TRAFFIC News to-go #25 Silver Edition

Page 6

6

Zeitgeschehen

Ausgabe N°25 • Juni / Juli 2012 • Jahrgang 4 • trafficnewstogo.de

Vorwärts, Europa, vorwärts! von Thorsten Denkler Was für eine Utopie! Die vereinigten Staaten von Europa. Nicht wenige, die darin den einzigen Ausweg aus der Euro - Schulden- und Bankenkrise sehen, die seit zweieinhalb Jahren den alten Kontinent durchrüttelt. Wer sich mit der Krise beschäftigt, weiß, dass es kaum eine Alternative gibt. Zumindest die 17 Euro-Staaten sind auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Der wirtschaftliche Schaden, den auch nur der Austritt eines Landes aus dem Euro – ob nun erzwungen oder gewollt – nach sich ziehen würde, könnte einen ungeheuren Flächenbrand auslösen. Die Nationalstaatlichkeit kommt in der Krisenbewältigung an ihre verfassungsmäßigen Grenzen. Vor allem das Grundgesetz des wirtschaftsmächtigsten Landes hält kaum noch Spielraum bereit, noch mehr Souveränitätsrechte an die europäische Ebene abzutreten. Deutschland ist in der noch glücklichen Lage, nicht auf Hilfen angewiesen zu sein. Der Wirtschaft geht es gut, der dennoch hohe Schuldenberg wird mit der Schuldenbremse demnächst zumindest nicht weiter wachsen. Dennoch darf nicht übersehen werden: Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel davon spricht, dass es Hilfen für die schuldengeschwächten Staaten nicht ohne Gegenleistung und nicht ohne tiefgreifende Kontrolle bis hinein in die Haushaltsautonomie geben kann, dann gilt dies letztlich auch für Deutschland.

Die Vereinigten Staaten von Europa sind vielleicht die zwingende Folge dieser Krise. Das wird aber nicht funktionieren, wenn die Bürger diesen Weg gar nicht mitgehen wollen. Haushaltsrecht ist Königsrecht. Wie in Stein gemeißelt klang dieser Satz seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Heute nehmen ihn nur noch jene in den Mund, die die Hoffnung nicht aufgegeben haben, dass die Nation in der Euro-Krise nicht den Bach herunter geht. Schon die letzte Entscheidung des Bundestages für den Fiskalpakt macht den Stein porös, in den dieser Satz gehauen war. Noch mag das Grundgesetz dehnbar genug sein, damit umzugehen. Aber die nächsten Schritte werden unvermeidlich auf eine umfassende Verfassungsänderung hinauslaufen. Die politische Union verlangt viel. Nach dem Euro und dem gemeinsamen Binnenmarkt, wird Europa eine gemeinsame Verteidigungsarmee bereitstellen müssen, die von einem gestärkten europäischen Parlament kontrolliert wird. Das bedeutet zwingend, dass es eine demokratisch legitimierte Europäische Regierung geben muss, mit einer einheitlichen Außenpolitik. Merkel hat ja Recht, wenn sie darauf hinweist, dass in den vergangenen 50 Jahren zwar die Weltbevölkerung um gut fünf Milliarden Menschen angewachsen ist aber in Europa nach wie vor lediglich 500 Millionen Menschen leben. Der Anteil der Europäer an der Welt-

bevölkerung schrumpft. Wenn nicht Europa irgendwann von anderen Regionen der Welt marginalisiert werden will, dann muss Europa als geschlossene Macht auftreten. Das Ende der europäischen Nationen ist da nur noch eine Frage der Zeit. Dies ist die technische, die im Grunde unumgängliche Seite dieser Krise. Ebenso unumgänglich aber ist die Frage: Was ist mit den Menschen, den Bürgern dieses dann neuen Europas? In der Eile, mit der sich von Gipfel zu Gipfel die Nationalstaaten in der Europäischen Union aufzulösen scheinen, überfordert die Menschen. Kaum einer versteht noch, was da vor sich geht. Viele glauben, da müssten nur ein paar Banken gerettet, ein paar Staaten entschuldet werden, dann ginge alles gut. Die weitreichenden Folgen sind für sie kaum abzusehen. Sie werden nicht mitgenommen von den Staatenlenkern die längst den Weg zur politischen Union eingeschlagen haben. Das Gefühl, einer Nation anzugehören ist auch 55 Jahre nach der Unterzeichnung der römischen Verträge immer noch deutlich stärker ausgeprägt, als dieses diffuse Dasein als Europäer. Es gibt keine europäische Öffentlichkeit, keine

europäischen Fernsehsender, Zeitungen oder Parteien. Das ist auch kein Wunder. Die nationalen Identitäten haben sich durch Kriege, Könige und Katastrophen über Jahrhunderte ausgeprägt. Nicht mal auf eine gemeinsame Sprache konnten sich die Europäer bisher einigen. Kein Bürger der Europäischen Union wird darauf verzichten wollen, wenn die eigene Muttersprache im europäischen Kontext nur noch als interessantes Idiom wahrgenommen wird. Die Vereinigten Staaten von Europa sind vielleicht die zwingende Folge dieser Krise. Das wird aber nicht funktionieren, wenn die Bürger diesen Weg gar nicht mitgehen wollen. Auf gar keinen Fall darf deshalb Europa weiter ohne Beteiligung der Bürger vorangehen. Das gilt vor allem für die Deutschen. Volksabstimmungen, selbst über den Euro, wurden ihnen bisher verwehrt. Da sind die Bürger anderer Staaten weiter. Die Politiker in Dänemark, Irland oder den Niederlanden waren mehrfach schon gezwungen, ihren Bürgern Europa zu erklären. Es hat sich gelohnt. Darum ist die Debatte darüber, ob es eine Volksabstimmung geben müsse, wenn die europäische Integration den nächsten großen Schritt macht, ziemlich vermessen. Die Frage ist nicht ob, die Frage ist, wann endlich die Bürger auch in Deutschland gefragt werden. Gelingt das, dann sind die Vereinigten Staaten von Europa eine ganz wunderbare Vision. zeitgeschehen@trafficnewstogo.de


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.