Ausgabe 11.2011

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TOP-HOTELLERIE ANGESCHNITTEN

Sein oder Nichtsein – der Problemfall Gänsestopfleber Eine unentschiedene Überlegung im Spagat zwischen Tierquälerei und Genuss von H.P.O. BREUER

Die Sau ist noch nicht durchs Dorf, auch wenn die Anuga längst

Wer sich in der Galaxie der besternten Köche zur Sache umhört, be-

vorüber ist. Wobei – es war keine Sau, die man anlässlich der Messe für

kommt sehr klare Auskünfte. Niemand bestreitet, dass die Zwangser-

Nahrung und Genuss für ein paar Tage durch die Schlagzeilen jagte. Es

nährung der Gänse nicht artgerecht ist. Jeder kann sich vorstellen, dass

war die Gans beziehungsweise deren genussedelstes und krankestes

es für das Tier, allem menschlichen Ermessen nach, eine Qual sein

Organ, ihre Leber, die für Aufruhr und Meuterei sorgte. Ihre krankhaft

muss, wenn eines seiner Organe innerhalb weniger Wochen auf ein

durch Mast vergrößerte Leber. Die Gänsestopfleber. Ein bis zum Ekel

widernatürliches Übergewicht gebracht wird. Keiner der Befragten hat

unappetitlicher Vorgang, die Mast. Tierquälerei. Und ein Genussmittel

das Produkt von der Speisekarte genommen. Und alle haben sie ein un-

seit Jahrtausenden, die Gänsestopfleber. Ausgesprochen lecker. Um es

bestimmt schlechtes Gewissen, ihren Gästen ein Gericht zu servieren,

mal so zu sagen. Und damit sogleich die Gegner ihres Verzehrs auf den

in dem sie Stopfleber verarbeitet haben. Die Gäste ihrerseits, so lässt es

Plan zu rufen.

deren Bestellgewohnheit unbefragt vermuten, machen sich wenige

Wer sich keiner Fraktion zugehörig zählt, weder den aufständischen

oder auch gar keine Gedanken, welche Vorgänge ihnen einen zugleich

Tierschützern, noch den scheinbar oder auch wirklich gewissenlosen

zweifelhaften wie zweifellosen Genuss verschaffen: Die Gänsestopf-

Hedonisten, der würde zur Sache am liebsten den Mund halten. Jeden-

leber, wie krank auch immer, ist eine Delikatesse. Sie hätte ihren ange-

falls öffentlich. Denn es ist entschieden vermintes Feld, auf das man

stammten Platz in der Gourmandise sonst kaum über Jahrtausende be-

sich begibt. Begeben wir uns also mal.

haupten können. Tatsächlich waren es schon die alten Römer, die die Tiere mit Feigen mästeten – ficae, woraus sich im Italienischen bzw. Französischen »fegato« und »foie« für Leber ableitet. Sprachgeschichte als Genuss- und Kulturgeschichte. Was die Sache nicht einfacher macht. Nun ist Mast nicht gleich Mast. In der eigenen Familie wird von Kindheitseindrücken aus den 50-ern erzählt, als man auf dem bayerischen Land einem Bauern beim Nudeln, also beim Stopfen der Gänse zusah. Das ging nicht mit Schlauch, Stahlrohr und Luftdruck vonstatten, sondern mit der Hand. Die maissüchtigen Tiere, gewissermaßen in Reih und Glied vorm Bauern scharrend, stellten sich, nachdem sie einzeln gefüttert waren, hinten wieder an, um sich erneut füttern zu lassen. Von Tierquälerei hat man damals nicht sprechen müssen. Auch heute dürfte es noch Farmen geben, welche die Tiere wenn schon nicht artgerecht, so aber doch tierwürdig aufzüchten. Aber wer weiß das schon? Und wer will es kontrollieren? Der Gesetzgeber gibt sich bekanntermaßen bis zur Groteske elastisch, wo es um kontrollierte und gesicherte Produktherstellung und -herkunft geht. Man denke an die Realsatire Schwarzwälder Schinken. Auch in diesem Punkt sind sich die befragten Köche einig: Wer die Stopfleber von der Karte nimmt, kann die Lücke nicht mit Backhendl, Rinderfilet oder Schweinebraten schließen. Denn die Wiesenhöfe gibt

Eva-Miriam Gerstner, ehemalige Chefin des Berliner Designhotels Q und derzeitige Beraterin für Hotellerie, Gastronomie und Green F&B, hat im Vorfeld der Anuga zusammen mit der Tierrechtsorganisation PETA ein provokantes Motiv gegen Foie gras vorgestellt: Dafür schlüpfte sie in die Rolle der Gänse und Enten und zeigt sich mit überdimensionalen »Stopfschlauch« im Mund 24 TOP HOTEL | 11/2011


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