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Rumänien 1990

Am Karfreitag, 13. April 1990, vier Monate nach dem Ende der Ceausescu-Diktatur in Rumänien, brachen einige Amriswiler mit zwei Ford-Transits und einem Mercedes-Kombi zu einer 3200 Kilometer langen Reise auf. Wir brachten Hilfsgüter in das geplagte, deutschsprachige Siebenbürgen in Rumänien. Das Team bestand aus dem in Hermannstadt aufgewachsenen Amriswiler Pfarrer Hans Kaiss, seiner Familie und zwei Hilfschauffeuren. Unser Ziel war Birthälm, in dem Hans Kaiss von 1968 bis 1978 als Pfarrer wirkte. Auf der Autobahn ging’s zügig nach Wien, wo wir übernachteten. In Ungarn sind die Strassen breit und gut unterhalten. Nur die Trabis und Dacias 1100 behinderten den mässigen Verkehr. Dank des elften Gebots «Du sollst die signalisierte Höchstgeschwindigkeit nicht unterschreiten» rollte der Thurgauer Konvoi in etwas mehr als fünf Stunden durch Ungarn. An der rumänischen Grenze brauchten wir Kugelschreiber, Sackmesser, Schokolade und (doch noch) unsere Pässe. Nach dem Grenzübertritt, kurz vor dem Eindunkeln, erreichten wir die Grenzstadt Oradea. Ein unglaublich tristes Bild bot sich uns: verlotterte Industrieanlagen, seit Jahrzehnten nicht mehr unterhaltene Häuserblocks. An der ersten Kreuzung umlagerten uns Dutzende «Kaugummi, Kaugummi» rufende Kinder. Die Ortschaften waren ohne Trottoirs, ohne Strassenbeleuchtung. Kaum ein Lichtschimmer drang aus den Häusern. Sind wir tatsächlich noch im 20. Jahrhundert? In Europa? Mitten in der Nacht, am Ostersonntag um 2.15 Uhr, trafen wir in Birthälm ein. Hundert Jahre von Westeuropa und 400 Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt. 400 Kilometer auf sehr holprigen Strassen.

Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Nur die Durchgangsstrasse der 2000 Einwohner zählenden Gemeinde wurde vor Jahren einmal asphaltiert. Als Abwasserkanal fungiert der Dorfbach. Er ist dementsprechend eine Kloake. Im Dorf hört man nur die Hunde bellen und das Gegacker der Hühner, selten unterbrochen von scheppernden Büffel- oder Ochsengespannen. Die Bevölkerung des Orts ist gemischt: zirka 1000 Rumänen, 350 Zigeuner (ein eigener, sesshafter aus dem indogermanischen Bereich eingewanderter Volksstamm), etwa fünfzig Ungaren und

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