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thE ARMEd MAn – A MASS FoR PEAcE

von K ARL JEnKinS im odEon am 12./13. September 2019 holger Finke

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„Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“

Liebe Schülerinnen und Schüler, verehrte Damen und Herren, unter den großen Denkern des 19. Jahrhunderts gab es einen, dessen große Leidenschaft die Musik war. Die Musik versetzte ihn in den Zustand wahren Seins, lichtumflossen, schwerelos, grenzenlos. In diesem Zustand wollte er sich und die ganze Menschheit sehen. Eine gewaltige Vision der Zukunft.

Rudolf Steiner, der Begründer der Waldorfpädagogik, sah diesen großen Denker ein einziges Mal. Das war im Jahre 1896, Steiner war damals 35 Jahre alt.

„Habe eben Nietzsche gesehen“, schrieb Steiner tiefbewegt unmittelbar nach der Begegnung nieder. Friedrich Nietzsche, 52 Jahre alt, befand sich damals lange schon in geistiger Entrückung. Die übliche Formulierung „geistige Umnachtung“ vermeide ich, da ich sie für unangemessen halte. Er war bettlägerig und wurde von seiner Mutter gepflegt.

Steiner, der Bewunderer Nietzsches, trat im Laufe seines weiteren Lebens auch als eminenter Kritiker dieses mächtigen Philosophen auf. Doch noch im Alter schrieb er in seiner Autobiographie über Nietzsche:

„Das Freischwebende, Schwerelose seiner Ideen riss mich hin.“

Viele riss Nietzsche hin: Rainer Maria Rilke, Heinrich und Thomas Mann, Hermann Hesse, Gottfried Benn, um nur einige zu nennen.

„Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“, ein Satz aus der Feder Friedrich Nietzsches.

Als Rudolf Steiner vor 100 Jahren auf Bitte Emil Molts die Waldorfpädagogik ins Leben rief, ging es beiden, wie zuvor Nietzsche, um eine bessere Zukunft. Eine bessere Zukunft – danach sehnten sich viele, denn der Erste Weltkrieg war gerade erst vorüber. Rasch verbreitete sich der neue Schultypus, die Zeit war reif und günstig. Auf Jahre der Blüte folgte der Nationalsozialismus, der diese neue Schule nicht ertrug, weil in ihr die Individualität und Freiheit des Menschen gefeiert wurden, nicht aber seine Konformität und Programmierbarkeit. Weil in ihr alle Menschen geachtet wurden, nicht nur die bestimmter Herkunft. Unter den Nationalsozialisten wurden die Waldorfschulen zugesperrt.

Doch seit Ende des Zweiten Weltkrieges entstehen rund um den Erdball Waldorfschulen, in bis heute wachsender Tendenz – eine Entwicklung, die zu Freude Anlass gibt und Mut macht.

Dieses Jahr, das Jubiläumsjahr, lädt ein zurückzublicken. Das ist gut so, denn unsere aktuelle Position im Strom der Zeit verstehen wir besser, wenn wir uns Vergangenes vergegenwärtigen.

Wichtiger jedoch als der Blick zurück ist der Blick nach vorne. Wer eine Schule betreibt, dem geht es um die Zukunft. Wer ermöglicht eine Waldorfschule? Die Antwort auf diese Frage finden wir, wenn wir die Population hier auf der Bühne näher betrachten. Wir finden dort Schülerinnen und Schüler, Eltern, Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, Lehrerinnen und Lehrer, knapp 300 Personen von jung bis alt, ein wunderbarer Mix der Generationen. Das ist der Kreis, der Waldorfpädagogik ermöglicht. Unser größter Schatz darunter aber sind die Jugendlichen, weil die Zukunft sich in ihnen verwirklichen wird.

Als Karl Jenkins A Mass For Peace komponierte, ging es ihm um die Zukunft. A Mass For Peace ist ein visionäres Werk. Jenkins vertraut dabei auf die Verwandlungskraft, ja Erlösungsmacht der Musik. In seinem Werk erzählt er in Tönen von der Polarität zwischen Krieg und Frieden, vielleicht dürfen wir allgemeiner auch sagen: von der Polarität zwischen Zerstörung und Gesundung. Jenkins wirbt dabei für die Seite des Friedens, der Gesundung.

Wir kennen die Zukunft nicht. Aber wir wissen, dass sie sensibel auf Kraftfelder reagiert und dementsprechend diese oder jene Form annimmt. Wenn 300 Menschen, hier auf der Bühne, musizieren und dabei ihr Bestes geben, schmieden sie ein Kraftfeld, das mitreißt und der Zukunft ein Flussbett legen kann. Wenn 300 Menschen, hier im Saal, intensiv lauschen und eintauchen, werden auch sie zu Schmieden an dem Kraftfeld, das beide, Musiker und Hörer, zusammenführt und steigert.

Das, wovon ich spreche, das Musizieren, das Lauschen, das Schmieden am Kraftfeld, ist eine Tat. Verehrte Anwesende, mit dieser Tat, die im Geistigen wurzelt, wollen wir die nächsten 100 Jahre Waldorfpädagogik heute beginnen. Wir haben die Säulen (zu beiden Seiten dieses einzigartigen Raumes) als stumme Zeugen. Wir haben eine hohe Decke, unter der für uns gespielt und gesungen wird.

Bleibt mir nur noch, Ihnen allen ein tief berührendes Musikerlebnis zu wünschen.

Ich bitte jetzt die Musikerinnen und Musiker unter der Leitung von Stefan Albrecht, den Ton zu ergreifen.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Holger Finke ist Lehrer an der Rudolf Steiner-Schule Wien-Mauer und Dozent am Zentrum für Kultur und Pädagogik in Wien

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