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«Hier ist es manchmal fast wie in Italien»

Wenn einmal im Jahr im Schrebergarten von Stefano 200 Kilogramm Tomaten zu Sugo verarbeitet werden, geht es nicht nur um den Vorrat. Es geht auch um Freundschaft, um Heimweh und um Sehnsucht.

Text: Stephanie Elmer Fotos: Gabi Vogt

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Ein Samstag im Spätsommer, der Morgen ist noch dunkel. Regen ist durch die Nacht gezogen, letzte Nebelschwaden erzählen davon. Es ist kurz vor sechs, als das Licht im Garten von Stefano am Rand der Stadt Luzern angeht. Heute ist ein wichtiger Tag im Gartenjahr, vielleicht der wichtigste.

An diesem Samstag kommt nicht nur Stefano früh in den Garten, sondern auch seine Frau, Ursula. Sie ist sonst eher selten hier. Auch Domenico und Anna kommen. Und Luigi und Rosa. Bruno ist ebenfalls mit dabei und Mario, dessen Sohn. Stefano scherzt: «Je früher wir beginnen, desto mehr Zeit haben wir fürs Essen und Trinken.» Heute wird Sugo gemacht. Für die Familie. Für die Familien der Kinder. Für die Freunde. Für das ganze Jahr.

Jeder hat seine Rezeptur

Eine Woche zuvor haben schon Domenico und Anna Sugo gemacht. Auch da sind alle gekommen, um zu helfen. Jeder hat seine eigene Rezeptur und seine eigenen Hilfsmittel. Manchmal werden ein paar Blätter Basilikum beigegeben. Anna und Domenico haben eine neue Presse, eine elektronische, die sie aus Sizilien mitgebracht haben. Stefano dreht die Maschine von Hand, um die Tomaten zu pressen. Auch er hat sein Gerät in Italien gekauft, zusammen mit Bruno, seinem Freund und Gartennachbarn.

Auf dem Feuer, das in einer rostigen Tonne brennt, kochen die Tomaten im grossen, schweren Topf. Luigi schaut, dass das Feuer nicht erlischt. Rund 200 Kilogramm Tomaten werden eingekocht; vom Garten stammt nur ein kleiner Teil, der Rest wird beim Gemüsehändler dazugekauft. Schliesslich muss es genug Sugo geben. Für die Familie, die Familien der Kinder, für die Freunde – und das ein ganzes Jahr lang.

Das Feuer wärmt, während der Tag sich gemächlich sein Licht holt. Luigi rührt mit der

Gesprochen wird nicht viel, nur das Nötigste. Manchmal Italienisch, manchmal Deutsch.

grossen Holzkelle im Tomatensud. Die anderen Heinzelmännchen schneiden die Tomaten in jeweils vier Teile. Sie bringen Flaschen und Deckel, extra mitgebracht aus Italien. Stefano holt den Karton mit der Tomatenpresse und beginnt sie zusammenzusetzen. Mario hat frische Gipfeli dabei und legt sie auf den kleinen Tisch. Und für einen kurzen Moment verwebt sich der Tomatenduft mit dem Kaffeegeruch aus der Mokkamaschine.

Eingespieltes Team

Dann geht die Arbeit weiter. Die Tomatensauce sprudelt, Holz wird nachgelegt und der Sud mit einem grossen Sieb in einen neuen Kessel geschöpft; der Sugo soll nicht wässrig werden. Mit jeder Drehung läuft mehr Saft in den Kessel. Gesprochen wird nicht viel, nur das Nötigste. Manchmal Italienisch, manchmal Deutsch. Dann und wann wird gelacht.

Das Team, das an diesem Samstagmorgen zusammenkommt, ist eingespielt; jeder weiss, was zu tun ist. Ist der letzte Kessel gekocht, wird der Sugo abgefüllt und Rosa verschliesst die Flaschen. Was einfach und alltäglich aussieht, ist für die Hände grosse Arbeit. Weil es so viele Flaschen sind. Und weil es wichtig ist, dass diese richtig verschlossen sind. Die Holzkisten mit den Tomatenflaschen füllen sich. Luigi wird nachsichtiger mit dem Holzfeuer. Die letzten Kessel leeren sich.

Die Sonne macht wieder den Regenwolken Platz. Gartenleute kommen und gehen. Mario, ein weiterer Freund von Stefano, bleibt. In der Küche des Gartenhauses, das Stefano selber gebaut hat, öffnet er Sugo vom letzten Jahr. Er rüstet behutsam Pilze, die er im Wald gesammelt hat; fast verschwinden sie in seinen grossen Händen. Im Hintergrund läuft das Radio, so leise, dass die Musik verschluckt wird von italienischen und deutschen

Gesprächsfetzen, die sich ins Häuschen verirren. Während das Feuer unter dem Sugo­Topf langsam in Glut übergeht, legt Mario Holz in den kleinen Baustellen­Ofen, der draussen steht, unter der Laube aus Trauben und Schoscho. «Schoscho», nennen sie die Chayote, die aussieht wie eine Zucchetti in Avocadoform. Rosa hatte eine solche einst von einem Bekannten erhalten, und mit den Samen hat sie neue Pflanzen aufgezogen und sie an alle verschenkt, auch an Stefano, der nun selber jeden Herbst zwei Stück der Ernte in den Kühlschrank legt, um im nächsten Frühling wieder neue Pflanzen zu ziehen.

Pasta, Wein und Käse

Der Baustellen ­ Ofen ist klein, der Topf darauf gross. So gross, dass darin Spaghetti für alle gekocht werden können. Das Wasser sprudelt und Mario wechselt zwischen der Tomatensauce im Gartenhaus und dem Spaghettiwasser draussen hin und her. Im Gartenhaus ist es warm, auch wenn der Regen seine feuchten Krallen durch alle Ritzen streckt. Auf dem Tisch stehen dampfende Pasta und Wein in etikettenloser Flasche. Stefano hat ihn von seinem Bruder aus Salerno mitgebracht. Der Bruder ist Gemüse­ und Früchte bauer. Auch die Pfirsiche sind von ihm, zuckersüss und gross. Stefano legt dazu Käse und Wurst auf den Tisch, die er vom letzten Besuch mitgebracht hat. Und Biscottini. Anna holt ein Glas mit selber in Öl eingelegten Peperoni und dann die Meeresfrüchte aus Kalabrien. Wenn sie mit dem Bus nach Italien reist, nimmt sie die grossen Koffer mit. In einem hat es einen kleinen Kühlschrank aus gefrorenen Elementen. Anna lacht und demonstriert, wie sie die übervollen Koffer schliessen kann. Zwei Gepäckstücke sind auf der Reise im Autobus erlaubt. Alle lachen vielsagend.

«Wenn man in den Garten kommt, ist es manchmal, wie wenn man zu Hause in Italien wäre», hat Stefano ein paar Tage zuvor gesagt und vom Heimweh erzählt, das er hatte, als er als 18 ­Jähriger in

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Das Pflegebett für daheim

Zum Kaufen oder Mieten die Schweiz kam, um auf dem Bau zu arbeiten und die Familie zu Hause zu unterstützen. Gekannt hatte er hier niemanden ausser einem Onkel. Die Sprache klang fremd und kalt und überall lag Schnee. Eigentlich wollte er so schnell wie möglich wieder nach Hause, aber dann lernte er seine Frau kennen und gründete eine Familie. Das war vor über dreissig Jahren.

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Aus dem Heimweh wurde Sehnsucht. Vor über zwanzig Jahren übernahm er den Schrebergarten, und seither verbringt er darin jede freie Minute, seit er pensioniert ist sowieso. Oft spielt er im Gartenhaus mit den andern Italienern «Cinque», den italienischen Jass sozusagen. Und manchmal macht er ein Feuer, um Gemüse einzumachen, Peperoni etwa. Dann erzählt er von den Feldern seines Vaters, auf denen er geholfen hat. Von dem Gemüse, den Nüssen, den Oliven, die dort gewachsen sind. Und er erzählt von der Mutter, die Brot und Käse selber gemacht hat.

Ausgelassene Stimmung

Die Regenwolke leert sich erneut, die Luft riecht nach Erde. Die Stimmung in der Hütte ist ausgelassen, man plaudert, lacht, erzählt Anekdoten, schwelgt in Erinnerungen. Ein Arbeitsschritt für den Sugo fehlt noch, und irgendwann steht Stefano auf, um zwei grosse grüne Fässer zu holen. Er stellt sie auf die Tonne mit dem Holzfeuer und füllt sie mit Wasser. Die Flaschen werden behutsam hineingelegt, geschützt mit Tüchern, damit das Glas nicht kaputtgeht, wenn es im siedenden Wasser zu tanzen und springen beginnt. Schliesslich kommt eine Kartoffel rein. Wenn diese weich ist, weiss man, dass kein Holz mehr nachgelegt werden muss und das Feuer erlöschen kann. Dann lässt man den Sugo noch 24 Stunden in der Hitze, die sich nach und nach in Wärme wandelt.

Am nächsten Tag wird Stefano in den Garten kommen. Er nimmt die Flaschen aus dem Wasser und trocknet sie sorgfältig ab. Sie sind bereit, verteilt zu werden.

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Geschichten aus dem Schrebergarten

Die Autorin Stephanie Elmer und die Fotografin Gabi Vogt sind während fast vier Jahren in den Mikrokosmos Schrebergarten eingetaucht. Sie haben vierzehn Gärtnerinnen und Gärtner besucht und sie in Text und Bild porträtiert. Entstanden ist ein Mosaik aus unterschiedlichsten Geschichten. Sie erzählen von Freundschaften, von früher und heute, von Fernweh und Heimweh. Das bildreiche, schön gestaltete Buch zeigt, dass die kleinen grünen Paradiese ein Kulturgut mit ökologischer und sozialer Bedeutung sind.

Stephanie Elmer, Gabi Vogt: Flachs Sugo Tandem – Geschichten aus dem Schrebergarten, edition clandestin. Infos zum Buch und Bestellungen: flachs-sugo-tandem.ch

Stefano (vorne) verbringt jede freie Minute im Garten, besonders gerne im Kreis seiner Freunde.

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