louder than bombs

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christian plep louder than bombs

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christian plep louder than bombs

7 x – 2 xii 2022

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Reuterstr 9 -17 · 28217 Bremen

Tel. 0421/380 79 90 · www.gadewe.de

Mi 15 -19 h · Do 15 -21 h · Fr 15 -19 h

GALERIE DES WESTENS

Gefördert durch den Senator für Kultur, Bremen

DRIFT

louder than bombs

Stefan Voigt · Benjamin Beßlich

Christian Plep

Zur Eröffnung der Ausstellung am Freitag, den 22.04.2022 um 20 Uhr laden wir Sie und Ihre Freund*innen herzlich ein.

Zu Eröffnung der Ausstellung am Freitag dem 07.10.2022 um 20 Uhr laden wir Sie und Ihre Freund*innen herzlich ein.

Einführende Worte von Dr. Rainer Beßling

Zur Vernissage: Einführende Worte von Dr. Rainer Beßling Soundscapes von Ralf Post

Ausstellungsdauer: 07.10.2022 – 02.12.2022

Ausstellungdauer: 22.04.2022 – 24.06.2022

Wir bitten Sie die aktuellen Corona-Bestimmungen zu beachten. Mehr dazu auf www.gadewe.de

Abbildung: Christian Plep Cut Shadows Mixed media on Wood, 2014

Wir bitten Sie, die aktuellen Coronabestimmungen zu beachten. Mehr dazu unter www.gadewe.de.

Einladungskarte:

Inge Glinsmann 3

„Christian Pleps Arbeiten berühren unmittelbar und leise, sie kommen unaufgeregt und zurückhaltend daher, zart, aber eindringlich. Sie weisen ein übersichtliches Formrepertoire und ein überschaubares Farbspektrum auf. An ihnen wird sichtbar, welcher Reichtum in der Reduktion liegt.“

„eleven piece painting“ 4

Vor einigen Jahren traf ich Christian Plep in der Villa Sponte. Mir waren einige seiner Arbeiten aus Gruppenausstellungen des Blaumeier­ Ateliers bekannt. Seine Bilder waren mir sofort aufgefallen, durch ihre stille Präsenz. Er gab mir damals eine Broschüre mit einigen Abbildungen, klein, aber eindrucksvoll. Dabei klang an, dass ich vielleicht irgendwann zu seiner Kunst etwas schreiben sollte. Die Broschüre fiel mir danach oft in die Hände. Nun ist der Schreibfall eingetreten. Und ich freue mich darüber. Manche Zeitungen fügen ihren Artikeln inzwischen einen „Transparenz­ Hinweis“ bei. Dort werden Verstrickungen der Schreibenden mit dem Personal des Textes oder dem Thema ausgewiesen. Mein Transparenz­ Hinweis lautet: Ich mag die Arbeiten von Christian Plep.

So möchte ich auch gleich an den Anfang stellen, was häufig zum Schluss kommt: eine ästhetische Bilanz, die ich als meine ganz eigene, selbst empfundene verstanden wissen möchte. Für das, was sich in den ersten Sekunden der Begegnung mit Kunst einstellt, versuche ich nun auf einem längeren Weg Worte zu finden. Ich möchte die Bilder nicht im klassischen Sinn beschreiben, sondern lieber darüber sprechen, was sie in mir auslösen. Kunst wird vielfach als etwas Gegebenes, Gegenständliches und Essentielles behandelt. Dabei geht es doch eigentlich um den Austausch, um Aufnahme und Anschluss, was je nach Betrachtung und Betrachtenden erheblich variiert.

Was die Wortfindung erschwert: Christian Pleps Malerei löst bei mir nicht vorrangig ein Nachdenken aus, sondern hinterlässt eher einen Nachhall. Es treten keine Bildgeschichten auf, sondern ein Bildgeschehen. Seine Motive und Strukturen sind im Kunstkosmos keine Solitäre, aber gerade deshalb kann ich ihren besonderen Klang wahrnehmen. Wer würde zu einem Musikstück sagen, dass er die zwölf Töne ja schon irgendwo mal gehört hat?

Christian Pleps Arbeiten berühren unmittelbar und leise. Sie kommen unaufgeregt und zurückhaltend daher, zart, aber eindringlich. Sie weisen ein übersichtliches Formrepertoire und ein überschaubares Farbspektrum auf. An ihnen wird sichtbar, welcher Reichtum in der Reduktion liegt.

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Dr. Rainer Beßling GaDeWe, 07.
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Dieser Künstler besitzt eine eigene Stimme, auch wenn seine Arbeiten in Überlieferungen verankert sind. Er verfügt über ein stoffliches und motivisches Format, in dem sich das Malen in seiner Materialität und seinem Gemachtsein darstellt. Er verbindet Abstraktion und for male Klarheit mit Erzählung. Seine Bildsprache ist subtil und physisch zugleich, gedanklich und handwerklich, nicht intellektuell, aber klug bedacht. In diesem Katalog präsentiert er verschiedene Aspekte seiner künstlerischen Arbeit, assoziativ und auf formale Verwandtschaften der Exponate reagierend. Wir treffen nicht auf eine Chronologie oder thematische Auffächerung, sondern auf ein Netz, in dem sich Vokabular und Grammatik seiner Bildsprache verfangen.

Beginnen möchte ich mit Bemerkungen zu einer Serie, die Christian Plep „Randnotiz“ nennt. Sie ließe sich exemplarisch für das Gesamtwerk sehen. Auf grauem Grund treffen lineare grafische und malerische flächige Anteile aufeinander. Buntstift und Öl spielen zusammen. Während die Zeichnung einen Verlauf markiert, schafft die Malerei Raum. Sie lässt Übertünchtes durchscheinen und zieht damit den Blick in tiefere Schichten. Dem Titel entsprechend könnten die Linien und Strichformationen als Schrift gelesen werden. Diese tritt aber nicht mit semantischem Gehalt auf, sondern spiegelt zeichenhaft und formal den Modus eines Notats wider, einer beiläufigen, lakonischen Anmerkung, die an den Rändern eines Geschehens angesiedelt ist, mutmaßlich wenig Einfluss hat und von den Ereignissen schon wieder überspült wird. Allerdings wirkt sie unter der Tünche weiter als ein unbestimmtes, konturenloses Rumoren.

Die kleinen Hochformate in gleicher Größe von 30 mal 20 Zentimetern sind nebeneinander und nacheinander entstanden. Sie nehmen Aspekte von Wiederholung, Entwicklung und Veränderung in einem lange währenden Arbeitsprozess auf. Das kleine Format und die einfachen Formen offenbaren strategische Beschränkung und Understatement. Ein „tiefer Hängen“ des Kunstwerks, das nach dem ihm und dem Künstler eigenen Maß und passenden Verhältnis zwischen Wirklichkeitszugang und Darstellung sucht. Zugleich entwickelt sich in jeder noch so kleinen Arbeit – und vielleicht gerade in ihr – etwas

intim Monumentales: die Ausformung des künstlerischen Ausdrucks, die Arbeit am eigenen künstlerischen Tun. Laut Plep vollzieht sich in den Randnotizen ein Kerngeschehen: der Weg in eine Lockerheit, die Toleranz gegenüber eigenen Fehlern, die stehen blieben, ein Dehnen, Verschieben, Überwinden von Grenzen. Vor allem das Übersteigen des eigenen Wissens. Die Randnotizen sind somit eine Chronik persönlicher „Zeitenwenden“: Erleben statt Denken, Erfahrung statt Auslegung, Gefühl statt Verstand. Eingebung statt Planung.

Der Bezug zur Schrift baut eine Brücke zu einigen wenigen biografischen Bemerkungen. Christian Plep hat in diesem Jahr einen Band mit Gedichten veröffentlicht. Der Titel: „Kapern für die Seele“. Mir gefällt er. Er kapert die Metaphorik der Sprache als Seelen nährendes Futter mit einer würzigen Knospe. Außerdem ist der Maler auch Musiker, genauer gesagt Schlagwerker, mit einer Neigung zur Synästhesie. Dass ein quietschendes Knallgelb in seinen Bildern nicht vorkommt, liegt daran, dass diese Farbe ihn wie ein Ohren betäubender Lärm erreicht. Wichtig für seine künstlerische Entwicklung sind Erfahrungen aus dem Blaumeier­ Atelier: Freiheit, Leichtigkeit, Witz, Mut, Offenheit, Gelassenheit ist er dort begegnet. Nicht zu vergessen: der Künstler ist auch Tischler. Wie dies nun alles zusammenwirken mag, wäre ein eigenes Thema. Über den Rhythmus seiner Bilder ließe sich eigens nachdenken, über den melodischen Charakter der Linien, die Farbklänge und über die materialsatten Flächengewichte, wie in „Blue – White Painting“ oder „Zufälliges Rosa“. Dort wird die Farbe zu einer Form mit der physischen Wirkung eines Raum greifenden Objekts.

Für Christian Plep sind die verschiedenen Medien eigene Stränge. So als würden Schreiben und Musizieren die bildkünstlerische Arbeit flankieren, spürt er in seiner Malerei einer Kernfrage nach: Wie kann ich Aussagen und Empfindungen transportieren, ohne konkrete figurative, also darstellende und abbildende Mittel zu verwenden? Bild also zwischen Wort und Klang, sich öffnend, nicht einschließend.

Was in Texten zu Christian Plep immer wieder auftaucht, sind Bemerkungen zur Bedeutung des Stofflichen.

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Dem ist nur zuzustimmen: Der Dialog mit dem Material, wie das gerne genannt wird, ist zentral. Allerdings auch keine überraschende Diagnose im Kunstkontext. Bei Plep prägen Material und Format jedoch ganz essentiell das Werk. Hier kommen als Bildträger oft Fundstücke in einem neuen Zuschnitt und in neuen Verbindungen zum Einsatz, die ein spezifisches Arbeiten einfordern. An „arte povera“ erinnern sie manche, in der das Marginale und Ephemere in seiner Authentizität stofflichen Reiz gewinnt. Häufig sind es auch Materialien, die ein schnelles Arbeiten verlangen. So bleiben in der Formgebung der stof fliche Charakter und die Sprache des Materials erhalten.

Neben dem Material ist die Collage zentral. Weniger als Zusammenführung von Elementen aus unterschiedlichsten Bereichen, mehr als offene Fügung von Verwandtem und Vergleichbarem. Lose Verbindung an der Ober fläche, aber starke Korrespondenz in der Substanz. Die Gestaltgebung entwickelt sich aus einem Kernelement heraus, zwischen Selbstähnlichkeit und Unterschiedlichkeit. Eine einzige, einfache Form ist bildgebend in Wiederholung und Abweichung. So bleiben Natur und Anti ­ Natur, Organismus und Konstruktion in der Schwebe. Collage gleicht in manchen Fällen einem Mosaik, das anwächst und wuchert.

Ein Beispiel ist das Großformat „at first light“. Die lange Entstehungszeit ist nachvollziehbar. Werden und Werk spielen in der Wirkung zusammen. Verschiedene Materialien kommen in rechteckigen Stücken unterschiedlichster Größe zum Einsatz. Die Form fügt sich eher prozesshaft als geplant. Linien und Kanten treten unterbrochen und gebrochen auf. Die Gestaltfindung ist zwischen Improvisation und Komposition angesiedelt. Größere Rechtecke bilden Achsen und Fluchten, kleine füllen die Zwischenräume. Gesamtheit und Eigenheit des Elements bleiben gleichermaßen sichtbar. Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Ganzen und dem Einzelnen. Die Einheit entsteht aus Spannung. Spannend bleibt auch die Frage, ob es sich um eine Draufsicht oder Ansicht handelt. Schauen wir auf Wand, Boden, Architektur, vielleicht auf eine urbane Kartographie? Gleicht die obere Fläche einem Horizont oder deutet sie eine Straße an?

Einen Gegenpol zu der großen Leinwand bilden kleinere Papierarbeiten, in denen sich ein schwebendes, fliegendes, um die eigene Achse rotierendes Strichbündel in verschiedenen Räumen und auf unterschiedlichen Flächen einnistet. In einem Würfel, zwischen zwei Säulen, über Gitterstrukturen oder einfach auf einem leeren Blatt auf einem unbeschriebenen Bildgrund. So als dringe die farbliche und zeichnerische Energie des Künstlers in ein Bildformat ein.

Die Grundstruktur von „At first light“ findet im Werk Pleps manche Parallele. Vorlieben für Gitter und Raster sind erkennbar. Etwa in der Arbeit „Innere Ordnung“, in der Pappschachteln das Raster als ein gegliedertes Behältnis materialisieren. Die US ­ amerikanische Kunst kritikerin Rosalind Krauss hat dem Phänomen einen berühmten Essay gewidmet. Sie sieht im Raster die emblematische Bildorganisation der Moderne: eine äußere und innere Ordnung, stofflich und gedanklich. Mit dem Gitter fand die Moderne die Form, mit der sie ihren Autonomie ­ Anspruch formulieren und sichtbar machen konnte. Das Raster hegt die Wirklichkeit als virtuelles Beziehungsnetz und gedankliches Strukturmodell ein. Es verweist auf die Kunst selbst und zugleich auf ihre Fähigkeit, die sichtbare Wirklichkeit einzufangen. Das Raster zeigt sich als Koordinatensystem und als Kartografie. Seine Botschaft lautet: Es geht nicht darum, Wirklichkeit abzubilden, es geht darum Wirklichkeit in Rasterfahndung zu nehmen, also buchstäblich in eine mediale Obhut, ein mediales Framing.

Das Gitter hat die Grenzen zwischen den visuellen und den (wort ­)sprachlichen Künsten durchlässiger gemacht und zugleich die bildende Kunst abgeschirmt gegen den Eindringling Text. Der Preis, den die bildenden Künste für die Abschirmung gezahlt haben, ist ihre Ghettoisierung. Das Gitter als Form hat sich einerseits lange gehalten, zugleich hat es sich permanent gewandelt. Das Gitter oder Raster verweigert sich von seiner Struktur her der Entwicklung, zugleich hält seine Karriere als künstlerische Form ungebrochen an. Das Raster reizt nicht zuletzt durch Ambivalenzen: System versus Individualität, Regel contra Abweichung, Universalität gegen Einzelelement. Das Raster behauptet umfassende Übersicht, ist aber nur Ausschnitt. Das Raster dehnt sich in alle Richtungen über

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den Bildrand hinaus aus und wirft die Frage auf: Ist das Bild eine abgeschlossene, eigene Einheit oder lediglich Fragment aus einem unüberschaubaren Kontinuum, nur eine willkürliche, künstliche Größe?

Das Gitter ist ein Fenster im und zum Bild, wie in der wunderbaren großformatigen Leinwand „storm : n“. Es ist Teil desselben und steht ihm zugleich gegenüber. Es verweist auf einen Gegenstand im Bild und auf das Bild als Gegenstand, also auf seine opake Schicht, mit der sich das Bild verkapselt und selbst sichtbar macht. Es verweist auf etwas, das im Verständnis eines Bildes als Darstellung eines Inhalts unsichtbar ist. Die Basis des Rasters sind Material und Gestalt. Künstler wie Mondrian oder Malewitsch wollten aber nicht Stoff und Form verhandeln, sondern Dasein, Bewusstsein. Aus ihrer Sicht ist das Gitter/Raster eine Stufe zum Universellen. Form und Inhalt sind untrennbar.

Das Gitter taucht auch in einer Arbeit auf, die einen verklausulierten Titel trägt:

„2 a.m.“. Kunsthistorisch Versierte werden die Referenz vielleicht erkennen. Christian Plep widmet seine Bronze der kanadischen Künstlerin Agnes Martin und schließt an ihr Werk „Homage to Greece“, 1959, an. Homage to Greece (1959) besteht aus kleinen Quadraten weiß bemalter Leinwand, gitterartig auf einer größeren quadratischen Leinwand collagiert, die wiederum auf eine Platte aufgezogen ist. Eine Reihe aus der Bildfläche heraustretender Nägel folgt lose der waagerechten Linie, die von der Unterkante der obersten Quadratreihe gebildet wird, und spannt sich in einem leicht geschwungenen Bogen quer über die obere Bildhälfte. Plep hat die Leinwand in ein Bronze ­ Relief übertragen. Spannung entsteht durch das Aufeinandertreffen von Raster bzw. Muster und Bogen bzw. Linie. Die Linie zeigt sich als Ansammlung von Punkten. Die Körperlichkeit der Punkte oder Stifte steht der Flächigkeit der Leinwand gegenüber, das Gitter oder Netz als Ordnung trifft auf eine individuelle Spur. Statik und Verlauf spielen miteinander.

Martins Bild wird als Beispiel für Arbeiten gesehen, die um das zentrale Problem kreisen, „wie sich in konkrete Form bringen lässt, was an sich immateriell ist und demnach ungeeignet für eine Verdinglichung.“ Vielleicht

ist es diese ausgesprochen manuelle, das Individuelle nicht ausblendende, sondern bergende Geometrie, diese materialsatte Abstraktion als visuelles Erlebnis und körperliches Ereignis. Ein Beispiel dafür ist die Decken ­ und Wand ­ Installation „we drift like worried fires“. Wir treiben wie sorgenvolle, verstörte, geplagte Lichter, Feuer – so ließe sich der Titel übersetzen. Wir sehen schwebende Klötze mit einem feuerroten Widerschein verteilt im Raum. Die Idee zu der Arbeit lieferte der gleichnamige Songtitel der kanadischen Band „Godspeed You! Black Emperor“ von ihrem Album „ Allelujah! Don‘t Bend Ascend“ (2012).

An dieser Stelle möchte ich den Künstler selbst zu Wort kommen lassen:

„Immer wieder machte ich Skizzen, um mich diesem Bild zu nähern – doch ich war nie richtig mit meiner zweidimensionalen Darstellung zufrieden. So lag die Bildidee lange Zeit auf Eis – aber diese kraftvolle Vorstellung, dass wir alle wie Lichter umhertreiben, gefiel mir. Und mit dem Lauf der Jahre konnte ich aus diversen Strömungen und Erfahrungen schließlich das Werk 2019 erstellen. In der jetzigen Präsentation ist es erweitert und in dem härteren Schlaglicht der Pandemie präsentiert. Sind wir Künstler:innen nicht mehr als sonst herumgeirrt und haben versucht, unser Licht am Brennen zu halten? Obwohl sie ,nur‘ instrumentale Musik spielen, sind „GY!BE“ eine hochpolitische und systemkritische Band. Das heißt, das Element des gesungenen Wortes fehlt vollständig, es gibt höchstens Wortschnipsel als Samples. Sie müssen also Empfindungen sowie Aussagen ohne das Vehikel der direkten Ansprache transportieren. Und äquivalent fühle ich mich als abstrakter Künstler oft genau in dieser Rolle: Wie erschaffe ich ein Gefühl und einen gewissen Gehalt in meinen Werken für die Betrachtenden, ohne konkrete Darstellungen zu benutzen oder langwierige Erklärungen zu gebrauchen?“

Zwei konkrete Beispiele einer Erschaffung von Gefühl und Gehalt in der Sprache der Abstraktion lassen sich hier nennen: „flag for no state“ heißt die eine Reihe. Die Flagge als nationalstaatliches Symbol gleicht einer visuellen Hymne, der betont emotionalen Stiftung von Identität und Einheit verpflichtet. Christian Plep wurde zu seinen „Flaggen keiner Staaten“ inspiriert, als er inmitten von Soli­

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darität bekundenden gelb ­ blauen ukrainischen Fahnen ein weißes Bettlaken sah. Dieses derzeit eher verpönte Friedenszeichen oder Verhandlungsangebot überschreibt Identität und damit Abgrenzung und Frontstellung. Der politische Symbolgehalt löst sich in Pleps Streifenbildern in einer autonomen Formen ­ und Farbstruktur auf. Die Wiedergewinnung des Ästhetischen löscht das politische und damit auch potentiell zerstörerische Symbol. Die partikularen Sichtweisen werden in eine universelle Perspektive transformiert.

Auf gesellschaftliche Krisenherde verweist auch die Reihe „Asylum“. Der Titel gebende Begriff bedeutet Zufluchts stätte, Rückzugs ­ und Schutzraum oder auch unantastbarer heiliger Bezirk. Bei Christian Plep ist er fragil, nicht wehrhaft und abgeschirmt. Der Status ist häufig prekär: Asylanten sind geschützt und gefangen zugleich, aus der Gesellschaft gegangen und gefallen, unter einem Schutzschirm marginal und stigmatisiert. Diese Asyle sind kleine symbolische Behausungen für das Selbst, ein inneres Dasein, eine räumlich abgegrenzte Identität, die gleichzeitig durch Uniformität und Konformität etwa wie in Bienenwaben gekennzeichnet ist. Asylum bedeutete auch lange „Irrenanstalt“ und damit Isolation und einsame Konfrontation mit dem Innersten und Abgründigsten, Denken und Leben im Kreis, ohne einen Weg hinaus. Ausscherende Wände führen in Pleps Asyl ­ Bauten ins Nichts, bilden keinen Raum. Auch das Außen, das Draußen ist keine Alternative.

An dieser Reihe wird Pleps Grundfrage nach dem Narrativ aus der Abstraktion heraus greifbar. Kunst, die sich auf die eigenen bildlichen Potentiale konzentriert, schwört nicht einer gesellschaftlichen oder politischen Relevanz ab. Kunst ist symbolisch und zielt auf Erkenntnis aus Empfindung. Alle Botschaften bedienen sich einer Einbettung in gestaltetes Objekthaftes mittels Geste, Zeichen und Sound. Künstler sind Boten, wenn sie sich auf ihr Schaffen konzentrieren. Ihre Formgebung ist ihr Inhalt, damit geben sie ein Beispiel für die Gestaltung der Welt und mehr noch des Bewusstseins.

Für das Motiv der Einladungskarte hat Christian Plep seine „Cut Shadows“ gewählt. Mit Lack gefasste Holzplatten ragen in den Raum und werfen einen Schatten auf die Wand. Der Verweis auf eine uralte Vorstellung von unserer Sicht auf die Dinge. Wir schauen nur auf ihre Schatten, die aufgrund ihrer Undurchdringlichkeit und Undurchlässigkeit für das Licht entstehen. Unsere Wirklichkeit ist das Abbild, von dem wir auf den Gegenstand schließen können. Die Welt erscheint vermittelt auf einem Display. Unsere Fähigkeit zur Bildlektüre ist unser Zugang zur Realität. Wir arbeiten an dem Bild, das wir vermitteln und an Bildern, die uns vermittelt werden. Damit ist die Kunst ein Quellbezirk von Erzählungen über das Vorhandene.

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„eleven piece painting“ 11
12
„(we drift like) worried fire“ 13
„at first light“ 14
„randnotiz“ 15
„shifting landscape“
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„either / or“ | „five piece painting“ 19
„krakeeleen“ [#1.3024 – #4.3024] 21
22
„krakeeleen“ [#5.3024 – #12.3024] 23
„untitled“ 26
„asylum“ [#1; #2; #3] 27
„størm : n“ 28
„seeds“ 30
„blue / white painting“
„2 a.m.“ 33
35
„flag for no state“ 36
„cube“ 39
„krakeeleen“ [#1.3030 – #6.3030] 42
43
„innere ordnung“ 44
„cut shadows“ 45

christian plep

louder than bombs

7 x – 2 xii 2022

„eleven piece painting“ 2018

öl + acryl auf baumwolle / holz

jedes teil ca. 15 x 37 / 39 x 3 cm

„(we drift like) worried fire“ 2021

öl + acryl auf baumwolle / holz

23teile ca. 14,2 / 9,5 x 5,5 / 4,6 x 1,8 cm

„at first light“ 2018

öl + acryl auf baumwolle / leinen

160 x 120 cm

„randnotiz“ 2021

öl + buntstift auf baumwolle

30 x 20 cm

„randnotiz“ 2022

öl + buntstift auf baumwolle

30 x 20 cm

„shifting landscape“ 2014

öl, acryl + spachtelmasse auf

baumwolle 150 x 160 cm

„either / or“ 2016

öl, acryl + acryllack auf

baumwolle / leinen 15 x 41 x 4 cm

„five piece painting“ 2015

öl + acryl auf baumwolle / holz (foldbackklammern)

ca. 52 x 32 x 3,5 cm

„krakeeleen“

[#1.3024 – #12.3024] 2022

öl, ölkreide, blei ­ + buntstift auf papiercollage 19,5 x 13,5 cm im 30 x 24 cm passepartout

„untitled“ 2022

öl auf baumwolle / leinen / holz 26 x 14,4 x 8,8 cm

„asylum“ [#1; #2; #3] 2018 acryl, wachs + papier auf pappe jedes ca. 18 x 13 x 2,3 cm in einem 30 x 24 cm glasrahmen

„størm : n“ 2018

öl, acryl + heftklammern auf baumwolle 150 x 140 cm

„seeds“ 2020 ton, gebrannt und glasiert 34 teile ca. 3 x 3 cm

„blue / white painting“ 2015

öl, acryl + acryllack auf baumwolle 100 x 75 cm

„2 a.m.“ 2018 bronzeguss 33 x 21 x 5 cm

„flag for no state“ 2022

öl + acryl auf baumwolle ca. 50 x 50 cm

„cube“ 2021

öl + acryl auf baumwolle / leinen / holz ca. 16 x 16 x16 cm

„krakeeleen“

[#1.3030 – #6.3030] 2020

öl, ölkreide, blei ­ + buntstift auf papiercollage 21 x 21 cm im 30 x 30 cm passepartout

„innere ordnung“ 2018

öl, kaffee + latex auf pappschachteln ca. 52 x 58 x 3 cm

„cut shadows“ 2014 acryl auf holz, nägel + bleistift + lichtquelle 4 teile ca. 32 x 22 x 1 cm

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CHRISTIAN PLEP

1971 in Bremen geboren

Freischaffender Künstler, Lyriker und Perkussionist seit 2006

Tischler

Autodidakt in der bildenden Kunst Ausstellungstätigkeit seit 2009

Mitglied im BBK­ Bremen

Mitglied in der VG Bild ­ Kunst

Seit März 2022 aktiver Betreiber der Produzenten galerie „Tunnelblick“ in Bremen, Passage Bishofsnadel

Veröffentlichung des Gedichtbandes

„Kapern für die Seele” im Frühjahr 2022

www.organic-tapestry.de

instagram: organic.tapestry

facebook: organictapestry

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IMPRESSUM

Text: Rainer Beßling

Photos: Kay Michalak www.kaymichalak.de

Portrait: Böttcher + Tiensch www.boettcher-tiensch.de

Gestaltung: Ulrich Graf­ Nottrodt www.graf-nottrodt.de

Auflage: 77 | Dezember 2022

No:

DANKE

GaDeWe, Rainer Beßling, Kay Michalak, Mechtild Böger, Kerstin Graf, Ulrich Graf­ Nottrodt und Blaumeier für so einiges und manchmal alles.

Mit freundlicher Unterstützung durch den Senator für Kultur der Freien Hansestadt Bremen

Der Senator für Kultur

Freie Hansestadt Bremen

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