TRAFFIC Ausgabe 55

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NO 55

JEFFREY WRIGHT

von BASQUIAT bis LOWE

ZEITGESCHEHEN S.4 Die

Korea-Krise: (k)ein Krieg? KOMMENTAR S.6 Kontroverse: Deutscher Film SPORT S. 8 Ein deutsch-brasilianischer Volltreffer WETTER S.10 Berlin, New York, Cannes und Venedig 8-PAG E E D ITO RIAL S P READ S.11 Exclusive Interview: The Time Is Wright photos by Udo Spreitzenbarth (English) FILM S.21 Paul Verhoeven über den Imperativ des Lebens MODE S.22 Stil-Ikonen schlafen nie KUNST S.24 Trump als Kunstobjekt MUSIK S.26 Vinyl ohne Seele KARRIERE S.27 Couching fürs große Geld


Please accePt my resigNatiON. i dON’t care tO belONg tO aNy club that will have me as a member. grOuchO marx


imPressum

Züli aladag

Contributors

ty-ron mayes

Der deutsche Film- und Grimmepreisträger Züli Aladag, 1968 in der türkischen Provinz Van geboren, lebt und arbeitet in Berlin. 2002 feierte er mit seinem Boxerdrama Elefantenherz, mit Daniel Brühl in der Hauptrolle, sein mit mehreren Preisen ausgezeichnetes Debüt. Sein ebenfalls mehrfach ausgezeichneter Fernsehfilm Wut sorgte 2007 für Furore. 2005 gründete er mit Feo Aladag die Produktionsfirma Independent Artists und produzierte mit ihr den Kinofilm Die Fremde. Der Film gewann weltweit über 40 Auszeichnungen und war der deutsche Beitrag für den Auslandsoscar 2011. 2016 kam die NSU Trilogie Mitten in Deutschland: NSU ins Fernsehen, in der er den Film »Vergesst mich nicht« über die Opfer realisierte. Die Trilogie wurde bereits mehrfach international ausgezeichnet und ist auf Netflix zu sehen. Am 2. Februar erhielt die Trilogie den Deutschen Fernsehpreis 2017 für den besten Mehrteiler.

Udo Spreitzenbarth ist ein internationaler Mode-, Beauty- und Kunstfotograf. Er ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und lebt jetzt in New York. Während seines Architekturstudiums an der Technischen Universität Darmstadt entdeckte er seine Leidenschaft für die Kunst- und Modefotografie. Bald danach wagte er den Sprung nach New York. Nach circa einem Jahr im Big Apple landete eines seiner Bilder auf einem Billboard am Times Square. Er fotografiert für internationale Ausgaben von Magazinen wie Vogue, Harper’s Bazaar, Elle, Marie Claire, Cosmopolitan und einige andere. Ferner hatte er Kunstausstellungen in New York, Berlin, Koeln, Frankfurt, Shanghai und Beijing. ig: @udophotography

udo spreitzenbarth

Celebrity Stylist Ty-Ron arbeitet seit zwei Jahrzehnten an der Spitze der Modeindustrie. Damals entdeckt von Francesco Scavullo, ist Ty-ron Mayes schnell zu einem der Top-Stylisten in der Indusstrie aufgestiegen. Er stylte Stars wie Oprah Winfrey, Tyra Banks, Mariah Carey, Eminem, Iman, Diane Kruger, Heidi Klum, Tyson Beckford, Michelle Rodriguez, Kyle McLaughlin, Amanda Lepore, Sessile Lopez, Ian Somerhalder, Blair Underwood, Megan Fox und viele andere Stars. Mayes arbeitete für Vogue, Harper’s Bazaar, Elle, Cosmopolitan, Marie Claire, L’Officiel, West East und Men Magazine, ebenso gut wie Maybelline, Iman, Miss Clairol und die Guess Kampagne. Er arbeitete als erster Stylist für meherere Staffeln von America’s Next Top Model. Mayes schreibt derzeit ein Buch über Mode, Beauty und Style. Für TRAFFIC hat er Golden Globe Gewinner Jeffrey Wright inteviewt und die Cover Story The Time is Wright! geschrieben. Dies ist der 4. Titel für TRAFFIC den Mayes zusammen mit seinem guten Freund dem Udo Spreitzenbarth produziert hat. ig: @stylisttyronmayes

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VERLEGER

Jacques Stephens V.i.S.d.P.

SCHLUSSREDAKTION Julia Keesen

TITELBILD

Fotograf: Udo Spreitzenbarth Styling: Ty-Ron Mayes Groomer & Make-Up: Janice Kinjo (Exclusive Artists using Remington)

Imaging von: Lorraine Baker Schauspieler: Jeffrey Wright Rot Samt Raucherjacke: J. Hilburn Tuxedo Hemd: John Varavatos Schwarze Hose und Socken: Calvin Klein Halskette: Noam Carver Brille: Portrait Eyewear Uhr: Versace

INHALT

MITARBEITER DIESER AUSGABE Züli Aladag, Ramadan al-Fatash, Lorraine Baker, Eva Biringer, Sebastian Blume, Nathan DeCarlo, Kelley Frank, Dirk Godder Marc Hairapetian, Linda Hanses, Robin Hartmann, Julia Keesen, Janice Kinjo, Jan Kuhlmann, Karoline Landowski, Andreas Landwehr, Ty-Ron Mayes, Vanessa Pecherski, Barbara Russ, Dr. Inge SchwengerHolst, Udo Spreitzenbarth, Jacques Stephens, D. Strauss, Paul Verhoeven, Jeffrey Wright

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redaktion@trafficnewstogo.de

1869-943 X

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3 No 55 - 2017 traFFicNewstOgO.de


mediZiN Dr. Inge Schwenger-Holst Die Medizinerin, Homöopathin und Klinikmanagerin, betreibt derzeit das Schlossgut Schönwalde mit Gästehaus, Restaurant und Polozentrum.

Panic room

ZeitgescheheN

Nur ein Gerücht? - die Angst vor Koreas Bombe

DAS HIGH-TECH REFUGIUM, das Jodie Foster und ihr Kind vor brutalen Einbrechern schützen sollte ist im normalen Leben unser Körper. Er versorgt uns über einen ausgeklügelten Schutzmechanismus mit allem, was uns aus schwierigen Situationen retten soll. Trigger für all dies ist ein uns allen bekanntes Gefühl – die Angst. Ausgelöst durch bedrohliche Reize führt sie zu all dem, was uns im schlimmsten Fall in die Fähigkeit versetzt, z. B. auf eine Palme zu klettern, auch wenn wir danach nicht mehr wissen, wie wir wieder herunterkommen sollen. Alternativ zur Palme ist die Flucht nach vorne- also, sich dem angstmachenden Aggressor zu stellen. Beide Reaktionsmöglichkeiten verlangen, dass das vegetative Nervensystem Kreislauf, Muskulatur und Atmung auf Hochtouren schaltet, während andere Organsysteme wie die Verdauung auf die Reservebank geschickt werden. Leider auch auf die Reservebank geschickt, wird die Fähigkeit, in Ruhe über die (bedrohliche) Situation nachdenken zu können. Der Organismus gerät eben in – Panik! Dies ist der Ausgangspunkt für das, was uns Bürger der vermeintlichen Hochzivilisation auch unter völliger Abstinenz von Löwen, Naturkatastrophen oder anderen real lebensbedrohlichen Situationen unter Angstattacken leiden lässt. Es ist letztlich die Unfähigkeit zwischen tatsächlicher und vermeintlicher Bedrohung unterscheiden zu können, weil sich vor die Ratio die irrationale Panik schiebt. Immerhin zehn Prozent unserer beneidenswert sicher lebenden Community leidet unter regelmäßigen, krankmachenden Attacken dieses Gefühls, das, wenn es nicht sinnvollerweise das Palmenklettern erleichtert, unseren Organismus krank machen kann. Neben körperlichen Angst-Langzeitschäden wie Herzerkrankungen, Schlafstörungen und Bluthochdruck kann allgemeine Erschöpfung zur Depression, bis hin zur Suizidalität, die Folge solch unverarbeiteter Angstgefühle sein. Es gibt inzwischen viele Therapeuten, Selbsthilfegruppen (siehe https://www.angst-und-panik.de/selbsthilfegruppen/) und Institute, die sich mit der Therapie derjenigen beschäftigen, die aus dem Angstkreislauf keinen Ausweg finden. Auch die Pharmaindustrie winkt natürlich mit einer Reihe von Drops, die wie Nebelmaschinen Konturlosigkeit auf die innere Savanne bringen oder unsere Stimmung so »aufhellen«, dass wir lustig pfeifend in das nicht vorhandene Desaster rennen. Ihnen einen wunderbar entspannten Frühling und lassen Sie die Kokosnüsse jemand anderen pflücken. Bis Bald!

©AP Photo/David Guttenfelder

Das isolierte Nordkorea ist nach Jahrzehnten kommunistischer Diktatur ein verarmter Staat, der sogar Hungersnöte kennt. Beharrlich treibt die Führung die Entwicklung von Atomwaffen voran. US-Präsident Trump spielt mit der Idee eines Militärschlags. Welche Folgen hätte das?

Von Dirk Godder und Andreas Landwehr, dpa SEOUL - WER IN DER südkoreanischen Zehn-Millionen-Metropole Seoul eine Schutzeinrichtung sucht, wird meist schnell fündig. Die U-Bahn-Stationen sind so tief in die Erde gebaut, dass sie der Bevölkerung im Fall eines Kriegs mit dem kommunistischen Nordkorea fürs erste als Zufluchtsort dienen sollen. In Südkorea mag sich heute niemand einen zweiten Korea-Krieg vorstellen – der Bruderkrieg von 1950 bis 1953 hat drei Millionen Menschen das Leben gekostet. Doch die Furcht vor einer Eskalation auf der Halbinsel nimmt zu. Die Führung im Norden strebt trotz internationaler Ächtung den Bau von Atomwaffen mit großer Reichweite an – womöglich bis in die USA. Zuletzt gab es mehrere Raketentests, ein neuer, sechster Atomwaffentest könnte bald bevorstehen. 4 No 55 - 2017 traFFicNewstOgO.de

Die Sorge in Südkorea ist nun, dass ein unvorhergesehener Zwischenfall rasch außer Kontrolle geraten oder ein gezielter Angriff der USA auf nordkoreanische Militäreinrichtungen verheerende Vergeltungsschläge provozieren würde. Die kommunistische Führung in Pjöngjang selbst, die den USA eine feindselige Politik unterstellt, droht immer wieder mit Erstschlägen.

Gibt es die »April-Krise«? Eine Serie von Ereignissen hat in Südkorea zuletzt Gerüchte über eine akute »April-Krise« nach sich gezogen. Dazu gehörte auch die Entsendung eines Verbands von amerikanischen Kriegsschiffen um den Flugzeugträger USS Carl Vinson in Richtung Korea. US-Präsident Donald Trump hat mehrmals mit einem Alleingang gedroht - das heißt, notfalls auch ohne China. Südkoreas Regierung versucht, den Gerüchten um eine Sicherheitskrise entgegenzutreten. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums mahnte, »übertriebene Einschätzungen der Lage« nicht zu glauben. Auch geht Seoul davon aus, dass die USA ohne eine »enge Kooperation« keinen Militärschlag gegen Nordkorea starten würden. Auch gibt es derzeit keine Anzeichen dafür, dass die USA ihre Landsleute in Südkorea, deren Zahl auf mehr als 200 000 geschätzt wird, zurückrufen. Einig sind sich Beobachter, dass ein Militärschlag gegen Nordkorea extreme Risiken birgt und einen Krieg mit verheerenden Folgen auslösen könnte. »Ein rauchendes Trümmerfeld mit Millionen von Leichen« erwartet der Nordkorea-Experte Rüdiger Frank vom Ostasieninstitut der Universität Wien am Ende. »Es dürfte Millionen von Toten geben«, warnte auch ein Diplomat, der schon in den ersten Stunden mit Zehntausenden Opfern rechnet. Seoul, das nur 50 Kilometer von der Grenze entfernt liegt, ist in Reichweite der nordkoreanischen Artillerie und Kurzstreckenraketen. Südkorea schätzt, dass der Norden mehr als 13.000 Artillerie-Geschütze hat, meist entlang der vier Kilometer breiten entmilitarisierten Zone (DMZ). Selbst wenn Südkorea mit Hilfe der im Land stationierten US-Truppen die Artillerie ausschalten könnte, wären große Verluste unvermeidlich.

Niemand ist auf einen Krieg vorbereitet Nordkoreas Regierung weiß, dass sie mit einem Angriff ihr Überleben aufs Spiel setzt. Doch ein Krieg würde auch das wirtschaftsstarke Südkorea um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückwerfen. »Trotz fehlender Ressourcen und veralteter Ausrüstung könnte Nordkorea durch sein großes, nach vorne positioniertes Militär mit kurzer oder keiner Warnung einen Angriff starten«, hieß es in einem Bericht des Pentagons. »Das Militär verfügt über die Fähigkeit, Südkorea bedeutenden Schaden zuzufügen, besonders in der Region von der DMZ bis Seoul.« Daneben können Nordkoreas geschätzte 1.000 Scudund Rodong-Raketen fast jedes Ziel in Südkorea treffen. Seoul schätzt, dass nordkoreanische MusudanMittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 2.500 und 4.000 Kilometern zudem nicht nur Ziele in Südkorea oder Japan treffen, sondern auch den USMilitärstützpunkt auf Guam im Westpazifik erreichen können. China fürchtet die unkalkulierbaren Risiken eines amerikanischen Militärschlages, der auch das große Nachbarland schwer treffen könnte – besonders bei einer nuklearen Eskalation. Einige Beobachter gehen davon aus, dass Chinas Streitkräfte auf eine Intervention vorbereitet sein dürften, um unter Umständen möglichst rasch Kontrolle über die nordkoreanischen Atomwaffen gewinnen zu können. »Ein Land hat immer Krisenpläne«, sagt der Nordkorea-Experte und Professor Jin Qiangyi von der Yanbian Universität in der Provinz Jilin. Aber er warnt auch: »Niemand ist darauf vorbereitet, einschließlich Nordkorea. Auch die USA sind nicht bereit dafür.« Die Situation eskaliere gerade. »Wenn Nordkorea jetzt einen Atomversuch oder einen Raketentest unternimmt, wird die Lage sehr ernst. Wenn sie sich zurückhalten, kann die Krise vorbeiziehen.«


Romane gegen Krisen und Tabus Arabische Autoren kämpfen um mehr Freiheit

BUNDESKUNSTHALLE

IM MARTIN-GROPIUS-BAU

Von Jan Kuhlmann und Ramadan al-Fatash, dpa Seit den Aufständen 2011 erlebt die arabische Welt Chaos und Aufruhr. Die Umbrüche bescheren Autoren neue Themen und mancherorts sogar mehr Freiheiten. Der Arabische Booker-Preis soll ihnen eine Bühne geben. Abu Dhabi/Kairo (dpa) - Für sein jüngstes Buch hat sich Mohammed Abdel-Nabi eines der heikelsten Sujets ausgesucht, das ein Autor in der arabischen Welt behandeln kann. In dem Roman »Das Zimmer der Spinne« erzählt der Ägypter die Geschichte eines Mannes, der wegen seiner Homosexuali-tät im Gefängnis landet und deswegen in eine tiefe Identitätskrise stürzt. So offen schreibt Abdel-Nabi über ein Thema, über das am Nil sonst nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird, dass das Buch einem Tabubruch gleichkommt. Und ihm gleichzeitig den bisher größten Erfolg seiner Karriere als Autor beschert. Der 40-Jährige gehört zu den sechs Schriftstellern, die es in diesem Jahr auf die Shortlist des bekanntesten Literaturpreises der arabischen Welt geschafft haben. Zum mittlerweile neunten Mal wird der Internationale Preis für Arabische Romanliteratur (International Prize for Arabic Fiction/IPAF) am 25. April in Abu Dhabi verliehen. Und auch in diesem Jahr fiebern Verlage und Autoren der arabischen Welt diesem Termin entgegen – gibt er ihnen doch die Gelegenheit, in einer von Krisen und Kriegen dominierten Region für einen Moment ins Scheinwerferlicht zu rücken. Das ist für die Branche wichtig, weil die Literatur in der Region oft ein Schattendasein fristet. Die mündliche Überlieferung hat vielerorts eine längere Tradition als die schriftliche. Wenn Leser zum Buch greifen, dann oft eher zu religiösen Werken. Analphabetismus ist weit verbreitet. Zudem bieten Diktaturen und autokratische Staaten kein Klima, in dem Literatur blühen kann. Ökonomische Probleme sind eine zusätzliche Bürde, was zuletzt die Internationale Buchmesse Kairo, die größte ihrer Art in der Region, spüren musste. Die Zahl der dort auftretenden Verlage ging zurück.

JUERGEN TELLER Enjoy Your Life! 20. April – 3. Juli 2017 in Berlin

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Der Arabische Booker-Preis: 50.000 Doller & eine Übersetzung ins Englische

Juergen Teller, Charlotte Rampling, a Fox, and a Plate No.15, Latimer Road, London 2016 © Juergen Teller

Der von Abu Dhabi finanzierte IPAF, wegen seiner Verbindung mit dem britischen Original auch Arabischer Booker-Preis genannt, soll Verlagen und Autoren eine Bühne geben. So will er dazu beitragen, dass arabische Romane auch international eine größere Aufmerksamkeit finden, wo sie oft nur eine Nebenrolle spielen. Der Ägypter Nagib Mahfus etwa war bisher der einzige arabische Autor, der den Literatur-Nobelpreis gewann. Der Sieger des Arabischen Booker-Preises erhält nicht nur ein Preisgeld von 50.000 Dollar, sondern auch eine Übersetzung seines Buches ins Englische. Die diesjährige Jury-Vorsitzende, die palästinensische Autorin Sahar Khalifa, sieht gerade den Roman in dieser Zeit der Umbrüche in einer zentralen Rolle. Lange stand dieses Genre in der arabischen Welt im Schatten der Poesie. »In den vergangenen 40 oder 50 Jahren aber ist der Roman dominant geworden«, sagt Khalifa. »Der Roman kann all das Chaos, den Aufruhr, das Leiden der Menschen darstellen. Er kann all das erklären, was in den Gesellschaften, auf der Straße passiert.«

Die Rückkehr des Romans durch »Die Ermordung des Buchhändlers« Die Palästinenserin ist sogar überzeugt, dass Autoren in der Region trotz der Krisen und Repressionen heute freier sind als früher: »Was vor sich geht, ist eine Revolution. Die Menschen haben nicht mehr länger Angst vor dem Regimes. Trotz des Aufruhrs, trotz des Chaos haben sie den Eindruck, dass das eine Phase ist, durch die wir durchgehen müssen, um einen wirklichen Wandel zu erreichen.« Gerade der Irak hat seit dem Sturz von Langzeitherrscher Saddam Hussein 2003 zahlreiche Autoren und Romane hervorgebracht, die früher nicht zu Wort gekommen wären. Die Werke zeichnen oft das düstere Bild einer leidenden und zerstörten Gesellschaft. 2014 gewann der Iraker Ahmed Saadawi mit »Frankenstein in Baghdad« den arabischen Booker-Preis. In diesem Jahr gilt sein Landsmann Saad Mohammed Rahim mit dem Roman »Die Ermordung des Buchhändlers« als ein Favorit auf den Sieg. Darin erforscht er den Tod eines 70 Jahre alten Künstlers und thematisiert den Untergang des intellektuellen Lebens im Irak. Abdel-Nabis Roman ist ein Beispiel dafür, dass selbst in dem repressiv re-gierten Ägypten ein so heikles Thema wie Homosexualität thematisiert werden kann, obwohl Schwule dort mit Verfolgung rechnen müssen. Der 40-Jährige hat die Erfahrung gemacht, dass er seit Veröffentlichung des Romans im vergangenen Jahr keine Schikanen vonseiten der ägyptischen Behörden erleben musste. »Ich habe versucht, mich auf die psychologischen Seiten und Gefühle von Homosexuellen zu konzentrieren«, sagt er. »Menschen sind heute mehr bereit als früher, solche Themen zu diskutieren.« Doch »wenn ich den Preis gewinne, wird das für mich ein Schock sein«, sagt er. »Seit meiner Nominierung stehe ich in einem Rampenlicht, das ich nicht mag.«

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KOmmeNtar

WO IST UNSER MANIFEST? Deutschland ist ein Land der Filmpioniere. F.W. Murnau, Erich von Strohheim, Fritz Lang, Billy Wilder. Von Nosferatu bis Metropolis sind Meisterwerke entstanden, die das Weltkino seiner Zeit geprägt und beeinflusst haben. Mit dem herannahenden Dritten Reich unter der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten begann der Exodus der Filmpioniere, Literaten, Drehbuchautoren und Regisseure flohen in die ganze Welt, vornehmlich nach Los Angeles, nach Hollywood. Sie hinterließen eine große kulturelle Lücke, auch nach 1945. Von 1933 bis 1945 war das Filmschaffen in Deutschland ein einziger Hohn. Die reinste und übelste Propaganda, um die Gesellschaft nachhaltig zu manipulieren und gleichzuschalten. Um Juden und andersartige Deutsche zu diffamieren und zu entmenschlichen.

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wO ist uNser maNiFest?

Von Züli Aladag


KOmmeNtar Kein Wunder dass es schwierig war, sind vorbei« (Hans Weingartner) am Wett- Fernsehdramaturgie Einzug in unsere glauben im deutschen Fernsehen den im Nachkriegsdeutschland wieder eine bewerb an der Croisette teilnahm. Kinofilme erhält? Dass manche Kinofilme Auftrag zu haben, »moralisch sauber« sein filmische Identität zu finden und einen Und das öffentlich rechtliche Fernsehen eher Fernsehfilme sind? Es gibt keine ein- zu müssen, dem Zuschauer die Moral der Aufbruch in eine neue Zeit zu begin- unterwarf sich zunehmend dem Quo- fachen Antworten auf diese Frage, aber Geschichte erklären zu müssen. Ganz klar nen. Ich glaube unser Filmschaffen leidet tendiktat, das durch die privaten Fernseh- sie ist ganz sicher diskussionswürdig. Eine zwischen Gut und Böse trennen zu müsbis heute unter dieser kulturlosen und sender Einzug in den Fernsehalltag hielt, offene Diskussion von allen Beteiligten sen. Weil wir aufgrund unserer nationalmenschenverachtenden Zeit von 1933- und begann sein Programm schleichend um diese Fragen würde ich mir wünschen. sozialistischen Vorgeschichte immer noch 1945. Der Junge Deutsche Film (später zu trivialisieren. glauben, wir müssten erzieherische Filme Der Neue Deutsche Film) formierte sich Wir machen in Deutschland schon lange Wir haben einen großen Output an Kino- machen, die uns sagen was richtig oder am 28. Februar 1962 auf den Oberhause- auch spannendes Kino und spannendes filmen und Fernsehfilmen. Jährlich werden falsch ist? In hunderten Tatorten muss der ner Kurzfilmtagen. 26 junge Filmemacher Fernsehen. Immer wieder gibt es heraus- über 200 deutsche Kinofilme produzi- Mörder am Ende immer hinter Gittern folgten einem Pamphlet des Filmkritikers ragende Projekte, die im In- und Ausland ert und noch viel mehr Fernsehfilme und landen. Der Zuschauer braucht das anJoe Hembus von 1961, der eine Neuori- Beachtung finden. Aber können wir uns Fernsehserien. Doch warum sehen sich nur geblich und die Fernsehmacher offenbar entierung des deutschen Films forderte auf den Ausnahmeprojekten ausruhen? wenige Menschen deutsche Kinofilme an? auch. Wir machen kleine harmlose Ausund verlasen unter der Federführung Nein, natürlich nicht. Wir sind ein großes Warum ziehen viele deutsche Zuschauer flüge hinein in menschliche Abgründe, des Filmemachers Alexander Kluge das und reiches Land mit einem großen Po- amerikanische, britische und skandinavis- aber wir trauen uns nicht weiter zu geOberhausener Manifest, mit dem sie eine tential und vielen Talenten. Deutschland che Fernsehserien deutschen Serien vor? hen. Der Zuschauer soll am Ende mögneue Ära des deutschen Filmschaffens gewinnt regelmäßig Studenten-Oscars Warum hören wir immer wieder den Satz lichst beruhigt sein. Die Welt soll wieeinleiteten. Inspiriert von der Nouvelle und von Die Blechtrommel bis Nirgendwo »ich sehe mir keine deutschen Filme mehr der in Ordnung sein. Die Moral und die Vague aus Frankreich und erdrückt vom in Afrika oder Das Leben der Anderen ge- an« oder »ich schaue kaum noch deutsch- Ordnung sollen wieder hergestellt sein. Muff der Heimatfilme der 50er Jahre, wannen deutsche Filme einen Oscar für es Fernsehen«? Wir haben Angst vor unserer eigenen betraten sie ein neues und fruchtbares den besten nicht englischsprachigen Film. Was machen wir falsch? Was stimmt nicht Courage. Warum nur schränken wir uns Zeitalter des deutschen Filmschaffens. Deutsche Filme und Serien gewinnen mit unseren Filmen? erzählerisch so unglaublich ein? Unter Die Wortführer des Jungen Deutschen auch immer mal wieder einen EMMY. anderem weil vom Quotenverhalten der Films forderten eine Auseinandersetzung Deutschland 83, Unsere Mütter unsere Selbst Autoren, Regisseure, Produzen- Zuschauer stets inhaltliche und programmit politischen, gesellschaftlichen und Väter. Mit Victoria von Sebastian Schip- ten und Fernsehredakteure erzählen bei matische Rückschlüsse gezogen werden, zeitkritischen Themen. Der Film sollte per und Toni Erdmann von Maren Ade Drehbuch- und Projektbesprechungen die sich weiterhin auf eine Verflachung kein reines Unterhaltungsmedium sein, gelingen auch aktuell im deutschen Kino regelmäßig von ihrer aktuellen Net- und Banalisierung der Erzählkunst aussondern Denkanstöße für den Zuschauer herausragende cineastische Arbeiten flix Lieblingsserie. Sehr selten wird ein wirken. Aber das ist sicher nur ein Aspekt geben. Die wichtigsten Vertreter des Neu- die über die deutschen Grenzen hinweg deutsches Produkt zur Lieblingsserie der Misere. Um das Gesamtbild zu veren Deutschen Films, (auch Autorenfilmer Beachtung finden. Toni Erdmann hat erklärt. Nachdem man dann kurz über stehen, kommen sicher noch viele weitere genannt), waren: Alexander Kluge, Hans keine schlechten Chancen auf eine erneu- Homeland oder Breaking Bad oder True Aspekte hinzu. -Jürgen Pohland, Edgar Reitz, Wim Wen- te Oscar Nominierung eines deutschen Detective oder Better call Saul oder House ders, Volker Schlöndorff, Werner Herzog, Films. of Cards gesprochen hat und sich ge- Wir haben ein grundlegendes Problem Hans-Jürgen Syberberg, Wermit unseren Stoffen, DrehWie sieht es mit der Masse unserer Filme aus? Mit der Ausrichtung der Fernsehsender und Filmförderer? Und wie verhalten wir Filmemacher ner Schroeter, Rainer Werner büchern und ja auch mit uns dazu? Das deutsche Fernsehen ist in der Regel Koproduzent deutscher Kinofilme. Bedeutet das auch, dass somit eine Form von FernsehFassbinder. unserer Erzählkultur. Aber dramaturgie Einzug in unsere Kinofilme erhält? Dass manche Kinofilme eher Fernsehfilme sind? Es gibt keine einfachen Antworten auf diese wir reden nicht wirklich Frage, aber sie ist ganz sicher diskussionswürdig. Eine offene Diskussion von allen Beteiligten um diese Fragen würde ich mir wünschen. Wo ist unser Manifest? Wo steoffen darüber. Und wenn, hen wir Filmemacher heute? Ist alles gut? Es geht natürlich nicht nur um Oscars genseitig erzählt, wie großartig und wie dann nur im kleinen Kreis unter GleichKann alles so bleiben wie es ist? Wohl und Auszeichnungen. Sondern darum, mutig man das alles findet, kehrt man er- gesinnten. Dabei können wir nur etwas kaum. Wir leben heute zwar in anderen wie es um unsere Filmlandschaft bestellt nüchtert zur eigenen Realität zurück und verändern, wenn wir einen offenen DisZeiten und wir sehen die Welt und den ist. Auf den ersten Blick scheint vieles in konstatiert, dass man das alles natürlich kurs wagen. Wenn wir Stellung bezieFilm vielleicht etwas anders als die Ver- Ordnung und funktioniert. Aber das al- im deutschen Fernsehen nicht machen hen. Wenn wir analysieren. Wenn wir treter des Neuen Deutschen Films. Aber lein reicht leider nicht. Mir nicht und vie- könne und »dem deutschen Zuschauer« Veränderungen einfordern. Klar kann sie haben nicht nur großartige Filme len anderen Filmemachern auch nicht. nicht zumuten könne. Warum eigentlich jeder für sich allein kämpfen und auf gemacht, wir profitieren heute alle von Wie stark sind unsere Filme wirklich? Un- nicht? Ist der deutsche Zuschauer düm- Veränderungen bei eigenen Projekten hinihnen und ihren Kämpfen um Unab- sere Kinofilme und unsere Fernsehfilme? mer als der amerikanische, dänische, wirken. Das machen auch einige. Auch hängigkeit, Freiheit und Vielfalt für den Wie radikal und konsequent erzählen wir französische oder britische? Und wer ich. Aber die Fragen, die mich rund um Deutschen Film. Aber wie steht es um Geschichten ohne uns anbiedern zu wol- hat eigentlich dafür gesorgt, dass sich unsere erzählerischen Fähigkeiten im Film unseren eigenen Kampfgeist, um unsere len? Welche cineastischen Impulse gehen das Zuschauerverhalten in Deutschland beschäftigen sind grösser als mein eigenes eigene filmische Identität? Was wollen wir von unseren Filmen aus? Wie perfektio- verändert hat? Der Zuschauer selbst Filmschaffen. Sie sind von systematischer Filmemacher heute? Folgen wir dem Trei- nistisch sind wir, wenn es um Drehbücher oder die Film- und Fernsehmacher? Wir Natur und betreffen uns alle: Die Macher, ben und den Limitierungen des heutigen und Filme geht? können hier auch nicht allein die Verant- die Zuschauer, unsere Kino- und FernseFilmschaffens oder können wir auch ei- Genauso perfektionistisch wie bei einem wortlichen des Fernsehens kritisieren. Wir hfilme, unsere filmische und kulturelle nen eigenen Gestaltungswillen formu- deutschen Auto? Leider nicht. Wie gut sind alle ein Teil dieses Systems und wir Identität. lieren und einfordern, was die filmische vermarkten wir unsere Kinofilme und un- bedienen es. Wenn die Macher sich für Gegenwart und Zukunft in unserem sere Kinokultur? En gros leider nicht so so viel klüger halten als die Rezipienten, Empört Euch – empfahl der 93-jährige Land angeht? gut. Der Marktanteil deutscher Kinofilme dann stimmt etwas nicht. Man fängt an Franzose Stéphane Hessel (gebürtiger in Deutschland nahm in den vergangenen dem Zuschauer nichts mehr zuzumuten, Berliner) in seiner Streitschrift von 2010 Wo ist die nächste Generation von auf- Jahren zu. Dies ist aber hauptsächlich den spricht ihm seine Eigenständigkeit und den nachfolgenden Generationen und regenden, mutigen, ungeduldigen und Komödien und Kinder- und Jugendfil- sein Antizipationsvermögen ab. Also versuchte damit, seine reiche Lebenseraufmüpfigen Filmemachern, die eine ei- men zu verdanken. Viel zu viele deutsche schreibt man didaktische Drehbücher. fahrung mit uns zu teilen. gene Vision davon haben, welche Filme Kinofilme, Dramen und wenige andere Und wer den Film vielleicht nicht verste- Sagt, was Euch nicht gefällt, und wasie machen wollen? Und wo sind diejeni- Genres gehen leider schlichtweg unter im hen konnte, der wird es ganz sicher in rum, und versucht etwas zu verändern. gen, die sie ermutigen sollten zu künstle- Kino. Das können wir so eigentlich nicht einer der vielen geheimnislosen Dialog- Fordert etwas ein, wovon Ihr überzeugt rischen Wagnissen. Zu ästhetischen, for- hinnehmen. Was machen wir Filmema- szenen verstehen. Wir erklären auch dem seid, lasst Euch nicht einreden, dass Mitmalen und inhaltlichen Neuansätzen. cher falsch und warum interessieren sich Zuschauer in der allerletzten Reihe, wo- telmaß die Messlatte ist. Gebt Euch nicht zu wenige Deutsche für deutsches Kino? rum es in einem Film wirklich geht. Ver- damit zufrieden. Seid unbequem. Haltet Das deutsche Kino sagte sich zu Beginn Wie steht es um den kulturellen Wert von trauen wir nicht mehr auf das filmische es aus, dass man Euch deshalb vielleicht der 90er Jahre endgültig vom Autorenfilm Kino in Deutschland? Erzählen von Geschichten oder ist uns als zu anspruchsvoll und zu schwierig los und verschrieb sich kommerzielleren abhanden gekommen, wie man wirklich betrachtet. »Zu anspruchsvoll« kann es Genres wie zum Beispiel der Komödie Wie sieht es mit der Masse unserer Filme gute Geschichten erzählt? gar nicht geben, wenn man gute Filme und verarmte schlagartig. International aus? Mit der Ausrichtung der Fernsehmachen möchte. Es sei denn man hat sich hatte der deutsche Film dann eine ganze sender und Filmförderer? Und wie ver- Unsere Hauptfiguren dürfen nicht zu ne- längst mit den Grenzen der MittelmäßigWeile keine nennenswerte Bedeutung. halten wir Filmemacher uns dazu? Das gativ und zu widersprüchlich sein. So keit abgefunden. Um es mit Stéphane Auf Filmkunstfestivals wie Cannes waren deutsche Fernsehen ist in der Regel Ko- kann es schon mal passieren, dass sie Hessel zu sagen: »Neues schaffen heißt wir im Wettbewerb eine halbe Ewigkeit produzent deutscher Kinofilme. Bedeu- einfach zu langweilig sind, um einen Film Widerstand leisten. Widerstand leisten nicht mehr vertreten. Bis »Die fetten Jahre tet das auch, dass somit eine Form von oder eine Serie wirklich zu tragen. Wir heißt Neues schaffen.« 7 No 55 - 2017 traFFicNewstOgO.de


sPOrt

Der ZufallsExperte DER DEUTSCHE GERD WENZEL MODERIERT IN BRASILIEN SEIT 1991 JEDES WOCHENENDE DIE BUNDESLIGA IM TV. SEINE UNGEWÖHNLICHE KARRIERE VERDANKT ER UNTER ANDEREM EINEM FEHLER, DER IHN ANDERSWO DEN JOB GEKOSTET HÄTTE...

ES IST DER 4. JULI 1954, als der 11-jährige Gerd Wenzel unter seinem Küchentisch sitzt und gemeinsam mit zwei Freunden hemmungslos weint – vor Freude weint, denn soeben hat Heribert Zimmermann die heute legendären Worte gebrüllt: »Aus, aus, das Spiel ist aus!«, ist Deutschland zum ersten Mal Fußball-Weltmeister geworden. Unter einer großen Bettdecke versteckt haben die Drei das Spiel verfolgt, hier in der Dimitroffstraße, Ostberlin, das Radio gedämpft, es ist eine Zeit, in der man nie wissen kann, was die Nachbarn so alles hören. Die Elite der DDR war natürlich für Finalgegner Ungarn, ergo hatte es offiziell auch das Volk zu sein, schon in der Schule wurden die Jungs darauf eingeschworen, Westrundfunk war offiziell verboten. Der kleine Gerd ahnt damals noch nicht, dass er selbst einmal solche Fußballspiele moderieren wird, dass 37 Jahre später eine Karriere beginnen wird, wie sie wohl ungewöhnlicher kaum sein könnte, in einem Land, von dem er damals ebenfalls noch nichts weiß. Heute ist Gerd Wenzel einer der bekanntesten Fußballmoderatoren Brasiliens, berichtet seit fast 25 Jahren jedes Wochenende im TV über die Bundesliga. Er fachsimpelt, kommentiert, fiebert mit, betreibt sogar seine eigene Webseite, und ist so in einem absolut fußballverrückten Land längst zur Legende geworden.

»wir werfen dich raus, du scheiß-stasi-agent!« Das es überhaupt so weit gekommen ist, »verdankt« er einer drastischen Entscheidung: Nur ein Jahr nach dem WM-Finale von 1954 flieht er mit seiner Mutter vor dem Regime nach Sao Paulo: »In der DDR war es damals einfach nicht mehr auszuhalten, und jeder glaubte, dass es irgendwann zwischen den Amis und den Russen knallen würde.«Freunde, die bereits in den 30er Jahren vor den Nazis geflohen waren, unterstützen die Wenzels, und so kommt Gerd im Sommer 1955 in seiner neuen Heimat an. Mit seinen neuen Schulfreunden lernt er schnell portugiesisch, geht ins Pacaembeu-Stadion, bejubelt den FC Santos und den schon damals legendären Pelé. Im Radio läuft Tom Jobim rauf und runter, der Bossa Nova wird geboren, die heutige Hauptstadt Brasilia gebaut. »Die Demokratie blühte auf«, so beschreibt es Wenzel heute, aber nur für kurze Zeit, denn schon 1968 erlebt Wenzel ein ganz anderes Brasilien. Er hat sich zuvor für

Von Robin Hartmann ein Theologie-Studium entschieden, liest mit Inbrunst die Biographien von Gandhi, Bonhoeffer und Martin Luther King, versucht, die Lehren von Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichberechtigung auch als junger Pastor in Minas Gerais zu lehren. Das passt der damaligen Militär-Diktatur überhaupt nicht, und so wird der junge Gerd auf Druck der Mächtigen erst seines Amtes enthoben, bevor er verhaftet und eingeschüchtert wird. Noch heute erinnert er sich an dieses traumatische Ereignis: »Für brasilianische Verhältnisse war das damals wohl eine normale Zelle: Kein Bett, Loch im Boden für die körperlichen Bedürfnisse, kein Fenster, kein Licht.« 10 Tage hält man ihn fest, dann droht man ihm am Ende eines stundenlangen Verhörs: »Du kommst jetzt frei, aber wir werden dich aus unserem wunderbaren Land rauswerfen, du Scheiß-Stasi-Agent!«

»wir haben eine ganze menge caipirinhas geschluckt« Wenzel sucht infolge dieser Ereignisse in anderen Berufsbereichen sein Glück, arbeitet ab 1970 in den Bereichen Marketing und Kommunikation für verschiedene deutsche Unternehmen, gründet Mitte der 80er Jahre seine eigene Eventfirma. Dann kommt im September 1991 ein Anruf, der sein Leben auf den Kopf stellt – und ihn zu dem werden lässt, der er heute ist. Am anderen Ende der Leitung ist ein alter Kollege, der Wenzel sagt, er habe ihn soeben als Moderator für eine neue Fußballsendung vorgeschlagen, die TV Cultura und der Pharma-Gigant Bayer planten, »ob ich mich nicht mal bei Herrn Sowieso melden wolle.« Wenzel ruft also seinerseits beim Chefredakteur von TV Cultura an, der nach nur zwei Minuten Gespräch sagt: »Weißt du was Gerd, deine Stimme gefällt mir, ist nicht zu verwechseln. Übermorgen zeigen wir Duisburg gegen Hansa Rostock, dann machst du deine Premiere als Moderator.« Am 8. September 1991 erscheint Wenzel also beim Sender, und wird gemeinsam mit seinen beiden Kollegen José Trajano und José Goes als »deutscher Fußballexperte« in eine kleine Kabine vor einen noch kleineren Bildschirm gesetzt. Dass die Drei beim Spiel 20 Minuten lang die beiden Mannschaften aufgrund ähnlicher Trikots verwechseln, legt einen weiteren Grundstein für seine Laufbahn: »Ich dachte nur, naja, jetzt ist es auch schon wieder aus mit meiner Karriere als Moderator, aber alle in der Redaktion haben sich köstlich amüsiert 8 No 55 - 2017 traFFicNewstOgO.de

und dann gingen wir zusammen Feijoada essen und haben eine ganze Menge Caipirinhas geschluckt.«

die bundesliga ist in brasilien die Nummer eins Wenzel lernt aus seinem Anfängerfehler, lässt sich fortan von einem Freund bei der Lufthansa regelmäßig den Kicker mitbringen, liest Fachbücher, besucht Seminare und lernt von Kollegen, besonders seinem Idol Trajano: »Während der ersten Jahre gab mir der Meister wertvolle Tipps, und das immer mit Humor und guter Laune.«Der Erfolg des Programms gibt Wenzel recht, die Einschaltquoten sind beachtlich, und so übernimmt 1998 der Sender-Gigant ESPN Brasil die Übertragungsrechte, zeigt fortan pro Wochenende bis zu vier Partien aus der Bundesliga live – natürlich moderiert oder kommentiert von Wenzel, der sich so zu einem »Botschafter des deutschen Fußballs« mausert, wie er es selbst beschreibt. 2006 dann der endgültige Ritterschlag, Wenzel darf als Moderator zur Fußball-WM zurück nach Deutschland, und übernimmt quasi nebenbei die gesamte Organisation und Logistik für seine Senderkollegen. Wieder, 48 Jahre nach 1954, kommen ihm die Tränen, als Cambiasso gegen Deutschland den entscheidenden Elfer verschießt, Deutschland somit über Argentinien triumphiert und ins Halbfinale einzieht. Heute, so sagt Wenzel, steht die Bundesliga in Brasilien in Sachen Beliebtheit an erster Stelle, noch vor der Premiere League und der Primera Divisón. »Nach dem 7:1 hat der brasilianische Fußballfan nur einen Traum: Dass seine Selecao irgendwann mal wieder so gut wie Deutschland spielt.«Für den brasilianischen Fußball findet Wenzel übrigens wenig warme Worte, er sei nur noch ein Schatten seiner selbst, der brasilianische Fußballbund »verkrustet und eine verfluchte Erbschaft der Militärdiktatur.« Trotzdem ist er natürlich Brasilien immer noch dankbar für seine ungewöhnliche Karriere, die, so weiß er, in Ostberlin, oder anderswo »unmöglich, unvorstellbar« gewesen wäre. Was bleibt, ist noch eine letzte Frage: zu wem hält ein Deutsch-Brasilianer eigentlich, wenn es drauf ankommt? Wenzel drückt es so aus: »Ich habe immer schon zu meinen Freunden gesagt: Egal wer Weltmeister wird – Hauptsache Brasilien oder Deutschland. So habe ich mittlerweile schon neun Titel gefeiert.«



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Seine Meinung lautstark zu verkünden, liegt schwer in Mode. Nicht nur Demonstrationen und politische Veranstaltungen laden dazu ein, seine eigenen Werte wortgewaltig zu vertreten, sondern auch glamouröse Filmevents – denken wir an Meryl Streeps bewegende Anti-Trump-Rede bei den Golden Globes. Introvertierter, aber durchaus plakativ kann man seine Botschaft durch das Tragen des richtigen T-Shirts senden. Etwa auf der Berlinale: Sie gilt als das Politischste der großen Filmfestivals. Aktuelle Diskurse und Debatten werden dort ebenso heiß diskutiert wie die Handlungsstränge der Wettbewerbsfilme, die sich in dieses Jahr thematisch um die Geschichte Europas drehen. In den Pausen dürfte vor allem Trumps Politik die Gespräche bestimmen, ebenso wie die (weibliche) Front, die sich aktuell gegen ihn formiert. Als Natalie Portman hochschwanger auf dem Womens March in Los Angeles dem amerikanischen Präsidenten bescheinigte, eine Revolution ausgelöst zu haben, erinnerten wir uns nicht nur mit Gänsehaut an die Storyline von V wie Vendetta. Wir wollten auch sofort ihr weißes Baumwollshirt mit dem Schriftzug »We should all be Feminists« tragen. Das wohl begehrteste Kleidungsstück des Jahres wurde entworfen von Maria Grazia Chiuri, der ersten Frau an der Spitze des französischen Modehauses Dior. Inspiriert von Chimamanda Ngozi Adichie gleichnamigem Essay, steht es für eine neue Protestwelle für die Gleichberechtigung der Frau. Allerhöchste Zeit also, Meinung stolz auf der Brust zu tragen.

Nachdem die richtige Botschaft gewählt, die Bewegungs-Freiheit garantiert ist und man mit beiden Füßen am Boden bleibt, darf eine Extraportion Glamour dem Auftritt auf einem Filmfestival den letzten, besonders wichtigen Schliff verleihen. Dafür sorgen traditionell ja exzentrische Schmuckstücke. Der Blick ins aktuelle Schmuckkästchen verrät: Statement-Ketten sind von gestern, Broschen lenken zu sehr ab und Ringe tragen wir ohnehin jeden Tag. Lassen wir also stattdessen mal Ohrringe sprechen. Diese sollten diese Saison vor allem dreierlei sein: auffällig, metallisch und geometrisch. Fortgeschrittene tragen sie gleich asymmetrisch: Denn ein ungleiches Paar steht unterschwellig für Toleranz und Rebellion in einem. Und gibt es eine perfektere Kulisse für beides, als den Schmelztiegel New York und sein an Coolness kaum zu überbietendes Tribeca Filmfestival? Von Robert de Niro ins Leben gerufen, treffen hier Independent-Filme auf einen unangestrengten Vibe. Die Inspirationsquellen der passenden Schmuck-Designs scheinen zwischen Zaha Hadid und Kubismus zu liegen – mit einem spannenden Wechselspiel aus organischen Rundungen und scharfen Kanten. Da werden direkt Assoziationen wach. Ohrringe sind sinnlich, plakativ und betonen statt einem plumpen Dekolleté den wohl wichtigsten Körperteil einer Frau – den Kopf. Mit extravaganten Statement-Ohrringen zu langer, natürlicher Wallemähne oder lässig zum Dutt fixiertem Haar zeigen wir symbolisch: Wir sehen nicht nur hin, wir hören auch ganz genau zu.

Als das Filmfestival von Cannes vor zwei Jahren kurzzeitig flache Schuhe von seinem Roten Teppich verbannte, hagelte es weltweit Proteste. Zahlreiche Stars beschwerten sich über die angebliche High-Heel-Pflicht (mehreren Damen in Sandalen wurde der Zugang verwehrt) und im Internet formierte sich unter #flatgate ein wahrer Shitstorm. Zurecht! Julia Roberts schritt sogar noch ein Jahr später die berühmte Treppe zum Festivalpalais barfuss hoch, um gegen diese Form von Sexismus zu protestieren. Ganz so weit wie ’La Roberts‘ muss man dieses Jahr aber nicht gehen, denn androgyne Flats machen High Heels in Sachen Glamour längst extrem bequeme Konkurrenz. Alltags-Sneaker und flache Sandalen; lassen wir diese Festivalsaison getrost zu Hause und schlüpfen in Cannes stattdessen lieber in elegante Dandies oder Brogues aus Lack oder Glattleder in Schwarz, Weiß oder glänzenden Metallics. Sie bieten mit ihren klassischen Schäften viel Fläche für Dekoration und werden jetzt geschmückt mit Strasssteinen, Stickereien, Applikationen oder funkelnden Nieten. Und sie erinnern uns an einen der bezauberndsten Filmmomente dieses jungen Kinojahres: Emma Stone schlüpft in La La Land aus ihren unbequemen High Heels in schwarz-weiße Brogues, um sich in Ryan Goslings Herz zu steppen. Dazu glitzern die Lichter L.A.s stumm vor sich hin – und wir haben verstanden. High Heels lassen Frauen hilflos trippeln. Laufen und unbeschwert durchs Leben tanzen können sie hingegen besser in flachen Schuhen. #flatgeht

Was Mode und Kino gemeinsam haben? Sie sind nicht nur eine Kunstform und höchst anerkannte Art von Eskaspismus, sie bedeuten vor allem persönlichen Ausdruck und Freiheit. Und sie sind da, um bewusst Regeln zu brechen, sei es bei Geschlechterfragen oder gesellschaftlichen Konventionen. In Zeiten von Genderbending wundert man sich, wie wenige Frauen auf den Roten Teppichen doch die Hosen anhaben. Wer sich dem Modediktat des nicht unterwerfen und zwischen den glitzernden Roben positiv auffallen will, sollte dieses Jahr spätestens bei den Filmfestspielen von Venedig also gepflegt zum androgynen Look greifen. Marlene Dietrich hat es in den 20ern vorgemacht, als sie den Stilmix heutiger Stars wie Evan Rachel Wood um Jahrzehnte vorwegnahm, spielerisch weibliche und männliche Stilistik mischte und so zur unsterblichen Stil-Ikone wurde. Und ganz nebenbei einer bequemen, weit geschnittenen Hose mit Bundfalte in Herrenfasson ihren Namen vermachte. Lange Beine, gehüllt in fließend-weite Hosen stehen bis heute für Unangepasstheit, Smartness und einen gewissen Sexappeal – und sind somit wie gemacht für ein Filmfestival: Aus grauer Wolle in Glencheck für die Berlinale, aus weißer Crêpe-Seide für die Croisette und aus glitzerndem Lurex für das Highlight der Festspielsaison: Venedig. 2017 hat die Marlene-Hose eine hohe Taille, die bestenfalls mit einem Gürtel oder Stoffband gerafft wird, klassische Bundfalten und wird anstatt mit High Heels mit flachen Schnürern getragen. Für noch mehr Freiheitsgefühl!

BERLINALE FILM FESTIVAL 09.-19.02.2017

TRIBECA FILM FESTIVAL 19.-30.04.2017

FESTIVAL DE CANNES 17.-28.05.2017

10 No 55 - 2017 traFFicNewstOgO.de

LA BIENNALE DI VENEZIA 30.08-09.09.2017


Protagonist JEFFREY WRIGHT Photography by UDO SPREITZENBARTH Fashion Editor & Interview by TY-RON MAYES (www.maxinetall.com) Groomer & Make-Up by JANICE KINJO for Exclusive Artists using Remington Imaging by LORRAINE BAKER Photographer Assistant NATHAN DECARLO Behind the scenes images by SEBASTIAN BLUME (PRODUCTION & PHOTOGRAPHED: NEW YORK)

The Time Is WRIGHT!

After his breakout role in Julian Schnabel’s 1996 biopic Basquiat, HBO’s

Angels in America, James Bond and The Hunger Games Trilogy, Golden Globe winning actor, Jeffrey Wright, forges ahead with a compelling new role in the modern adaptation of Westworld. The spine-

chilling mystery is a ten-episode thriller that takes place in a fictional amusement park for the uber-rich. In the realm of Westworld, robotic hosts inhabit the western theme park and visitors are allowed to experience their decadent fantasies. Once illicit and subversive acts are consummated, the ‘hosts’ are hunted, abused, shot and stabbed without recourse, only to be repaired and subjected to the same dismal narrative over and over again. However, something emerges from their artificial intelligence. They are becoming conscious and beginning to suffer from the residual memories created by the guests. In the center of it all is Jeffery Wright, who plays the grief stricken human-like facsimile we know as Bernard Lowe. The handsome baritone thespian’s career is entering its third decade on film and Wright is on fire. The once character actor earned the respect of his peers, as well as recognition from the public. And, now when you utter his name amongst fellow actors, he is referred to as »the actor’s actor«. That acknowledgement has put Jeffrey Wright in league with A-list actors, because he has taken on some of the most challenging roles. On-camera: Dr. Martin Luther King Jr., Muddy Waters, Jean-Michel Basquiat and General Colin Powell were all tough, complicated icons whom Wright seemed to effortlessly embody. Yet, off-camera, Wright is as kind as he is intense. That character trait is echoed through his activism, philanthropy and focus on nurturing his children. The in-demand actor may play a facsimile on television, but in real life, Wright keeps it real, doesn’t pull any punches, and has strong political views. So, hold-on-tight as Jeffrey Wright unplugs and talks about his; on screen persona, off-screen passions, President Donald Trump and how technology is affecting mankind.

11 No 53 - 2016 traFFicNewstOgO.de

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ou have portrayed some You don’t feel like the timing for you was right in which the audience to come on the journey with us. We are all of the most iconic men in you were able to play Basquiat in a certain part in your pretty good at what we do: and had been doing it for a American history includ- life. And, eventually General Colin Powell? It seem as while, and we knew when we were onto something. ing contemporary artist, though you are growing into these moment where you Jean-Michel Basquiat in can capitalize and land these incredible roles at specific Did you watch the original Westworld movie starring Yul Basquiat, General Colin times in your life? Brenner? Powell in W and Dr. Well, I guess I don’t see it in that way. I just try to main- Yes! Actually, I hadn’t seen it before, but I signed onto Martin Luther King Jr. in tain an interest in the world around me- the social, cul- the show though. I missed that one as a kid! But, yeah I Boycott. What is it like tural and to some extent political climate. I respond to did see it. The credits of the movie are brilliant and some to portray powerful men that through my work. Early on, I was attracted to the of the performances are iconic. You know, Yul Brenner’s who changed a genera- theater and acting, because I found that it was the most performance, obviously, is brilliant. But, Michael Crichtion? expressive way for me to make a commentary about ton was way ahead of his time in relation to cinematic Jeffrey Wright: Each of the world around me. I try to seek out stories that sa- technology. I’m not often the one who is big on remakes, those roles served its tisfy that impulse. Not everything I do is for that reason. but I think what we did was a reconsideration more than own purpose. I think the Some things I did, because I didn’t want to be away from a remake. If there was a film from the Seventies that was most delicate was Jean-Michel Basquiat, simply because my kids too long when they were young, but I needed well served by being revisited now, some 40-odd years his story and his work wasn’t known to as wide of an to make money to support my family and myself. So, I later, then this is it. Technology has obviously advanced audience as it is now. So, to be responsible in some way made choices based on those reasons. One of the smaller to the point where we are beyond the early stages of for introducing him to folks who never knew of him pre- roles I did was in Ali. I decided to do the role because I artificial intelligence. And, we all are becoming increasviously was something that I took very seriously. I took wanted to work in Africa- where we filmed in Mozam- ingly subjected to automation, A.I. technology and even it seriously, because I was and am a huge admirer of his bique. Also, I wanted to spend some time with Muham- more advanced technologies. What we are able to do work, his aesthetic and his narrative. Within his work, I mad Ali who was a giant, heroic man on the landscape with cinematic constructs serves the storytelling now. feel a creative kinship, and I felt that it was my duty to of my childhood imagination. So, I chose that gig for Even so, with that said, I think our show is about the express that through the performance. So, that was a that reason. I try to stay open to the »church of what’s technology, but it is equally, if not more so, about humandifferent responsibility than the role of King (Dr. Martin happening now«. For me ... What’s happening for me. ity, along with the contemplation of consciousness, as Luther King Jr.) in, Boycott. King was one of the most well as memory and all of these things that make up our well-known figures in American history, culture and So, let’s talk about what’s happening now. Westworld is vision of who we are in the world. So, it peels away from also around the world. The responsibility there was very a huge hit. You play a dual role teeter-tottering between Crichton’s original film. much about trying to do him justice and overcome the Arnold and Bernard. You displayed some serious acting familiarity that the audience had with him, You are one of our greatest American actors. so that they would buy into my version of And, you co-starred opposite screen legend, him. But, all of these characters, particularly Sir Anthony Hopkins. What was it like workthe ones who have passed, I think on some ing with Hopkins on Westworld? level need to have their stories interpreted. Oh, I loved it! He is a virtuoso. I believe I do try to inhabit a spiritual or energetic he is one of the few remaining actors who space that they might have inhabited. And, kind of bridges-the-gap between early 20th I try to allow some part of their essence to Century British theater and contemporary flow through me. Like Muddy Waters, as American film. He has stories about (Lauwell, or any of these iconic characters that »ThE RhEToRic oF ThE TRuMp cAMpAiGN WAs xENophoBic, FEARFul, rence) Olivier and (John) Gielgud and the have such a significant place in society and sMAll-MiNDED, AND NoW his ADMiNisTRATioN is DiREcTED ToWARDs whole cast of classic British actors. But, he have moved on. TRADE DEALS AND CUTTING JOB LOSSES IN AMERICA WHILE POINTING THE has this contemporary presence, as well. So, he also chased through the earliest part of In the acting community, you are known as, scApEGoATiNG FiNGER AT ThE MExicANs oR ThE chiNEsE.« his career on jet fuel. He’s got some inter»the actor’s actor«. But now, you are becomesting stories to tell. I dug working with him ing a household name. With the successes on camera. Rather, I dug talking to him off of The Hunger Games Trilogy and HBO’s camera as much as I did working with him Westworld, how are you adjusting to your on camera. opposite Page: newfound fame? red velvet smoking Jacket J. hiLburn You know, I looked up at the calendar the What is that one thing Sir Anthony Hopkins tuxedo shirt John varavatos black slacks and socks caLvin KLein other day, and I realized that 2017 is the 30th shared with you that you walk with now? necklace noaM carver year for me in this line of work. There’s not Well, we talked a lot about politics. Off glasses Portrait eyewear much that is new to me anymore [laughcamera, I heard his perspective on being a watch versace ter]. I kind of go through waves of recogchild in Wales, growing up during World nizability. I took a pause in some ways from War II, and the resonances from Trump and working, I was no longer as focused as I had been at one acrobatics as you shifted realities and different timelines. his campaign, which was at its peak while we were finpoint in my career. After my kids were born, I slowed How difficult was it to string together and keep consis- ishing up the show. So, his take on history and politics down a bit, and I began working on some economic tency with the complexity of your characters? was pretty insightful and sharp. And on camera, I would development projects in Sierra Leone. So, for about ten Westworld was extremely well written, well crafted. That say his focus, energy and precision. He says it takes him years, starting in the early 2000’s, my work wasn’t my is what I always seek out. It was an ideal situation, in longer than it might have at one point to remember his primary focus. Consequently, some of the work that I that regard. That makes things easier, but still– what we lines. He goes over each scene before he goes to set a did then was kind of 50/50 [laughter]. However, lately, were asked to do at times was fairly complicated. I think hundred times and so, he comes out of the gate at six since Boardwalk Empire, I refocused and got back to the the real challenge was kind of bouncing between being o’clock in the morning, like a shot of pure adrenaline in level of interest and performing that I had earlier. As for emotional and calm– which I found to be tricky. But, your veins. He’s ready to go! I appreciated that style and notoriety, I’ve always appreciated that people respond to what I found interesting about the process was that, as energy. There are certain performers I worked with in what I do. I think there has been an accumulative effect we were asked to portray these facsimile humans, we the past that asked you to bring that vitality: Christopher over time where people are starting to realize the differ- were in some ways recreating what we do as actors. So, Walken was one of those, Savion Glover was one and ent stories and characters that I’ve been a part of. There there was this mirror reflection and a meta-thing going Hopkins is another of those. So... when I am working are certain people who know me from Shaft. And, there on that I found to be an interesting meditation. And, that well, I try to play the game like that. are others who know me from Angels In America. Yet aspect of performing is something that audiences maybe others know me from, Basquiat, or The Hunger Games don’t appreciate enough. It’s very much about finding a Westworld boasts a star studded cast including: Tandee and the Bond movies. I guess, what’s starting to happen space, a creative kind of space, a calmness intertwined Newton, Evan Rachel Woods, James Marsden, Ed Harris now is that people are starting to put it together that this with chaos and spontaneity that allows you to ‘do your and Anthony Hopkins. Who did you bond with most on is the same guy. So, they are starting to catch up with thing’. I was very conscious of the work as being medita- the show? me. I was kind of cruising through it, still maintaining a tive– now that was pretty cool. Definitely, Tony (Sir Anthony Hopkins). We spent a lot strategic degree of anonymity. Its starting to change a of time together. Evan and I, spent a lot of time together. little bit. It was extraordinary to see you respond to and change We had a lot of intimate, delicate scenes together. Realemotions on a single directive. Your performance was bril- ly wonderfully intimate. Luke Hemsworth, and I spent How important is timing when it comes to an actor’s suc- liant. How long did it take you to film Westworld? time in the ocean together surfing. We were a good facess? It took us forever! It took us two years from the time we mily; and I think we all were appreciative of one another Timing is only important for an actor’s work in as much shot the pilot until the first episode was released in Oc- and appreciative of this gift of a show we had been inas it is a tool for storytelling. But, as far as something tober of 2016. I think the hardest part about that was, we vited to dig into. that relates to career, I don’t think it plays any role. I were really not able to contractually do other work while don’t think its significant at all. I think its more about we were in amidst of filming Westworld. It was challeng- Being a host in Westworld, you had to deliver a nude what you are able to bring to the table. ing, because we were all so stoked about what we were scene. What’s it like to »drop trou« for a role? doing, and we were all really anxious and excited for Oh... Well... [laughter]. There’s more to come! Yeah... 12 No 55 - 2017 traFFicNewstOgO.de


It seems as though life is imitating art, in that we are moving towards a reality that previously only existed on the silver screen. Automation is taking over our reality as we speak. EZ Pass (an electronic toll collection system used on most tolled roads), Metro Cards (payment method for the New York City Subway), RFID Chip Implants (A human microchip implant) and self-check out are replacing our work force and people are having relations with realistic sex dolls. What do you think about the future of humanity as it relates to interacting with robotics and automation? I take the lead on this from Stephen Hawking and Elon Musk ... Guys like that who are obviously more deeply aware of the nuances and the specifics of the technology than I am and have articulated the social implications in a way that I think is worth paying serious attention to. For me, as someone who pays attention to the social or political side of things, it makes me feel as though the ways in which this election was informed by technology is significant. The rhetoric of the Trump campaign was xenophobic, fearful, small-minded, and now his administration is directed towards trade deals and cutting job losses in America while pointing the scapegoating finger at the Mexicans or the Chinese. This is probably ignorant. If you examine the roll of automation and technology and the efficiencies that have been created in reshaping the American and global economies. If you look at Kodak– at its height it was a company that had 175,000 employees manufacturing all of the things that you could imagine. Like, film or chemicals to process film... Cameras that use film... All of the tools required to ‘man’ a darkroom. Whereas, Instagram is a company that has about 1,400 employees, last I checked. Instagram was sold to Facebook for seven billion dollars. Kodak, at the height of its market value was never worth seven billion dollars. Those 175,000 jobs have been reduced down to those clever programmers and others. Instagram is obviously not the only photographyoriented tech company, but its an interesting window. Seven billion dollars was reduced down to the hands of a fortunate few. That value didn’t come out of nowhere. Those dollars weren’t just printed at the U.S. Mint. They were sucked out of all of these other sectors that were supporting these other companies like Kodak. Now, if you look at your iPhone, all of those companies that were providing technology are now included in this one device. Value was sucked out of those sectors and into Apple’s coffers. And so, you only need to dig down a little below the surface to understand the ways that technological efficiencies are rearranging things. So, the question comes to me: How do we as a society and our government respond to this so that the disruption isn’t so destructive to income, equality, opportunity and stability? But,

when you have this level of ignorance, and the feuding over power that exploits that ignorance like you have with Donald Trump, then it’s a really dangerous setting, because we are missing reality. This is something that I have become increasingly aware of. Not only because of my show, but also, because we are living it. You know there are some voices out there who are clear about the source and the character of these changes. I try to pay attention... beyond the bullshit. What does Jeffrey Wright prefer... Blockbusters or Indies? You know, I tend to like Indies. I also tend to float back

I was just in San Francisco with my kids, because they had a break from school. And, there’s a restaurant there that we found a few years ago. I went out there for an arts festival and took them. Its called the Crab House On Pier 39. They do a baked crab... A whole Dungeons Crab with seasoned garlic butter that is maybe the greatest food known to mankind. That could be it. My grandfather was a waterman on the Chesapeake Bay– crabs and cold oysters and things: maybe I get that from him. Maybe, I have that in my DNA. Do you like to cook? I love to cook when I’m not working. I found early on in my career that it was a great, creative outlet when I was in between gigs. I always ask celebrities this question. I find the answer to be so interesting. In your years of traveling, what is the weirdest food you’ve eaten? I think maybe when I was flying from Paris to Sierra Leon toward the end of the Ebola outbreak. It was the early Spring of 2015 and we had a lay-over in Morocco. I had a few hours in the meantime so, I went to Casablanca. I hadn’t been there in many years. I asked the cab driver, who didn’t speak any French, Arabic, nor English... I tried to tell him to take me to a place to get some local food. He took me to a hotel tourist spot. I said, »No, dude. Take me to a place to get some real food«. We go past this place and there is a guy on the corner with a cart selling this stew. And, I said, »Can we try that?« He said, »No! You don’t want to try that.« So, it was a stew made up of tripe, I think, and it was with this cinnamon, herbal, clovey thing. It was unbelievable! It was so good. That might have been the most »off the path« things I had. You know, one of my favorite foods is chargrilled oysters, which I now make. When I first started eating down in New Orleans, I discovered grilled oysters with a herb butter sauce and a little bit of Parmesan cheese. Grill until it’s just about to brown on the edges. Yeah!

and look at vintage stuff. I went back to watch Jean Renoir’s Grand Illusions with Eric von Stroheim for the first time, which I’d never seen. His performance blew my mind. I tend to be all over the place in my interest. I watch obscure things and documentaries more than anything else. Even though it seems like you never get time off, what do you like to do on your days off? When I can: I surf! I try to keep it simple and just kick it man. What is your favorite food? 13 No 55 - 2017 traFFicNewstOgO.de

You literally stepped off of the movie set, jumped on the plane and came directly to our cover shoot with TRAFFIC News to-go. Can you tell me what you were filming? I was in production with a movie called, Public, which was written and directed by Emilio Estevez. Your career is on fire. You just finished filming and two weeks later you started production on another film. What’s your new project? We shot the other film in Cincinnati and now I am in Calgary working on a film called, Hold The Dark, directed by Jeremy Saulnier with Alex (Alexander) Skarsgard and Riley Keough.


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© Stefan Müller

HELMUT NEWTON FOUNDATION UNTIL14 MAY 2017 ALICE SPRINGS / THE MEP SHOW HELMUT NEWTON / YELLOW PRESS MART ENGELEN / PORTRAITS FROM 3 JUNE 2017 MARIO TESTINO / UNDRESSED HELMUT NEWTON / UNSEEN JEAN PIGOZZI / POOL PARTY HELMUT NEWTON FOUNDATION MUSEUM OF PHOTOGRAPHY JEBENSSTRASSE 2, 10623 BERLIN TUE, WED, FRI, SAT, SUN 11-7, THU 11-8 www.helmutnewton.com


MR. PAUL

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Der am 18. Juli 1938 in Amsterdam geborene Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent Paul Verhoeven ist auch im Interview ein charmanter Provokateur, der gerne Tabuthemen aufgreift. Der Mitbegründer der niederländischen Nouvelle Vague (Türkische Früchte, Der Soldat von Oranien), der in Hollywood Sex & Crime mit Basic Instinct (1992) neu definierte und Starship Troopers (1997) als Science-Fiction-Soap-Opera in Leni-Riefenstahl-Optik inszenierte, sprach mit Marc Hairapetian im Berliner Hotel Adlon Kempinski über heikle Vergewaltigungsszenen, Hollywoods Selbstzensur, die Berlinale, das Weltall und wie man ohne religiöses Empfinden Jesus-Fan sein kann. 22

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Film

Marc Hairapetian: Sie sind Präsident der Internationalen Jury der diesjährigen Berlinale. Wie gehen Sie das nicht gerade einfache Amt an? Paul Verhoeven: Ich hoffe, ich bin objektiv und meine Jury-Kollegen sind alle aufgeschlossen und vorurteilslos. Aber ich denke, dass wir schon eine tolle Gruppe zusammen haben. Eigentlich finde ich, dass Filmpolitik nicht über der Filmkunst stehen sollte, aber die Berlinale ist von je her ein sehr politisches Festival. Mal sehen, ob ich dieser »Tradition« im Wettbewerb als Jury-Präsident gerecht werde. Man kann sicher hervorragende Filme über Politik machen, aber Politik sollte niemals über die Filmkunst bestimmen. Das ist bei dem Versuch, objektiv zu sein, mein Anspruch. Sie selbst haben viele Preise er-halten, auch negative. Die Goldene Himbeere für »Showgirls« als schlechtester Regisseur nahmen Sie persönlich entgegen. Den Spaß wollte ich mir nicht entgehen lassen. »Showgirls« hält bis heute mit den 13 Nominierungen den Rekord bei der Goldenen Himbeere. »Immerhin« konnten wir sieben Trophäen davon mit nach Hause nehmen. (lacht) Außerdem finde ich, dass man zu dem stehen soll, was man macht.

Das ist gut gesagt! Der strenge Hays Code, auch Production Code genannt, wurde zwar unter der Leitung von Jack Valenti im Jahr 1968 stark gelockert, dennoch kann man bis heute keine wirkliche Erotik in Hollywood-Filmen zeigen. Gewalt allerdings schon. Es war sehr knifflig, 1992 Basic Instinkt und 1995 Showgirls in den USA zu drehen. Wenn du den Studiobossen mit der Ausgestaltung einer freizügigen Szene kamst, haben sie 17 mal »nein« gesagt, bis dann doch ein »okay« kam. So eine Tortur kann und will ich mir heutzutage nicht mehr zumuten. Also drehe ich lieber in Europa. Ich komme ja aus der niederländischen Tradition des Filmemachens. Da konnten wir schon in den 1970er Jahren zeigen, wie jemand auf dem Klo sitzt oder ein natürlich nacktes Paar handfesten Sex hat. Und einige dieser Filme gelten heute

noch nicht gesehen habe. Als Spielfilm stelle ich mir das schwierig vor. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich einen Film über das nächste Jahr machen könnte bei der Entwicklung in den USA mit Donald Trump als Präsident! Also, was wird in 20 Jahren, 100 Jahren oder 100.000 Jahren sein? Das Gehirn ist nicht in der Lage, soweit zu projizieren, was wissenschaftlich und vor allem medizinisch sein wird. Unser »Gehirncomputer« ist nicht in der Lage, weiter als 10, maximal 20 Jahre voraus zu schauen. Noch nicht mal in 20 Milliarden Jahren ist das Ende des Universums »in Sichtweite«. Um das in einem Spielfilm zu thematisieren, muss man ein Genie sein! So wie Stanley Kubrick, der schon 1968 in 2001: Odyssee im Weltraum philosophisch-metaphysische Fragen stellte und dazu bis heute noch nicht übertroffene Bilder lieferte? Genau, ich mag diesen Film sehr. Eigentlich ist es mehr als ein Film. Wunderbar, wie er den Donau-Walzer von Johann Strauss eingesetzt hat, als wenn er extra für den Weltraum komponiert worden wäre. Oder das elegische Adagio für Violincello solo und Streicher aus der ersten Gayaneh-Suite von Aram Chatschaturjan, das die Einsamkeit im All perfekt untermalt. Nur das Ende mit dem Baby, dass auf die Erde blickt, habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden.

»Sexualität ist der Imperativ des Lebens!«

Bei ihrem neuen Film Elle hat sich das Blatt wieder gewendet. Das Vergewaltigungsdrama der anderen Art, dass auf dem Beststeller »Oh…« des Franco-Armeniers Philippe Djian basiert, schockierte und faszinierte im letzten Jahr zugleich das Publikum bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes und erhielt - neben zahlreichen anderen Auszeichnungen - in diesem Jahr zwei Golden Globes. Einer ging an Isabelle Huppert als »Beste Hauptdarstellerin in einem Drama«, der andere an den »Besten fremdsprachigen Film«. Sind Sie enttäuscht, dass »nur« Isabelle Huppert für einen Oscar nominiert wurde, Sie aber leer ausgingen? Ich gönne Isabelle die Oscar-Nominierung von Herzen. Sie hat sie verdient. Elle ist ja für mich ein furioses Comeback geworden. Immerhin habe ich gerade in Paris den Prix Lumières als »Bester Regisseur« erhalten. Es ist schon ein Erfolg, dass ein kontroverses Vergewaltigungsdrama wie Elle, bei dem sich die Frau regelrecht gegen die Zuweisung der typischen Opferrolle wehrt, indem sie sich nicht blutig, sondern subtil rächt, bei der mittlerweile politisch wieder sehr korrekten Oscar-Verleihung immerhin eine Nominierung erhalten hat. »Toni Erdmann« ist halt lustiger. Sie haben recht. Stanley Kubricks audiovisuelle Tour de Force Uhrwerk Orange erhielt 1972 immerhin vier OscarNominierungen, ging bei der Verleihung aber gänzlich leer aus. War es einfacher die deutsche Koproduktion Elle in Frankreich zu drehen, als in den Studios der sogenannten »Traumfabrik«? Das »X«-Rating der Motion Picture Association of America wurde 1990 in ein »NC-17« umbenannt, das den Zugang erst ab 18 Jahren erlaubt. »X«-Rated-Filme waren ja zu einem umgangssprachlichen Synonym für reine Pornofilme verkommen, was Elle natürlich nicht ist. Wir – das heißt mein Drehbuchautor David Birke und ich – haben uns in lange Diskussionen sehr eng an die Vorlage von Philippe Djian gehalten. Wir deuten also mehr an, als dass wir es wirklich zeigen. Das aber wäre schon in den heutigen USA kaum möglich gewesen. Insofern haben wir uns in Frankreich tatsächlich freier gefühlt. Die Geschichte könnte aber auch in einem anderen westlichen Land spielen. Dabei hat es Ihnen doch zuvor bei Basic Instinkt und Showgirls sicher Spaß gemacht, die selbst auferlegten »Zensurbestimmungen« des puritanischen Hollywood zu unterlaufen?

als Klassiker. Es war also nicht so verkehrt, die Wahrheit zu zeigen. Warum unterzieht sich Hollywood immer noch dieser Art von Selbstzensur? Es geht nur um Geld, Geld, Geld! Man will nur Filme herstellen, die möglichst alle sehen können, also vom Kleinkind bis zum Rentner, um die große Kasse zu machen. Bloß nicht verstören oder zum Nachdenken anund erregen! Auch im Fernsehen können Kinder schon mittags Schießereien mit explodierenden Köpfe sehen, aber nicht wie zwei Menschen sich lieben. Warum ist Sexualität ein größeres Tabu im Film als Gewalt? Interessante Frage. Ich versuche es ja, in meinen Filmen zu enttabuisieren. In vielen meiner Filme ist Sex ein Thema und Gewalt kommt auch häufig vor, wie auch die Verbindung zwischen beiden. Das ist natürlich nichts für Kinder, aber etwas für Erwachsene. In der Realität sollte Sex mit Gewalt nichts zu tun haben. Aber selbst, sich zu verlieben, gehört zur Evolution, um letztendlich genügend Babys zu produzieren. Sexualität ist der Imperativ des Lebens! Ohne Sexualität würden wir beide nicht hier sitzen. Wir wären gar nicht da. Niemand von uns. Warum soll es so besonders oder gar seltsam sein, hier darüber zu reden oder sie im Film zu zeigen, wenn sie die Essenz des Lebens ist? Und die Welt ist leider auch gewalttätig. Das Universum ist extrem gewalttätig. Dank des wunderbaren Hubble-Weltraumteleskops können wir das auf Fotos in Büchern, Zeitungen, Magazinen oder im Internet sehen, wie die eine Galaxie die andere förmlich verschlingt. Und so verhalten wir uns im gewissen Sinn auch als Menschen. Gewalt dominiert unser Tun. Sehen Sie all die Kriege! Das soll unsere Zivilisation sein? Natürlich gibt es noch anderen wichtige Dinge im Leben, allen voran Freundschaft und die Versuche, einander zu helfen, ein positives Mitleid, wenn man mit jemand, der leidet, mitleidet. Als Künstler ist es doch die Aufgabe, sich darum zu kümmern, worum es in der Welt geht. Sex gehört genauso dazu wie die internationalen politischen Verhältnisse in den Nachrichten. Sie haben mit RoboCop, Die totale Erinnerung - Total Recall, Starship Troopers und Hollow Man - Unsichtbare Gefahr gleich vier Science-Fiction-Klassiker in Hollywood gedreht. Wenn man Sie wie eben reden hört, würden Sie - wie es jetzt Terrence Malick in Voyage of Time: Life´s Journey getan hat - auch einen Film über die Entstehung und den Untergang des Universums drehen? Er hat ja eine Dokumentation gedreht, die ich leider 21 No 55 - 2017 traFFicNewstOgO.de

Das Star Child könnte als die Wiedergeburt des Astronauten David Bowman interpretiert werden. Glauben Sie an Reinkarnation? Nein, aber der Tod ist vielleicht eine Alternative zum Leben, weil es so faszinierend sein könnte, was danach kommt. Die Energie geht doch im All nicht verloren. Also sind Sie nicht besonders religiös? Nein, überhaupt nicht. Ich bin kein Christ, erst recht kein Baptist, auch wenn die Glaubensgemeinde ihren Ursprung 1609 in Amsterdam hatte. Ich gehe nicht zur Kirche, aber ich studiere Jesus. Ja, ich bin ein Fan von Jesus! Die Mythologie des Christentums ist wunderschön. Bei den alten Griechen wohnten die Götter noch im Olymp. Bei den Christen ist zwar der eine Gott auch im Himmel zu Hause, aber durch die Gestalt seines Sohnes Jesus kommt er – wenn auch nur für kurze Zeit – auf die Erde, ist einer von den Menschen. Auch wenn das physikalisch unmöglich ist, gefällt mir diese fantastische Idee. Ich möchte gerne demnächst einen Film über Jesus machen – in einer modernisierten Art von Ingmar Bergmans »Das siebente Siegel«. Kommen wir zum Ende nochmals auf Elle zu sprechen. Warum haben Sie die Vergewaltigungsszene aus der Sicht einer grauen Katze gezeigt? Ganz einfach, weil es Philippe Djian so in seinem Roman beschrieben hat. Ich bin eigentlich mehr Hundefreund, habe selbst einen Golden Retriever und einen Labradoodle. David Birke und ich haben uns den Kopf zerbrochen, ob wir die Vergewaltigung im Stil der James-Bond-Filme als Vortitel-Sequenz zeigen sollen. Doch das sie erst viel später kommt, ist viel schockierender. Isabelle Huppert wirkt als Karrierefrau die ersten 25 Minuten im Film nicht sehr sympathisch. Du willst sie als Zuschauer nicht zur Freundin haben. Dann erst sieht man aus den Augen einer Katze, was ihr angetan wurde. Dabei ist mir der Sound hier fast wichtiger als die Bilder. Als der Täter sehr laut beim Orgasmus stöhnt, hat die Katze genug gesehen und wendet sich ab. Es ist wie ein zynischer Kommentar von ihr als Raubtier: »Jetzt kommt nichts mehr. Ich kann gehen!« Das Opfer interessiert sie nicht. Aber der Zuschauer beginnt aus Protest anders über Isabelles Charakter, den er vorher komplett abgelehnt hat, nachzudenken. Dank der Katze: Sie ist wirklich eine gute Schauspielerin gewesen!


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by Kelley Frank

OFFstage

KÖNIGINNEN a Pea for the Princess

Right out of Ariel’s magical underwater dreamland, you too can sit upon your own sea throne. The scallop edged chair is hand-woven by expert weavers in the English Midlands. The dacron-wrapped foam cushion promises to stay plump for a lifetime. An intricate frame of cane and meticulously bound joints support green glory fit only for the backside of true princess. The Upholstered Venus Chair Soane Britain Price Upon Request

ES IST KEIN GEHEIMNIS, dass Film und Mode eine äußerst fruchtbare Kostüm lebt durch seinen Charakter – die Formel ist so banal wie unmissversie auf und abseits der Leinwand: Die Charaktere, die auch lange nach Kinostart in Kunst zu spielen, sondern vor allem mit ihrer Kunst, (sich) inszenieren, nachhaltig Grenzen von Generationen, Genres und Geschlechtern hinweg. Die Frauen, die Grunde weder Leinwand, noch roten Teppich, um alle Blicke auf sich zu ziehen. Spektrum einzigartigen Stils formidabel zu bespielen. Drei einzigartige Stil-

a canvas for the boards

Traditional tribal designs provide for true grounding. This rug was handwoven and hand-carried down from the Moroccan Atlas Mountains. Berber denotes a people and language. Both are intertwined into every thread of the faded red, worn blues, fatigued yellows and drowsy oranges of this piece. 100% wool makes for a sturdy and plenitudinous finish. Everyman The Knots Berlin 2.350 EURO

© Photo courtesy of Sophia Loren

© Paolo Roversi

A monologue of inflorescence

Italians lay their delicate hands and stamp of craftmanship on everything, including glass. Founded in 1958 by two brothers, Carlo Moretti knows how to blow. The shape and color of this vase are defined by the ruby and jade-green stripes bestowed upon the transparent glass during the molting process. The single flower vase holds only one flower for a reason, this masterpiece doesn’t need much of a supporting cast. Single Flower Vase Carlo Moretti 188 EURO

Sophia Loren TILDA Stars are never sleeping... - David Bowie

W a life for the living

Plants have been proven to clean the air and cool it down. They can do the same for a style-less flat. Better known as the the Hurricane or Swiss Cheese Plant, this southern Mexico native also thrives indoors. Adapted for rainforest conditions, these beauties crave the sunniest corner of the room. And demand space. Let this living, breathing, work of ever-growing art be your next installation. Monstera Deliciosa Available at your plant nursery

ann immer die Rede von Weiblichkeit, von Stil, von Selbstbewusstsein, von Grandezza, von Kraft, von Anmut und auch von Inspiration ist, ist diese Frau gewiss nicht weit: Sophia Loren – ein Name wie ein Versprechen. Ein Versprechen darüber, dass Schönheit nicht vergehen muss. Und darüber, dass jene nicht zwingend im Auge des Betrachters liegt, sondern vielmehr in der eigenen Wahrnehmung und Wertschätzung für sich selbst. Welche Frau sonst hätte sich in mit 73 Jahren für den Pirelli-Kalender ablichten lassen? Mit tiefem Dekolletee, großem Busen zur schmalen Taille, perfekt gezogenem schwarzen Lidstrich und Kleidern, die dem Betrachter etwas subtil Verruchtes zuflüstern, manifestierte Loren einen klassisch italienischen Look, der sie zweifelsohne zum Inbegriff des großen Films der 1950er und 1960er Jahre machte und sie zur Marke avancieren ließ. Völlig gleich in welcher ihrer zahlreichen Darbietungen; wann immer Loren ihre Wespentaille furchtlos vor der Kamera in Szene setzte, dann schwang auch stets eine Dosis resoluter Selbstbestimmung mit, die der vermeintlich »hübschen« Oberfläche überzeugende Tiefgründigkeit und Relevanz verleiht – bis heute. Ihre unmissverständliche message: »love yourself and the rest will follow...« Welche Rolle sie wohl am liebsten verkörpert? Immer noch die der großen Diva. Sie ist gewiss die letzte ihrer Art.

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s sind der hoextraton zu gleitet Avantgardistin züge, messerprägte Gardewie Haider betrachten– chen AuftritRegeln unserihre Betrachter einer darstelGleich, welche hat – die Ikone so vielschichtig


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DES STILS

Wechselbeziehung führen. Ein Charakter lebt durch sein Kostüm, ein ständlich. Äußerst selten, dafür aber umso eindringlicher erscheinen den Köpfen der Zuschauer bleiben. Charaktere, die nicht nur mit ihrer inspirieren: eigenwillig, individuell und stilprägend. Und zwar über die wir Ihnen in dem folgenden Artikel vorstellen jedenfalls, benötigen im Betreten sie letzteren aber doch einmal, so wissen sie die das breite Ikonen im Portrait.

© Taili Song Roth

SWINTON lupita nyong O diese durchdringenden, meergrünen Augen, der ebene Porzellanteint, nigblonde Undercut-Haarschnitt, die spitzen Züge, die elfenhafte bis terrestrisch anmutende Erscheinung, die das Gesicht von Tilda Swineinem machen, das man – einmal gesehen – nie mehr vergisst. Bewird jenes von einer androgynen Eleganz, die die experimentierfreudige zu der wohl eigenwilligsten aller Stilikonen macht: burschikose Anscharfes Tailoring und eine von zeitlos-zeitgemäßen Minimalismus gerobe machen sie zur optimalen Projektionsfläche von Modedesignern Ackermann, Jil Sander oder Martin Margiela, die Mode als Konzept weit, weit weg vom Mainstream. So sucht man bei Swintons öffentliten vergebens nach einem affektierten Hollywood-Glam, der sich den er Schönheitststandards stoisch unterwirft. Stattdessen fordert die Britin gekonnt heraus. Und zwar mit einer unvergleichlichen Wandelbarkeit und lerischen Präsenz, die nachhaltig fesselt – je komplexer, desto besser. Haarfarbe, Augenfarbe, welches Alter und welches Geschlecht ihre Figur wider Willen porträtiert selbst die bizarrsten und komplexesten Charaktere wie mühelos. Tilda Swinton ist alles, außer (be)greifbar.

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Von Vanessa Percherski

anchmal kann es denkbar einfach sein. Da bedarf es einer Rolle, einem Kleid, einem Preis und nur einer Nacht – ehe man morgens aufwacht und feststellt, geradewegs in die ALiga der Hollywood-Schauspielriege katapultiert worden zu sein. So jedenfalls lautet die Kurzfassung von Lupita Nyongo’s fulminantem Karriereeinstieg mit den Oscars 2014. Unvergessen: der himmelblaue, weitschwingend-ärmellose Seidentraum von Prada, der mindestens genauso viel Beachtung fand wie die wohlverdiente Auszeichnung für ihre Nebenrolle in 12 years a slave. Keine Frage, hier stimmte einfach alles! Das genannte Beispiel ist hervorragendes Beispiel dafür, wie Kleider im wahrsten Sinne Leute machen, wie sie Bilder kreieren und eine Geschichte erzählen über noch unbekannte Gesichter wie das von Nyong’o, die sich und ihrem Look treu bleibt wie kaum eine Zweite: Sie legt Wert auf starke Farben, greift zu sportiv-femininen Jumpsuits und zu atemberaubenden Abendroben, die die nachtblaue Haut und die muskulösen Arme der Kenianerin harmonisch in Szene setzen. Dadurch fungiert sie als Sinnbild von Einzigartigkeit, von Mut zur Individualität und auch für die Botschaft ‘black and strong is beautiful’, die die ätherische Schönheit mit Natürlichkeit, erfrischender Nahbarkeit und lupenreinem, darstellerischem Talent zu everybody’s darling machen – und das ist in diesem Fall ein Kompliment!

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KuNst

Instagram @richardprince4

Anti-Trump Kunst

DER KONTRAST KÖNNTE KRASSER NICHT SEIN: Die Bundeskanzlerin steht, in einem pinken Blazer, Gesicht abgewandt, vor dem Gemälde ‚Herbst in Jeufosse’ von Claude Monet. Das Setting ist Eröffnung des Museums Barberini in Potsdam, es ist der 20. Januar 2017. Zu etwa der gleichen Zeit leistet in Washington D.C. Donald Trump seinen Amtseid. Es regnet, auch wenn dies nachher zum Alternative Fact werden wird. Während sich die Kanzlerin mit dem Licht beschäftigt, das sanft auf Monets Herbstlandschaft fällt, zeichnet Trump ein düsteres Bild von Amerika: American Carnage!, America First!.

Von Barbara Russ, Düsseldorf Die Kunst als eine letzte Bastion des Lichts und der Vernunft zeigt sich seit der Wahl Trumps auch im Protest von Künstlern auf der ganzen Welt. Bereits vor Amtsantritt — man denke an die Statuen des UndergroundKünstlerkollektivs Indecline, die Trump nackt und mit Mikropenis darstellten — aber insbesondere seit der Ankündigung Trumps, das Budget für die nationale Förderung der Arts and Humanities zusammenstreichen zu wollen, beziehen Künstler in den USA und weltweit Stellung gegen ihn. Am Tage der Amtseinführung schlossen sich Galerien, Künstler und Kritiker, darunter Richard Serra und Cindy Sherman zum #J20 Art Strike zusammen und protestierten, indem sie ihre Arbeit niederlegten. Der vielleicht Größte unter den berühmten Anti-Trumplern: Christo. Seit über 20 Jahren arbeitete der Künstler an seinem Projekt Over the River, für das er den Arkansas River in Oklahoma über 42 Meilen (etwa 68 Kilometer) mit einem silbrigen Baldachin aus Stoff überspannen wollte. Nachdem er bereits 15 Millionen Dollar seines eigenen Vermögens investiert hat, will er das Projekt nun aufgeben. Das Vergnügen an dem Projekt sei ihm angesichts der neuen Administration abhanden gekommen, so der Künstler gegenüber der New York Times. Der Künstler Richard Prince machte Schlagzeilen, indem er das Geld, das er für sein Gemälde, das Ivanka in einem Instagram-Selfie zeigt, zurückzahlte. »This is not my work. I did not make it. I deny. I denounce. This fake art«[sic] verkündete er via Twitter, den Sprech Donald Trumps nachahmend. »Not a prank. It was sold to IvankaTrump & I was paid 36k on 11/14/2014. The money has been returned. She Now Owns A Fake.« Dann noch: »Make Trump small again.«

Barbara Kruger, bekannt für ihre feministischen, konsumkritischen Kollagen, gestaltete das Cover der Election Issue des New Yorker Magazine. Darauf ist ein Close-Up Trumps mit hasserfüllter Miene zu erkennen, über seiner Nase prangt das Wort ‚Loser’. Zwar ging Kruger zu diesem Zeitpunkt wohl noch von einem Clintonschen Wahlsieg aus, doch ist das Kunstwerk vor allem deshalb so eindrucksvoll, weil es so viele Interpretationen zulässt. Trump der Bully, der haltlos Attackierende, der Hassprediger. »Wer ist jetzt der Loser?«, scheint es zu fragen. Jonathan Horowitz, ein bekannter New Yorker Künstler, startete auf Instagram einen Account namens Dailytrumpet, auf dem er an jedem Tag der TrumpPräsidentschaft Schmähkunst über Donald Trump veröffentlichen will. Unter dem Hashtag #TrumpArtWorks ist die Community schon länger dabei, den Donald durch den Kakao zu ziehen. So sieht man ihn grapschend hinter Botticellis Venus stehend, miesepetrig dreinschauend als Mona Lisa, mit Mistgabel und Melania in American Gothic, oder als Gott in Michelangelos Erschaffung Adams mit dem Vermerk »I can’t quite reach you... because of my stupid tiny little hands :(« Ob Angela Merkel im Barberini übrigens absichtlich zu Pink, der Farbe des einen Tag später stattfindenden Women’s March und somit des Protests gegriffen hat (Elizabeth Warren trug zur Inauguration ebenfalls Pink – einen Schal von Planned Parenthood), sei dahin gestellt. Klar ist: Solidarität wird in den kommenden vier Jahren wichtiger werden denn je, nicht nur unter Künstlern. 24 No 55 - 2017 traFFicNewstOgO.de

Election Issue Cover. Art by Barbara Kruger for New York Magazine © Mark Peterson / Redux

Über Bild: Indecline Trump Statues © Valente Images Mitte Bild: Christo Over The River (Project for Arkansas River, State of Colorado) Drawing 2010 13 7/8 x 15 1/4” (35.2 x 38.7 cm) Pencil, pastel, charcoal and wax crayon © 2009 Christo Photograph by Thomas Hawk


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KuNst

MiTTE NoRD 1-14 1 BQ Matti Braun Weydingerstrasse 10 2 CAPITAIN PETZEL Charline von Heyl Karl-Marx-Allee 45

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RT HAPPENINGS: ABOUT TOW

3 DELMES & ZANDER Jesuis Crystiano Rosa-Luxemburg-Str. 37

5 MICHAEL FUCHS GALERIE Marco Brambilla Douglas Gordon Roni Horn Christian Jankowski Oda Jaune Auguststrasse 11 – 13

Antoni Tàpies Niebuhrstrasse 5 KUNST LAGER HAAS Lise-Meitner-Strasse 7 – 9

38 KÖNIG GALERIE | ST. AGNES Michaela Meise Anselm Reyle Alexandrinenstrasse 118 – 121

19 GALERIE MAX HETZLER Günther Förg Toby Ziegler Bleibtreustrasse 45 Goethestrasse 2 / 3

JOHANN KÖNIG Jose Dávila Dessauer strasse 6 – 7 39 DANIEL MARZONA Bernd Lohaus Friedrichstrasse 17

20 KUNSTHANDEL Wolfgang Werner Martin Barré Fasanenstrasse 72

4 GALERIE EIGEN + ART Olaf Nicolai Auguststrasse 26 EIGEN + ART LAB !Mediengruppe Bitnik Torstrasse 220

BERLIN GALLERIES ~APRIL 28-30.2017~

40 MEYER RIEGGER Eva Kot’átková Friedrichstrasse 235

schöNEBERG 21- 32 Olaf Nicolai Warum Frauen gerne Stoffe tragen, die sich gut anfühlen / 2010 Curtain, satinet of cotton and silk, machine woven 347 x 900 cm Edition of 6 courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin Photo: Uwe Walter, Berlin

41 GALERIE NORDENHAKE Spencer Finch Lindenstrasse 34

21 ARRATIA BEER Fernanda Fragateiro Potsdamer Strasse 87 22 GALERIE GUIDO W. BAUDACH Jürgen Klauke Potsdamer Strasse 85 23 BLAIN | SOUTHERN Jonas Burgert Potsdamer Strasse 77 – 87 24 GALERIE ISABELLA BORTOLOZZI Symonds, Pearmain, Lebon Schöneberger Ufer 61 EDEN EDEN Symonds Pearmain Bülowstr. 74, 1st floor, (Right Hand Door)

7 KEWENIG Kimsooja Brüderstrasse 10 KEWENIG WAREHOUSE Kimsooja Wilhelmshavenerstrasse 7 KEWENIG Sean Scully & Liliane Tomasko Eichborndamm 129 – 139

26 TANYA LEIGHTON Van Hanos Kurfürstenstrasse 24 / 25 Pavel Büchler Jef Geys Sarah Kürten STUDIO FOR PROPOSITIONAL CINEMA (in collaboration with Galerie Max Mayer) Kurfürstenstrasse 156

9 KOW Candice Breitz Brunnenstrasse 9 10 KRAUPA-TUSKANY ZEIDLER Guan Xiao Karl-Liebknecht-Strasse 29 (4th floor)

27 GALERIA PLAN B Iulia Nistor Potsdamer Strasse 77 – 87 (Second Backyard, Building G)

11 GALERIE NEU Andreas Slominski Linienstrasse 119 abc Cosima von Bonin Mehringdamm 72

29 GALERIE MICKY SCHUBERT Marieta Chirulescu Genthiner Strasse 36

MICHEL MAJERUS ESTATE »michel majerus. laboratorium für die feststellung des offensichtlichen« Knaackstrasse 12

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44 GALERIE BARBARA THUMM Teresa Burga Markgrafenstrasse 68 45 GALERIE BARBARA WEISS Rebecca Morris Kohlfurter strasse 41 / 43 Michael Müller 3rd rehearsal for Nietzsche’s birthday party 2313 Performance staged during the opening of the exhibition SKITS. 13 EXHIBITIONS in 9 ROOMS at Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Germany (26.11.2016-19.02.2017) Foto: Judit Fruzsina Jesse Courtesy of Michael Müller, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden und Galerie Thomas Schulte, Berlin

47 ZAK | BRANICKA Robert Kusmirowski Lindenstrasse 35 ENCODE FACTORY Robert Kusmirowski Schützenstrasse 40

SANDER WASSINK

31 SUPPORTICO LOPEZ Dara Friedman Kurfürstenstrasse 14 b

13 PERES PROJECTS Brent Wadden Karl-Marx-Allee 82

15 GALERIE BUCHHOLZ Caleb Considine Melvin Edwards Fasanenstrasse 30

Jonas Burgert Courtesy the artist and Blain|Southern Photo: Lepkowski Studios

28 ESTHER SCHIPPER Anri Sala Angela Bulloch Potsdamer Strasse 81e

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14 SPRÜTH MAGERS Lucy Dodd Otto Piene Pamela Rosenkranz Oranienburgerstrasse 18

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6 GERHARDSEN GERNER Markus Oehlen Linienstrasse 85

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32 BARBARA WIEN Ian Kiaer Schöneberger Ufer 65 (3rd floor) Michel Majerus 10 bears masturbating in 10 boxes, 1992 Acryl auf Baumwolle 295,3 x 560,6 cm © Michel Majerus Estate, courtesy neugerriemschneider, Berlin und Matthew Marks Gallery Photo: Jens Ziehe, Berlin

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DIENSTAG

Gurr »In My Head« 11 Tracks Staff Track: »Moby Dick«

MITTWOCH

Ariel Pink »Myth 002« 4 Tracks Staff Track: »Tears on Fire«

DONNERSTAG

Kehlani »SweetSexySavage« 19 Tracks Staff Track: »Keep On«

FREITAG

Migos »Culture« 13 Tracks Staff Track: »Bad and Boujee (feat. Lil Uzi Vert)«

SAMSTAG

Delicate Steve »This Is Steve« 10 Tracks Staff Track: »Help«

SONNTAG

Tomorrow’s People »Open Soul« 6 Tracks Staff Track: »It Ain’t Fair«

Das entseelte Vinyl EINS DER GROSSEN VERLUSTE, die aus der Omnipräsenz der digitalen Kultur – im Schatten der Demokratie natürlich – resultieren, ist das verminderte Potenzial des missverstandenen Artefakts. Bücher, Magazine, Schallplatten: stoßen auf einen verstaubten Müllhaufen, die beim Vorbeigehen als Gebrauchtwarenladen die DesignKlischees der Zeit (Design, welches für eine beeinflussbare Jugend, als Politik gelesen werden kann) aufrechterhalten. Sie kommunizieren wie ein verzerrtes Sputnik-Signal aus dem Weltraum der Vergangenheit. Einige lesen Baudrillard, um Amerika misszuverstehen – ich habe dafür stets den Schallplattenladen bevorzugt. Aber welcher Schallplattenladen? Da ist keiner mehr. Und die Geschichte hat ihr Innerstes verloren. Rock ‘n’ Roll wurde mit der Geburt der Massenkommunikation erfunden, als Communities noch begrenzt, aber tief waren – und Nachbarn ungelegen ineinander stolperten: Country kannte noch den Blues und RnB verstand noch, was Jazz war, aber ihre Wohnzimmer waren immer noch mit verschiedenen Möbelstücken dekoriert. Als amerikanisches Vinyl es dann ins Ausland geschafft hat, war das nicht nur ein Kulturschock – es fühlte sich wie eine Zeitmaschine an. Als The Rolling Stones und verschiedene Gruppen des Londoner Blues aus den frühen Sechzigern boomten, wurde zunächst der importierte Chess 7 gehortet, solche Platten sind vermutlich auch von Darwins Galapagos ins Land gebracht worden, auch wenn der Großteil der Arbeit von denjenigen gemacht wurde, die nicht allzuweit entfernt vom Alter ihrer generationsgleichen Anhänger waren. Die Idee einer wahrhaftig unbekannten Gemeinschaft beansprucht durch Überbleibsel, erscheint uns gänzlich fremd in The Age of Pornhub, aber The Art of Blues (so die University of Chicago Press) von Bill Dahl mit künstlerischem Kommentar von Chris James, eine Sammlung von Eintagsfliegen der damaligen amerikanischen Musiktheater Chitlin Circuit und darüber hinaus, erinnern daran, wie der Unterhaltungshype und die Gestaltung von Gemeinschaft miteinander veknüpft sind: Troubadours, Tänzer und Showmänner ziehen durch die Stadt, vermitteln ihre Gedankenwelt, welche von einem Publikum als ihre Identitäten durch Beobachtung und Performance konstruiert wird. Rock ‘n’ Roll hat diese Message nicht ignoriert. Und wenn am Kontext des Affekts der Internet-Abflachung 26 No 55 - 2017 traFFicNewstOgO.de

gemessen wird, können wir den Verlust der Moderne ausmachen. Durch das herkömmliche Marketing hat der Blues lange die öffentliche Maske des The Blues getragen, eine freundliche mit Scorseses-abgestempelter Grimasse der Authentizität. Aber wie ein politischer Protest können solche von außen versagen, nur um die Vielfältigkeit der Gründe und auch nur den Vorsatz festzuhalten. Durch ihre Verwurzelung im frühen Radio, das die öffentlichen Meinung einzäumte, bemühte sich der Musikstil Blues in Richtung Galaxie, ihre raueren Kanten schliffen die öffentlichen Erwartungen in Richtung JazzAvantgarde. Der deutsche Saxophonist Peter Brötzmann war seit Beginn dabei – mit seinem Album Machine Gun aus dem Jahr 1968, dem Grundpfeiler des europäischen Free Jazz, dessen europäischer Flügel häufig als akademisch beschrieben wird. Aber Brötzmann und Kollegen, von denen viele heute noch aktiv sind, ziehen gleichermaßen viel aus den walking bar honkers der 1940er und den radikalen Ecken der Sechziger wie sie auch staatliche Radio-Orchester spielten. Brötzmann half nicht nur den Klang des Free Jazz zu definieren, er hat einen entscheidenden Einfluss auf sein Aussehen – und um in seinen Postern, Alben, Covern und Buch-Designs danach zu suchen, miteingeschlossen in seinen Graphic Works 1959-2016 (Wolke) – kann man eine erstaunlich beständige Weltsicht universalisiert in diesen Medien sehen. Auch wenn häufig verwurzelt in Parkettbrettchen und Fotokollagen, Brötzmanns visuelle Kunst fühlt sich nicht universell an, da sie so stark in parallele historische Epochen greift. Ähnlich wie seine Musik. Free Jazz wird gesehen als – wohl oder übel – eine Musik der Rebellion, was eine ungenaue Beurteilung darstellt – dort angekommen durch den einfachen Weg, wo man auch das gleiche über HipHop sagen kann, während aber seine Wurzeln nicht politisch motiviert sind (obwohl er seine Wurzeln in einer Unterschicht wiederfindet) – und was zurzeit ein Werkzeug für die Universali- sierung der Anbetung von Reichtum und Macht (Kanye, machen Sie sich schon Gedanken über Trump) ist, aber was nicht ihren Ruf aus den kurzen späten achziger Jahren hin zu politischen Engagement erschüttern kann. Vielleicht ist es Zeit, das als schmerzhaftes Wunschdenken auszurufen. So tief war die Protest-Orientierung dieser Zeit, was Grund zu der Vermu-

Steve Schapiro & Lawrence Schiller: Barbra (Taschen)

Sampha »Process« 10 Tracks Staff Track: »Plastic 100 C«

musiK

Bill Dahl: The Art of the Blues - A Visual Treasure of Black Music’s Golden Age (The University of Chicago Press)

MONTAG

DJ Semtex: Hip Hop Raised Me (Thames & Hudson)

musiK dieser tage

Von D.Strauss

*Ubersezt aus dem amerikanischen Englisch von Julia Keesen

tung beiträgt, dass wir diese Ansicht niemals loswerden sollten. Natürlich kann Nostalgie eben auch in der gößten hedonistischen Zeitspanne nur durch jemanden, der diese Zeit miterlebt hat, diese politische Essenz erzeugen. Der massive HipHop Raised Me (Thames & Hudson) von DJ Semtex (mit einem Intro des Zukunftskandidaten der Demokraten für Präsdident Chuck D.) ist hauptsächlich visuell, ein sehr fesselndes Handbuch zu der Rap-Wirklichkeit aus der Bronx während Obama und wo es scheitert – in dem Versuch, die beiden zu verknüpfen. Aber dann ist die logische Begleiterscheinung von ‘fake it til you make it’, dass man solange nicht als Erfolg betrachtet wird, bis man als ein Fake gesehen wird. Und dass der heutige HipHop keine Nachahmungs-Erscheinung ist, egal, ob seine Politik zum jetzigen Zeitpunkt in der Luft geblieben ist. Können wir Barbra Streisand in derselben Weise sehen, könnten wir dann Tupac sagen? Ihre Anfänge waren eigentlich viel rauer, ihr Ende genauso provinziell. Beide waren in multiplen Medien erfolgreich, beide besaßen eine schmeichelhaft exotische Schönheit verborgen durch eine pathetische Kitschigkeit, die ihre Talente in eine Form von Echtheit transportierte. Streisand bekommt die beste Taschenbehandlung in Barbra von Steve Schapiro & Lawrence Schiller und wie bei den besten Taschenbüchern ist da eine stetige Unvorhersehbarkeit in der Fotoauswahl vorhanden. An Streisands Ehrgeiz und ihrer Genialität wurde häufig vorbeigeredet, mit ihren Versuchen zum moralischem Ernst kommt sie kitschig an (stell dir das Cover von John Lennons Ur-Klagelied »Mother« vor mit dem sich Streisand ohne Zweifel identifizierte), während ihre Unbeschwertheit übernatürlich sein könnte (so wie in Peter Bogdanovichs Meisterstück vom Spinner-Revival What’s Up, Doc?, ein Film in dem sie nicht der Wertschätzung wegen erscheint). Streisands Karriere ging lange genug, so dass sie Zeit gehabt hat, mindestens ein halbes Dutzend Mal im Zeitgeist zu surfen, was bedeutet, dass die fast-Porn oder Produktions-Stille von The Owl & the Pussycat in nächster Nähe zu ihrer Dauerwelle sitzt; verdeckt durch einen noch lockigeren Harpo Marx Fummel (Wo ist das Crossdressing Yiddish Yentl?). Doch ihre ironischsten Momente scheinen diejenigen zu sein, wenn sie versucht, sich selbst zu spielen. Kein Wunder, dass wir uns mit ihr identifizieren.


Karriere

»Was die Kunden wollen, ist uns vollkommen egal!« © D ee

WAS MACHT MAN, wenn man nach vier langen Jahren endlich sein Journalismus-Studium abgeschlossen hat? Na klar, man bewirbt sich – als Financial Coach bei einer unfassbar großartigen Firma, deren Computersystem »nie Fehler macht«. Und deren Berater schon gar nicht. Eine Elegie auf einen verschwendeten, aber höchst amüsanten Nachmittag.

FIND Festival International New Drama Democracy and Tragedy 30/3/17–9/4/17

Von Robin Hartmann Ortstermin in einer deutschen Großstadt, Sonntag mittag 11:30, die Sonne lacht, die Unsicherheit wächst. Bin ich hier wirklich richtig, unter diesen geleckten Anzugträgern, fernab meines eigentlichen Ressorts? 19 Leute buhlen heute um die »Chance ihres Lebens«, der Moderator der ganzen Show startet dann auch gleich laut wie ein Marktschreier in die Begrüßung, um auch noch dem Letzten jeden eventuell verbliebenen Zweifel zu nehmen. Stinkend faul sei er, und genau aus diesem Grund habe er eine Firma für Financial Coaching gegründet. Ratloses, betretenes Schweigen, so richtig ist das Eis damit noch nicht gebrochen. Nun muss also die obligatorische Vorstellungsrunde her, in der sich eine erstaunlich hohe Dichte an Ricos und anderen ostdeutschen Mitbürgern herauskristallisiert. Sie alle seien ebenfalls sowas von stinkend faul und deshalb hier, Bewerbungsgespräch 2.0, so gewinnt man heute die CEOS für sich, einfach alles unreflektiert nachplappern. Sushiköche sind gekommen, Gas-Wasser-Installateure, Elektriker, Stahlbauer, BWL-Studenten, ein Abziehbild der Faulheit allesamt, so versuchen sie den Chef zu beeindruck en. Ein paar probieren es auch noch mit der Lebensgeschichte à la gestrauchelter Boxer, auf jeden Fall haben alle »bisher viel Scheiße gefressen« und wollen jetzt nach ihren Sternen greifen und mindestens 5-stellig verdienen. »Mit anderen Ansprüchen brauchen sie hier auch erst gar nicht anzufangen«, so der Chef. Das klingt doch erstmal recht vernünftig, und so geht man motiviert in die erste von vielen Pausen, die irgendwann länger werden soll als der eigentliche Vortrag. Man stürzt sich auf MozarellaCaprese-Bagels und Bienenstich mit Vanillepudding, für die richtige Optik ist in dem Dachgeschossbüro jedenfalls gesorgt. Stimmung super, alle Mitarbeiter fein rausgeputzt und den Erfolg förmlich

ausschwitzend, so wäre man doch auch gerne, oder? Richtig, und jetzt sollen wir lernen, wie das geht. Aber bevor es damit losgeht, ist erstmal Grundkurs Volkswirtschaft Semester I angesagt: Die Bevölkerungszahl schrumpft, weil es immer weniger Geburten gibt und immer mehr Sterbefälle, gleichzeitig leben die Menschen aber »leider« länger. »Denen kann man ja jetzt auch nicht einfach sagen, geht mal bitte sterben«, so der Chef vollkommen überzeugend und kompetent. Anerkennendes Nicken und höfliches Gelächter, nein, das wäre dann wohl wirklich ein bisschen too much. Also werden noch ein paar lustige Comicgrafiken und aus der BILD abgekupferte Tabellen mit Horrorszenarien von einem Renteneintrittsalter von 75 im Jahre 2030 bemüht, bevor wir dann hoffentlich erfahren, wie man denn nun wirklich richtig Kohle scheffelt. Und nachdem der Chef mal eben flott die kommende Bundestagswahl ins nächste Jahr verlegt hat und über sämtliche misstrauische Fragen elegant hinweggeholpert ist, werden wir endlich eingeführt in die heiligen Hallen des Erfolgs: auf jeden Fall viele, viele Plattitüden verwenden, schlagende Argumente wie »Geld verdienen mit zufriedenen Kunden« »Ehrliche Arbeit für eine gute Sache« oder »Gemeinsam sind wir stark«. Und wer will den Erfolg bei einer angeblichen Unternehmenswachstumsrate von »150-200%« pro Jahr noch anzweifeln? Spätestens jetzt steigert sich der zum Teleshoppingverkäufer mutierte Chef endgültig in ein apnoetaucherartiges Dauerfeuer vollmundiger Argumente und wir lernen, dass sich die Firmensoftware »niemals irrt« und auch Fehler in dieser Firma »einfach nicht passieren«. Wahnsinn, und das bei »garantierten Renditen von bis zu 18% jährlich«. Wie man diese astro-tastischen Margen zu erzielen gedenke? »Das erzähl ich ihnen alles später!« Erste Erklärungsversuche

anhand willkürlich zusammengewürfelter Zahlenhaufen, bei denen selbst die versierte, aber letztendlich doch gefallene Ex-Chefsekretärin aus Dresden in breitestem Sächsisch bekennt, »jetzt doch etwas Bauchschmerzen zu haben«. Knappe wie überzeugende Antwort: »Das müssen Sie mir jetzt einfach glauben!« Wer würde das auch nicht, werden doch immerhin für diese wahnsinnig überzeugende Präsentation sogar kurzerhand neue Wörter wie »performant« erfunden und absolute Totschlagargumente verwendet, nämlich: »Was der Kunde will, ist uns völlig egal« und »Keiner meiner Kunden kann seine Ziele verwirklichen!« Die Finanzberatung, die die Firma anbietet, gebe es überraschenderweise noch dazu völlig gratis, man solle aber das Konzept doch dann bitteschön auch an möglichst viele Andere weiter empfehlen. Zuguterletzt wird uns noch das schneeballartige Ausbildungssystem erklärt, bei dem man innerhalb der ersten zwei Jahre wohl weniger verdienen würde als ein arbeitsloser Student. Aber immerhin lockten dann in der Zukunft vollkommen realistische Einkünfte von monatlich 5000 bis 18 000 Euro, und das lässt dann wohl doch noch einmal viele Herzen höher schlagen. Bei der anschliessenden Abschlussrunde für das Unterschreiben der Praktikumsverträge (unbezahlt versteht sich) sind jedenfalls außer mir noch fast alle anwesend. Nachdem ich mich dazu entschlossen habe, mein Glück fürderhin doch weiter im Journalismus zu versuchen, verabschiede ich mich erleichtert und mit dem Vorschlag, gegen ein geringes Entgelt immerhin, die vorgezeigte Powerpoint-Präsentation von den zahlreichen Orthographie-Fehlern zu befreien. Danach bleibt mir nur noch, mich in Gedanken mit einem von Homer Simpson gern zitierten Bonmot zu empfehlen: »Macht’s gut, ihr Trottel...« 27

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