USZinside – Ausgabe 1/22

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Hilfe für Folterund Kriegsopfer 2003 wurde das Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer (AFK) am USZ eingerichtet. Dort erhalten schwer traumatisierte Menschen psychiatrisch-psychotherapeutische Abklärungen und Behandlungen – ungeachtet ihres Aufenthaltsstatus. Text: Katrin Hürlimann Bild: Keystone

«M

enschen, die zu uns kommen, haben un­ vorstellbare Dinge erlebt. Und zwar nicht nur einmal oder zweimal, sondern zum Teil über ihr ganzes Leben immer wieder. Das hin­ terlässt extreme Spuren», erzählt Matthis Schick, Leitender Arzt an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik. Er leitete das AFK von 2010 bis 2018. Die Forschung zeigt, dass es einen kumulativen Trauma­ effekt gibt. Irgendwann kommen alle Menschen – seien sie noch so resi­ lient – an ihre Belastungsgrenzen, wenn man sie nur genügend traumati­ siert. «Dazu kommt oft eine chronifi­ zierte Vorläufigkeit durch die Aufent­ haltssituation», ergänzt der jetzige ­Leiter, Naser Morina, Oberassistent an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik. «Unsere Patienten wissen oft lange nicht, ob sie in der Schweiz bleiben, ob ihre Familien in die Schweiz nachkommen dürfen, ob sie hier eine Wohnung finden und so weiter.» Nichts in ihrem Leben ist sicher. «Wir fokussieren uns auf das, was man fördern und unterstützen kann», sagt Matthis Schick. In der Behandlung am AFK geht es daher stark darum, den Menschen eine Perspektive zu geben – nur so können sie seelisch wieder ge­ sünder werden und sich sicher fühlen.

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Psychische Erkrankung (an)erkennen

Mehr als medizinische Unterstützung

Alle Menschen, die am AFK in Be­ handlung sind, leiden an einer Trau­ mafolgestörung. Äussern kann sie sich ganz unterschiedlich: Die häu­ figste Diagnose ist die posttrau­ma­ tische Belastungsstörung, oft kombi­ niert mit Ängsten, Depression, Schmerzen. Gemeinsam ist den Pati­ entinnen und Patienten, dass sie multidimensionalen Belastungssitu­ ationen ausgesetzt sind. Zusätzlich zum Trauma, das sie in der Heimat oder auf der Flucht erlebt haben, sind sie meist der hiesigen Sprachen nicht mächtig, haben kein soziales Umfeld in der Schweiz, wissen nicht, wie das System hier funktioniert, wo man sich Hilfe holen kann. Und: «Diese Menschen haben ein ganz ­anderes Selbstverständnis. Die we­ nigsten würden sagen, dass sie eine ­psychische Erkrankung haben. Sie haben keine Ahnung von unse­ rem Gesundheitssystem und wissen nicht, was ein Psychothe­ rapeut macht», ­erklärt Matthis Schick. Deshalb wendet sich nur ein ganz kleiner Teil der Betroffenen selber an das AFK. Die Mehrheit der Patienten wird vom Hausarzt, vom Sozialdienst oder anderen Drittpersonen überwiesen.

Weshalb können diese Menschen nicht in einer «normalen» Psychiatrie behandelt werden? «Psychisch er­ krankte Flüchtlinge scheitern oft da­ ran, ein Gesundheitsangebot in der Schweiz in Anspruch zu nehmen, weil sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage sind, Deutsch zu lernen. Da bei den Hausärztinnen und in vielen Institutionen qualifizierte Dolmetscher nicht finanziert werden, haben sie Schwierigkeiten, sich zu verständigen, und es kommt zu Fehleinschätzun­‑ gen oder Fehldiagnosen», weiss Matthis Schick. Häufig dauert es so Jahre, bis jemand merkt, dass eine schwere Trau­ mafolgestörung vorliegt. Aufgrund dieser Barrieren gibt es eine echte Ver­ sorgungslücke für die Betroffenen. Das AFK sieht sich deshalb in der Pflicht, auch ein Stück weit Sozialarbeit und Integrationsförderung zu betreiben. «Es sind oft Patienten mit komplexen Problemen, die über die psychische Erkrankung hinausgehen. Integration, Finanzen, psychisches Befinden und so weiter – das hängt alles von­ einander ab. Es geht neben den medizi­ni­sch-psychologischen auch um soziale, rechtliche, gesellschaft­ liche und kulturelle Aspekte. Daher reicht es in diesen Fällen eben nicht,


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