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Epikureer
Vladislav Jaros
Dolce Vita
Bei einem Glas Cognac springen die Gedanken wie trainierte Zirkuslöwen durch Zigarrenrauchringe
Erwin Messmer
Die Aufschrift
Peterson Mixture 965 Obere Hälfte des Dosendeckels
Untere Hälfte Rauchen ist tödlich Hohler Widerhall das ö zieht sich hin Fumer tue Brutal Zack
das Fallbeil fällt Il fumo uccide Ach endlich Wie luzid ja heiter beinah
Schluss jetzt Genug der Lektüre Tür auf zum Genuss Diskret verduftet die ganze prosaische Luft und mit Lust füttere ich meine Pfeife
Zigarren: Ein weites Feld.
© Erwin Messmer
Friedrich Glauser
Gourrama
Sie kamen zum Ksar. Die hohen fensterlosen Lehmmauern blendeten ockergelb, beschienen von der Sonne, die schon tief stand. Im Staub spielten Kinder, die Gesichter waren mit Schorf bedeckt, viele Augen mit Eiter verklebt. Sie starrten auf die fremde Gestalt in Khaki und Wickelgamaschen und liefen dann schreiend davon. Ein dunkler Gang führte in das Innere des Dorfes, das ein einziger zusammenhängender Bau war, ein riesiger Termitenbau; dunkle Gestalten strichen an den beiden vorbei, nicht zu erkennen in der schmierigen Dämmerung. Lös dachte an das Verbot, an die Erzählungen, die umgingen, von Raubanfällen, er dachte an das Geld, das er bei sich trug. Aber er fühlte keine Angst. Er hatte sich mehr gefürchtet, als er die Schultern des Mädchens geküsst hatte. Eine steile Holztreppe führte in ein Zimmer, in dem es erstickend roch. Zeno stiess einen Laden auf, und Strahlenbüschel durchstachen blauen Rauch. In einer Ecke sass ein kleines Mädchen auf einem Haufen Stroh, über ihr sassen auf Stangen etliche Hühner. Die plötzliche Helligkeit weckte sie auf, sie flatterten zu Boden und liefen gackernd umher. Und Zeno stiess nun eine hohe Tür auf. Sie gab den Blick frei auf eine weite Terrasse. In durchsichtigen Kugeln schwebte der Rauch ins Freie, aber als unverrückbarer schräger Balken führten die Strahlen vom Fenster zum Fussboden. Inmitten der Terrasse hockte auf einer Alfamatte ein uralter Mann. Auf dem Scheitelpunkt des sonst glattrasierten Schädels wuchs ein langer, grauer Haarschopf und lud Allahs Hand ein, den daranhängenden Körper mitzuziehen, hinauf in eine reichere Welt. Denn der Mann war mager und unterernährt. Als er Lös’ Schritte hörte, blickte er auf und liess seine Zehen fahren, mit denen er gedankenvoll gespielt hatte. Lös erinnerte sich an seine Karl-May-Lektüre und sagte: «La illah Allah, Mohammed rassuhl Allah.» Dabei verneigte er sich tief. Es schien zu stimmen, denn der alte Mann lächelte mit breiten Pferdezähnen, murmelte etwas wie «Mlech, mlech», streckte eine schmale Hand aus, berührte nur leicht die des andern mit den Fingerspitzen, führte dann den Zeigefinger an die Lippen und wies mit einer sanften Gebärde nach oben. Zeno erschien und zeigte ihr neues Kleid. Dazu schnatterte sie laut und aufgeregt. Das Lächeln des Alten zog sich tief in die Wangen, er deutete mit der Hand auf die Matte. Auch Lös wollte höflich sein. Er zog die Schuhe aus, rollte die Wadenbinden ab und setzte alles ordentlich an den Rand des Daches. Dann setzte er sich neben den Alten. Dieser zog aus seinem groben Wollmantel
eine fingerhutgrosse Pfeife aus rotem Ton und füllte sie mit einem feingepulverten, graugrünen Kraut. Er rief etwas ins Zimmer. Zeno kam mit einem zerbeulten Blechbecken zurück, das mit Glut gefüllt war. Eine Teekanne stand darauf, aus weissem Metall, mit grob eingeritzten Ornamenten. Der Alte legte eine Kohle auf die Pfeife, zog einen Zug tief in die Lunge und gab sie weiter an den Gast. Der folgte dem Beispiel. Der Rauch schmeckte scharf und duftend, so wie Tabak manchmal schmeckt an einem qualmenden Feuer. Lös hatte schon früher Kif geraucht, in Bel-Abbés bei seinem Freund, dem grossen Mulatten. Doch der Kif des Alten dünkte ihn stärker und würziger. Der Duft weiter Ebenen war in ihm und das schwere Licht eines heissen Tages. Nach zwei Zügen war die Pfeife leergebrannt.«Sachar», sagte Lös und gab sie zurück. Er hatte sich dieses Dankeswort gemerkt, ob seines Klanges, der an Sacharin erinnerte. Die Terrasse lag neben der weiten Ebene, in der, ferne, der weisse Posten schimmerte. Im Rücken der Sitzenden stieg das Dorf stufenförmig an. Und die Ebene dehnte sich bis an die Berge, die ein zitterndes, süssliches Violett bedeckte. Langsam wurden die Bäume schwärzer, die den Oued einfassten. Der Alte hatte die Hände auf die Knie gelegt. Manchmal hob er die Tasse zum Munde, die dicke zersprungene Tasse, hob sie zum Munde mit anmutiger Geste, und sein Schlürfen trommelte sanft durch die Stille. Der Tee war sehr süss und mit Minze gewürzt. Da kam Zeno zurück mit einem flachen Korbteller, geflochten aus dünnen, hellen Weidenzweigen. Sie streute Mehl darauf, träufelte Wasser dazu und begann den Teller zu schütteln. «Kuskus», erklärte sie, und der Alte nickte. Das Mehl ballte sich zu groben Körnern, nicht grösser als Stecknadelköpfe. Einen eisernen Topf setzte Zeno auf die Glut, zur Hälfte gefüllt mit Wasser. Und fünfmal schüttete sie das körnig geballte Mehl in ein unten spitz zulaufendes Tongefäss, das wie ein Sieb durchlöchert war. Dieser Tontrichter wurde in den Hals des Eisentopfes gesetzt, damit der Dampf die Mehlkörner garkoche. In das leise Summen des Dampfes scholl plötzlich, ganz aus der Nähe, von einer unbekannten Höhe herab, ein langgezogener hoher Ruf. Der Ruf zersplitterte in viele Worte, die sich folgten und überstürzten, immer in der gleichen Tonlage. Dazwischen sank die Stimme unerwartet fast um eine ganze Oktave, um gleich wieder zu ihrer früheren Höhe aufzuschnellen.
Schweigend erhob sich der Alte, nahm den rauhen Mantel von den Schultern und legte ihn auf den Boden; er stand nun da in einem ärmellosen Hemd, das bis zur Mitte der Waden reichte. Dann neigte er sich, richtete sich auf, kniete hin, berührte den Boden mit der Stirn, ausgestreckt, die Arme und die Hände flach auf den Steinfliesen, und dazu raschelte leise seine Stimme. Es klang, wie wenn der Wind mit verkohltem Papier spielt. Kaum aber war die springende Stimme des Unsichtbaren verstummt, da sass der Alte wieder auf seinem Platz, eingehüllt in seinen Wollmantel, und gab Zeno laute Befehle. Der Kuskus wurde auf eine Holzschüssel geleert, die mit einer dicken Schicht stark riechenden Fettes bedeckt war. Dann goss Zeno eine farbige Brühe über das Ganze, in der Hühnerknochen und gekochte Pfefferfrüchte schwammen. Der Alte mischte nun alles mit pflügenden Händen, schlenkerte sie in der Luft, um sie abzukühlen. Ungewohnt und fremd, wie die Haut des Mädchens, schmeckte auch die Speise. Mit langen vorsichtigen Fingern knetete der Alte kleine Kugeln und schob sie dem Gast in den Mund. Lös ass, denn er hatte Hunger. Und je vertrauter ihm der Geschmack dieser Speise wurde, desto stärker wuchs in ihm die Sehnsucht nach dem Körper des Mädchens, das neben ihm sass und sich an ihn lehnte. Auch sie formte Kugeln mit den kleinen Fingern und steckte sie dem Freund in den Mund. Und die Farbe der verknitterten kleinen Hände erinnerte ihn an die Farbe der Haut, an ihren Geruch und an ihren salzigen Geschmack. Hernach gab es gepresste harte Datteln und wieder Tee. Der Vater hatte die kleine Pfeife angezündet. Als Lös die Hand danach ausstreckte, sprach ihm der Alte langsam und deutlich vor: «Amr sbsi.» Zeno übersetzte: «Pfeife füllen.» Und geduldig wiederholte Lös: «Amr sbsi.» Das Mädchen hatte sich neben Lös gelegt, zusammengerollt wie ein weiches kleines Tier, und den Kopf auf die Schenkel des Gefährten gebettet. Der Abend war sehr ruhig und erwartete still den Mond, den eine unsichtbare riesige Hand über die Berge hob.
Aus: Friedrich Glauser, Gourrama, 3. Kapitel «Zeno». https://www.projekt-gutenberg.org/ glauser/gourrama/chap03.html