1 minute read

Soziokulturelle Faktoren bei Long COVID

Männer erkranken häufiger an COVID-19 als Frauen, Letztere leiden aber stärker an den Langzeitfolgen. Eine Studie untersucht die Gründe.

Text: Barbara Beccaro

Bilder: Noun Project

Im letzten Sommer sahen Infektiologen, Pneumologinnen, Physiotherapeuten und Immunologinnen am USZ jede Woche bis zu 25 Betroffene in einer der Long­ COVID ­Sprechstunden. Heute sind es rund 10 Patientinnen und Patienten pro Woche, die sich von den Fachpersonen am USZ Hilfe und Unterstützung versprechen. «Betroffen sind immer noch hauptsächlich Frauen. Häufig leiden sie an Fatigue, chronischer Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen und Atemnot. Sie alle müssen lernen, ihre Energie neu einzuteilen und ihre Tagesziele nach unten zu korrigieren. Auch der soziale Kontakt zur Familie, zu Mitarbeitenden und eine Tagesstruktur sind sehr wichtig», sagte Dominique Braun, Oberarzt in der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am USZ.

Biologie und soziokulturelle Faktoren untersucht

Cathérine Gebhard, Oberärztin in der Klinik für Nuklearmedizin am USZ, erforscht, warum Frauen und Männer unterschiedlich erkranken. Während der Pandemie untersuchte sie, warum Frauen häufiger von Long COVID be ­ troffen sind als Männer. Geschlechtsspezifische Erkenntnisse zur akuten COVID ­19 ­Erkrankung sind schon breit publiziert, nicht aber die entsprechenden Unterschiede bei den Langzeitfolgen der Erkrankung. Long COVID, sagt Cathérine Gebhard, sei viel komplexer als die akute SARS ­ CoV­2Erkrankung. Es lassen sich denn auch keine einfachen Schlussfolgerungen ziehen: «Man weiss leider bis heute nicht wirklich, was Long COVID genau ausmacht», sagt sie. Sie untersucht deshalb in ihrem Forschungsprojekt nicht nur die Biologie, sondern auch die gesellschaftlichen Umstände und typischen Rollen, die sich bei Männern und Frauen deutlich unterscheiden. Neben klinischen werden auch soziokulturelle Parameter abgefragt, um einen sogenannten «Gender Score» zu erheben. Dazu gehören Daten zu Zivilstatus, Ausbildung, Einkommen, Rolle im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. In der Schweiz wurden dazu 3’000 Fragebögen ausgewertet.

Wichtige Variablen: Stress und Einsamkeit

Bei der akuten COVID ­19 ­Erkrankung, das zeigen publizierte Studien, steht die Biologie im Vordergrund. Soziokulturelle Faktoren spielen eine untergeordnete Rolle. Erste Erkenntnisse aus der Studie zu Long COVID hingegen zeigen, wie wichtig Letztere beim Langzeitverlauf der Erkrankung sind. Sie liefern teilweise eine Erklärung dafür, warum Frauen stärker betroffen sind, obwohl sie viel weniger häufig als Männer schwer an der Akutinfektion erkrankt waren. Neben Symptomen wie reduzierte Belastbarkeit, Kurzatmigkeit, Gedächtnisproblemen oder Geruchs­ und Geschmacksverlust sind mit Long COVID auch eine erhöhte Stressbelastung zu Hause oder auch Alleinsein assoziiert.

«Allein zu leben, ist in unserer Studie einer der stärksten Einflussfaktoren für das Entstehen von Long COVID», stellt Cathérine Gebhard fest. Auch haben Menschen mit geringerem Ausbildungsniveau ein erhöhtes Risiko, an Long COVID zu erkranken. «Wenn man alleine und in finanzieller Sorge lebt, muss man diesen Ängsten mit sozialen Massnahmen begegnen und weniger mit medizinischen», sagt die Spezialistin für Gendermedizin.