Viertelvor Ausgabe 1

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VIERTEL VOR

das heft zum fest

#1 08/03 kostenlos

Nauwieserfest-Programm im Innenteil



Erklärst du uns, o Cäsar, was das sein soll?

Wir schreiben das Jahr 2003 n.Chr. Kurz vor Essenszeit...

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was das sein soll? a, ein Viertel voll mit schüchternen Barbaren, streitbaren Fischhändlern, zweifelhaften Barden, Häuptlingen, Häuptlingsfrauen, argwöhnischen alten Kriegern, Druiden... Helden und Heldinnen, die gerne streiten, sich (zu Recht) gerne und oft selbst feiern, nicht aufhören, dem Eindringling Widerstand zu leisten und nur Angst haben, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könnte.

N

Grund genug, diesem fidelen Völkchen des sogenannten Chinesenviertels (warum das so heißt, wird am Schluss geklärt) genauer auf die Finger zu schauen, insbesondere ihrer fidelen Art, die jährliche Straßenorgie „Nauwieserviertelfest“ zu zelebrieren. Also, hier kommt sie, die erste und längst fällige Ausgabe von „VIERTEL VOR“. Gedacht als Sammelsurium an skurrilen, lustigen, ernsten, oberflächlichen, genauen, ästhetischen oder äußerst unästhetischen Betrachtungen über ein angenehmes Stadtviertel, dass sich durch Eigendynamik auszeichnet und deshalb ein solches Magazin verdient hat. viel Spassss! schillingundfreunde


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inhalt nauwieser

showfenster

meine hobbies sind malen, lesen & schreiben

von > Ralf Leis

von > Ralf Leis

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geld ist wichtig v.s.e. – gründung der vereinigten saarländischen emirate steht bevor. eine übersicht von > Mazze Gaspers und Martin Huppert

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inzucht? überblick der saarbrücker rockstars

des

von > Peter Theobald

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saarländers liebste

freizeitbeschäftigung

von > Peter Theobald

unser viertel muss gefährlicher werden

nauwieserfest –versuch

von > Miriam Rech

einer typologie

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von > flix

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programm nauwieserfest 6 aus 1/4

von > André Mailänder

rotz heimweh

v o n > V é r o n i q u e Ve r d e t

gesammeltes

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oh leck! aber echt;

da schreisse... impressum

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von > Daniela Pass

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nauwieser viertel oder auch

chinesenviertel der exotischen kosung auf den grund gegangen v o n > F r a n k S c h i l l i n g

nachschlag

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nauwieser von > Ralf Leis

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showfenster 7

Was würde Lothar Matthäus dazu sagen? Als gelernter Raumausstatter, also quasi Fachmann? Lebemann? Weltmann? Zu den Fenstern im Viertel? Den Hut würde er ziehen. Jawoll. Hier paart sich nämlich Originalität mit unaufgeregter Lässigkeit. Mutige Gestaltung mit hingebungsvoller Liebe zum Detail. Was schon lange ansteht, soll an dieser Stelle nun endlich mal gewürdigt werden. Fanfare für eine kleine, leider unvollständige Auswahl! Links: ♠ Love und Cola. (Wobei die richtigen Schaufenster um die Ecke noch besser sind, da wurde aber vehement untersagt, zu knipsen. Schade.) Oben: ♠ Setzt bei mir eine riesige Assoziationskette in Gang...Gebückte Greise, die vor sich hinmurmelnd mit Hammer und Meisel an irgendwas sehr Großem arbeiten... ♠ Stimmige Kombination von Schmerz und Erlösung. ♠ Hansed Haarstudio. Der Klassiker. Wir alle kennen und lieben es.


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Oben: ♠ Gemeimnisvoll aber adrett. Rechts: ♠ Die Parkpilsbauernstubenschenke. Ein Hauch von Las Vegas und die Kacheln sind wirklich klasse. ♠ Ein heimlicher Favorit von mir. Die Bäckerei Schauss, die eigentlich Bäckerei Brach heißt. Das nenn ich unprätentiöse Kommunikation. ♠ Bar Mignon. Nicht mehr so gut in Schuss, aber der Informationsfluss stimmt.


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von > Ralf Leis

meine hobbies sind malen, lesen & schreiben Die Menschen gestalten offensichtlich gern. Mitteilungsdrang in der Öffentlichkeit ist nicht jedermanns Plaisier. Manchmal aber schon. Teilweise lustig, oft bescheuert, manchmal künstlerisch wertvoll oder einfach nur kryptisch („zuviel fick“?? wer? insgesamt? der Künstler? allgemeine Überbewertung der Sexualität? Interpretationen bleiben subjektiv...). 11


CDS / PRESSFRISCHE SCHALLPLATTEN / GROSSE AUSWAHL AN SECOND HAND-ARTIKELN / VIDEOS / DVDS / ZAHLREICHES MERCHANDISING (T-SHIRTS, PULLIS, AUFNAHER, POSTERS, AUFKLEBER, TONTRAGER-ZUBEHOR ETC.) / MAGAZINE / ZEITSCHRIFTEN / FANZINES / KONZERTKARTEN

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von > Mazze Gaspers und Martin Huppert Illustration > Ralf Leis

geld

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ist wichtig e arländischen emirat sa n te ig in re ve r de v.s.e. – gründung ersicht. steht bevor. eine üb

r 2010: Reich und arnser Saarland im Jah rländer in einer sebeitsarm lebt der Saa Umgeben von atemgensreichen Umwelt. iellen tionen, frei von finanz beraubenden Attrak uind der t sei ne sei h sic Nöten verwirklicht er e. um unterdrückten Trä striellen Revolution nst, Kultur, KontemKu : K’s Die vier großen rde das erreicht? plation, Kohle. Wie wu

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Blicken wir zu3: rück in das Jahr 200 liegt t hei den rie zuf Große Un ungsffn Ho d. Lan dem über ut und Arm , losigkeit, Stillstand eit beArb ge hti flic versicherungsp . Ministerpräsistimmen den Alltag ffee von Baldenten a.D. reichen Ka rnalisten Jou konen an durstige in weibis en rei sch herab. Kinder Fußr De n. ule Sch Die Lösung: de terführen ef Degeneie ohn d un sig las Wie sagte Franz-Jos ttk dri ist ball ddelkinmu Es Sch . aft den sch t mi gene Nationalmann hardt? „Spiel nicht bet por Im r De n ein: in . hen Karossen r luden sie zum Spiele gibt keine saarländisc in dern“. Falsch! Wi ert nd wa Bars, te goEli Bin Die ftsleben. Lusthöllen und in stimmt das Wirtscha ub- Spielcasinos, in rep des ndiun rlä „B saa ten der bar benach ehemaligen Hallen die Metropolen der Armen und die in den che his den pat in h Sym sic en en. zog lieg lik“ ab. Junge Leute en Großindustrie ein h unternft und einer soge- sch noc ku Zu ein er ren Ihr wa vor lle gst rimine weinen aus An ert das Wirtschaftsk man schnell gkeit“. Wasser bevölk rtschaftsfaktor, den Wi ter ätz nannten „Arbeitslosi sch die als ch Do . ses hatte einen lus atf nd im rla He Bett unseres großen lieb gewann. Das Saa

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VSE , wählen sie immer Paradies zurückwollen terun s un nen kön r e Bürge (Liste 69). Interessiert stützen: Z 666 69 666 KtoNr: 0815 4711 / BL le! gel , nix mt Von nix kom fmerksamkeit. Au e ihr für ken Wir dan VSE – Support your loc

al Emirat

das es kommen musste, Und so kam es wie nd wurde rla Saa e bar ein sch ehemals kleine und un ins Erden. Wenn auch Sie zu einem Paradies auf

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inzucht?

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端berblick der


von > Peter Theobald

saarbr체cker rockstars...unvollst채ndig

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des saarländers liebste

freizeit beschäftigung

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es Saarländers allerallerallerliebste Freizeitbeschäftigung ist seit Urzeiten das friedliche Zusammenrotten mehrerer Personen um ein ziemlich merkwürdig aussehendes, 3-beiniges Metallgestell, an dessen oberer Spitze an einer Umlenkrolle ein Draht verläuft, an dessen Unterseite ein freischwingender Rost befestigt ist. Dieses, der Globalisierung weitgehend noch nicht unterworfene (Export maximal 3 km in die Pfalz oder Lothringen hinein) Meisterstück saarländischer Hütten- und Gruben-Beschaffungskunst nennt man gemeinhin Schwenker. Wenn die saarländische Schwerindustrie einmal erkannt hat, welches Marktpotential in dieser Konstruktion steckt, wird so manche Walzstraße im Saarland auf Schwenkständer umgerüstet werden, damit diese Erfindung auch in den entlegensten Paradiesen dieser Welt Einzug findet. Von Bali bis Seattle, von Hammerfest bis Kapstadt. Saarländisches Grillfleisch mit Marktanteil wie Coca Cola. Lukullus, Schröder und Schwamm im TecDax. Das wär was, oder?

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Schwenken kann man im Saarland getrost als die Sommersportart schlechthin bezeichnen und viele Saarländer fordern seit Jahren die Zulassung bei der Olympiade. Es gibt viele Saarländer, die kein Auto besitzen, einen Schwenkständer zum professionellen Durchgaren marinierten Grillfleischs gibt es in nahezu jeder Familie. Diese allgemeine Schwenkeuphorie hat dazu geführt, daß in jeder saarländischen Gemeinde von Mai bis September spätestens jeden Samstag kleine bis megagroße Feste und Feierlichkeiten stattfinden, in deren Verlauf exzessives „Schwenking“ betrieben wird. Auf diesen Festen trifft man dann auch wieder auf die ganzen Bands, die das ganze Jahr über in miefigen Proberäumen „Bamboleo“ und „Living next


von > Peter Theobald Illustration > Ralf Leis

door to Alice“ eingeübt haben, um dem durch schweres Grillfleisch bereits ziemlich unkritisch gewordenen Publikum rhythmische Klatschbewegungen zu entlocken. Dorthin geht der „Babba“ auch gern „emoll enna drenga“, bis 2 Schwenker und 3 „Roschdwirscht“ sowie, nicht zu vergessen 14 Humpen Pils (in der Regel Urpils, Becker oder auch Bit aus der Pfalz, aber psst, nicht weitersagen) vertilgt sind. Hier kommen im Sommer ganze Familien her und flanieren dichtgedrängt durch die Feststraße und da fällt auch mal Gabi’s Eis dem Onkel Lothar auf die Schuhe, da tauschen sich auch mal alte Arbeitskollegen von der Zentralkokerei über 8 m und 45 Köpfe hinweg in Zentralkokereilautstärke aus: „Unn

Walter, wie iss es?“, „Ei gutt, unn selwa“, „Ei joooh, muss“. Da tragen auch mal verfeindete Dorf-Mopedfahrergangs ihre Streitigkeiten und Hahnenkämpfe aus und so manche Bierzeltgarnitur incl. Bänke, Papiertischdecken und Pfandhumpen gehen zu Bruch. Da findet sich gerade auf dem Nachhauseweg auch mal ein ziemlich unansehnlicher Fleck auf dem Bürgersteig, der erahnen läßt, was Magensäure so in 2 Stunden aus Grillfleisch, Bier, Pizza, Kebab und Eis macht. Pfui deibel sag ich nur. Aber so ist das Leben. Und auf dem Nauwieser Fest ist sowieso alles ganz anders. mit einem Augenzwinkern Theo 21

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das nauwieserviertel ist schön.

schön von oben...

...und von unten auch.

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Vielleicht ist das so, weil sie immer alles im blick hat. (Wenn auch etwas unscharf)

oder weil jemand sowas wie „ali mohamed dali“ an die wände schreibt.

oder etwa, weil dort cowboys in den saloons aufräumen?

könnte auch sein, dass es was mit den ladies vom coca-cola-schild zu tun hat.

oder mit den halunken in den spelunken.

ein bisschen schmuddelig, aber schön.


unser viertel muss gefährlicher werden

25 von > Miriam Rech

ber – dem Viertel droht der böse Greenwich-Village-Effekt. Greenwich-Village-Effekt? Ungefähr so: Ein Stadtviertel ist ein bisschen assi. Weil es dort billiger ist, ziehen Studenten dort hin, Plattenläden, die erst um 12.00 Uhr aufmachen und indische Gemüsehändler. Die Lokale sind meistens dunkel, es sitzen seltsame Gestalten drin und Studenten, die viel Zeit zum Rumtreiben haben. Dann schreibt jemand irgendwo, z. B. in einem Reiseführer „Künstler und Studentenszene“; und dann geht es los: Alle wollen dort wohnen und ausgehen. Die Häuser werden renoviert und in Tortenfarben angestrichen, es werden Schnickschnackgeschäfte eröffnet und die Gaststätten werden zu „Szenekneipen“... Da hilft nur eins: Guerilla-Marketing! Um das Viertel wieder gefährlicher zu machen. Stinkbomben? Säure? Heuschrecken? Nö, lass mal. Zu teuer. Für T5 oder Live-Stadtmagazin schreiben und behaupten, in Malstatt tanzt der Bär? Schilder aufhängen „Die Stadt Saarbrücken warnt“? Horrorgeschichten im Bus erzählen? Schon eher. Ich würde gerne behaupten, ich tue das, um das Viertel zu retten, weil ich dort wohne und es mag und weil ich was für die Stadt Saarbrücken tun will. Das wären schöne Gründe. Die schäbige Wahrheit: ich will auch dort hinziehen und nicht so viel Miete zahlen...

A


nauwieserfest –versuch

einer typologie

von > flix

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ob melanie wohl hier ist?

an der tanke ist das bier viel billiger !

ach sieh mal einer an, da ist ja die sabine !!!

wenn ich mein telefon dabei hätte, könnte ich sie ja mal anrufen...

früher waren die bands echt viel cooler !

hihihi, wenn sie sieht, dass da hinten martin steht, stirbt sie bestimmt.

aber bestimmt ist sie mal wieder mit x anderen leuten verabredet... *seufz*

glotz nich so blöd, ökoschlampe. ne hässliche tasche haste.

aha, und da drüben ist ja tamara... hallo !


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na, wie geht’s denn so ?!

...dann ist er die treppe runter und hat sich, zackbumm!, beide beine gebrochen.

uäääärgk !

bock auf’n bier ?

ich solls eigentlich niemand weitersagen, aber bei dir ist das ja gut aufgehoben.

damn! da fliessen für mindestens 40 euro zwickel in die verkehrte richtung...

ich will dich wiedersehen. nackt auf meinem futon.

apropos kotzen. kennst du den ?! ein mann kommt in die bäckerei...

hoffentlich sieht mich keiner.


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wo seid ihr denn ? ich ?! ich bin hier !

an der tanke ist das bier viel billiger!

oh shit, da dr端ben steht wolfgang!!!

superviele gr端sse von der tamara soll ich dir sagen! ja die ist auch da!

fr端her war das fest echt viel cooler!

oh shit, da hinten kommt martin!!! hoffentlich sieht der mich nicht...

ja, dann komm doch einfach danach! kein problem.

ja, die tasche ist neu! geile farbe, was ?! und es geht echt sauviel rein...!

oh shit,da ist frank!!! wenn der mich sieht, sterbe ich...


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och, gut!

hihihi! das ist ja mega-witzig...!!!

ich hatte echt ne superanstengende woche. wirklich.

wenn du eins spendierst...

hab ich schon erz채hlt wie mir neulich ein glas milch umgefallen ist und ich dann...

wir sind doch schon echt lange hier... - wollen wir nicht nach hause?!

0176-272735

kuck mal, da kotzt einer!!!

och nee, michael ist mal wieder schlecht.


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programm freitag 01/08/03

samstag 02/08/03

One Man And His Droid

Karamelo Santo

hauptbühne max-ophüls-platz: tanzkapelle nauwies 02

hauptbühne max-ophüls-platz: monster bubbler & hifi international

> 19.00 Uhr Die erste offizielle Stadtteilband des Nauwieserviertels spielt Discoklassiker der 70er und 80er.

> 15.00 Uhr Reggae Soundsystem nach original Jamaicanischem Vorbild

spy vs spy

reminder

> 20.15 Uhr Sample soaked secret agent surf-punk aus SB.

> 19.00 Uhr Emo-Core aus Neunkirchen.

karamelo santo

lame brain pete

> 21.30 Uhr Latin-Ska-Reggae-Cumbia-Punkrock-Crossover aus 32 Argentinien.

> 20.30 Uhr Indie-Mini-Rock aus Neunkirchen.

one man and his droid

hellmut: 666 pistols

> 22.00 Uhr Emo/Alternative aus Deutschland.

> 21.00 Uhr anschl. Weird Kong (Wave Punk 80er)

bleistift: earl

bleistift: miller's crossing > 21.00 Uhr Power Blues

karateklub meier: die fahrt von holzminden nach oldenburg spielt trio > 21.30 Uhr wie jedes Jahr bei Meiers zu Gast, legendär, kultig...

> 20.00 Uhr Kerniger, Rock und Rhythm & Blues im Stil der 70er.

hellmut: möfahead > 21.00 Uhr anschl. Puschelpunk mit Frau Rotation und Frau Deluxe

karateklub meier: tanzalarm

mono: dj feldmann

> 22.00 Uhr DJs, Cocktails, Discofieber...

> 22.00 Uhr Feldmann lässt mit seinem relaxten Set die Sonne aufgehen.

mono: dj apex > 22.00 Uhr the new groove theory

Wir bedanken uns bei unseren Sponsoren:


nauwieserfest sonntag 03/08/03

Seyni

hauptbühne max-ophüls-platz monster bubbler & hifi international

sonstiges cd- und schallplattenbörse

> 15.00 Uhr Reggae Soundsystem nach original Jamaicanischem Vorbild

Samstag und Sonntag jeweils ab 11.00 Uhr Max-Ophüls-Platz

bücherflohmarkt

sons of cthulhu > 19.00 Uhr Surf/Rock’n’Roll/Psychobilly aus Saarbrücken

seyni > 20.30 Uhr Roots Reggae aus F/Guinea

bleistift: boogie bastards > 15.00 Uhr

dizzy thang > 20.00 Uhr Blues Orgasmus

Samstag ab 14.00 Uhr im Buchladenhinterhof in der Försterstrasse. Die Teilnahme ist kostenlos, Interessierte melden sich bitte bis zum 30. Juli unter 0681-31171 beim Buchladen an.

kinderprogramm Samstag und Sonntag abwechslungsreiches Kinderprogramm auf dem Spielplatz Nauwieser Platz mit Luftkissen, Schminken, usw...

spielfest im Innenhof des SOS-Ausbildungs- und Beschäftigungszentrums. Workshops zu den Themen: HipHop, Schmuck herstellen, Schminken, Töpfern, Malen, Graffiti, Filzen. Spiele: Bay-Blade-Turnier, Bobby-Car-Rally, Sackhüpfen, Schnecken-Rally, Angel-Spiel, SkaterRampe. Sonstiges: Second-Hand Markt, Speis und Trank.

Schirmherrschaft: Kajo Breuer, Bürgermeister der Stadt Saarbrücken.

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6 aus 1/4 Fotografien von > AndrÊ Mailänder






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...mehr als nur CD.


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rotz v o n > V é r o n i q u e Ve r d e t Illustrationen > Undine Löhfelm

as Pfeifen in seiner Brust verwandelt sich in ein lautes Rauschen, wandert nach oben. Nichts zu machen. Es muss raus. Er hustet, spürt wie der Schleim auf seiner Zunge landet, überlegt kurz, ob er ihn runterschlucken soll. Nein. Dafür ist der Brocken zu dick. Wäre schade drum. Er schiebt ihn mit seiner Zunge in die linke Backe. Die Masse gleitet geschmeidig in seinem Mund. Früher einmal hat er gerne Austern geges42 sen. Das Aufbrechen der harten Schale, das fast unmerkliche Zucken des Tieres, wenn es die Zitrone spürt. Den salzigen Geschmack der Gischt auf der Zunge zergehen lassen. Früher einmal war er ein ausgezeichneter Schwimmer gewesen. Früher. Ans Meer kommt er nicht mehr. Es ist zu weit. Er würde lieber am Meer sterben. Manchmal stellt er sich vor, das Pfeifen in seiner Brust wäre das Rauschen des Ozeans vor seiner Tür. Es beruhigt ihn. Er ist aber jetzt nicht am Meer bei seiner Großmutter, sondern hier in diesem armseligen Zimmer, und das, was auf seiner Zunge liegt, ist keine Auster. Es ist Schleim und der muss raus. Er spuckt den kleinen Zeh großen Brocken auf seine Handfläche, verschließt die Hand. Dicht. Nur einen Augenblick, nur um die Konsistenz und die Wärme zu spüren. Er kann der Versuchung nicht länger widerstehen, die Spuren aus seinem Inneren näher zu betrachten. Heute sind die dunklen Punkte wieder deutlich zu sehen. Er reibt den Schleim in seine Hand, bis er einen dieser braunen Punkte zwischen Zeigefinger und Daumen hält. Neugierig riecht er daran. Wenn es Nikotin sein sollte, dann

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müsste man es doch riechen können. Nein. Mit der sauberen Hand nimmt er einen Zettel aus seinem Notizblock und drückt den grünlichen Schleim drauf. Die schmierige Hand putzt er an seiner Hose ab. In Großbuchstaben schreibt er Datum und Uhrzeit auf den Zettel. Sobald das Blatt trocken ist, wird es in seiner Kartei Platz finden. Der nächste Hustenanfall überrascht ihn beim Schreiben. Es bleibt ihm keine Zeit, den Schleim im Mund zu behalten. Die Masse springt aus seiner Lunge direkt auf den Schreibtisch. Der Husten ist stark, seine Rippen schmerzen, seine Augen füllen sich mit Tränen, seine Lungenbläschen reißen – ja, er hört sie förmlich in seinem Brustkorb zerbrechen. Er kämpft, versucht, den Anfall unter Kontrolle zu kriegen. Dieses Mal geht es nicht. Seine Lungen drohen zu explodieren, seine Augen quellen hervor. Er ertrinkt. Er verbrennt. Er stirbt. Gebückt bleibt er auf dem Schreibtisch liegen. Sehr vorsichtig schnappt er eine kleine Menge Luft, traut sich nicht, seinen Körper zu bewegen, aus Furcht, es könnte gleich wieder anfangen. Sein Kopf ist leer. Nur noch Schmerz. Das Grollen nimmt ab, der Husten zieht sich zurück tief in sein Inneres, lässt ihn erschöpft und doch erleichtert liegen. Er will noch nicht sterben. Nicht so. Und nicht hier in dieser billigen, staatlichen Absteige. Seit fünf Jahren lebt er hier. Seit drei Jahren weiß er, dass er Krebs hat. Er hätte nicht gedacht, dass die Krankheit ihm noch so viel Zeit lassen würde. In seinem Alter sollte sie eigentlich schneller voran schreiten. Irgendwie lebt er immer noch. Seine Hustenkartei füllt inzwischen unzählige


Zigarettenschachteln, die er ordentlich mit bunten Reißbrettstiften über seinem Bett befestigt, sobald sie voll sind. Das Pflegepersonal findet die Collage sogar ganz hübsch. Es ist nicht hübsch, es ist das genaue Abbild einer unaufhaltsamen Krankheit, die ihn fertig macht. Letztes Jahr waren die Schleimbrocken noch nicht so dick, die braunen Punkte nicht so dunkel. Jetzt ist aber nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Er muss den grau gestreiften Pyjama ausziehen und sich fertig machen. Die Zeit ist morgens knapp bemessen. Gleich wird die Putzkolonne das Zimmer stürmen, in Windeseile die Kissen klopfen, die Bettpfannen leeren, das Fenster kippen, mit einem dreckigen Lappen, husch, husch, über den Boden wischen und wieder verschwinden, nicht ohne laut erwähnt zu haben, dass das Rauchen im Zimmer nicht gestattet sei, und dass selbst er das wohl inzwischen kapiert haben sollte. Er wischt mit dem Ärmel den Schleimbrocken vom Tisch ab. Schon als kleines Kind übten die Spuren aus seinem Innenleben eine große Faszination auf ihn aus. Sein erstes Nasenbluten war eine große Freude gewesen, wenn auch die Schreie seiner hysterischen Mutter dem näheren Betrachten seines Blutes ein jähes Ende bereiteten. Sie rannte zu ihm, drehte grob seinen Kopf nach hinten, drückte ihm einen kalten, nassen Waschlappen auf die Nase und später, als die Blutung nachließ, legte sie ihm einen großen Schlüssel, der sonst über dem Kamin hing, auf den Nacken, mit dem Befehl, ihn mindestens zehn Minuten fest auf die Haut zu drücken. Das Metall war kalt, das spürt er heute noch. Er hatte nicht verstanden, warum er das tun sollte, aber seine Mutter war eine strenge Frau und er hätte sich nie getraut, ihr zu widersprechen. Der Abdruck des Schlüssels war den ganzen Tag deutlich im Spiegel zu sehen. Er fühlte sich wie eine Aufziehpuppe. Nur dass die Aufziehpuppen seiner kleinen Schwester kein Blut in ihrem Inneren hatten. Davon hatte er sich bei einigen, mit peinlicher Sorgfalt durchgeführten Obduktionen vergewissert.

Sein Blut war rot und nicht blau, wie seine Mutter immer wieder betonte. Es war dunkelrot und warm und lecker. Bevor sie zu ihm gekommen war, hatte er Zeit gehabt, einen winzigen Tropfen auf die Zunge gleiten zu lassen und zu probieren. Nicht schlecht. Von da an fügte er sich regelmäßig kleine Verletzungen mit dem Rasierer seines Vaters zu und studierte die dunkle Flüssigkeit, bevor er sie ableckte. Schon bald waren seine Unterarme voller Kratzer. Auf die Fragen seiner Eltern antwortete er, die wilden Brombeeren im Garten oder der verwirrte Kater Romeo seien schuld daran. Er hätte gerne ein Mikroskop bekommen, doch das war seiner Mutter zu teuer. Er musste sich mit der Lupe seines Vaters begnügen. Auch heute würde er gerne den Hustenschleim unter ein Mikroskop legen, doch wie damals muss er sich mit einer gewöhnlichen Lupe abfinden. Sein Zimmergenosse muss ein begeis- 43 terter Philatelist gewesen sein. Auf der gemeinsamen Kommode liegen drei schwere Alben. Jetzt zittert der alte Mann von Kopf bis Fuß, unfähig, auch nur für einen Augenblick seinen Körper still zu halten, geschweige, eine Briefmarke unter die Lupe zu nehmen. Selbst wenn er bemerken sollte, dass sein Vergrößerungsglas fehlt, könnte er das niemandem sagen. Der alte Mann ist ein ruhiger Zimmergenosse, schaut den ganzen Tag aus dem Fenster und sagt schon lange kein Wort mehr. Er kann nicht mehr. Die Wörter sprudeln unkontrolliert aus seinem Mund heraus, vermischen sich mit seinem Speichel, rinnen seinen mageren Hals hinunter, bilden Sätze, die keiner versteht. Eines Tages muss er das eingesehen haben. Seitdem redet er nicht mehr. Der ehemalige Briefmarkensammler schaut wie immer aus dem Fenster und nickt unablässig unsichtbaren Menschen zu. Sein Vater war auch ein begeisterter Briefmarkensammler gewesen. Doch bei Kriegsende hatte die Mutter die wertvollen Alben im Garten vergraben, aus Angst, die Soldaten könnten sie finden und mitnehmen. Als sie die Stelle unten beim Kompost endlich wieder gefunden hatte, war es zu spät. Die Marken waren verschimmelt


und angeknabbert. Ihrem jähzornigen Ehemann hatte sie nicht die Wahrheit erzählt, als er aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam. Sie sagte ihm, sie hätte die Alben gegen Lebensmittel für die Kinder getauscht. Tatsächlich hatte seine Mutter im Laufe der Kriegsjahre oft Sachen bei den Bauern aus der Umgebung getauscht. Sie wurde jedes Mal über den Tisch gezogen. Das Tafelsilber der Familie brachte ein Pfund ranzige Butter, die Teppiche ihrer Eltern Kartoffeln und Äpfel, die Kunstbücher Möhren und Linsen, die wie von Zauberhand über den Tisch wanderten. Der Zettel auf dem metallischen, mit Brandspuren übersäten Tisch ist noch zu glitschig, um in die Schachtel zu kommen. Er legt ihn auf die Heizung. Der Rotz ist heute etwas grünlicher als gestern. Die Ärzte prüfen regelmäßig Farbe und Konsistenz seines Hustenschleims. Doch es kommt nie etwas Neues heraus. Der Krebs 44 schreitet voran, frisst sich durch. Er solle das doch einsehen und endlich aufhören zu rauchen, sagen sie zu ihm. Wozu sollte er jetzt noch aufhören zu rauchen? Das ist alles, was ihm geblieben ist. Das Rauchen ist seine Leidenschaft und eine Möglichkeit, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen. Sein Tagesablauf ist einfach. Er versucht so früh wie möglich im Speisesaal zu sein, damit er den Anblick der anderen Insassen beim Schlürfen des für jeden mundgerecht pürierten Futters nicht ertragen muss. Er zwingt sich, ein paar Löffel davon zu essen und macht sich dann so schnell wie möglich auf den Weg nach draußen. Bis 20 Uhr darf er sich außer Haus aufhalten. Das tut er auch. Tagtäglich seit fünf Jahren. Doch heute kommt er nicht in die Gänge. Die Schwester hat seine Hose mitgenommen und dafür eine Turnhose auf seinen Stuhl hingelegt. So will er sich nicht zeigen. Ein alter, kranker Knacker in einer hellblauen Jogginghose, dazu die alten Straßenschuhe. Das geht nicht. Die Kleider, die er dabei hatte, als er hier ankam, sind längst weg. Sie wurden peu à peu durch neue beziehungsweise abgetragene Kleidungsstücke von Fremden ersetzt. Es widerstrebt

ihm, getragene Sachen anzuziehen. Er muss aber unbedingt bald nach draußen. Fünf Zigaretten hat er noch. Er muss raus. Die Sonne scheint. Immerhin. Die Leute sind spendabler, wenn der Himmel blau ist. Wenn alles bloß so einfach wäre. Wenn das ganze Leben nur eine Frage der Witterung wäre. Dann wäre er in ein sonnigeres Land gezogen. Er hätte eine Familie und wäre jetzt vermutlich ein zufriedener Großvater auf einer schattigen Veranda. Vor ihm würde das Meer rauschen, seine Frau wäre noch bei ihm. Falls es regnen sollte, würden sich die Leute freuen und, nicht wie hier, das Gesicht verschließen und die anderen Menschen als Hindernisse auf ihrem nassen Weg ansehen. Anfangs, als er sich noch nicht traute, Fremde auf der Straße anzusprechen, hat er versucht, auf Tabak umzusteigen. Doch das mühsame Drehen im Freien, die gelben Finger, die Krümel, die seine Kleidung und sein ganzes Bett bald bedeckten, das alles war ihm zuwider. Schnorren ist gar nicht so schwer. Er erzählt den Leuten Lebensgeschichten. Sie kommen gut an. Besser als seine Hustenkartei. Eine Schachtel hat er einmal einem jungen Burschen, der hier für kurze Zeit gearbeitet hatte, gezeigt. Der Junge war angewidert, gar schockiert, wollte ihn überzeugen, dass so was nicht ginge, dass es ekelhaft sei, seinen Hustenschleim aufzubewahren. Es hätte keinen Sinn gehabt, ihm zu erklären, warum es wichtig war, die eigenen Spuren zu sammeln und zu katalogisieren. Seitdem hat er nie wieder jemandem davon erzählt. Sein Zimmergenosse kriegt das zwar mit, kann es aber niemandem sagen. Seine kleine Schwester hätte ihn mit Sicherheit verpetzt. Wie damals, als sie ihn dabei erwischte, wie er den Eiter aus einem der gelben Pickel, die sein Gesicht seit seinem zwölften Lebensjahr übersäten, auf ein Blatt Papier strich, um ihn mit Hilfe von Tesafilm zu konservieren. Sie hatte geschrieen und war zur Mutter gerannt, die blöde Petze.


Die kleine Schwester würde auch über die blaue Jogginghose lachen, wie sie immer darüber gelacht hatte, wenn er die Hosen des Vaters, die ihm auch zu lang und zu groß waren, anziehen musste. Lange her. Tot. Der Vater auch. Zu den Gräbern ist er nie gegangen. Pietät. Keine Pietät. Vater liegt in seiner Heimatstadt zusammen mit Mutter. Die Schwester mit ihrem Mann und ihren verbrannten Kindern in Italien in der Nähe der Autobahn, wo der Unfall passiert ist. Er wird vermutlich hier auf dem kleinen Friedhof begraben werden. Aber darüber macht er sich selten Gedanken. Jetzt muss er nach draußen, das Pensum einhalten. Er zieht den Pulli über den laschen Hosenbund, verspürt einen kurzen Schmerz, als er im Kleiderschrankspiegel die magere Gestalt in der lächerlichen Montur sieht. Er braucht 40 Zigaretten. Die einzige wirklich Gute ist immer die Erste. Wenn der Geist noch schlaftrunken ist und die Umgebung noch nicht in ihrer ganzen Trostlosigkeit wahrnimmt, wenn er sich für einen kurzen Augenblick noch vorstellen kann, er sei bei seiner Großmutter, sie würde gleich ins Zimmer kommen und nicht eines von diesen unfreundlichen jungen Mädchen, die ihm jeden Morgen unsanft Fieber messen wollen. Doch bevor die Schwester kommt, muss er die erste Zigarette des Tages rauchen. Seine rechte Hand greift automatisch zur Schachtel. Der erste Zug brennt durch die Luftröhre, füllt seinen Kopf mit bunten Sternen. Er sinkt zurück auf das dünne Kissen. Großmutter kommt gleich herein, öffnet die Fensterläden und sagt, wie jeden Tag: – Ein wunderbarer Morgen, um an den Strand zu gehen. Aufstehen! Los, los! Den ganzen Tag am Meer. Wenn ihm kalt wurde, weil er zu lange im Wasser geblieben war, schrubbte ihm seine Großmutter den Rücken, sagte, er würde bald Flossen und Schuppen bekommen, lachte so schön. Ihm wurde direkt wieder warm. Zum Mittagessen gab es meist Salatgurken mit hartgekochten Eiern,

dazu Wassermelone oder Grapefruits, die ein wenig aussahen wie die Seeigel, die er von den Felsen pflückte, um sie vorsichtig aufzuschneiden und das orangene Fleisch mit einem kleinen Löffel zu essen. Seine kleine Schwester ekelte sich immer, doch Oma freute sich sehr, wenn er sie mit seinem Fang überraschte. Einen Seeigel ließ er immer frei. Zuvor legte er ihn auf seine Handfläche und genoss das aufregende Prickeln der tausend Stacheln auf der Haut. Dabei schloss er die Augen und stellte sich vor, was sich hinter dem angenehmen Gefühl noch verbergen könnte. Er spürte das Kribbeln bis in den Rücken und versuchte konzentriert, das Gefühl zu verstärken. Leise verabschiedete er sich dann von dem Tier und brachte es zu den Felsen zurück. Die kleine Schwester hatte große Angst, von einem Seeigel schwanger zu werden. Im Biologieunterricht hatte sie gelernt, dass die männlichen Stachelhäuter ihre Spermien einfach durchs Was- 45 ser schleudern und sie fürchtete, mit einem weiblichen Seeigel verwechselt zu werden. – Sie sollen nicht im Zimmer rauchen. Sie sollen überhaupt nicht rauchen! Da ist sie schon, die mollige, rothaarige Schwester! Ihre Stimme krächzt, ihre kleinen und zu eng liegenden Augen schauen ihn vorwurfsvoll an. Sie trägt einen zu kurzen Kittel, ihre Beine sind dicklich, blaß und schlecht rasiert. Er antwortet nicht, dreht sich um, nimmt den nun trockenen Zettel vom Heizkörper und steckt ihn in seine Tasche. Sein Zimmergenosse beobachtet ihn, macht den Mund auf, erinnert sich, dass es zwecklos wäre und schließt ihn wieder. Ohne die Schwester auch nur mit einem Blick zu würdigen, verlässt er das Zimmer. Treppe runter, schnell an den bunt bemalten Seidentüchern, an den Kunstwerken aus Wäscheklammern, an den unzähligen Wasserlilien vorbei, schnell raus hier. Sonne. Kalte Wintersonne. Seine Augen blinzeln, für einen Augenblick ist er blind. Drei Feuerwehrautos rasen an ihm vorbei. Das grelle Licht durchdringt seine geschlossenen Lider. Die allzu bekannte, laute Geräuschkulisse füllt sei-



nen Kopf. Unschlüssig bleibt er stehen. Eigentlich würde er am liebsten zurück in sein Bett gehen, die Decke über den Kopf ziehen und versuchen, sein Leben neu zu träumen. Weit weg von diesem Haus, von diesen großen Fenstern, die er nicht einmal aufmachen darf. Bei seiner Großmutter gab es keine Doppelverglasung, zeitweilig gab es überhaupt keine Scheiben mehr in den Fenstern. Das war kurz nach dem Krieg, bevor sein Vater aus der Gefangenschaft zurückkam. Eine schöne Zeit. Eines Tages kam ein großer, abgemagerter Mann nach Hause und die Familie zog um. Der Vater wollte nicht bei der Mutter seiner Frau bleiben. Es hatte lange gedauert, bis er zu dem wortkargen, cholerischen Fremden „Vater“ sagen konnte. Das neue Haus war klein, marode, kalt und sehr dunkel. Es hatte kein Klo und so stand, zumindest im Winter, ein Nachttopf vor jedem Schlafzimmer, der früh morgens von seiner Mutter geleert wurde. Manchmal begegnete er nachts seiner kleinen Schwester, die ihren vollen Topf vor die Tür stellte. Der Flur stank nach Urin. Es war eklig, aber noch ekliger war es, mitten in der Nacht in den dunklen Garten zu gehen, um im Stehen, aus Angst vor dem Ungeziefer, in dem kleinen Holzverschlag sein Geschäft zu erledigen. Ausgerechnet jetzt müsste er pinkeln. Ins Café braucht er nicht zu gehen. Am liebsten pinkelt er unter der Dusche. Das Entleeren seiner vollen Blase unter dem Wasserstrahl gibt ihm ein Gefühl der Freiheit. Er spürt gerne die warme, gelbe Flüssigkeit auf seinen Füßen, die Erleichterung, gleichzeitig das wohltuende heiße Wasser auf dem müden Körper. Schöner noch war es, im Meer zu urinieren. Um ihn herum bildete sich ein warmer Kreis. Für einen Augenblick war es, als ob er Herrscher über den ganzen Ozean wäre. Sein Körper nicht mehr vorhanden, die Augen geschlossen. Es war, als ob er nur Geist wäre – und frei. Wunderschön war es am Meer. Schnell die Kleider in den Sand werfen, ans Ufer rennen und ins kalte Wasser springen. Seine Mutter und seine kleine Schwester dagegen gingen sehr vor-

sichtig mit dem nassen Element um. Sie tasteten sich langsam und meist kreischend voran, befeuchteten ihre Nacken, ihre Bäuche und ihre Gesichter. Erst dann gingen sie ein paar Schritte vorwärts. Die Prozedur dauerte ewig. Waren sie endlich im Wasser, blieben sie in der Regel nur kurz drin und schrieen, er sei wahnsinnig, es sei viel zu kalt und er würde sich den Tod holen. Anschließend versteckten sie sich, weiterhin kreischend, unter selbstgenähten, riesigen Säcken mit einem einzigen Gummizug um den Hals und tanzten den Tanz der Prüden. Sie sahen aus wie große, bunte Maden in ihren mobilen Umkleidekabinen. Als erstes fiel meistens der nasse B.H. in den Sand. Die kleine Schwester, obwohl sie noch keine Brüste hatte, bestand auf einem eigenen, von der Mutter gestrickten Oberteil. Dann legten sie sich im Schatten unter den Sonnenschirm, aßen Kekse, versuchten Preisrätsel zu lösen, kämmten sich gegenseitig das lange Haar und riefen ab und zu nach ihm. Er 47 hörte nicht auf sie, tauchte unter. Das Wasser im Frühling war an manchen Tagen so kalt, dass sein Schädel drohte zu zerbrechen, irgendwie. Diese Schrecksekunde, einmal überwunden, ließ ihn sich wie neugeboren fühlen. Tag für Tag. Im Wasser war er frei. Sich im Meer den Tod zu holen wäre schön. Seiner Großmutter war es gelungen. Eines Morgens war sie zum Strand gegangen und nicht mehr wiedergekommen. Er muss jetzt dringend pinkeln. Aber wo? An der mit Graffiti beschmierten Wand in der Gasse neben dem Supermarkt? Dort tun es viele. Er nicht. Nie. Das hat ihm seine Frau hoch angerechnet. Wenn sie gemeinsam zu seiner Großmutter fuhren und die ganze Nacht und den ganzen darauf folgenden Morgen unterwegs waren, hielt er sich immer solange zurück, bis eine Raststätte in Sicht war. Er wusste, wie sehr sie das Bild eines am Straßenrand urinierenden Mannes verabscheute. Es waren wunderbare Autofahrten. Sie sorgte für Proviant, Zigaretten, Musik und Unterhaltung. Er fuhr. Sie erzählte vom Vietnamkrieg, Folienschweißgeräten im Angebot, seltsamen Fischen, die an der Ostküste Australiens aufgetaucht waren,


von einem Buch, das sie gerade las und das sie so sehr faszinierte, dass sie es ihm von Anfang bis zum Schluss nacherzählte, von ihrer Kindheit, von der neuen, zweifarbigen Mayonnaise, die sie auf die Sandwichs geschmiert hatte. Es war herrlich, mit ihr die ganze Nacht am Steuer zu verbringen, zu viel zu rauchen, zu viel Kaffee zu trinken. Eines Nachts, sie waren fast bei seiner Großmutter angekommen, war sie gegangen. Sie lag ruhig auf dem Beifahrersitz, schien zu schlafen. Doch sie schlief nie während einer Fahrt. Er musste anhalten, sich übergeben, in die Hose pinkeln, noch mal brechen, wie als Kind im Auto, als sein Vater, trotz der Bitten seiner Mutter, die billigen Zigaretten rauchte und seine kleine Schwester und er ganz grün im Gesicht wurden und sich gegenseitig voll kotzten. Aber in dieser Nacht war er alleine. Er hatte 48 geschrieen, seine Nase lief, blutete bald. Er bekam keine Luft mehr, dachte, auch er würde sterben neben der offenen Beifahrertür und seiner toten Frau. Einfach so. Er lag lange ohnmächtig am Straßenrand. Es wurde bereits hell, als er sich dazu entschließen konnte weiterzufahren, ohne zu befürchten, den Verstand für immer zu verlieren. Den ganzen Winter hat er versucht, neu geboren zu werden. Jeden Morgen ist er zum Strand gegangen, um ins eiskalte Wasser zu springen, zu tauchen und die Luft so lange anzuhalten, bis sie sich wie Eis in seinen Lungen anfühlte. Heute ist die Luft eisig. Die Kälte durchdringt seinen Schädel, schärft seine Sinne. Er spürt, wie der nächste Hustenanfall nach oben kriecht, befürchtet, seine Blase nicht kontrollieren zu können und auf die Straße zu pinkeln. Sein Vater sagte immer, ein Mann müsse lernen, sich zu beherrschen. Darin war sein Vater ganz gut, er zeigte niemals seine Liebe, seine Freude, seine Ängste. Er zeigte nur seine Wut. Die Kontrolle verlieren. Den Speichel seines Zimmernachbars, während er schläft, klauen. Der dicken, rothaarigen Schwester unter den viel zu kurzen Kittel schauen und laut lachen. Dem Vater in die Eier treten, während er neben dem Auto

pinkelt, obwohl er genau weiß, wie sehr sich seine Schwiegertochter davor ekelt. Seiner Schwester die Wahrheit über den Mann sagen, der jetzt neben ihr und den verbrannten Kindern liegt. Die Kontrolle verlieren und das spärliche Mobiliar in seinem Zimmer kaputt schlagen. Die Wasserlilien entwurzeln und an die hellblauen Wände schmeißen. Die bunt bemalten Seidentücher mit seinem Benzinfeuerzeug anzünden. Das pürierte Futter auf den Tisch kotzen. Seinen Schleim nicht mehr fein säuberlich auf Karteikarten konservieren, sondern direkt über sein Bett an die Wand schmieren. Keine Geschichten mehr erzählen. Einfach denen, die ihm keine Kippen geben, in die Fresse spucken. Die dämlichen Studenten, die bei einem einzigen Kräutertee stundenlang die besten Tische am Fenster besetzen, solange durch die Scheibe anstarren, bis sie sich schämen und den Blick abwenden. Auf die Scheibe sabbern oder gar wichsen wie der Alte, der eine Zeit lang das Zimmer nebenan bewohnte und eines Morgens über seinem Apfelmus verstarb. Den jungen Frauen anzügliche Witze nachrufen und die alten Schabracken mit Übergewicht und kleinen Schoßtieren auf ihren aufdringlichen Fischgestank aufmerksam machen. Seiner Rolle gerecht werden: Ein alter, kranker Mann aus dem Heim zu sein, mit hellblauer Jogginghose und abgetragenen Straßenschuhen. Ein Schnorrer.


Doch das wird er nicht tun. Nein, er wird nicht auffallen. Er will nicht einer von denen werden, die das Gespött der Leute auf sich ziehen, wie die Alte aus dem dritten Stock, die mit ihren Wutanfällen ein beliebtes Opfer bei den Kindern des Viertels ist. Sie verfolgen sie, miauen dabei wie tollwütige Katzen, bis sie fassungslos stehen bleibt und anfängt zu schreien. Ihr Gesicht wird dunkelrot, ihre Adern schwellen an, ihr Anblick gleicht der einer Besessenen. Sie brüllt los in einer für niemand verständlichen Sprache, gestikuliert mit geballten Fäusten, stampft mit den Füßen. Es ist alles, was sie tun kann. Die Kinder haben keine Angst und machen so lange weiter, bis sie schreiend die Flucht ergreift und ins Heim zurückrennt. Die Kinder machen ihm Angst, aber er wird die Kontrolle nicht verlieren. Er wird jetzt in die

Einkaufspassage laufen, dort endlich pinkeln, genügend Zigaretten zusammenschnorren, um über den Tag zu kommen. Irgendwann heute Abend nach Hause – nach Hause! – gehen. Mit all den anderen im Speisesaal das Abendbrot herunterschlingen. Sich in sein Zimmer zurückziehen. Die besten Hustenspuren des Tages nach Uhrzeit in die Sammlung einsortieren. Seine Medikamente schlucken. Seinem Zimmernachbar auf die Schulter klopfen. Sich in das zu weiche Bett legen. Hoffentlich schnell einschlafen. Und – vielleicht – von seiner Frau träumen. Bald, und bis dahin muss er das alles aushalten, wird sich Blut unter die braunen Punkte in seinem Schleim mischen, dann wird seine Kartei vollständig sein, dann wird auch er endlich gehen können.

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Projekt ermöglicht haben. ♣ Ein dreifaches Olé für alle Postkartenschreiber. ♣ Alle Rechte vorbehalten. Abdruck nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autoren oder Herausgebern.

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nauwieser viertel oder auch chinesenviertel

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ja, warum eigentlich? der exotischen kosung auf den grund gegangen von > Frank Schilling Foto Mister Lee von > Ralf Leis

u Beginn des letzten Jahrhunderts – Wilhelms Zeiten, die Kinder rannten in Matrosenanzügen durch die Strassen, war das Viertel noch ein beschaulicher Zweig weniger Straßen, die sich den Weg von St. Johann Richtung Nordosten bahnten. Die Bautätigkeit hatte vor gerademal vierzig Jahren begonnen. Nur ein Platz war von Größe, der Landwehrplatz. So, wie es klingt, Truppenaufzugsgebiet der re-

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publikanischen Garden gegen alle und alles, was nicht so ist wie wir. Aber, und wie sollte es anders sein, ein Fünkchen Licht und Diversifikation durchdrang die Tristesse. Die Einfachnutzung einer öffentlichen Fläche war den hohen Herren der Stadt zu wenig und so gastierte der Völkerverständigung zuliebe, ein- bis zweimal im Jahr ein Zirkus auf dem Paradeplatz.


Zirkus auf dem Landwehrplatz, heute unweit den Gelegenheiten des Amüsements unserer Zeit. Zirkus – archaische Bühne der Superlative von Kraft, Geschick, Pracht und Eros. 61

Zirkus war eine andere Welt, virtuell und doch zum Greifen nah. Und ganz so, als läge hier noch heute der Grund für das gute Miteinander der verschiedenen Menschen im Viertel, war der Zirkus auf eine besondere Weise nah. Näher, als wir das heute kennen.

geben ihr Repertoire zum Besten. Oder noch besser das Ophüls-Festival feiert neue Filme und die ganze Stadt ist begeistert. Das Beste aber – die Stars und Sternchen sind nicht im Tourbus oder Leidinger Hotel untergebracht, sondern nach der Show geht´s in ein privates Quartier.

Der Zirkus gastierte und die Artisten logierten. Der Zirkusdirektor und seine Größen bewohnten komfortable Wagen oder bezogen sogar Suiten in einem Hotel. Doch gewöhnliche Artisten, Musiker und all die vielen helfenden Hände fanden ein Heim entweder unter der Plane oder in einem Fremdenzimmer. Jongleure, Akrobaten, Kontorsionisten aus aller Welt, vor allem auch aus dem Orient. Fremde prägte das Bild des Zirkus.

Bei einer Spielzeit von zwei bis drei Wochen war der Nähe oder nächsten Nähe unter diesen Umständen größter Raum zur Entfaltung gegeben. Ebenso erlag manche Ur- oder Ururgroßmutter dem Charme Asiens in Form des Zirkusmitbewohners. Und Im Abstand von neun Monaten, erzählt man, blieb es nicht aus, dass hier und da die Früchte solcher Gastspiele mandeläugig im Viertel das Licht der Welt erblickten.

Die Gäste fanden Unterkunft in Etagenstuben, Dienstmädchenzimmern und Gesindehäusern. Sie waren beliebter Nebenerwerb, Stars ihrer Zeit und, nicht zu unterschätzen – Exoten, von denen immer ein besonderer Reiz ausging. Man muss sich das so vorstellen: eine Band von heute, sagen wir mal The Strokes

Naja und wie der Mensch sein kann, wir wissen es selbst, wenn sich so etwas nur zwei bis dreimal zugetragen hat, dann sagt irgendeiner über die Kinder mit den Matrosenanzügen, den schwarzen Haaren und den schmalen Augen: Da laufen doch Chinesen durchs Viertel und unversehens...


nachschlag Na, was braucht ein gutes Journal noch? Richtig, ein Rezept zum Nachkochen. Ausgeplaudert von Jenny & Tina. Für Patchwork-Familienfeiern, gutbürgerliche Skatrunden, professionelles Bandcatering oder ein solides Candlelight-Dinner. Heute:

kartoffelkürbissuppe Zutaten: 1 kg mehlig kochende Kartoffeln 1 – 2 Karotten 1/4 Kürbis 1 Stange Lauch 2 Gemüsezwiebeln 1/2 Bund Petersilie 62 1 Tomate Wasser Öl Salz, Pfeffer, Muskat, 1 Esslöffel Kürbiskernöl, 1 Becher Creme Frâiche oder Sahne Zubereitung: Lauch, Karotten und Kartoffeln putzen, waschen und in Stücke schneiden. Die Tomaten schälen und entkernen. Diese Zutaten in kochendes Wasser geben. Die Wassermenge sollte den Inhalt des Topfes gut einen Zentimeter bedecken. Eher nachträglich noch Wasser hinzugeben. Circa 20 Minuten kochen lassen und nach 10 Minuten Kürbisstückchen hinzugeben. Dann nach Geschmack würzen. Die Suppe von der Kochfläche nehmen. Mit einem Quirl oder Pürierstab cremig rühren und Creme Frâiche unterheben. Jetzt noch einmal kurz auf die Herdplatte stellen. In der Zwischenzeit die Gemüsezwiebeln in feine Würfel schneiden und in wenig Öl goldbraun braten. Die Zwiebeln in die Suppe geben. Die fertige Suppe auf die Teller portionieren und mit gehackter Petersilie bestreuen. Geröstetes Brot dazu reichen. Bon appétit! Anmerkung der Redaktion: JunggesellInnen sei empfohlen, die Zutaten einfach zu vierteln!!!




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