Saubere Büros mehr wert als saubere Recherchen? Der Hauswart einer Zürcher Wohnbaugenossenschaft verdient 6200 Franken im Monat. Was ist der Wert journalistischer Arbeit?
n Michael Stötzel
umgehen können. Alle können sofort sehen, ob er gut gearbeitet hat. Die Klospülung darf eben nicht nur irgendwie tröpfeln, die Birne nicht nur hin und wieder leuchten.
5843 Franken, das ist weniger, als ein Hauswart bei einer Zürcher Wohnbaugenossenschaft verdient. Diesen Mindestlohn würde gemäss einer Umfrage von impressum und syndicom jedoch eine Mehrheit der befragten Journalistinnen und Journalisten akzeptieren. Dies entspricht dem Betrag im Gesamtarbeitsvertrag der Romandie.
Es fehlt an Zeit Viel schwieriger zu fassen sind die Prinzipien journalistischer Qualität. Recherche und Faktentreue brauchen Zeit. Ar gumentation und Haltung gehen im hektischen Alltag bisweilen unter. Eines allerdings ist unbestreitbar: Die Arbeitsbedingungen werden immer schlech-
Arbeit lässt sich beurteilen Nichts gegen die 6000 bis 6200 Franken des Hauswarts. Ohne ihn geht es nicht. Er braucht Kenntnisse in vielen handwerklichen Berufen, muss organisieren und mit geplagten Menschen
ter. Neugier und Hartnäckigkeit? Geschenkt. Dazu fehlt schlicht die Zeit. Das hat nur noch wenig zu tun mit der grossen Reportage, der aufsehen erregenden Enthüllung, der investigativen Recherche, von der BerufseinsteigerInnen träumen. Es passt nicht zur Überzeugung, nicht einen Beruf auszuüben, sondern einer Berufung nachzugehen: Mit grosser Leidenschaft und ohne auf Verdienst, Arbeitszeit oder Ferien zu achten – sofern die Miete bezahlt ist und andere sich um die Kinder kümmern ...
GAV als Lösung Auf Dauer geht das nicht gut. Ein GAV würde dies ändern. Gleiche Mindestlöhne im ganzen Land: Immerhin ein Anfang.
Kaum zu glauben! «Das ist fatal für den Das sagte Lebrument Journalismus» n Marco Geissbühler
Protesterklärung an Lebrument. Und forderten neue VerhandSeit 12 Jahren haben Medien- lungen. Auch in den folgenden schaffende keinen GAV und da- Jahren bemühten sich die Jourmit keine Lohnganalisten-Organisationen immer rantien mehr. Das wieder um einen hängt untrennbar GAV. Doch Lebru- mit der Person ment blieb stur. Hanspeter Lebruments zusammen. Auf seine Stur2004 versprach er heit ist er auch als neuer Verlenoch stolz: «Ärgerpräsident: «Ich gern würde mich, verhandle nicht wenn jemand über einen GAV, schreibt, dass ich Hanspeter Lebrument herumeiere.» der Mindestlöhne regelt.» Seither Jetzt, wo seine Bazieht er das durch. Auch sonst sis von ihm Verhandlungen verist Lebrument nicht um markige langt, tritt er zurück. Worte verlegen. 1999 will Lebrument seine ArSpiele unser beitgeberin Südostschweiz Meinteraktives Quiz dien übernehmen. Er droht dem letzten Verbleibenden der Verlebit.ly/2bQB9cS ger-Familie Gasser, keine Dividenden mehr auszuzahlen: «Du kannst deine Aktien nehmen, im WC aufhängen und jeden Tag anschauen. Du wirst keinen Stutz mehr sehen ...» Gasser lenkt ein. Lebrument wird Verleger.
«
Wir haben keinerlei Anzeichen, dass den Journalisten überhaupt etwas an einem GAV liegt.»
Stolz auf seine Sturheit Mit den Fakten nimmt es der oberste Verleger der Schweiz zuweilen nicht so genau. In seiner «Südostschweiz» behauptete er vergangenes Jahr: «Wir haben keinerlei Anzeichen, dass den Journalisten überhaupt etwas an einem GAV liegt.» Bereits 2004 unterschrieben über 2000 Medienschaffende eine
Vor 12 Jahren wurde der GAV in der Deutschschweiz und im Tessin abgeschafft. Warum eigentlich? Und was können wir JournalistInnen tun? Stephanie Vonarburg (syndicom) und Janine Teissl (impressum) geben Antworten.
Ein Viertel weniger
Widerstand gegen Entlassungen zahlt sich aus: Die Betroffenen beim «Tagi» profitierten vom Sozialplan.
Warum kennt die Presse im Tessin und der Deutschschweiz keinen GAV mehr? Vonarburg: Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument wollte keinen Dialog mit den Sozialpartnern, Deregulierung war das Zauberwort. Gegen tausend Medienschaffende wurden in den letzten Jahren gekündigt – da passten verbindliche Arbeitsbedingungen nicht ins Konzept.
Was sind die Folgen für den Journalismus und für die Mitarbeitenden? Teissl: Sie haben bei Stellenabbau weniger Zeit und weniger Geld zur Verfügung, um sich neu zu orientieren. Die Arbeitsbedingungen sind schwieriger geworden, die Angst vor einer Kündigung wächst. Viele wechseln die Seite. Für den Journalismus ist dieser Braindrain fatal. Es sen-
det auch ein negatives Signal an den Nachwuchs: Journalismus verkommt zu einem «Job», einer Zwischenstation.
sondern Verhandlungspartner. In letzter Zeit wird nicht verhandelt, sondern diktiert.
Warum bleibt der Protest aus? Könnten sich die Verlage einen GAV überhaupt leisten? Vonarburg: Natürlich, es ist eine Frage der Prioritäten. Gerade grosse Unternehmen wie Tamedia, NZZ, Ringier halten sich jetzt schon an einen Teil der Bedingungen eines GAV. Aber sie unterlaufen die Regeln, wenn es um Sozialpläne, Lohnerhöhungen oder die Honorare und Urheberrechte von Freien geht. Gäbe es einen GAV, wären die Mitarbeitenden nicht Bittsteller,
Was bisher geschah Kollektivverträge gibt es in der Medienbranche seit 1919. Im Sommer 2003 kommt es zum Bruch: Der Verlegerverband kündigt den Presse-GAV per August 2004. Seither herrscht in der Deutschschweiz und im Tessin der vertragslose Zustand, Verlegerpräsident Lebrument blockiert jeden Vermittlungsversuch. Mit der Aktionsserie «Jetzt schlägts 13» machen syndicom und impressum auf die verschlechterten Arbeitsbedingungen aufmerksam. Sie zeigen 2014 die grossen Verlage wegen Verletzung des Arbeitsgesetzes an. Auch Medienwissenschaftler und Politikerinnen kritisieren die Verleger. Im April 2015 mischt sich gar Medienministerin Doris Leuthard ein: sie wünscht sich vom Verband Schweizer Medien Verhandlungsbereitschaft Richtung GAV.
Teissl: Medienschaffende sind es nicht gewohnt, für die eigenen Rechte einzustehen. Sie konzentrieren sich lieber auf den Inhalt ihrer Arbeit, nicht auf die Rahmenbedingungen. Und viele sind am Anfang noch idealistisch und kümmern sich wenig um die Arbeitsbedingungen.
Wird es wieder einen GAV geben? Vonarburg: Am Verlegerkongress 2015 wurde klar gesagt, dass es wieder einen GAV braucht. Doch der Verhandlungsstart wird hinausgezögert. Arbeitnehmerseitig sind wir längst bereit.
Was können wir Journalisten tun? Teissl: Den GAV aktiv einfordern. Wenn die JournalistInnen im Kollektiv einen GAV verlangen, dann wird es einen geben. Anna Miller online weiterlesen bit.ly/2bV9cCM
Fotos: Keystone (2), syndicom, zvg
ZEITUNG FÜR GUTE ARBEITSVERHÄLTNISSE