Perfusion 2010-03

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FORUM GESUNDHEITSPOLITIK

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Der Fall Lantus oder

Wozu brauchen wir eigentlich die Gesundheitsökonomie? Am 18. März 2010 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seiner Plenumssitzung seinen Beschluss zur Erstattungsfähigkeit langwirksamer Insulinanaloga (z.B. Insulin glargin/ Lantus®) bei Diabetes mellitus Typ 2 veröffentlicht [1]. Diese Wirkstoffe wären dem Beschluss zufolge nicht verordnungsfähig, solange sie – unter Berücksichtigung der notwendigen Dosierungen zur Erreichung des therapeutischen Ziels – mit Mehrkosten im Vergleich zu intermediär wirkendem Humaninsulin (NPH-Insulin) verbunden sind. Das angestrebte Behandlungsziel sei mit Humaninsulin ebenso zweckmäßig, aber kostengünstiger zu erreichen. Für die Bestimmung der Mehrkosten seien die der zuständigen Krankenkasse tatsächlich entstehenden Kosten maßgeblich. Diese Regelungen würden nicht gelten für: • eine Behandlung mit Insulin glargin bei Patienten, bei denen im Rahmen einer intensivierten Insulintherapie auch nach individueller Therapiezielüberprüfung und individueller Anpassung des Ausmaßes der Blutzuckersenkung in Einzelfällen ein hohes Risiko für schwere Hypoglyk­ämien bestehen bleibt, • Patienten mit Allergie gegen intermediär wirkende Humaninsuline. Dieser Beschluss muss nun vom Gesundheitsministerium (BMG) innerhalb von 60 Tagen geprüft werden. Im Falle der Nichtbeanstandung wird er durch die Anzeige im Bundesanzeiger rechtsverbindlich. Der Beschluss des G-BA hat – sofern er denn vom BMG ratifiziert wird – weitreichende Auswirkungen auf das deutsche GesundheitsPerfusion 03/2010

23. Jahrgang

wesen und das Selbstverständnis der Gesundheitsökonomie, was in diesem Beitrag kurz dargestellt werden soll. Wirtschaftlichkeit – ein unbestimmter Rechtsbegriff In § 12 (1) SGB V, dem so genannten Wirtschaftlichkeitsgebot für die gesetzliche Krankenversicherung, ist Folgendes festgelegt: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“ Leider wird der Begriff der Wirtschaftlichkeit weder an dieser noch an anderer Stelle des SGB V weiter definiert bzw. präzisiert. Es handelt sich demzufolge um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Der G-BA verwendet in seinem Beschluss vom 18.03.10 die Begriffe „Mehrkosten“, „kostengünstiger“ und „tatsächlich entstehende Kosten“, ohne diese Begriffe zu näher zu erläutern. Definition von Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitsökonomie Was ist nun aber Wirtschaftlichkeit? Wie verstehen Gesundheitsökonomen weltweit diesen Begriff? Wirtschaftlichkeit ist keine Produkteigenschaft per se. Wirtschaftlichkeit im medizinischen Sinne ergibt sich aus der Gegenüberstellung von Behandlungsaufwand (Kosten) und Behandlungsergebnis

(Nutzen) im Vergleich zu einer Behandlungsalternative. Wirtschaftlichkeit kann am besten anhand des ökonomischen Prinzips dargestellt werden. So ist z.B. ein Arzneimittel wirtschaftlich, wenn es – bei gleichem Nutzen geringere oder höchstens gleich hohe Kosten verursacht wie eine Alternative oder – bei gleichen Kosten einen größeren oder mindestens gleichen Nutzen schafft wie eine Alternative oder – die zusätzlichen Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum zusätzlichen Nutzen dieses Produkts stehen. Diese Wirtschaftlichkeitsdefinition ist unter Gesundheitsökonomen allgemein akzeptiert und liegt auch dem Effizienzgrenzenkonzept des IQWiG zur Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln zugrunde, mit dem das IQWiG zukünftig die Wirtschaftlichkeit neuer Medikamente ermitteln wird. Arzneimittelkosten sind nicht gleich Behandlungskosten In dem Beschluss des G-BA wird die unter Ökonomen unstrittige Definition von Wirtschaftlichkeit jedoch überhaupt nicht berücksichtigt. Wenn der G-BA von „Kosten“ spricht, meint er immer nur die reinen Arzneimittelkosten. Er bezieht er sich dabei nicht auf den Packungspreis, sondern auf die Kosten pro definierter Tagesdosis (DDD) („… unter Berücksichtigung der notwendigen Dosierung zur Erreichung des therapeutischen Ziels …“). Dieser Kostenbegriff ist im ökonomischen Verständnis zu eng gefasst, da die relevanten Behandlungskosten © Verlag PERFUSION GmbH


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