The Gap 211

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60 Jahre Subkultur

Konkord, Einbaumöbel und Siluh Records feiern zwanzigsten Geburtstag

Lebe deine Liebe!

In der Regenbogenhauptstadt kannst du deine Lebens- und Liebesentwürfe frei leben. Wien fördert aktiv queere Jugend- und Kulturzentren, die Raum für Begegnung und kreative Entfaltung bieten.

Die Wiener Antidiskriminierungsstelle (WASt) für LGBTIQ-Angelegenheiten unterstützt alle, die von Diskriminierung betroffen sind, anonym und kostenlos – und das seit über 25 Jahren.

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Editorial I Don’t Feel

Like Dancin’

Gestern Abend flimmerte das erste Semifinale des Eurovision Song Contest 2025 über die Bildschirme. Und irgendwie wurde ich dieses Jahr vom Grand Prix nahezu überrumpelt. Während ich üblicherweise Jahr für Jahr alle Beiträge vorab durchhöre, mich durch Hintergrundartikel arbeite und persönliche Bestenlisten anlege, schaffte ich dieses Jahr nichts davon – nada, zilch. Auch das erste Semifinale ließ mich ziemlich kalt. Musikalisch großteils fad, inszenatorisch wenig inspiriert und selbst Andi Knoll schien schon mal enthusiastischer. Ganz sicher bin ich mir aber nicht, ob mein mangelndes Fantum dieses Jahr wirklich am ESC liegt oder vielleicht doch an mir.

In Ania Gleichs Artikel beschreibt der Medientheoretiker Stefan Schweigler, wie sich im letzten Jahrzehnt zunehmend eine queere Ästhetik durchgesetzt hat, die vorwiegend schrill, bunt und optimistisch ist. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der schwul das wohl gängigste Jugendschimpfwort war, in der queere Personen in der österreichischen Öffentlichkeit gefühlt an einer Hand abzählbar waren und in der unsere Geschichten in der Popkultur weitestgehend abwesend waren. Diese Zeit ist noch nicht so lange her.

Vor diesem Hintergrund erschienen das queere Reclaiming des popkulturellen Mainstreams, das sich so Sichtbar-wie-möglichMachen und ein exzessiver Optimismus als Kontrapunkt zum öffentlichen Widerwillen grundlegend subversiv, gar revolutionär. Statt in der eigenen Bubble seine eigene bunte Subkultur zu pflegen, wurde zunehmend der Ruf danach laut, die breite Gesellschaft regenbogenfarben anzustreichen. Der Enthusiasmus dieser Phase ging in den letzten Jahren zunehmend flöten.

Das hat einerseits Gutes: Denn ist es tatsächlich eine positive Entwicklung, wenn sich große Konzerne wie Disney dazu herablassen, auch queere Narrative nach ihren Wertschöpfungspotenzialen abzuklopfen? Wenn queere Menschen und ihre Lebensrealitäten zunehmend marktförmig gemacht werden? Doch andererseits geht auch etwas verloren, wenn wir als Community die – nach wie vor nur allzu raren – Momente ungenutzt verstreichen lassen, in denen queere Kultur von queeren Menschen eine große Bühne bekommt. Vielleicht drehe ich den Song Contest also morgen Abend doch wieder etwas lauter auf.

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Herausgeber

Manuel Fronhofer, Thomas Heher

Chefredaktion

Bernhard Frena

Leitender Redakteur

Manfred Gram

Gestaltung

Markus Raffetseder

Autor*innen dieser Ausgabe

Luise Aymar, Victor Cos Ortega, Selia Fischer, Barbara Fohringer, Ania Gleich, Johanna T. Hellmich, Veronika Metzger, Martin Mühl, Tobias Natter, Dominik Oswald, Simon Pfeifer, Jana Wachtmann, Sarah Wetzlmayr

Kolumnist*innen

Josef Jöchl, Toni Patzak, Christoph Prenner

Fotograf*innen dieser Ausgabe

Natalie Schießwald, Teresa Wagenhofer

Coverfoto

Teresa Wagenhofer

Lektorat

Jana Wachtmann

Anzeigenverkauf

Herwig Bauer, Manuel Fronhofer (Leitung), Thomas Heher, Martin Mühl

Distribution

Wolfgang Grob

Druck

Grafički Zavod Hrvatske d. o. o.

Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien

Geschäftsführung

Thomas Heher

Produktion & Medieninhaberin

Comrades GmbH, Hermanngasse 18/3, 1070 Wien

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6 Ausgaben; € 19,97 abo.thegap.at

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Erscheinungsweise

6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 8000 Graz

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Die Redaktion von The Gap ist dem Ehrenkodex des Österreichischen Presserates verpflichtet.

010

60 Jahre Subkultur

Ein Round-Table-Gespräch mit Siluh Records, Konkord und Einbaumöbel

020 »Mehr als nur Gemüseanbau«

Die umkämpfte Freifläche in Neu Marx

026 Ist das noch queer?

Von Widerstand und Glitzer

030 Regenbogen, aber bitte mit Funding Was ist die Pride wert?

033 Vor Gericht zur Selbstbestimmung

Die Genderklagen als queerer Aktivismus

Natalie Schießwald, Privat, Martin Darling, Meret Siemen, Daniel Binder, Michaela Scharrer

Special

LGBTQIA* Über alle, die gegen den cis-hetero-normativen Strom schwimmen

Rubriken

003 Editorial / Impressum

006 Comics aus Österreich: Valerie Bruckbög

007 Charts

016 Golden Frame

036 Lyrik: Max Ulrich

038 Gewinnen

039 Rezensionen

044 Termine

Kolumnen

008 Gender Gap: Toni Patzak

052 Screen Lights: Christoph Prenner

058 Sex and the Lugner City: Josef Jöchl

Selia Fischer

Für den Textteil zu unserer Neu-MarxGeschichte hätten wir wohl kaum jemand Passenderen finden können als Selia. Immerhin beschäftigt sie sich schon lange mit den großen und kleinen Widerstandsgeschichten der Gesellschaft. Und was wäre da emblematischer als der kleine DIY-Schrebergarten gegen die große Eventim-Halle? Aber auch sonst ist sie als Kulturarbeiterin viel unterwegs, früher auf Filmsets, nun eher als Kunstvermittlerin. Übrigens: Unter dem Namen CDelia lernt sie gerade das Auflegen – stay tuned!

Natalie Schießwald

In der Zeitungsablage der Graphischen, an der sie Fotografie studierte, erspähte Natalie erstmals The Gap – und sie wurde sogleich zur treuen Leserin. Umso mehr freut uns, dass sie für die vorliegende Ausgabe dann eine Fotostory zu Neu Marx vorschlug. Wir nahmen dankend an. Denn als Fotografin und Filmemacherin beschäftigt sich Natalie intensiv mit Menschen, ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten und jenen Orten, die von ihnen geprägt werden – und die wiederum sie selbst prägen.

Comics aus Österreich

Valerie Bruckbög

Auf unserer Seite 6 zeigen Comickünstler*innen aus Österreich, was sie können. Diesmal dreht Valerie Bruckbög die Lautstärke tonlos in die Höhe. ———— »BUMM«, »PLATSCH«, »PARDAUZ« oder bei Valerie Bruckbög eben »WUUP WUUP«: Onomatopoetika nennt man diese lautmalerischen Worte in der Fachsprache. Während Comics dem erzählerischen Potenzial von Bewegtbildern in vielerlei Hinsicht ebenbürtig oder sogar überlegen sind, zeigt sich gleich eine Schieflage, sobald bei Filmen die Tonspur hinzukommt. Und hier haken die einfachen Worte mit der komplexen Bezeichnung ein: Sie bringen Lärm in ein leises Medium. Bruckbög unterstreicht diese Wirkung noch, indem sie die anfangs zarten Farben gegen Ende hin dann so grell und gesättigt werden lässt wie die Musik, die dort allein dank ein paar WUPs mit verschieden vielen Us in unseren Köpfen spielt.

Valerie Bruckbög ist eine Wiener Künstlerin. Ihre Arbeit umfasst Comics, Illustrationen und Malerei. Als Teil des Kollektivs Blickwinkel verbindet sie soziale Themen mit persönlichen Geschichten. Derzeit widmet sie sich einem noch geheimen Comicprojekt.

Die Rubrik »Comics aus Österreich« entsteht in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Comics. www.oegec.com

Charts Olga Kosanović

TOP 10

Sonntagsaktivitäten

01 Rumliegen

02 Rumkugeln

03 Rumlümmeln

04 Rumgammeln

05 Rumkurven (Rad, Moped)

06 Rumfummeln

07 Rumlungern

08 Rumsitzen

09 Rumhängen

10 Rumtreiben

TOP 03

Kürzlich gelesene Bücher

01 »All Fours« von Miranda July

02 »Anleitung ein anderer zu werden« von Eduard Louis

03 »Gegen die neue Härte« von Judith Kohlenberger

Auch nicht schlecht:

Charts Daniel Nuderscher

TOP 10

Im Frühling Vespa fahren, Butterbrot mit Kresse vom Balkon, »Twin Peaks«

Olga Kosanović ist Filmemacherin. Ihr Kurzfilm »Land der Berge« ist für den Österreichischen Filmpreis 2025 nominiert. Ihr Langfilmdebüt

»Noch lange keine Lippizaner« startet am 12. September in den Kinos.

Orte in Südostasien für eher abenteuerlich orientierte Menschen

01 Hà Nội, Vietnam

02 Orchard Fruit Farm Bungalow, Phú Quốc, Vietnam

03 Vietnam Friendship Village (als Volunteer)

04 Sa Pa, Vietnam

05 Luang Prabang, Laos

06 Vang Vieng, Laos

07 Siem Reap, Kambodscha

08 Ko Tao, Thailand

09 Ba Vì, Vietnam

10 Mộc Châu, Vietnam

TOP 03

Kunstwerke, mit denen man sich beschäftigen kann

01 Louise Bourgeois: ihr gesamtes Werk

02 Marina Abramović: »The Artist Is Present«

03 Guerrilla Girls: »The Advantages of Being a Woman Artist«

Auch nicht schlecht: Fenchel in ein Zentimeter dicke Scheiben schneiden, Olivenöl drauf und drunter, Paprikapulver sowie Salz dazu und zwanzig Minuten bei 200 Grad Celsius im Ofen backen.

Daniel Nuderscher ist bildender Künstler. Er arbeitet unter anderem mit Fotografie, Skulptur und Video. Der Kurzfilm »Skrff«, an dem er mitgewirkt hat, wurde ebenfalls für den Österreichischen Filmpreis 2025 nominiert.

26.6. –10.8.25

Toni Patzak

hakt dort nach, wo es wehtut

Gender Gap Exotik ist was für Bananen

Dieses Wochenende war ich wieder einmal exotisch für jemanden. Das passiert mir alle paar Monate, dass ich exotisch bin oder das »südliche Temperament« habe. Meistens sind es Männer, die mir mit verkniffenem Gesicht und aufgesetztem Lächeln sagen, dass sie mich exotisch finden. Ich hasse dieses Wort. Entgegen aller Erwartungen verbinde ich nämlich nichts Gutes damit. Ich verbinde weder Sonne, Sommer, Strand noch Kokosnuss-BHs mit diesen acht Buchstaben, sondern grausliche Männer und Chiquita-Bananen. Wenn mich jemand so bezeichnet, fühle ich mich immer genau wie so eine Frucht. Eine Frucht, die aus fernen, unaussprechlichen Ländern über Wasser, Luft und Land in den Billa geliefert wird und dann im Regal wartet, bis sie jemand sieht, in die Hand nimmt, ein wenig an ihr herumdrückt, ob sie eh nicht angeditscht ist – und wenn sie den Test bestanden hat, mit nach Hause nimmt. Mir kommt es dann vor, als hätte ich einen Fruchtsticker auf meiner Stirn, auf dem draufsteht, aus welchem Land und von welcher Firma ich bin. So fühlt sich »exotisch« für mich an. Ich bin aber keine Frucht, die irgendwo overseas unter widrigen Arbeitsbedingungen angebaut wurde und dann nach Österreich kam, um hier ausgewählt zu werden. Ich bin aus Wien, und das Letzte, was ich will, ist, von irgend so einem Grabscher ausgesucht zu werden.

Das E-Wort

Exotisch ist deshalb eines der schlimmsten Wörter, weil die meisten denken, es wäre ein Kompliment. Beim N-Wort wissen die Menschen schon, dass es nicht mehr salonfähig ist – aber exotisch? Ha! »Das darf ich ja wohl noch sagen! Du bist mir nämlich gleich ins Auge gestochen – hier beim Dönerstand am Schwedenplatz, um drei Uhr früh. Zuerst die Haare – wow, darf ich die mal anfassen? – und dann noch diese Farbe. Hehe, jetzt hab dich nicht so, da merkt man dein südländisches Temperament ja sofort.« Um aus dem Song »Contagious« der großartigen Gruppe The Isley Brothers zu zitieren: »I’m about to catch a case.« Der Fall infrage: leichte Körperverletzung.

Dieses Wochenende war es aber einmal nicht ein halb angesoffener Typ am Schwedenplatz, sondern mein Masseur. Ja, richtig gelesen. Ein Mann, der mich für 45 Minuten halb nackt vor sich auf dem Tisch liegen hat, meinte in den ersten drei schon, dass ich nicht aussehe wie eine Patzak. Und auf meine etwas bestürzte Frage, wie denn eine Patzak aussieht, meinte er: »Ja, weiß eben, nicht so exotisch wie du.«

Da ich im Urlaub war und sicher, dass ich mein Geld nicht zurückbekommen würde, wenn ich mich jetzt einfach umdrehe und gehe, blieb ich. Die Massage war an sich gut, aber etwas unbequem, nachdem ich ihm konstruktive Kritik an seiner Wortwahl gab. Während ich da so lag, dachte ich mir, dass Patzak –mein Nachname, den ich von der Seite meiner Mutter geerbt habe, die aus Istrien stammt –eigentlich auch exotisch sein könnte. Die haben mehr Strand, Sonne und Kokosnuss-BHs als meine afrikanische Familie, die aus einer landlocked Region in Nigeria kommt.

Apropos: Woher kommt eigentlich dieses depperte Wort »exotisch«? Wie alle Wörter, deren Herkunft man googelt, stammt »exotisch« ebenfalls aus dem Altgriechischen. Es heißt so viel wie ausländisch oder fremd. Und wo Wörter wie fremd fallen, sind Konzepte wie Exotismus nicht weit. Besonders S chwarze Frauen werden, um ihr Fremdsein zu betonen, häufig exotisiert. Als »verruchte Naturschönheiten, deren Urkultur so frei und rebellisch ist«, spiegeln wir all das wider, was die exotisierende Gesellschaft nicht sein darf oder kann. Manchmal, wenn mich so ein Typ exotisiert, höre ich indirekt raus, was er an sich oder seiner Frau nicht hat:

»Die sind einfach ein wenig freier und näher zu Natur.« Übersetzung: »Das einzige Grün, das ich in meinem Leben habe, ist die drei Meter lange Hundezone neben dem Recyclingmüll in meiner Straße.«

»Deine Haut ist halt ganz anders als unsere.« Übersetzung: »Ich habe noch nie eine Schwarze Person angegriffen und würde sogar dafür zahlen.«

»Du bist mir einfach ins Auge gestochen mit deinen Haaren.« Übersetzung: »Mir wächst nix mehr als Wimmerl am Kopf.« Auch wenn Exotisieren anfangs harmlos wirkt, ist es nur die erste Stufe einer Pyramide, auf deren Zenit dann Körperverletzung und Tod warten. Das klingt wie eine maßlose Eskalation, ist aber leicht zu erklären: Wenn wir als Schwarze Frauen exotisch und anders sind, dann sind wir logischerweise nicht wie die Österreicher*innen. Die Österreicher*innen verhalten sich nämlich anders als die Schwarzen Frauen – und des wegen verhält man sich auch anders ihnen ge genüber. Man weiß ja nicht ganz, wie die ticken. Man erschafft sich ein Bild über eine Gruppe, das mit Schlagwörtern bestückt ist, anstatt das Individuum sowie dessen Bedürfnisse und Mei nungen zu sehen. Und wenn man eh schon weiß, was man über »diese Gruppe« denkt, dann muss man ihr auch nicht wirklich zuhören.

Harmlos zur Verharmlosung

Und hier wird es gefährlich. Denn wenn man einer Gruppe nicht wirklich glaubt oder zuhört, ihr stattdessen eine halbmagische Naturver bundenheit oder sonstige Klischees zuschreibt, dann kommt man beispielsweise als Schwarze Frau plötzlich in die absurde Situation, gefragt zu werden, ob man denn wirklich eine Hebamme brauche – man wisse doch bestimmt instinktiv, was beim Gebären zu tun sei. Um zu verhindern, dass dieser ideologische Selbstläufer einmal in Bewegung kommt, sag ich meistens etwas, wenn mir auffällt, was hinter solchen vermeintlichen Komplimenten steckt. Nur ist das ein Haufen Arbeit – unbezahlte Arbeit, die unangenehm und umständlich ist. Hier, zum Schluss, formuliere ich eigentlich meistens einen Appell oder ein paar Zukunftswünsche. Heute nicht. Heute wollte ich einfach mal sagen, dass ich es satthabe, als etwas »Exotisches« gesehen zu werden – besonders dann, wenn ich halb nackt auf einer Massageliege liege. Und an dich, lieber Masseur: Ich find dich unsympathisch. Wirklich unsympathisch.

patzak@thegap.at @tonilolasmile

Michael Schulte

Félix Kysyl Catherine

Misericordia

LAURA JURD INVITES NICOLAS LEIRTRØ

CHEZ FRÍA „DIE KUNST DEM FUGE”

MAX ANDRZEJEWSKI & ENSEMBLE RESONANZ “SUMMEN”

EYES TO THE SUN | PEDRO MELO ALVES „HIIT“

TEIS SEMEY „RAW FISH“ | CRUTCHES

SKORUPA 5 “SONIC FEAST” | WEIRD OF MOUTH

PATRICIA BRENNAN “BREAKING STRETCH” INGEBRIGT HÅKER FLATEN (EXIT) KNARR

CAMILA NEBBIA & JOHN EDWARDS

BRENNAN/TERWIJN/LILLINGER | LAMPEN

ANDREAS SCHAERER & LEO GENOVESE | I LIKE TO SLEEP

PHØNIX | TEIS SEMEY „EN MASSE“

ORCHESTRA OF GOOD HOPE | LAURA JURD „RITES & REVELATIONS“ NOTHING CAUSES ANYTHING

SUN MI HONG BIDA ORCHESTRA

KALLE KALIMA´S DETOUR WITH LEO GENOVESE & CHRISTIAN LILLINGER THE BAD PLUS, CHRIS POTTER & CRAIG TABORN AND MANY

60 Jahre Subkultur Ein Round-Table-Gespräch mit Siluh Records, Konkord und Einbaumöbel

Drei Wiener Musikinstitutionen feiern dieser Tage ihr zwanzigjähriges Bestehen. Bernhard Kern von Siluh Records, Wolfgang Reitter von Konkord und Rebecca Strobl vom Einbaumöbel über Männerbands als leidige Tradition, Strukturarbeit, Autonomie und Selbstzweifel.

2005 wurden eure beiden Labels und das Einbaumöbel gegründet – außerdem noch Fettkakao sowie die Bands Bilderbuch und Ja, Panik. Habt ihr eine Erklärung dafür, dass damals gar so viel von nachhaltiger Bedeutung geschah?

wolfgang reitter: 2005 war das große Musikbusiness irgendwie schon vorbei. Man wusste aber noch nicht so recht, was jetzt kommen würde. Vinyl war quasi tot, die CD am absteigenden Ast – und der Digitalbereich entwickelte sich nur sehr langsam. Es war damals in Wien – wie übrigens auch heute – wahnsinnig viel los. Gleichzeitig gab es wenige Möglichkeiten, Musik zu produzieren, irgendwo zu veröffentlichen und den Markt zu erreichen. Es mussten neue Strukturen her. Das war für uns so das Ding mit Konkord: das auch selbst machen zu können.

War das auch für dich ein Impuls für die Labelgründung, Bernhard?

bernhard kern : Ich tue mir immer schwer damit, zum »Musikbusiness« ein Verhältnis herzustellen. Das war nie der Gedanke hinter Siluh Records. Ich wurde in den Neunzigern mit subkultureller Musik sozialisiert, die wahrscheinlich auch nicht mehr so subkulturell war, weil sie auf MTV lief. Aber

»In einem Projekt, das nicht dem Broterwerb dient, möchte ich eigentlich nur mit Leuten zu tun haben, die ich mag.« — Wolfgang Reitter, Konkord

selbst war zu der Zeit noch in der Schule. Am Land, wo ich aufwuchs, gab es aber auch Sachen, zum Beispiel das Bock ma’s Festival, ein Benefizfestival für Ute Bock. Das hat mich ziemlich geprägt.

Bernhard, du hast das Label nie als Business verstanden, bist an dem Tisch jetzt aber der Einzige, der das als Hauptberuf macht.

man nahm sie trotzdem so wahr – Alternative und Indie, Hardcore und Punk. Ich bin am Land aufgewachsen und fand es immer schon arg, was es in Wien für tolle Sachen gab, auch wenn diese Bubble vielleicht nicht besonders groß war. Als ich schließlich nach Wien kam, war der Drang da, selbst was zu machen. Die Labelgründung kam dann eher zufällig, weil wir uns dachten: »Da gibt es diesen Gschu, der ist super. Warum bringen wir nicht eine Seven-Inch von ihm raus?«

Und wie geht die Einbaumöbel-Gründungsgeschichte, Rebecca?

rebecca strobl : Das Einbaumöbel entstand eigentlich aus dem Tüwi (einem basisdemokratisch organisierten Freiraum an der Universität für Bodenkultur; Anm.). Es gab dort regelmäßig Veranstaltungen, aber irgendwann nicht mehr genug Platz für alle, weshalb sich eine Gruppe aus diesem Umfeld dachte, sie hätten gerne einen eigenen Raum, wo sie ihre Sachen machen können. Also gründeten sie das Einbaumöbel. Ich

bernhard: Ja, ertappt. (lacht) »Nur weil wir keine Ausbildung haben, machen wir den ganzen Scheiß.« Ist das nicht von den Lassie Singers? Also, es hat sich so ergeben. Davor musste ich auch viele, viele Selbstzweifel ausräumen, um diesen Entschluss zu fassen und zu sagen: »Okay, ich mach das jetzt professionell – was auch immer das heißt – und habe nicht noch andere Jobs nebenbei.«

Konkord ist als Verein organisiert. Gab es jemals die Überlegung, daraus einen Job zu machen?

wolfgang: Absolut nicht, nein. Als ich vorhin sagte, dass das Business vorbei war, meinte ich gerade das Independent-Business. Wenn wir das, was wir mit unseren kleinen Labels seit 2005 machen, Mitte der Achtziger oder Anfang der Neunziger begonnen hätten, hätten wir wahrscheinlich eine Zeit lang ganz gut davon leben können. Dann hätte das viel mehr Impact gehabt. Aber diese Zeit war vorbei. Von meinem bestverkauften Album habe ich über die Jahre knappe 5.000 physische Tonträger verkauft. Wenn das der Peak ist, dann lässt du besser die Finger vom Versuch, davon leben zu können.

rebecca: Welches Album war das?

wolfgang: Die Buben in Pelz mit den Coverversionen von »The Velvet Underground & Nico«. Da bin ich jetzt – nach zehn Jahren – in der fünften Auflage. Wir haben schon einige Releases, die gut gehen, aber es sind halt immer auch Releases mit einer LP-Auflage von hundert Stück darunter. Was soll denn dabei rauskommen, außer das Payback der Herstellungskosten?

Auch das Einbaumöbel ist vereinsorganisiert. Gab es jemals die Idee, ein »richtiges« Lokal draus zu machen?

rebecca: Fix nicht. Unsere Arbeit geht genau in die gegengesetzte Richtung. Wir wollen das auf keinen Fall kommerziell machen. Ich konnte schon viel Erfahrung in Kollektiven sammeln, und sobald dieser kom-

merzielle Gedanke dazukommt oder Leute Geld für ihre Mitarbeit haben wollen, wird es schwierig. Bis zu einem gewissen Grad ist das natürlich Selbstausbeutung, wobei mir der Begriff nicht so gefällt, aber man steckt schon viel unbezahlte Arbeit rein. Das Coole beim Einbaumöbel ist: Es finden sich trotzdem immer Leute, die das gerne machen. Dass immer klar war, dass niemand etwas bezahlt bekommt, und wir nur Sachen machen, die uns taugen, schützt uns auch vor diesem Kommerzialisierungsgedanken. Das ist extrem wichtig fürs Einbaumöbel. Und man kriegt ja irrsinnig viel zurück. In meinem Leben wäre ich jetzt ganz woanders, wenn es das Einbaumöbel nicht gegeben hätte. Ich habe da extrem viel gelernt.

bernhard: Wie viele Leute seid ihr eigentlich insgesamt?

»Es ist eine bewusste Entscheidung, unabhängig sein zu wollen von Fördermitteln, autonom zu sein.« — Rebecca Strobl, Einbaumöbel

rebecca: Ich würde mal sagen, zwischen zehn und 25, die regelmäßig aktiv sind. Und das Tolle ist, es ist wirklich sehr breit gefächert. Da gibt es diese Beatbox- und FreestyleSessions, dann gibt es Punk, Lesungen, Indie und Leute, die Country mögen. Es sind schon alle auch ein bisschen Freaks, das ist aber auch das Coole dran. Alle machen halt ihr Ding und wir kommen miteinander klar.

wolfgang: Und wie finanziert ihr euch?

rebecca: Ausschließlich über Spenden. Es ist eine bewusste Entscheidung, unabhängig sein zu wollen von Fördermitteln, autonom zu sein. Es ist ein bisschen so, wie wenn man erwachsen wird und irgendwann den Eltern nicht mehr auf der Tasche liegen möchte.

In gewisser Weise macht ihr alle Strukturarbeit. Was ist denn eure Motivation, genau diese Art von Arbeit zu leisten?

wolfgang: Ich wollte immer eine Musiklabel haben, schon als Kind. Und ich hätte nie gedacht, dass das mal was wird. Ich bin zwar kein Musiker, war aber immer Musikfan. In meinem Hauptberuf mache ich den Vertrieb für den größten deutschen Buchverlag in Österreich, seit über zwanzig Jahren. Ich mag die Kommunikation mit Leuten, die etwas machen, ich bringe mich gerne in den Entstehungsprozess von Kunst ein. Das ist für mich durchaus auch ein relevanter Faktor: mit meinen Artists zu reden, gemeinsam eine Vision zu entwickeln und einfach die Idee eines neuen Albums Gestalt annehmen zu lassen. Manche sind natürlich so in ihrer Arbeit drin, dass sie ein fertiges Produkt auf den Tisch legen, aber mit anderen baust du das Puzzle gemeinsam. Das macht mir großen Spaß. rebecca: Das kann ich gut nachvollziehen. Wenn du ein Konzert organisierst, hat das ja eine gewisse Vorlaufzeit – manchmal sind es zwei Wochen, manchmal drei Monate. Du bist in Kontakt mit den Leuten, machst ein Plakat, die Aufregung steigt. Und dann gibt es diesen Moment, wenn du hinten im Publikum stehst und das Konzert läuft – das gibt einem viel zurück, also mir zumindest. Ich liebe das. Das Einbaumöbel gibt mir auch Raum, mich selbst zu entfalten – ich bin ja schon x-mal selbst dort aufgetreten. Und wenn ganz junge Leute kommen und hier ihre ersten Konzerte veranstalten, dann ist das einfach etwas sehr Schönes. bernhard: Es ist auch so ein bisschen ein Community-Ding – Gleichgesinnte finden und mit denen etwas machen; Leuten die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren; ihnen beistehen, aber durchaus auch von ihnen lernen. Und erstaunlich ist, dass ich bei den Bands und Musiker*innen, mit denen ich zusammenar-

Rebecca Strobl ist Obfrau des Kulturvereins Einbaumöbel und dort seit etwa zehn Jahren aktiv. Außerdem ist sie Sängerin und Texterin der WavePunk­Band Rolltreppe.

Teresa Wagenhofer

Wolfgang Reitter ist Mitgründer und treibende Kraft hinter dem Label Konkord. Dieses, »eine reine Freizeitbeschäftigung«, ging 2005 aus dem Partykollektiv Consum hervor.

beite, die teils gerade einmal zwanzig Jahre alt sind, das Gefühl habe, die machen das aus einer ähnlichen Motivation heraus wie ich, als ich so alt war wie sie. Das macht es irgendwie für mich persönlich so besonders, weil zwanzig Jahre Siluh Records, das heißt natürlich, dass ich alt bin – und da komme ich mir dann nicht mehr ganz so alt vor. (lacht)

wolfgang : Also ich komme mir jetzt nicht unbedingt alt vor, aber ich sehe schon immer wieder mit einigem Grauen, dass wir mit Konkord im Regelfall doch Leute anziehen, die so sind wie wir selbst, die so alt sind wie wir. Also man schafft sich da schon so seine eigene Szene und die ist bei uns vorwiegend aus unserer Altersgruppe. Die jungen Leute machen sich eh alles selbst – in Wahrheit brauchen uns die ja nicht.

Ihr habt die heimische Musikszene der letzten zwanzig Jahre wahrscheinlich sehr aufmerksam verfolgt. Wie hat sie sich eurer Einschätzung nach entwickelt?

rebecca: Was Gender und Diversität angeht, hat sich schon etwas verändert. Ich kann mich erinnern, als ich Schülerin war, hatten meine männlichen Friends oft schon Bands, meine Freundinnen und ich halt eher nicht, obwohl wir auch immer in der Musikschule gespielt haben. Es erfüllt mich mit Freude, dass es heute nicht mehr so ist, dass wir zu unseren Boyfriends auf die Konzerte gehen, sondern dass die zu unseren Konzerten kommen.

bernhard: Wenn neue Bands im Venster oder im Einbaumöbel spielen, dann ist es eigentlich eher so, dass meistens mindestens eine non-cis Person auf der Bühne ist, sonst wirkt es fast schon weird. Das ist natürlich eine kleine Szene, ein Mikrokosmos. Aber es ist trotzdem schön.

rebecca: Es ist halt ein Anspruch, den wir an uns selbst stellen. Wir legen Wert darauf, dass es Repräsentation auf der Bühne gibt.

bernhard: Ich muss dazusagen, dass bei mir am Label natürlich auch All-Dudes-Bands sind. Das ergibt sich aus den persönlichen Zusammenhängen und Kontexten.

wolfgang: In der Rockmusik ist es nach wie vor so, dass es eine Mehrheit von männlichen Bands gibt. Das ist einfach eine Tradition, die kaum weggeht. Ich gebe ja diese »Schnitzelbeat«- Serie heraus – du findest in den Sechzigerjahren kaum österreichische Musik von Frauen, am ehesten noch in der Volksmusik. Auch wenn es neuere Strömungen gibt, sind wir bei der Rockmusik im Wesentlichen ja in einer Geschichte, die fast

fertig geschrieben ist. Da wird einfach das Muster immer wieder aufs Neue wiederholt. Es ist halt so.

rebecca: Das ist genau das Ding: Es muss halt nicht so sein. Wenn man das gezielt fördert, wenn man gezielt FLINTA*-Personen eine Bühne gibt, dann gibt es eine Art Nachahmungseffekt. Aus dem Pink Noise Camp sind zum Beispiel urviele Bands entstanden. Das ist einfach aktive Arbeit, die man da reinstecken muss. Diese Traditionen oder Strukturen kann man schon verändern, aber das ist nichts, was sich von selbst entwickelt. Wenn Reini (Mader, ein ursprünglich für unser RoundTable ­ Gespräch angefragtes EinbaumöbelMitglied der ersten Stunde; Anm.) nicht gesagt hätte, ich soll statt ihm kommen, wäre auch

das hier eine reine Männerrunde gewesen. Ich will das niemandem ankreiden, aber ihr seht, was ich meine, oder?

wolfgang: Fakt ist schon, die Personen müssen erst einmal aktiv sein. Und es ist augenfällig, dass bei gewissen Sounds der Männeranteil überwiegt. Ich sehe das relativ neutral, wenn ich sage: »Es ist halt so.« Wir sind als Label nur bedingt in der Lage, das aus unserer Struktur heraus zu beeinflussen, weil wir eigentlich Anlaufstelle sind für Leute, die zu uns kommen.

bernhard: Da muss ich widersprechen. Als alter Existenzialist sage ich: »Wir sind zur Freiheit verdammt.« Du kannst über jeden Schritt, den du machst, frei entscheiden, ob du in die eine Richtung gehst oder in die andere. Natürlich, wir leben in einem gesellschaftlichen System, das Patriarchat heißt, und deswegen spiegeln sich auch in der Musikszene zwangsweise viele Ungleichheiten wider. Gerade wir Männer sollten uns aber stärker selbst reflektieren. Auch wenn wir uns wie aufgeschlossene Feministen fühlen, tappen wir immer wieder in Fallen, die das Ungleichverhältnis, das es in der Gesellschaft gibt, auch in unserem Tun zum Vorschein bringen.

Zu eurem Tun gehört auch eine gewisse Form des Kuratierens, des Auswählens, des Gatekeepings, wenn man so will. Wie geht ihr damit um?

Bernhard Kern betreibt seit 2005 das Label Siluh Records – anfangs gemeinsam mit Robert Stadlober – sowie seit einigen Jahren auch den Siluh Laden in Wien-Brigittenau.

und der Termin frei ist, dann kann sie prinzipiell stattfinden. Aber es gibt schon ein paar Parameter: zum einen dieser Blick auf Diversität auf der Bühne; zum anderen machen wir keine Veranstaltung, bei der Eintritt ist – es ist immer freie Spende. Da fällt dann schon vieles weg. Und natürlich hat man auch nicht unbegrenzt Zeit.

bernhard: Eigentlich habe ich mich bis jetzt gar nicht als Gatekeeper gesehen. Für mich waren Gatekeeper immer eher die, die uns kleinhalten. Meine eigene Rolle habe ich da noch nie analysiert.

Weil du, Bernhard, wirtschaftlich von deinem Label abhängiger bist als die beiden anderen von ihren Projekten: Hast du dir bei einem Act schon mal gedacht, dass er eigentlich nicht zu dem passt, was du machen möchtest, dass er aber sicher groß wird und dass du ihn deshalb trotzdem machen solltest?

wolfgang: Für mich sind ein paar Dinge ganz klar. Erstens: Habe ich die Kapazitäten, etwas zu machen? Zweitens: Kann ich das, was erforderlich ist, für diese Kooperation zur Verfügung stellen? Und drittens: Kann ich mit diesen Leuten? Das ist wahnsinnig wichtig, weil ich in einem Projekt, das nicht

»Ich würde mir wünschen, dass die Leute ihr Konsumverhalten hinterfragen.«
— Bernhard Kern, Siluh Records

dem Broterwerb dient, eigentlich nur mit Leuten zu tun haben möchte, die ich mag. Es muss eine Kommunikationsbasis da sein, die freundschaftlich und konstruktiv ist.

rebecca: Im Einbaumöbel gibt es das System, dass immer drei Schlüsselträger*innen da sein müssen, damit eine Veranstaltung stattfinden kann. Wenn sich Leute finden, die Lust haben, diese Veranstaltung zu machen,

bernhard: Eine schwierige Frage. Da ich das Label schon so lange alleine betreibe und ich die Entscheidungen selbst treffe, ist es immer wieder extrem schwierig. Es stellt sich dann auch oft die persönliche Sinnfrage: Soll ich mir nicht mal einen gescheiten Job suchen? Geht sich das weiterhin aus? Soll ich nicht Sachen veröffentlichen, für die ich gar nicht das Zielpublikum wäre, die aber vielleicht ein größeres Publikum erreichen würden? Über die zwanzig Jahre hat sich gezeigt, dass das Bauchgefühl das Wichtigste ist, denn wenn ich mit den Leuten nicht kann, wenn ich denen nicht das Richtige bieten kann oder nicht dieselbe Vision habe, dann bringt das nichts. wolfgang: Wirklich ein schwieriges Thema. Ich denke, wir haben immer wieder Sachen dabei, die größeres Potenzial haben, und kommen damit schon zumindest in Vorstufen des Erfolgs. Ich hatte zum Beispiel mal einen Track als eine von drei Optionen für die Jahreskampagne der größten südkoreanischen Consumer Bank. Das wären 12.000 Dollar plus Tantiemen gewesen –und ein Markt für Popmusik, der einfach gigantisch ist. Es ist leider ein anderer Track geworden, aber solche Chancen sind immer wieder da. Man träumt schon davon, aber andererseits muss man sich dann wirklich die Frage stellen: Kann ich quasi alleine die Lawine stemmen, die dann kommt?

Wenn es eure Projekte nicht geben würde, also das Einbaumöbel und eure Labels, würdet ihr diese heute noch einmal gründen? wolfgang: Ich glaube nicht. Weil ich ganz einfach aktuell nicht mit Leuten zusammen bin, die ein vitales Interesse daran hätten, Teresa Wagenhofer

so etwas gerade jetzt zu machen. Das Label ist bei uns ja irgendwie zum Selbstläufer geworden – es hätte aber genauso gut vor neunzehn Jahren schon wieder vorbei sein können.

bernhard: Ich habe keine Ahnung, was ich machen würde. Es sind ja immer so kleine Dinge in einer Lebensbiografie: Wäre das Bock ma’s Festival nicht gewesen, wäre Rebecca vielleicht auch ganz woanders. Aber da ich vor Siluh Records schon immer Musiksachen gemacht habe, wäre es wahrscheinlich schon irgendetwas Musikmäßiges.

rebecca: Ich habe das Einbaumöbel ja nicht gegründet … Versteht mich nicht falsch, ich liebe das Einbaumöbel, es ist cool, dass es das Einbaumöbel jetzt zwanzig Jahre gibt, und ich finde nachhaltige, langfristige Strukturen extrem wichtig. Aber politisch interessanter – gerade auch in diesem Spannungsfeld von Subkultur und Mainstream – finde ich das, was rund um die Freifläche in St. Marx und die geplante Veranstaltungshalle passiert. Es ist urcool, dass es da aktuell so eine breite Kampagne dagegen gibt und dass sich so viele Leute engagieren.

Wenn ihr euch für eure Labels etwas wünschen könntet, was wäre das?

wolfgang: Ich bin eigentlich zufrieden damit, wie es läuft, es ist nur eine Zeitfrage. Ein bisschen mehr Raum für historische Wiederveröffentlichungen würde ich mir wünschen. Das ist etwas, das ich persönlich sehr gerne mache, das aber auch mit einem großen Aufwand verbunden ist. Und vielleicht, jemanden Jüngeren zu finden, der die Leidenschaft der Gründungsgeneration unseres Labels aufgreift und diesen weiten digitalen Bereich, den wir zeitlich nicht abdecken können, auf Schiene bringt.

bernhard: Ich würde mir wünschen, dass die Leute ihr Konsumverhalten hinterfragen – also wie sie Musik konsumieren und wo sie Geld ausgeben. Das leidige Spotify-Thema – eigentlich finden es alle scheiße, aber alle machen mit. Oder sie fliegen für Konzerte irgendwohin und wenn sie am Eingang vom Einbaumöbel stehen und es ist freie Spende, dann gibt es kein Bewusstsein dafür, dass es eigentlich cool wäre, wenn man da vielleicht mal zwanzig Euro reinwirft.

Und was sind deine Wünsche fürs Einbaumöbel, Rebecca?

rebecca: Dass immer wieder eine jüngere Generation nachkommt, die Lust hat, sich da

zu engagieren. Und dass wir in Ruhe gelassen werden. Dass uns keine Steine in den Weg gelegt werden – so was wie die Registrierkasse, also all diese Reglementierungen. Dass wir einfach in Frieden unsere Sachen machen können. bernhard: Mehr freie Räume wäre noch ein wichtiger Punkt. Wenn alles kommerzialisiert ist, ist es für nicht kommerziell agierende Leute schwierig, irgendwo anzudocken. Freie Räume ermöglichen Dinge.

rebecca: Ja, eine Wertschätzung gegenüber solchen Sachen wäre gut. Und die kann man von Seiten der Politik halt auch alleine dadurch bekommen, dass sie einen ungestört machen lässt. Oder Leute und Initiativen ausreichend finanziell fördert, die davon abhängen – damit in der Stadt weiter eine lebendige Musikszene wachsen kann.

Manuel Fronhofer, Bernhard Frena

Siluh Records feiert seinen Zwanziger am 13. und 14. Juni mit dem Siluhrama Festival im Wuk in Wien. Von 27. bis 29. Juni darf im Einbaumöbel auf ebendieses angestoßen werden. Details unter www.siluh.com beziehungsweise www.1bm.at. Auch ohne größere Jubiläumsfeierlichkeiten lohnt es sich, bei Konkord unter www.konkord.org vorbeizuschauen.

Janine Weger »A Creator of Epic Pictures« Traue deinen Augen nicht!

In Janine Wegers Ausstellung »A Creator of Epic Pictures« trifft Licht auf Malerei. Das Ergebnis ist ein Bild, dessen Künstlichkeit festgestellt werden kann, während die Wahrnehmung der Malerei verzerrt wird. Was Fragen nach dem Wahrheitsgehalt von Bildern sowie den Tücken der Wahrnehmung aufwirft. Und welche Rolle spielt dabei eigentlich Technologie? ———— Dass Bildern nicht getraut werden kann, wusste schon Plinius der Ältere, der im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung lebte. In seiner »Naturalis historia« erzählt er von Zeuxis und Parrhasius, zwei griechischen Malern, die schon zu Plinius’ Zeiten lange tot waren. Die beiden stritten darüber, wer der bessere Maler sei, und malten beide ein Bild, das die Frage entscheiden sollte. Zeuxis malte Trauben, die so echt aussahen, dass Vögel versuchten, sie zu essen. Dann war Parrhasius an der Reihe, sein Bild zu zeigen, und Zeuxis forderte ihn auf, den Vorhang beiseite zu schieben, um das Bild sehen zu können. Natürlich war der Vorhang gemalt.

Die Geschichte zeigt auch, dass der Begriff der Kunst früh mit dem des Scheinhaften und Falschen, der Fähigkeit, etwas vorzugaukeln, verbunden war. Ich lehne mich nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, noch immer mache das Vorspielen von Künstler*in-Sein einen großen Teil des Künstler*in-Seins aus. Je nachdem bedeutet das das eine oder andere, muss so oder so gespielt werden. In den 1940erund 1950er-Jahren gehörte es beispielsweise zum Künstler*innenSpiel dazu, ein Mann zu sein, Amerikaner zu sein, Maler zu sein und irgendwie gegen gesellschaftliche Normen zu sein. Das Paradebeispiel dafür ist nach gängiger Meinung jemand wie Jackson Pollock, der ein Mann und ein Amerikaner war, der malte und von dem angeblich alle in seiner Highschool dachten, er sei Kommunist. Seine und die Kunst seiner Kollegen wurde durch Mega-Werkpreise und Ausstellungen in Europa ziemlich berühmt.

Stellt sich raus, das Ganze war zu einem nicht unerheblichen Teil von der CIA finanziert. Einer wie Pollock passte einfach sehr gut zum Bild Amerikas als Land der Freiheit und des Fortschritts (das der Freiheit und dem Fortschritt so sehr verschrieben war, dass sogar so etwas wie Pollocks Bilder als Kunst gelten konnten) – und das musste in Zeiten des Kalten Krieges gepusht werden. Janine Weger greift diese dokumentierte Manipulation von Kunstbegriffen, Nationalmythen und Menschenbildern auf, um Parallelen zur heutigen Zeit zu ziehen. Vorstellungen von absoluter Beständigkeit zentraler Begriffe (»Kunst«, »freier Westen«, »Wahrheit«) zeigen sich in ihren Arbeiten transparent in deren Porosität. Wake up! Victor Cos Ortega

Die Ausstellung »A Creator of Epic Pictures« von Janine Weger ist Teil des Jahresprogramms »Chronopolitische Erkundungen« der Künstler*innen Vereinigung Tirol. Sie ist noch bis 9. August in der Neuen Galerie in Innsbruck zu sehen.

Mentoring als Hilfe beim Einstieg in die Musikbranche

Es gibt hierzulande zu wenig gut ausgebildete Musikmanager*innen und Booking-Agents . Für die österreichische Musikwirtschaft ist das ein Problem. Wie Mentoring und bundesweite Vernetzung zur Professionalisierung beitragen können, wird bei der Branchenkonferenz Bzzzz diskutiert.

Beim Thema Mentoring gehe es für sie vor allem um Professionalisierung, sagt Eva-Maria Bauer. Als Präsidentin des Österreichischen Musikrats und Geschäftsführerin der Musikfabrik NÖ – eines gemeinnützigen Vereins, der Unterstützung und Weiterbildung für Künstler*innen und Institutionen bietet, die sich mit Musik beschäftigen – sowie bei ihrer Forschungs- beziehungsweise Lehrtätigkeit an der Donau-Universität Krems hat sie verschiedene Perspektiven auf die Musikwirtschaft. Genau deshalb ist sie sich sicher, dass es diese Professionalisierung dringend brauche. Bauer: »Für den Report ›Music Management in Europe‹ aus dem Jahr 2024 wurde erhoben, dass sich 96,5 Prozent der Musikmanager*innen die Skills für ihre berufliche Tätigkeit selbst beigebracht haben. Das sagt eigentlich alles.«

Infrastruktureller Nachholbedarf

Einen Mangel an professionellen Musikmanager*innen und Booking-Agents sieht auch Nuri Nurbachsch. Nach langjährigen Stationen bei den Majorlabels Warner und Sony betreibt er aktuell die Managementagentur Am Leben. Aus der im Vorjahr veröffentlichten Musikwirtschaftsstudie der WKÖ lasse sich klar herauslesen, so Nurbachsch, dass die österreichische Musikwirtschaft infrastrukturellen Nachholbedarf hat. Das liege nicht nur daran, dass das Land eher klein sei, sondern auch daran, dass man den Druck des extrem großen Marktes Deutschland stark spüre: »Es verschieben sich Dinge nicht nur rein vom Cashflow her, sondern es findet tatsächlich auch ein Braindrain statt. Menschen, die gerne in Österreich

arbeiten würden und gut sind, sehen hier vielleicht nicht so die Möglichkeiten oder tun sich schwer. Im größeren Markt Deutschland finden sie eher Wege, in die Branche einzusteigen. Ein Teufelskreis.«

In Workshops, die in Folge der Musikwirtschaftsstudie abgehalten wurden und an deren Umsetzung Nurbachsch beteiligt war, sei dann immer wieder das Thema Mentoring aufgetaucht. Für ihn gehe es dabei im Wesentlichen um Wissensvermittlung. »Wir haben noch zu wenige Ausbildungspfade für Menschen, die

in der Musikindustrie arbeiten möchten – nicht selbst als Künstler*in, sondern vielleicht als Manager*in, Veranstalter*in oder Labelbetreiber*in. Außerdem gibt es nur überschaubar viele Unternehmen, die Praktikumsstellen oder sonstige Lehrmöglichkeiten anbieten, die mit der Praxis verknüpft sind.« Das heiße: »Mentoring wäre eine effiziente Zwischenlösung, um das vorhandene Know-how von Menschen, die bereits praktisch tätig sind, an die nächste Generation oder Quereinsteiger*innen weiterzugeben. Indem man diese einfach an der Hand nimmt und ihnen zeigt, wie hier

Fotos: Stephan Polzer / ÖMR, Valerie L ogar / Am Leben, priv at

vor Ort gearbeitet wird und wie man sich in dieses größere Netzwerk einbinden kann. Mentoring kann helfen, den Einstieg in die Musikbranche in Österreich zu vereinfachen.«

Dass es zwar viele talentierte und auch hervorragend ausgebildete Musiker*innen gebe, dass aber das wirtschaftliche Supportnetzwerk für diese fehle, davon spricht auch Eva-Maria Bauer: »Das ist eine der großen Herausforderungen im Musikbusiness in Österreich. Ein Mentoring-Programm löst jetzt nicht alle Probleme, aber es ist ein wichtiger Baustein, um zur Professionalisierung beizutragen.« Nicht zuletzt könne das auch beim Thema Female Leadership helfen: »Frauen haben im Musikbusiness immer noch ein schweres Standing. Mentoring hielte ich für ein probates Mittel, um gegen den Gender Gap vorzugehen.«

Für die konkrete Umsetzung von MentoringProgrammen gibt es einige internationale GoodPractice-Beispiele, über die die Branchenexpertin Magda Cholyst auf Einladung des Fachverbands der Film- und Musikwirtschaft bei der WKÖ-Konferenz Bzzzz sprechen wird. Beispielsweise das Programm EMMpower der European Music Managers Alliance, das sich gut auf Österreich umlegen ließe, so Bauer: als spezialisiertes Angebot für eine überschaubare Anzahl von Mentees und daher einfacher, schneller und kostengünstiger umzusetzen als breit angelegte, offene Programme.

In die Community investieren

Von Mentoring würden jedenfalls nicht nur die Mentees profitieren, ist Nuri Nurbachsch überzeugt: »Wenn ich Ressourcen wie Zeit, Geld oder Knowhow in meine Community investiere, dann stärkt das diese Community. Wir alle haben etwas davon, wenn der Markt wächst. Und der Markt wächst, wenn mehr Teilnehmer*innen im Markt sind. Aber um neue Teilnehmer*innen in den Markt zu bekommen, muss man diese auch vorbereiten. Und so schließt sich der Kreis dann wieder.«

An das, was Mentoring leisten kann, knüpfen auch die Bestrebungen hinsichtlich bundesweiter Vernetzung an, die bei der Bzzzz ebenfalls Thema sind. Teddy Maier vom Fachverband der Film- und Musikwirtschaft: »Ein sehr großer Teil unserer Mitglieder sind EPUs, also EinPersonen-Unternehmen. Für sie stehen andere Themen

im Vordergrund als etwa die Radioquote im ORF oder die Rahmenbedingungen für den Musikexport. Sie bei der Vernetzung zu unterstützen, könnte ein wichtiger Hebel sein, um Kooperationen anzuregen. Und Kooperationen sind gerade für EPUs das Um und Auf.«

Gute Argumente für Zusammenarbeit Vor fünfzehn Jahren hat Maier von Dornbirn aus – er betreibt dort ein Tonstudio – ein Projekt der Wirtschaftskammer mitaufgebaut, das als Vorbild dienen könnte: das Filmwerk Vorarlberg – mit Vernetzungstreffen, Workshops und einer Onlineplattform. Anfangs habe es da bei so manchem etabliertem Branchenvertreter Vorbehalte gegeben: Man setze sich doch nicht mit der »Konkurrenz« zusammen. Mittlerweile seien aber auch frühere Skeptiker mit an Bord. »Und wenn es heute noch immer jemand so sehen sollte«, meint Maier, »wird er oder sie es sehr schwer haben, auf Dauer erfolgreich zu sein. Ich halte das für ein absolut veraltetes Denkmuster. Gerade die jüngere Generation ist da aber eh sehr aufgeschlossen.«

Teddy Maier

Fachverband der Filmund Musikwirtschaft

Außerdem gebe es ja auch überzeugende Argumente, die Zusammenarbeit zu suchen: »Als Einzelkämpfer*in kannst du natürlich auch ein gutes Produkt abliefern, aber wenn du dir ansiehst, wie das bei einem erfolgreichen Beispiel wie Bibiza funktioniert – da waren zehn Leute an Recording, Mix und Mastering beteiligt und jeder davon hat einen Bereich, in dem er ein Chef ist. Wenn du auf diese Ebene kommen willst, solltest du dich vernetzen und mit anderen Kooperationen eingehen. Dann wird dein Produkt schlagartig besser werden. Dasselbe gilt für Bereiche wie die Vermarktung oder die Live-Umsetzung. Und all das lässt die Chancen, am nationalen und internationalen Markt erfolgreich zu sein, deutlich steigen. Gute Verbindungen sind einfach ein Schlüssel zum Erfolg.«

Bzzzz – Die Konferenz der österreichischen Musikwirtschaft findet am 26. Mai in Wien statt. Neben den Themen Mentoring und bundesweite Vernetzung stehen etwa SelfReleasing, Sync-Licensing und KI in der Musikbranche auf dem Programm. Details unter www.wko.at/bzzzz.

»Mehr als nur Gemüseanbau« Die umkämpfte Freifläche in Neu Marx

Mitten in der Stadt, zwischen Beton und Verkehr, pflegen Hobbygärtner*innen in Neu Marx seit zehn Jahren eine grüne Idylle und leben dabei Freiraum sowie Gemeinschaft. Doch der DIY­ Gar ten soll weichen – für eine neue Eventhalle. Wir sprechen mit der Gärtnerin Petra Springer über Anfang und Ende eines geteilten Rückzugsortes.

Das Projekt hier gibt es seit 2015. Wie kam es zustande und wie bist du dazugestoßen?

petra springer: Es taten sich damals Leute zusammen, die gemeinschaftlich einen Garten gründen wollten. Cordula Fötsch vom Verein Gartenpolylog half ihnen bei den ganzen bürokratischen Sachen – einen Verein zu gründen und so weiter. Am Anfang hatten sie fast gar nichts, nur so einen Erdhaufen, ein bisschen altes Holz und den Zaun rundherum. Die Gärtner*innen schufen in akribischer Arbeit ein Paradies. Sie beschütteten den Beton mit Erde und machten ihn zur Wiese. Nach zehn Jahren schaut das alles wunderschön aus, aber am Anfang war hier nichts. Ich selbst stieß dann vor sechs Jahren dazu. Ich kümmere mich um den Kompost und arbeite mit Mikroorganismen, damit hier alles gut gedeiht.

Der Garten ist gemeinschaftlich organisiert. Was bedeutet das genau?

Du hast Rechte im Garten – etwa, dass du ihn gemeinschaftlich nutzen oder mit der Familie am Grillplatz feiern kannst. Aber du hast auch Pflichten. Jede Partei hat eine Woche im Jahr Gießdienst. Es sind über dreißig Parteien, denen unterschiedliche Teile gehören. Dann gibt es noch einen großen Allgemeinbereich, der ebenfalls von Einzelnen betreut, aber gemeinschaftlich genutzt wird. Die ganzen Flächen rundherum gehören der Allgemeinheit –die Himbeeren, die Brombeeren und so weiter. Es gibt Zeiten, zu denen sich sehr viele Leute gleichzeitig hier im Garten befinden, weil alle gerne da sind. Gerade, wenn es überall anders recht heiß ist, ist es im Schatten zwischen den Pflanzen angenehmer.

Jetzt wird das Gelände platt gemacht und bebaut. Was sind die Konsequenzen für euch?

Es ist für viele sehr schlimm. Ein Platz, der zehn Jahre so grün bebaut wurde und damit eine Oase mitten in der Stadt ist, geht verloren. Das kann nicht von heute auf morgen ersetzt werden. Es hat schließlich auch zehn Jahre gedauert, bis das so gewachsen ist. Das ist ja mehr als nur Gemüseanbau. Das ist ein sozialer Treffpunkt. Es gab hier jahrelang Mittwochsrunden mit Grillerei. Wer mitmachen wollte, konnte mitmachen. Aber wir haben eben auch den Luxus, dass wir unsere

Natalie Schießwald

Die Freifläche bietet derzeit einen grünen Flecken mitten in der urbanen Umgebung von St. Marx.

Petra Springer ist seit 2019 im Garten aktiv. Die Arbeit dort habe für sie etwas Meditatives.

Natalie Schießwald

Neben der Gemeinfläche haben alle Beteiligten ihren eigenen Fleck im Garten.

eigenen Salate, Kräuter, Kohlrabis, Radieschen, Erbsen und so viel Verschiedenes mehr anbauen können.

Wie verliefen die Gespräche mit der Stadt?

Ich wartete damals vier Jahre lang auf meinen eigenen Garten hier, bis 2019. Die ersten Male, als ich herkam, hieß es: »Für ein Jahr noch, dann kommt die Halle.« Dann kam aber Corona, und so blieben wir weitere fünf Jahre hier. Die Stadt Wien, der Dr. Ludwig, ist anderer Meinung als beispielsweise der Bezirksvorsteher. Der kennt den Garten, kommt gerne her und freut sich, wenn wir ihn zweimal im Jahr zur Grillerei einladen. Die Leute vom Bezirk suchen auch nach einem Platz, wo der Garten hinübersiedeln könnte. Das ist natürlich ein Mordsaufwand. Und wer

»Neu anzufangen ist etwas anderes als das fortzusetzen, was wir hier schon aufgebaut haben.«
— Petra Springer, Gärtnerin

weiß, wo das dann ist. Die Stadt Wien und die Wiener Standortentwicklung sind anscheinend auch bemüht, ein Areal zu finden, wo die Gärtner*innen wieder neu anfangen könnten. Aber neu anzufangen ist etwas anderes als das fortzusetzen, was wir hier schon aufgebaut haben.

Also bis jetzt gibt es noch kein alternatives Gelände?

Wir wissen leider noch nichts. Es wird noch Gespräche geben. Ich weiß, es gibt andere, die sich dem nicht beugen wollen, dass hier alles wegkommt. Andere Vereine werden einen Protest starten. Ebenso wie Anrainer*innen, die nicht wollen, dass 20.000 zusätzliche Autos im Parkhaus Platz suchen. Man muss sich das vorstellen: Das ist hier eine komplett verkehrsberuhigte Zone. Auf dem Platz dort bringen Eltern ihren Kindern Radfahren bei, Leute spielen Tennis gegen die Wand oder gemeinsam Cricket. Man kann nicht sagen, das sei ein ungenutzter Platz. Seit Jahren ist der Cirque du Soleil für eine bestimmte Zeit hier. Und es gibt gleich in der Nähe die Marx Halle und die Arena. Klar,

Aufgrund der Klimakrise haben sich sowohl die in Wien anbaubaren Pflanzen als auch das Timing der Anzucht verändert.

eine Großstadt braucht eine Veranstaltungshalle, so wie die Stadt Wien sie sich wünscht. Aber bitte doch in der Seestadt Aspern oder irgendwo an einem ähnlichen Ort. Nicht hier mittendrin.

Generell dauert es in Wien ja lange, bis man einen Gartenplatz bekommt. Weil es viel zu wenige Gemeinschaftsgärten gibt. Das ist das Problem. Wenn du einen eigenen Platz haben willst, ist es schwierig. Bei einem Schrebergarten hast du eine noch längere Warteliste und brauchst heutzutage viel Geld. Aber es gibt Gemeinschaftsprojekte, es gibt den Verein Gartenpolylog im Internet, dort findet man Gärten, freie Plätze und Menschen, die einen Garten gründen möchten. Ich kann das gut nachvollziehen, dass man gerne etwas tut. Für mich ist das keine Arbeit, sondern eine meditative Gschicht. Und ich halte es auch für wichtig, dass die Kinder das Gärtnern in der Stadt sehen. Damit sie mitkriegen,

»Für mich ist das keine Arbeit, sondern eine meditative Gschicht.«
— Petra Springer, Gärtnerin

dass das Essen nicht aus dem Automaten kommt, sondern aus dem Garten.

Wie verändert sich das Gärtnern durch die Klimakrise?

Stark. Man kann nicht mehr so gärtnern wie vor dreißig Jahren. Im Frühling ist die Zeitspanne sehr kurz, man kann nicht mehr nach den Eisheiligen anfangen, zumindest nicht hier in der Stadt. Ich baue mittlerweile im August Sachen an, die ich früher im Frühling angebaut habe. Es sind heutzutage aber andere Pflanzen bei uns möglich. In Wien kannst du ohne Weiteres Melonen anpflanzen, die herrlich werden. Das Wichtigste ist jedenfalls, wie unheimlich viel Wasser Pflanzen brauchen. Du kannst deinen Garten wochenlang gießen – dann regnet es einmal und die Pflanzen machen einen enormen Sprung. Es ist kaum zu glauben, wie sich das Volumen durch den Regen in einer Nacht verdoppelt. Das kannst du nicht ergießen. Selia Fischer

Die Initiative St. Marx für alle organisiert derzeit Proteste gegen die Eventhalle. Nähere Infos unter www.st-marx.at.

Natalie Schießwald

2.–4.10.2025

Ão (BE) Astral Bakers (FR) Aunty (AT)

Caterina Lee (AT) Cordoba78 (AT)

DVTR (CA) Farmar (AT) Flirtmachine (AT)

Fraeulein Astrid (AT) Genn (UK) Holli (AT)

Humming People (DE) Keyhan and the Juns (AT) Lorenz Ambeek (AT)

Lovehead (AT) Magdalena Wawra (AT) Mira Taylor (AT) Sanna (AT) Stone

Sober (HU) Tauchen (AT) … more to come soon!

www.wavesvienna.com

Ist das noch queer? Von Widerstand und Glitzer

Queere Ästhetiken sind allgegenwärtig in der Popkultur. Doch was bleibt von ihrer politischen Kraft, wenn sie zum Mainstream werden? ———— Camp flimmert durch Popvideos, Harnesses sind Party-Standard und Ballroom-Vokabular taucht ganz selbstverständlich in Insta-Captions auf. Queere Ästhetiken finden sich überall in der Popkultur. Bei Stars wie Beyoncé, Lady Gaga oder Harry Styles genauso wie bei offen queeren Artists wie Chappell Roan oder Troye Sivan. Dass Pop sich queerer Codes bedient – mal aus Solidarität, mal aus Kalkül –, ist kein neues Phänomen. Die Frage, was übrig bleibt, wenn diese Zeichen massenkompatibel werden, stellt sich gerade jetzt und gerade dort, wo queere Repräsentation kaum existiert.

Etwa in Österreich. Hierzulande haben queere Artists – mit wenigen Ausnahmen wie Conchita Wurst – immer noch kaum Sichtbarkeit im Mainstream. Währenddessen zirkulieren die Ästhetiken, die doch eigentlich aus ihrer Geschichte hervorgegangen sind, längst durch Social-MediaKampagnen und zieren Festivalbühnen. Aber wenn queere Codes und Ästhetiken heute Teil der breiten Popkultur sind, können sie dann überhaupt noch subversiv sein? Wie viel politischer Gehalt steckt noch in ihnen? Funktionieren sie noch als bewusste Störung von Normen, als Kritik an Machtverhältnissen und als Versuch, Räume für andere Formen von Begehren, Körpern und Gemeinschaft zu öffnen? Oder sind sie bloß ein weiteres Accessoire für jene, die nie mit der Realität queerer Erfahrung konfrontiert waren?

Bevor queere Ästhetiken gekapert wurden, waren sie vor allem eines: Überlebenszeichen und Vermittlerinnen einer Gemeinschaft, wo keine sein durfte. Blicke, Gesten, Haltungen – all das konnte mehr bedeuten, wenn man wusste, wie man sie liest. Es ging um Sichtbarkeit ohne Entlarvung, um Begehren unter Verbot, um Zugehörigkeit dort, wo Sprache

»Camp ist nicht zu vereindeutigen, sondern im Kollektiv stetig auszuhandeln.«
— Melanie Letschnig, Kulturwissenschaftlerin

»So schlecht, dass es schon wieder gut ist«, sondern eine bewusste Haltung – verspielt, überhöht, oft ironisch – und dabei immer auch subversiv. Für Letschnig bleibt Camp vor allem eines: »Eine Taktik, die immer noch eine erhöhte Sensibilität erfordert.« Camp war nie bloß Stil, sondern immer schon ein lesbares System für jene, die wissen, wie man zwischen den Zeilen lebt.

fehlte. Die Kulturwissenschaftlerin Melanie Letschnig bezeichnet das als »Hiding in the Lights«-Prinzip: ein Spiel mit Sichtbarkeit, das Tarnung und Ausdruck zugleich ist. Besonders zeige sich das in Camp, einer queeren Ästhetik, die oft vorschnell mit Kitsch gleichgesetzt werde. Dabei sei genau das, wie Letschnig betont, ein »unproduktives Missverständnis«.

Auch Susan Sontag hat in ihrem berühmten Essay »Notes on ›Camp‹« schon vor sechzig Jahren klargemacht: Camp ist kein bloßes

Und das gilt nicht nur für Camp: Auch der Hanky-Code aus der Lederszene, Drag-Burlesque oder Ballroom-Posen funktionieren als Signale. Queere Glam-Figuren mit knalligem Make-up, Dragkings mit Klebebärten und Chiffon auf der Brust – sie inszenierten schon vor Jahrzehnten etwas, das sich jeder binären Lesart entzieht. Diese Ästhetik zog sich durch Musikvideos der Achtziger und Neunziger, wanderte auf Werbeflächen – und floriert aktuell dank Tiktok-Voguing, GenderBending-Fashion-Hauls und hyperfemme Insta-Reels in Social Media. Trotzdem, so Letschnig, könne Camp noch immer etwas eröffnen – gerade wenn es von jenen gelebt werde, die sich bewusst sichtbar machen: körperbetonte, überhöhte Auftritte als Eskapismus, als Form des Gesehenwerdens. Gleichzeitig sei bedenklich, dass genau diese Gesten und Haltungen zunehmend ausgehöhlt werden – Zeichen, die einst Schutz bedeuteten, zirkulierten heute oft als bloße Hülle. Aber: »Camp ist nicht zu vereindeutigen, sondern im Kollektiv stetig auszuhandeln.« Es handle sich dabei nämlich – wie bei anderen queeren Ästhetiken – um ein offenes System. Und genau darin liege seine Kraft.

Doch Sichtbarkeit allein bedeutet nicht automatisch Repräsentation – geschweige denn Widerstand. Was früher Schutz war, wird heute zum Style, der oft losgelöst von Herkunft und Kontext existiert. Der Medientheoretiker Stefan Schweigler merkt an, dass der Mainstream nie ein neutraler Ort gewesen sei. Für queere Communitys sei er zugleich Chance und Risiko – ein Raum, in dem Anerkennung möglich werde, aber auch Bedeutungen verwässert würden. Schweigler unterscheidet zwischen »queer reading« – dem lustvollen Entziffern queerer Subtexte, auch dort, wo sie nicht beabsichtigt waren – und Queerbaiting, also dem gezielten Anteasern queerer Inhalte, ohne dieses implizite Versprechen je einzulösen. Und selbst wenn queere Ästhetiken schließlich im Mainstream ankommen, warnt er, drohe eine »Entpolitisierung von innen«: die Illusion, man sei längst angekommen. Damit gehe oft auch eine Form von Homonormativität einher – also das Streben nach Anpassung an cis-hetero-normative Lebensmodelle: Pride, aber bitte nicht zu laut; Queerness, aber bitte verheiratet, wohlsituiert und marktfähig. Was einst Widerstand bedeutete, wird so zur Lifestyleoption: politisch entkernt und ästhetisch gefiltert.

Dabei verändert sich auch der Ausdruck innerhalb queerer Szenen beständig. Seit den 2010er-Jahren, so Schweigler, habe sich vor allem eine Ästhetik durchgesetzt, die laut, selbstbewusst und empowernd ist. Pride statt Protest, Optimismus statt Ambivalenz. Das passt gut zur neoliberalen Logik: Wer individuell, sichtbar und marktfähig ist, stört nicht – sondern lässt sich verkaufen. Selbst queere Popstars wie Chappell Roan oder Troye Sivan bewegen sich in diesem Spannungsfeld: Ihre Inszenierungen feiern queere Referenzen, richten sich klar an die Community – und funktionieren gleichzeitig perfekt im Instagram-Algorithmus.

Doch auch wenn Pride-Ästhetiken heute von Bühnen und Bildschirmen strahlen, heißt das nicht, dass nun alles gesagt werden darf. Denn selbst offen queere Artists bleiben eingebunden in ein System, das queere Identität zur Marke macht und Sichtbarkeit nur dann duldet, wenn sie sich verwerten lässt. Was viral geht, entscheidet nicht allein das Publikum: Auch Plattformen wie Ins tagram oder Tiktok kuratieren mit, oft intransparent – und gerade queere Inhalte geraten dabei zunehmend unter Druck. Die Frage ist also nicht nur, wie laut jemand spricht, sondern wer dabei zuhört. Und wer daran verdient.

Demgegenüber stehen queere Stars wie Janelle Monáe oder Arca, die sich nicht in polierten Empowerment-Gesten erschöpfen, sondern gezielt Brüche und Fragilität ins Zentrum rücken. Ihr queeres Erzählen stellt weniger zur Schau, als dass es erinnert – an Scham, Einsamkeit, Ambivalenz. Für Schweigler sind solche Perspektiven essenziell. Sie hielten Räume offen, in denen Queerness nicht glattgebügelt wird – und zeigten, dass politische Wirkung auch dort entstehe, wo jemand die Pose ver- und das Prekäre zulasse. Statt Empowerment als Hochglanzprodukt zu reproduzieren, erinnerten sie daran, dass Queerness immer auch mit Unsicherheit, mit Bruchstellen, mit Nichtzugehörigkeit zu tun habe – und dass genau darin ihr Widerstand liege.

Subversion statt

Scheinwerferlicht

In Österreich gibt es diese queeren Popmomente, wie sie diverse US-amerikanische Stars und Sternchen durchleben, kaum. Wer sich in der Alpenrepublik öffentlich als queer positioniert, landet selten in den Radioplaylisten – und schon gar nicht am Podium als Preisträger*in eines gewissen Musikawards, wo Jahr für Jahr eine Parade weißer, cis-hetero Künstler zelebriert wird. Die Codes sind zwar mitunter sichtbar – auf Bühnen, in Kampagnen, in Looks – aber meist entkoppelt von ihrer Community.

Gerade aus diesem Ausschluss entsteht allerdings ein anderer Raum. Ein Hier, das den Untergrund meint, die kleinen Bühnen und DIY-Releases auf Bandcamp. Es ist der Raum, in dem queere Codes überhaupt erst entwickelt wurden: aus Notwendigkeit, nicht aus Stilgefühl. Und genau dort, in diesem Spannungsfeld zwischen Unsichtbarkeit und Unbeugsamkeit, lebt etwas auf, das politischer ist als jede Spotify-Kampagne zum Pride Month.

Junge österreichische queere Artists –viele von ihnen trans, nicht-binär, BIPoC, neurodivergent oder mit Klassismus- oder Migrationserfahrung – machen Musik, die aus komplexen, intersektionalen Lebensrealitäten schöpft und queere Existenz nicht nur sichtbar macht, sondern als politischen Akt gegen (hetero-)normative Systeme ver-

teidigt. In ihren Songs geht es sowohl um Gewalt, Einsamkeit, Überleben als auch um das Recht auf Lust, Nähe und Sichtbarkeit. In einem kulturellen Klima, das Queerness zu oft entweder ignoriert oder vereinnahmt, bringt dieser subversive Raum etwas zurück: die Frage, was Queerness eigentlich heißt –jenseits des Marketings.

Hier schließt sich der Kreis. Wenn queere Codes im Mainstream auftauchen, verlieren sie oft ihren Kontext. Doch, wie Schweigler betont: »Es bleibt immer ein Rest.« Selbst weichgespülte Queerness könne nicht vollständig neutralisiert werden, sondern provoziere – Reaktionen, Kritik, neue Auseinandersetzungen. »Vielleicht brauchen wir neue Codes«, sinniert er – neue Codes als Antwort auf jene Zeichen, die vereinnahmt wurden. Und genau dieses Spannungsfeld erzeugt neue Bewegung. Wo Repräsentation sich als bloße Pose entpuppt, entstehen Räume, in denen Queerness wieder politischer wird –in Texten, Sounds und Bildern, die nicht auf Gefälligkeit zielen, sondern auf Sichtbarkeit. Wenn queere Inhalte global wieder gelöscht, verdrängt, verbannt werden, zeigt sich: Selbst Kommerz kann nicht alles glätten. Schweigler nennt das ein »Störpotenzial«, das selbst im Glitzer greife. Und vielleicht ist es gerade dieser Widerstand im Glanz, der queere Popkultur neu aufladen kann.

Ania Gleich

Wer sich näher mit queeren Ästhetiken und ihrer politischen Bedeutung beschäftigen will, findet in Stefan Schweiglers Ende Juni erscheinendem Buch »Queering Home –Medienpraktiken als Infrastrukturen der Sorge« theoretische wie praktische Denkanstöße. Und wer lieber selbst ausprobieren statt nur beobachten will: Das Kollektiv Sounds Queer? bietet regelmäßig Jams, Workshops und Skill­Sharing­Formate für queere Musiker*innen in Wien an – on­ wie offline.

privat, Vanessa Scharrer

Liebe macht keinen Unterschied. Wir auch nicht.

Bei uns sind alle Genres willkommen!

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Als seine beste Freundin Antonia ihn auf zahlreichen Datingplattformen anmeldet, erlebt er eine Peinlichkeit nach der anderen. Bis er eine E-Mail von Tarek bekommt.

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Gazelle und Gialu nehmen ihre Fans mit auf ihre persönliche Reise ihrer ersten Male – und tun es schon wieder: Sie schreiben zum ersten Mal ein Buch.

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Welt, bleib wach.

Regenbogen, aber bitte mit Funding Was ist die Pride wert?

Einmal im Jahr marschieren Hunderttausende Menschen, oft bunt und leicht bekleidet, für die Rechte von LGBTQIA*­Personen gegen den Uhrzeigersinn um den Ring. Umgeben von PrideFloats verschiedener Firmen, deren Logos – for one month and one month only – ausnahmsweise genauso bunt sind. Was ist die Rolle dieser Firmen? Wie finanziert sich die Pride eigentlich? Und lässt sich eine Demo mit kapitalistischen Interessen vereinbaren? ———— Die letzte große Diskussion um die Finanzierung der Vienna Pride fand vor zwei Jahren statt. Wer sich nicht erinnern kann: 2023 gab es kein Pride Village am Rathausplatz. Grund dafür waren laut der Veranstalterin Homosexuelle Initiative (Hosi) Wien fehlende Förderungen der Stadt. Konkret dafür verantwortlich: der damalige Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos). Laut Bericht der Tageszeitung Der Standard befand dieser nämlich die ausgezahlte Förderung von 175.000 Euro als ausreichend für das Pride Village. Das seien ja schließlich fünfzehn Prozent mehr als im Vorjahr. Eine Rechnung die jedoch, so die Veranstalter*innen der Pride, wenig aussagekräftig sei, da das Pride Village im Jahr zuvor coronabedingt überhaupt nicht vorgesehen war. Zudem seien seit der Pandemie sowohl Sicherheits- und Organisationskosten als auch Kosten für Veranstaltungstechnik drastisch gestiegen.

Direkt vor der Pandemie fiel die öffentliche Unterstützung für die Jahre 2018/2019 mit insgesamt 900.000 Euro im Übrigen noch deutlich höher aus – vorwiegend aufgrund der

größeren Europride 2019. Die letzte reguläre Regenbogenparade mit Pride Village war dann für 2020 geplant. Für diese wurde damals, so Gemeinderat Peter Kraus von den Grünen auf Twitter, immerhin noch eine Förderung von 250.000 Euro beschlossen. Was unterm Strich bedeutet: Statt sie um fünfzehn Prozent zu erhöhen, wurde die Förderung 2023 im Vergleich zum tatsächlichen Referenzjahr 2020 um fast ein Drittel gekürzt. Der Ausfall des Pride Villages stieß allerdings auf heftige Kritik. Vermutlich einer der Hauptgründe, warum es 2024 dann gleich mit satten 521.000 Euro gefördert wurde, wie aus Sitzungsprotokollen des Wiener Gemeinderats hervorgeht.

Nichts von diesen Beträgen fließe jedoch direkt an die Regenbogenparade, so Katharina Kacerovsky-Strobl. Die Geschäftsführerin der von der Hosi Wien zur Veranstaltung der Parade gegründeten Stonewall GmbH, erklärt, dass der Protestzug an sich keine direkte Förderung durch die Stadt Wien erhalte: »Die Regenbogenparade ist eine politische Demonstration und wird ausschließlich von der Hosi Wien als Verein organisiert. Sie finanziert sich aus Eigenmitteln des Vereins und über Sponsor*innen.« Nur das Pride Village erhalte direkte Förderungen der Stadt.

Brought to You By 2024 fand die Wiener Regenbogenparade unter dem Motto »Pride Is a Demonstration« statt. Eine Ähnliche Auffassung steht hinter jenen Remindern auf Social Media, die sich

»Die Pride ist kein Marketingevent, das man nach Belieben buchen oder branden kann.« — Katharina Kacerovsky-Strobl

Jahr für Jahr häufen, je näher der Juni rückt, und die daran erinnern, dass die Pride – trotz des vermeintlichen Anscheins – keine Party sei. Und schon gar keine Party für Heteros, die den Rest des Jahres kein Wort über queere Rechte verlieren. Gleichermaßen richtet sich diese Kritik auch an Firmen, die ihre Logos einmal im Jahr für die Dauer des Pride-Monats – und vielleicht noch eine Woche länger, wenn sie sich, ebenso performativ, dem Kritikpunkt der kurzfristigen Sichtbarkeit entziehen wollen – regenbogenfarben einfärben und den Rest des Jahres den Mantel des Schweigens über das Thema breiten.

Da weder der betrunkene BWL-Justus, der »schwul« noch immer als Schimpfwort verwendet, noch seine Freundin im Glitzer-

Make-up, die die ÖVP wählt, noch multinationale Konzerne, die Regenbogen-Goodies verkaufen, den ersten Stein vor dem Stonewall Inn geworfen haben, stellen sich viele verständlicherweise die Frage nach der Kommodifizierung der Pride. Oft ist es schwierig zu unterscheiden, ob ein Unternehmen nur versucht, von der Kaufkraft der LGBTQIA*Community zu profitieren, also Pinkwashing betreibt, oder es tatsächlich ganzjährig ernst meint mit dem Commitment.

Kacerovsky-Strobl versichert, dass sich die Vienna Pride mit dem Thema Pinkwashing sehr bewusst und kritisch auseinandersetze: »Sichtbarkeit alleine reicht nicht. Deshalb durchlaufen Unternehmen bei uns ein sorgfältiges Screening, bevor sie bei der Vienna

Pride als Sponsor*innen oder Partner*innen auftreten dürfen.« Kriterien seien dabei zum Beispiel, ob es interne LGBTQIA*-Netzwerke gebe, ob aktiv gegen Diskriminierung gearbeitet werde und ob ein glaubwürdiges Engagement über den Pride-Monat hinaus bestehe.

Land of the Free

In den USA ist Pinkwashing – abseits der zunehmend prekären Situation für queere und vor allem trans Personen seit dem abermaligen Amtsantritt Donald Trumps – schon längere Zeit ein zentrales Thema. Pride-Merch und -Werbekampagnen sind dort jeden Juni ein Fixpunkt der großen Unternehmen. Aber im Vergleich zu vergangenen Jahren fiel der bunte Anstrich zuletzt deutlich zurückhalten-

Dieses Jahr geht es am 14. Juni andersrum um den Ring.

Das Pride Village am Rathausplatz sollte heuer ausreichend finanziert sein.

der aus. Die Einzelhandelskette Target etwa, die seit 2015 jährlich eine Kollektion zum Pride-Monat herausbringt, nahm 2024 nach massivem Backlash von Seiten konservativer Anti-LGBTQIA*-Gruppen zahlreiche Artikel aus dem Sortiment. Sachbeschädigungen in mehreren Filialen und Drohungen gegenüber Mitarbeiter*innen im Vorjahr führten zudem zur Entscheidung, Pride-Artikel künftig weniger zentral zu platzieren und in vielen Filialen gar nicht mehr zu führen. Auch gegen die Biermarke Bud Light, die im Rahmen einer Kampagne mit der trans Influencerin Dylan Mulvaney zusammenarbeitete, gelang rechten Gruppen und Politiker*innen 2023 ein erfolgreicher Protest. Der Umsatz von Bud Light brach massiv ein und Anheuser-Busch, der Großkonzern hinter dem bierartigen Getränk, distanzierte sich von Mulvaney.

Stolz auf Zeit Ähnlich wie in diesen beiden Fällen komme es auch in Österreich immer wieder vor, dass Unternehmen über Jahre hinweg von der engen Zusammenarbeit mit lokalen Pride-Strukturen profitierten, sich dann aber plötzlich von diesen distanzierten, erzählt Kacerovsky-Strobl. Damit würden sich die Firmen nicht nur ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entziehen, sondern auch das Prinzip solidarischer Zusammenarbeit untergraben – die Pride sei keine Marketingplattform zum Mitnehmen, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Kämpfe. Auf die Frage, was eine gute Kooperation ausmache, meint die Stonewall-CEO: »Wer mit einem Regenbogen-Logo sichtbar sein möchte, sollte auch innerhalb des Unternehmens und darüber hinaus sichtbar Verantwortung übernehmen – und die Community nicht nur zur Kulisse machen.« Schwierig sei es dort, wo Vielfalt nur inszeniert werde, Firmen sich mit

queeren Motiven schmückten, intern aber keine inklusiven Strukturen schafften – oder gar in anderen Ländern queerfeindliche Politik unterstützten. Stichwort queerfeindliche Politik: Man muss nicht über den Atlantik blicken, um sie zu finden. Während man in Wien auf ein Grundmaß politischer Unterstützung zählen kann, sieht es keine hundert Kilometer entfernt düster aus. In Ungarn wurde im April 2025 eine Verfassungsänderung beschlossen, die unter anderem in den staatlichen Grundfesten niederschreibt, dass es nur zwei Geschlechter gäbe – männlich und weiblich. Zuvor hatte die rechtskonservative Regierung unter Viktor Orbán bereits Mitte März ein neues Gesetz eingebracht, das Pride-Paraden und ähnliche Versammlungen verbietet. Damit setzt die Fidesz-Regierung ihre repressive Politik gegenüber der LGBTQIA*-Community konsequent fort: Schon 2021 wurde verboten, Menschen unter achtzehn Jahren Informationen über Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit zugänglich zu machen. Auf Anfragen von The Gap reagierten die Organisator*innen der Budapest Pride nicht. Verständlich, denn die Teilnahme an oder Organisation von Pride-Veranstaltungen kann in Ungarn nun mit Geldstrafen belegt werden. Automatische Gesichtserkennung soll dieses Verbot durchsetzen.

(Un­)Recht nebenan

Die Hosi Wien und die Vienna Pride reagierten mit scharfer Kritik auf die Maßnahmen und riefen zur Solidarität mit der queeren Community in Ungarn auf. Ann-Sophie Otte, Obfrau der Hosi Wien, betonte dabei, dass das Demonstrationsrecht »eines der wichtigsten Instrumente einer Demokratie« sei und Katharina Kacerovsky-Strobl lud »all unsere Freund*innen und die Community-Organisationen in Ungarn ein, sich der Vienna Pride

und der Regenbogenparade 2025 anzuschließen«, um gemeinsam für LGBTQIA*-Rechte einzutreten – auch für jene, die dies in ihrer Heimat selbst nicht können.

Trotz der scheinbaren Akzeptanz hierzulande fühlen sich einige Queers auf Großveranstaltungen wie der Pride, hinter denen zwar viel Support und Commitment, aber auch viel Geld aus Politik und Wirtschaft stecken, weder wohl noch repräsentiert. Abseits der großen Parade gibt es darum jährlich kleinere, selbst organisierte Demonstrationen und Events, die für queere Sichtbarkeit abseits des Mainstreams im Sinne der »ersten Pride«, den Stonewall Riots, einstehen. Wohl am bekanntesten ist der Marsch für’n Arsch. Dieser ist eine Antwort auf den Marsch für die Familie, eine christlich-fundamentalistische Demo, die für gewöhnlich zeitgleich mit der Regenbogenparade abgehalten wird. Außerdem fand letztes Jahr das erste Trans viel Fest der queer-feministischen Initiative Trans viel Freude statt, die sich für Rechte von trans Menschen »in Wien und überall sonst« einsetzt. Und im April 2025 gründete sich Pride Reclaimed, ein Zusammenschluss mehrerer Wiener QTI*BIPoCKollektive und -Einzelpersonen, die sich dafür einsetzen, Pride wieder zu einem »Akt des radikalen Widerstands und einem Ort von Community-Care« zu machen.

Katharina Kacerovsky-Strobl betont, dass für die Zukunft der Pride mehr als Sichtbarkeit nötig sei – es brauche dauerhafte Partner*innenschaften und strukturelle Rückendeckung: »Die Pride ist kein Marketingevent, das man nach Belieben buchen oder branden kann. Die Pride ist eine politische Bewegung – und sie braucht verlässliche Rahmenbedingungen, damit sie dauerhaft bestehen kann.« Von der Politik fordert sie daher langfristige Förderzusagen und politische Unterstützung, »auch dann, wenn’s unbequem wird«. Die Wirtschaft wiederum müsse sich einer fairen Zusammenarbeit mit der Community verpflichten, queere Mitarbeitende offen unterstützen und sich ihrer Verantwortung ganzjährig stellen, statt punktuell Repräsentation zu instrumentalisieren. Nur wer bereit sei, nicht allein Sichtbarkeit, sondern auch Veränderung zu fördern, habe, so die Geschäftsführerin, seinen Platz auf der Pride-Bühne verdient. Simon Pfeifer

Die Vienna Pride findet heuer von 31. Mai bis 15. Juni statt, mit der Regenbogenparade um den Ring am 14. Juni. Das komplette Programm der Vienna Pride findet sich unter www.viennapride.at.

Martin Darling

Vor Gericht zur Selbstbestimmung Die Genderklagen als queerer Aktivismus

Die Genderklagen nehmen den Weg über die Gerichte, um eine rechtliche Absicherung für nichtbinäre und genderqueere Personen zu erkämpfen. Dabei kann nur Schritt für Schritt und meist abseits der großen »kulturpolitischen« Diskurse gearbeitet werden. Aber was genau passiert bei den Genderklagen eigentlich, wozu braucht es sie und was wollen sie erreichen? ———— Können diskriminierte Gruppen die Gleichbehandlung einklagen? Zur Zeit wird diese Frage in Hinblick auf die Selbstbestimmung des eigenen Geschlechts wieder neu gestellt. Seit mit der Reform des zugrundeliegenden Gesetzes 1983 das Geschlecht im Personenstand miterfasst wird, ist es möglich, gegen die dort vorgenommene Einteilung auch rechtlich vorzugehen. Welche Geschlechter vermerkt werden können, ist dabei nirgendwo gesetzlich verankert, sondern basiert auf einem Erlass des Innenministeriums. Für eine Änderung der anerkannten Geschlechter bräuchte es in der Folge also auch keinen Parlamentsbeschluss. Das Ministerium legt die Gesetze allerdings so eng wie möglich aus. Ohne neue Gesetze oder ein Einlenken der Regierung bleibt nur der Gang vors Gericht.

Aktivistischer Staffellauf

Bis zur Anerkennung und Selbstbestimmung ist es jedoch ein langer Weg, von dem verschiedene Personen und Organisationen bislang diverse Teilstücke gegangen sind. Unter anderem wurde der Zugang zu einer Änderung des Geschlechtseintrags für trans Personen vereinfacht, indem der Scheidungszwang (2006) und der Operationszwang (2009) von

Organisationen wie Trans X weggeklagt wurden. Als Nächstes übernahmen der Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich, kurz Vimö, und Alex Jürgen* und klagten weiter, um die Angabe eines »dritten Geschlechts« in den Formen »divers«, »inter«, »offen« oder durch Streichung des Eintrags (2018) zu erkämpfen. Umgesetzt wurde dieses Urteil erst 2020 nach Strafanzeige gegen mehrere Amtsträger. Der Prozess zum tatsächlichen Eintrag dieser neuen Optionen ist dabei höchst pathologisierend und stützt sich auf medizinische Verfahren, denen sich inter Personen häufig nicht aussetzen möchten. Für nicht-binäre sowie genderqueere Menschen gibt es nach wie vor überhaupt keinen Zugang zu diesen alternativen Geschlechtseinträgen.

Quest nach Selbstbestimmung

Aktuell sind der Verein Nicht-Binär (Venib) und Pepper als Kläger*in der Genderklage an der Reihe. »Dank der Vorarbeit konnten wir die Staffel übernehmen und weiterlaufen«, so Pepper. Seit 2008 ist Pepper politisch aktiv und versuchte zunächst, auf dieser Ebene eine Lösung zu erzielen. Da sich jedoch keine reale Änderung abzeichnete, war Klagen der nächste Schritt: »Neben der Personenstandsklage, klagen wir kreuz und quer durch alle Rechtsgebiete, die sich uns anbieten auf unserem Quest nach Selbstbestimmung und Gleichberechtigung.«

Ursprünglich war die Genderklage eine Aktion von Pepper alleine, gleichzeitig wurde allerdings 2021 Venib mit einem ähnlichen Ziel gegründet. Die Zusammenarbeit

»In Österreich hat es Tradition, dass queere Rechte vom Verfassungsgerichtshof beschlossen werden und nicht vom Parlament.«
— Pepper, Genderklage

Pepper (links) klagt die Anerkennung der individuellen Geschlechtsidentität ein.

lag also nahe. Mittlerweile gibt es nicht mehr nur »die eine« Genderklage, sondern vier verschiedene Personenstandsverfahren: zwei mit dem Ziel der Streichung des Geschlechtseintrags, eines für die Eintragung »nicht-binär« und eines, um »divers« auch für nicht-binäre sowie genderqueere Personen zu öffnen. Daneben laufen noch weitere nicht personenstandsbezogene Klagen. »Wir als Community klagen seit vierzig Jahren gegen den Personenstand«, so Pepper. »Jetzt dauert’s wahrscheinlich nur noch ein paar Jährchen, im Endeffekt haben wir dann nach fünfzig Jahren vielleicht endlich einen sinnvollen Zustand erreicht.«

Ein langes Verfahren

Ein Prozess gegen den Gendereintrag fängt beim Magistrat beziehungsweise der Personenstandsbehörde an, dort wird der Antrag auf Änderung gestellt. Dieser wird – so die Erwartung – erst einmal abgelehnt. Eine Beschwerde wird eingereicht und es geht zum Landesverwaltungsgericht. Alle vier derzeitigen Verfahren der Genderklage wurden in

dieser Instanz bereits positiv entschieden, woraufhin die Behörden Berufung einlegten und das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ging.

In den beiden Verfahren zur Streichung des Geschlechtseintrags gibt es mittlerweile eine Erkenntnis des VwGH: Diese widerspreche inhaltlich der Regelung, dass man einen Geschlechtseintrag haben müsse. Und das, obwohl der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits festgestellt hat, dass es diesen nicht zwangsläufig brauche. Für die Verfahren zu »nicht-binär« und »divers« gab es zu Redaktionsschluss noch keine Entschlüsse – hier würde diese Argumentation nicht funktionieren. Vom VwGH ging die Klage zurück ans Landesverwaltungsgericht, welches sich nun an der Entscheidung des höhergestellten Gerichts orientieren muss. Insofern ist der zuvor positive Bescheid nun negativ. Innerhalb von sechs Wochen können nun Rechtsmittel ergriffen und Anträge auf Revision an den VfGH und den VwGH geschickt werden. Diese haben dann wieder unbegrenzt Zeit zu entscheiden. Danach ist der Rechtsweg in Österreich

erschöpft. Wenn der Bescheid am Ende immer noch negativ ist, geht es weiter zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

An sich ist das, was hier probiert wird, nichts Neues. Diese Verfahren wurden ja für trans und inter Personen bereits durchgespielt. Nun gilt es, die nächsten rechtlichen Nischen aufzubrechen und die Selbstbestimmung der Geschlechtsidentität auch nicht-binären und genderqueeren Menschen zuzusprechen. Langfristig wäre dann ein mögliches Ziel, den Geschlechtseintrag irgendwann gänzlich zu eliminieren. Denn, was sagt dieser schon wirklich über uns alle aus? Wie sinnvoll ist so eine Kategorisierung? Wie sehr limitiert sie uns und inwiefern verschleiert sie weit relevantere Unterschiede innerhalb einer einzelnen Geschlechtskategorie? Sind Körpermaße, Gesundheitsdaten und Leistungswerte nicht beispielsweise weitaus produktivere Spezifikationen in Bereichen wie Medizin oder Sport?

Selbstidentifikation

In Bezug auf den Personenstand scheint sich der Diskurs jedenfalls langsam in Richtung Self-ID zu bewegen, also hin zur Erkenntnis, dass jede Person selbst am besten weiß, welches Geschlecht sie hat. Im Weg stehen hier heraufbeschworene Bedrohungsszenarien verschiedener Medien sowie konservativer bis noch weiter rechts angesiedelter Gruppierungen, die vor Missbrauchsgefahr bei Selbstidentifikation des Geschlechts warnen. Zum Beispiel, wenn es um das Pensionsalter geht. Pepper dazu: »Wenn es Gesetze gibt, die bestimmte Geschlechter diskriminieren, dann gehört das Gesetz geändert. Wenn eine Person eine Lücke findet, mit der sie sich selbst schneller helfen kann, ist das für mich moralisch nicht verwerflich.«

Bis die Gesetzgeber*innen endlich Einsicht zeigen, wird der einzig gangbare Weg aber weiter über die Gerichte führen: »Klagen ist nicht unbedingt der Aktivismus schlechthin, aber in Österreich hat es Tradition, dass queere Rechte vom Verfassungsgerichtshof beschlossen werden und nicht vom Parlament. Es muss alles rechtlich erkämpft werden.« Wobei Gesellschaft und Recht durchaus miteinander verbunden sind: Richter*innen werden vom gesellschaftlichen Zeitgeist beeinflusst. Wenn Offenheit und Verständnis vorhanden sind, laufen die Verfahren auch einfacher ab.

Die Wirkung in die entgegengesetzte Richtung, also von der Rechtssituation auf die öffentliche Meinung, sieht Pepper kritischer: »Das Problem ist, dass speziell die genderqueere Bubble den meisten Menschen komplett wurscht ist. Bis auf eine kleine Gruppe, die versucht, Kapital aus der Hetze auf uns zu schlagen und Leute davon zu überzeugen, dass wir ein Problem seien. Der Hass, der uns entgenderklage.at

gegengeworfen wird, ist völlig unabhängig davon, was wir juristisch erreichen.« Welchen rechtlichen Geschlechtseintrag ein Mensch tatsächlich hat, ist nämlich für alle anderen im Alltag eigentlich irrelevant. Pepper: »Das fällt dir erst auf, wenn deine Dokumente nicht mit deiner Lebensrealität zusammenpassen und Räume nicht für dich gemacht sind.« Nicht-binäre und genderqueere Menschen werden hier als Ablenkung zur Zielscheibe gemacht: »Dann sind wir das Problem, und das eigentliche Problem ist keines mehr.«

Das Recht hacken

Zurzeit raten Pepper und die NGO Venib davon ab, neue Anträge zu stellen, weil diese zu keinen weiteren Erkenntnissen führen und bloß Ressourcen, Geld sowie Energie verbrauchen würden. Pepper selbst könne – zumindest im Personenstandsverfahren – auch nur still sitzen und warten. »Als Bewältigungsstrategie bringe ich jetzt halt andere Klagen ein.« So lasse sich etwa auch über Datenschutzrecht, Gleichbehandlungsrecht, Hassim-Netz-Gesetz oder Konsument*innenrecht gegen falsche Anreden vorgehen. Um gegen Diskriminierung aktiv zu werden, brauche es jedenfalls weder dokumentierte Zuordnung noch einen Geschlechtseintrag.

»Wir betreiben kreatives Upcycling von Gesetzen, die nicht für uns gemacht wurden.« — Pepper, Genderklage

»Wir betreiben kreatives Upcycling von Gesetzen, die nicht für uns gemacht wurden«, so Pepper. »Das funktioniert ganz gut, aber es wäre schön, auch eigene Rechte zu haben, die man dann durchsetzen kann. So muss man sich wehren mit dem, was da ist. Die Hoffnung ist, dass wir weniger ignoriert werden können, wenn wir beim Personenstand anfangen.«

Die Verfahren rund um Genderklagen zu führen, kostet einiges an Geld. Der Verein NichtBinär sammelt Spenden und sucht immer nach Unterstützung durch motivierte Jurist*innen. Weitere Informationen zum Thema gibt’s unter www.venib.at und www.genderklage.at.

FUNKENFLÜGE

Max Ulrich, bekannt als Bassist der Indierock-Band Bipolar Feminin, verbindet musikalische Energie mit literarischem Feingefühl: Sein Lyrikdebüt »Schwindel im Funkenschlag« balanciert zwischen Wirklichkeit, Täuschung und Wahrnehmung.

schwindel im funkenschlag im verbrennen des in der luft gelegenen gewölbt am rand nicht so rot

etwas früher liegt an diesem freitag meine farbe mein verzicht unauffindbar in deinem zimmer von der entfernung ausgegangen folgen mir die mücken in die laute nacht

zum farblosen horizont sehe ich die parallelen und in ausgestreckter form beugt sich mein arm an seiner schwestern stelle

eine scherbe milchglas ein stück draht damit baue ich eine sphäre denke mich exakt bis zu diesem schwarzen punkt

anstelle von worten finden sich gestalten im schaltkreisplan um an manchen stellen die absicht zu vollziehen wir wissen schon das signal ist nicht nur fremd es bietet sich dir an sitzt dir auf der brust und bleibt

meine tasche füllt noch einen becher nummern an kassetten nummern an den ringen der pupillen

zu verwelken hebt ein anderes quadrat mit feldern behangen empor

eine einsamkeit die uns vernimmt und im antwortschrei vermeintlich verbindet und durchtrennt

vielleicht steigt nun die sohle rückwärts an die anderen rückwärts an sie heran

sturz um zu verfallen biegt es bilder streng empor poren wie verdichteter beton blatt um blatt am trockenen asphalt risse im land in den felsen und wolken das pochen das unaufhörlich beginnt die wellen die bäume niederreißen warum wir uns gesehen haben es war kälter noch als gestern als ich am abend nachhause kam bei geöffnetem fenster war es tagsüber warm nicht gleich zu beginn auch nicht später gar nicht erzähle ich dir eine geschichte zum dritten mal du hörst sie zum dritten mal wir sitzen in deiner küche dein mitbewohner dein hund und dein mitbewohner der hund zum dritten mal

Zur Person

Max Ulrich war Bassist der Band Bipolar Feminin, bis diese Ende 2024 ihre Auflösung bekanntgab. Der 31­Jährige ist jedoch nicht nur Musiker, sondern hat auch Theater­, Filmund Medienwissenschaft sowie Sprachkunst in Wien studiert. Fast unbemerkt veröffentlichte er sein Lyrikdebüt »Schwindel im Funkenschlag« in der Edition Zzoo, einen Gedichtband voller aufgeladener Alltagsbeobachtungen. Der Titel weist die Richtung: Im Funkenschlag, diesem energiegeladenen Moment, der durch Reibung, Spannung und Kraft im besten Fall Licht ins Dunkel bringt, scheint für einen Augenblick alles möglich. Und der Schwindel löst herrliche Mehrdeutigkeit aus. Er begegnet einem in den kurzen Versen als kleine oder große Lüge, als Gefühl der Unsicherheit, Benommenheit oder als Verlust des (inneren) Gleichgewichts. Hier sucht jemand sprachliche Balance zwischen Wirklichkeit, Täuschung und Wahrnehmung. Tripolar.

Gewinnen thegap.at/gewinnen

Radio to go

1 Gerhard Stöger »Der Problembär«

»Die Abenteuer des Musikmanagers Stefan Redelsteiner am Rande von Wien, Wanda und Wahnsinn« schildert Musikjournalist Gerhard Stöger in dieser Biografie. Mit Problembär Records und dem Lotterlabel sowie als Verleger stieß Redelsteiner die Karrieren von Der Nino aus Wien, Wanda, Voodoo Jürgens und Stefanie Sargnagel an. Da kommen natürlich lesenswerte Geschichten zusammen. Wir verlosen drei Exemplare.

2 Barbi Marković »Stehlen, Schimpfen, Spielen«

Die Frau hat einen Lauf: Für »Minihorror« wurde Barbi Marković letztes Jahr mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet; ihr »Piksi-Buch«, erschienen im Oktober, in dem sie Fußball, ihre Kindheit und das Ende Jugoslawiens miteinander verschränkte, berührte zutiefst; und nun ein autobiografischer Essay übers »Stehlen, Schimpfen, Spielen« – abermals toll! Wir verlosen drei Exemplare.

3 Barbara Nothegger »Sieben Stock Dorf«

Auf der Suche nach einem neuen Zuhause schloss sich Barbara Nothegger vor mehr als zehn Jahren mit ihrer damals noch jungen Familie einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt an. In ihrer humorvollen Aufarbeitung erläutert sie, wie ein solches »Wohnexperiment für eine bessere Zukunft« gelingen kann. Eine erweiterte Neuauflage aus der Reihe »Leben auf Sicht«. Wir verlosen drei Exemplare.

4 Julia Bassenger »Schuhfabrik bleibt!«

Julia Bassengers Debütroman über eine junge Frau, die den patriarchalen Strukturen ihrer ländlichen Heimat entflieht und Anschluss im Kulturzentrum Schuhfabrik findet, handelt von häuslicher Gewalt, sexuellen Übergriffen sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch. Dabei zeigt er, was alternative Räume für eine Gesellschaft leisten können. Lustig, aber nicht unernst. Wir verlosen drei Exemplare.

5 Michael Mazohl »Die scheiß 80er-Jahre« Korruption und ideologische Machtkämpfe prägten das politische Österreich der 1980er-Jahre. Die Ära Kreisky neigte sich dem Ende zu, Kurt Waldheim wurde Bundespräsident, Jörg Haider übernahm die FPÖ – dazwischen stolperte die SPÖ von Skandal zu Skandal und der Neoliberalismus setzte zum Siegeszug an. Michael Mazohl über eine turbulente Zeit und ihre Nachwirkungen. Wir verlosen ein Exemplar.

Rezensionen Musik

Oska

Refined Believer — Nettwerk

08

Im Bus vergessene Lieblingspullis oder Züge, die man um Haaresbreite verpasst hat – wenn es um Dinge geht, die das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringen, rangieren Momente wie diese ganz weit vorne. »Isn’t it ironic?«, könnte man nun in Anlehnung an Alanis Morrisette fragen, doch Oska, die im Song »Final Straw« von genau solchen Missgeschicken singt, meint all das völlig unironisch. Sie gibt diesen vermeintlich kleinen Momenten viel lieber in all ihrer Ernsthaftigkeit Raum, denn das erwähnte Fass ist vermutlich sehr viel tiefer als es im ersten Augenblick scheint. Oder anders gesagt: Manchmal muss man aus der Mücke einen Elefanten machen, um tatsächliche Konfrontation zu ermöglichen. Vor der Konfrontation mit Verlust, Ängsten und Neuanfängen scheut die Musikerin auf ihrem zweiten Album mit dem Titel »Refined Believer« ganz und gar nicht zurück. Sie stellt sich diesen Zuständen und den damit verbundenen Gefühlen mit Haut und Haar. Mit viel Melancholie, aber auch mit ebenso viel Leichtigkeit. »Both my eyes are open / But all my doors are closed«, hält sie im folkigen Song »With Love, Your Clementine« fest. Aber Oska öffnet diese Türen immer wieder einen Spaltbreit, um Hoffnung und neue Menschen hereinzulassen. Um endlich wieder zu vertrauen. Bis sie schließlich an etwas glaubt, das größer als sie selbst ist, wie sie in »Like a Song« deutlich macht. Der pulsierende Beat unterstreicht die Dringlichkeit dieses Gefühls. »Refined Believer« ist ein Album, das Hoffnung macht. Auch deshalb, weil mit dem »Straw« im eingangs erwähnten Song ja auch der Strohhalm gemeint sein könnte, an dem man sich selbst aus jenem Sumpf zieht, in den man vor einiger Zeit hineingeraten ist. Und wenn einem das schon einmal gelungen ist, kann man ihn ja auch gleich nutzen, um auf einem Roadtrip mit dem Lieblingsmenschen kalte, sprudelnde Getränke zu schlürfen. Für Ausflüge dieser Art eignet sich »Refined Believer« im Übrigen perfekt.

(VÖ: 20. Juni) Sarah Wetzlmayr

Live: 4. Juli, Wien, Arena Open Air — 11. Juli, Gmunden, Salzkammergut Festwochen — 12. Juli, Feldkirch, Poolbar Festival

Rezensionen Musik

Ben Clean

The

Harbour of the Broken Hearted

DIY ist die Arbeitsweise des Musikers und bildenden Künstlers Philipp Hanich. »All songs written, recorded, played and produced by Bruch«, steht da zum neuen Album »The Harbour of the Broken Hearted« im Internet. Auch das Artwork stammt von ihm. Der Titel ist einer von vielen in jüngster Zeit, die Hoffnung und Desillusion zugleich ausdrücken. Hanichs Texte oszillieren zwischen dieser Kontradiktion, lehnen sich gegen die Dogmatik selbstgerechter Weltbilder auf oder finden sich am Ende in der Liebe wieder. Die Notwendigkeit dieses Ausdrucks von Sorge und Mut ist im gesellschaftlichen Diskurs so präsent wie lange nicht. Hanichs Hafen ist dabei ein glitzernder Hoffnungsschimmer im Gegensatz zu reaktionären Versuchungen, die im Stechschritt in die verklärte Vergangenheit marschieren. Die Kunst ruht hier in Opposition zur profanen Verheißung des politisch Destruktiven.

Wir hören klingende Landschaften, elektronisch beackert. Nervös, manchmal mit in sich ruhenden Loops kultiviert. Klanglandschaften, also Klangschaften, durch die das Konfektionsschlagzeug des Postpunk pflügt. Man hört den Pop, den New Wave und den Rock ’n’ Roll aus vergangenen Formationen, in denen der Künstler wirkte, nachhallen. Im Schlaglicht strahlen die orchestralen Synth-Elegien, durch die der Gesang dringt wie Grabesstimmen von Elvis und Cash, die in einer Art schallenden Verschmelzung wie Geister echoen: ein Reverb-Effekt, der nicht vor pastoral-sakralem Pathos zurückschreckt. Wenn Hanich also von der Kanzel predigt, passt auch die Orgel ganz gut ins Soundgefüge. Cineastisch, einem Ende entgegen taumelnd, von dem man nicht weiß, ob man es kennen will, wogen große Gefühle. Distanzlos und plakativ wird das Hohelied der Passion – transportiert in einer etwas überladenen Songgarnitur – gesungen: independent, ganz wie der Befreiungstheologe, der hier die Eucharistie des künstlerischen Ausdrucks als Chance für eine kränkelnde Gesellschaft begeht.

(VÖ: 6. Juni) Tobias Natter

Live: 4. Juni, Graz, Café Wolf — 11. Juni, Wien, Rhiz

Groß werden — Eintracht Pankow

Der Albumtitel soll bei Ben Clean wohl beschwörend wirken: »Groß werden«. Als Mensch? Als Künstler? Man soll hier vermutlich den Prozess, das Learning by Doing, feiern. Wir sind wahrscheinlich alle zum ersten Mal auf der Welt, manchen hört man es jedoch weniger an als anderen. Ben Clean schreibt Texte für seine Lebensphase, lebensnah. Sein Jargon und seine Wortwahl stehen genauso zwischen Hochtrabend und Abgrundtief – mit großem H und großem A –, wie sich Großwerden anfühlt. Manche Lieder wirken dabei kokett und selbstironisch. Aber wenn dann im nächsten Song eine nur bedingt erfolgreiche Parade an Metaphern in nur bedingt hintergründigen Texten folgt, fragt man sich, wie viel Ironie wirklich in den Zeilen steckt – und wie viel wirklich zwischen ihnen zu lesen ist.

Lässt man die Lieder ohne Text auf sich wirken, kann man sich mitunter im entspannten Sound verlieren. Solange man es rein bei den Vibes belässt, ist »Groß werden« ein Laisser-faire-Sommeralbum, der Soundtrack für ein Flunkyball-Turnier, für einen Abend am Donaukanal oder am Wohnungsbalkon (wenn man während des Großwerdens schon Bekannte mit Balkon hat). Doch die Lyrics wollen eine Tiefe vermitteln, die sie einfach nicht haben. Und auch wenn die Metaphorik als Oxymoron gewollt schief sein könnte – so richtig traut man das den Songs nicht zu.

Während Ben Cleans motivierte Textvermittlung und professionelle Produktion also eigentlich ein Schon-groß-Sein im Großwerden suggerieren, stören die Mittzwanzigerplattitüden das Bild. So bleibt »Groß werden« ein Album für ganz bestimmte Situationen: mit Freund*innen im Park, besoffen am Karlsplatz. Ein schöner Sound, bei dem man am besten nicht zu genau hinhört. Man wünscht sich, Ben Clean hätte diese Einfachheit durchgezogen und schlicht entspannte Feelgood-Musik geschrieben. Vielleicht muss er noch seine Nische finden. Sage ich, selbstverständlich vollkommen ironiebefreit.

(VÖ: 23. Mai)

Live: 6. Juli, Linz, Bubble Days 06

Veronika Metzger

Anna
Pühringer, Nikolas Rode, Tim Cavadini, Jasmin Baumgartner

Rezensionen Musik

Dramas

Jewel Drums — Fabrique

Da macht eine Band ihrem Namen mal alle Ehre. Also jetzt nicht so, wie man sich das beim Stichwort Drama mitunter denken könnte. Zumindest diesem Redakteur sind keine großen öffentlichen Eklats rund um Viktoria Winter und Mario Wienerroither bekannt. Nein, gemeint ist die musikalische Dramatik auf dem neuen Album des Duos. Das beginnt gleich beim Eröffnungsstück »Mannequin«, das sich mit flotter Bassline anschleicht, nur um dann mit markanten Drums und zurückgenommenen Synths eine satte Soundstage für Winters Vocals zu bieten. Wohl das beste Beispiel ist allerdings »Why Am I So Alone« mit seinem chorischen Einstieg, der wehklagenden Titelfrage und den – auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen – dramatischen Vergleichen, wie »I’m still soaking wet with tears / I feel like I’m Britney Spears«. Aber egal ob das Uptempo-Liebeslied »I Heard It on the Radio«, die trip-hoppige SpokenWord-Kontemplation »AFK Mode« oder die fast geflüsterte Mitnicknummer »Fame«: Sämtliche Tracks auf »Jewel Drums« zeichnen sich durch starke Kontraste, prägnante klangliche Szenerien und bewusst gesetzte Entscheidungen aus.

Jeansboy

Cruise Ship Selection I — Oops

Vielleicht hat sich der Drehbuchautor Lorenz Uhl mit Jeansboy selbst die Rolle jenes Musikers geschrieben, den er nun spielt. Hermes Phettberg ist ihm offenbar ein Begriff –ganz bringt man die beiden im Kopf aber nicht zusammen. Dieser Jeansboy jongliert mit Genres und Klangbildern der Unterhaltungsmusik. Mit sympathischem Selbstbewusstsein wird hier zitiert, werden durchaus formelhafte Zugänge aufgenommen und auch wieder fallen gelassen. Am besten funktioniert das auf »Cruise Ship Selection I«, wenn die Songs von einem gewissen Tempo getragen schwungvoll andrücken und nicht allzu reduziert bleiben. Das tun sie aber nicht immer.

Die Musikeridentität weiß um Bilder, Images und Stimmungen – als Jeansboy begibt sich Uhl in den großen, niemals ganz durchschaubaren Fluss der Musikgeschichte. Schlager wird zitiert, Bluesrock gestreift, mit DIY- und Lo-Fi-Ästethik wird nicht nur in elektronischen Klängen geschwelgt. Jene Nummern, die stärker ausproduziert sind, funktionieren dabei: Der Opener »Big Painting« bemüht eine Retrostilistik, die jener nicht ganz unähnlich ist, mit der etwa Voodoo Jürgens in den letzten Jahren Erfolge einfuhr oder auch Oskar Haag. »Blue Jeans Eyes« wiederum feiert die Sleazyness. »Austrian Dream«, ein Duett mit der auf internationalem Parkett bei Stones Throw Records tanzenden Sofie Royer, ist eine gelungene Retropop-Nummer, bei der man den Eindruck hat, dass selbstreferenziell ein österreichischer Blickwinkel auf die große Welt des Pop eingenommen und dabei auch gleich kommentiert wird. Weniger gut funktioniert so manch anderes Stück auf dem Album, bei dem Uhl in reduzierter Lo-Fi-Stimmung verharrt und Songs wie Sound weniger ausarbeitet.

Es ist gerade dieser letzte Punkt, der mir dieses Album so sympathisch macht. Wo andere schon mal den einen oder anderen Filler einbauen oder unter der eigenen musikalischen Handschrift das immergleiche Schema F verstehen, wirkt auf »Jewel Drums« alles handcrafted, bespoke – um zwei Marketingbegriffe zu bedienen. Man hat das Gefühl, da haben sich zwei hingesetzt und sich was überlegt. Und nicht jedes Mal den ersten Einfall einfach hingeklatscht, sondern daran geschliffen, bis das Ergebnis so richtig glänzen konnte. Nicht nur so alleine für sich, sondern auch im Ensemble der ganzen Platte. Denn in dieser Diversität, den Experimenten, den diversen musikalischen Zugängen bildet sich dann eben eine tatsächliche Handschrift ab. Die von Dramas nämlich, in all ihrer unnachahmlichen Dramatik. (VÖ: 27. Juni) Bernhard Frena

Der zwischen kulturellen Ausdrucksformen wechselnde Autor Uhl beziehungsweise Jeansboy agiert wissend und wirkt dabei abgeklärter, als es seine Ästhetik oberflächlich vermuten lässt. Man wünscht so mancher Nummer mehr Schliff – aber das wäre dann vielleicht eine andere Rolle und eben nicht mehr jene von Jeansboy.

(21. Mai) Martin Mühl

Rezensionen Musik

Orange Gone

Their Body Lay Bent above the Valley

Orange Gone glimmert schon seit einigen Jahren wie ein wärmender Schimmer in den Herzen derer, die wissen, wie man einen solchen wahrnimmt. Obwohl es dazu eigentlich nicht viel braucht: ein offenes Ohr und vielleicht einen Sinn für das Träumen in einer entrückten Welt. Ein Bandcamp-Account war bisher auch nicht von Nachteil, um einen der Hunderten selbst veröffentlichten Songs von Orange Gone aka Max Mrak im Äther der kreativen Unterströmungen zu finden. Oder man hatte das Glück, sich in einem der intimen Momente wiederzufinden, in denen Mrak – solo oder mit der Dreampop-Band Lavandine – den Raum zu nichts anderem gemacht hat als zu einem flimmernden Echo. In jedem Fall bricht Orange Gone mit »Their Body Lay Bent above the Valley«, das bei Numavi Records erscheint, ein weiteres Mal in diesen kaum fassbaren Moment zwischen Wachsein und Schlafen ein und katapultiert alle Träumer*innen und jene, die es noch werden wollen, in ein Universum voller Möglichkeiten, abseits einer reglementierten Welt.

Paloma 004 Alles fängt neu an — Fettkakao

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Alles bei Orange Gone lädt dazu ein, sich kompromisslos diesem Rausch hinzugeben – dem Augenblick, in dem man möglicherweise etwas Unerwartetes in sich selbst erkennt. Wer weiß, vielleicht ist das die »Flood Logic«, von der Mrak schreibt, die einen fließend durch einen Strom aus unbenannten Empfindungen schweben lässt. Vielleicht sind es aber auch die »Battles Barefoot«, die einen in dieses unschuldige Gefühl zurückversetzen, das zwischen zwei Menschen entstehen kann, wenn sie sich ohne Erwartungen begegnen. Gemeinsam mit Jeanne d’Arte, die von Mrak auf zwei Tracks gefeatured wird, erschafft Orange Gone auf »Their Body Lay Bent above the Valley« eine Dimension, die sich abseits des Binären und über die Grenzen der Valleys hinweg erstreckt. Das Album wird damit auch ein Zufluchtsort für all jene, die sich jenseits der Regeln und Normen unserer Welt bewegen. Für die, die das Dazwischen suchen und brauchen – denn hier schafft Orange Gone Zwischenräume, in denen man sich neu erfahren kann. (VÖ: 30. Mai) Ania Gleich

Dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt, wissen nicht nur panische Sportdirektor*innen von Abstiegskandidaten, die auf einen Trainereffekt hoffen, pseudo-motivational Linkedin-Posts, die gerade für Frischgekündigte nicht zu gebrauchen sind, und natürlich Hermann Hesse; das wissen vor allem auch junge Bands, wie die sehr gute Gruppe Paloma 004, die 2021 als Soloprojekt der Sängerin Lisa Obereder gegründet wurde und rechtzeitig zum Debütalbum zum Quartett gewachsen ist. Auf diesem, das noch dazu ziemlich rechtzeitig vor dem zwanzigsten Geburtstag des grundsympathischen Labels Fettkakao erscheint, präsentiert der Vierer eine sehr starke Mischung aus diversen Gitarrenrock-Genres. Wären die Plattenläden spezifischer (Grüße gehen raus an »Pop/Rock«), sie hätten Probleme mit der Einordnung: Postgrunge, Powerpop, Indierock, Nullerjahre-Garage. Überall dort könnten Paloma 004 einsortiert werden und die Gruppe wäre nie fehl am Platz. Genauso wie übrigens bei den Empfehlungen, weil wer die Rillen von »Alles fängt neu an« einmal zum Glühen gebracht hat, sieht sich demnächst dem Kauf eines sehr speziellen, noch zu erfindenden Plattenspielerfeuerlöschers gegenüber – du willst das nämlich immer wieder von vorne hören, damit du auch alles schön dechiffrieren kannst. Am Anfang fallen dir vor allem die Gitarren auf, die schön auf Distortion gepedalt sind. Da werden die Ordnungswütigen fragen: Ist das noch slacky Geschrammel oder sind das schon Powerchords? Dann: Gesang, sprachlich nicht unspannend, meist deutsch. Die englischen Sachen sind naturgemäß ein bisschen cooler. Schön zum Vibe passend werden die Vocals ein bisschen leiser reingemischt. Da sitzt noch nicht alles super. Aber weißt eh, der DIY-Ethos – das ist schon sehr schön gemacht. Wo’s dann wirklich zum Dechiffrieren fast eine »Micky Maus«-Beilage braucht, ist bei den Texten, die zwischen Melancholie und Alltag schon ziemlich verklausuliert sind. Was wiederum einfacher zu checken ist: Das ist schon ziemlich gut das Ganze, das kann und sollte man sich anhören, wozu es noch reichlich Gelegenheit geben sollte. Ist ja erst der Anfang.

(13. Juni)

Live: 26. Juni, Wien, Rhiz

Dominik Oswald

Moussa, Pat Blashill, Theresa Langner-Schibranji, Anja
Pöttinger

Rezensionen Musik

Sundrops! — Morinoko

Various Artists Pocket Songs —

Siluh

Live: 2. August, Rohrendorf, Kultur bei Winzerinnen und Winzern — 30. September, Wien, Konzerthaus 07

»Sundrops!« von Pressyes ist das happy-peppy Album für sonnige Tage im kommenden Sommer – der Sound tanzbar und gerade so vintage, dass es die Hörer*innen schnell in eine unbeschwerte Nostalgiestimmung versetzt, in der man schon mal die Welt vergessen kann. Der Zugang von Pressyes aka René Mühlberger wurde stark von seiner Rolle als frischgebackener Vater geprägt. Im Interview erzählt er, wie seine Tochter quasi die Tracklist für ihn zusammengestellt hat – nur jene Songs, bei denen sie mit ihm tanzen wollte, fanden den Weg aufs Album. Diese unbeschwerte Herangehensweise spiegelt sich in der Musik wider, die nicht mehr von stundenlangem Tüfteln und Nachtsessions geprägt ist, sondern den Moment feiert – das Erleben im Hier und Jetzt. Bereits der Albumtitel »Sundrops!« verspricht Sonne, und die vierzehn Tracks wirken wie eine ständige Aufforderung, dem Alltag zu entfliehen. Auch wenn die Melancholie nicht völlig verschwunden ist, nimmt sie eine untergeordnete Rolle ein. Deswegen wird es interessant, wenn Mühlberger darüber spricht, vielleicht irgendwann doch mal wieder ein melancholischeres Album aus den vielen ungenutzten Demos zu machen, die bei ihm rumliegen. Ein kleiner Wink, dass der gute Mensch auch mal in andere emotionale Gefilde eintauchen möchte – so für die Momente, in denen die Sonne nicht ganz so knallt und in denen die Wolken sich weniger gemütlich über den Horizont schieben. Besonders deutlich wird das in »Blue Datsun«, einem Track, der zwar ebenfalls warm und nostalgisch wirkt, aber dann doch mehr Geschichte in sich trägt, als man ihm zunächst zutrauen würde. Ein bisschen wie der heimliche Sidekick des Albums: Der Song zieht fröhlich seine Runden, aber da steckt doch einiges an emotionalem Ballast drin. Und genau das macht »Sundrops!« aus: Trotz all dem Sonnenschein und der guten Laune merkt man, dass hier jemand durchaus weiß, wie das Leben abseits des Yoga-Retreats funktioniert. Und dass Musik dabei hilft, diese Momente irgendwie aufzulösen und in etwas Positives zu verwandeln. Mit Rufzeichen. (VÖ: 30. Mai) Ania Gleich

08

Es folgt eine kleine, aber vollständige Liste von Dingen, die besser sind, wenn man erwachsen ist: Man kann sich aussuchen, wer zur Geburtstagsfeier kommt. Selbiges macht jetzt das Wiener Label Siluh Records, das bekanntlich der heimischen Szene einen so großen Stempel aufgedrückt hat, dass du zum Anheben des Stempels das aufsummierte Armschmalz aller Abstempler*innen brauchst, die jemals bei einem Konzert des Labels Handgelenke verschmiert haben. Und all jene, die schon einmal eine Plakatwand gesehen haben, wissen: Das sind verdammt viele. Als »passend« abgestempelt für den Geburtstagsrelease wurden dreizehn der aktuellen Label-Artists, die – das ist der Schmäh an der Sache – jeweils ihre aktuellen und auch gerne früheren Label-Kolleg*innen covern und in ihre Welt übertragen. Alleine mit den Namen der covernden Bands kannst du dir ein Wochenende den Gürtel buchen: Vague, Ischia, Potato Beach, Gardens, Dives, Topsy Turvy, Laundromat Chicks, Telebrains, Mile Me Deaf, Salamirecorder, Bad Weed, Comic Figure, Euroteuro – da geht schon was weiter. Die meisten davon werden auch selbst wiederum von anderen aus der Liste gecovert, aber auch Half Girl, Culk, Luise Pop und Tchi kommen zur Ehre, dass ihre Songs neu aufgenommen wurden. Halt immer im Stile jener, die sich des Songs angenommen haben. Da wird aus Pop Slackerrock, aus Jangle Bedroom, aus Garagenrock Americana.

Du merkst, das Label ist sich treu geblieben, vor allem in einer Sache: Siluh Records war immer ein Spielplatz, eine Ausprobier- und Anlaufstelle für Multiplikator*innen, die überall ihre Finger im Spiel haben. Wir denken da an Wolfgang Lehmann, Katarina Trenk, Florian Seyser-Trenk; wir denken da an Sex Jams; wir denken da auch an das Quasi-Update davon, an die A-posteriori-Supergroup Laundromat Chicks (Bild), deren vier Bandmitglieder gleich in fünf Beiträgen auf dem Sampler vertreten sind (Mitarbeitsplus, wer sie nennen kann). Vor allem aber denken wir bei diesem Sampler an die Stempel auf unseren Handgelenken und wie jeder einzelne der damit verbundenen Abende verändert hat, wer wir sein wollen.

(6. Juni)

Live: 13. und 14. Juni, Wien, Wuk

Dominik Oswald

11.09.2025

Termine Musik

Poolbar Festival

Unsere Freund*innen im Westen haben mal wieder ein buntes Programm auf die Beine gestellt. Im Alten Hallenbad beziehungsweise auf dem umliegenden Gelände sind beispielsweise zu sehen: Tocotronic (5. Juli), Voodoo Jürgens (9. Juli), Aloe Blacc (18. Juli), My Ugly Clementine (25. Juli) sowie Endless Wellness (30. Juli; Bild). Ach ja, im Vorprogramm von Letzteren: Spaß mit teils bestimmt unnützem Wissen beim Poolquiz – unter der Leitung von The Gap und Biorama. 2. Juli bis 10. August Feldkirch, Altes Hallenbad

Popfest Wien

Verifiziert und Paul Buschnegg (Pauls Jets), die diesjährigen Kurator*innen der großen Karlsplatz-Sause versprechen eine spannende Mischung für »ihr« Popfest: Es könnte wild, widersprüchlich und weird werden, lassen sie uns wissen. »Cool wäre es, wenn das Scheppern und Schmelzen so viel Hitze und Energie erzeugt, dass einem mindestens ein Jahr lang warm wird bei der Erinnerung. Das wäre unsere Popfest-Utopie.« Details zum Line-up folgen Anfang Juli. 24. bis 27. Juli Wien, Karlsplatz

Termine Musik

Amyl and the Sniffers

In der Pub-Rock-Szene Melbournes haben Amy Taylor und Co ihre Rotzigkeit auf ein eigenes Level gehievt. Und der ungestüme Sound der Band – Garage-Punk trifft dabei auf Siebzigerjahre-Rock – schnupft live so ziemlich alles weg, was sich ihm in den Weg stellt. Nicht nur für die vier ein großer Spaß. 24. Juni Wien, Gasometer

Wir sind Wien Festival

23 Tage, 23 Bezirke: Beim Wir sind Wien Festival werden Parks, Plätze, Kirchen, Schlösser und Baulücken in ganz Wien zur Bühne. Und das bei freiem Eintritt, denn der Anspruch ist es, Kunst und Kultur für alle zugänglich zu machen. In Sachen Musik sind zum Beispiel Oehl in Neu Marx (3. Juni) und Kässy am ehemaligen Nordwestbahnhof (20. Juni; Bild) mit dabei. 1. bis 23. Juni Wien, diverse Locations

CocoRosie

Es ist zwanzig Jahre her, dass den Schwestern Bianca und Sierra Casady mit dem Album »Noah’s Ark« der breitere Durchbruch geglückt ist. In ihrer freigeistigen Zusammenführung von Freakfolk, Pop, Elektronik, Hip-Hop und irgendwie auch Oper (Bianca ist vom Fach) stecken Intimität und große künstlerische Ambition. Das neue Werk »Little Death Wishes« wird nun live vorgestellt. 18. Juni Wien, Simm City

Springfestival

Seit 2001 begleitet das Springfestival die Entwicklung elektronischer Musik – in den Nischen, aber auch hin zur Breitenwirksamkeit. Lectures, Workshops und Diskurs ergänzen das Line-up, das stets auch einen beachtlichen Anteil heimischer Acts zu bieten hat. Mit The Streets feat. Mike Skinner (Bild) gibt’s wieder einen großen Namen als Headliner. 18. bis 22. Juni Graz, diverse Locations

Hermanos Gutiérrez

Die Gebrüder Gutiérrez – Alejandro und Estevan, ecuadorianische Mutter, Schweizer Vater – bringen mit ihrer Musik das Kopfkino zum Laufen. Gitarre und Percussions entführen in die Weiten der Wüste oder lassen das geistige Auge an einem Pazifikstrand in die untergehende Sonne blinzeln. In Wien gibt’s das Duo unter freiem Himmel zu erleben – top Kombi! 22. Juni Wien, Arena Open Air

Model/Actriz

Ihr einnehmend aufreibendes Debütalbum »Dogsbody« hat Model/Actriz 2023 aus dem New Yorker Underground auf die internationalen Bühnen katapultiert. Die Musik der Band lässt lärmenden Industrial Rock und zappeligen Postpunk mit verschwitztem Pop-Appeal kollidieren. Das hat nicht nur kathartische Wirkung, sondern ist auch immer wieder recht sexy – auf die darke Art. 30. Juni Wien, Chelsea

St. Vincent

Annie Clarks avancierter Pop verdreht vielen den Kopf. Nicht ohne Grund gingen so unterschiedliche Artists wie David Byrne (Talking Heads), Dave Grohl (Nirvana, Foo Fighters) und Taylor Swift eine Zusammenarbeit mit ihr ein. Im Tourgepäck mit dabei hat sie das aktuelle Album »All Born Screaming«. 24. Juni Wien, Globe

TV on the Radio

Gerade hat Tunde Adebimpe ein gelungenes Soloalbum rausgehauen, da geht er schon mit seiner Stammband auf Tour. Wie gut deren Fusion von Postpunk, Elektronik, Funk und Soul live funktioniert, lässt sich auch in Wien überprüfen – bei Hits wie »Staring at the Sun« oder »Wolf Like Me«. 25. Juni Wien, Gasometer

Termine Festivals

3 Fragen an Martin Vogg

Festivalleiter Viertelfestival

Auf welche Weise verbindet das Viertelfestival regionales Geschehen mit Kunst und Kultur?

Die Projekte müssen immer eine starke Verankerung in der Region haben. Die meisten werden von örtlichen Künstler*innen, Vereinen, Schulen oder Institutionen eingereicht – und auch wenn Projekteinreichungen nicht aus der Region kommen, benötigt es lokale Umsetzungspartner*innen. Ein wichtiges Kriterium ist generell, dass die Projekte in ihrer künstlerischen und kulturellen Wirkkraft überzeugen.

Das Motto lautet dieses Jahr »Begegnungszone«. Wer wird hier wem begegnen?

Menschen begegnen hier anderen Menschen und deren Kultur – und das in all ihrer Vielfalt. In Niederösterreich haben wir das Glück, dass Regionalkultur nicht gleichbedeutend mit traditionellen kulturellen Formen ist, die meist unter dem Überbegriff »Volkskultur« zusammengefasst werden. Diese traditionellen Formen findet man mit Blasmusik oder Wirtshausmusik auch im Rahmen des Viertelfestivals, wobei sie oft – wie zum Beispiel bei der Donauklangbrücke von Gilbert Handler in St. Andrä-Wördern – Teil eines künstlerischen Gesamtkonzepts sind, das Tradition auf eine neue, zeitgenössische Ebene hebt. In der Begegnungszone des Mostviertler Festivals kann man aber bedeutend mehr entdecken als das, was dem Land gerne als Kultur zugeschrieben wird.

Was sind deine Aufgabenbereiche als Festivalleiter?

Ich diene den Projektträger*innen als eine Art Dramaturg, Kulturcoach oder Sparringspartner. Manchmal greife ich dort steuernd in den Ablauf ein, wo ich sehe, dass sich etwas zeitlich nicht ausgeht oder ein spannender Aspekt zu wenig Aufmerksamkeit erhält. Manchmal weise ich auch auf Künstler*innen hin, deren Einbindung möglicherweise für das Projekt interessant sein könnte oder die selbst Interesse daran haben, an einem Projekt mitzuwirken. Und manchmal geht es einfach nur darum, eine gute Idee inhaltlich oder künstlerisch zu schärfen, zu präziseren. Ein Viertelfestival-Projekt sollte immer etwas Besonderes, eine Überhöhung des Alltäglichen sein – dabei versuche ich zu unterstützen.

Viertelfestival bis 20. Juli Mostviertel, diverse Locations

Kürzestfilm Festspiele

Kurz, kürzer, Kürzestfilm. Während allgemein gerne angenommen wird, dass ein Qualitätsstreifen à la Scorsese oder Tarantino eine dreistündige Laufzeit benötigt, um erst so richtig ernst genommen zu werden, bringen die Filme bei diesem Festival ihren Inhalt kurz und knapp auf den Punkt — ohne dabei aber an Spannung, Humor, Kreativität oder interessanten Kameraperspektiven zu sparen. In zwölf Sekunden präsentiert jeder Film einen blitzschnellen und doch durchdachten Einblick in die diesjährigen Kategorien Himmel, Hölle, Wahrheit und Pflicht. Damit macht das Festival das Beste aus der Kürze seiner Filmlaufzeit und zeigt, dass man oft gar nicht so lange drum herumreden müsste, wie es manche gerne tun. 18. Juni Wien, Gartenbaukino.

Termine Festivals

Sommerszene

Landschaften aus quietschbunten Seifenblasen vom Atelier Sisu (Bild), ein großes politisches Ausrufezeichen, die steinernen Treppenstufen eines Museums und ein Kreis voller splitterfasernackter Körper: Wie sich all das in Performancekunst einbinden lässt, zeigen die nationalen sowie internationalen Künstler*innen der Sommerszene mit ihren zwölf ausgewählten Produktionen. Dabei trauen sie sich, mit den Normen der Tanzwelt zu brechen, und präsentieren – mit dem heurigen Festivalthema – »Real Magic«, die fasziniert, provoziert und Grenzen überschreitet. 10. bis 22. Juni Salzburg, diverse Locations

Impulstanz

Bereits seit 1984 macht Impulstanz jedes Jahr aufs Neue ganz Wien zu seiner Bühne und trifft mit mehr als fünfzig Produktionen den Puls der zeitgenössischen Tanz- und Performanceszene. Ob in Theatern, Museen oder auf den Straßen, das Programm aus Performances, Workshops, Research Projects und musikalischen Acts ist überall in der Stadt zu sehen. Mit Performances wie von der international besetzten Akram Khan Company (Bild) nimmt uns das Festival mit von Saudi Arabien nach Bangladesch und weiter quer durch die globale Tanzwelt. 10. Juli bis 10. August Wien, diverse Locations

»Selbst wenn du sie nicht siehst, sind sie da.« Mit diesem Mantra greift das Sterrrn Fest nun schon zum vierten Mal nach den versteckten Lichtern im heteronormativen Himmelszelt unserer Gesellschaft und verhilft diesen zu einer Bühne. Organisiert vom Kulturverein Grrrls, stehen hier Musik, Diskurs, Performances sowie Workshops unter einem queer-feministischen und emanzipatorischen Sterrrn. 13. und 14. Juni Graz, Kombüse, Schaumbad und Forum Stadtpark

Austrian International Storytelling Festival

Mit Musik, Kostüm, Theater und einer Menge magischer Fantasie wird hier die Kunst des Geschichtenerzählens zum Leben erweckt. Und das nicht nur à la »Es war einmal vor langer Zeit …« oder »Und wenn sie nicht gestorben sind, …«. Mit traditionellem wie modernem Storytelling öffnen die Artists des Festivals Türen zu neuen Welten und sorgen dabei für eine große Portion Kindheitsnostalgie. bis 15. Juni Steiermark, diverse Locations

Volxkino

Spaziert man an einem lauen Sommerabend gemütlich durch die Straßen Wiens und stolpert plötzlich fernab jedes Kinos über verloren gegangenes Popcorn, befindet man sich vermutlich in unmittelbarer Nähe eines Volxkino-Standorts. Ob Gärten, Parks oder Wohnbauten, die Open-Air-Vorführungen finden an fast jedem Ort eine Leinwand und wandern unter freiem Himmel mit einem ausgewählten Filmprogramm durch die Stadt. 5. Juni bis 20. September Wien, diverse Locations

Festival der Regionen

Wie viel Potenzial steckt in Träumen? Eine ganze Menge, stellt das Festival der Regionen klar. Dabei setzt es sich mit seinen von internationalen Künstler*innen und lokalen Initiativen entwickelten Projekten das Ziel, den Traum von einem inklusiven ländlichen Raum zu realisieren und mithilfe künstlerischer Praktiken zwischen Themen wie Heimat, Arbeit, Migration und Zusammenhalt zu vermitteln. 13. bis 22. Juni Braunau, diverse Locations

Marius Glauer: Wait a Minute

Termine Kunst

Verhältnis der Fotografie zur Oberfläche heutzutage ein anderes als früher. Die flächig auf ein

Was den Bäumen die Baumringe sind, das sind den Muscheln die Zuwachsstreifen. An beiden lässt sich –in erster Linie –die Zeit ablesen. Vor allem im Fall von Muschelschalen, zeigt sich darin eine Parallele zur Fotografie, die in ähnlicher Weise als Projektion von Zeit auf eine Fläche verstanden werden kann. Doch ist das

Trägermedium aufgetragene Fotoemulsion ist Bildsensoren gewichen, das entwickelte Foto der digitalen Datei auf einem Screen. Marius Glauer geht diesen Entwicklungen und sich verändert habenden Konzepten von Oberflächlichkeit, Zeit sowie Fotografie in seiner ersten monografischen Museumsausstellung nach. bis 27. Juli

Linz, Francisco Carolinum

S cheffknecht / Bildre cht, Gerhard Rühm, Barbara Klampfl / Bildre cht, Lea Sonderegger

Termine Kunst

Angewandte Festival 2025

Hier eine Liste der Gründe, warum wie jedes Jahr (im Bild: 2024) Ende Juni das Angewandte Festival stattfinden kann: 1. Universitäten können sich frei für diese Events entscheiden – ohne politische Einflussnahme. 2. Unter Studierenden besteht die Übereinkunft, dass ein solches Festival keinen Verrat an den eigenen Werten darstellt. 3. Die Erde dreht sich weiter auf ihrer gewohnten Bahn – um die üblichen 23,4 Grad zu dieser Umlaufbahn geneigt – um die Sonne. 4. Die Stadtverwaltung billigt die temporäre Sperrung des Oskar-Kokoschka-Platzes für den Autoverkehr. 25. bis 28. Juni Wien, Angewandte

Mika Rottenberg: Antimatter Factory

www.mikarottenberg-antimatterfactory.com ist ein Rabbit Hole, das mit einer Mischung aus Slides, Links und Pop-ups dazu verführt, entlang der Themenblöcke »Color«, »ASMR«, »Antimatter«, »Queer Ecology«, »Remote« und »Labor« in das Werk der Künstlerin Mika Rottenberg einzusteigen. Dahinter (daneben) steht eine Ausstellung, eine echte. Begriffe, die öfter vorkommen, sind: Kapitalismus, surreal, Sinnlichkeit, Rottenberg, Mensch, Absurditäten, Natur. Gute Ausstellung, sagt mein Lieblingsprofessor. bis 10. August Wien, Kunst Haus

Cloud

Liddy Scheffknecht: Living Room

Das Motiv des Schattens lässt sich immer wieder in Arbeiten von Liddy Scheffknecht finden. Normalerweise legen Schatten räumliche Verhältnisse offen, doch bei Scheffknecht sind sie in dieser Hinsicht unzuverlässig. Auch ihre Arbeiten aus Karton, die zusammengeklappt werden können, wechseln zwischen Fläche und Körper hin und her. Die Pappskulpturen ihrer neuesten Ausstellung beschäftigen sich mit dem Thema Wohnzimmer – und welch besseren Ort gäbe es dafür als ein ORF-Landesfunkhaus? bis 14. September Dornbirn, ORF-Landesfunkhaus Vorarlberg

Gerhard Rühm: Noch immer jetzt

Sprache ist für Gerhard Rühm ein Material, das weit über seine Funktion innerhalb einer Grammatik hinausgeht. In seinem Werk werden Wörter auch als visuelle oder klangliche Erlebnisse begriffen. Vom Sprachlichen ausgehend integriert er weitere Ereignisse ins künstlerische Feld: Zufälle und wirkliche (schwerkraftbedingte) Fälle. Eine Retrospektive – Rühms erste Einzelausstellung fand 1958 statt – anlässlich des 95. Geburtstags »einer der letzten lebenden Legenden der österreichischen Nachkriegsavantgarde«. bis 5. Oktober Graz, Neue Galerie

Ort des Göttlichen, Zeichen des unendlichen, zur Eroberung verfügbaren Raums und Symbol der globalen Vernetzung in der heutigen Zeit: Die Wolke/Cloud bietet sich fortwährend als Bedeutungsträgerin an. Ganze achtzehn Künstler*innen, die von ebenso vielen niederösterreichischen Kunsträumen vorgeschlagen wurden, greifen dieses Motiv auf und entwerfen ein Panorama der Entwicklung und Vernetzung des physischen und digitalen Raums – und in Summe auch ein Panorama des regionalen Kunsthimmels. bis 17. August St. Pölten, Nödok Victor Cos Ortega Marius Glauer »Oyster« (2024, Fine Art Print), Lea Sonderegger, Mika Rottenberg / Hauser & Wirth, Helga Cmelka, Liddy

Imagining Piece

Yoko Ono, ein Wortspiel mit Frieden und eine Mitgliederausstellung – schwierige Vorzeichen. Vielleicht kann das gerade deshalb zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit Kunstbegriffen und Theorien zu Menschlichkeit führen. Ausgehend von einem Yoko-Ono-Buch mit Handlungsanweisungen zur Aktivierung der Vorstellungskraft (»draw a map to get lost«) soll die Kunst hier als praktisch-paradoxes Tool in den Dienst der Vergegenwärtigung des eigentlich Unmöglichen gestellt werden. bis 5. Oktober Wien, Künstlerhaus

Termine Filme & Serien

3 Fragen an Gerald Igor

Hauzenberger und Gabriela Schild

Regisseur*innen »On the Border«

Welche Rolle spielt Migration für die Stadt Agadez, in der euer Film angesiedelt ist?

Gerald Igor Hauzenberger: Unser Film veranschaulicht wie die Bevölkerung im Niger in ihren Autonomie- und Sicherheitsbestrebungen von einer amerikanisch-europäischen Einflusssphäre in eine russische Abhängigkeit geschlittert ist. Europa hat es nicht geschafft, eine neue Partnerschaft in Westafrika aufzubauen, was zu Demonstrationen und einem Militärputsch führte. Der neue Ansatz der EU war – jenseits kolonialer Wunden –, Niger sicherheitspolitisch zu unterstützen, ohne das Kommando zu übernehmen. Aber der Preis für die in Agadez ansässigen Tuareg war das Gesetz 0316. Dadurch wurde der Transport von Menschen aus dem Ausland ohne Arbeitsgenehmigung und ID kriminalisiert.

Wie erwähnt, seid ihr mehrmals in den Niger gereist, um euren Film drehen zu können. Welche Herausforderungen gab es dabei?

Gabriela Schild: Die erste Herausforderung war es, eine Drehgenehmigung zu erhalten. Wir nahmen Kontakt zum dortigen Filminstitut auf, wo man sofort begeistert war von unserem Vorhaben. Herausfordernd war auch die Sicherheitslage. Außerhalb der Stadt wurden wir mit einem Militärkonvoi von A nach B transportiert, durch unsere Kontakte genossen wir einen besonderen Schutz. Sonst konnten wir uns soweit frei bewegen und nah an die Menschen herankommen. Agadez war damals eine sichere und ruhige Stadt, weil auch viel Militär vor Ort war. Man vergaß schnell, dass man in der roten Sicherheitszone war. Nachts hatten wir Personenschutz. In der Stadt fühlten wir uns immer sehr sicher.

Wie ist die Lage im Land seit dem Putsch 2023?

Schild: Aktuell wäre es schwierig, eigentlich unmöglich, ins Land zu fahren oder eine Drehgenehmigung zu bekommen.

Hauzenberger: Die Situation hat sich für alle Menschen dort verschlimmert. Die Bestrebungen Europas, die sogenannte »illegale Migration« zu verringern und den Terrorismus zu bekämpfen, sind vorerst gescheitert. Die ganze Region wurde zum Pulverfass und die Zivilbevölkerung leidet.

»On the Border« Start: 13. Juni

Happy

Regie: Sandeep Kumar Happy (Sahidur Rahaman) ist vor vielen Jahren nach Österreich geflüchtet. Als sein Asylantrag abgelehnt wird, steht er vor der Abschiebung. Das ist schlimm für ihn, weil er seine österreichische Tochter (Rosa Anna Boltuch) zurücklassen muss. Regisseur Sandeep Kumar zeigt das verzweifelte Streben eines illegalen Einwanderers – mitsamt den Bergen an Bürokratie und den Härten der Gesetze. Realisiert wurde der Film in nur dreißig Drehtagen mit einem Bruchteil des eigentlich vorgesehenen Budgets. Über seinen Film erzählt Kumar im Interview mit der Plattform Austrian Films: »Einer meiner Gedanken war der, über einen Mikrokosmos ein globales Thema anzusprechen, warum der Mensch nie richtig glücklich sein kann, weil immer etwas fehlt. Man kann sich am Ende fragen: Wer war richtig glücklich in dem Film?« Start: 30. Mai

Happyland

Regie: Evi Romen »Eigentlich ist es ein Menopausenfilm«, meint Evi Romen im Interview mit The Gap über ihren zweiten Film. Benannt ist dieser nach dem Freizeitzentrum in Klosterneuburg. Ein Ort, zu dem Romen aufgrund ihres dortigen Zweitwohnsitzes einen persönlichen Bezug hat. Ihre Protagonistin Helen (Andrea Wenzl) muss ins Happyland zurückkehren, weil ihr jahrelanger Versuch, als Musikerin in London Fuß zu fassen, nicht von Erfolg gekrönt ist. In ihrer Heimat trifft sie auf alte Weggefährt*innen und einen jungen Mann namens Joe (Simon Frühwirth), zu dem sie gleich eine Verbindung spürt. Evi Romens Hauptfigur darf selbständig sein und verloren, auch unsympathisch. Ein Film über das Damals und das Jetzt und die Musik, die einen stets begleitet. Apropos: Die Wiener Band Leftovers spielt Helens alte Band in jungen Jahren. Start: 13. Juni

Barbara Fohringer
Miriam Raneburger, Sandeep Kumar Films, Amour Fou / Martin Gschlacht, Apple TV+, Net flix

Last of the Wild

Regie: Bernadette Weigel ———— An Interesse für ungewöhnliche Erzählformen in Essayfilmen mangelt es Bernadette Weigel nicht, das merkt man auch bei »Last of the Wild«. Die Doku sucht nach der Grenze zwischen Natur und Zivilisation. Was ist das Wilde? Und wann wird es uns gefährlich? Um Fragen wie diese zu beantworten, folgt sie »Tigermami« Carmen Zander, Wildhüter Pavel Fomenko und Body-Modification-Aktivistin María José Cristerna. Start: 6. Juni

28 Years Later

Regie: Danny Boyle ———— Der Nachfolger von »28 Days Later« und »28 Weeks Later« ist da: Mittlerweile sind drei Jahrzehnte vergangen, seit das Rage-Virus aus einem Labor entkommen ist. Eine kleine Gruppe von Menschen hat sich damals auf eine Insel retten können. Als Jamie (Aaron TaylorJohnson) und Spike (Alfie Williams) diese verlassen, empfängt sie eine neue Realität. Der Trailer verspricht spannungsgeladene Einblicke in postapokalyptische Gesellschaften. Start: 6. Juni

Die geschützten Männer

Regie: Irene von Alberti ———— Um ein Virus geht es auch in »Die geschützten Männer«, nur befällt dieses ausschließlich Männer. Die sind daraufhin besessen von Sex, begehen Übergriffe –und sterben schlussendlich. Die politische Satire thematisiert die Realität geschlechtsspezifischer Gewalt. Nur wird in diesem Film (der auf einem Roman von Robert Merle basiert) den Männern ihre sexuelle Grenzenlosigkeit am Ende selbst zum Verhängnis. Start: 20. Juni

Misericordia

Regie: Alain Guiraudie ———— Jérémie (Félix Kysyl) kehrt in seine alte Heimat zurück, denn sein ehemaliger Lehrmeister, der Bäcker Jean-Pierre (Serge Richard) ist gestorben. Er trifft auf alte Bekannte, unter anderem auf Vincent (Jean-Baptiste Durand). Als dieser verschwindet, steht Jérémie im Zentrum der polizeilichen Ermittlungen. Der Regisseur von »Der Fremde am See« reflektiert mit seinem neuesten Film über Leben und Tod. Start: 20. Juni

Zikaden

Regie: Ina Weisse ———— Isabells (Nina Hoss) Leben ist im Umbruch: Ihre Eltern kommen kaum noch ohne ständige Betreuung zurecht und ihre Ehe mit Philipp (Vincent Macaigne) steckt in der Krise. Im Wochenendhaus ihrer Familie begegnet sie der alleinerziehenden Anja (Saskia Rosendahl). Sie und deren Tochter Greta werden ein immer größerer Teil von Isabells Leben – trotz des Klassenunterschiedes zwischen den beiden Frauen. Start: 4. Juli

Stick

Idee: Jason Keller Das Leben könnte besser laufen für Pryce Cahill (Owen Wilson): Seine Karriere als Golfer ist längst vorbei und nun verliert er auch noch seinen Job in einem Sportgeschäft und sogar seine Ehefrau. Der einzige Lichtblick in seinem Leben ist das siebzehnjährige Golftalent Santi (Peter Dager), das er zu trainieren beginnt. In der halbstündigen Single-Camera-Serie dreht sich alles um die Möglichkeit von Neuanfängen – in Karrieren wie Beziehungen. ab 4. Juni Apple TV+

Squid Game (S03)

Idee: Hwang Dong-hyuk 2021 wurde »Squid Game« zum Überraschungshit. Die Mühen des südkoreanischen Regisseurs und Drehbuchautors Hwang Dong-hyuk hatten sich bezahlt gemacht: Bereits 2009 begann er mit der Entwicklung der Geschichte, seine Idee stieß aber zehn Jahre lang auf Ablehnung. Nun geht die Serie in die dritte – und letzte – Staffel und das Publikum erfährt, ob die von Seong Gi-hun (Lee Jung-jae) angestoßene Rebellion Früchte tragen wird. ab 27. Juni Netflix

Christoph Prenner

bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber

Screen Lights Salz in der Wunde

Jo mei, ich weiß auch nicht, wie ich mir das vorgestellt habe. Dass ich meine munteren Einlassungen zu allem, was mit bewegten Bildern zu tun hat, irgendwann mal wieder starten könnte, indem ich einfach direkt ins Thema springe? Ohne vorher die zuverlässig mit frischer Gülle gefüllte Kloake der Weltpolitik durchqueren zu müssen? Think again, kleiner Kolumnenfritze, think again! Doch tauche bitte vorher noch einmal ein in diese stinkerte Lauge aus Hybris und Hass, Niedertracht und kleingeistiger Rachsucht, an deren Odeur man sich zwar schon gewöhnt zu haben glaubte, die aber – wie in der Mockumentary »This is Spinal Tap« (deren Sequel übrigens tatsächlich noch dieses Jahr kommen soll!) – mittlerweile unverhohlen so up to eleven daherkommt, dass man sie sich wirklich nicht noch unentrinnbarer imaginieren kann. Gnadenlos wird die zone von morgens bis abends mit shit geflutet, bis auch den Allerabgebrühtesten der Atem stockt. Und wenn dann final alle zermürbt sind, geht es wohl erst richtig los. Womit auch immer. Will man so genau gar noch nicht wissen.

Drehgebärde

Dass irgendwann auch das Kino die Härten dieser neuen Realität zu spüren bekommen würde, war in dieser allumfassenden Narretei zwar absehbar, wurde aber gerne verdrängt. Bis schließlich die besonders brillante Eingebung in die gewiss darauf wartende Welt ventiliert wurde, man könne doch bitte auf Filme ebenfalls Zölle erheben. Zumindest auf jene, die es wagen, auch nur einen Produktionsschritt außerhalb des geilsten Landes dieses und jedes anderen Universums zu setzen. So unvernünftig kann man doch nicht sein, oder? Eben!

Wer sich aber nach der initialen Schockstarre über »Make Hollywood great again, bitte schen!« sogleich tausendundeinen Gedanken über etwaige Folgen oder gar konkrete Umsetzungsmöglichkeiten solcher Systemsprengungen machte, der hatte sich wohl schon viel tiefer in die Materie eingefuchst als alle beteiligten, sicherlich hochkompetenten Personen zusammen. Da hatte wohl so mancher Cowboy

zu heftig den Asphalt geküsst … Auch wenn sich die Nachrichtenlage zum Zeitpunkt der Lektüre dieser Zeilen erneut mehrfach gedreht haben wird (vermutlich in andere schreckliche Richtungen), lohnt es, sich vor Augen zu führen, was solch gravierende Verschiebungen der Voraussetzungen für die Situation eines Werkes bedeuten, wie dem, das im Zentrum dieser Kolumne steht – ein Film, der sicher nicht in einem Studio-Lot in Los Angeles oder in Georgia gedreht werden könnte. Weil er eben an eine ultraspezifische Kulisse gebunden ist; nicht aus künstlerischem Übermut, sondern weil es die Realität der Erzählung verlangt.

Into the Wild

»The Salt Path« (Kinostart: 17. Juli) basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Raynor Winn, der die wahre Geschichte einer mehr als langen Wanderung entlang der südwestenglischen Küste erzählt, bei der 1.000 Kilometer und 35.000 Höhenmeter überwunden wurden – sowie ein existenzieller Ausnahmezustand. Nach einer fehlgeschlagenen Investition und einem verlorenen Prozess haben Raynor (Gillian Anderson) und Moth (Jason Isaacs), ein Ehepaar in seinen Fünfzigern, gerade ihr Haus eingebüßt. Darüber hinaus hat Moth eine niederschmetternde Diagnose erhalten: Kortikobasales Syndrom –eine unheilbare neurodegenerative Erkrankung. Das mit dem letzten Ausweg wird wörtlich genommen. Deshalb geht es zu Fuß, mit Rucksack, Zelt und dem, was von Sack und Pack noch übrig ist, auf besagten Südwestküstenpfad – im Kampf gegen Wind, Wetter und Verzweiflung. Zugegeben: Das klingt nicht nach Hochspannung und filmischer Grenzgängerei, mehr nach Hashtag-Heilung, nach Social-Mediatauglicher Selbstfindung. Aber wie man von Werken wie Chloé Zhaos Oscar-Gewinner »Nomadland« (Thema der ersten Kolumne hier!) oder David Lynchs still-kraftvollem »The Straight Story« weiß, kann gerade von solchen entschleunigten Roadmovies eine eigentümliche Kraft ausgehen, wenn man sie auf sich wirken lässt. In dieser Tradition steht auch das

unaufgeregte Spielfilmdebüt der renommierten Theaterregisseurin Marianne Elliott. Mit poetischer, packender Bildsprache (Kamera: Hélène Louvart) und einem exzeptionellen Duo im Zentrum wird einfach von zwei Menschen erzählt, die aus der Bahn geraten sind – und doch nicht stehen bleiben wollen.

Marschierender Widerstand

Im Grunde darf »The Salt Path« als eine filmische Annäherung an Verlust, Veränderung und Versöhnung – mit sich selbst, mit anderen, mit der Natur – verstanden werden. Als eine Geschichte über das Altern, über die harsche Wildnis als Spiegel innerer Kämpfe, über das Gehen als Akt des Widerstands. Und natürlich: auch über einen Staat, der Menschen zunehmend durch soziale Netze fallen lässt. Freilich nur einen unter vielen.

Dass Jason Isaacs hier bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr im Rahmen einer Auszeit von existenziellen Abgründen umkreist wird, ist zwar ein Zufall, aber ein schöner. Denn wo in »The White Lotus« das Grauen satirisch zugespitzt im High-End-Hotel lauerte, taucht es hier nahe jener salzigen Gewässer auf, in denen Elliotts UK-Regie-Kolleginnen Andrea Arnold und Lynne Ramsay fischen, wo es auch mal sozialrealistisch und schmerzhaft zugeht.

Ob ein gewisser Staatenlenker am Ende vielleicht genau das mit seinen Drehgebärden (sic!) sagen wollte? Dass sich solche tragischen Geschichten ohne Weiteres auch in seinem vermeintlich geliebten Heartland abspielen könnten – mit Menschen, die unverschuldet vom System ausgespuckt wurden, nicht zuletzt vielleicht sogar unter Mitwirkung radikaler politischer Entscheidungen? Fraglich, ob das die Botschaft war, die er aussenden wollte. In gewisser Weise hat er es trotzdem getan. prenner@thegap.at • www.screenlights.at

Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Seriengeschehen.

Luca Senoner, BBC
Gillian Anderson und Jason Isaacs in »The Salt Path«

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Termine Bühne

La Gouineraie

Die selbsternannten »Lesben vom Lande« Rébecca Chaillon und Sandra Calderan sagen »baba und foi ned« zum Mythos der traditionellen, heterosexuellen, katholischen Familie – inklusive ihrer Ikonen Mama und Papa – und pflanzen stattdessen einen Lesbengarten: queer, wild, widerständig. Inspiriert von landwirtschaftlichen Gärten ebenso wie von Tschechows »Kirschgarten«, wächst hier keine Nostalgie, sondern eine radikale Utopie. Die Bühne wird zum Ort der Neuzusammensetzung, an dem alte Gegensätze und Verbote hinfällig werden. Ein Abend gegen Enge, Regeln und die immer gleichen Erzählungen. Für alle, die wissen wollen, wie Feminismus und Gouinerie (lesbische Liebe) Leben retten können. 18. bis 21. Juni Wien, Theater Nestroyhof / Hamakom

Verbranntes Land – Salty Irina

Wer »Verbranntes Land – Salty Irina« bisher verpasst hat, bekommt jetzt noch mal die Gelegenheit, es zu sehen, bevor das Schauspielhaus in die Sommerpause geht. Zwei junge Frauen schleichen sich undercover in das Sommerlager einer völkischen Bewegung, um rassistischen Gewalttaten auf die Spur zu kommen. Das Stück verbindet eine queere Coming-of-Age-Story mit politischer Dringlichkeit und fragt, was es wirklich braucht, um dem Faschismus entgegenzutreten – bedrückend aktuell, aber klug inszeniert, charmant und witzig. Und wer in die Sommerpause reinfeiern will, kann am 29. Juni die »Bühne austanzen«. Der letzte Abend der Spielzeit mit Afterparty im Usus (Eintritt frei). 24. bis 26. Juni Wien, Schauspielhaus

Ragazzi del Mondo –

Nur eine Welt

Pointierter und differenzierter als so mancher ExPolitiker zerpflückt das Aktionstheater Ensemble in »Ragazzi del Mondo« unsere Vorstellungen von Normalität. In der Theater- und Musikperformance werden sowohl die Schubladisierung in »gleich« und »verschieden« als auch die Zerspragelungen von »verschieden« in vermeintlich »verschiedener« hinterfragt und kritisiert. Das Stück ist eine kraft volle Performance über das Chaos und die Schön heit des Zusammenlebens. 10. bis 15. Juni

Theater am Werk / Kabelwerk — 26. bis 29. Juni

Bregenz, Theater Kosmos

Orlando

Mit »Orlando« nimmt sich Bettina Bruinier einem feministischen Klassiker an, der bis heute nichts an Radikalität verloren hat und in Women’s Writing und (Trans-)Gender Studies weiterhin intensiv be sprochen wird. Die Geschichte folgt dem adligen Orlando, der sich nach einem geheimnisvollen Schlaf plötzlich als Frau wiederfindet. Virginia Woolfs fiktive Biografie bringt Identitäten in Be wegung, lässt Jahrhunderte vorbeiflirren und sprengt Geschlechtergrenzen – zugunsten der Selbstbestimmung. 14. Juni bis 20. November Innsbruck, Tiroler Landestheater

Tapajós

Seit Jahren arbeitet Gabriela Carneiro da Cun ha an einem künstlerischen Forschungspro jekt zu bedrohten Flusslandschaften. Mit »Ta pajós« bringt sie ihre Auseinandersetzung mit dem illegalen Que cksilberabbau an einem der größten Flüsse Brasiliens nach Wien. Im Stück verschmelzen Kunst und Aktivismus zu einer inbrünstigen, ritualartigen Performance, in der die Geschichten der Uferbewohner*innen und Widerstandskämpfer*innen durch analoge Foto entwicklung zum Leben erweckt werden. Ein Dialog zwischen Tradition und Dringlichkeit. 7. bis 11. Juni Wien, Kosmos Theater

Im Rückspiegel

Nach der Uraufführung im Schauspielhaus Graz im Mai feiert »Im Rückspiegel« nun Wien-Premiere. Eine Statue, die jahrhundertelang den Hauptplatz einer Stadt prägte, ist verschwunden. Mit einem Ensemble aus Planetenparty-Performer*innen und Schauspielhaus-Spieler*innen entsteht ein musikalischer Theaterabend zwischen Stamm beisl, Spekulation und Stadtraum, der fragt: Was wird erinnert, was vergessen und wessen Erzäh lung setzt sich durch? Eine Einladung, kollektive Erinnerung neu zu verhandeln. 17. bis 21. Juni

Wien, Theater am Werk / Kabelwerk

Performances, Workshops, Konzerte, Partys und vieles mehr

Art Direction & Design: Cin Cin, Creative Studios; Fotografie: Isabelle Wenzel; Performerin: Sara Lanner

Service Notizen

Glossar

Gewidmet all denjenigen, die beim Lesen auf die eine oder andere Wissenslücke gestoßen sind.

Zu den Eisheiligen zählen eine Reihe von Namenstagen katholischer Heiliger von 11. bis 15. Mai. Historisch waren hier laut Bauernregel die letzten Frostnächte des Frühlings zu erwarten. Als Existenzialismus wird gemeinhin eine philosophische Strömung bezeichnet, die vor allem in Frankreich in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden ist. Im Kern der Betrachtungen von Denker*innen wie Sartre, Camus und de Beauvoir stand die Idee, dass Existenz vor Essenz komme. Das heißt, Menschen würden zunächst einmal existieren und müssten sich dann selbst einen Lebenssinn geben. »I Don’t Feel Like Dancin’« ist die erste Single des zweiten Albums der Band Scissor Sisters. Im Text geht es um den Überdruss an ständigen Partys und den Zwang, trotzdem bei sozialen Aktivitäten mitzumachen. Nebenbei: Elton John war bei dem Track nicht nur einer der Co-Autoren, sondern spielte auch Klavier. Hanky Code nennt sich die Praxis, sexuelle Präferenzen mittels verschiedenfarbiger Taschentücher in den Gesäßtaschen anzuzeigen. Hellblau steht etwa für Oralsex, Grau für Bondage. Der Code lässt sich auf die schwule Szene in San Francisco während des Gold Rush zurückführen und hat sich in den 1970ern in den ganzen USA verbreitet. Die »Naturalis historia« von Plinius dem Älteren ist die älteste vollständig erhaltene Enzyklopädie. Sie fasst das naturkundliche Wissen von vor 2.000 Jahren zusammen – inklusive diverser Mythen und Anekdoten. Pinkwashing bedeutet ganz streng genommen, dass Staaten oder Unternehmen, indem sie sich öffentlich queerfreundlich geben, andere ungustiösere Bereiche ihres Tuns überschatten. Mittlerweile wird der Begriff aber breiter für jede Form der scheinheiligen Unterstützung queerer Menschen benutzt. Der Personenstand eines Menschen erfasst sowohl dessen Daten wie Name, Geschlecht und Familienstand als auch diverse Ereignisse wie Geburt, Ehe, eingetragene Partnerschaft oder Tod. Bei den vielen Akronymen in queeren Bewegungen ist es manchmal schwer, nicht die Übersicht zu verlieren. Aber letztendlich haben sie doch alle ihren Sinn. QTI*BIPoC verschiebt etwa die Gewichtung hin zu Schwarzen und sonstigen rassistisch marginalisierten Menschen, die zudem unter den Regenbogen fallen.

The Gap 136 Juni 2013

Wien, du gar nicht mal so tote Stadt. ———— Kurt Prinz bebilderte 2013 mit seinem Reenactment des ikonischen »Wien du tote Stadt«-Fotos unsere Coverstory zum Thema Wienpop. Anders als in den 1980ern, in denen das Original von Michael Snoj entstanden ist, war dieser auch damals schon weiblicher und oft ironisch gebrochen, mit Schmäh – oder halt Smiley. Dass sich gleich drei Bücher mit dem Sound der Stadt beschäftigt und »dafür die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts komplett umgegraben« haben, nahmen wir zum Anlass, die Frage »Wie klingt Wien?« ins Jetzt zu holen. Unter dem Titel »Erschreckend großartig« führte Stefan Niederwieser dazu passend im Gespräch mit Patrick Pulsinger, Stefan Trischler (Trishes, Radio FM4), Cid Rim und Vera Kropf (Luise Pop) eine musikalische Bestandsaufnahme durch. Außerdem im Heft: Journalistin Ingrid Brodnig (mit Katze) und Schafhirte Simon Winterling (mit Hund) als »Menschen am Arbeitsplatz« in unserer Fotorubrik »Workstation« sowie – neben acht großen Rezis – zwanzig im twittertauglichen Kurzformat. Mit gestrengen Wertungen von 4/10 bis 7/10 (laut Legende: »okay, passt eh« beziehungsweise »super«).

P.M.K. Innsbruck

Zur Namenserklärung: 35 lokale Kulturinitiativen in der Stadt zu Füßen der Nordkette haben sich in der »Plattform mobile Kulturinitiativen« zusammengeschlossen, um gemeinsam einen Veranstaltungsort zu bespielen. Also ist die P.M.K. quasi ein Ort für diejenigen ohne Ort. Dementsprechend divers fällt auch das Programm aus: Musikveranstaltungen aus Genres wie Rock, Techno, Hip-Hop, Ambient oder Noise sowie Diskussionen zu politischen und kulturtheoretischen Themen. Also nahezu alles, was uns auch bei The Gap auf Trab hält. Viaduktbögen 18/20, 6020 Innsbruck

Wienxtra-Jugendinfo Wien

Junge Menschen im Alter von dreizehn bis 26 Jahren können sich in dieser zentralen Anlaufund Servicestelle nicht nur Infos und Beratung holen, sondern auch an Workshops teilnehmen. Babenbergerstraße 1, 1010 Wien

Shamrock Salzburg

Das Shamrock ist eine Institution unter den Irish Pubs in Mozarts Geburtsstadt. Schon allein dank der täglichen Livemusik – regelmäßige Karaokeabende inklusive. Rudolfskai 12, 5020 Salzburg

Daniel Jarosch

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Josef Jöchl

artikuliert hier ziemlich viele Feels

Sex and the Lugner City I Can’t Get No Sleep

Gerade entdeckte ich noch ein neues Zimmer in meinem Kleiderschrank, schon kündigten schrille Sirenen eine atomare Bedrohung an. Doch ich entschied mich, meinen Handyalarm zu ignorieren. Stattdessen verlängerte ich meinen Traum um neun Minuten und atmete noch ein bisschen in meinen Kopfpolster. Das musste mein körpereigener Sinn für Ironie sein: In dieser Nacht hatte ich mich stundenlang erfolglos in den Schlaf gequält, nur um mich an ihrem Ende in einem Koma zu befinden.

Am darauffolgenden Tag hielt ich mich nur mit Mühe auf den Beinen. Ein Mittagsschläfchen wollte ich allerdings tunlichst vermeiden – das würde nur dafür sorgen, dass ich den Schlafzug auch in der nächsten Nacht verpasse. Abends auf der Couch fielen mir dann die Äuglein zu, nur um wenig später im Bett so weit offen zu stehen wie die von Alex in »A Clockwork Orange«. Es ist manchmal wie verhext. Warum lässt sich mein Bewusstsein nicht einfach ausknipsen? Wie viele hundert Male muss ich mich wälzen? Warum ist ein geschwinder Schlummer so hard to get?

Weniger Kaffee

Diese Fragen kennen alle, die mit Schlafstörungen zu kämpfen haben. Mein jüngeres Ich hätte noch die Gegenfrage gestellt: Warum muss ich überhaupt schlafen gehen? Die Mama hat doch gesagt, dass ich als Erwachsener so lange aufbleiben darf, wie ich will! Aber der Schlaf würde souverän kontern: »Junger Mann! Ich erfülle lebenswichtige Funktionen für Körper und Geist. Solange du unter meinem Dach schläfst, bist du mir ausgeliefert! Also saufe nicht so viel Kaffee, damit du deine Adenosinrezeptoren nicht wieder völlig blockierst.« Und würde dabei extrem diabo -

lisch lachen. Ich weiß nicht, wie hilfreich es ist, sich den Schlaf als Person vorzustellen. Aber in meinem Kopf ist er ein hutzeliger, weißer, alter Mann, der mit Vorliebe junge Eltern piesackt und kinderlose, freshe Millennials wie mich, die mit einem zu awesomen Tiktok-Algo gesegnet sind, um ihr Smartphone für siebeneinhalb Stunden aus der Hand zu legen. Mit den Jahren bin ich zunehmend schlafloser geworden, aber auch reifer. Ich habe mich in der Zwischenzeit natürlich informiert: Das Zauberwort heißt »Schlafhygiene«. Damit sind so Netdoktor-Tipps gemeint wie regelmäßig zur selben Zeit ins Bett gehen, kein Essen im Bett oder vor dem Schlafengehen. Also insgesamt eher wenig alltagstauglich.

Insomnia ist Mainstream

Viel zweckmäßiger erschien es mir, mit Tabletten nachzuhelfen. Nicht mit Schlaftabletten! Der Schlaf-Wach-Rhythmus im Körper wird von Melatonin gesteuert. Das ist ein Hormon, das man sich praktischerweise auch beim DM besorgen kann. Allerdings hilft Melatonin nur beim Einschlafen, wenn kein körpereigenes mehr erzeugt wird, was bei mir noch nicht der Fall ist. Woher ich all diese Fakten kenne? Aus Gesprächen mit Leidensgenoss*innen. Von denen gibt es mittlerweile ziemlich viele. Insomnia ist nämlich Mainstream geworden. Literally jede eineinhalbte Person schläft hin und wieder schlecht.

Haben wir es hier also mit einem Zeichen der Zeit zu tun? Raubt uns etwa der Kapitalismus buchstäblich den Schlaf? Mit ziemlicher Sicherheit. Ich weiß nicht mehr, wo genau ich es gelesen habe, aber durch das Aufkommen der Stechuhren wurde die Schlaflosigkeit im Fin de Siècle zu einem Fluch, der seither permanent

auf erschöpften Kopfarbeiter*innen lastet. Seit ich das weiß, wünsche ich mir gravierende gesellschaftliche Umbrüche. In erster Linie, damit ich endlich wieder in Ruhe schlafen kann.

Restless Legs

Bis dahin heißt es jedoch, sich mit seiner nächtlichen Ruhelosigkeit zu arrangieren. Manchmal ist das beste Mittel gegen Schlaflosigkeit, sie zu akzeptieren. Du kannst dich eben nicht in die Entspannung zwingen. Es bleibt dir gar nichts anderes übrig, als deine Restless Legs in die Matratze zu stampfen, während dir die ungefilterten, irrationalen und überzogenen Gedanken einer schlaflosen Nacht durch den Kopf gehen: »Nie wieder werde ich mit ihm sprechen!«, »Ich mag die Mama viel lieber als dich!«, »Was hat dieses Arschloch eigentlich Besseres zu tun, als meinen liebevoll kuratierten Fotodump zu liken?« Das nächtliche Drama hat schließlich auch etwas Kathartisches.

Idealerweise lässt man sich aber von seiner Schlaflosigkeit nicht zu sehr stressen. Vielleicht steht man auch für ein, zwei Stunden wieder auf. Oder denkt über was Angenehmes nach. Zum Beispiel, wo in der Wohnung tatsächlich Platz für ein neues Zimmer wäre. Was man darin gerne machen würde. Wie aufwendig es wäre, eine Wand hochzuziehen. Was die Hausverwaltung dazu sagen würde. Wie man Handwerker*innen finden könnte, die so was easy hinkriegen. Man will schließlich keine zusätzlichen schlaflosen Nächte riskieren. joechl@thegap.at • @knosef4lyfe

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Erinnerungen haben keine Häuser«. Termine und weitere Details unter www.knosef.at.

Ari Y. Richter

OSKA

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