sprachen. Die Gebärdensprache ermöglicht es gehörlosen und hörbehinderten Menschen, das auditive Sprachsystem besser zu verstehen und ‹ihre› Lautsprache einzusetzen. Infobox 1: Zusammenfassung zur Position «Gebärdensprache und kulturelle Teilhabe» Quelle: SGB – FSS Schweizerischer Gehörlosenbund, https://www.sgb-fss.ch/positionen/sprache-und-kultur


HELP 2  | 2023 Notfallpflege-Medizin Demi: Es ist wichtig, korrekt zu informieren, weil es viel Falsch- und Unwissen in der Bevölkerung gibt. Ausserdem sind Gehörlose bezüglich ihrer Gesundheit eine vulnerable Gruppe. Sie haben einen erschwerten Zugang zu medizinischer Versorgung und erleben häufig Probleme in der medizinischen Betreuung aufgrund der Kommunikationsschwierigkeiten (2). Die entsprechende Sensibilisierung von Gesundheitsfachleuten ist deshalb wichtig, um die Situation zu verbessern. Du weisst bestimmt, dass Gehörlose Lippenlesen können?

Während Gehörlose Informationen visuell aufnehmen, tun es Hörende dagegen auditiv und lesen bzw. schreiben parallel die Schriftsprache. Somit bleibt die gesprochene und geschriebene Sprache für Gehörlose eine Fremdsprache. Rebekka: Du hast Recht. Die Gebärdensprache wird nur gebärdend gesprochen, nicht geschrieben. Und nicht alle Gehörlosen (wie auch Hörende) beherrschen eine «Fremdsprache», das heisst, sie können auch nicht immer lesen. Wenige Gehörlose haben ein gutes Lese­

Was führ t zur Vulnerabilität von Gehörlosen? • geringe Gesundheitskompetenz aufgrund eingeschränkten Zugangs zu öffent­ lichen Gesundheitsinformationen wie z. B. Radio, Fernsehen, Gespräche mit Angehörigen • Kommunikationsprobleme durch die Grenzen des Lippenlesens, fehlende Anpassung der Kommunikation von Gesundheitsfachleuten, erschwerten Schrift­sprachzugang und Schwierigkeiten beim Verständnis der Lautsprache • geringer sozioökonomischer Status • fehlende Berücksichtigung der sprachlichen und kulturellen Aspekte der Gehörlosigkeit sowie fehlende Vertraulichkeit • Es ist nach wie vor so, dass Gesundheitsfachleute falsche Vorstellungen von den Bedürfnissen gehörloser Patient:innen haben. Infobox 2: Faktoren, die zur Vulnerabilität gehörloser Patient:innen beitragen Quelle: Chastonay et al., 2018

2004 gibt es ein Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen in der Schweiz, in dem verankert ist, dass alle Dienstleistungen, welche mit Steuergeldern finanziert werden, auch für Menschen mit einer Behinderung zugänglich sein müssen. Wird ein:e Gebärdendolmetscher:in in einem Spital gebraucht, so ist dieses verantwortlich, die dolmetschende Person zu organisieren und zu finanzieren (4). Rebekka: Ein:e Dolmetscher:in ist IMMER die einzig korrekte Variante! Es ist schade, dass diese nur selten kurzfristig verfügbar sind. Die Videovermittlung ist echt toll, diesen Dienst habe ich schon einige Male genutzt. Er steht leider nicht 24 Stunden zur Verfügung. Im Notfall könnte man auf Angehörige zurückgreifen, aber dies nur mit ausdrücklichem Einverständnis der Patient:innen. Falls es keine Möglichkeit für eine Verdolmetschung gibt, gibt es trotzdem hilfreiche Kommunikationshilfsmittel, die gut umsetzbar sind und die Kommunikation erleichtern können. Wenn du davon die drei wichtigsten Punkte nennen müsstest, welche wären das? Demi: Der Blickkontakt und eine deutliche Aussprache in Hochdeutsch spielen eine zentrale Rolle, damit das Lippenlesen leichter fällt. Am Schluss sollte immer erfragt werden, ob alles verstanden wurde, und die wichtigsten Punkte sollten zusammengefasst werden. Ich habe kürzlich dazu eine Pocketcard erstellt, mit allen wichtigen Informationen und Links zum Thema. Sie ist speziell für das Not-

Rebekka: Ja, das habe ich schon oft gehört. Auch im Schockraum bei der Situation mit der gehörlosen Patientin wurde dies behauptet. Nur ist den meisten nicht bewusst, wie schwierig das ist! Und in einer Notfallsituation funktioniert es noch weniger. Es ist erwiesen, dass nur etwa 30 % des Gesprochenen per Lippenlesen verstanden wird (3). Der Rest muss von Gehörlosen interpretiert und kombiniert werden. Wir wissen beide, dass dies zwangsläufig zu Missverständnissen führt. Ich war mir früher zum Beispiel überhaupt nicht bewusst, dass man mit der lippenlesenden Person Hochdeutsch sprechen muss.

verständnis, das ist vielen Hörenden nicht bekannt. Eben deshalb ist die Gebärdensprache so wichtig! Nun möchten wir den Fokus aber von den Problemen weg, hin zu möglichen Lösungen lenken. Wie können wir eine gute Betreuung im Notfallsetting gewährleisten. Hast du gute Tipps?

Demi: Auch ganz wichtig für Hörende ist zu wissen, dass Gehörlose ihre Umwelt mit den Augen wahrnehmen. Sie orientieren sich vor allem visuell. Die Lautsprache nehmen sie als eine Fremdsprache wahr, weil die Gebärdensprache eine andere Grammatik und Struktur hat. Deshalb fühlen sich viele Gehörlose in schriftlicher Kommunikation auch unsicher. Man kann sich vorstellen: Wenn man nicht hört, ist der Spracherwerb und das Erlernen der Schriftsprache erschwert.

Infobox 3: Der Dolmetschdienst und die Video-Vermittlung sind Dienstleistungen von Procom Quelle: https://www.procom-deaf.ch/Dolmetschdienst

Procom Procom ist der schweizweite Gebärdensprachdolmetschdienst. https://www.procom-deaf.ch Notfalldolmetschdienst bestellen: 0844 844 071 (24 h/7 Tage) Videovermittlung (App myMMX), via Videofunktion von Smartphone/Tablet/ Computer der gehörlosen Person. Verfügbar: Mo–Fr 8–21Uhr und Sa/So 10–17 Uhr

Demi: Wie du bereits betont hast, ist die Gebärdensprache sehr wichtig. Es braucht während der gesamten medizinischen Versorgung auf dem Notfall eine diplomierte gebärdensprachdolmetschende Person, die anwesend ist. Bei der Triage ist zu klären, ob ein:e Dolmetscher:in durch die gehörlose Person organisiert wurde oder ob wir dies tun dürfen. Seit

fallsetting gemacht. Dort sind unter anderem die wichtigsten Kommunikationshilfsmittel ersichtlich. Zudem enthält sie auch einen QR-Code mit einem Gebärdensprachvideo. Dies ist für die gehörlosen Patient:innen und geht auf alle Fragen des Secondary Survey ein. Für das hörende medizinische Fachpersonal ist das Video untertitelt. So gibt es

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Notfallpflege-Medizin

Kommunikationsregeln • mittels Handzeichen oder leichter Berührung auf sich aufmerksam machen • kurze, klare Sätze und deutliche Aussprache in Schriftsprache • normale Lautstärke (lautes Sprechen, extrem verlangsamte oder zu schnelle ­Aussprache führen zu undeutlichem Mundbild) • Mimik und Körpersprache einsetzen • ausdrucksstarkes Sprechen mit Mimik und Körpersprache • Stift und Papier bereithalten und zentrale Begriffe/Stichworte notieren • Blickkontakt halten, zugewandt und langsam sprechen • gute Lichtverhältnisse, Gesicht der/des Hörenden ist beleuchtet • direkte und vereinfachte Sprache verwenden • Fachwörter konsequent vermeiden • nur etwas auf einmal machen, Blickkontakt halten, und ansonsten warten, bis man weiterspricht Infobox 4: Regeln für die Kommunikation mit gehörlosen Patient:innen Quelle: Dirks (2015), BFSUG Beratung für Schwerhörige und Gehörlose (2018), Merkblatt Gebärdensprachund Schriftdolmetschen.

für alle in Frage kommt. Es ist so wichtig, situativ den Bedarf zu erfassen und bestmöglich zu versuchen, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Demi: Gleichfalls, dem schliesse ich mich voll und ganz an. Es würde mich freuen, wenn wir andere Notfallpflegende ermutigen können, etwas mehr in die Welt der Gehörlosen einzutauchen und offen zu sein, auch um Barrieren bestmöglich abzubauen. Und wer weiss, vielleicht hat die eine oder andere Person Lust, die Gebärdensprache zu lernen – das wäre schön! Literaturverzeichnis auf www.notfallpflege.ch/mitglied/help

eine Unterstützung, wenn kein:e Gebärdensprachdolmetscher:in verfügbar ist. Rebekka: Gerade beim Symptomassessment ist die Kommunikation so wichtig, um Missverständnisse zu vermeiden. Die Pocketcard hast du unter anderem im Austausch mit dem schweizerischen Gehörlosenbund erarbeitet. Ist diese für alle Spitäler und andere Interessierte zugänglich? Wo kann man diese bestellen? Demi: Ja, sie kann kostenlos bestellt und bezogen werden (siehe Infobox 5). Zusätzlich kann man mich kontaktieren, wenn Interesse für eine hausinterne Weiterbildung oder ein Workshop für das jeweilige Notfallteam zum Thema besteht. Das würde mich freuen! Rebekka: Du hast auf wichtige, wesentliche Punkte bei der Kommunikation mit Gehörlosen hingewiesen. Es war sehr spannend, mich mit dir auszutauschen. Abschliessend würde ich sagen, es ist wichtig, die Berührungsängste abzulegen. Jede:r gehörlose Patient:in ist anders und es gibt keine Vorgehensweise, die

Pocketcard Die Pocketcard gibt einen Überblick, welche Punkte in der Betreuung von gehörlosen Patient:innen zu beachten sind. Sie enthält Informationen zur Kommunikation, Hinweise zum Umgang mit gehörlosen Patient:innen, eine Notfallnummer von Gebärdensprachdolmetscher:innen, Hinweise zur Organisation und zu weiteren Hilfsmitteln sowie nützliche Informationen über die Gebärdensprache und die Gehörlosengemeinschaft. Zudem gibt es ein Video, das als Unterstützung im Secondary Survey verwendet werden kann. Kontakt für Bestellung oder weitere Anfragen: info@deaf-healthcare.ch Infobox 5

KONTAKT:

Rebekka Frank Dipl. Expertin Notfallpflege NDS HF Berufsbildung NDS Notfallzentrum Universitätsspital Basel rebekka.frank@usb.ch Demi Graf Dipl. Expertin Notfallpflege NDS HF Notfallstation, Spital Zollikerberg demi.graf@spitalzollikerberg.ch


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Hamilton Connect. Digitale Lösungen für die Transportbeatmung Beatmungsdaten - wo immer Sie sind Die Hamilton Connect App überträgt Daten nahezu in Echtzeit vom Beatmungsgerät auf Ihr Mobiltelefon, so dass Sie die Beatmungsdaten Ihres Patienten auch dann einsehen können, wenn Sie sich nicht in Reichweite des Beatmungsgeräts befinden. Beatmungsbericht inklusive Erstellen Sie Beatmungsberichte, die Sie als digitale Dateien weitergeben oder ausdrucken können und passen Sie den Bericht an Ihre Bedürfnisse an: Wählen Sie einen bestimmten Zeitrahmen und die gewünschten Parameter aus, zeigen Sie die Daten als numerische Tabelle oder als Trendgrafik, und fügen Sie sogar ein Deckblatt hinzu. Hamilton Connect ist für die Beatmungsgeräte HAMILTON-T1 und HAMILTON-C1 verfügbar.

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Wir rufen eine Rubrik ins Leben, in der wir Statements von euch ­Notfallpflegenden wiedergeben. In kurzer Form verrätst du uns, welche Person oder Situation dich, deine Arbeitsweise und deine Einstellung zum Beruf geprägt hat. Das kann ein Schlüsselerlebnis oder ein:e Mitarbeiter:in sein, ein:e Vorgesetzte:r, eine Lehrperson während des NDS, ein Referat an einem Fachkongress oder eine Begegnung mit einer Koryphäe der Notfallpflege. Uns interessiert, wer oder was dich und deine Arbeitsweise geprägt hat und warum. In dieser Ausgabe veröffentlichen wir die Statements, die bisher bei uns eingegangen sind. Vielen Dank fürs Mitmachen! Fachkompetenz und Wissen, ­Einfühlungsvermögen, Achtsamkeit und Menschlichkeit Vor über 20 Jahren durfte ich als PflegeSchülerin ein Praktikum auf dem Notfall in St.Gallen absolvieren. Schon da war mir klar: Das ist mein Job! 2 Jahre nach meinem Abschluss durfte ich 2004 auf der Notfallstation meine Stelle in der «Gruppe Maria» antreten. Maria, damals 55, mit vielen Jahren Erfahrung in Notfallpflege und dem NDS im Rucksack, imponierte mir mit ihrer Fachkompetenz, ihrer ruhigen, kollegialen Art und auch mit ihrer Mensch­lichkeit. Ich wurde von ihr gefördert und unterstützt durch die Begleitung in Lernsituationen, durfte von ihren Erfahrungen profitieren. Maria hat die Menschen angenommen, wie sie sind. Sie hat mir aufgezeigt, die «Patientenseite» zu betrachten und dadurch Bagatellvorstellungen besser annehmen zu können. (Wir alle wissen, wie es «stressen» kann, den seit sechs Wochen bestehenden Schulterschmerz bei überfülltem Notfall behandeln zu dürfen …) Maria hat mich bestärkt darin, auf das Bauchgefühl zu vertrauen – was schon manchem Patient einen besseren Verlauf

WAS

einspielte. Sie hat mir beigebracht, dass basale Stimulation nicht mit viel Text im Pflegebericht, sondern in kleinen «Aufmerksamkeiten» im Pflegealltag gelebt wird: sei es ein kühler, eventuell sogar aromatisierter Waschlappen auf der fiebrigen Stirn, eine bewusste basale Berührung beim Anlegen des EKG oder auch nur daran zu denken, den Patient:innen ein Glas Wasser anzubieten. Die Gerontologie war das Steckenpferd von Maria – das Alter wertschätzen, Kompetenzen der Senioren wahrnehmen, auf die kleinsten Hinweise auf ein Delir achten und vorausplanen. Sie hat mir aufgezeigt, dass in der Akutsituation die Segel gesetzt werden für das Outcome, gerade bei betagten Menschen. Auch war Maria ehrlich – ehrlich mit sich und uns. So wurde etwa thematisiert, wie schnell das Bier, das Glas Wein oder das «Beruhigungs-Schnäpsli» nach dem Spätdienst zum Alltag werden kann und auch Suchtpotenzial birgt. Die Wichtigkeit, als Pflegende über die Gefühle zu sprechen, unsere Grenzen zu kennen, ­Hilfe anzunehmen – Mensch zu bleiben. Ich möchte es auch schaffen, auf der Notfallstation mein Pensionsalter zu erreichen und dabei lernfähig, motivierend und menschlich zu bleiben – wie Maria.

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Berna Zollet, dipl. Expertin Notfallpflege NDS HF, Gruppenleitung Kantonsspital St.Gallen

Leidenschaft für Action und Abenteuer als Inspiration Es ist immer was los, einfach kein Stillstand. Die vielen unterschiedlichen Charaktere, Patient:innen, Probleme und Herausforderungen sind für mich wie ein

HAT DICH GEPRÄGT?

Lass uns daran teilhaben, wer oder was dich als Notfall­pflegende:n geprägt, inspiriert oder begleitet hat, und sende uns deinen Beitrag für die Ausgabe 1/2024 bis zum 14. Februar 2024 an:

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redaktion@notfallpflege.ch Wir freuen uns sehr, wenn du dich beteiligst

Kinder-Überraschungsei. Oberflächlich betrachtet präsentieren sich die Patient:innen mit immer wiederkehrenden vergleichbaren Symptome, doch deren Entwicklung kann enorm voneinander abweichen. Dankbarkeit, Freude und Trauer liegen so nah beieinander. Das macht diesen Beruf so spannend, ab­­ wechslungsreich und herausfordernd für mich. Doreen Grillon-Solik, dipl. Expertin Notfallpflege NDS HF, Berufsbildnerin HF/FH, Universitätsspital Basel, Notfallzentrum

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Berufsbildnerin diagnostiziert en passant eine Appendizitis Während meiner Ausbildung zur dipl. Pflegefachfrau hatte ich die Möglichkeit, mein zweites Praktikum auf einer pädiatrischen Notfallstation zu absolvieren. An einem Tag hatte ich einen begleiteten Praxistag mit meiner Berufsbildnerin. Wie immer haben wir uns zum Frühdienst im Stationszimmer getroffen und sind nach dem Rapport des Nachtdiensts zu den Büroräumen gelaufen. Als wir an der


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Notfallpflege-Medizin Triage vorbeigingen, kam gerade ein neuer Patient zur Türe herein, ein ungefähr 12- bis 14-jähriger Junge, begleitet von seiner Mutter. Er war etwas blass, hielt sich eine Seite und lief vorsichtig herein. In diesem Moment hörte ich meine Berufsbildnerin murmeln: «Dä hät sicher en Blinzgi» (Blinddarmentzündung). Unser Tag schritt voran, wir erledigten verschiedene Aufgaben und betreuten Patient:innen. Bei dem erwähnten Jungen wurde nach einer klinischen Untersuchung durch die Ärzteschaft und einer Sonographie die Diagnose «Appen­ dizitis» gestellt. Er wurde am frühen Nachmittag operiert. Mit ihrem Fachwissen, ihrer Erfahrung und Intuition hatte meine Berufsbildnerin in einem Zeitfenster von wenigen Sekunden so viele Informationen herausgezogen, erkannt und verknüpft, dass sie in der Lage war, diese Verdachtsdiagnose zu stellen. In diesem Moment war für mich klar: Das will ich auch können! Und so begann mein Weg zur dipl. Expertin Notfallpflege NDS HF …

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Katharina Hasler, dipl. Expertin Notfallpflege NDS HF, Spital Männedorf (davor im Kinderspital Zürich)

Auch auf sich selbst schauen Mich hat Patrizia in den letzten fünf Jahren sehr geprägt. Mit Fachwissen, Mut, Rat und Unterstützung bei der Arbeit auf dem Notfall. Paolo Martin hat mich gelernt, wie direkte, respektvolle Kommunikation funktioniert und dass man auch auf sich selbst schauen darf und muss, wenn man für andere schaut. Thomas Dreher hat mich mit Wissen gefüttert und meine Lust auf die fachliche Arbeit auf dem Notfall gefördert.

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Nicolas Fürer, Fachleiter Pflege, Universitätsspital Basel, Notfallzentrum

Eine einfache, aber wirkungsvolle Frage Als ich auf dem Sektor D gearbeitet habe, habe ich einen chronischen Patienten betreut, der sich über die einfache Frage «Wie geht es Ihnen?» so gefreut hat und abgeholt fühlte, dass mir klar wurde: Ich bin hier richtig!

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Claudia Lopez Zanardo, Berufsbildnerin FH/FH, Universitätsspital Basel, Notfallzentrum

Das Praktikum als Wegweiser

Wie eine Heimkehr

Durch meine Ausbildung auf dem Notfall habe ich wieder die Freude an der Pflege gefunden. Hätte ich mein letztes Praktikum nicht auf dem Notfall gemacht, wäre ich nicht in der Pflege geblieben.

Mich haben diverse Personen inspiriert! Zuallererst jedoch die Tatsache, dass es wie ein «nach Hause kommen» für mich war, als ich auf dem Notfall angefangen habe. Von Anfang an habe ich mich richtig am Platz gefühlt. In der Einarbeitung hat mich mein letztes Wochenende mit Berufsbildner NDS Carsten Engel inspiriert: Das wollte ich auch können und so professionell werden! Auf dem weiteren Weg haben mich Thomas Dreher mit seinem Fachwissen und seiner ruhigen Art inspiriert und auch Mike Rössler, der immer den Überblick hat und vieles gleichzeitig jongliert. Danke für die tägliche Inspiration, die das NFZ Basel für mich ist!

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anonym

Der Mensch im Zentrum Ich wurde von Christine Krick, unserer ehemaligen Berufsbildnerin NDS, eingearbeitet. Ganz klar, sie war und ist mir ein grosses Vorbild. Seit jeher legt sie grossen Wert auf eine personenzentrierte Behandlung von Patient:innen und einen personenzentrierten Umgang mit Mitarbeitenden. Es war ihr wichtig, die Bedürfnisse ihrer Patient:innen zu kennen, und hat sich immer zum Wohle aller eingesetzt. Schon in der Einarbeitung hat sie grosses Potenzial in mir erkannt und mich ermutigt, über meine Komfortzone hinauszugehen. Dies habe ich gemacht und bin ihr sehr dankbar.

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Thomas Dreher-Hummel, Pflegeexperte APN-CH, Universitätsspital Basel, Notfallzentrum

Patrizia Mundel, dipl. Expertin Notfallpflege NDS HF, Hauptverantwortliche Berufsbildnerin HF/FH, Universitätsspital Basel, Notfallzentrum

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EXPEDITION Notfallpflege-Medizin International

SPITZBERGEN:

LEBEN ÜBER DEM 78. BREITEN­GRAD NORD ODER AN DEN EIGENEN GRENZEN

Polarwind bläst, kann es schon mal in die minus 35 bis 40 Grad gehen, was dann nicht ganz ohne ist. Eisbären und die Nahrungskette

Stephan Schärli (rechts) mit seinem Begleiter

Als ich das erste Mal in die Arktis reisen durfte, wusste ich noch nicht, dass es nur in der Arktis Eisbären hat und die Pinguine in der Antarktis, also am Südpol, leben. Auf meiner ersten Reise durfte ich eine Gruppe begleiten, die Eisbohrungen machte. In Zelt und Schlafsack unterwegs zu sein, stellt eine Herausforderung dar, wenn es das erste Mal ist. Polaranzüge lassen nicht die gewohnte Beweglichkeit zu und man muss lernen, alles mit Handschuhen zu machen. Die Kälte ist sehr trocken und daher gut auszuhalten, wenn aber der

Die Faszination für die Landschaft entwickelt sich allmählich. Zuerst wird einem rasch bewusst, dass die Gegend einen umbringen kann, wenn man nicht sofort lernt, mit den Begebenheiten umzugehen. Mit Schrecken findet man zudem heraus, dass man nicht am Ende der Nahrungskette steht. Es gibt da weisse kuschelige Bären, die schon mal Jagd machen können auf Menschen, was aber eher selten passiert. Wenn man zudem lernt, wie man sich richtig verhält, kann man mit dieser Situation gut umgehen. Abgesehen davon ist die Leibspeise der Eisbären gutes Robbenfleisch. Dummerweise merken sie erst, dass wir keine Robben sind, wenn sie reinbeissen, was dann eher ein Problem ist.

Svalbard-Fieber Mir wurde nach dem ersten Staunen und Überwältigtsein von diesem Erdteil schnell bewusst, dass wir als Menschen so klein und niemals so wichtig sind im ganzen System, wie wir meinen. Dies lässt einen sehr demütig werden. Ich habe mich aber in die Arktis verliebt. Es ist so still, dass man seinen eigenen Puls spüren kann. Es gibt nachts einen Sternenhimmel, wie ich ihn nie zuvor ge­­ sehen habe. Der Himmel ist so klar, ohne jede Lichtverschmutzung, und die Gegend so unberührt, dass man glaubt, auf einem anderen Planeten zu sein. Wer die Nordlichter sieht, hat das Gefühl, der Himmel rauscht, aber das ist natürlich nicht so. Ich kann jedem und jeder empfehlen, diese Gegend zu besuchen, solange er oder sie es noch können. Man spricht vom Svalbard-Fieber, wenn man sich in die Arktis verliebt. Man liebt sie oder man hasst sie. Von der Entdeckung über Walfang und Bergbau bis zur Souveränität Die Legende besagt, dass schon die Wikinger Spitzbergen (norwegisch: Svalbard) entdeckt haben sollen, was aber nicht belegbar ist. Immerhin möglich ist eine Nutzung durch Jäger aus dem Norden Russlands, die Pomoren, schon vor der «offiziellen Entdeckung» durch den Holländer Willem Barents im Jahre 1596. Dessen Reise leitete die erste Phase des Walfangs in den Gewässern Spitzbergens ein. Als die Pomoren wieder verschwunden waren, setzten norwegische


HELP 2  | 2023 Notfallpflege-Medizin International

Geographie Spitzbergen ist ein norwegischer Archipel zwischen dem norwegischen Festland und dem Nordpol. Es ist eines der nördlichsten bewohnten Gebiete der Welt, das für sein felsiges, abgelegenes Gelände mit Gletschern und gefrorener Tundra bekannt ist. Im Winter sind die Nordlichter sichtbar, während im Sommer die Mitternachtssonne für 24 Sonnenstunden pro Tag sorgt.

Trapper die Jagd auf Eisbären, Füchse und andere arktische Tiere fort. Gleichzeitig entdeckten Wissenschaftler Spitzbergen als interessantes Forschungsziel. In ihrem Fahrwasser folgten Rekordjäger auf dem vermeintlichen Weg zum Nordpol sowie Bergbaugesellschaften, die es auf die Bodenschätze abgesehen hatten. Mit zunehmender Bedeutung des Bergbaus um die Jahrhundertwende wurde die Frage nach den Besitzverhältnissen auf einmal wichtig. Verschiedene Möglichkeiten wurden diskutiert, wie zum Beispiel eine gemeinsame Verwaltung durch die nächsten Nachbarn Norwegen, Schweden und Russland. Der erste Weltkrieg lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit weit ab von Spitzbergen. Bei den anschliessenden Friedenskonferenzen konnten die Norweger durch geschickte Diplomatie die anderen Staaten überzeugen, Svalbard unter ihre Oberhoheit zu stellen. Dies wurde formell im Spitzbergenvertrag geregelt, der 1920 in Versailles unterschrieben wurde und 1925 in Kraft trat. Die legendären Expeditionen in den 1920er Jahren von Roald Amundsen und Umberto Nobile, die beide in Ny Ålesund starteten, sind wichtige Ereignisse der Polargeschichte. Wie überall in der Welt war der Zweite Weltkrieg auch für die Arktis ein entscheidender Schnitt. Es kam zu mitunter dramatischen Ereignissen. Die Moderne ist geprägt von einem

Nebeneinander norwegischer und russischer Siedlungen, von Bergbau, Forschung, Tourismus und moderner Dienstleistung. Aber auch heute noch ist Platz für Abenteurer und Trapper.

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Notfallpflege-Medizin International stellt keine Verbindung zu einem der anderen Orte auf Spitzbergen her. Schneemobile und Boote sind daher die Hauptfortbewegungsmittel. Zum Flughafen Longyearbyen gibt es regelmässige Flugverbindungen ab Oslo und Tromsø mit der Fluggesellschaft SAS Scandinavian Airlines (und zeitweise auch von Norwegian Air Shuttle), die Flugzeit ab Oslo beträgt 3:05 Stunden, ab Tromsø ca. 80 Minuten.

Das Zentrum Longyearbyen ist mit rund 2500 Einwohner:innen der grösste Ort und das Verwaltungszentrum der Inselgruppe Spitzbergen sowie einer der nördlichsten Orte der Erde. Gegründet 1906 als Bergarbeiterstadt, lebt der Ort vor allem vom Tourismus und der Forschung. Unter anderem befindet sich dort ein Langzeitlager für Saatgut, das Svalbard Global Seed Vault.

ZUM AUTOR:

Longyearbyen verfügt über eine moderne Infrastruktur mit diversen Geschäften, Hotels, Restaurants, einer Schule, einem Schwimmbad, einem Kino, einer Tankstelle und einem Hafen. Das Strassennetz ist nur etwa 40 Kilometer lang und

Stephan Schärli ist Landwirt, Leiter einer interdisziplinären Notfallstation am Luzerner Kantonsspital in Wolhusen und Gastdozent für Notfallausbildungen. Daneben engagiert er sich als medizinischer Begleiter von Arktisexpeditionen, Autor von Kinderbüchern, Moderator von politischen Veranstaltungen und ist immer wieder auf Theaterbühnen anzutreffen – von Luzern bis New York.

I M PR E SSUM Herausgeberin NOTFALLPFLEGE SCHWEIZ

Insertionspreise www.notfallpflege.ch

Fachredaktion Thomas Dreher, Daniel Emmenegger, Elisabeth Hillan, Patrizia Mundel, Linda Polier

Auflage 1300

Redaktion redaktion@notfallpflege.ch Layout Christiane Pommerien wamag | Walker Management AG Bahnhofstrasse 7b, 6210 Sursee www.wamag.ch 041 926 07 70 Abonnemente / Inserateverwaltung NOTFALLPFLEGE SCHWEIZ Bahnhofstrasse 7b, 6210 Sursee 041 926 07 63 info@notfallpflege.ch

Druck Multicolor Print AG Sihlbruggstrasse 105a, 6341 Baar Erscheinung HELP 2/2023 November 2023 5. Jahrgang Copyright Die Rechte der Herausgeberin und der Autor:innen bleiben vorbehalten. Eine Weiter­verarbeitung, Wieder­­­veröf­fentlichung oder Vervielfältigung zu gewerb­lichen Zwecken ohne vor­herige Zu­stimmung der Autorenschaft oder der Herausgeberin ist nicht gestattet.

Genderneutrale Sprache NOTFALLPFLEGE SCHWEIZ setzt, wo sinnvoll und möglich, eine geschlechter­­ neutrale Formulierung ein. Zusätzlich zu den neutralen Formulierungen und den substantivierten Partizipien im Plural (z. B. Studierende) wird der Gender-Doppelpunkt angewendet. Bildnachweis: Wenn nicht anders vermerkt, sind die Bilder auf den nachfolgend aufgeführten Seiten von den genannten ­Bildagenturen: Titelbild: Adobe Stock/1xpert, ­Shutterstock/Lightspring Seite 6, 7: Shutterstock/Lightspring Seite 9: Shutterstock/Zaibis Seite 23: Adobe Stock/TheToonCompany


HELP 2  | 2023 Kolumne

KOLUMNE DER (ABSOLUTE) NOTFALL

Vor nicht ganz drei Wochen (wir sind im September, während ich dies schreibe) durfte ich einer HF-Studierenden bei uns auf dem Notfall zu ihrem Diplom gratulieren und auch zu ihrer neuen Stelle auf einem anderen Notfall in der Schweiz. Sie hat sich entschieden, in ihre alte Heimat zurückzukehren und dort auf dem Notfall anzufangen. Ich fragte sie, warum sie sich für die Arbeit auf einem Notfall entschieden hat, und Ihre Antwort hat mich erstaunt, gefreut und auch stolz gemacht: «Hätte ich mein letztes Praktikum nicht bei euch auf dem Notfall gemacht, hätte ich der Pflege nach dem Diplom den Rücken gekehrt.» Warum war sie in ihrer Ausbildung an einem Punkt, an dem sie sich die Arbeit in der Pflege nicht mehr vorstellen konnte? Wie haben wir Notfallpflegende und unsere Arbeitsweise sie so inspiriert und gut begleitet, dass sie ein Teil dieser Gemeinschaft der Notfallpflegenden werden möchte? Gibt es herausstechende Charakteristika in der Notfallpflege, die uns von anderen Disziplinen in der Pflege unterscheiden? Und noch viel drängender ist die Frage, was uns und die Notfallpflege an sich ausmacht und wo wir uns von anderen abgrenzen oder herausstechen? Gerade im Hinblick auf den Pflegenotstand und die grosse Zahl unbesetzter Stellen, die viele Notfallstationen im Moment haben, sollten wir uns mit diesen Fragen auseinandersetzen. Je mehr wir für uns erkennen, was uns so einzigartig macht, desto gezielter können wir vielleicht diese Eigenschaften dafür nutzen, neue Kolleg:innen zu suchen, die zu uns passen, oder auch unseren Arbeitsplatz so zu gestalten, dass er wieder attraktiv wird für unsere Kolleg:innen oder andere Notfallpflegende.

Hier mal mein Versuch der Eingrenzung: Wir sind Realisten, die manchmal emotional und manchmal pragmatisch den Alltag handhaben. Wir sind aber auch Optimisten, die mit viel positiver Energie so einige Hürden im Alltag überwinden und in vielem das Positive sehen können. Wir operieren hoch funktionell, sind technisch bewandert, aber auch empathisch, und können uns innerhalb weniger Minuten auf unsere Patient:innen einlassen, uns in sie einfühlen und ihnen die Sicherheit geben, die sie in dem Moment benötigen. Wir sind kreativ und ent­ scheidungsfreudig und haben uns durch breites Fachwissen und gute Aus- und Weiterbildung an den Punkt gebracht, ­ wo wir Entscheidungsträger sind und recht frei in der Gestaltung unserer täg­ lichen Arbeit am Patienten und an der Pa­tien­tin. Die letzten drei Jahre haben unter dem Brennglas gezeigt, wie belastbar, flexibel und stressresilient wir eigentlich sind, gerade unter Druck. Sie haben aber auch gezeigt, dass wir Wertschätzung und Anerkennung benötigen und diese auch einfordern dürfen und sollen. Applaus allein reicht nicht, dass wissen wir alle. Natürlich vereinen wir nicht all diese Eigenschaften in uns, aber wir ergänzen uns so grossartig, dass wir den Alltag gemeinsam gut meistern und es vermutlich diese Mischung ist, die jeden Notfall weltweit auszeichnet und zu etwas Besonderem macht.

Wir kennen die negativen Seiten unserer Arbeit auf dem Notfall alle zur Genüge, deshalb fehlen sie hier. Ich habe sie aber auch deshalb nicht aufgezählt, weil ich glaube, wir können nicht oft genug das Positive unserer Arbeit hervorheben und uns gegenseitig motivieren. Wir sind innovativ und leisten manchmal Unglaubliches. Selbst wenn wir nur einmal am Tag für eine:n Patient:in den Unterschied machen würden: Wir sind viele und das bedeutet viele Unterschiede! Ich glaube auch, wir machen uns zu wenig bewusst, was wir alles können und leisten. Wir brauchen hin und wieder den Input von aussen, der uns darauf aufmerksam macht. Ich habe keine Antworten geliefert, aber viele positive Aspekte unserer Arbeit aufgezeigt, und ich möchte mal sagen: WIR SIND TOLL! Unglaubliche Helden des Alltags, die jeden Tag ihr Bestes geben. Danke an dieser Stelle mal dafür. Ich hoffe, Sie dürfen in Ihrem Team (so wie ich) täglich diesen Unterschied machen und erleben. Patrizia Mundel

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Polytrauma

Spinaler und neurogener Schock

Overcrowding

Ertrinkungsunfälle

Moralischer Stress Ethik in der Triage

SpurenasservationTracheostoma Windenrettungen

Notfallpflege in

NOTFALLPFLEGE-

Extremsituationen

KONGRESS

FREITAG, 22. MÄRZ 2024

www.notfallpflege-kongress.ch MACH MIT bei der Posterausstellung!


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