Waldegg Kalender 50/16

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essen, begehen also keine kriminelle Tat! Jedoch werden keine Insekten in der eidgenössischen Lebensmittelverordnung erwähnt, was Voraussetzung ist, dass sie als „gewöhnliche Nahrungsmittel“ verkauft werden könnten. Noch nicht. Bis Mitte 2016 soll die Verordnung ergänzt werden. Wahrscheinlich wird sie dann Heuschrecken, Grillen und Mehlwürmer enthalten. Schon jetzt arbeiten Uni-Labors wie auch Firmen, die sich bis anhin mit Futterinsekten befassten, an der Entwicklung von Insekten-Produkten mit verarbeiteten Insekten. Denn das Auge isst mit, und wenn die ganzen Gümper und Maden nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar sind, wird der Schweizer die neuen Nahrungsmittel wohl besser akzeptieren. Die Weltgesundheitsorganisation der UNO meint, dass die wachsende Weltbevölkerung nur satt werden kann, wenn auch Insekten als Nahrung dienen. Ihre Produktion ist effizient: Für ein Kilogramm Insektenkörpermasse sind zwei Kilogramm Futter nötig, bei Rindern beträgt das Verhältnis

eins zu acht. Die an Proteinen reichen Insekten werden, ebenfalls nach einem FAO-Bericht, in den meisten Kulturen nicht mangels Alternativen, sondern wegen ihres Geschmacks verzehrt. Urs Fanger, Geschäftsführer der auf Insekten spezialisierten Firma Entomos pflichtet dem bei. Ihm schmecken frittierte Heugümper

Bald auf den Speisezetteln: Caramelisierte Heugümper? www.entomos.ch

„gut, fast etwas butterig, vor allem wenn sie zuerst in Schokolade oder Caramel getaucht werden“. Dieses Rezept würden die Waldegg-Köche wohl auch meistern. Tun sie aber nicht. Noch nicht? Und wie steht es wohl mit dem Bruder von Chläus Dörig, dem Thomas in –8–

Mexico Stadt? Hat er die in seiner Wahlheimat beliebten Tacos de Chapulines (Heuschrecken-Tacos) schon versucht? Ist Functional Food schlau? Mit Zusatzstoffen angereicherte Lebensmittel, auf Neudeutsch Functional Food, versprechen Gesundheit, Fitness oder eine gute Verdauung. O-Säfte mit einer extra Portion Vitaminen, Joghis mit weiss-was-für-Bakterien, cholesterinsenkende Margarine. Solche Super-Lebensmittel waren hierzulande um die Jahrtausendwende der grosse Hit. Nun ist es wieder ruhig geworden um sie. Man findet sie kaum mehr in den Regalen der Grossverteiler, denn die Hersteller blieben den Konsumenten den Nachweis einer gesundheitsfördernden Wirkung schuldig. Diese haben gemerkt, dass der tägliche Genuss eines probiotischen Joghurts genauso wenig gesund macht wie das berühmte Glas Rotwein am Tag. Den schnellen Niedergang von Functional Food kommentierte „20 Minuten“ dann auch mit der Schlagzeile „Schweizer sind zu schlau für Functional Food“.

Molekulare Küche Anders verhält es sich mit der Molekularküche. „Sie lebt!“, sagt Rolf Caviezel, einer der führenden Köpfe auf diesem Gebiet (mehr über den Meister später). Auch die Molekulare Küche wirkt noch oft exotisch, doch wer sich näher mit ihr befasst, wird weit weniger Distanz zu ihr empfinden als zum ehemaligen Bläss-Ragout. Hier geht es darum, neben den alten Küchentechniken experimentell durch den Einsatz von solchen aus der Chemie, Physik und Lebensmittelindustrie Gerichte mit völlig neuen Eigenschaften zu kreieren. Beispiele sind etwa neue Texturen wie Schäume und Gelees aus Gemüse, heisses „Eis“, das beim Abkühlen im Mund schmilzt, Bonbons aus Olivenöl oder „Kaviar“ aus Melonen. Verschiedene Aromen werden überraschend kombiniert, Süsses und Salziges unkonventionell zusammengebracht, die Speisen nach ästhetischen Vorgaben präsentiert. Die Gerichte sollen alle fünf Sinne ansprechen und kommen so in die Nähe zeitgenössischer Kunst. Bei ihrer Zubereitung gelangen

verschiedene Geräte zum Einsatz, die hauptsächlich aus dem Laborbedarf stammen. Dazu zählen vor allem das kontrollierte Wasserbad, das ein Niedrigtemperaturgaren unter Vakuum („sous vide“) über lange Zeit ermöglicht, ein spezieller Siphon zur Herstellung von Schäumen, Räucherpfeiffen und der „Paco Jet“ zur Herstellung von Eis und allerlei Staub. Rolf Caviezel beschreibt das in Kurzform aus seiner Sicht: „Die Molekulare Küche ist für uns die Ausgangslage der modernen Küchenphilosophie. Wir machen uns die Techniken, die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Texturen und Geräte zunutze. Mit der Zeit bemerkten wir, dass wir neue Geschmackserlebnisse, Formen, Farben und Düfte entwickeln, natürlich immer im Austausch mit der Wissenschaft. Das Grenzenlose hielt Einzug in unserem Küchenalltag. Dadurch entstand unser eigener Kochstil, mit dem wir einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Schweizer Küche liefern. Es ist Zeit für einen Umbruch. Eine neue Epoche des Denkens, –9–

der Zubereitung der Speisen und neuer Geräte hält Einzug.“ Es ist nicht einfach, die faszinierende neue Welt der Molekularküche auf dem hier zur Verfügung stehenden Raum zu erklären, deshalb, und wenn wir vom Erlebnis Waldegg schon Kontakt mit einem der führenden Molekularköche haben, sei’s legitim, dessen Erklärung abzudrucken. Zu Besuch bei Rolf Caviezel, St. Galler und Fast-Teufner Klein aber fein, Markplatz 22, Grenchen, 30 Sitzplätze, modern eingerichtet, hell und freundlich: „Station 1“. Das spezielle Restaurant von Célia und Rolf Caviezel. Speziell sind schon die Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag 11:00 bis 14:00. Punkt. Dann ist es aber meistens proppevoll, alle haben reserviert. Täglich hat‘s zwei Menüs, eines mit Fleisch, eines vegetarisch. Am Mittwoch statt vegetarisch vegan. Inbegriffen im Menü ist ein reichhaltiges, unkonventionelles Salatbuffet und eine leckere Suppe. Die Gäste wissen, es ist „guet, gnueg und gsund“.


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