The Gap 131

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Ad Personam: Ariell Cacciola Ariell Cacciola ist Schriftstellerin und Übersetzerin und lebt in New York. Geschichten von ihr wurden in The Brooklyn Rail, Words Without Borders, Publishers Weekly oder in der zweisprachigen Anthologie »Wort für Wort/Word for Word« (Ugly Duckling Press) veröffentlicht. Auch die hier abgedruckte Geschichte findet sich in einer Anthologie wieder. »Literatur im Museum« (Limbus Verlag) versammelt die Texte von sieben Autoren – darunter etwa Linda Stift, Philip Traun oder Johannes Gelich, die auf Einladung von Erwin Uhrmann das Essl Museum und all seine Räumlichkeiten erkunden durften. Ariell Cacciola inspirierte dabei das Werk des Gugginger Malers Franz Kamlander, der Kühe zu seinem Leitmotiv erkoren hat. Derzeit arbeitet die Autorin übrigens an manfred gram ihrem ersten Roman.

die Rehe, die auf Familien-Zeltplätzen nach Essen suchen, die sich schreienden Kindern nähern. Diese Rehe sind Beutetiere. Sie werden von der Wildnis gejagt. Sie werden von Menschen gejagt. Als ich mich umdrehe, sehe ich zwei von ihnen so geräuschlos wie nur möglich dastehen, ich sehe ihre Augen – animalisch, düster, Pupillen groß wie Halb-Dollar-Münzen. Erschrocken fliehen sie zurück ins nackte Gehölz. Ich bin jetzt allein. Es ist eher ein großer Raum als ein Gebäude. Von den Elementen getrennt, nur durch das abgesunkene, knittrige Dach und die bröckelnden Wände an allen vier Seiten. Die Holztür hängt halb aus den Angeln, verkantet, so dass jede Seite in eine andere Richtung weist. Ich nehme die Axt – bis jetzt ein nutzloses Anhängsel – und hacke in die Tür. Sie ist nicht dick und fällt leicht in sich zusammen. Trotzdem bleiben splittrige Reste, die lose am Rahmen hängen. Meine Jacke verfängt sich, als ich hindurchgehe und ich hänge sofort fest. Meine Jacke will sich nicht lösen und die Befreiung liegt bei mir. Grüne Bierflaschen liegen auf dem Fußboden verstreut und das Ödnisbild von wandernden Steppenhexen wird von leeren Tankstellensnack-Tüten ausgefüllt, die auf dem Boden herumrascheln. Ich kann nicht sagen, ob das ganze Essen von Menschen gegessen wurde, oder ob auch die Bären sich ihren Teil geholt haben. Der Raum ist ruinenhaft. Hier übernachten sie, wenn sie jagen. Während ich durch den Raum gehe, höre ich das Knirschen von grünem Glas, das unter meinen Stiefeln zerbricht. Ich nehme die Axt und klopfe mit der stumpfen Seite gegen sie, löse die Smaragdkristalle von den Sohlen. Ich denke an die Kühe, und wie weit ich nun von ihnen entfernt bin. In den Bergen gibt es keine. Nur die wilden, hungrigen Tiere leben hier. Die fetten und zufriedenen haben ein anderes Schicksal. Jetzt höre ich ein leises Pochen, das zu heftigem Getrommel anwächst. Es hat wieder zu regnen begonnen. Meine Jacke ist am Türrahmen nicht zerrissen und ich bin froh darüber. Die einzigen Überbleibsel des Ärgers bleiben Dreck und Flecken auf dem Ärmel. Ich lasse die Axt zu Boden fallen und warte. Ich weiß nicht wie lange es her ist, seit es wieder zu Pladdern begonnen hat. Das schräge Dach hat ein Loch und der Regen fließt hindurch und verwandelt den Dreck- in Matschboden. Ich gehe auf die andere Seite, um trocken zu bleiben. Ich grabe meine Fingernägel in die Erde, unsicher, wonach sie suchen. Ich mag das Druckgefühl nicht, verursacht durch die Sandigkeit. Ich bin alleine, hier in dieser Delinquentenzelle. Ich fühle, wie mir der Regen hinunter auf den Kopf tropft. Ich blicke auf und er läuft hinunter auf meine Stirn. Ich bewege mich nicht. Ich weiß nicht warum. Mein Körper zittert vor Kälte und ich stehe endlich auf, um mir die Wärme meiner Jacke zu bewahren. Die Axt liegt da und sie ist nass. Sie sieht silbern schimmernd aus.

Der Griff ist dunkelbraun geworden, weil das Holz sich vollgesaugt hat. Von draußen her kann ich etwas hören, etwas, das lebt. Es muss ein Bär sein, der zurückkehrt zum Gelage. Ich blicke auf den Körper des Bären. Er ist blutig und schlaff. Er liegt mit weit geöffnetem Maul auf der Erde. Ich will das Blut nicht mit meiner Jacke oder an meiner Hose abwischen, also lasse ich die Axt zurück, verschmiert und tropfend, in der Hoffnung, dass der Regen sie rein waschen wird. Mein Haar hängt herunter und ich entschließe mich, es mit dem dicken Gummiband, das ich an meinem Handgelenk trage, zurückzubinden. Mein Haar ist glatt und braun und fällt über die ganze Länge meines Rückens. Manche Leute sagen, es erinnere sie an ein Pferd, wild, und wenn die Sonne scheint, glänzt es. Wie der Griff der Axt, ist mein Haar dunkel vom Regen und ich kann fühlen, dass die kleinen Härchen meiner Augenbrauen feucht sind. Meine Stiefel haben sich irgendwie zu einem Teil meines Körpers ausgewachsen und ich fühle mich wohler, stolziere über den rutschigen Untergrund. Mein Schritt wird schneller. Ich beschleunige, eile durch den Wald, beachte die Umgebung nicht. Ich kümmere mich nicht um die Bäume, oder den Regen, oder den toten Bärenkörper, der entfernt hinter mir auf der Erde liegt. Ich nehme an, die Jäger werden ihn nehmen. Sie werden behaupten, er gehöre ihnen und sie werden Geschichten erzählen, wie sie den Bären erlegt haben, all das, während sie zu seinem ausgestopften Körper in ihrem Heim aufblicken. Ich kenne diesen Ort nicht, aber vor mir kann ich helles helles Gelb sehen. Es ist Absperrband, das von einem Baum zum anderen gespannt war. Es ist geschunden vom Wetter, von der Natur und ihren Elementen. Es ist ein verhärmtes Lächeln mitten im Nirgendwo. Es ist, als seien die Vögel weggeflogen. Es ist kein Laut hier und der Regen hat aufgehört. Ich bemerke eine weite Öffnung in der Erde. Je näher ich komme, desto lauter beginne ich das Geräusch fließenden Wassers zu hören. Es muss ein Bach sein. Als ich an den Abgrund gehe, sehe ich sie dort unten. Ich muss daran denken, wie wir Kinder waren, als man uns Geschichten erzählte, und wir wiederholten sie: there was a cat and a fiddle and the cow jumped over the moon.

Ihr Körper ist erbärmlich und passt nicht zu den Bergen oder dem Wald. Die Kuh ist tot. Sie ist unter den Erdmassen eingequetscht und Laub bedeckt Teile ihrer Leiche. Ich sehe sie in dem reißenden Strom liegen, der sich durch den Boden schneidet und sie vom Rest ihres Körpers trennt. Die Kuh ist in den Abgrund gestürzt, und ich trauere nicht um sie.


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