05.05.22
Vinschgerwind 9-22
/MENSCHEN/ 17
âDi Dorfbuabm hobm nit sou guat tonzn kenntâŚâ Wenn Maria auf ihre Jugendzeit auf dem WallnĂśfhof am Lichtenberger Berg zurĂźckblickt und sich an die Erzählungen ihrer Eltern erinnert, wird eine Familiengeschichte lebendig, die von Schicksalsschlägen geprägt war, aber auch von Lebensfreude und Bereitschaft neuen Lebenslinien zu folgen. von Magdalena Dietl Sapelza
Foto: Magdalena Dietl Sapelza
D
en WallnĂśfhof hatte Marias GroĂvater mit dem Geld gekauft, das er auf einer HĂźhnerfarm in Amerika verdient hatte. Er wurde Vater von fĂźnf Kindern, von denen nur die zwei Mädchen Josefa und Johanna Ăźberlebten. Deren drei Geschwister waren kurz hintereinander an Typhus gestorben. Josefa, Marias Mutter, Ăźbernahm den Hof. Johanna, ihre spätere Patin, wurde mit einem Jungbauern in Taufers verkuppelt, nachdem sie vermutlich wegen der Todesfälle in ihrer Familie von ihrem Freund verlassen worden war. âFa dr Konzl in dr Kirch oi hot si drfrog, dass ihr Bräutigam a ondere heiratetâ, betont Maria. Ihre âToutaâ habe in Taufers zwar eine gute Partie gemacht, sei aber nie glĂźcklich gewesen und habe an Heimweh gelitten. Johannas Mann, der ebenfalls von einem Hof am Lichtenberger Berg stammt, war als âlediger Bubâ von einem kinderlosen Tauferer Ehepaar adoptiert worden, als Erbe fĂźr ihren groĂen Hof. Doch auch Johanna brachte eine stattliche Aussteuer mit. âZwĂślf Kiah hot di Muatr ihr auszohln gmiaĂt, teils in Naturalien unt teils in Geltâ, sagt Maria. âDeis hobm si so ausgmocht, obr si hobm olm guat gschoffnâ, bekräftigt Maria. Sie war die JĂźngste von Josefas fĂźnf Kindern auf dem WallnĂśfhof. Wie ihre Mutter war auch sie mit dem schmerzvollen Verlust zweier Geschwister konfrontiert. Kassian starb im Alter von 10 Jahren im Meraner Krankenhaus an einem Blinddarmdurchbruch und Georg, der den Hof hätte Ăźbernehmen sollen, ertrank im letzten Kriegsjahr 1945 als Soldat im Fluss Gurk in Kärnten. Beide BrĂźder konnten nicht in Lichtenberg begraben werden. âDi Ăberfiahrung fan Kassian hat 12 Kiah koschtet, unt dr Georg liegt in Kärntn begrobmâ, sagt Maria. Den Hof Ăźbernahm daraufhin ihr jĂźngerer Bruder Hubert, der eigentlich hätte Priester werden sollen. Maria und ihre ältere Schwester Hanna halfen ihm tatkräftig. Nach schwerer Arbeit an den steilen Hängen folgten oft frĂśhliche Stunden. Dazu zählen die Tanzabende, die abwechslungsweise auf den HĂśfen organisiert wurden. Gar einige Berger Burschen beherrschten das Ziehharmonikaspielen. âI hon olm gmiaĂt di Mad-
Maria Lechner Pinggera, geb. 1934, Lichtenberg. Die Kirchenbesuche sind ihr seit jeher sehr wichtig: âEs isch heint nou koa Sunnta ohne Kirchn, deis isch sou in oam drin.â len zommtrummlan, unt die Buabm hobm si nor hoambrochtâ, schmunzelt Maria. Als unbeschwert erlebte sie auch die FuĂmärsche mit KĂśrben voller Eier zur âToutaâ nach Taufers, oft begleitet von der Mutter und den Geschwistern Hanna und Hubert. Diese verkaufte die Eier in MĂźstair. Mit Schmuggelware wie Saccharin und Zucker in den dafĂźr präparierten Rockfalten kehrte sie wieder Ăźber die Grenze zurĂźck. âMiar hobm norr oft a eppas mit hoam gnummenâ, erinnert sich Maria. Sie besuchte die Bergschule und die BĂźrgerschule in Prad. Noch gut erinnert sie sich an Schillers Lied von der Glocke. âDeis konn i heint nou auswendigâ verrät sie. Maria wollte Schneiderin werden, doch sie wurde daheim gebraucht. Einen Winter lang durfte sie bei den Klosterfrauen in Taufers nähen lernen. Dort wohnte sie bei ihrer Tante, wo sie sich wohl fĂźhlte. Noch heute
schwärmt sie von deren besonders guten âBrenntsuppâ. Eine Nachbarin dort schenkte ihr einmal eine Halskette mit glitzernden Steinen, die sie in ihrer Handtasche hĂźtete. âI hon miar di Kett nit traut ounzlegn, weil si miar zu schean gwesn ischâ, verrät sie. Dann wurde ihr die Kette gestohlen, und sie war todunglĂźcklich. âGscheidr hat i si oungleggâ, ärgert sie sich. Ihre erste Saisonstelle trat Maria in Samedan an. Sie litt fĂźrchterlich an Heimweh. Jede Nacht schaute sie auf den Stern, den sie Ăźber dem Lichtenberger Berg vermutete und träumte sich weinend dorthin. Im Gasthof FranzenshĂśhe und auf der HintergrathĂźtte hatte sie ihr Heimweh dann im Griff. Doch sie freute sich jedes Mal darauf, wieder heimzukommen. Den Lohn Ăźbergab sie den Eltern. Ihren Mann Alois Pinggera, den âWirtn Luisâ (Jg. 1922) lernte sie in seinem Heimat-Gasthof in Lichtenberg kennen, wo auch oft getanzt wurde. âDi Dorfbuabm hobm obr nit sou guat tonzn kennt, wia di Bergerâ, lacht sie. Luis fuhr oft mit der Seilbahn zu ihr auf den Berg und warb um sie. 1956 heiratete sie ihn und zog mit ihm in sein neues Haus. âMiar hobm selm a lars Haus koppâ, erklärt sie. Er kĂźmmerte sich um die Viehwirtschaft des Gastbetriebes. âDenn dr Luis isch Baur mit Leib unt Seele gwesnâ, unterstreicht sie. Maria unterstĂźtzte ihn. Nach und nach richteten sie das Haus ein, das schon bald die Kinder Elfriede, Ulrike, Mathilde und HansjĂśrg mit Leben fĂźllten. Und sie bauten ihren eigenen Stall und Stadel. Ihr Leben war geprägt von Arbeit und Sparsamkeit. Nachdem ihr Sohn HansjĂśrg in ihre FuĂstapfen getreten war, konnten es Maria und Luis ruhiger angehen lassen und sich mehr Zeit miteinander gĂśnnen, doch Luis starb 2007 an einer LungenentzĂźndung. Maria hatte nie das BedĂźrfnis Urlaub zu machen. Nur anlässlich des 80. Geburtstags ihres Bruders Hubert trat sie 2010 eine Reise nach Hamburg an, wo ihre Tochter Ulrike lebt. âSelm hon i sâMeer gsechn, obr i hon fa dein Wossr a Wildeâ, meint sie. Mit Hubert und mit ihrer älteren Schwester Hanna pflegte Maria stets ein inniges Verhältnis. Dass nun beide nicht mehr da sind, stimmt sie traurig. Denn sie hatte es geliebt, mit ihnen Erinnerungen an ihre gemeinsame Jugendzeit auf dem WallnĂśfhof auszutauschen.