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Rauch als schöpferisches Fluidum Visionen im Rauch Raphael Reift Rauchzitat Victor Hugo Rauchzitat Georg Christoph Lichtenberg Rauchzitat Hermann Burger
Raphael Reift
Visionen im Rauch (oder: Was mir der Ruach offenbarte)
Gedichtzyklus
Inspiration I:
Ich rauche meine Imkerpfeife und beruhige Bienen. Der Rauch verfestigt sich. Die Zeit steht still. Summa summarum: Es summt.
Plötzliche Aufruhr: Die Bienen wuseln im Zwischenhirn. Mandelpanik: Ich verberge mich im Rauch. Gedankenpartikel verkleben meine Lungenbläschen. Ein Hustenanfall unterbricht den Gedankenstrom. Gedanken geraten aus ihrer Umlaufbahn. Die Bienen summen in der Mandel. Sie haben den Text vergessen.
Interludium I:
Ringelreihe im Teilchenbeschleuniger: Kinder kollidieren in Rutschbahnen. Es gibt Russkuchen zum Dessert.
Ruach im Rauch: Anwesenheit Gottes, Medium mit wechselnden Vokalen.
Ballung der Russpartikel: Konzentration und Kristallisation. In neuronalen Netzen sucht eine Spinne Gedanken.
Kristallisierter Rauch. Ein Gedanke hängt in der Luft. Ein abgelehntes Rauchopfer zürnt einen Bruder Hand an Hauch zu legen. Eine Welt neigt sich dem Ende zu. Ein Gott dampft aus seiner Nase.
Zwischenbemerkung I:
Gelbe Finger und Rauchopfer. Die Zigarette ist meine Uhr. Ich rauche Ziffern und Zeit.
Im Tabernakel: Serafim verhüllen sich. Ein Trishagion erklingt. Rauch erfüllt das Heiligtum. Unreine Lippen: die Angst steckt im Mandelkern, ein Engel verbirgt sich bei den Bienen.
Weggeworfene Zigarette, ephemer, eine kristallisierte Welt geht zu Grunde. Ich zerfalle zu Asche.
Fliegergruss und Flugasche: Ikarus verkohlt in der Atmosphäre. Die Vergangenheit ist ein Feld voller Reiher. Eine Fermate bleibt in Rauchzeichen hängen: Einhalt. Wohin flattert meine Braue?
Rauchopfer: ein Atemzug Transzendenz. Würzraub der Moderne. Der
Sirenengesang des Erhabenen konzentriert sich im Glimmen der Zigarette. Rauch steigt in den Himmel.
Ich verbrenne meine Sünden. Höllengeld und Räucherstäbchen. Cheruben rauchen auf der Bundeslade.
Gekreisch aus dem Rachen des Rauches. Meine Augen sind traumvoll. Ein Segen expandiert, bis er explodiert.
Exspiration I:
Eine Honigmandel träumt von Bienen. Gedankenpartikel in der Lunge. Ich stolpere über Worte. Meine Nase blutet.
Inspiration II:
Eine Metapher löst sich auf. Eine Banane brutzelt. Das ergibt keinen Sinn, riecht aber gut. Grütze in der Pfütze. Kehle und Kelchaug. Vermessen mit Löffeln statt Gabeln. Eine Kontraktion gebiert ein neues Wort: Kehlchaug.
Die Naht der Nacht glimmt. Der Tag verklingt. An Tischtüchern hängt Tagewerk. Blut und Rauch in einem zusammenklappbaren Brustkorb.
Meerschaumpfeife: Das zeitoffene Spiel, mit gezinkten Karten. Jenseits des Blickes: Kains Früchte verrauchen unerhört.
Rauchsäule und Heugabel. Ein Hauch weht und kehrt um: Der Blutacker muss besenrein sein.
Zwischenbemerkung II:
Die Reimkuh will Keimruh. Ich will Rauch in der Lunge.
Ich messe dem Rauch Bedeutung zu. Dies irae: Ich grabe um mein Leben. Der Rauch steigt. Eine Fadenseele sucht ihr Öhr. Augenringe schweben um meine gelben Finger. Eine Wimper sticht den Rauch tot.
Exspiration II:
Ein Rabe krächzt und stammelt: Die Sprachwunde ist ein offener Schorf. Rekursive Gedanken: Rauch und Schmerz spiegeln sich unendlich.
Rauchende Schlote: Noch gibt es Lieder zu singen. Noch habe ich Hoffnung. Noch kann ich durchröchelt stammeln.
Die Weisheit torkelt trunken ins Bett. Sie träumt von einem Weg, der ins Nichts führt: Ins
Ninini…
Gibt es sonst noch was zu stammeln?
Vision im Rauch III.
© Raphael Reift
Tabak verwandelt Gedanken in Träume.
Georg Christoph Lichtenberg
Rauchen
[…] Weiter kann ich diesen Abend der Augen wegen nicht schreiben, und doch mag ich noch nicht zu Bette gehen, ich stecke mir also eine Pfeife an und lösche das Licht aus, um noch eine Viertelstunde ganz klar an meine Freunde zu denken. Das Rauchen im Dunkeln ist wirklich eine angenehme Beschäftigung, und wenn man sonst wohl ist, so denke ich, kommt es unmittelbar nach dem Küssen im Dunkeln, also gute Nacht.
Aus: Georg Christoph Lichtenberg, Brief an Johann Christian Dieterich und Frau, 17. 3. 1772. https://www.projekt-gutenberg.org/lichtenb/briefe/chap007.html
Hermann Burger
Dieses allmähliche Sicheinnebeln, dieses Gestaltwerden in den Schwaden ist für mich das Urbild schöpferischer Tätigkeit.

Stilleben zu Glenn Gould.
© Raoul Ris