Das Helmhaus 1890-2023 | Leseprobe

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Grußworte der Landeshauptleute ........................................... 6 Saluti dai Governatori ............................................................... 7 Grußworte der Alpenvereine .................................................. 10 Saluti dai Presidenti .................................................................. 11 Der Helm – Viel besuchter „Pusterthaler Rigi“....................... 15 Anfänge des Alpintourismus und Gründung des Alpenvereins ........................................... 20 Die Gründungsgeschichte des Alpenvereins 20 Paul Grohmann 21 Die Eisenbahn – Touristischer Aufschwung im Pustertal ... 27 Emma Hellenstainer – frühe Tourismuspionierin 29 Organisierte Werbung und geregelte Verhältnisse vor Ort 31 Die „Section Sillian“ des Alpenvereins .................................. 33 Der Bau der Helmhütte ........................................................... 36 Die goldenen Jahre des Helmhauses ..................................... 41 Klärung der Eigentumsverhältnisse 43 Erster Weltkrieg 45 Zwischen Hoffnung und Enttäuschung ................................ 51 Das Helmhaus unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg 51 Verschiebung der Grenzen –Das Helmhaus fällt an Italien 53 Entschädigungszahlung für die „geraubte Hütte“ 56 Schwierige Situation in Südtirol 58 Zwischenkriegszeit .................................................................. 60 Hüttenbau am Karnischen Kamm –Ein Höhenweg entsteht 60 Die Sillianer Hütte 62 INHALTSVERZEICHNIS
Zweiter Weltkrieg und die Jahre danach .............................. 65 Antisemitismus im Alpenverein 65 Geheime Flucht über die Grenze 67 Der Alpenverein nach dem Zweiten Weltkrieg 69 Zuspitzung des Südtirol-Konfliktes 70 Grenzen überwinden ............................................................... 73 Friedensweg – Ein Meilenstein der Annäherung 74 Wächter des Friedens – Symbolträchtiges Kreuz am Helm 77 Europakreuz Große Kinigat – „Nie wieder Krieg“ 79 Helm-Pokal-Rennen – Sportliches Wetteifern zwischen Nord- und Südtirol 80 Heimatsteig – Eine Brücke über die Grenze 83 Die Predigt von Reinhold Stecher 88 Das Helmhaus als strategische Spielfigur ............................. 93 Verkauf des Helmhauses 96 Verleugnete Zusagen 97 Eine Zukunft für das Helmhaus ............................................ 100 Diskussion Toponomastik – Das Helmhaus als Ort der Reflexion 101 Helmhaus – Friedensmonument2433 103 Schlussworte 106 Dank 107 Verwendete Literatur 109 Archivmaterialien 110 Internetquellen 111 Die Autorin 112

GRUSSWORTE DER LANDESHAUPTLEUTE

Die schmerzhafte Grenzziehung, durch die nach dem Ersten Weltkrieg unsere gemeinsame Heimat Tirol geteilt wurde, ist bis heute an bestimmten symbolhaften Orten unserer Heimat besonders sichtbar. Einer dieser Orte ist der Helm und mit ihm das Helmhaus, erbaut 1889 bis 1890 von der Sektion Sillian des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins mit Unterstützung der Gemeinde Sexten, wobei Letztere das Grundstück für das Schutzhaus zur Verfügung stellte.

SALUTI DAI GOVERNATORI

La dolorosa demarcazione del confine che ha diviso il Tirolo storico, dopo la Prima guerra mondiale, è ancora oggi particolarmente evidente in alcuni luoghi simbolici della nostra terra. Tra questi si annovera la cima del Helm e il relativo rifugio Helm, costruito dal 1889 al 1890 dalla Sezione di Sillian dell’Alpenverein Tedesco e Austriaco con il sostegno del Comune di Sesto, che mise a disposizione il terreno per la costruzione del rifugio.

Il primo Presidente della Sezione di Sillian e sindaco di Sillian Josef Schraffl, Capitano del Land Tirolo dal 1917 al 1921, svolse un ruolo determinante nella costruzione del rifugio.

ARNO KOMPATSCHER

Landeshauptmann von Südtirol

Federführend bei der Erbauung des Helmhauses war der damalige 1. Vorsitzende der Sektion Sillian und Sillianer Bürgermeister

Josef Schraffl, der von 1917 bis 1921 als Landeshauptmann von Tirol amtierte. Den Erbauern des Schutzhauses gelang es dabei, eine markante Landmarke zu setzen: Das Helmhaus wurde in exponierter Lage auf dem Gipfel erbaut. Dessen historische Dachterrasse erlaubte einen beeindruckenden Blick über den Karnischen Kamm und die umliegende Bergwelt.

1915 wurde das Wanderparadies zur Front und das Helmhaus zum militärischen

Stützpunkt. Nach dem Krieg und der 1920 erfolgten Grenzziehung stand das Helmhaus im buchstäblichen Sinne „an der Grenze“, die entlang der nördlichen Hausmauer gezogen wurde.

ANTON MATTLE

Landeshauptmann von Tirol

Diese Grenzlage macht das Helmhaus zu einem Symbol einer ungewollten Grenze, die heute durch die europäische Integra-

La costruzione del rifugio consentì di realizzare un suggestivo punto di riferimento: fu costruito in una posizione esposta sulla cima e la storica terrazza sul tetto offriva uno splendido panorama sulla cresta carnica e sulle montagne circostanti.

Nel 1915, il paradiso degli escursionisti si trasformò in fronte e il rifugio divenne una base militare. Dopo la guerra e la demarcazione del confine nel 1920, questo si trovava letteralmente “sulla frontiera” tracciata lungo la parete nord della struttura.

La posizione del confine rende questo rifugio simbolo di un confine spesso visto come dolente, oggi però sempre meno evidente grazie all’integrazione europea e al ricongiungimento dei territori appartenenti al Tirolo storico sotto l’egida dell’Euregio Tirolo-Alto AdigeTrentino.

Dal 2012 il rifugio è di proprietà del Comune di Sesto. Siamo lieti che un progetto sostenuto dalle sezioni del Alpenverein di Sillian e Drei Zinnen, nonché dal Alpenverein austriaco e dal Alpenverein Sudtirolese, in collaborazione con il Comune di Sesto, abbia reso il rifugio Helm un luogo di incontro aperto, all’insegna di una cultura della memoria viva.

Grazie alla regione CLLD “Dolomiti Live” e al programma INTERREG

Italia-Austria è stato possibile disporre di finanziamenti europei per questo intervento, anche a dimostrazione di quanto progetti come il rifugio Helm siano emblematici della funzione unificante e riconciliante dell’unificazione europea. La collaborazione con il GECT “Euregio Ti-

© LPA/Ivo
© Land Tirol/Emanuel Kaser 6 7
Corra

tion und das Zusammenrücken der Tiroler Landesteile im Zeichen der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino immer weniger spürbar ist. Seit 2012 ist das Helmhaus im Besitz der Gemeinde Sexten. Es freut uns sehr, dass nunmehr ein von den Alpenvereinssektionen Sillian und Drei Zinnen sowie dem Österreichischen Alpenverein und dem Alpenverein Südtirol in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Sexten mitgetragenes Projekt das Helmhaus zu einem offenen Treffpunkt im Sinne einer lebendigen Gedenkkultur werden lässt.

Der CLLD-Region „Dolomiti Live“ und dem INTERREG-Programm Italien-Österreich ist es zu verdanken, dass für dieses Vorhaben europäische Finanzierungen gefunden werden konnten, auch zum Beweis dafür, dass gerade Projekte wie das Helmhaus symbolhaft für die verbindende und versöhnende Funktion der europäischen Einigung stehen. Die Zusammenarbeit mit dem EVTZ Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino bei der Umsetzung des INTERREG-Projektes ist zudem ein Sinnbild dafür, dass das Helmhaus für die Verbindung der beiden Landesteile im europäischen Geiste steht. Das Helmhaus wird von einem Symbol einer traumatischen Trennung zu einem Sinnbild für die Überwindung von Grenzen.

Wir freuen uns mit den Projektbetreibern über den bisherigen Erfolg und wünschen für den weiteren Verlauf des Projektes alles Gute.

rolo-Alto Adige-Trentino” nella realizzazione del progetto INTERREG rende il rifugio emblema del collegamento delle due parti del territorio nello spirito europeo, trasformandolo in un simbolo di superamento dei confini. Esprimiamo soddisfazione per il successo ottenuto finora dagli incaricati del progetto e auguriamo loro il meglio per il suo prosieguo.

Mit dem INTERREG-Projekt wird das Helmhaus zum Sinnbild für die Zusammenarbeit in der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino.

© Gerhard Holzer ARNO KOMPATSCHER Landeshauptmann von Südtirol ANTON MATTLE Landeshauptmann von Tirol ARNO KOMPATSCHER Presidente della Provincia autonoma di Bolzano
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ANTON MATTLE Capitano del Land Tirolo

GRUSSWORTE

DER ALPENVEREINE

Der Helm, ein an der österreichisch-italienischen Grenze gelegener markanter Berg, ist mit dem Helmhaus eine Landmarke des oberen Pustertales – sei es in Süd- wie auch in Osttirol.

SALUTI DAI PRESIDENTI

Il Helm, una considerevole montagna situata sul confine italo-austriaco, è, insieme al rifugio Helm, un punto di riferimento dell’Alta Val Pusteria, sia in Alto Adige che in Tirolo Orientale.

GEORG SIMEONI

Präsident AVS

Die Sektion Sillian des DuOeAV hat dieses Haus erbaut und 1891 eröffnet. Wegen des 360-Grad-Rundumblickes – im Süden die Dolomiten und im Norden die Villgrater Berge und die Hohen Tauern – wurde es dazumal auf Firsthöhe mit einer hölzernen Aussichtsplattform ausgestattet. 1925 enteignete der italienische Staat das Helmhaus und stellte es unter Militärverwaltung, bis es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges seinem Schicksal überlassen wurde und heute einen traurigen Anblick auf dem Gipfel des Helms bietet.

Seit dem Jahre 2000 bemühen sich die Alpenvereine, die Hütte wieder zu beleben und ihren Bestand zu sanieren. 2005 konnten der Österreichische Alpenverein und der Alpenverein Südtirol gemeinsam das Konzept eines offenen Helmhauses entwickeln und 2007 hierfür einen Architekturwettbewerb ausschreiben. Für das Tiroler Gedenkjahr 2009 sollte das Projekt realisiert werden. Zehn Architekturbüros beteiligten sich am Wettbewerb. Leider scheiterte die Ausführung des Projektes damals an der Grundverfügbarkeit.

Vizepräsidentin ÖAV

Nun haben sich erneut die beiden Alpenvereine gemeinsam mit der Gemeinde Sexten und mit Unterstützung der Europa-

La sezione di Sillian del DuOeAV costruì questa casa e la inaugurò nel 1891. Per la vista panoramica a 360° - a sud le Dolomiti e a nord le montagne di Villgraten e gli Alti Tauri - fu dotata di una piattaforma panoramica in legno all’altezza del colmo. Nel 1925, lo Stato italiano espropriò il rifugio e lo mise sotto amministrazione militare, finché, dopo la fine della Seconda guerra mondiale, fu abbandonato al suo destino e oggi presenta un triste spettacolo sulla cima del Helm.

Dal 2000, le associazioni alpine hanno cercato di riportare in vita il rifugio e di rinnovarne gli allestimenti. Nel 2005, il Österreichischer Alpenverein e l’Alpenverein Südtirol sono riusciti a sviluppare congiuntamente il concetto del rifugio aperto Helm e hanno indetto in 2007 un concorso di architettura a tale scopo. Il progetto doveva essere realizzato in occasione dell’anniversario Tirolese 2009. Al concorso hanno partecipato dieci studi di architettura. Purtroppo, all’epoca l’esecuzione del progetto fallì a causa della disponibilità di base. Ora le due associazioni alpine, insieme al Comune di Sesto e con il sostegno del Euregio Tirolo-Alto Adige-Trentino, si sono nuovamente impegnate nella realizzazione del progetto transnazionale. Il vincitore del concorso del 2007 è stato incaricato di adattare il suo progetto alle esigenze di oggi. Queste sono soprattutto il desiderio di rendere il rifugio Helm un luogo aperto di aggregazione, ma anche di storia, rispettando allo stesso tempo l’edificio esistente. Sulla base della muratura calcinata conservata dall’epoca della costruzione, è stata collocata una costruzione in legno aperta, che renderà finalmente la casa nuovamente accessibile e trasformerà un edificio di confine in un luogo di libera prospettiva e mediazione.

© AVS © Isabel Mühlhaus 10 11

region Tirol-Südtirol-Trentino für die Verwirklichung des länderübergreifenden Projektes engagiert. Der Wettbewerbsgewinner von 2007 konnte beauftragt werden, seinen Entwurf an die heutigen Ansprüche anzupassen. Das sind vor allem der Wunsch, aus dem Helmhaus einen offenen Ort des Zusammenkommens, aber auch der Geschichte werden zu lassen und dabei den baulichen Bestand zu respektieren. Auf der Basis des bauzeitlich erhaltenen und weiß gekalkten Mauerwerks wird eine offene Holzkonstruktion gesetzt, mit der das Haus endlich wieder zugänglich und aus einem Grenzgebäude ein Ort der freien Perspektive und der Vermittlung wird.

Über dem Helmhaus liegen die Schatten der Vergangenheit. Mit dem „Kulturprojekt offenes Helmhaus – Progetto culturale Rifugio aperto Helm“ soll aus der Ruine ein Ort des Zusammenkommens und der Geschichte werden. © Christina Schwann

GEORG SIMEONI Präsident AVS
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DORIS HALLAMA Vizepräsidentin ÖAV

DER HELM – VIEL BESUCHTER

„PUSTERTHALER RIGI“

Der Helm, auch Helmspitze genannt, mit seinen 2.433 Metern ist der westlichste Ausläufer des Karnischen Kamms, Grenzberg zwischen Süd- und Osttirol, Aussichtsberg, Schicksalsberg und Hoffnungsträger. Schon in den Anfängen des Alpintourismus vor mehr als 160 Jahren finden sich zahlreiche Beschreibungen zu diesem dank seiner Lage außergewöhnlichen Berg, beispielsweise von Paul Grohmann und Jacob Traunsteiner:

„Der Helm, der so oft auch der Rigi des Pusterthales genannt wird, ist bekanntlich der westlichste bedeutende Gipfel jenes mächtigen Bergzuges, der zunächst das Kartitschthal, später das Gailthal im Süden begleitet und in der Paralba und der Kellerwand culminiert. (…) Der Helm ist der westlichste Hochgipfel, der diesem Zuge angehört, und dieser in das Pusterthal weit vorgeschobenen Stellung, hat er auch grossentheils seinen Ruf als Aussichtspunkt zu

Vom Helm aus bietet sich ein fantastischer Blick auf die Sextner Sonnenuhr mit Zwölfer, Elfer und Einser. © ÖAV-Archiv Innsbruck – Laternbildsammlung Blick vom Weiler Moos auf den Helm, um 1935 © ÖAV-Archiv Innsbruck – Laternbildsammlung
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Das wunderschön gezeichnete „Panorama von der Helmspitze“ von A. Baumgartner (siehe Umschlagseiten) wurde 1882 vom Verlag des Oesterreichischen TouristenClubs abgedruckt. © Archiv ÖAV-Sektion

danken. Die nächstfolgenden Gipfel, Hornischeck, Hollbruckereck und Pfandeleck sind höher, aber als Aussichtspunkte nicht besucht. Sie würden beiläufig dasselbe bieten, wie der Helm, sind aber nicht mehr so angenehm zu begehen. (…) Der Reiz der Aussicht liegt auch hier auf dem Helm, im Gegensatz zwischen Nord und Süd. Auf der einen Seite der Firnbogen der Gletscherwelt, theilweise verborgen durch die saftigen Vorberge, auf der anderen Seite ein beträchtlicher

Theil der Dolomitwelt. Die hohen Berge des Sextnerthales sperren zwar in gewissem Sinne theilweise den Anblick der südlichen Bergwelt, sie bieten aber selbst so viele schöne Einzelheiten, dass das Auge nichts weiter verlangt.“ 1

„Der Helm, als vorzüglicher Aussichtspunkt bei leichter Erreichbarkeit längst bekannt und wohl auch als der ‚Pusterthaler Rigi‘ bezeichnet, erhebt sich zwischen dem Drau- und Sextner-Thale als der westlichste, am weitesten in das Pusterthal vortretende Gipfel jenes Gebirgszuges, welcher zunächst das Kartitsch- und Sextner-Thal trennt und sich weiterhin zwischen dem Gailthal und dem obersten Gebiet der Piave zu den Karnischen Alpen hinzieht.“ 2

Diesen Worten von Paul Grohmann und Jacob Traunsteiner ist praktisch nichts hinzuzufügen. Sie beschreiben, was der Helm damals wie heute war und ist – ein hervorragender Aussichtsberg, von weither sichtbar und eine fantastische Rundumsicht von den Sextner Dolomiten über die Karnischen und Gailtaler Alpen sowie die Villgrater Berge bis zum Venediger und Großglockner bietend.

Diese einmalige Aussicht animierte A. Baumgartner 1882, das „Panorama von der Helmspitze“

1 Paul Grohmann: Wanderung in den Dolomiten, Verlag von Carl Gerold’s Sohn, Wien 1877

2 Jacob Traunsteiner: Der Helm, in: Oesterreichische Touristenzeitung, Nr. 13, 1882

nach der Natur zu zeichnen – siehe Umschlagseiten. Veröffentlicht 1882 in der „Oesterreichischen Touristenzeitung“ zusammen mit der Beschreibung von Jakob Traunsteiner, muss es schon damals Sehnsüchte geweckt haben, diesen Berg einmal selbst zu besteigen. Zumal die Wanderung von Sexten wie von Sillian auf gut ausgebauten Wegen einfach und zum Teil sogar mit dem Pferd zu bewältigen war.

Wer heute hinauf zum Helm wandert, wird selbst Zeuge des prächtigen Panoramas. Freilich, die Täler sind wesentlich dichter besiedelt, Straßen schlängeln sich durch die Dörfer, Seilbahnen und Pisten erschließen Teile der Westund Südhänge des Helms, aber die Aussicht auf die Berge ist auch heute noch grandios. Vor allem der Blick nach Süden, wo sich die mächtige Dreischusterspitze mit 3.145 Metern als Blickfang in den ohnehin fantastischen Sextner Dolomiten erhebt, begeistert jedes Mal aufs Neue. Ihr gegenüber liegt der Karnische Kamm, der am „Karnischen Höhenweg“ vom Helm bis nach Arnoldstein zu begehen ist und als einer der bekanntesten und meistbegangenen Weitwanderwege Österreichs gilt. Als „Friedensweg“ folgt er der einst hart umkämpften Grenze zwischen Tirol und Südtirol sowie dem Belluno und weiter im Osten zwischen Kärnten und Friaul-Julisch Venetien.

Der Blick reicht aber auch hinunter nach Sillian und Tassenbach, wo das Gailtal nach Südosten abzweigt, vom Drautal durch die Lienzer Dolomiten getrennt. Genau hier verläuft auch eine Grenze –eine sehr, sehr alte Grenze: die Periadriatische Linie. Sie stellt die geologische Trennlinie zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Kontinentalplatte dar. Mit einer Gesamtlänge von 700 Kilometern ist sie die bedeutendste tektonische Störungslinie der Alpen und trennt im Bereich des Puster- und Gailtales die Südalpen von den Ostalpen. So gesehen steht der Helm in Afrika, während die Lienzer Dolomiten und die Villgrater Berge bereits zu Europa gehören.

Eines ist aber anders als zu Zeiten von Paul Grohmann und Jacob Traunsteiner: Heute steht ein verfallenes Haus am Helm – eine Ruine, die aufgrund ihrer Baufälligkeit nicht betreten werden darf. Sie ist ein Symbol für Aufschwung und Zusammengehörigkeit, aber auch für Krieg, Zerstörung und Unrecht. Als Teil des EUREGIO-Projektes

„Kulturprojekt offenes Helmhaus – Progetto culturale Rifugio aperto Helm“ wird in diesem Büchlein die spannende Geschichte des Hauses am Helm und der Menschen im oberen Pustertal nachgezeichnet, um Leitbild und Motivation für die Zukunft zu sein, in der der Helm

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die Vergangenheit zu verleugnen, wie Altbischof Reinhold Stecher in seiner Predigt anlässlich der Eröffnung des „Heimatsteiges“ 2009 betonte.

Auf der Schutzhüttenkarte von 1900 ist die „Helmhütte“ bereits als bewirtschaftete Unterkunft angeführt. © Ausschnitt Schutzhütten- und Übersichtskarte der Ostalpen, Verlag Ludwig Ravenstein, Frankfurt am Main. Beilage zur Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins 1900 (westliches Blatt); grafisch bearbeitet von Michael Guggenberger, Innsbruck

wieder zu dem werden soll, was er einst war: Ein aussichtsreicher Treffpunkt, der das Gemeinsame hervorstreicht und die „Schatten des Unrechts und die Schatten der Grenze“ verblassen lässt, ohne 18 19

ANFÄNGE DES ALPINTOURISMUS UND GRÜNDUNG DES ALPENVEREINS

Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts stieg das Interesse an den Alpen, sowohl in wissenschaftlicher als auch in alpinistischer Hinsicht. Das Fehlen von Infrastruktur in den Bergen ließ jedoch jeglichen Alpenbesuch zur Expedition werden. Diesen mit Geld und Zeit verbundenen Luxus konnten sich nur gut situierte Personen aus dem Bürgertum der Städte leisten. In der Reihe der Erstbesteigungen bedeutender Alpengipfel sticht der Mont Blanc mit 4.810 Metern im Jahr 1786 durch den aus Savoyen stammenden Arzt und Alpinisten Michel-Gabriel Paccard und seinen Mitstreiter Jacques Balmat, lokaler Gamsjäger, Kristallsucher und Bergsteiger, ins Auge. Es folgte die Erstbesteigung des Großglockners im Jahr 1800 und des Ortlers im Jahr 1804.

DIE GRÜNDUNGSGESCHICHTE DES ALPENVEREINS

Viele dieser ersten hoch motivierten „Alpeneroberer“ kamen aus England und sahen in den Alpen so etwas wie eine „Spielwiese“, auf der sie sich messen und beweisen konnten. Auch im Pustertal

waren es vor allem Engländer, die als erste Touristen Anfang des 19. Jahrhunderts Tirol besuchten. Sie hatten unter anderem den Tiroler Freiheitskampf gegen Napoleon mitgetragen und jene, die es sich leisten konnten, wollten nun das Land und seine tapferen Menschen selbst kennenlernen.

So ging etwa Sir Thomas Dyke Acland in die Geschichte ein, als er als einer der Ersten 1819 das Pustertal besuchte und weiter bis nach Lienz und Kals reiste, wo er eine Federzeichnung des Großglockners erstellte.

Die beiden Geologen Josiah Gilbert und G. C. Churchill durchwanderten vor allem die Dolomiten und hielten sich um 1856 für längere Zeit in Lienz auf. In ihrem Reisebericht prägten sie erstmals den Begriff der „Lienzer Dolomiten“.3

Allein die Organisation von derartigen Reisen in die Alpen war mitunter sehr aufwendig.

Eine Interessensgemeinschaft

für Bergbegeisterte sollte Abhilfe schaffen und so wurde am 22. Dezember 1857 als erster

Alpenverein weltweit der „Alpine Club“ mit Sitz in London gegründet.

3 Meinrad Pizzinini: „Pustertal-Reisende im Lauf der Jahrhunderte – Wie Sillian erlebt und beschrieben wurde“, in: Sillian – Geschichte und Gegenwart, Haymon Verlag, 4. Auflage 2018, S. 455

Paul Grohmann

In Verbindung mit Erstbesteigungen in den österreichischen Alpen und in den Dolomiten sowie in Zusammenhang mit der Gründungsgeschichte des Alpenvereins kommt man um Paul Grohmann nicht herum. 1838 als Sohn eines wohlhabenden Arztes in Wien geboren, reist er mit den Eltern schon früh in die Berge. Er lernt die Schweiz kennen, Teile von Oberitalien, aber vor allem auch Salzburg, Oberösterreich, die Steiermark, Tirol und Vorarlberg.

Aber erst als ein Freund aus dem Gailtal ihn 1853 einlädt, unternimmt er als damals Fünfzehnjähriger gemeinsam mit dem einheimischen Bekannten die ersten nennenswerten Bergwanderungen – unter anderem auf den Rosskofel am Karnischen Kamm, von dem aus sich ein fantastischer Blick auf die Sextner Dolomiten eröffnet.

Bevor er aber in die Dolomiten zurückkehrt, überquert und besteigt Grohmann so ziemlich alles, was die österreichischen Alpen zu bieten haben – von der Hochschwabgruppe, den Zillertaler Alpen, den Hohen Tauern bis hin zum Grimming und zum Watzmann. 1856 steht er mit nur 18 Jahren am Dachstein, zwei Jahre später am Großglockner. Es folgen weitere markante Gipfel wie Hochalmspitze, Hafner und Ankogel.

„Als ich von den Spitzen und Höhen der Tauern, die ich bis dahin durchwandert hatte, eine neue Bergwelt von märchenhaften Formen im Süden erblickte, über die auch das beste Buch nur geringe Aufschlüsse erteilte, eine Bergwelt, über die sich in vielen Beziehungen noch der Schleier des Geheimnisses breitete, beschloss ich, in die Dolomiten zu ziehen und dort zu arbeiten.“ 4

Paul Grohmann gelingen in den Dolomiten zahlreiche Erstbesteigungen. Er war, gemeinsam mit einheimischen Führern freilich, der Erste am Langkofel, auf der Großen Zinne, der Marmolata sowie der Tofana und 4 „Paul Grohmann – Eine Lebensskizze. Ein Beitrag, den Grohmann im Jahr 1899 auf Anfrage der ‚Akademischen

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Sektion Wien‘“ verfasste; in: Paul Grohmann. Erschließer der Dolomiten und Mitbegründer des Alpenvereins, Hrsg. Wolfgang Strobl, Athesia, 2014, S. 25

er steht vor allen anderen am Monte Cristallo, am Monte Antelao, am Piz Boè und auf der Sorapiss. Kein Wunder also, dass er der „König der Dolomiten“ genannt wird. Ab 1857 bemühen sich Paul Grohmann und seine Mitstreiter um die Etablierung eines Alpenvereins in Österreich, was schließlich zur Gründung des damaligen Oesterreichischen Alpenvereins führt. Weil ihm dieser Verein aber zu zentral von Wien aus geleitet wird und nur wenig bis keinen Mehrwert für die Gemeinden in den Bergen selbst bringt, legen er und einige der ursprünglichen Mitbegründer nach wenigen Jahren ihre Funktionen im Ausschuss zurück. Kurz darauf sind Paul Grohmann und weitere junge Männer maßgeblich an der Gründung des Deutschen Alpenvereins beteiligt, der 1873 mit dem Oesterreichischen Alpenverein zum DuOeAV fusioniert. Auch hierbei dürfte Paul Grohmann nicht ganz unbeteiligt gewesen sein, ist er doch von 1870 bis 1873 Mitglied des Central-Ausschusses in Wien. Leider verliert Grohmann beim Wiener Börsenkrach 1873 sein gesamtes Vermögen, wodurch sein Lebensabend sehr sorgenvoll ist. Für seine Verdienste für den Alpenverein wird er aber doch gewürdigt: 1877 wird er zum Ehrenmitglied der Sektion Hochpustertal ernannt und zu seinem 60. Geburtstag 1898 errichtet die Akademische Sektion Wien ihm zu Ehren ein Denkmal in St. Ulrich in Gröden. Erst zwei Jahre später erkennt die Sektion aber die prekäre Situation von Grohmann und ruft in den Mitteilungen der Section Wien 5/1 von 1900 zu einer vertraulichen Ehrengabe für Grohmann auf. Am 29. Juli 1908 verstirbt Paul Grohmann in Wien.

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Paul Grohmann – Mitbegründer des Alpenvereins © ÖAV-Archiv Innsbruck – Laternbildsammlung
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