USZinside – Ausgabe 2/22

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Nr. 2 — 2022

Dossier: Haut 16

«Ich bin erste Ansprech­person für Menschen mit Hautkrebs.» Linda Morgan, Fachexpertin Pflege Skin Cancer

Klimaneutrale Energie­ versorgung am USZ 6

Tuberkulose: eine ausgestorbene Seuche? 32


Inhalt 16

Die Haut Das grösste Organ unseres Körpers – es misst etwa 2 m2 und wiegt bei einer erwachsenen Person ca. 10 kg – schützt uns vor Bakterien und anderen Gefahren. Jeden Monat erneuern sich die ober­flächlichsten Hautzellen. Ver­änderungen auf der Haut können auf eine Krankheit hindeuten.

5 Kein Schweiss, kein Problem?

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29 Wie Wunden heilen

Schwitzen ist überlebenswichtig

Ist eine Wunde chronisch, gilt es, die Ursache zu finden

6 Energiesparen ist sinnvoll Der Energiebeauftragte Nicolas Ettlin im Interview

30 Der Krebs, den die Sonne bringt Hautkrebs: häufig in der Schweiz

8 Bilddiagnostik rettet Leben Zsolt Kulcsár über die Be‑ handlung von Schlaganfällen

21 «Schwarzer Hautkrebs ist kein Todesurteil» Marco Hämmerli erzählt seine Geschichte

#facesofusz Bridget Asante betreut betagte Patientinnen und Patienten

10 22 Wenn es ständig juckt Neurodermitis: Vieles ist noch unklar

Von der Kriegsmedizin zur modernen Traumatologie Das USZ verfügt über eines der grössten Traumazentren Europas

13 Von Fledermäusen und Königen Der Abbruch eines Gebäudes will gut vorbereitet sein

14 Von der guten Idee zum Unternehmen Wie der Health Innovation Hub Innovationen fördert

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24 «Manchmal ist detektivischer Spürsinn gefragt» Viele Allergien zeigen sich auf der Haut

25 Schwindendes Haar, brüchige Nägel

32 Tückischer Schläfer Tuberkulose – eine Seuche aus vergangenen Tagen?

34 Beckenboden – nicht nur ein Frauenthema Die Hälfte der Betroffenen sind Männer

35 Gastbeitrag Stress besser verstehen

Eine frühzeitige Abklärung der Ursache ist zentral

36 Das blüht nicht alles von alleine 26 Zerstörte Haut reparieren Wie Narben behandelt werden können

Die USZ-Gärtnerei sorgt für Farbe auf dem Spitalgelände


Liebe Leserin, lieber Leser

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ls Universitätsspital richten wir unseren Blick stets nach vorn, sind bestrebt, neue Verfahren zu entwickeln, neue Behandlungsansätze zu erforschen und damit die ­Perspektive und die Lebensqualität unserer Patien‑ tinnen und Patienten zu verbessern. Dazu zählen unter anderem Immuntherapien – beispielsweise im Kampf gegen den schwarzen Hautkrebs, wie Sie in dieser Ausgabe lesen können.

Gregor Zünd Prof. Dr. med., CEO

Aufgrund aktueller geopolitischer Entwicklungen sind wir immer wieder gezwungen, uns mit Themen zu befassen, die in den letzten Jahren in den Hintergrund gerückt waren: Es herrscht Krieg in Europa, und Flüchtlinge strömen zu Tausenden in die Schweiz und die umliegenden Länder. Diese Situation hat nicht nur Auswirkungen auf die Gesellschaft, sie betrifft insbeson­‑ ­dere auch das USZ als Universitätsspital in vielerlei Hinsicht. Das USZ wurde von der Humanitären Hilfe des Bundes und vom Internationalen Roten Kreuz angefragt, ob gegebenenfalls Kriegsverletzte aufgenommen werden können. Für uns ist selbst‑ verständlich, dass wir mit unserem Know-how im Bedarfsfall zur Verfügung stehen – und zwar unabhängig davon, woher diese Menschen stammen, welche Verletzungen sie erlitten haben, welcher Ethnie oder Religion sie angehören mögen. Die medizi­ nische Versorgung stellt unsere Kernkompetenz dar, und wir wollen dieser gerecht werden. Dabei wird die Traumatologie eine zentrale Rolle spielen. Wo diese Disziplin ihre Wurzeln hat und welche primären Aufgaben sie in der Regel wahrnimmt, zeigen wir Ihnen in dieser Ausgabe des USZinside. Eine zweite, bei uns beinahe etwas vergessene Erkrankung rückt ebenfalls wieder stärker in den Fokus: die Tuberkulose. Dank breiter und erfolgreicher Impfkampagnen konnte diese tückische Erkrankung in unseren Breitengraden praktisch ausgemerzt werden. Nun werden wir schmerzlich daran erinnert, dass dies keineswegs überall auf der Welt der Fall ist. Auch dazu finden Sie mehr Informationen in diesem Magazin. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und bedanke mich bei allen unseren Mitarbeitenden herzlich für ihr tägliches Engagement für unsere Patientinnen und Patienten.

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Unsere Fachpersonen in den sozialen Medien Wussten Sie, dass Sie auf unseren ­Social-Media-Kanälen direkt mit unseren Expert*innen in Kontakt treten können? Neu führen wir regelmässig Livegespräche mit Pflege­ experten, Ärztinnen und weiteren Fachpersonen auf Instagram, bei

denen Sie Ihre Fragen live stellen können. Wir freuen uns immer über Themeninputs! In kurzen Videos auf Facebook beantworten unsere Fachexpert*innen verschiedene medizinische ­Fragen, kurz und verständlich. Folgen Sie uns!

F O LG E N S I E U NS ! UniversitaetsspitalZuerich Unispital_USZ universitaetsspitalzuerich Universitaetsspital Zuerich Universitätsspital Zürich Universitätsspital Zürich

Livegespräch mit Claudia Lang, Oberärztin Dermatologische Klinik

Was ist ein Delir?

Livegespräch mit Nicole Schubiger, Pflegeexpertin

Was tun gegen Heuschnupfen?

Neues Roboter-Zentrum Robotik-Eingriffe sind schonend und ermöglichen äusserst präzises Arbeiten. Spezialisierte Behandlungsteams kümmern sich um die Patient*innen.

Seit Anfang Mai sind die zwei DaVinciOperationsroboter des USZ an einem Ort zum «Roboter-Zentrum» zusammen‑ geführt. Das bringt Vorteile – sowohl für das USZ als auch für die Patient*innen. Neu können beide Geräte, die nun technisch identisch sind, von mehreren Kliniken genutzt werden, was die Planung flexibler macht. Sowohl seitens Anästhesie wie OP-Pflege steht ein auf Robotik-Eingriffe spezialisiertes Team zur Verfügung, um so die Qualität für die Patient*innen weiter zu steigern. Vor allem aber kann dank der örtlichen Konzentration ein OP-Saal im F-Trakt frei gehalten werden. Dieser

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steht nun ausschliesslich für Notfall­ eingriffe bereit, sodass das Notfall‑ programm und das elektive Programm getrennt voneinander verlaufen. Das normale OP-Programm sollte damit weniger durch Notfalleingriffe beeinträchtigt werden – ein Pluspunkt für Personal wie Patient*innen. Am häufigsten operieren heute die Urologie, die Thorax- und die Visze­­‑ ral­chirurgie mittels Robotik, aber auch die ORL und die Gynäkologie setzen zunehmend auf diese Technik. Künftig will zudem auch die Herzchirurgie die Möglichkeiten dieser schonenden Art der Eingriffe nutzen.


Kein Schweiss, kein Problem? Sommer, Sonne, Sonnenschein: Die heisseste Zeit des Jahres hat begonnen. Für unseren Körper aber bedeuten die veränderten Umwelt‑ bedingungen, dass er sich abkühlen muss. Dies passiert auch über die Haut: Man schwitzt vermehrt. Was oft als störend empfunden wird, ist überlebenswichtig. Doch was, wenn man nicht schwitzen kann?

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er menschliche Körper be­ nötigt für ein reibungsloses Funktionieren eine kons­ tante Kerntemperatur von 37 Grad Cel­ sius. Dafür ist er in einem ständigen Prozess von Wärmebildung, -transport und -austausch. Die Wärmeregulation funktioniert einerseits mittels kineti­ scher Energie über die Muskeln, ande­ rerseits über die Blutbahnen. Der Kör­ per reagiert auf Aussentemperaturen, was an heissen Sommertagen dazu führt, dass wir uns abkühlen müssen. Ein Schwumm im kühlen Nass oder viel trinken hilft. Um abzukühlen, setzt unser Körper selbst zwei Mecha­ nismen in Gang: einerseits die Vas­o­ dilatation, bei der durch verbesserte Durchblutung der Extremitäten ein erhöhter Wärmeverlust erreicht werden kann, andererseits durch eine gesteigerte Schweisssekretbildung. Schweiss, der an der Hautoberfläche verdunstet und dadurch eine abküh­ lende Wirkung erzielt. Normalerweise.

Was, wenn man nicht schwitzen kann? Bei einer Anhidrose ist die Schweiss­ sekretbildung gestört. Die Folge: Zwar bleibt das eher unangenehme Gefühl des Schweisses aus, dem Körper jedoch geht eine Option zur Abkühlung ver­ loren. Eine durchaus wichtige, denn Schweiss spielt bei der Wärmeabgabe eine grosse Rolle. Ausgedehnte Anhid­ rosen können zu Thermoregulations­

Text: Moritz Suter Bild: Stocksy

Wenn der Körper selber nicht mehr genug herunterkühlen kann, müssen wir nachhelfen.

störungen führen, im schlimmsten Fall zu einem Hitzschlag. Die Symp­ tome: Hitzegefühl, trockene Haut, Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme. Anhidrosen treten meist nur lokal begrenzt auf. Dadurch kann der Körper die an einer Körperstelle fehlende Schweissbildung an anderen Orten aus‑ gleichen. Anhidrosen entstehen als Folge von Erkrankungen oder Radioder­ matitis, über Erbkrankheiten bis hin zu psychischen Erkrankungen oder als Nebenwirkungen von Therapien. Wenn die Temperaturen steigen und vielleicht sogar eine Hitzewelle droht, ist für Menschen mit Anhidrose beson­ dere Vorsicht geboten: Anstrengungen und Wärme sollten möglichst vermieden

werden. Und beispielsweise mit Feuch­ tigkeitssprays kann die fehlende Küh­ lung der Haut ausgeglichen werden. SPORT OHNE SCHWITZEN

Kein Sport bei Anhidrose? Nein: Keine Bewegung ist ebenfalls nicht zielführend. Jedoch sollte auf die Art der Betätigung geachtet werden. Beim Schwimmen beispielsweise kann Bewegung sogar mit der Abkühlung verbunden werden.

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Noch umweltfreundlicheres Papier Vielleicht haben Sie es bemerkt: Seit dieser Ausgabe wird das USZinside ­ auf einem anderen Papier gedruckt – und auch für viele andere Druck­ sachen des USZ kommt neu das Papier «Munken Kristall» zum Einsatz. Das in Schweden hergestellte Papier ist noch umweltfreundlicher als das bisherige FSC-zertifizierte Papier. Es wird in Schweden aus dem herstellereigenen

Wald vor Ort produziert und per Eisen­ bahn und Lastwagen in die Schweiz geliefert. Der Strombedarf des Papierwerks in Schweden wird durch das ­eigene Wasserkraftwerk zu 100 Prozent gedeckt. Pro Kilogramm produziertes ­Papier werden lediglich drei ­Liter Wasser benötigt – ein Bruchteil im Vergleich zu herkömmlichen Papieren. Das Wasser stammt aus dem am

­ apierwerk anliegenden Fluss; die P natürliche Wasserquelle wird unter ­äusserst strikten Gewässerschutz­ auflagen genutzt. Ein letzter Pluspunkt: Es ist günstiger als das bisher vom USZ verwendete Papier. So leisten ­ wir nicht nur einen Beitrag für die Umwelt, sondern reduzieren zugleich die Kosten.

«Energiesparen ist ökologisch und ökonomisch sinnvoll» Der Energiebeauftragte des USZ, Nicolas Ettlin, erklärt, wie die Energieversorgung am Campus bis 2040 klimaneutral wird – und weshalb das Spital schon heute relativ wenig Öl und Gas verbraucht. Text: Claudio Jörg Bilder: Partner & Partner, Christoph Stulz

Seit dem Krieg in der Ukraine wollen alle so schnell wie möglich weg von Öl und Gas. Gilt das auch für das USZ?

Seit wann engagiert sich das USZ denn für eine ökologischere Energieversorgung?

Wir setzen uns schon lange für eine fossilfreie Energieversorgung ein, nicht erst seit den aus geopolitischen ­Gründen gestiegenen Preisen für Öl und Gas. Das USZ bezieht heute nur wenig fossile Energie – etwa 12 Prozent des Gesamtverbrauchs am Campus. Bis 2040 soll die Wärmeversorgung am Campus zu 100 Prozent fossilfrei und damit CO2-neutral sein.

Wir vom Energiemanagement setzen uns seit über zehn Jahren systematisch für einen energieeffizienten und nachhaltigen Betrieb ein. Das USZ als Grossverbraucher leistet damit einen Beitrag bei den Anstrengungen gegen den Klimawandel.

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Wofür braucht das USZ heute noch Gas und Öl?

Wir heizen grösstenteils mit Fernwärme aus der Kehrichtverbrennungsanlage Hagenholz und dem Holzheizkraftwerk Aubrugg. Gas kommt aber noch immer zum Einsatz, um Spitzenlasten im Winter und Bedarfsschwankungen im Tagesverlauf abzudecken – also dann, wenn die Kehrricht- und die Holzheizenergie nicht ausreicht. Daneben hat das USZ auch noch einige kleinere ältere Aussenliegenschaften, die mit Öl oder Gas geheizt werden.


Und wie will das USZ die fossile Energie ersetzen? Bei der Fernwärmeversorgung sind wir auf die Bestrebungen unseres Liefe­‑ r­anten, also Entsorgung und Recycling Zürich, angewiesen. Im Einklang mit den Zielen der Stadt Zürich will dieser die fossilen Energieträger bis 2040 vollständig ersetzen. Einerseits ist ein weiterer Ausbau der Wärmeprodukt­i‑ on mit erneuerbaren Energien geplant, andererseits der vermehrte Einsatz von Wärmespeichern – also riesigen Heizwassertanks. Auch das USZ treibt den Ersatz fossiler Energien voran, zum Beispiel, indem wir bei Heizungs‑ sanierungen in USZ-Aussenliegen‑ schaften oder bei der anstehenden Ge‑ samt­erneuerung konsequent auf erneuerbare Lösungen setzen.

Energiequellen am USZ Campus Öl und Erdgas (Winterlast) Holzheizkraftwerk 8%

12 % 45 %

Kehrichtabwärme

Windenergie

35 %

Öl und Gas machen heute noch 12 Prozent der Energieversorgung am Campus aus. Bis 2040 sollen sie nicht mehr eingesetzt werden. Dann ist die Energieversorgung CO2-neutral.

Wie viel Energie benötigt das USZ eigentlich pro Jahr? Ein Spital braucht viel Energie! Jähr‑ lich sind es über 80 Gigawattstunden allein am Campus. Das entspricht dem Verbrauch von rund 10’000 Einfamili‑ enhäusern.

Was sind denn die grössten ­Energiefresser? Fast alle Geräte im Spital brauchen Strom. Das reicht von Grossgeräten wie Magnetresonanztomographen über Kühlschränke, Monitore oder Kü‑ chengeräte bis hin zu Aufzügen, ­Lüftungen oder zur Beleuchtung. Die Wärme benötigen wir grösstenteils zum Heizen der Räumlichkeiten, aber auch für die Warmwassererzeugung. Wärme in Form von Dampf verwenden wir zum Sterilisieren, zum Kochen so‑ wie zur Kälteherstellung. In den ­Sommermonaten wird hierfür Über‑ schussdampf aus der Kehrichtver‑ brennungsanlage eingesetzt, der zu dieser Jahreszeit nicht zum Heizen verwendet werden kann. Diese Kälte brauchen wir dann vor allem zur ­Kühlung der Medizintechnik sowie zur Raumklimatisierung.

Welche Stromprodukte kauft das USZ ein? Am Campus decken wir den Bedarf zu 100 Prozent mit Strom aus Windkraft.

Über alle Standorte haben wir eine erneuerbare Stromversorgung von über 95 Prozent

Wie sieht es in Bezug auf die Senkung des Energieverbrauchs aus? Das USZ setzte sich 2008 zum Ziel, die Energieeffizienz um jährlich 1.5 Prozent zu verbessern. Seither konnten wir dieses Ziel jedes Jahr übertreffen. 2017 wurde uns als erstem Schweizer Spital ein Energiemanagement-Zerti­ fikat nach ISO 50001 verliehen.

der Mitarbeitenden in der Planung und Instandhaltung der technischen Anlagen und Gebäude, aber auch ge‑ nerell durch alle Mitarbeitenden er‑ reicht – zum Beispiel, indem alle ihre Computer über Nacht ausschalten, das Licht löschen oder korrekt lüften. Hinweise zu Energiesparmöglich­ keiten nehmen wir übrigens gerne unter verbesserungsideen@usz.ch entgegen. ZUR PERSON

Besteht überhaupt noch Potenzial, um den Energieverbrauch weiter zu senken? Auf jeden Fall. Die geplanten Neubau‑ ten MITTE1 und MITTE2 werden uns massiv dabei helfen, unseren Ver‑ brauch weiter zu reduzieren. Bei den bestehenden Gebäuden besteht nach wie vor beachtliches Potenzial.

Und was unternimmt das Energiemanagement dort? Wir kümmern uns in diversen Projek‑ ten um den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Das ist nicht nur ökolo‑ gisch, sondern auch ökonomisch sinn‑ voll. Letztlich werden die Energie‑ ziele durch den tatkräftigen Einsatz

Nicolas Ettlin Energiebeauftragter Nicolas Ettlin: Zu seinen Zielen gehört es, die Energieeffizienz am USZ zu steigern und dadurch eine nachhaltige und kostengünstige Energieversorgung sicherzustellen.

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Rasche Bilddiagnostik kann Leben retten Die Neuroradiologie unterstützt mit beschleunigter Bilddiagnostik und Kathetertechnik die Behandlung von akuten Schlaganfällen. Text: Jolanda van de Graaf Bild: Thomas Egli

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ei einem Schlaganfall ver­ schliesst sich ein Blutgefäss im Gehirn durch ein Gerinnsel. Dabei sterben jede Minute 1.9 Millionen Nervenzellen, 14 Milliarden Kom­ munikationsstellen und 12 Kilometer Nervenfasern ab. Bei 22 Milliarden ­Zellen im Vorderhirn ist bereits nach zwei Stunden über ein Prozent der Neuronen unwiederbringlich zerstört. Nur wenn die Abläufe der Rettungs­ kette perfekt zusammenspielen, kann die Zeitspanne zwischen Trans­ port, Notaufnahme und Behandlung so kurz wie möglich gehalten werden. Einer Arbeitsgruppe des Klinischen Neurozentrums am USZ ist es in den letzten drei Jahren gelungen, die ­ Zeit bis zur Intervention bei akutem Schlaganfall mehr als zu halbieren. Anteil an diesem Erfolg hat auch das 40-köpfige Team um Zsolt Kulcsár. Seit 2017 am USZ, leitete er die ­Klinik für Neuroradiologie im vergangenen Jahr interimistisch und wurde per 1. April 2022 zum Klinikdirektor ernannt: «Mit unseren bilddiagnos­tischen so­ wie klinischen Aufgaben sehen wir uns als Dienstleister und Schnittstelle im Klinischen Neurozentrum am USZ.»

Neuro-Disziplinen greifen ineinander

Zsolt Kulcsár und sein Team behandeln jährlich über 220 Schlaganfallpatienten.

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Tür an Tür gelegen, profitiert die ­Klinik für Neurochirurgie von intraope­ rativen Bildern der Neuroradiologie.


Solchen reibungslosen Abläufen im Klinischen Neurozentrum hat sich Zsolt Kulcsár verschrieben, insbesondere, wenn es um den USZ-Neubau geht. «Heute passen alle Puzzleteile zusammen», erklärt der Klinikdi­‑ rektor mit Blick auf die Baupläne. «Wir müssen dafür sorgen, dass unsere multidisziplinäre Zusammenarbeit ­im neuen Setup weiterhin klappt. Damit retten wir Leben.»

Bilddiagnostik beschleunigt die Behandlung bei schweren Schlaganfällen Die technische Weiterentwicklung der letzten Jahre ermöglicht heute nicht nur eine verfeinerte Bildgebung bei der Computertomographie (CT) und der Magnetresonanztomographie (MRT), sondern auch ein deutlich höheres Tempo. Bei einem Schlaganfall verortet der CT-Scan ein Blutgerinnsel schon nach zwei Minuten präzis, was die Behandlung enorm beschleunigt. Die verfeinerte Bildgebung kann eine Detailtiefe abbilden, die bis vor wenigen Jahren undenkbar gewesen ist. «Standen uns früher 200 Bilder zur Diagnose zur Verfügung, so sind es heute 4’000», erklärt Zsolt Kulcsár. «Aber auch bei hoher Präzision braucht es Spezialisten, die die richtigen ­Informationen herausfiltern und jede Nuance einer Schattierung zuordnen können.» So hat denn Bilddiagnostik für den Klinikleiter etwas Detektivisches. «Es ist für mich wie ein Krimi, bei dem ich dem Täter unbedingt auf die Spur kommen will.»

2021: 50’000 Bilddiagnosen Die Klinik für Neuroradiologie er­­stel­l­‑ te 2021 an den vier Standorten USZ Campus, Wollishofen, Schlieren und Flughafen rund 50’000 Bild­ diagnosen. Davon wurden 1’200 Personen am USZ über eine Neuro-Intervention behandelt. «Ansonsten untersuchen wir als Dienstleister natürlich auch Rücken, Kopf und Gliedmassen», sagt Zsolt Kulcsár. 50’000 Diagnosen sind ein grosses Volumen mit dem Anspruch auf ­ hohe Qualität. Zsolt Kulcsár besteht auf striktes Vier-Augen-Prinzip.

Dieses Alleinstellungsmerkmal will er auf keinen Fall preisgeben. Der ­ Erfolg gibt ihm recht. Die Zuweisungen durch private Ärzte steigen. Die War­ tezeiten aber auch. «Mit neuen Abläufen werden wir die Vorgänge beschleunigen», erklärt der Klinikleiter. «Wir haben

«Dank Kathetertechnik bringen wir mehr Menschen in ein selbststän­diges Leben zurück.» Zsolt Kulcsár, Direktor der Klinik für Neuroradiologie

in anderen Bereichen bewiesen, dass wir schnell sein können. Wir werden auch diese Prozesse optimieren – ohne Kompromisse bezüglich Qualität. Das ist mein Anspruch.»

In der interventionellen Kathetertechnik schweizweit führend Neben der Bilddiagnostik nehmen die Spezialisten für Neuroradiologie ­auch minimalinvasive Eingriffe zur Behandlung von Gefässproblemen, Tumoren, Tinnitus sowie Tränenwegserkrankungen vor. Die wichtigste Behandlungsmethode ist dabei die ­Kathetertechnik. Kann bei einem Schlaganfall das Blutgerinnsel nicht medikamentös aufgelöst werden, wird es mittels Kathetertechnik aus dem betroffenen Ge­ fäss gezogen. Zsolt Kulcsár und sein Team sind in der interventionellen ­Kathetertechnik schweizweit führend. Behandelte die Klinik für Neuroradiologie im Jahr 2016 noch weniger als 100 akute Schlaganfälle, so waren es 2021 fast 230 Patientinnen und Patienten. Bis zu zwei Drittel der Behandelten können ihr Leben später selbstständig weiterführen. Vorher lag der Wert bei gerade mal 20 Prozent.

Hohes Risiko – hohe Belastung Die Behandlung eines akuten Schlaganfalls bedeutet für alle Beteiligten stets einen Wettlauf gegen die Zeit.

«Eingriffe am Gehirn sind immer enorm komplex und dauern lange», betont Zsolt Kulcsár. «Liegen wir mit unserem Katheter einen halben ­Millimeter daneben, stirbt der Mensch oder lebt künftig mit schwersten ­Einschränkungen.» Das belastet. Rund um die Uhr in Bereitschaft, leisten ­­die Spezialisten viele Notfalldienste pro Monat. «Meine Aufgabe ist es, unser Team optimal zu organisieren und so vor dem Ausbrennen zu schützen.» Gleichzeitig sind aber häufige Eingriffe für die notwendige Erfahrung in diesem schwierigen Fachgebiet wichtig. Ein Dilemma, dessen sich der Klinikleiter bewusst ist. Kommt hinzu, dass interventionelle Neuroradiologinnen und -radiologen rar sind. Zsolt Kulcsár sucht deshalb aktiv nach hochqualifizierten Fachärztinnen und Fachärzten. Auch Forschende will er vermehrt anziehen. Mit Projekten zur Bildgebung nimmt die Klinik an internationalen Studien teil. Zsolt Kulcsár selber leitet eine europäi­‑ sche Studie zur Behandlung von Hirn­aneurysmen. Die Hierarchie hält er möglichst flach und involviert sein Team in praktisch alle Prozesse. Das motiviert das Team, aber auch den Klinikdirektor: «Ich entscheide am Ende einer gemeinsam geführten Diskussion und übernehme dafür gerne die Verantwortung.»

ZUR PERSON

Zsolt Kulcsár Zsolt Kulcsár (48) schloss 2006 in Ungarn seine Ausbildung in Radiologie und Neuroradio­ logie ab. Seit 2007 in der Schweiz, stiess er 2017 als Leitender Arzt der Neurointer­ ventionen zur Klinik für Neuro­ radiologie am USZ. Er ist ver­ heiratet, hat vier Kinder, spricht fünf Sprachen, fährt gerne Motorrad und schwimmt täg­ lich frühmorgens eine Stunde.

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Von der Kriegs‑ medizin zur modernen Traumatologie Das USZ verfügt über eines der grössten Traumazentren Europas. Interdisziplinäre Teams versorgen dort Menschen mit leichten bis lebensbedrohlichen Verletzungen. Text: Barbara Beccaro Bilder: Christoph Stulz, Nico Wick

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ie Traumatologie hat ihren Ursprung in der Erstver­ sorgung von verletzten Sol­ daten auf den Schlachtfeldern des 18. Jahrhunderts. Je schneller sie ver­ sorgt wurden, umso eher überlebten sie. Amputationen etwa mussten sofort erfolgen, damit sich die Wunde nicht infizierte. Es ging darum, Leben zu ret­ ten. Kriegsärzte wie Dominique Jean Larrey, der Leibarzt von Napoleon, wa­ ren in der Lage, eine Hand oder ein Bein in weniger als einer Minute zu amputieren. «Heute befasst sich die Traumatologie in erster Linie mit der Diagnose und Therapie von Unfall­ verletzungen», sagt Hans-Christoph Pape, Direktor der Klinik für Trau­ matologie. Am USZ werden pro Jahr im Durchschnitt 350 schwerver­letzte Patientinnen und Patienten im Schock­ raum versorgt. Damit gehört es zu ­­ den grössten Traumazentren Europas. Das USZ hat angeboten, Kriegs­ verletzte aus der Ukraine zu behandeln. «Das wären jene, die dank einer Erstversorgung überlebt haben und die transportfähig sind», erklärt Hans-Christoph Pape. Er hat aus seiner früheren Tätigkeit in Aachen ­Erfahrungen mit Patienten aus Kriegsgebieten. «Sie haben zum

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Beispiel offene Verletzungen, die nicht richtig heilen und die einen zweiten Eingriff benötigen. Dies, um ein Bein wieder gerade zu bekommen oder

«Wir machen nicht nur die Primär­ versorgung, sondern behandeln auch die Folgezustände.» Hans-Christoph Pape, Direktor der Klinik für Traumatologie

­ inen Arm wieder funktionstüchtig», e führt er aus. Solche Eingriffe erfolgen häufig Wochen oder Monate nach der Verletzung.

Teamarbeit im Schockraum Patientinnen und Patienten mit leich­ ten Verletzungen kommen in der ­Regel über den Notfall ans USZ. Wer sich beim Heimwerken die Schulter verrenkt oder beim Sport den Knöchel verdreht, wird im Institut für Not­ fallmedizin versorgt. Je nach Art der ­Verletzung kommen Spezialisten dazu; immer vor Ort ist ein Arzt oder eine Ärztin der Traumatologie. Werden hingegen mit den Rettungs­ diensten Schwerverletzte ans USZ transportiert, etwa nach einem Verkehrs­ unfall, geht es darum, schnell das ­Ausmass der lebensbedrohlichen Ver­ letzungen festzustellen. Im Schock­ raum versammelt sich in kürzester Zeit eine Notfallcrew mit Fachpersonen aus verschiedenen Spezialdisziplinen wie Anästhesie, Unfallchirurgie, Pflege, Medizin oder Neurochirurgie. Sie unternehmen alles, um die Pati­ enten so schnell wie möglich zu stabi­ lisieren und deren Leben zu retten. Das USZ verfügt über zwei inter­ disziplinäre Schockräume und Opera­ tionssäle, die direkt nebeneinander liegen. Dadurch ist im Notfall eine hohe Flexibilität gewährleistet, und es ­können gleichzeitig mehrere schwer­ verletzte Personen optimal versorgt


Im Schockraum ­werden Patienten interdisziplinär versorgt. Fachspezialistinnen und -spezialisten aus verschiedenen ­Bereichen stehen innert Minuten bereit. Das Vorgehen, wenn viele Verletzte gleichzeitig ein­ treffen, will geübt sein. Hier ein Bild von 2019.

werden. Mit dieser Infrastruktur sichert das USZ für die Bevölkerung eine hohe Verfügbarkeit in der Notfallversorgung.

Fachwissen unter einem Dach Die allerhäufigste Verletzung über­ haupt, erklärt Hans-Christoph Pape, sei die Radiusfraktur der Hand. Bei einem Sturz versuche man reflex­ artig, sich mit den Händen abzu­ fangen. Diese Verletzung komme bei Menschen jeden Alters vor. Da gibt es den jugendlichen Mountainbiker oder die ältere Dame, die ausrutscht. Gerade ältere Menschen brechen sich bei Stürzen zwar häufig den Schen­ kelhals, aber leider auch die Hand. Das USZ bietet eine Sturzsprechstunde explizit für ältere Menschen an, in der Fachpersonen aus Traumatologie und Altersmedizin zusammenarbeiten. Bei zahlreichen Verletzungen braucht es die Expertise verschiedener Disziplinen, etwa die der Plastischen Chirurgie, der Handchirurgie, des Zentrums für Brandverletzte oder der Psychiatrischen Dienste. «Die Auf­ teilung in verschiedene Expertengrup­ pen kommt den Patientinnen und ­Patienten zugute, denn am USZ machen wir nicht nur die Primärversorgung, sondern wir behandeln auch die Folge­

zustände», sagt Hans-Christoph Pape. Die Wege zu den Spezialistinnen ­ und Spezialisten sind hier kurz, denn alle Fachdisziplinen sind unter einem Dach vereint.

Minimalinvasive Operationen Für verschiedene Verletzungsregionen gibt es heute spezielle Implantate, mit denen man zum Beispiel instabile Knochen wieder gerade richtet. «Heute verfügen wir über Implantate, die helfen, das Leben der Verletzten ­ zu erhalten», sagt Hans-Christoph Pape. Seit den frühen 60er-Jahren werden standardisierte Implantate hergestellt. Damals wurde auch die Arbeitsgemein­ schaft für Osteosynthesefragen (AO) gegründet, die sich mit Forschung, Ent­ wicklung und Lehre im Bereich der Traumatologie befasst. Seither gibt es Klassifikationen für verschiedene Bruchformen und weltweite Standards nach AO-Klassifikation für Knochen­ brüche. Heute wird zudem minimalinvasiv und computerunterstützt ope­ riert. In der Klinik für Traumatologie sind Teams entsprechend speziali­ siert, zum Beispiel für die Versorgung von Verletzungen an Extremitäten, Becken oder Wirbelsäule, aber auch von Schwerstverletzten.

Entzündungsreaktionen erforschen «In der Forschung untersuchen wir zum Beispiel Brüche, die nicht richtig heilen. Wir gehen der Frage nach, ­welche Faktoren die Heilung beeinflus­ sen», erklärt Hans-Christoph Pape. Einen weiteren Fokus legen die For­ schenden der Traumatologie auf die unterschiedlichen Entzündungs­ reaktionen nach Verletzungen und warum diese bei gewissen Patientinnen und Patienten zu gering oder zu stark ausfallen. Je nach Ausprägung kann eine solche Entzündungsreaktion den Aufenthalt auf der Intensivstation verlängern. Untersucht werden auch Störungen an Knochen und Weich­ teilen, die dazu führen können, dass nicht gut durchblutete Haut nach ­wenigen Tagen einfach abstirbt. Mit neuen Durchblutungsmessgeräten, die im Rahmen einer Studie im klini­ schen Alltag getestet werden, wollen die Forschenden herausfinden, ob ­ bei bestimmten Patienten die Gefahr ­einer Wundheilungsstörung grösser ist als bei anderen.

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Erster Cancer Survivors Day in der Schweiz Weltweit treffen sich am Cancer Survivors Day Menschen, die ihre Krebs­erkrankung überwunden haben, ihre Angehörigen und Freunde zu einem Fest der Begegnung. Der erste Cancer Survivors Day in der Schweiz fand am 25. Juni unter dem Motto «Mitten im Leben» statt. Ein­geladen hatte das Comprehensive Cancer Center Zürich des USZ und der Universität Zürich zusammen mit der Universitätsklinik Balgrist. Ergänzt wurde das Programm mit Vorträgen von Fachpersonen, Workshops und einer Podiums‑ diskussion.

V E R A N S T A LT U N G E N

Was am USZ läuft, erfahren Sie unter www.usz.ch/veranstaltungen

Öffentliche Vorträge Forum Die Veranstaltungen werden jeweils live auf dem Facebookund dem YouTube-Kanal des USZ übertragen. Dort können sie auch später nach­­geschaut werden. Infos zu den öffentlichen Vorträgen unter www.usz.ch/forum

FACHBEGRIFF EINFACH ERKL ÄRT

Was ist eigentlich der Bergungstod?

Martin Brüesch, Stv. Direktor des Instituts für Anästhesiologie

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Wer infolge von Unfall oder Krankheit länger bewegungslos liegen bleibt und auskühlt, kann bei einer unsachgemässen Bergung sterben. Der ­Körper schützt überlebenswichtige Organe im Körperkern vor der Aus­ kühlung. Durch eine periphere Gefässverengung wird der äussere ­Bereich, die sogenannte Körperschale, immer weniger durchblutet, der Körperkern dafür mehr: Der Körper «zentralisiert». In der Körperschale nimmt mit der Durchblutung auch die ­Sauerstoffversorgung ab. Die Zellen ­werden dadurch geschädigt und setzen K ­ alium frei. Dieses und weitere Stoffwechselprodukte werden aus der Peripherie nicht vollständig abtransportiert. Wird die Person bei der Bergung stark bewegt oder schnell von aussen gewärmt, erweitern sich die peripheren Gefässe wieder, und das Blut strömt wieder stärker in die Peripherie, wo es die Schadstoffe aufnimmt und in den Kern zurücktransportiert. Ob der Körperkern wegen des Blutabflusses wirklich nennenswert auskühlt, ist nicht s­ icher. Gefährlicher sind die angesammelten Stoffwechselprodukte und das ­Kalium, die mit dem Blut zum Herzen transportiert werden. Wegen der hohen Empfindlichkeit des unterkühlten Herzens können sie schwerste Herzrhythmus­ störungen verursachen und zum Bergungstod führen. Deswegen muss eine stark unterkühlte Person durch professionelle Retter*innen versorgt und transportiert werden.


Von Fledermäusen und Königen Derzeit finden Vorbereitungsarbeiten für den Abbruch der Gebäude statt, die auf dem Baufeld der geplanten USZ-Neubauten liegen. Sie haben auch mit dem nepalesischen König Tribhuvan, Fledermäusen und einer Quellnymphe zu tun. Text: Claudio Jörg Bild: iStock

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anche Leute denken, wir könnten jetzt, wo die Mitarbeitenden umgezogen sind, die bestehenden Gebäude einfach abreissen und die Baugrube ausheben», schmunzelt Remo Sigg, Projektleiter Gebäudetechnik. Er weiss, dass dem nicht so ist. ­Zusammen mit diversen Kolleginnen und Kollegen sorgt er dafür, dass die lange Liste von «To-dos» mit Vorbereitungsarbeiten für den Rückbau immer kürzer wird. Auf dieser Liste stehen viele technische Punkte. So gilt es zum Beispiel sicherzustellen, dass die Leitungen für Wasser, Abwasser, Gas, Dampf, Starkstrom, Schwachstrom ­sowie Glasfaser- und Kupferkabel, ­ die durch das Baufeld führen, nicht ­plötzlich die Versorgung anderer ­Bereiche auf dem Campus gefährden, wenn sie gekappt werden. Die Liste umfasst auch einige eher aussergewöhn­liche Aufgaben.

Highlight Quellnymphe Robert Grapentin, Projektleiter im Bau­ projekt-Management, kümmert sich zum Beispiel um die Kunstwerke im Baufeld: «Wir lagern, in Abstimmung mit der kantonalen Denkmalpflege und der kantonalen Kunstsammlung, die bedeutsamsten Werke ein. Wenn die Neubauten stehen, verorten wir sie wieder auf dem Campus.» Ein Highlight ist die «Quellnymphe» des Künstlers Hermann Hubacher von 1923. Auch der Gedenkstein für den nepale-

sischen König Tribhuvan Bir Bikram Shah Dev wird dereinst in aufgefrischter Form wieder auf den Campus zurückkehren. Der König liess sich mehrfach am USZ behandeln und starb am 13. März 1955 im USZ. Regelmässig zum Todestag von Tribhuvan stattet eine nepalesische Delegation einen Gedenk­ besuch beim Gedenkstein im Park ab. Robert Grapentin wird zusammen mit nepalesischen Interessenvertreterinnen einen neuen Standort für den Gedenkstein in den Parkanlagen des USZ suchen.

Fledermauskundliche Analyse Da auf dem USZ-Campus im Vergleich mit anderen Stadtgebieten eine etwas höhere Temperatur herrscht, mögen auch Fledermäuse den Ort. Eine Ab­ klärung der Fledermaus-Situation ­ge­hörte zu den Anforderungen des ­Baugesuchs. «Ich habe deshalb bei ­einem externen Experten eine Klärung in Auftrag gegeben», erklärt Maura Knecht, Projekt­leiterin beim Baubegleitenden Facility Management. Der Experte kontrollierte die abzubrechenden Gebäude und insbesondere deren Storen­ kästen auf Spuren von Fledermäusen. Gemäss Schlussbericht konnte er weder Duftmarkierungen noch Kriechspuren finden und nur ein einziges Kotstückchen einer «wahrscheinlich anfliegen­ den Zwergfledermaus» dokumentieren. ­Fazit: Vor dem Rückbau der Gebäude müssen keine Fledermaus-Kolonien um­ gesiedelt werden.

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Von der guten Idee zum Unternehmen Mit dem Health Innovation Hub fördert das USZ Innovationen im Gesundheitsbereich. Massgeschneidert von der Idee bis zum Markteintritt. Text: Martina Pletscher Bild: Nicolas Zonvi

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m Anfang steht immer eine gute Idee. Viele gute Ideen scheitern jedoch schon früh an den nächsten Schritten zum Er‑ folg, weil ökonomisches Wissen, Kennt‑ nisse des Marktes und Kontakte in die Industrie fehlen oder schlichtweg das Geld nicht vorhanden ist, um eine Idee weiterzuverfolgen und ihr zum Durchbruch zu verhelfen. Das gilt auch für innovative Forschung, Dienstleistungen und Produkte im Gesundheitswesen. Der Health Inno‑ vation Hub des USZ bietet genau hier Hilfestellung: mit Expertenwis‑ sen, Erfahrung, einem Netzwerk und mit finanzieller Unterstützung. «Die Aufgabe des Health Innovation Hub ist es, Innovationen mit dem Potenzial zum Start-up oder Unter‑ nehmen zu fördern mit dem Ziel, das Leben von Patientinnen und Patien‑ ten zu verbessern. Indem Ideen reali‑ siert oder dank der Unterstützung schneller umgesetzt werden können», fasst Matthias Herrmann, Bereichslei‑ ter Innovation Management & Startup Support und Verantwortlicher des Health Innovation Hub, zusammen. Der Health Innovation Hub versteht sich dabei als Dreh- und Angelpunkt, an dem viele Fäden zusammenlau­‑ fen. Gerade das, so Matthias Herrmann, mache die Stärke des Hubs aus. Die Idee eines solchen Förderprogramms bestand am USZ schon länger. Nach einer Konzeptphase, in der das Poten‑ zial am USZ evaluiert wurde, wurde der USZ Health Innovation Hub im

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b-rayZ – ein Projekt zur Verbesserung der Früherkennung von Brustkrebs – war eines der ersten Projekte, die vom Health Innovation Hub gefördert wurden.

August 2019 durch den Bereich Innovation Management gegründet. Das Hub-Team vereint Erfahrung in Forschung, Spitalprozessen, Naturwis‑ senschaften, Start-up-Gründungen und -Finanzierungen sowie fundierte Kenntnisse des Gesundheitsmarkts. Geförderte Projekte profitieren von die‑ sem umfassenden Wissen und von der engen Zusammenarbeit mit inter‑ nen Stellen und externen Expertin‑ nen und Experten aus diesen Geschäfts‑ feldern.

Massgeschneiderte Unterstützung bis zum Durchbruch Projekte, die in einer ersten Beurteilung alle Bedingungen erfüllen, werden in das Portfolio des Health Innovation Hub aufgenommen. Zusammen mit den Forscherinnen und Forschern wird dann eruiert, welche Unterstützung ein Projekt benötigt, und ein Projekt‑ plan festgelegt. «Der Bedarf unter‑ scheidet sich dabei sehr und reicht von Informationen über den angestrebten Markt, über medizinisches Wissen,


finanzielle oder juristische Unterstüt­ zung bis zum Zugang zu Forschungs­ daten», so Matthias Herrmann. Im nächsten Schritt wird ein Business­plan erarbeitet, danach steht die Präsenta­ tion beim Expertenpanel und beim In­ novation Board an, das abschliessend über die weitere Begleitung und Förde­ rung durch den Hub entscheidet.

«Wir wurden von einem Forschungsteam zu einem aktiven Mitglied des Schweizer Start-up-Ökosystems.» Valentina Vongrad, Co-Founder FimmCyte AG

FimmCyte: ein neuer Behandlungsansatz bei Endometriose Das Projekt FimmCyte hat diesen Pro­ zess durchlaufen und vor Kurzem die Zusage für weitere Unterstützung erhalten. FimmCyte will in wenigen Jahren eine völlig neuartige Behand­ lungsmöglichkeit bei Endometriose entwickeln, die das eigene Immun­ system der Patientinnen nutzt, um das Endometriosegewebe gezielt und prä­ zise zu zerstören. Als der Kontakt zum Health Innovation Hub im Juli letzten Jahres zustande kam, befand sich das Projekt noch in einer sehr frühen Phase. «Aufgrund der ersten aussichts­ reichen Forschungsergebnisse stand aber schnell fest, dass ein Start-up ge­ gründet werden sollte», erinnert sich Matthias Herrmann. Das Projekt benö­ tigte dafür primär finanzielle Unterstüt­ zung sowie rechtliches Grundwissen über die Gründung einer Aktiengesell­ schaft, dazu gab es noch offene Fra­‑ gen zur IP- und Regulations-Strategie. Der Health Innovation Hub legte deshalb zu Beginn den Schwerpunkt darauf, FimmCyte den Zugang zu Finanzierungsquellen zu verschaffen, indem das FimmCyte-Team für die Aus‑ wahlverfahren bei potenziellen Geld­ gebern beraten und vorbereitet wurde. Die weitere Beratung umfasste die rechtlichen Aspekte, die Verbesserun­ gen der Projektpräsentation bis zur

Unterstützung bei der Entwicklung einer Markenstrategie. In enger Zu‑ sammen­arbeit durchlief FimmCyte zudem den Prozess und schaffte so auch die letzte Hürde beim Innovation Board. Anfang 2022 wurde das Unter­ nehmen gegründet und befindet sich seither im Aufbau. Der Health Inno­ vation Hub steht aber weiterhin im re­ gelmässigen Austausch mit FimmCyte und unterstützt das junge Unterneh­ men weiterhin mit seinem Know-how.

Mit b-rayZ Mammographien verbessern b-rayZ, eines der ersten Projekte, die begleitet wurden, war schon einige Schritte weiter, als der Kontakt zum Health Innovation Hub entstand. In diesem Projekt entwickelten Radio­ loginnen, Radiologen und Naturwissen­ schaftler die b-box, eine künstliche Intelligenz, die die Früherkennung von Brustkrebs verbessert, indem sie die Mammographien nach standardisierten Kriterien analysiert. «Die Informatio­ nen von b-box helfen schon während der Untersuchung, bessere Bilder zu machen, und sie unterstützen die Technikerinnen sowie die Radiologen bei der Auswertung der Aufnahmen», erklärt Cristina Rossi, eine der Gründe­ rinnen. Die Mammographien werden dadurch genauer, und Gewebeverände­ rungen werden differenzierter erkannt. Dadurch sind weitere Abklärungen weniger nötig. Und bösartige Verände­ rungen werden mit grösstmöglicher Genauigkeit erfasst. «Das Projekt war technisch bereits sehr weit», erinnert sich Matthias Herrmann. «Auf der Business-Seite fehlten aber noch ein klares Konzept sowie die notwendi‑ gen Ressourcen.» Der Health Innova­ tion Hub unterstützte b-rayZ in der Anfangsphase insbesondere in der Ausarbeitung von Anträgen für diverse Fördermittel und mit einem finanziel­ len Entwicklungsplan. Dazu wurden auch Pricing- und Fundraising-Strate­ gien in mehreren Workshops aus­‑ ge­arbeitet. Das Jungunternehmen ist inzwischen auf Erfolgskurs: Es hat mehrere Preise gewonnen, Spitäler als Kunden akquiriert und sogar schon erfolgreich ins Ausland expandiert.

Starke Partner und ein grosses Netzwerk «Ohne Gönner und Partner wäre der Health Innovation Hub in dieser Effizienz und Effektivität nicht umsetzbar», stellt Matthias Herrmann klar. «Eine besonders enge Zusam‑ menarbeit pflegen wir mit der USZ Foun­dation.» Durch diese Zusam‑ menarbeit entstand auch das Partner­ modell des Hubs. Die Dr. Hans-Peter Wild Family Foundation ist Grün­ dungspartner, die SWICA und die Zürcher Kantonalbank sind Pionier­ partner des Hubs, zudem bewegt er sich in einem grossen Netzwerk aka­ demischer Institutionen und im Schweizer «Innovations-Ökosystem». «In der Innovationswelt ist gerade sehr viel in Bewegung», erklärt Mat­thias Herrmann. «Im April wurde zum Beispiel der HealthTech Park Schlieren eröffnet, bei dem das USZ mit dem Health Innovation Hub und dem Clinical Trials Center auf

«Der USZ Health Innovation Hub hat uns beim Markteintritt viele Hürden geebnet.» Cristina Rossi, CEO/Co-Founder von b-rayZ

allen Ebenen vertreten ist. Dazu laufen Initiativen des Kantons Zürich mit dem Blue Lion Incubator und eine na­ tionale Initiative der Innosuisse.» Dass das USZ beim HealthTech Park Schlieren einen aktiven Beitrag als Gründungspartner mit Experten, als Unterstützer, im Vorstand und als Ansprechpartner leistet, wird dort sehr geschätzt. Und der ­Health Innova‑ tion Hub wird auch in der Gegenrich­ tung als Vermittler wahrgenommen: «Inzwischen melden sich schon Startups und Unternehmen, die an einer Zusammenarbeit mit Spezialistinnen und Experten aus dem USZ interes­ siert sind. Sehen wir darin Potenzial, versuchen wir auch in diese Richtung Türen zu öffnen.»

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Die Haut Das grösste Organ unseres Körpers – es misst etwa 2 m2 und wiegt bei einer erwachsenen Person ca. 10 kg – schützt uns vor Bakterien und anderen Gefahren. Jeden Monat erneuern sich die ober­ flächlichsten Hautzellen. Veränderungen auf der Haut können auf eine Krankheit hindeuten. Text: Katrin Hürlimann Bild: Oculus Illustration

ultraviolette Strahlung

sichtbares Licht

Infrarotstrahlung

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Zu viel UV-Strahlung oder Sonnenlicht führen zu einem Sonnenbrand auf der Haut – einer akuten Ent­zündung der Haut. Schuld am Sonnenbrand ist hauptsächlich die langwelligere UV-B-Strahlung. Die kurzwelligere UV-A-Strahlung kann hingegen tiefer in die Haut und die Augen eindringen. Sie ist am Alterungsprozess der Haut beteiligt. Wiederholter Sonnenbrand lässt die Haut schneller altern und erhöht das Risiko für Hautkrebs.

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UV-Licht kann Hautzellen bösartig entarten lassen. Sowohl weisser als auch schwarzer Hautkrebs treten in der Schweiz sehr häufig auf – etwa 3’000 Menschen erkranken in der Schweiz pro Jahr an schwarzem Hautkrebs. Tumorart und Ag­‑ gressivität der Erkrankung sind entscheidend für die Behandlung.

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Je nach Melaningehalt der Haut unterscheidet man sechs Hauttypen: Menschen mit sehr hellen Augen, Haaren und Haut haben Hauttyp I, jene mit ganz dunklen Haaren, Haut und Augen entsprechen dem Typ VI. Je mehr Melanin, also je dunkler die Haut, desto besser ist ihr Eigenschutz vor UV-Strahlung.

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8 Die genaue Ursache für Neurodermitis ist bis heute unklar. Bei einigen Betrof­ fenen ist ein Protein, das für den Zusammenhalt der Hautzellen sorgen sollte, verändert. Die Haut wird durchlässig, und es kommt zu juckenden Aus‑ schlägen. Bei Säuglingen tritt Neurodermitis vor allem auf den Wangen und am Kopf auf. Bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sind vor allem die Kniekehlen, die Ellenbeugen und der Nacken betroffen.

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Die Haut ist aus drei Schichten aufgebaut: Die Oberhaut (Epidermis) (A) ist der sichtbare Teil der Haut. Darunter befindet sich die Lederhaut (Dermis) (B). Sie enthält Kollagenfasern, Blutgefässe und Nervenbahnen. Darunter liegt die Unterhaut (Hypodermis) (C), die vor allem aus Bindegewebe be­steht, das mit Fettzellen gefüllt ist. Diese Schicht dient als Stossdämpfer am Knochen und spielt bei der Regulierung der Körper­ temperatur eine wichtige Rolle.

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C

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Hornschicht Regenerationsschicht Basalzellen Nerven

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Hautvene Hautarterie Fettgewebe Haarschaft

9 Talgdrüse 10 Haarbalgmuskel 11 Haarwurzel

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Der Krebs, den die Sonne bringt UV-Licht kann Hautzellen bösartig entarten lassen. Sowohl weisser als auch schwarzer Hautkrebs treten in der Schweiz sehr häufig auf. Tumorart und Aggressivität der Erkrankung sind entscheidend für die Behandlung. Das Hauttumorzentrum des USZ arbeitet dabei sehr eng mit anderen Disziplinen und Kliniken zusammen. Text: Helga Kessler Bilder: Steffi Sonderegger, USZ, Nicolas Zonvi

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Die photodynamische Therapie kommt bei Vorstufen von weissem Hautkrebs zum Einsatz. Bei dieser Therapie können grosse Hautflächen therapiert werden.

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atienten, die zu uns kommen, müssen keine Angst haben, dass sie entstellt werden», sagt Jürg Hafner von der Dermatologischen Klinik. Der Dermatologe und sein Team entfernen besonders häufig Tumore im Gesicht und am Kopf. Stirn, Nase, Lippen und Ohren sind der UV-Strahlung am stärksten ausgesetzt und ­besonders von Hautkrebs betroffen. Jährlich 30’000 neue Fälle von weissem Hautkrebs treten in der Schweiz auf, hinzu kommen 3’000 Neuerkrankungen an schwarzem Hautkrebs. Die Zahlen steigen seit Jahren an und sind im weltweiten Vergleich hoch. Hauptgrund sei das Freizeitverhalten der Menschen, erklärt Joanna Mangana, Oberärztin der Dermatologischen Klinik: «Wandern in den Bergen und Urlaub an der Sonne.» Jeder Sonnenbrand – und jeder Solariumbesuch – erhöht das Risiko, dass die UV-Strah‑ lung das Erbgut in Hautzellen so schädigt, dass sich diese unkontrolliert vermehren. Die Tumore des weissen Hautkrebses – Basalzellkarzinome und die selteneren spinozellulären Karzinome – treten vor allem bei älteren Menschen auf und metastasieren selten. Häufig entstehen sie über viele Jahre, vor allem an Körperstellen mit ständiger Sonnen­exposition. Der Krebs wird


meist chirurgisch entfernt mit einem Verfahren, das gesundes Gewebe möglichst schont. Bei der Mohs-Chirurgie schneiden die Dermatologen nach einer Lokalanästhesie den Tumor zunächst nur mit einem kleinen Sicherheitsabstand heraus. Unter dem Mikroskop schauen sie, ob insbe­ sondere die Ränder des präparierten Gewebes frei von Tumorzellen sind. Erst dann verschliessen sie die Wunde.

Umso wichtiger ist es, diese Krebsart und ihre Vorstufe, die aktinische Keratose, so früh wie möglich zu behandeln. «In den meisten Fällen von weissem Hautkrebs ist eine Heilung möglich», betont Jürg Hafner.

Melanome bei jungen Frauen Im Unterschied zum weissen tritt der schwarze Hautkrebs häufig auch bei jungen Menschen auf. Bei Frauen zwischen 20 und 29 Jahren ist das maligne

Chirurgie bei Hochbetagten Bei grossen Tumoren oder chirurgisch komplexen Fällen, etwa an Nase oder Ohren, ziehen die Dermatologen des Hauttumorzentrums weitere Spezialisten hinzu. Eine enge Zusammenarbeit gibt es mit der Plastischen Chirurgie, der ORL- und Gesichts­ chirurgie, der Mund-, Kiefer-, Gesicht­s‑ chirurgie und der Augenchirurgie. Die Zusammenarbeit dieser Disziplinen und das so gebündelte hoch spezialisierte Wissen erlauben eine bestmögliche Versorgung besonders schwerer Formen von Hautkrebs am USZ. Weil Spezialfälle im interdis­ ziplinären Team bereits vorbesprochen werden, komme es selten zu Überraschungen, sagt Jürg Hafner. Für die stetig wachsende Klientel der Hochbetagten mit weissem Hautkrebs sucht er nach einfachen und pragmatischen Operationsverfahren, die die häufig mehrfach Erkrankten möglichst wenig belasten (s. Text Wundheilung, S. 29). Wenn der weisse Hautkrebs auf grösseren Flächen nur die oberste Hautschicht betrifft, kann auch eine Therapie mit Salben oder eine Kom‑ bination von Salbe und Rotlicht (Lichttherapie) infrage kommen. Bei einfachen, wenig aggressiven Formen von Hautkrebs im Gesicht kann eine Bestrahlung sinnvoll sein. Ziel der Behandlung ist immer, den Tumor möglichst vollständig zu entfernen und eine Ausbreitung zu verhindern. Ein unvollständig entferntes Basalzellkarzinom kehrt am selben Ort zurück, es bildet aber sehr selten Metastasen. Das spinozelluläre Karzinom hingegen kann Tochtergeschwulste in der Umgebung oder in den Lymphknoten bilden.

«Bei einem metastasierenden Melanom empfehlen wir immer die Teilnahme an klinischen Studien.» Joanna Mangana, Oberärztin der Dermatologischen Klinik

Melanom die häufigste Krebsart – bei ihnen wachsen die Tumore besonders häufig am Unterschenkel. «Die Ursache, weshalb das so ist, ist noch unklar, vermutet werden hormonelle Faktoren»,

sagt Hautärztin Joanna Mangana. Bei jungen Männern sind eher Schulter und Oberkörper betroffen. Auch der schwarze Hautkrebs, der von ent­ arteten Pigmentzellen ausgeht, breitet sich in der Regel zunächst in der obersten Hautschicht aus. Erst wenn er in die Tiefe wächst und sich mit Lymph- und Blutgefässen verbindet, kann er Metastasen bilden. «Dank Früh­erkennung diagnostizieren wir heute viele Melanome in einem sehr frühen und noch heilbaren Stadium», sagt Joanna Mangana. Verdächtige Pigmentflecken werden zunächst herausgeschnitten und unter dem Mikroskop untersucht. Bestätigt sich der Verdacht des ­Melanoms, wird dieses chirurgisch mit einem Sicherheitsabstand entfernt. Die Tumordicke, und damit das Stadium der Erkrankung, ist entscheidend für die Heilungschancen und die weitere Behandlung. Bei dünnen ­Tumoren, die lediglich in der Oberhaut wachsen, sind die Chancen auf vollständige Heilung am grössten. Bei dickeren Tumoren ist das Risiko grösser, dass sie bereits in tiefere Hautschichten vorgedrungen sind und sich ausgebreitet haben. Deshalb wird in solchen Fällen das Gewebe des nächstgele­ genen Lymphknotens untersucht. Die weitere Behandlung hängt vom histologischen Ergebnis ab.

Ausbreitung verhindern «Ist das Risiko einer Metastasierung erhöht, kann nach der Operation eine

E R H Ö H T E S R I S I KO B E I I M M U N S U P P R E S S I O N

Besonders gefährdet, an weissem Hautkrebs zu erkranken, sind ältere Menschen mit heller Haut, bei denen das Immunsystem unterdrückt ist, etwa nach einer Organtransplantation. «Auch der Krankheitsverlauf ist sehr aggressiv», sagt Oberärztin Mirjam Nägeli. Für Immunsupprimierte hat die Dermatologische Klinik deshalb eine spezifische Sprechstunde eingerichtet. Generell stärker gefährdet für schwarzen Hautkrebs sind Menschen mit vielen Muttermalen, nach vielen Sonnenbränden oder ­einer erblichen Vorbelastung.

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Linda Morgan ist Fachexpertin Pflege Skin Cancer und steht den Betroffenen während einer Hautkrebs-Therapie beratend zur Seite.

adjuvante Therapie die Gefahr für ein erneutes Auftreten der Krebserkrankung halbieren», so Joanna ­Mangana. Infrage kommt eine Immuntherapie mit Antikörpern oder eine Therapie mit zielgerichteten Medikamenten, die sich gegen eine bestimmte genetische Veränderung in den Tumorzellen richten. Ob die entsprechende Mutation vorliegt, prüfen die Molekularpathologen vorab. Hat der Tumor bereits Metastasen gebildet, entscheidet das Tumorboard gemeinsam über die weitere Behandlung. Eng angebunden ist das Tumorboard an das universitäre Comprehensive Cancer Center Zürich, wo das Wissen über innovative Krebsmedizin und -forschung zusammenfliesst. Beim metastasierenden Melanom sind verschiedene Therapien möglich, abhängig von der Lage der Metastasen und vom Erkrankungsstadium. Gibt es nur wenige Metastasen und liegen diese oberflächlich und gut tastbar unter der Haut, kann das Immunsystem mit T-VEC angekurbelt werden. Bei dieser Therapie werden modifizierte Herpesviren direkt in die Tumoren gespritzt. «Das Medikament ist sehr gut verträglich, systemische Nebenwirkungen treten nur sehr selten auf», sagt Joanna Mangana.

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Wirksam bei der Hälfte der Behandelten Bei Metastasen in Knochen oder Gehirn kann eine Bestrahlung sinnvoll sein. Wie bei der adjuvanten Behandlung können Immuntherapeutika oder zielgerichtete Medikamente zum Einsatz kommen, häufig werden sie kombiniert. Allerdings spricht nur die Hälfte der an einem metastasierenden Melanom Erkrankten auf die Therapie an; bei der anderen Hälfte verläuft die Erkrankung innerhalb

weniger Jahre tödlich. Die USZ-Dermatologen empfehlen deshalb immer die Teilnahme an klinischen Studien, weil dort neue Wirkstoffe und Kom‑ binationen getestet werden. Versagen alle gängigen Behandlungen, kann eine Chemotherapie durchgeführt oder palliativ bestrahlt werden. Weil die Behandlung sehr komplex sein kann, steht Melanom-Patientinnen und -Patienten am USZ seit zwei Jahren eine Fachexpertin Pflege Skin Cancer beratend zur Seite. Linda Morgan erläutert im persönlichen und ausführlichen Gespräch vor Beginn einer Behandlung, wie die verschiedenen Therapien wirken, wie sie verabreicht oder eingenommen werden, worauf besonders geachtet werden sollte und welche Nebenwirkungen auftreten können. Während einer Therapie steht sie als erste Ansprechperson zur Seite – das Angebot werde sehr dankbar entgegengenommen. Wenn keine Aussicht auf Heilung mehr besteht, versucht Linda Morgan, auch schwierige Themen wie Palliativversorgung und Sterben anzusprechen. Diese Gespräche seien auch für sie nicht immer einfach. Meistens kann sie dann wenigstens kleine Lösungen anbieten: den Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe der Krebsliga, zur Spitex, zur Ernährungsberatung, zum Institut für Komplementärmedizin oder zu einem Psychoonkologen.

+50 B LO CK T D I E ST R A H LU N G

Über Mittag, wenn die Sonne am stärksten strahlt, übrigens auch bei ­bedecktem Himmel, sollte die Haut besonders gut geschützt sein. Im Freien geht dies am besten mit UV-dichter Kleidung, Hut, Sonnenbrille und Sonnencreme. Je höher der Schutzfaktor der Creme ist, desto effektiver schützt sie vor UVA- und UVB-Strahlen. Bei 50+ dringt maximal ein Fünfzigstel der UV-Strahlung durch – es werden also 98 Prozent abgeblockt.


«Schwarzer Hautkrebs ist kein Todesurteil» Schwarzer Hautkrebs. Für den 44-jährigen Marco Hämmerli waren diese Worte früher gleichbedeutend mit Tod. Dann bekam er selbst die niederschmetternde Diagnose. Hier erzählt er seine Geschichte. Text: Marcel Gutbrod Bild: Thomas Egli

Beim Eishockey oder beim Skifahren kann Marco Hämmerli abschalten.

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ls mich der Arzt anrief und sagte, das Mut‑ termal sei bösartig, zog es mir komplett den Boden unter den Füssen weg. Den Rest des Tages dachte ich, ich bin in einem bösen Traum und wache jetzt dann auf. Leider war dem nicht so. Ein paar Tage zuvor hatte ich auf meinem Rücken ein Muttermal entdeckt, das sich von der Struktur her unterschied. Ich habe das zuerst nicht

ernst genommen, weil ich viele Mut‑ termale habe. Mein sechster Sinn meldete sich und ich beschloss, es einem Arzt zu zeigen. Der schnitt es raus und schickte es ins Labor. Nach der Schockdiagnose ging ich wandern wie noch nie. Vom Berner Oberland bis ins Wallis und zurück, ein‑ fach raus an die frische Luft. Ständig hatte ich diese Gedanken: Die Diagnose muss ein Fehler sein! Ich bin topfit, spiele regelmässig Eishockey. Das passt überhaupt nicht mit der Krebserkran‑ kung zusammen. Kurz darauf hatte ich bereits den ersten Termin am USZ mit der Fachärztin. Sie erklärte mir, dass meine Reaktion völlig normal sei bei der Diagnose Krebs. Auch die körperliche Leistungsfähigkeit sei anfangs noch nicht beeinträchtigt. Und das Wichtigste: schwarzer Hautkrebs sei kein Todesurteil. Es gebe verschie‑ dene Stadien der Erkrankung und effektive Behandlungsmöglichkeiten. Ich hatte grosse Angst vor der ­Behandlung. Als Erstes stand eine Ope‑ ration mit Vollnarkose an, weil die Lymphknoten bereits befallen waren. Danach ging ich alle drei Wochen zur Immuntherapie. Das USZ-Team war eine wichtige Stütze für mich in dieser Zeit. Sie haben mir alles genau erklärt, um mir die Angst zu nehmen. Die Oberärzte begegneten mir auf Au‑ genhöhe, und bei den persönlichen Begegnungen haben wir auch mal ge‑ lacht. Jeder und jede hat sich Zeit für mich genommen. Die zweite wichtige Stütze in dieser Zeit war meine Familie. Auch wenn ich es immer noch ungern

zugebe: In dieser Zeit kamen mir ein paarmal die Tränen. Als mich meine beiden Töchter Kaja und Lia so sahen, sagten sie: «Papi, du musst nicht trau‑ rig sein, die Krebsli gehen schon wieder weg.» Solche Momente waren ein Ge‑ schenk für mich, und sie halfen mir, mich auf das Positive zu konzentrieren. Während des Behandlungsjahrs ging bei mir im Kopf enorm viel ab. Ich hatte tausend Fragen und Gedan‑ ken. Irgendwann brauchte ich den Austausch mit Psychologen und Be‑ troffenen. Selbsthilfegruppen wie melanom-selbsthilfe.ch haben mir in dieser Zeit sehr geholfen. Dort kann man richtig abladen, und es belastet

«Ich dachte, die Diagnose muss ein Fehler sein.» Marco Hämmerli, Patient

niemanden. Für den Kopf und die Seele ist das wichtig. Meine Schilddrüse ging durch die Medikamente kaputt. Ich muss wahrscheinlich mein ganzes Leben lang Hormone nehmen. Dafür ist auch der Krebs weg. Die Immunthe‑ rapie hat voll angeschlagen. Aber der Krebs kann natürlich wiederkommen. Ich kann nur allen empfehlen, regel‑ mässig die Haut untersuchen zu lassen. Und falls es einen doch trifft: Niemals aufgeben! Die Medizin ist heute so weit, es gibt immer eine Chance!

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Wenn es ständig juckt Entzündliche Hauterkrankungen sind stark verbreitet. Besonders häufig und zugleich besonders unangenehm ist die Neurodermitis. Vieles ist bei dieser komplexen Erkrankung auch heute noch unklar. Text: Cindy Mäder Bild: iStock

Da sind sie wieder, die geröteten Stellen in Ellenbeugen und Kniekehlen. Wie schon im letzten Winter, kaum setzt die Heizperiode ein. Und dies, obschon Angela sehr gewissenhaft ist, was ihre Körperpflege anbelangt. Das Eincremen nach der täglichen Dusche gehört bei ihr zur Routine. Sie kann ihre Dermatitis einigermassen in Schach halten, aber bei sehr trockener Luft erleidet sie trotzdem immer wieder einen neuen Schub. «Das ist leider ein sehr typischer Fall», sagt Claudia Lang. Die Dermato-Allergologin ist auf Neurodermitis oder ­atopische Dermatitis spezialisiert und erforscht die Krankheit. «Das ist für die Patientinnen und Patienten oft frustrierend. Wir können inzwischen deutlich besser helfen, aber die Krankheit ist auch heute nicht heilbar.»

Neurodermitis ist die häufigste chronische Hauterkrankung bei Säuglingen. Sie tritt vor allem auf den Wangen und am Kopf auf.

Genetische Veranlagung Neurodermitis ist bei Kindern und ­Jugendlichen weltweit stark verbreitet, nahezu jedes fünfte Kind ist davon ­betroffen. Oft wächst sie sich bis ins Erwachsenenalter aus. Aber immerhin rund fünf Prozent aller Erwachsenen in der Schweiz leiden weiterhin an dieser entzündlichen Hauterkrankung. Die Diagnose wird dabei aufgrund des klinischen Bildes gestellt: Passt die Lokalisation der betroffenen Stellen? Verläuft die Erkrankung schubweise? Ist sie chronisch? Besteht Juckreiz? Die genaue Ursache ist auch weiterhin

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nicht vollständig geklärt. Nicht zuletzt, weil oft verschiedene Faktoren zu­ sammenkommen. Es gibt aber eine ge‑ ne­tische Veranlagung für die Entwicklung einer atopischen Dermatitis. «Wir wissen heute, dass bei sehr vielen dieser Patientinnen ein Protein, das für den Zusammenhalt der Hautzellen sorgen sollte, verändert ist», erklärt Claudia Lang. «Man kann sich das wie eine Mauer vorstellen: Die Steine sind die Hautzellen, der Mörtel da­ zwischen wird durch das Protein gefestigt. Ist dieses Protein fehlerhaft,

beginnt die ganze Mauer zu bröckeln und wird durchlässig.»

Gestörte Schutzfunktion Mit diesem Bild versucht die Spezialistin, den betroffenen Menschen zu erklären, was mit ihrer Haut passiert. Die Folgen sind gewichtig: Die Haut wird trocken und spröde. Das führt einerseits zum Juckreiz. Weil der Kitt oder Mörtel zwischen den Hautzellen fehlt, verliert die Haut zudem ihre Schutzfunktion, Erreger oder Allergene können viel einfacher eindringen. Sie


lösen lokale Entzündungen aus, die den Juckreiz zusätzlich verstärken. Und je nach Erreger kann so aus einer entzündlichen rasch eine infizierte Neurodermitis werden, zum Beispiel aufgrund einer Herpes-Infektion. «Umso wichtiger ist die konsequente Hautpflege», unterstreicht Karin Grando, Fachexpertin Pflege in der Dermatologie. Sie erklärt den Patientinnen und Patienten jeweils noch einmal im Detail die Rezepte und wie sie welche Produkte anwenden sollen. «Das tägliche, mehrmalige Eincremen mit rückfettenden Produkten ist dabei das A und O.»

diese Medikamente absetzt, kann es zu einem neuen Schub kommen. Oft werden die Medikamente auch nicht so gut vertragen.» Neue Me­di­ kamente sollen Abhilfe schaffen, indem sie spezifisch bei den relevanten Botenstoffen ansetzen. Sie

Keine typische Allergie

sollen also die Meldung abfangen, dass eine Entzündung bekämpft werden müsse, damit die «Feuerwehr» gar nicht erst ausrückt.

Sehr oft leiden diese Patientinnen und Patienten auch unter Heuschnupfen, Asthma oder Nahrungsmittelallergien. Diese Erkrankungen werden zusammen mit der Neurodermitis zu den atopischen Krankheiten gezählt. Atopie bedeutet, auf Umwelteinflüsse mit der Bildung von IgE-Antikörpern zu reagieren. Die atopische Dermatitis ist dabei nicht eine IgE-vermittelte Reaktion, also dass sich die Haut zum Beispiel beim Konsum von Haselnüssen unmittelbar verschlechtert. Trotzdem berichten einige Patienten über eine Verschlechterung des Hautzustands im Zusammenhang mit bestimmten Nahrungsmitteln oder in der Heuschnupfensaison. Es handelt sich um eine Entzündungsreaktion in der Haut, die durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird und zu einer überschiessenden Reaktion des Immunsystems führt.

«Die Schutzfunktion der Haut ist stark beeinträchtigt.» Karin Grando, Fachexpertin Pflege in der Dermatologie

allem aber kann sie einen länger­fri­s‑ tigen, positiven Effekt haben. Zudem ist die eigentliche Therapie extrem kurz: Nur gerade wenige Minuten dauert eine Sitzung. Ihr einziger Nachteil ist der manchmal erhebliche organisatorische Aufwand für zwei bis drei Sitzungen wöchentlich während drei bis vier Monaten. Die Behandlung in den Arbeitsweg integrieren: Mit dem Angebot des USZ im Circle am Flug­ hafen Zürich wird dies für manchen vielleicht einfacher.

Mit der Krankheit leben lernen

Wirksam, einfach und ohne Nebenwirkungen Die zweite Therapie der Wahl nach entzündungshemmenden Salben wie Kortison ist die Lichttherapie. Sie wirkt direkt auf die Haut, ist praktisch frei von Nebenwirkungen und damit auch für Schwangere geeignet. Dank Filterung auf eine spezifische Wellenlänge im UVB-Spektrum erhöht sie auch das Hautkrebsrisiko nicht. Vor

Für Karin Grando das Wichtigste: dass die betroffenen Menschen lernen, mit der Krankheit und dem ständigen Juckreiz umzugehen. Und nicht aufzugeben. Es sind einfache Tipps, die sie den Patienten mitgeben kann. «Wenn die Zeit reicht. In erster Linie erklären wir nach dem Arzt­gespräch noch mal die verordnete Therapie und wie sie die Medikamente anwenden, auftragen oder einnehmen müssen.» Welche Tipps würde sie noch vermitteln? «Alles vermeiden, was die Haut zusätzlich belastet. Also nicht heiss und mit weichem Wasserstrahl duschen, sich abtupfen, keinesfalls rubbeln. Oder auch mal die Unterwäsche mit den Nähten nach aussen tragen.»

FORSCHUNG

Therapie über mehrere Stufen Bei einem akuten Schub kommt lokal oft Kortison zum Einsatz. Die Im­ munantwort und damit die heftige entzündliche Reaktion werden so lokal gehemmt. Die Nebenwirkungen für den Körper sind gering, da lokales Kortison kaum in den Blutkreislauf gelangt. Bei grossflächig auftretender Neurodermitis kommen kurzzeitig auch Medikamente zum Einsatz, die das Immunsystem insgesamt dämpfen. Für die Dermatologin aber keine nachhaltige Option. «Sobald man

Vieles ist bei der atopischen Dermatitis noch unklar. Um Zusammenhänge zu erkennen und damit auch die Mechanismen der Erkrankung besser zu verstehen, ist das USZ unter der Leitung von Peter SchmidGrendelmeier, Leiter der Allergiestation, und Claudia Lang in einem Register involviert, das Patientinnen und Patienten über fünf Jahre begleitet und ihren Krankheitsverlauf detailliert dokumentiert. Ein ­ anderes Projekt unter der Leitung von Charlotte Brüggen, ebenfalls Dermatologin, untersucht, ob allenfalls Pilze im Darm oder Bestandteile davon ins Blut gelangen und in der Haut Entzündungen auslösen. In diesem Fall könnte eine Therapie bei der Veränderung der Darmflora ansetzen. Dieses Projekt wird von der USZ Foundation unterstützt.

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«Manchmal ist detektivischer Spürsinn gefragt» Viele Allergien zeigen sich auf der Haut. Claudia Lang, Oberärztin auf der Allergiestation der Dermatologischen Klinik des USZ, erklärt, was Allergien dort verursachen können – und warum deren Ursache nicht immer so einfach herauszufinden ist. Text: Claudio Jörg Bilder: iStock, Markus Bär

Claudia Lang, was ist eigentlich eine Hautallergie? Den Begriff Hautallergie verwenden wir in der Dermato-Allergologie nicht, weil sich eine Allergie nicht auf ein bestimmtes Organ bezieht. Wir sprechen ja auch nicht von einer Nasen‑ allergie beim Heuschnupfen. Wenn von Haut­allergie gesprochen wird, handelt es sich um Allergien, die eine Hautreaktion auslösen.

Das heisst, die Betroffenen leiden unter einer allergischen Reaktion, also einer überschiessenden Antwort des Immunsystems, die sich auf der Haut zeigt. Ja, das Immunsystem ist lernfähig und weiss normalerweise, welche Fremdstoffe schädlich sind und welche nicht. Bei einer Allergie funktioniert diese Unterscheidung aber nicht mehr richtig. Die Folge ist, dass der Körper fälschlicherweise eine Immunantwort auslöst auf Stoffe, die eigentlich vertragen werden sollten. Oft gehen die Reaktionen auf der Haut einher mit anderen Beschwerden – etwa Durchfall oder Atemnot. Auf der Haut selbst kann es dann brennen und jucken, oder es kommt zu Rötungen, Schwel‑ lungen oder Quaddeln.

Quaddeln? Das sind Hautschwellungen der oberen Hautschicht. Sie sehen aus wie Haut, die mit Brennnesseln in Kontakt gekommen ist.

Welche Allergien machen sich vornehmlich auf der Haut bemerkbar?

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Da differenzieren wir zwischen ­ nterschiedlichen Formen. Ganz grob u kann man unterscheiden zwischen Nesselfieber, Schwellungen, ekzematösen Kontaktallergien und Arznei‑ mi­ttel­reaktionen. Beim Nesselfieber kommt die Reaktion in Form von Quaddeln auf der Haut – und zwar ­sofort nach dem Kontakt mit dem Allergen, also dem Stoff, der die Allergie auslöst. Dabei kann es sich zum Beispiel um Nahrungsmittel handeln, um Medikamente oder Insektenstiche.

Und bei Kontaktallergien dauert es länger, bis es zu Hautreaktionen kommt? Da können Tage vergehen, bis es Probleme gibt. Das Allergen hat immer ­wieder direkten Kontakt mit der Haut und führt mit der Zeit zu einem Ekzem. Nickel in Schmuck ist hier ein Thema, aber auch Parfüm, Kosmetika oder Malerfarben.

Gibt es Fälle, bei denen unklar ist, woher die Allergie stammt? Ja, das kommt immer wieder vor. Dann befragen wir die Patienten nach ihren Lebensumständen bei der Arbeit oder zu Hause und machen entsprechende Tests. Manchmal ist für mich als Ärztin buchstäblich detektivischer Spürsinn gefragt.

Können Sie ein Beispiel erzählen? Wir hatten eine Patientin, die beim Trinken von Orangensaft Nesselfieber bekam. Des Rätsels Lösung lag nach vielen Tests und langen Untersuchungen im Umstand, dass die im Saft ver-

wendeten Orangenschalen mit einem Überzugsmittel gewachst wurden, das bestimmte Insekten enthielt, die mit

Claudia Lang, Oberärztin Allergiestation, Dermatologische Klinik des USZ

Milben kreuzallergisch reagieren. Die Patientin hatte nämlich auch eine ausgeprägte Milbenallergie.

Gibt es Behandlungsmöglichkeiten? Wenn das Allergen bekannt ist, sollten es die Betroffenen meiden. Das ist aber nicht immer so einfach. Wer zum ­Beispiel schon auf Spuren von Sellerie allergisch reagiert, hat es schwer, weil Sellerie in allen möglichen Lebensmitteln vorkommt – auch in Salat‑ saucen oder Gewürzmischungen. Eine akute allergische Reaktion wird in der Regel mit Antihistaminika, Kortison oder in schweren Fällen mit ­Adrenalin behandelt. Diese drei Medikamente tragen starke Allergiker immer mit sich in einem Notfallset. Für den Heuschnupfen ist eine Desensi­ bilisierungstherapie möglich. Kontaktallergien werden meistens kurzzeitig mit Kortisonsalben behandelt.


Schwindende Haarpracht, brüchige Nägel Haar- und Nagelerkrankungen sind häufig. Und in vielen Fällen gut behandelbar. Zentral ist eine frühzeitige Abklärung der Ursache. Text: Martina Pletscher Bild: Adobe Stock

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edizinisch sind Haare und Nägel Hautanhangsge‑ bilde, die Natur hat sie als Schutz vorgesehen. Prächtiges Haar gilt aber auch als Zeichen für Schön‑ heit, Kraft und Attraktivität, und das Haar hat ­einen eminenten Einfluss auf das Erscheinungsbild eines Men‑ schen. Weil Haare und Nägel gut sichtbar sind, ­fallen auch Veränderun‑ gen an deren Beschaffenheit schnell auf. Und solche sind nicht selten. «Die häufigsten Veränderungen betreffen die Haare und deren Menge: Es sind zu viele oder zu wenige», erklärt Thomas Kündig, ­Direktor der Dermatologi‑ schen Klinik am USZ. Pro Tag kommen 20 bis 30 Patientinnen und Patienten deswegen in die Sprechstunde.

Bei Haarverlust keine Zeit verlieren Ob eine Erkrankung dahintersteckt, sollte rasch von einem Dermatologen abgeklärt werden, rät Thomas Kündig. Denn so häufig gerade Haar‑ probleme auftauchen, so beruhi­‑ gend ist es, dass in den weitaus meisten Fällen der Grund dafür rasch gefun‑ den wird und eine wirksame Therapie zur Verfügung steht. «Für den Ein‑ fluss von Ernährungsumstellungen und speziellen ­Diäten, aber auch für viele nicht­medizinische Therapien von Haar- und Nagelproblemen gibt es keine ­wissenschaftlichen Nach‑ weise», stellt Thomas Kündig klar. «Versuche damit verlängern nur die Leidenszeit, und schlimmstenfalls geht bis zur wirksamen Behandlung durch Spezialisten Haar auch ­unwiederbringlich verloren.»

Zwei Arten von Haarverlust Gerade bei Haarverlust ist es deshalb wichtig, die Ursachen schnell abzu­ klären. Dabei werden zwei Formen un‑ terschieden: der nicht vernarbende Haarausfall, bei dem sich der Haar‑ wuchs wieder einstellt, und der v­ernar‑ bende Haarausfall, bei dem die Haar‑ wurzeln zerstört werden und das Haar dauerhaft verloren geht. Der vernar‑ bende Haarausfall lässt sich meistens stoppen; je früher dies geschieht, umso mehr Haar bleibt erhalten. Zum nicht vernarbenden Haarausfall zählt zum Beispiel der kreisrunde Haaraus‑ fall. Auch dieser lässt sich in der Regel gut behandeln. Ursache für Haarausfall können Immunerkrankungen sein, bakterielle Erkrankungen, Pilzerkran‑ kungen oder eine Fehlfunktion der Schilddrüse. Aber auch Eisenmangel, Medikamente oder eine Chemothe­ rapie können zu Haarausfall führen.

Die Ursache wird meist gefunden Häufiger Grund, den Arzt aufzusuchen, ist die abnehmende Haarpracht mit zunehmendem Alter, ein sogenannter androgenetischer Haarausfall, der bei Männern, aber auch bei Frauen

auftritt. «Auch dagegen stehen wirk‑ same Mittel zur Verfügung», sagt Thomas Kündig. Allerdings müssen diese ohne Unterbruch als Medika‑ mente eingenommen, andere als Tink‑ tur täglich zweimal auf die Kopfhaut aufgetragen werden. Und: Die Patien‑ tinnen und Patienten müssen die Behandlungskosten selber tragen, da diese Form des verminderten Haar‑ wuchses von den Krankenkassen nicht als Krankheit eingestuft ist. Für viele ist der Haarverlust jedoch so gravie‑ rend, dass sie den Aufwand, mögliche Nebenwirkungen und die Kosten in Kauf nehmen. Auch bei Nagelerkrankungen wird die Ursache in den meisten Fällen gefunden. «Sie sind häufig eine Be‑ gleit­erscheinung anderer Hautkrank‑ heiten wie bei Lichen ruber oder einer Fehlfunktion der Schilddrüse. Aber auch Chemotherapien und bestimmte Medikamente können Einfluss auf die Nägel haben.» Wichtig ist Thomas Kündig auch hier, das Problem rasch und von der Dermatologin oder vom Dermatologen beurteilen zu lassen, denn: «In nahezu allen Fällen können wir wirksam und schnell helfen.»

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Zerstörte Haut reparieren Unfälle, Verletzungen oder Infektionskrankheiten können zu Narben auf der Haut führen. Je nach Art, Grösse und Alter der Narbe ist die Behandlung ganz unterschiedlich.

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Text: Katrin Hürlimann Bilder: Adobe Stock, USZ, Nicolas Zonvi

eim Kochen in den Finger ge‑ schnitten haben wir uns fast alle schon einmal. Eine solche kleine Verletzung in der Haut heilt innert weniger Tage ab – zurück bleibt allenfalls eine feine Narbe, die kaum sichtbar ist und nicht stört. Je nach Körperstelle ist die Narbenbildung besser oder schlechter, weiss Nicole Lindenblatt. Die stellvertretende Leiterin der Klinik für Plastische Chir‑ urgie und Handchirurgie erklärt: «Die Haut ist nicht überall am Körper gleich dick. Zum Beispiel ist sie im Gesicht dünner als an anderen Körper‑ stellen. Auch ist die Narbenbildung von der Körperregion, aber auch von anderen Faktoren wie Alter, Span‑ nung oder Hauttyp abhängig.» Bei vie‑ len Narben rät Nicole Lindenblatt, erst mal abzuwarten. «Narben reifen mit der Zeit», sagt sie. Fast jede Narbe werde von selber besser, res­ pektive dünner und weniger rot.

Für jede Narbe die richtige Therapie Sind Narben ästhetisch störend oder schränken sie Menschen in ihrer Beweglichkeit ein, kommen verschie‑ dene Therapien zum Einsatz. Bei kleinen Narben im Gesicht arbeitet Nicole Lindenblatt mit Eigenfett­ unterspritzungen. «Das gibt Volumen und füllt die Narben, wodurch sie weniger sichtbar sind.» Auch bei Ver‑ brennungspatienten oder bei Narben nach Brustrekonstruktionen oder Be‑ strahlungen, wenn die Haut gerötet ist, wird diese Behandlung angewen‑

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Laurence Imhof, Leitende Ärztin der Dermatologischen Klinik, behandelt eine Patientin mit dem Laser – je nach Art der Narbe eine wirksame Therapie.


det. «Im Eigenfett sind Stammzellen und andere Moleküle, die regenerativ wirken», weiss Nicole Lindenblatt, «diese machen die Haut weicher und verbessern das Hautbild.» Manch‑ mal wird vor dem Spritzen von Eigen‑ fett ein Needling durchgeführt: Dabei wird die Haut mit ganz feinen Nadeln behandelt. Auf diese Mikro­ verletzungen reagiert die Haut mit verschiedenen Wundheilungs- und Wachstumsfaktoren.

Normotrophe Narbe

Hypertrophe Narbe

Keloid

Atrophe Narbe

Lasern, aber richtig Eine weitere Methode ist die Behand‑ lung mit dem Laser. Die Leitende Ärztin Laurence Imhof hat viel Erfahrung da‑ mit; sie ist eine der wenigen in Europa mit einer Habilitation im Gebiet der Lasermedizin. «Am USZ behandeln wir viele komplexe Fälle; Patientinnen und Patienten, die an anderen Orten nicht mehr weitergekommen sind», sagt sie. «Um eine Laserbehandlung in Betracht zu ziehen, müssen wir zu­erst unterscheiden, ob es sich um eine pa‑ thologische oder physiologische Nar‑ benbildung handelt», erklärt Laurence Imhof. Pathologische Narben unter‑ scheiden sich in Grösse, Form und Farbe deutlich von ihrer Umgebung. Hierzu gehören Keloide und hypertrophe Nar‑ ben, die sich durch eine übermässige Substanzvermehrung wulstartig über das normale Hautniveau erheben (vgl. Box zu Keloid, S. 28). Bei diesen Narben kommen primär äusserliche medi­kamentöse Therapien zum Ein‑ satz. Bleibt diese Therapie ohne Er‑ folg, kann eine Laser­therapie helfen, zum Beispiel mittels gefässselektiver oder fraktionierter Laser. Durch frakti‑ oniertes Lasern wird die Haut quasi umgebaut, wodurch es zu einer Norma‑ lisierung der zellulären und bindege‑ webigen Strukturen, der Gefässe, der Nerven und wahrscheinlich auch des Immunsystems der betroffenen Haut‑ stelle kommt. Dadurch verbessern sich häufig der Juckreiz, die Rötung, die Festigkeit, die Pigmentierung und die Dicke der Narben. Das gilt auch für eingefallene Narben – sogenannte atrophe Narben. Auch zur Eliminierung von Schmuck- und Schmutztätowie‑

Je nach Art der Narbe kommen andere Therapien zum Einsatz.

rungen kommt der Laser zum Einsatz. Schmucktätowierungen sind uns allen ein Begriff: Manche Menschen wollen sich ihre Jugendsünden dauerhaft ent‑ fernen lassen. Unter einer Schmutz­ tätowierung versteht man dagegen Pig‑ mente, die ungewollt unter der Haut bleiben: Das können nach einem Ver‑ kehrsunfall kleinste Teilchen Asphalt sein oder Rückstände von Schwarz­

wie Flecken nach häuslicher Gewalt», erklärt Laurence Imhof den Leidens‑ druck. Bei allen Arten von Tätowierun‑ gen sind die Pigmentpartikel in den tieferliegenden Hautschichten abgela‑ gert und zeigen deshalb keine spon‑ tane Aufhellung. Der Laser zertrüm‑ mert die Partikel, sodass sie einfacher über das Lymphsystem abtranspor‑ tiert werden können. «Es braucht im‑ mer mehrere Behandlungen», weiss Laurence Imhof. Wie viele das sind, bis die Pigmente nicht mehr sichtbar sind, variiert je nach Art der Täto­ wierung, deren Farbe, Dichte und Tiefe der Pigmentpartikel.

Manchmal braucht es die Chirurgin

«Wir empfehlen oft, Narben nicht zu operieren.» Nicole Lindenblatt, Stv. Direktorin der Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie

pulver nach einer Explosion. Relativ häufig sind auch grosse, braune Flecken nach einer Eiseninfusion, die nicht in, sondern neben die Venen gelaufen ist. «Für die Betroffenen kann das stigma‑ tisierend sein, weil es aussehen kann

Die komplexesten Narben entstehen nach Verbrennungen. Die Betroffenen haben zum Teil tiefe Wunden im ­Gesicht. «Diese Narben sind aus ästhe­ tischer und funktioneller Sicht eine Her­ausforderung», erläutert Nicole Lindenblatt. Oft sind die Lider ver‑ brannt und ziehen nach unten, die Pa‑ tient*innen können nicht mehr lä‑ cheln oder essen, und auch der Hals ist nach unten gezogen. «Das Problem hier ist: Das Gesicht wird nie mehr normal aussehen, selbst wenn wir über‑ all eine Lappenplastik durchführen», so Nicole Lindenblatt. Lappenpla­s­ tiken werden angewendet, um ganze Narbenstränge aufzulösen. Die Chir­ urginnen und Chirurgen lösen dann

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ein Stück Haut zum Beispiel vom Bein und schliessen es an der vernarbten Stelle an. An der unauffälligen Stelle am Bein wird die Haut zusammen­ genäht – was natürlich ebenfalls zu einer feinen Narbe führt. Zurück zu den Narben im Gesicht: Manchmal sei warten oder eine Eigen­ fetttherapie am besten. Schneidet man Narben auf und näht sie neu zusam­ men, braucht das nämlich enorm viel Erfahrung. «Wir versuchen, Narben­ stränge zu vermeiden, indem wir einen Zickzack einbauen. Prinzipiell kann aber jede Narbe durch eine erneute Korrektur schlechter werden», warnt Nicole Lindenblatt. Grossflächige Nar­ benkorrekturen im Gesicht gehören deshalb nur in sehr erfahrene Hände. Chirurgisch gibt es eine weitere Methode, Narben zu behandeln: Man schleift die Haut ab. Am USZ setzt man allerdings mehr auf regenerative Methoden, weil durch das Ab‑ schleifen auch wieder eine Narbe produziert wird.

Mehrere Behandlungen nötig «Häufig braucht es mehrere Ansätze, um eine Narbe zu verbessern», sagt Laurence Imhof. Wurde eine Narbe operativ korrigiert, werden mit dem Laser allenfalls noch die Über­ gänge «weichgezeichnet». Deshalb führen Laurence Imhof und Nicole Lindenblatt auch eine gemeinsame Sprechstunde: «Wir behandeln viele Patienten, die uns beide betreffen», ergänzt Nicole Lindenblatt. Die inter­ disziplinäre Zusammenarbeit hilft, für die Patient*innen das beste Resultat zu erzielen. «Unsere grösste Heraus‑ forderung sind die Ansprüche der Pati­ entinnen und Patienten», so Laurence Imhof. Manchmal hätten sie unrealis­ tische Vorstellungen davon, inwieweit Narben entfernt werden können. «Ziel ist immer, dass die Narbe sehr unauf­ fällig wird», sagt Nicole Lindenblatt. Ist die Haut einmal komplett durchtrennt, entsteht aber zwangsläufig eine Narbe. Das kann nicht rückgängig gemacht werden. Und es gibt leider auch welche, die nicht behandelbar sind. Die gute Nachricht: In den meisten Fällen kann eine Narbe verbessert werden.

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K E LO I D E

Jürg Hafner, Leitender Arzt der Dermatologischen Klinik

Jürg Hafner, was sind Keloide? Ein Keloid ist eine Narbe, die über das Ziel der reinen Wundheilung hinausschiesst und ständig weiterwächst. Keloide sind wulstig oder kugelig, können jucken und nach Berührung schmerzen, und vor allem sind sie­ ­ästhetisch störend. Menschen mit dunkler Hautfarbe haben ein erhöhtes Keloid-Risiko. Weshalb, weiss man noch nicht. Wann bilden sich Keloide? Es gibt Stellen am Körper, die sind häufiger davon betroffen, zum Beispiel die Ohrläppchen oder der Bauchnabel nach einem Piercing, das Brustbein nach Operationen oder die Haut am Oberarm nach Impfungen. Seltener auch der Unterbauch bei Frauen nach einem Kaiserschnitt. Auch Akne kann viele kleine Keloide am Oberkörper hinterlassen. Entzündungen oder In­ fektionen der Haut und gespannte chirurgische Operationsnähte begünstigen die Keloid-Entstehung. Wie werden Keloide behandelt? Es gibt wenig medizinischen Konsens, wie Keloide optimal behandelt­ ­werden. Das Problem sind die sehr häufigen Rückfälle. Keloide verhalten sich «rebellisch». Eine klassische und bewährte Therapie ist das «Einfrieren» mit flüssigem Stickstoff (Kryotherapie). Das ist besonders wirksam, wenn das Keloid durch geeignete Gefriertechniken auch von innen heraus ge­ froren wird. Weiter können Keloide mit Kortisonpräparaten infiltriert werden. Man hat herausgefunden, dass diese Therapie einen grösseren Effekt hat und nachhaltiger ist, wenn man das Kortison mit einem Chemotherapiemittel kombiniert. Wir wenden das auch an. Eine weitere Option ist, das Keloid herauszuschneiden und direkt im Anhang zu bestrahlen. Aber auch hier kommt es nicht selten später zu Rückfällen. Bestrahlt man nach dem Herausschneiden gar nicht, kommt es fast immer zum Rückfall. Kann man alle Keloide behandeln? Es gibt Keloide, die haben 10 cm und mehr Durchmesser, die mit konven­ tionellen Methoden sehr schwer zu behandeln sind. Bei kleineren Keloiden gibt es fast immer eine Chance auf Besserung. Da hoffen wir auf die grossen Fortschritte der Forschung, unter anderem an der ETH Zürich. Vielleicht werden wir in Zukunft die Möglichkeit haben, die molekularen Vorgänge im Keloid direkt zu beeinflussen und so den Patienten viel wirksamer zu helfen, als wir es heute können.


Wie Wunden heilen Der Schutz vor einer Infektion und eine saubere Naht sind die wichtigste Grundlage für eine gute Heilung. Ist eine Wunde chronisch, gilt es die Ursache zu finden. Text: Helga Kessler Bild: Nicolas Zonvi

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inen Kratzer oder einen kleinen Schnitt kann der Körper selbst kurieren – die Selbstheilungs­ kräfte der Haut sind enorm. In nur vier Wochen haben sich alle Zellen der Haut komplett erneuert. Der kleine Kratzer oder Schnitt ist nicht mehr sichtbar. Grössere Schnitte und tiefere Wunden heilen langsamer. Wie gut das gelingt und ob das Ergebnis op­ tisch schön wird, hängt auch von der Nahttechnik des Chirurgen ab. «Es gibt zig Techniken, aber am wichtigs­ ten ist, dass die Wundränder exakt an­ einander liegen», sagt Hautchirurg Jürg Hafner. Durch die Narbenreifung in den ersten Monaten verbessert sich das Resultat weiter. Entsteht keine Infektion, sind die meisten Operationswunden nach vier Wochen gut verschlossen, nach einem halben Jahr bis einem Jahr erinnert nur noch eine feine Nahtlinie an die einstige Wunde. Selbst unverschlossene grössere Wunden heilen innerhalb von etwa zwei Monaten von alleine ab. «Wenn wir Hochbetagte mit weissem Hautkrebs operieren, legen wir beson­ deren Wert auf eine schonungsvolle und sichere Lokalanästhesie. Oft ver­ schliessen wir die Wunden unauf­ wändig und lassen sie in der Mitte etwas offen», erklärt Jürg Hafner. Ältere Menschen hätten oft die Geduld für einen längeren Heilungsprozess. Unterstützend setzen die USZ-Der­ matologen einen Spray ein, der pflanz­ liche Extrakte enthält, unter anderem

von Neem und Johanniskraut, und dessen Wirkung sie in einer Studie nachgewiesen haben. Von Salben rät Jürg Hafner ab, weil sie die Naht aufweichen und den Heilungsprozess dadurch eher verlangsamen.

Interdisziplinäre Wundsprechstunde Heilt eine Wunde trotz korrekter Be­ handlung auch nach sechs Wochen nicht ab, spricht man von einer chro­ nischen Wunde. Leider erfolge die Be­ handlung häufig nicht nach den ärzt­ lichen Leitlinien, kritisiert Jürg Hafner: «Wichtig ist, dass zuerst die Ursache für die gestörte Heilung abgeklärt wird.» Am USZ gibt es dafür wöchent­ lich eine interdisziplinäre Wund­ sprechstunde, an der Gefässchirurgen, Angiologinnen, orthopädische Chi­ rurgen, plastische Chirurginnen und Dermatologen teilnehmen. Gemein­ sam diskutieren sie Fälle und legen einen individuellen Behandlungsplan fest. Bei Bedarf können weitere USZDisziplinen hinzugezogen werden. Die Ursachen einer gestörten Wund‑ heilung können sehr vielfältig sein. Es kann sich um eine arterielle Durch­ blutungsstörung handeln wie bei der Stoffwechselstörung Diabetes mellitus. Auch venöse Insuffizienzen, wo der Rückfluss des sauerstoffarmen Blutes zum Herzen nicht funktioniert, sind möglich, ebenso Autoimmun- oder In­ fektionskrankheiten. In den letzten Jahren sei viel dazu geforscht worden, sagt Jürg Hafner. Entsprechend gross

Sina Baechler ist Pflegefachfrau Wundberatung – viele ihrer Patientinnen und Patienten leiden an chronischen Wunden.

sind die Behandlungsmöglichkeiten für chronische Wunden. Sie reichen von chirurgischen Verfahren bis zur Physio­ therapie und fallweise auch Ernäh­ rungsberatung. Für die Wundpflege selbst steht heute eine Vielzahl an Verbänden, Salben und Techniken zur Verfügung. Angewendet werden sie von speziell geschulten, diplomierten Wundexpertinnen aus der Pflege. Sie betreuen ihre Patientinnen und Pati­ enten so lange, bis auch die chronische Wunde abgeheilt ist – manchmal nach Wochen, selten erst nach Monaten.

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#facesofusz Bridget Asante

Die Pflegeexpertin APN betreut in der Klinik für Altersmedizin betagte Patientinnen und Patienten. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit macht die tägliche Arbeit herausfordernd und die Behandlung für die Patienten optimal. Text: Katrin Hürlimann Bilder: Christoph Stulz

Steckbrief Bridget Alter: 31 Jahre Beruf: Pflegeexpertin APN Am USZ seit: 7 Jahren Arbeitspensum: 100 Prozent Lieblingstätigkeit: Patient*innen im Selbst­ management unterstützen und befähigen Heimatland: Deutschland Grösste Herausforderung: interdisziplinäre Zusammenarbeit

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#facesofusz ist unsere Serie auf Instagram. Jeden zweiten Mittwoch erscheint ein Porträt über engagierte, interessante und aussergewöhn­ liche Mitarbeitende, die sich mit Haut und Haaren ihrer Arbeit am USZ verschrieben haben. www.instagram.com/ universitaetsspitalzuerich


«D

ie Altersmedizin hat Zu­ kunft: Wir werden alle immer älter. Oft hat man eine falsche Vorstellung davon: dass ­ alle Patient*innen verwirrt und gebrechlich seien. Dabei gibt es meist noch ganz viel Potenzial für diese Menschen. Und in der Altersmedizin wird der Mensch ganz­ heitlich betrachtet und behandelt. Das ge­ fällt mir sehr gut. Nach einem Sturz ­haben betagte Menschen vielleicht ein komplexes chirurgisches Problem, zu­ sätzlich zu schon bestehenden internis­ tischen Krankheiten. Unser Ziel ist es, ihre bestehenden Ressourcen zu fördern und in die Therapien miteinzubeziehen. Oft sehen wir schnell gute Fortschritte, da wir den Fokus auf den Erhalt der Funk­ tionalität und der Selbstständigkeit legen. So können wir die Menschen mit oder ohne Unterstützung in ihr gewohntes Um­ feld entlassen oder in eine andere, gute Anschlusslösung. Da spürt man viel Dank­ barkeit von den Patient*innen und den Angehörigen. Natürlich gibt es Situationen, die belastend sind. Der Austausch mit ­anderen hilft mir, gut damit umzugehen – ob mit Arbeitskollegen oder im privaten Umfeld. Wir arbeiten sehr interdisziplinär, das macht jeden Tag zu einer positiven Herausforderung. Quer durchs Haus wer­ den uns Patientinnen und Patienten ­ für die Frührehabilitation zugewiesen: von der Kardiologie, der Inneren Medizin oder vom Alterstraumatologie-Zentrum. Einmal pro Woche besprechen wir unsere ­Patient*innen mit den Therapien, dem ­Sozialdienst, der Seelsorge und den Ärzten. Ich habe die fachliche Führung seitens Pflege auf der Abteilung, das heisst, ich führe neue Pflegemitarbeitende ein, gebe interne Weiterbildungen zu geriatri­ schen Themen und arbeite manchmal auch am Bett mit. Zudem bin ich eine Art Bindeglied zwischen den verschiedenen Professionen. Zusammen mit einer ­Ober­ärztin führe ich auch die DemCare Sprechstunde für Angehörige von Demenz­ kranken durch. Mir ist es ein Anliegen, dass sich die Menschen befähigt fühlen, Angehörige gut zu begleiten. ­Mir ge­fällt der Pflegeberuf, weil man so viel bewirken kann.

»

Mein Arbeitsplatz am USZ

Das Team der Altersmedizin tauscht sich regelmässig über die Patient*innen aus.

Bridget Asante schätzt die Zusammenarbeit mit betagten Menschen. K L I N I K F Ü R A LT E R S M E D I Z I N

30 FaGe und diplomierte Pflege­ fachpersonen kümmern sich in der Klinik für Altersmedizin am USZ um die Patient*innen. In der akutmedizinischen Behandlung älterer Patienten und Patientinnen unterstützt das Team der Klinik ­ für Altersmedizin zudem alle Fach­ disziplinen am USZ mit einem altersmedizinischen Konsiliardienst, bei dem auch die Pflege involviert ist.

Patientinnen und Patienten befähigen, wieder selbst­ ständiger zu werden: ein grosses Anliegen von Bridget Asante.

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Tückischer Schläfer Tuberkulose – eine Seuche aus vergangenen Tagen? Ganz im Gegenteil: Die Infektionskrankheit gibt es durchaus noch, auch in der Schweiz. Text: Manuela Britschgi Bilder: USZ, WHO

0–9 10 – 49 50 – 99 100 – 299 300 – 499 ≥ 500 Keine Daten Nicht anwendbar Geschätzte TB-Inzidenzraten pro 100’000 Personen pro Jahr, 2020

I

m Jahr 2020 erkrankten weltweit 9.9 Millionen Menschen an Tuberkulose, und 1.5 Millionen starben daran. Damit ist die Tuberkulose nach COVID-19 die Infektionskrankheit mit den zweitmeisten Todesfällen weltweit. Die meisten Erkrankten gibt es in der südlichen Hälfte Afrikas und in Asien. Doch auch die Schweiz verzeichnet jährlich noch rund 500 Fälle.

Infektionskontrolle durch Contact Tracing Die meisten der mit Tuberkulose infizierten Personen in der Schweiz haben sich in einem Land angesteckt, in dem die Tuberkulose noch weit verbreitet ist. Dass die Krankheit in der Schweiz eingedämmt werden konnte und sich auch bei neuen Fällen nicht weiter ausbreitet, liegt vor allem an einer sofortigen Isolation und der umgehen-

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den Behandlung der Patientinnen und Patienten sowie an einem rigorosen Contact Tracing. Dabei ist die Diagnose

fisch, Fieber, Husten, allgemeines Unwohlsein, nächtliches Schwitzen oder Gewichtsverlust kommen auch bei vielen anderen Erkrankungen vor», erklärt Silvan Vesenbeckh, Oberarzt in der Klinik für Pneumologie.

«Schläfer» im Körper

«Nicht jeder Tuberkulose-Patient ist ansteckend.» Silvan Vesenbeckh, Oberarzt der Klinik für Pneumologie

zu Beginn oft gar nicht so einfach zu stellen. «Die Symptome sind unspezi-

Hinzu kommt, dass eine Infektion mit Tuberkulose-Erregern nicht zwangsläufig zu einer Erkrankung führt. Rund 90 Prozent der Infizierten tragen das Bakterium zwar in sich, haben aber keine Symptome und sind auch nicht ansteckend für andere. Die Abwehr­ zellen bilden einen Wall um die Erreger und kapseln diese so vom Rest des umliegenden Gewebes ab. Dort können sie über Jahre überleben, ohne dem Infizierten zu schaden. Diese latente Infektion kann aber aktiv, also zur Erkrankung werden. Zum Beispiel, wenn


das Immunsystem geschwächt ist und den Wall nicht weiter aufrechter­ halten kann, beispielsweise bei einer HIV-Infektion oder auch im Alter. So können Menschen auch Jahre nach der eigentlichen Infektion noch plötzlich erkranken.

DREI FRAGEN AN

Eine Erkrankung des gesamten Systems Die Tuberkulose ist eine Tröpfchen­ infektion. «Wird die Atemluft eines Menschen mit offener Lungentuber­ kulose über längere Zeit eingeatmet, kann sich die Person infizieren.» Nicht jeder Tuberkulose-Kranke ist jedoch ansteckend, erläutert Silvan Vesenbeckh. Weil die Bakterien in der Regel über die Atemwege in den Körper eintreten, betreffen rund 80 Prozent der gemeldeten Tuberkulose-Erkrankungen primär die Lunge. Die Erreger können aber auch andere Organe ­befallen wie Lymphknoten, Rippenfell, Knochen, Gelenke oder Gehirn. Meist gelangen die Bakterien über die Lymph- und Blutbahn in andere Organe und bilden auch dort Entzündungsherde. Ohne Behandlung kann die Erkrankung tödlich verlaufen.

Therapie als Geduldsprobe Die gute Nachricht: Tuberkulose lässt sich gezielt behandeln und hat sehr gute Heilungschancen. Die Therapie ist jedoch langwierig. Erkrankte ­müssen in der Regel über sechs Monate eine Kombination aus verschiedenen Antibiotika einnehmen. Das ist für die Betroffenen nicht immer einfach. Auch wenn sich die Symptome bessern, muss die Therapie unbedingt bis zum Ende fortgeführt werden. Sonst droht ein Rückfall oder auch die Entstehung von Resistenzen. Nebenwirkungen ­erschweren oft auch die Therapie. «Daher ist es sehr wichtig, die Therapie engmaschig zu überwachen», sagt Silvan Vesenbeckh. Die Patientinnen und Patienten werden vom Ärzteteam und von der Lungenliga Zürich während der ganzen Behandlung begleitet.

Neue Impfung in der Pipeline Antibiotikaresistenzen sind einer der Gründe, warum die Entwicklung einer

Johannes Nemeth Oberarzt der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene

Johannes Nemeth, Sie beschäftigen sich mit latenten Tuberkulose-Infektionen. Worum geht es in Ihrer Forschung? Wir fanden zusammen mit unseren Partnern in Seattle, USA, bei ­Mäusen heraus, dass diese nicht ein zweites Mal mit Tuberkulose infiziert werden konnten, wenn sie bereits latent erkrankt waren. Das brachte das Team auf eine gewagte Hypothese: Wir überlegten uns, ­ ob eine latente Tuberkulose-Infektion sich entsprechend auch schützend bezüglich anderer Krankheiten auswirken könnte. Wurde die Hypothese bestätigt? Tatsächlich konnten wir nach­ weisen, dass sich Mäuse mit latenter Tuberkulose-Erkrankung ­ nicht mit anderen Infektionskrank­ heiten anstecken. Mehr noch:

Impfung in den letzten Jahrzenten wieder vermehrt in den Fokus gerückt ist. Die Entwicklung ist zeitaufwendig und kostenintensiv. Bis zum Ausbruch der Krankheit kann es Jahre dauern. Das heisst im Umkehrschluss, dass Probanden in der Wirkstoffentwicklung über Jahre beobachtet werden müssen, um festzustellen, ob die Impfung wirkt. Zwar gibt es bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Lebendimpfung «BCG». Diese wirkt zur Prävention schwerer Erkrankungen bei Kindern

Keine dieser Mäuse entwickelte eine Krebs­erkrankung. Welches Ziel verfolgen Sie aufgrund der Erkenntnisse? Fernziel wäre, Infektionskrank­ heiten heilen zu können, indem ein asymptomatisches, nicht krank­ machendes Tuberkulose-Bakterium verabreicht und so das Immun­ system trainiert würde. Vor allem HIV steht hier im Fokus. Ende ­ 2020 konnte dann auch das For­ schungs­team der Schweizer HIV-Kohortenstudie erstmalig bei mit HIV infizierten Menschen ­ und gleichzeitig latenter Tuberkulose-Infektion eine reduzierte HIV-Viruslast und weniger Infektionen mit anderen Erregern nach­ weisen. Wir stehen zwar noch ganz am Anfang. Aber es ist ein Ansatz, den zu verfolgen sich lohnt.

gut und wird darum in Gebieten mit sehr hohen Fallzahlen immer noch verwendet. «Der Schutz hält aber nicht lange an, und um die Tuberkulose durch eine Impfung weiter einzudämmen, müssten auch Erwachsene geimpft werden können», ordnet Silvan Vesenbeckh ein. Eine sich noch in der Entwicklung befindende Impfung aus Südafrika verspricht nun genau dies: Sie scheint das Erkrankungs­risiko um rund 50 Prozent zu mindern – was als sehr guter Schutz zu werten wäre.

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Beckenboden – nicht nur ein Frauenthema Nicht nur Schwangere oder Frauen nach Geburt können von einem geschwächten oder abgesenkten Beckenboden betroffen sein. Im Beckenbodenund Kontinenzzentrum am USZ werden jährlich rund 3’000 Menschen mit einer Beckenbodenproblematik behandelt. Rund die Hälfte sind Männer. Text: Katrin Hürlimann Bild: Nicolas Zonvi

durchgeführt. Dabei wird die Blase mit Wasser gefüllt, und dann beobachten die Spezialist*innen, wie sie sich verhält. «Diese Untersuchung ist leider unangenehm für die Pati­ enten, aber sehr effizient», so Marko Kozomara-Hocke. Zum Beispiel, um herauszufinden, wie die Blase reagiert, wenn die Patientin hustet. So kann zwischen Urinverlust bei Belastung oder bei Harndrang unterschieden werden.

Physiotherapie kann viel bewirken Bei der urodynamischen Untersuchung wird die Blase einem Stresstest unterzogen.

«B

ei einer Schwangerschaft rückt der Beckenboden bei Frauen oft das erste Mal ins Bewusstsein», weiss Cornelia Betschart Meier. Die Leitende Ärztin an der Klinik für Gynäkologie koordiniert das Beckenboden- und Kontinenzzentrum am USZ seit vier Jahren. «Bei Männern taucht das Thema erst später auf», ­ergänzt Marko Kozomara-Hocke, Oberarzt in der Klinik für Urologie. ­Inkonti‑ nenz kann bei beiden Geschlechtern zum Problem werden. Einzig die Ursache unterscheidet sich: Bei Frauen ist es eher die Belastung des Beckenbodens – zum Beispiel durch eine Schwangerschaft –, wohingegen bei Männern die Veränderung der Pros­‑ tata mit dem Alter zur Blasenüberaktivität führen kann. Um herauszufinden, woher eine Inkontinenz rührt, wird oft eine urodynamische Unter­suchung

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Je nach Art der Inkontinenz unterscheiden sich auch die Behandlungen. Die einfachste und häufigste Thera­‑ pie ist die Abgabe von Medikamenten. Diese beruhigen und stärken die Blasenmuskulatur. In über der Hälfte der Fälle hilft eine spezialisierte Physiotherapie mit Beckenbodentraining und Verhaltensanpassungen sehr gut. «Am häufigsten behandeln wir Menschen mit Inkontinenzen und Schmerzen», sagt Mirjam Stauffer. Die Fachbereichs‑ expertin Therapie leitet das sechsköpfige Physiotherapieteam, das sich um Patienten mit Beschwerden im Bereich Beckenboden kümmert. «Mittels gezielter Anamnese und exakter Untersuchung können wir auch bei komplexen Thematiken eine hilfreiche Therapie anbieten», sagt sie. Das bedeutet nicht immer, dass die Krankheit dadurch verschwindet, eine Verbesserung der Symptome erleben aber sehr viele Betroffene.

Acht Disziplinen involviert Frauen werden auch mit einer Hormontherapie oder einem sogenannten

Pessar therapiert. Das ist ein Plastikring oder -würfel, der, in die Scheide eingeführt, den Organen Halt gibt. Etwa ein Drittel aller Patientinnen muss jedoch operativ behandelt werden. «Operiert wird häufig bei starken Senkungen der Blase oder der Gebär­ mutter», sagt Cornelia Betschart Meier. Welche Operationstechnik zum Einsatz kommt, hängt vom betroffenen Organ und vom Schweregrad der Senkung ab. Funktioniert die Blase nicht mehr richtig, kommen auch elektrische Therapien infrage. «Das Prinzip ist einfach», erklärt Marko Kozomara. «Wir setzen Nadeln, so fein wie Akupunkturnadeln, durch die Haut an die Nerven und setzen sie unter Strom. Das führt zu Verände‑ rungen in den Hirnregionen, die die Blase steuern.» Je nach Ursache der Inkontinenz hat diese Therapie gute Er‑ folgschancen. Aber egal, welche Therapie zum Einsatz kommt: Gemeinsam ist ihnen, dass im Beckenbodenzentrum acht Disziplinen und vier Berufsgruppen eng zusammenarbeiten, um die beste Therapie für das jeweilige Problem zu finden.

BECKENBODEN- UND KO N T I N E N Z Z E N T R U M

Infos und Kontakt unter www.usz.ch/ beckenbodenzentrum


GASTBEITRAG

Stress besser verstehen Weltweit klagen immer mehr Menschen über Stress am Arbeitsplatz oder im Privatleben. Auch schwe­ rere Stressoren oder Traumatisierungen gehören zu unserem Alltag: Im Laufe ihres Lebens werden bis zu 90 Prozent der Menschen mindestens einmal mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, wie zum Beispiel einem Unfall, einer Naturkata­ strophe, schwerer Gewalt oder gar Krieg. Grundsätzlich ist das Erleben von Stress in diesem Kon­ text völlig normal – die körperliche und psychische Reaktion sowie die wahrgenommene Belastung dienen dazu, sich an veränderte Situationen und Umwelt­ bedingungen anzupassen. Stress hat langfristig jedoch klar negative Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit und ist ein Risikofaktor für chro­ nische Erkrankungen. Fast die Hälfte aller Personen, die regelmässig Stress ausgesetzt sind, entwickelt psy­ chische Symptome wie Erschöpfung oder Angst. ­Stressabhängige körperliche und psychische Stress­ pathologien können bisher nicht gut diagnosti‑ ziert und vor allem nicht vorhergesagt werden. Um dieses Problem anzugehen, haben Expert*innen aus den Bereichen Psychiatrie und Psychologie, der Neurowissenschaften, Zell- und Molekularbiologie, Kardiologie, Ingenieurwissenschaften und der transla­ tionalen Bioinformatik das Projekt STRESS ins Leben gerufen. Ziel des Konsortiums ist es, das Risiko von und die Widerstandsfähigkeit gegen Stressbelastungen über die gesamte Lebensspanne hinweg sowie deren Auswirkungen auf die Gesundheit zu untersuchen. Das STRESS-Projekt entwickelt ein Forschungspro­ gramm, um besser zu verstehen, welcher Zusammen­ hang zwischen Stressbelastung und Hirnfunktions­ störungen sowie physiologischen Symptomen besteht und was die zugrunde liegenden Mechanismen sind. STRESS wird die jüngsten Fortschritte im Bereich der

digitalen Gesundheit und der Verhaltensforschung beim Menschen sowie wichtige Innovationen bei zellu­ lären Modellen und molekularen Werkzeugen für die Erstellung von Genom-/Epigenomprofilen in präklini­ schen Modellen nutzen. Das Projekt nutzt diese ­Technologien sowie neue Erkenntnisse über den Zu­ sammenhang zwischen Stress, Gesundheit und dem nor­adrenergen System, um phänotypische und prädiktive Signaturen stressbedingter Pathologien von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter zu ermit­ teln und neue Ansätze für deren Diagnose und präventive Behandlung zu entwickeln. Eine Stärke des Projekts liegt in der Integration unter­ schiedlicher Daten aus menschlichen Kohortenstudien und Tiermodellen über das gesamte Leben hinweg. Diese werden durch maschinelles Lernen zusammenge­ bracht. Ziel ist es, grundlegendes Wissen zu schaffen über neuronale Mechanismen, die Menschen stress­ resilient machen, aber auch die Entwicklung und Ein­ führung innovativer Instrumente für Diagnostik und Intervention. Hier ist vor allem ein portables Neu­ro­ feed­backsystem ein wichtiger Teil des Projekts, das Personen erlauben soll, neuronale stressbezogene Are­ ale, wie beispielsweise das Hirn-Erregungssystem, mittels eines einfachen Feedbacksystems zu regulieren und somit Stress zu reduzieren oder gar vorzubeugen. Das Projekt STRESS wird durch HMZ Zürich im Rahmen der Flagship-Projekte gefördert ­(www.hochschulmedizin. uzh.ch). Die Forschung am USZ erfolgt am Zentrum für Molekulare Kardiologie, der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik und in den Abteilungen der Medizin­‑ in­formatik und Bio­medizinischen Informatik sowie am Labor für Social and Neural Systems (SNS Lab). Es handelt sich um eine Kollaboration mit der ETH Zürich, der Psychiatrischen Universitätsklinik und der UZH, der VetSuisse/UZH sowie dem Jacob’s Centre for Productive Youth Development. Birgit Kleim, Professorin für Experimentelle Psycho­ pathologie und Psychotherapie, Universität Zürich

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Das blüht nicht alles von alleine Alles soll immer schön gepflegt, geputzt und dekoriert sein. Rund ums Jahr blüht und spriesst es rund um das USZ. Aber wer steckt eigentlich hinter der Arbeit im Spitalpark, in den Rabatten und auf den Wegen? Richtig: die USZ-Gärtnerei! Text: Moritz Suter Bilder: Christoph Stulz

Wie ein Gedicht: ein Exemplar von vielen Blumensträussen, liebevoll angefertigt von den Floristinnen.

«No littering» gilt selbstverständlich auch am USZ. Unvermeidbar aber sind Laub im Herbst und Schnee im Winter. Die Gärtnerei befreit die Strassen und Wege davon.

Aus alt mach neu: Jeden Frühling werden ein paar in die Jahre gekommene Rabatten erneuert. Dabei wird auf eine möglichst langjährige, blühfreudige und ökologisch wertvolle Bepflanzung geachtet.

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Für alle Bienen, die dieses Magazin lesen: Unser familienfreund­ liches Hotel punktet mit zentraler Lage vor dem NORD1 und einem reichhaltigen Nahrungs­ angebot aus ein­ heimischen Pflanzen.

Der Spitalpark muss gepflegt werden: Der Rasen wird ca. 15 Mal pro Jahr gemäht. Rund­herum blüht ein bunter Mix aus verschiedenen Wildblumen.

Das USZ ganz farbig: Tulpen und Stiefmütterchen in harmonierenden bläulichvioletten Tönen vor dem regenbogenfarbenen Bänkli der USZ-Seelsorge.

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Das medizinische Bilderrätsel Bild: Martin Oeggerli mit Universitätsspital Basel und Universität Basel

Erkennen Sie das Motiv auf dem Bild? Raten Sie mit beim medizinischen Bilderrätsel. Die Auflösung finden Sie unterhalb des Bildes, kopfüber geschrieben.

Impressum USZinside Das Magazin richtet sich an Mitarbeitende sowie Besucherinnen und Besucher des USZ. Herausgeberin Universitätsspital Zürich, ­Unternehmenskommunikation Redaktionsleitung Katrin Hürlimann Redaktion USZ Barbara Beccaro, Manuela Britschgi, Marcel Gutbrod, Claudio Jörg, Cindy Mäder, Martina Pletscher, Ingrid Slavik, Moritz Suter Externe Autoren Helga Kessler, Birgit Kleim, Jolanda van de Graaf Layout Partner & Partner Druck Staffel Medien AG Korrektorat Susanne Brülhart Bilder Adobe Stock, Christoph Stulz, iStock, Markus Bär, Martin Oeggerli mit Universitätsspital Basel und Universität Basel, Nico Wick, Nicolas Zonvi, Oculus Illustration, Partner & Partner, Steffi Sonderegger, Stocksy, Thomas Egli, USZ, WHO Auflage 12’500 Exemplare Erscheinungsweise Dreimal jährlich: März/Juli/November Kontakt uszinside@usz.ch

F O LG E N S I E U NS ! UniversitaetsspitalZuerich Unispital_USZ

Bauchnabel-Bakterien Alle Menschen besitzen einen, doch grosse Beachtung erhält er meist nicht: der Bauchnabel. Mangelnde Hygiene kann jedoch zu gesund-

heitlichen Problemen führen – verständlich, wenn man sich vor Augen führt, was sich darin alles ansammelt.

universitaetsspitalzuerich Universitaetsspital Zuerich Universitätsspital Zürich Drucksache myclimate.org/01-22-493551

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Universitätsspital Zürich


«Die USZ Foundation schenkt mir den Freiraum, meine Vision umzusetzen.» Andreas Güntner entwickelt am USZ Atemluftsensoren als neue Diagnosemethode

Mit jeder Spende können wir mehr bewirken.

Wir ermöglichen medizinische Innovationen, die unmittelbar die Lebensqualität der Menschen verbessern. usz-foundation.com


ZUR PERSON

Linda Morgan, Fachexpertin Pflege Skin Cancer

Während sechseinhalb Jahren arbeitete Linda Morgan in England in der Onkologie. Seit 2016 ist sie am USZ, seit März 2020 als Fach­expertin Pflege Skin Cancer auf der Dermato-Onkologie. Die Rolle der Clinical Nurse Specialist hat sie in England kennengelernt und sich dann zum Ziel gesetzt, eine spezialisierte Rolle als Pflegeexpertin in der Onkologie am USZ aufzubauen. Mit viel Engagement, Eigeninitiative und Fachkompetenz, aber auch mit grösstmöglicher Unterstützung von ärztlicher Seite ist es ihr gelungen, eine Pflegesprechstunde in der Dermato-Onkologie aufzubauen und zu etablieren. Linda Morgan möchte mit allen Hautkrebsbetroffenen vor Beginn oder beim Wechsel zu einer Immuntherapie und/oder einer zielgerichteten Therapie die Pflegesprechstunde durchführen. Für viele Betroffene bleibt sie auch während der Behandlung eine zentrale Ansprechperson, die niederschwellig und unkompliziert kontaktiert werden kann. Per August 2022 wird sie – nach Abschluss ihres Studiums – zur Pflegeexpertin APN Skin Cancer befördert.

Bei

275 Menschen

224 Hautkrebs-Pflegesprechstunden

wurde 2021 am USZ neu ein Melanom diagnostiziert.

wurden 2021 am USZ durchgeführt.

In der Schweiz erkranken

30’000 Menschen

pro Jahr an weissem Hautkrebs.


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