LEBENSLUST
Als die Niere abhandenkam Von B wie Birchermüesli bis Z wie «Züri-Gschnätzlets»: Es gibt sehr wohl typisch Zürcherisches auf dem Teller. Und es schmeckt erst noch gut. Text: Heiner Oberer
Darf sich ein Baselbieter über die kulinarischen Köstlichkeiten der Zürcher auslassen? Ja, darf er. Muss er sogar. Gilt es doch dem Zürcher Geschnetzelten, oder wie der Einheimische sagt «Züri- Gschnätzlets», die Ehre zu erweisen. Es ist ein Gericht, das an Zwingli erinnert. Wie er sich einst an seinem Geschnetzelten erfreute, um anschliessend nach der fleischlichen Verlustierung gegen das Fasten der Katholiken aufzubegehren. Einige Geheimnisse und Ungereimtheiten Schenkt man allerdings den Historikern Glauben, ist das Gericht gar nicht so alt. Taucht doch das «Geschnetzelte nach Zürcher Art» erstmals in der «Goldenen Kochfibel» einer gewissen Rosa Graf im Jahre 1947 auf. Es wird beschrieben als Gericht aus Kalbfleisch, Weisswein, Rahm und Fleischsauce. Was dem bekannten «Züri-Gschnätzlets» schon sehr nahekommt. 32
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Weshalb gerade die Rahmsauce das Gericht zürcherisch macht, ist ein weiteres Geheimnis. Denn: Kalbsgeschnetzeltes ohne Sauce wurde schon lange vorher aufgetragen. So hat die verstorbene Kochbuchautorin Alice Vollenweider (1927–2011) alte Rezepte aus dem 19. Jahrhundert entdeckt. Das nicht etwa in alten Zürcher Kochbüchern, sondern in Kochbüchern aus Österreich. Erst später wurde das Geschnetzelte mit gehackten Zwiebeln, Champignons und fein geschnittenen Kalbsnieren aufgepeppt. Womit wir bei den Nieren wären: Es ist nicht restlos geklärt, wie die Innereien den Weg ins Geschnetzelte fanden. Denkbar wäre, dass ein findiger Metzger statt des teuren Kalbfleisches die damals günstigeren Nieren untermischte. Bloss ist die Niere im Laufe der Zeit klammheimlich in Un gnade gefallen. Nur noch ganz hartgesottene
Bilder: zVg
Zürcherischer gehts gar nicht: «Züri- Geschnetzeltes».