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europas grösste HelDen
Petra Himmel
Und jetzt? Wie, so fragt man sich nach den Tagen von Medinah, soll dieser Ryder Cup in Zukunft bestehen? Jetzt, wo wir ein Maximum an Aufregung, an Spannung, an Emotionen hinter uns haben; jetzt, wo wir wissen: Besser kann ein Ryder Cup nie wieder sein. Wie, so stellt sich die Frage, lässt es sich in Gleneagles 2016 verhindern, dass der Kontinentalwettkampf zwischen Europa und den USA zu einer relativ müden Veranstaltung wird? Schliesslich haben die Europäer fünf der letzten sechs Begegnungen für sich entschieden. Und sie haben das scheinbar Unmögliche möglich gemacht und auf amerikanischem Boden einen Vorsprung der USA von 10 zu 6 in zwölf packenden Einzeln in einen Sieg Europas umgemünzt. Ein historischer Sieg also, eine Premiere. Spannender geht es nicht!
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GRösstMö GlicheR DRuck
Oder vielleicht doch? Schliesslich hatte auch das Drama von Chicago, das am Ende Europa mit 14,5 zu 13,5 Punkten gewann, einen Vorgänger: Kiawah Island 1991. Auch das war ein Herzschlag-Finale, ein Ryder Cup, der nicht wiederholbar schien. Man kann es puren Zufall oder klassische Ryder-Cup-Dramaturgie nennen, dass die Situation damals in South Carolina nahezu identisch war. In beiden Fällen entschied der Putt eines Deutschen über den Ausgang des Cups; beide Male brachte ein kleiner Zwei-Meter-Putt am 18. Grün die Entscheidung. 1991 wie auch 2012 war eine Spikemarke im Weg. 1991 schob Bernhard Langer den Ball knapp vorbei, teilte seinen Match gegen Hale Irwin und sank mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Knie. Die USA hatten den «Krieg an der Küste», wie man das Match wegen seiner feindlichen Atmosphäre bis heute nennt, gewonnen. 21 Jahre später befand sich Martin Kaymer in exakt der gleichen Situation. «Angst hatte ich nicht», sollte er später sagen. In der Situation des grösstmöglichen Drucks war der Gedanke an Bernhard Langer unvermeidbar: «Ich habe mir gedacht, ok, das wird nie wieder passieren.» Der Deutsche lochte, holte den entscheidenden Punkt für Europa. Das Bild Kaymers, wie er losbrüllt, hochspringt, die Fäuste reckt, wird wie jenes von Langer in die Historie eingehen (siehe Interview). tR auM Mit auf Den WeG GeGeBen
Der Erfolgreichste unter den Siegern und das Gesicht Europas: Ian Poulter.
Dabei sind es eigentlich andere Namen, die den Ryder Cup im Medinah Country Club prägten. Europas grösste Helden blieben am Ende Kapitän
José Maria Olazábal, Ian Poulter und Justin Rose. Letzterer, weil er auf den letzten zwei Löchern sein scheinbar verlorenes Einzel gegen einen bravourös aufspielenden Phil Mickelson mit zwei Birdies in Folge gewann. An Olazábal schliesslich wird man sich auf Dauer als jenen Kapitän erinnern, der seinem Team einen Traum mit auf den Weg gegeben hat. Eine Woche lang beschwor der Spanier die Erinnerung an seinen alten Vierer-Partner, seinen Freund Severiano Ballesteros: «Wenn Seve mir irgendetwas beigebracht hat», erklärte er schon zu Beginn der Woche, «dann ist es das: Gib niemals auf, weich niemals aus, in diesem Spiel ist alles möglich.» statue füR ian PoulteR «Ollie hat uns zu Beginn dieser Woche gesagt, dass der Ryder Cup aus Erinnerungen und Träumen besteht», schwärmte Ian Poulter später.
Als die Europäer sich am Sonntag in den Einzeln daran machten, den scheinbar unmöglichen Sieg doch noch Realität werden zu lassen, trugen sie die Silhouette des verstorbenen Spaniers auf den Ärmeln ihrer Shirts.

Keiner hat diesen Ryder-Cup-Traum von Medinah auf ähnlich intensive Weise gelebt wie er. Der Brite wurde zum Gesicht Europas in den USA. «Der Ryder Cup sollte ihm zu Ehren eine Statue aufstellen», formulierte José Maria Olazábal seine Anerkennung. Tatsächlich war Europas Sieg vor allem sein Verdienst. Am Samstagnachmittag, als sich die Vierer-Partien unweigerlich Richtung USA bewegten, die Hoffnung der Europäer zunehmend schwand, riss Ian Poulter sein Match noch einmal herum, spielte fünf Birdies auf den letzten fünf Löchern, zwang Zach Johnson und Jason Dufner in die Knie und gab Europa wieder Hoffnung. «Ich weiss nicht», versucht Poulter selbst seine Leistung beim Ryder Cup zu erklären, «es ist einfach eine spezielle Leidenschaft von mir. Es ist etwas, das von innen kommt.» Tatsache ist: Längst hat dieser Vergleichskampf zwischen den USA und Europa die Karriere des Briten definiert. Viermal hat er teilgenommen, zwölf Matches gewonnen, drei geteilt. Verloren hat er noch nie. Kein Major-Titel ist ihm so wichtig wie der Ryder Cup. Bei normalen ZählspielTurnieren bringt er eine ähnliche Besessenheit nicht auf. «Es ist, als sei er ein Schauspieler, der dann in diese Rolle schlüpft», beschrieb ihn Europas Vize-Kapitän Paul McGinley. «Er legt ein Kostüm an und verwandelt sich in diesen Typen. Und der Typ, den er da schafft, ist beim Ryder Cup einfach grossartig.»

PeRfekte stR ateGie Reichte nicht
Mit solch einer Vorstellung konnte Davis Love III nicht rechnen. Der US-Teamchef hatte eigentlich alles parat, was man für einen Sieg braucht. «Das hier ist die wahrscheinlich beste Ansammlung von zwölf Puttern, die wir jemals hatten», brachte es Tiger Woods auf den Punkt. Dazu kam eine eigentlich perfekte Strategie. Love III liess das Rough jenseits der Fairways von Medinah nahezu komplett entfernen, so dass auch Longhitter wie Bubby Watson oder Dustin Johnson kein hohes Gras mehr fürchten müssten. Hinzu kamen relativ einfache Fahnenpositionen, die unendlich viele Birdie-Chancen ermöglichten. Amerikas exzellente Putter mussten die Bälle nur noch versenken. Die Strategie ging auf bis zum Samstagabend. Am Sonntag in den Einzeln aber war der Zauber dahin; auch die Amerikaner haderten bei den Putts, der Ryder Cup begann, seine ganz eigene Dramaturgie zu entwickeln. «Das war sicher nicht das, was wir erwartet hatten», kommentierte Davis Love III die Niederlage mit dürren Worten. Die emotionalen Ausbrüche, die theatralischen Gesten waren nach ihrem Sieg den Europäern vorbehalten. «Ich bin sehr stolz, dass Ihr Europas Hände auf diesem Ryder Cup gelassen habt», meinte Olazábal. «Jeder Mensch stirbt, aber nicht alle leben. Mir habt Ihr diese Woche das Gefühl gegeben, dass ich wieder lebe.»
WooDs: «nuR WeG von hieR» Zu oft hat er diese Situation schon erlebt: Wieder ein Ryder Cup, wieder dieses Gefühl der
Leere, wieder eine Niederlage – inzwischen zum sechsten Mal. Am Ende stand Tiger Woods im Einzel mit seinem Gegner Francesco Molinari über seinem letzten Putt am 18. Grün – die Europäer hatten den Ryder Cup gerade verteidigt – und stellte sich die Glaubensfrage: «Es war völlig sinnlos, mein Spiel zu Ende zu spielen. Das 18. Loch spielen, wofür? Nur weg von hier», beschrieb er später seine Gefühle. Sieben Ryder Cups hat der Amerikaner seit 1997 bestritten, sechs Partien davon gewann Europa. «Ich bin mit Sicherheit verantwortlich dafür, weil ich die Punkte, die ich holen sollte, einfach nicht gewonnen habe», bekannte Woods schon vor dem Ryder Cup in Medinah kritisch. Seine Statistik ist mit 13 Siegen, 17 Niederlagen und drei Unentschieden nicht miserabel. Der Erwartungshaltung, die man an den dominierenden Spieler seiner Zeit hat, wird sie aber nicht gerecht. «Keine Ahnung, warum seine Bilanz nicht besser ist», wand sich Spielpartner Stricker in Medinah um die Beantwortung der Frage. «Jedes Mal, wenn Tiger rausgeht, konzentrieren sich die Jungs voll auf ihn und wollen ihn schlagen.» fast Wie BeiM ZahnaRZt
Alles in allem hat Tiger Woods die Ryder-CupAtmosphäre nie behagt. «Er sah aus, als sei er am falschen Tag zur falschen Party gekommen», spottete die britische Times 2002 einst nach seinem Auftritt im englischen The Belfry. «Früher war das für Tiger so, als wenn er zum Zahnarzt gehen müsste», versucht der NBCAnalyst Johnny Miller in Chicago eine
Erklärung. «Er wollte ein gutes Ergebnis, aber gefreut hat er sich nicht auf die Veranstaltung.»
Wie auch, wenn doch dieser Ryder Cup eigentlich all jenem zuwiderlief, was Woods schon als Kleinkind lernte? Profigolf ist ein Spiel für Individualisten, die sich und ihr Spiel in den Mittelpunkt rücken, im Sieg wie in der schlossenheit und seinen Perfektionismus. Tiger kann alles andere ausschalten und sich auf nichts als sein Golfspiel konzentrieren. Aber das funktioniert eben bei einer Teamveranstaltung wie dem Ryder Cup nicht besonders gut.» Und jetzt, wo so mancher Kollege mehr Menschlichkeit bei dem krisengeschüttelten

Niederlage allein im Rampenlicht stehen. Kein anderer Spieler hat die Abschottung der eigenen Persönlichkeit, die Zurückgezogenheit und den Tunnelblick auf ähnliche Weise perfektioniert wie Tiger Woods. Schon deshalb empfand er den Ryder Cup lange wie eine verkehrte Welt. Aus dem einsamen Streiter sollte ein Teammitglied werden, das abends nach dem Essen beim Tischtennis mit Kollegen abhing, statt allein im Zimmer die eigene Taktik zu vervollkommnen. Wie sich seit seinem ersten Ryder Cup in Valderrama herausgestellt hat, ist Woods für diese Situation nicht gemacht.
«Der Ryder Cup ist nicht Woods bevorzugte Art des Golfspiels», analysierte Butch Harmon, einst Coach von Woods, das Dilemma. «Er kann seine Vorteile da nicht ausspielen: seine extreme Ichbezogenheit, seine bedingungslose Ent-
Woods beobachtet, ist der Amerikaner in gewisser Hinsicht vom Pech verfolgt. Seine Bilanz in Medinah jedenfalls war zumindest auf dem Papier katastrophal: kein Sieg, drei Niederlagen, ein Unentschieden. Zum ersten Mal im Verlauf seiner Karriere sass der Superstar sogar ein Match lang auf der Bank, wenn auch – angeblich – auf eigenen Wunsch. Dabei spielte Woods bei beiden Vierball-Bestball-Partien zum Teil durchaus brilliant, die Punkte gingen fast ein wenig unglücklich erst am letzten Loch an die Gegner. Dass dem Amerikaner am Ende genau ein Punkt zum Sieg fehlte, ist nur ein Teil der Geschichte, deren Kernaussage sich auch im Medinah Country Club nicht verändert hat: Tiger Woods und der Ryder Cup – das passt einfach nicht zusammen.