The Gap 182

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Astrid Exner

beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.

Männerdomäne Finanzmarkt Auch Larissa Kravitz hat sich in der Zwischenzeit Ziele gesetzt. Sie will 100 Millionen Frauen dazu inspirieren, für die Pension vorzusorgen und nachhaltig zu investieren. Zu ihren Workshops haben sich mittlerweile ein Buch und ein Podcast namens »Investorella« gesellt, in dem sie beispielsweise darüber spricht, dass öster-

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reichische Frauen erst seit den 1970er-Jahren ohne die Erlaubnis ihres Vaters oder Ehemannes ein eigenes Bankkonto eröffnen dürfen. Kein Wunder also, bei der jungen finanziellen Autonomie und dem großen Aufholbedarf, dass viele Frauen sich nicht an das Thema herantrauen. Laut einer Umfrage der deutschen Postbank im Jahr 2018 kümmern sich 29 Prozent überhaupt nicht um ihre Finanzen. Dabei haben gerade Frauen oft nicht den nötigen Pols­ter, sorglos mit Geld umzugehen. Ihr kennt die Statistiken: Wir verdienen schon beim Eintritt in die Berufswelt für die gleiche Arbeit weniger als Männer, landen häufiger in Teilzeitjobs, sind länger in Elternkarenz und haben es ungleich schwerer, die Karriereleiter hochzuklettern. Das Risiko der Altersarmut ist für Frauen aus all diesen Gründen viel höher. In ihrem Buch »Money, Honey!« zeigt Kravitz, dass Frauen in Österreich im Schnitt 38 Prozent weniger Pension bekommen und doppelt so oft von Altersarmut betroffen sind als der Rest der Bevölkerung. Diese sexistischen Strukturen können wir nur gesamtgesellschaftlich aufbrechen. Wo jedoch jede einzelne Frau einen Handlungsspielraum hat – solange ihr am Ende des Monats ein paar Euro übrigbleiben, und das ist bei Gott nicht immer der Fall – ist bei der Art, wie sie dieses Geld für sich arbeiten lässt.

Ein richtiges Leben im falschen? Untersuchungen zeigen, dass Frauen tendenziell vorsichtiger und weniger risikofreudig als Männer sind. Für eine in der Fachpublikation Nature veröffentlichte Studie wurde jungen Männern Testosteron verabreicht, um den Einfluss des Hormons auf ihre Risikobereitschaft zu untersuchen. Es ließ sie optimistischer an zukünftige Preissteigerungen glauben, was sie anfällig für risikoreiche Investments machte. So wird auch der Aktienmarkt häufig von Außenstehenden wahrgenommen: Mit der Energie einer Ansammlung von Raufbolden am Schulhof oder koksbenebelt und moralisch enthemmt à la »The Wolf Of Wall Street«. Wie

passen Vorsicht, Feminismus und nachhaltiger Aktivismus mit dieser Bully-Attitüde zusammen? Gibt es überhaupt ein richtiges Investieren im falschen System? Natascha Wegelin findet, dass Frauen sogar die besseren InvestorInnen sind. Ihr deutschsprachiger Blog »Madame Moneypenny« ist ein konstant guter Begleiter beim Weg zum ersten Investment und darüber hinaus. Sie ist eine Verfechterin von passiven Anlageformen wie ETF-Sparplänen und rät immer wieder dazu, möglichst breit den Weltmarkt abzudecken und dann idealerweise überhaupt nur einmal im Jahr ins Depot zu schauen, um sich nicht vom Auf und Ab der Märkte irritieren zu lassen. Pragmatisch ist Wegelin auch beim Thema Nachhaltigkeit. Wenn ein vermeintlich ökologischer Fonds in Aktien des Wasserprivatisierungskonzerns Nestlé investiert, kann man sich als AnlegerIn schon einmal verarscht vorkommen und möchte am liebsten gar nicht wissen, ab wann etwas als böse gilt. Es ist nun einmal die Mission von Aktiengesellschaften, einen möglichst großen Gewinn für ihre ShareholderInnen zu erwirtschaften. Wenn es den CEOs in erster Linie nicht mehr um ein bestmögliches Produkt, sondern um eine fürstliche Dividende geht, können Unternehmenspraktiken schnell ethisch fragwürdig werden. Wem es nur um Nachhaltigkeit und nicht um Gewinne geht, dem empfiehlt Wegelin daher, das Geld ganz einfach an eine vertraute Organisation zu spenden, denn dann sei es am besten angelegt. »Investorella« Kravitz sieht hingegen auch innerhalb des Finanzmarktsystems aktivistisches Potenzial: Wer an Firmen beteiligt ist, hat das Recht, sich auf Hauptversammlungen Gehör zu verschaffen. In welcher Form auch immer, sich mit dem Machtinstrument Geld zu beschäftigen, kann für Frauen nur von Vorteil sein. Wer jetzt loslegen will: Larissa Kravitz’ Pod­ cast »Investorella« hört ihr auf Spotify, iTunes und Podigee. Natascha Wegelins Blog »Madame Moneypenny« gibt es auch in Form von YoutubeLivestreams und einer Facebook-Gruppe. exner@thegap.at @astridexner

Foto: Wiener Wasser/Zinner

Die Kontrolle über meine Finanzen zu haben, das bedeutete für mich lange, mir mein Gehalt aufs niedrigst verzinste Konto überweisen und alles dort herumliegen zu lassen, was nach Abzug der Lebenserhaltungskosten übrigbleibt. Dass das Geld dort inflationsangepasst immer mehr an Wert verliert, ahne ich zwar, halte ich aber stets für ein Problem für future me. Im Herbst 2018 allerdings bringen mich die ersten Etappen einer Sinnkrise dem Finanzthema näher. Vielleicht brauche ich die rationalen Zahlen und kalten Daten als Ausgleich für meinen verletzlichen Gefühlszustand, jedenfalls bin ich selbst überrascht über mein neuartiges Inter­ esse an Geld. Ungefähr zur gleichen Zeit hat Larissa Kravitz genug davon, als Aktionärin und in ihrem Job in der Finanzwirtschaft ständig nur von Männern umgeben zu sein. Über das feministische Netzwerk Sorority bietet sie einen Investment-Workshop an, der explizit auf die Lebenssituationen von Frauen zugeschnitten ist. Frisch getrennt von einer in jeder Hinsicht mittelmäßigen Dumpfbacke – manchmal sind stille Wasser auch einfach nur seicht – suche ich nach intellektuellen Herausforderungen und da kommt mir die Idee ganz gelegen, in einem Safe Space die Übernahme der Weltwirtschaft zu planen. So passiert es, dass ich in Kravitz’ Workshop sitze und sich mir völlig neue Methoden der Selbstbestimmung eröffnen. Ich beschließe, mir bis zum nächsten Börsencrash das nötige Know-how anzueignen und fett in den Aktienmarkt einzusteigen. Im März 2020 ist es soweit. Mein Depot füllt sich mit ETFs (und dieser Satz hört sich für mich nicht mehr wie eine Fremdsprache an).

Michael Exner

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Gender Gap Ich investiere jetzt in mich selbst

22.07.20 01:29


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