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Wenn der Weg das Ziel ist

HÖHENWEGE

Die bezaubernde Schönheit der Natur, die Erhabenheit der Berge, die Stille der Abgeschiedenheit: Auf den Höhenwegen im Schweizer Gebirge erlebt man die absolute Freiheit.

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Sacha Gähwiler

Einst wurden Höhenwege angelegt, um die Übergänge zwischen einzelnen Schutzhütten zu erleichtern. Um nicht von einer Hütte hinunter ins Tal und zur nächsten Hütte erneut hinaufkraxeln zu müssen, führen die Wege an Bergrücken und Graten entlang. Das macht es nicht nur leichter, weil weniger Höhenmeter zu bewältigen sind, auch die Blicke auf die umliegenden Gipfel und Täler sind es, die eine Wanderung auf einem Höhenweg so lohnenswert machen. Schwindelfreiheit und Trittsicherheit sind natürlich Voraussetzungen – doch die Passion für Höhenwanderungen ist in der Schweiz enorm; nicht umsonst sind die Alphütten stets gut besucht und von Frühling bis Herbst quasi ausgebucht.

GEFAHREN NICHT UNTERSCHÄTZEN Höhenwege sind das perfekte Wanderziel für Geniesser. Allerdings setzen sich die Alpinisten hierbei auch stets Gefahren aus. Viele dieser Gefahren kann man schlicht nicht beeinflussen: Gletscherspalten, exponiertes Gelände, Stein- und Eisschlag sowie Wetterumstürze oder Lawinen. Dennoch sind Unfälle oft die Konsequenz von Leichtsinn, Selbstüberschätzung und mangelnder Erfahrung. So ist eine detaillierte Vorbereitung, Kenntnisse der alpinen Technik sowie Erfahrung und Training Grundvoraussetzung. Dies minimiert zwar die Risiken – doch ein Restrisiko bleibt immer.

DIE BERG- UND ALPINWANDERSKALA Deshalb hat der Schweizer Alpen-Club SAC eine Berg- und Alpinwanderskala erstellt, wo aufgrund vom Gelände und den Anforderungen ein bestimmter Grad festgelegt wurde – von T1, problemloses Wandern, bis hin zu T6, schwieriges Alpinwandern mit exponierten Kletterstellen und diese sind auch entsprechend markiert (siehe Box). Während bei T1 kaum Erfahrung nötig ist und die Orientierung auch ohne Karte problemlos möglich ist, sind die Anforderungen bei T6 gross: ausgezeichnetes Orientierungsvermögen, ausgereifte Alpinerfahrung und Vertrautheit im Umgang mit alpintechnischen Hilfsmitteln sind absolute Voraussetzungen.

LANGSAM DEN BERG KENNENLERNEN Wer noch nicht über genügend Erfahrung verfügt, dem sei empfohlen, sich unter fachkundiger Führung am Berg schrittweise vom einfachen zum anspruchsvolleren Gelände vorzuwagen. Bei einer Höhenwanderung ist der Weg das Ziel – es gilt, sich langsam an die Berge heranzutasten. Als Lohn warten atemberau-

Nichts für schwache Nerven: Gratwanderung auf dem Blüemlisalphorn.

DARAUF GILT ES ACHT ZU GEBEN

Alpinwandern ist sehr anspruchsvoll. Die Wege führen durch exponiertes Gelände, Geröll- und Grashalden, Schrofen, Fels, Gletscher sowie Firnfelder mit Ausrutschgefahr. Wer sich in diesem Gelände bewegt, benötigt eine ausgesprochen gute Gehtechnik, höchste Trittsicherheit, die Fähigkeit, Kletterstellen unter Zuhilfenahme der Hände zu überwinden sowie nicht zuletzt auch eine starke Psyche, um in heiklen, absturzgefährlichen Passagen nicht den Kopf zu verlieren. Wer eine Bergtour unternimmt, der sollte sich unbedingt vor der Tour über Schwierigkeit, Gehzeit, Stützpunkte, Zufahrtsmöglichkeiten und vor allem über die jahreszeitlichen Gefahren zu informieren.

Folgende Regeln gelten für den Umgang mit den häufigsten Gefahren:

• Seriöse Tourenvorbereitung – entsprechende Schwierigkeitsstufe auswählen. • Planung auf der Landeskarte 1:25’000 – Schlüsselstellen orten, Ausweichmöglichkeiten und Umkehrpunkte bestimmen,

Zeitplan mit Reserve aufstellen. • Wettervorhersagen konsultieren –

Wetterumstürze unter allen Umständen vermeiden.

• Ausrüstung – je nach Tour Pickel, Steigeisen, Sitzgurt, Seile, Karabiner, Klemmkeile oder Eisschrauben mitführen.

• Am Seil über den Gletscher – Gefahr eines

Spaltensturzes. • Am Seil über den Grat – man seilt sich an, sobald Absturzgefahr besteht. • Helm tragen – Gefahr von Steinschlag an kritischen Stellen.

• Sich über Lawinensituation informieren– nicht nur im Winter!

• Achtung Wechten – am Rand von Steilhängen und Graten überhängende Schneemasse nicht betreten.

Weitere Infos:

SAC-CAS.CH, ASTRA.ADMIN.CH, BFU.CH bend weite Aussichten auf die Alpen und faszinierende Tiefblicke auf Seen und Täler. Während eine Gipfelwanderung oft in erster Linie auf dem Gipfel ein tolles Panorama bietet, können sich unsere Augen auf Höhenwegen von Anfang bis Ende erfreuen.

KLASSIKER FÜR KLETTERER Etwas vom Spannendsten, was Höhenwege zu bieten haben, finden Interessierte in den Waadtländer Alpen: Die Arête de l’Argentine. Die spiegelglatte Felswand ist ein Klassiker für jeden Kletterer. Sie ist ein fossilisiertes Korallenriff aus dem urzeitlichen Tethysmeer, wovon zahlreiche Fossilien zeugen. Es handelt sich um eine der bekanntesten Kletterwände mit mehreren Seillängen in der Schweiz. Die aus 21 mehr oder weniger ausgeprägten Gipfeln bestehende Kette hat drei markante Punkte: die beiden Eckpfeiler, den Lion d’Argentine 2277 Meter im Südwesten und die Haute Corde 2328 Meter im Nordosten, ferner den Sommet Central 2428 Meter. Die Überschreitung vollzieht sich vom Lion zur Haute Corde. Der Grat ist gegen Norden nackt und unbezwingbar. Auf der Südseite greift das spärliche Gras viel weiter hinauf – es ist durchaus möglich, dass gewandte und trainierte Kletterer den Grat vom Einstieg in die Felsen bis zum letzten Gipfel, der Haute Corde, in sechs bis sieben Stunden überwinden.

Routenbeispiel: Lion d’Argentine–Sommet W–Sommet Central–Cheval Blanc–Haute Corde. Dauer: 9–10,5 Stunden.

«BLÜEMLISALP IRE SUMMERNACHT» Eine der eindrücklichsten Höhenwanderungen der Schweiz wurde im Klassiker «Alperose» von Mundart-Legende Polo Hofer besungen: «Blüemlisalp ire Summernacht, nachdem i ha e Bergtour gmacht…». Natürlich, das imposante Blüemlisalpmassiv im Berner Oberland – nebst dem Jungfraumassiv wohl das bekannteste der Region. Nur schon die Blüemlisalphütte auf 2480 Meter über Meer ist dank der traumhaften Aussicht ins westliche Berner Oberland und ins Mittelland ein Besuch wert. Viele Besucher kommen denn auch hierher, um die sagenhaften Fernblicke zu geniessen, zu übernachten und wieder abzusteigen.

KARAWANEN VON BERGSTEIGERN Allerdings stampfen an schönen Sommermorgen oft Karawanen aus stirnlampenbewehrten

Bergsteigerkolonien den Blüemlisalpgletscher hoch und wollen mehr – eine der eindrucksvollsten Firnrouten der Schweiz begehen. Wie ein Silberfaden sind die drei Gipfel aufgereiht. Die Überschreitung des Bergmassivs von der Blüemlisalphütte über das Morgenhorn, die Wyssi Frau und das Blüemlisalphorn zurück zur Hütte ist wahrlich ein Traum für erfahrene Alpinisten. Die Tour führt über scharfe Grate und steile Firnfelder und gehört zu den schönsten mittelschweren Grattouren der Schweiz. Stetiger Begleiter: Der eindrucksvolle Tiefblick auf der Südseite gegen den Kanderfirn und ins Wallis, auf der Nordseite bis weit ins Mittelland.

FRÜH AUS DEN FEDERN Allerdings kann eine Tour an der Blüemlisalp – je nach Wetterverhältnissen – sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Bei stimmigen Verhältnissen rechnet man für die Strecke von der Blüemlisalphüttte zum Morgenhorn mit rund 2,5 Stunden, vom Morgenhorn zum Blüemlisalphorn 3 bis 5 Stunden und von dort zurück zur Blüemlisalphütte nochmals mit 2,5 Stunden. Früh aufstehen ist demnach ein Muss. Eine Alternative wäre die Besteigung von Morgenhorn oder Blüemlisalphorn ohne Überquerung.

Routenbeispiel: Blüemlisalphütte–Morgenhorn–Wyssi Frau–Blüemlisalphorn–Blüemlisalp. Dauer: 8–10 Stunden. TSCHINGELHORN Eine kleine, aber feine und auf keinen Fall zu unterschätzende Hochtour findet sich ebenfalls im Berner Oberland – von der Mutthornhütte zum Tschingelhorn. Mit seinen 3562 Metern über Meer nimmt er sich geradezu bescheiden aus – schliesslich besteht seine Nachbarschaft aus dem bekanntesten Dreigestirn der Schweiz: Eiger, Mönch und Jungfrau. Tatsächlich ist die Erscheinung des Tschingelhorns aus der Ferne unspektakulär. Nur wenige hundert Meter ragt sein Gipfel aus dem Eismantel, den der Berg umgibt. Aber man sollte sich keinesfalls täuschen lassen. Die Tour ist denjenigen zu empfehlen, welche gerne ab vom grossen

DIE SAC BERG- UND ALPINWANDERSKALA

T1 Wandern gelb markiert* T2 Bergwandern rot-weiss markiert* T3 anspruchsvolles Bergwandern weiss-rot-weiss markiert* T4 Alpinwandern weiss-blau-weiss markiert* T5 anspruchsvolles Alpinwandern weiss-blau-weiss markiert* T6 schwieriges Alpinwandern meist nicht markiert

*NACH SWW-NORMEN

Klassiker für Kletterer: die Arête de l’Argentine.

© NATHALIE RACHTER

Menschenstrom einen Gipfel besteigen möchten. Diese monumentale Landschaft wurde in das Verzeichnis des UNESCO – Weltnaturerbe aufgenommen.

LANDSCHAFT AUS EIS UND FELS Ausgangspunkt dieser Zweitageswanderung ist Stechelberg auf 910 Meter im Lauterbrunnental.

Lion d’Argentine–Sommet W–Sommet Central–Cheval Blanc–Haute Corde

Arête de l’Argentine Cheval Blanc

Lion d’Argentine Haute Corde

Blüemlisalphütte–Morgenhorn–Wyssi Frau–Blüemlisalphorn–Blüemlisalp

Blüemlisalphütte

Blüemlisalphorn Wyssi Frau Morgenhorn

Mutthornhütte–Chly Tschingelhorn–Gross Tschingelhorn

Mutthornhütte

Chly Tschingelhorn Gross Tschingelhorn Von dort führt uns die Route nach Trachsellauenen und weiter auf gutem Weg zum Oberhornsee. Über eine Moräne, die den Gletscherbestand vom Jahr 1850 anzeigt, gelangt man auf den Tschingelgletscher und weiter bis zur Mutthornhütte auf 2901 Metern. Von wo aus man auch aufbricht, 4,5 Stunden sind für den Hüttenaufstieg einzuplanen – mindestens. Bei der vom Gletscher umrahmten Hütte bietet sich eine einzigartige Landschaft, erinnernd an ein Amphitheater aus Fels und Eis.

NICHTS FÜR SCHWACHE NERVEN Früh morgens geht es über den Firn zum Petersgrat eine wunderschöne Gletscherwanderung auf dem Übergang ins Lötschental. Das prächtige Panorama reicht von den Berner Alpen, über die Walliser Alpen bis zum Mont Blanc. Am Fusse des Tschingelhorn angekommen steigen die Alpinisten über gut gestufte Felsen zum Gipfel auf 3562  Meter hoch. Eine gute Ausrüstung ist hierbei zwingend – Pickel, Steigeisen und Sitzgurt, ein 50-Meter-Seil sowie Karabiner, Klemmkeile, Eisschrauben und ein Helm. Wie erwähnt – diese Höhenwanderung ist nicht zu unterschätzen! Zudem hat es insbesondere auch der Abstieg in die Scharte in sich – die Abseilpartie führt zuletzt in einen Höllenschlitz, wo nur links auf der Höhe der Scharte ein schmales Band rettend zum letzten Aufschwung zur grossen Schanze führt. Nichts für schwache Nerven.

Nicht zu unterschätzen: Eine Höhenwanderung zum Tschingelhorn.

© SCHWEIZ TOURISMUS MARCUS GYGER

Routenbeispiel: Mutthornhütte–Chly Tschingelhorn–Gross Tschingelhorn. Dauer: 5–6 Stunden.