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/ TdZ Mai 2020 /
Dietze aus Koblenz und den Trierer Theaterchef Manfred Langner nun dazu bewogen, eigene Theatertage zu veranstalten? „Der
GESCHICHTEN VOM HERRN H. Let’s talk about Klasse, baby!
Anstoß kam aus der Politik“, sagt Häberli mit Blick auf den Else-Lasker-Schüler-Preis, der am ersten Festivaltag an die Autorin Felicia
Alle reden übers Wetter. Wir nicht. So hieß
nismus nennt man neuerdings Klassismus
Zeller verliehen wurde. „Für diesen wichtigen
es früher einmal. Reden wir also nicht übers
und dafür sensibel, ohne zugleich paterna-
Autor*innen-Förderpreis haben wir einen
Wetter und auch nicht über Viren, sondern
listisch zu sein, ist das Mindeste. Aber Sie
passenden Rahmen gesucht“, sagte Minister-
über Klasse. Es ist der simple und beschä-
kennen mich. Ich setze mich sehr für die
präsidentin Malu Dreyer, die den Preis an
mende Fakt, dass wenige Menschen welt-
Vielfalt ein, insbesondere die der Meinun-
Zeller sowie die Stückpreise an Caren Jeß,
weit über so viel Kapital verfügen, dass sie
gen, weswegen ich mich stets bemühe, eine
Leon Ospald und Magdalena Schrefel selbst
nicht nur erheblichen Einfluss auf politi-
abweichende zu vertreten. So auch hier.
übergab. Das traf sich mit lang gehegten
sche Geschicke haben, sondern zugleich
Denn der wünschenswerte Kampf gegen
Plänen der Intendanten.
Millionen
mittels
Klassismus geht zugleich an der
Nach dem Erfolg der Theatertage freut
Lohnarbeit zur Vermehrung ihres
Sache vorbei. Wie Mark Fisher
sich der Koblenzer Intendant Markus Dietze
Kapitals zwingen. Als ich die
schrieb: An der Klasse zeigt sich
auf die zweite Auflage im März 2021, die am
Schule verließ, kam die Finanz-
die Unmöglichkeit einer libera-
dortigen Stadttheater über die Bühne gehen
krise. Dann die Immobilien
len Lösung. Weder der Markt
soll. Wichtig ist dem Schauspiel- und Opern-
krise. Dann die Staatsschulden-
noch die Sprache regeln das
regisseur, „dass das Musiktheater noch mehr
krise. Dann die geopolitische
Problem. Oder sollten wir die
als bei der Erstauflage zum Tragen kommt“.
Krise. Dann die Niederlage der
Armen besser „künftig prospe
Als Vierspartenhaus hat seine Bühne da beste
neuen Linken. Dann die neuen
rierend“ nennen? Das käme der
Voraussetzungen.
Faschisten. Und nun die Ge-
neoliberalen Ideologie entgegen,
sundheitskrise. Und in dieser
änderte aber rein gar nichts.
Bei der Festivalpremiere war starkes
Menschen
Schauspiel zu erleben. Mit dem Brecht-Klas-
Zeit sind die Reichen immer reicher und die
Wenn wir über Klasse sprechen, sto-
siker „Der kaukasische Kreidekreis“ in der
Armen immer ärmer geworden. Aber uns
ßen wir auf eine reale Negativität, die diese
Inszenierung von Esther Hattenbach zeigt die
hierzulande, heißt es dann, uns geht es
Gesellschaft hervorbringt. Ein Ausschluss
Koblenzer Bühne eine aktuelle Lesart des
doch gut. Das stimmt nicht. Der Theater
durch die Art und Weise, wie wir alle tagtäg-
Dramas. Krieg und Flucht sind die zentralen
kritiker Christian Baron hat mit „Ein Mann
lich produzieren und konsumieren. Es geht
Themen. Den Kampf der Magd Grusche mit
seiner Klasse“ ein Buch über die verdrängte
um gemeinsame Auswege aus der Klassen-
der Gouverneursfrau, die ihr Kind in der Not
Armut geschrieben. Es ist die Geschichte
gesellschaft, wie Fisher meint. Dafür müsse
zurückgelassen hat und es nach Jahren wie-
seines Lebens, seiner Eltern und Groß
man die Identitätspolitik entschieden zu-
der zurückfordert, setzt die Regisseurin als
eltern, der Tanten, Onkel und Geschwister.
rückweisen. Fishers Essay „Raus aus dem
kühles Denkspiel in Szene. Die musikalischen
Denn Ungleichheit wird vererbt (ökono-
Vampirschloss“, enthalten in dem neu er-
Experimente des Komponisten Paul Dessau,
misch, nicht biologisch). Dieses Buch sollten
schienenen Band „k-punk. Ausgewählte
der neue Elemente wie Zwölfton musik mit
Sie lesen. Es zeichnet weder das Bild des
Schriften“, ist einer der wichtigsten Texte
politischer Agitation zu verschmelzen suchte,
„Unterschichtfernsehens“ noch der „edlen
über Klassen- und Identitätspolitik der ver-
entwickelt der Komponist Johannes Bartmes
Armen“. Es zeigt ein realistisches Bild zwi-
gangenen Jahre. Die Zerstörung des Be-
weiter zu mitreißenden Melodien, mit denen
schen Ausgrenzung, Gewalt, Alkoholismus,
wusstseins dieser Klassenstruktur und der
der Sänger Thomas Schweiberer die Hand-
Neid, Güte, Aufopferung, Depression und
eigenen Position darin war für Fisher eine
lung mitbestimmt.
Solidarität.
der verheerendsten Wirkungen des „kapita-
Schwache Männer und den Zerfall ihrer
Die unteren Klassen unten zu halten,
listischen Realismus“. Das Ergebnis? „Über-
politischen Systeme zeigte Regisseur Tim Tonn-
ist eines der wichtigsten Anliegen der Mit-
all proletarisierte Individuen, nirgends das
dorf mit Arthur Millers „Tod eines Handlungs-
telklassen. Das immer brutaler verfolgt
Proletariat“, wie die Freundinnen und Freun-
reisenden“ am Pfalztheater Kaiserslautern.
wird. Zudem gibt es die feinen Unterschie-
de der klassenlosen Gesellschaft in ihrem
Der innovative Stückentwickler, der mit dem
de, wie sie Pierre Bourdieu in seinem be-
vergangenen Herbst erschienenen Buch
Kollektiv Prinzip Gonzo neue Formate erprobt,
rühmten Werk nannte. Ein Habitus, der es
„Klasse, Krise, Weltcommune“ schreiben.
erzählt das Stück vom Scheitern des amerika-
jenen ungemütlich macht, die nicht damit
Je mehr es diese Gesellschaft zwischen Arm
nischen Traums aus dem Jahr 1949 sensibel
aufgewachsen sind. Wie Annie Ernaux und
und Reich zerreißt, desto mehr werden wir
und dennoch unerbittlich. Klug zertrümmert
Didier Eribon schreibt Baron über die soziale
über Klasse sprechen müssen. Mit dem
das Ensemble das Trugbild vom erfolgreichen
Scham, mit der sich die Ausgegrenzten ge-
Wetter hat das nebenher auch etwas zu tun.
weißen Mann. Formal huldigt Tonndorf dem
wissermaßen in der Öffentlichkeit selbst
Wie beim Campingurlaub kommt es näm-
angestaubten Realismus Millers gar zu sehr.
aus dem Verkehr ziehen, die einen immer
lich darauf an, ob man ein Zelt hat, wenn es
Inhaltlich jedoch gewinnt er dem Drama durch
begleitende Angst, unerlaubt am falschen
zu regnen und stürmen beginnt. //
die Demontage gängiger Rollenbilder a ktuelle
Ort zu sein und aufzufliegen. Diesen Mecha-
Bezüge ab. //
Elisabeth Maier
Jakob Hayner
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