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Unschuldig und gemein!

Weiss, rund, harmlos und von allergrösster Gemeinheit gleichzeitig, das ist ein Golfball. Dazu ist er auch Ursache eines enormen Konkurrenzkampfes zwischen seinen Herstellern, ist Gegenstand von Gerichtsprozessen und ist die pure Umweltverschmutzung. Aber – ohne ihn geht's nicht.

Das ist ein Artikel für die paar Leute unter unseren Lesern, die kaum etwas wissen über Golfbälle. Die Tausende von Experten sollten weiterblättern; ihnen können wir hier kaum etwas Neues bieten.

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Denn Neues gibt es genug. Wenn man liest, was auf den Schachteln unserer 15 Testbälle steht, dann begreift man, dass man keine Ahnung hat – auch nach dem Lesen noch nicht.

Da steht zum Beispiel: «Dauerhaftes Design kreiert lange Drives und noch längere Spielbarkeit». Oder: «Erstreckt Feeling und Bearbeitbarkeit auf die scorenden Eisen». Und: «Eine unglaublich dünne Schicht umgibt ei- nen sehr grossen Kern für bessere Elastizität und höhere Geschwindigkeit». Na ja. Einer hat das auf die Spitze getrieben: das Modell «Juice» kommt in einer Medikamentenschachtel und ist – rezeptpflichtig!

Das alles zeigt uns deutlich, was wir eigentlich immer schon vermutet haben: die Ingenieure fahren mit dem vierrädrigen, computerisierten Staubsauger durch die Werkstatt, schmeissen die eingesammelten Späne von ihren Experimenten in einen Atomisierer (ähnlich dem Hochofen einer mittelländischen KVA) und lassen das Schmelzgut in runde Kugeln giessen, packen diese Kugeln dann in weisse

Hüllen aus einem handelsüblichen Kunststoff und versehen das Ganze mit Dimples.

Die ganze Wahrheit

Wer jetzt denkt, das sei alles erstunken und erlogen, komplett daneben und eines hochwertigen Industrieproduktes nicht würdig, der muss weiterlesen. Denn:

• Auf den Schachteln steht genau das, was wir zitiert haben. Manchmal auch etwas Gescheiteres, manchmal noch Dümmeres.

• Die Ingenieure arbeiten eingestandenermassen meistens nach dem Prinzip «Trial and Error» – Ausprobieren und Verbessern. Vielleicht sind tatsächlich auch mal minderwertige Substanzen drin? Wer jedenfalls einen Golfball in zwei Hälften zersägt, der hat eine eigenartige, undefinierbare Masse vor sich. Was sicher ist: sie besteht aus einem Kunststoff, mithin also aus Erdöl. Der Rest bleibt geheim.

• Die weisse Hülle ist in den meisten Fällen eine handelsübliche Mischung, welche nicht selten von DuPont de Nemours kommt (Surlyn zum Beispiel ist eine Marke dieses Herstellers).

• Erst die Dimples bringen die Bälle zum Fliegen. Also, man sieht – alles wahr an dieser Geschichte, so unwissenschaftlich sie auch klingt.

Aber welche Wahrheit?

Golfbälle sind teuer; aber das ist gar nichts gegen den Preis, den ein Golfer vor zweihundert Jahren zu bezahlen hatte, als diese Bälle mit Vogelfedern gestopfte Lederhüllen waren. Damals waren die Bälle so teuer, dass sich wirklich nur wenige Leute das Golfspielen leisten konnten; und die Ballhersteller in Schottland genossen sehr viel Prestige. Heute dagegen sind ein Dutzend Bälle, wenn man es richtig macht, auch für weniger als 20 Franken zu bekommen; kugelrunde, weisse Golfbälle mit Vertiefungen auf der Oberfläche, jeder wiegt höchstens 45,93 Gramm und hat einen Durchmesser von mindestens 42,67 Millimeter (was 1,680 Inch entspricht). Aber sind so billige Bälle etwas wert? Oder anders gefragt: spielt man mit teuren Bällen besser? So gestellt, ist die Frage einfach zu beantworten – mit teuren Bällen spielt man besser. Das jedenfalls erzählen die Golflehrer ihren Schülern: nimm einen ordentlichen Ball, und du spielst besseres Golf. Ob das allerdings so stimmt? Wer hat den nicht schon mal eine wirkliche Superrunde mit einem alten, verhackten, schmuddeligen Ball hingelegt?

Die Psychologie der Golfbälle ist also heimtückisch, und wer abergläubisch ist, der versucht am besten, seinen Aberglauben für bessere Scores auszunützen!

Da sitzt es also, das Miststück, auf seinem Tee, und blickt abwechslungsweise zum Spieler, dann zum Wasser, dann wieder zum Spieler, mustert zwischendurch den Driver mit Verachtung, und dann grinst es den Spieler unverhohlen an. Lacht ihn aus. Du wirst nie und nimmer in der Lage sein, mich übers Wasser auf den Fairway zu hauen, du Flasche – man sieht ihm buchstäblich an, dass er das denkt. Der heimtückische Kerl, der im Dutzend einen Listenpreis von gegen hundert Stutz hat. Haben Sie auch schon, im letzten Moment, den schönen, neuen Pro V1 gegen einen gebrauchten Pinnacle ausgewechselt? Na also, wir sind unter uns, wir Angsthasen!

Die nächste Generation

Tatsächlich kann man kein Golf spielen, wenn man nicht ab und zu einen Golfball dem Risiko des Verlierens aussetzt. Das gehört einfach dazu –man gewöhnt sich daher am besten daran. Wir von der Golf-SuisseRedaktion haben uns auf dem Schweizer Markt umgesehen und uns ein Bild verschafft von den Neuigkei- ten, die man ab sofort in den Büschen, im Rough oder an den Waldrändern der Schweiz finden wird. Es ist beeindruckend, wie sich diese neuen Golfbälle ähnlich sehen; aber es ist trotzdem gelungen, Unterschiede dingfest zu machen. Nicht in der Distanz, die sie zurücklegen; das Reglement erlaubt keine Golfbälle, die «länger» sind. Nein, Tom, Mitglied des Testteams, hat herausgefunden, dass nicht alle Golfbälle von Steinplatten gleich hoch springen. Sie tönen auch nicht alle gleich, und das, haben wir gefunden, sind doch immerhin schon mal Kriterien bei der Auswahl. Martin, auch regelmässiger Tester, hat schon vor längerer Zeit die Dimples von Wilson als seine bevorzugten festgelegt, unbesehen der aerodynamischen Eigenschaften, die ihn kaum interessieren. Er weiss: alle Bälle fliegen gleich weit. www.jucad.de

Sehr viel Aufwand wird seitens der Hersteller auch in die Verpackungen gelegt. Formen und Farben spielen hier die entscheidende Rolle, was uns vor allem eines sagt – es geht ums Marketing.

Nimmt man alle diese Merkmale, dann sind immerhin substanzielle Unterschiede zwischen den 15 «getesteten» Bällen festzustellen. Dazu kommen die persönlichen Präferenzen jedes Golfers, jeder Golferin; die Logos, die Schriftzüge und die Frage, wie weiss das Weiss wirklich ist. Denn wie bei den Autos gibt es auch bei den Golfbällen vermutlich so viele Farbmischungen wie Ballhersteller –die Bälle sind tatsächlich weiss lackiert, das Weiss ist nicht die Farbe des Kunststoffes. Auf den Lack kommt am Schluss der Aufdruck des Herstellers.

Machen Sie sich ein Bild, liebe Leser, von der «next Generation» des banalsten, aber gleichzeitig auch wichtigsten Dings, ohne welches Golfspielen nicht möglich ist. Sie wissen ja –zum Golfspielen braucht's drei Dinge. Einen Club, einen Ball und eine Ausrede. Dass es der falsche Ball gewesen sei, das kann angesichts solch breiter Auswahl nicht akzeptiert werden…

Urs Bretscher

Für die Experten

Wer sich trotz der Unfähigkeit der Redaktion, sich in einem umfangreichen Balltest für irgend etwas festzulegen, für objektive Informationen interessiert, für den haben wir die wichtigsten Infos inklusive des Aufbaus dieser 15 neuen Ballmodelle übersichtlich zusammengestellt (lies: von den Schachteln abgeschrieben).

• Callaway HX Hot Plus: Kern aus einer elastischen Gummimischung, «Speed Layer» als Zwischenschicht, Ionomer-Hülle mit sechseckigen Dimples für geringeren Luftwiderstand.

• Callaway Warbird plus: der Kern ist weicher und schneller, Ionomer-Hülle mit sechseckigen Dimples für geringeren Luftwiderstand.

• Callaway Big Bertha Diablo: Kern aus einer Gummimischung, die die Ballgeschwindigkeit über einen breiten Bereich von Swingspeeds verbessert; Ionomer-Hülle mit sechseckigen Dimples für geringeren Luftwiderstand.

• Taylor Made Burner TP: Velocity-Kern, HPF-1000-Mantel, Iothane-56-Hülle mit 342 Dimples.

• Taylor Made TP Black: NdV4-Kern, Distanz-Zwischenschicht, gezogene Urethan-Hülle.

• Taylor Made TP Red: NdV4-Kern, Distanz-Zwischenschicht, Feel-Zwischenschicht für den soften Touch und die Spinkontrolle, gezogene Urethan-Hülle.

• Titleist Pro V1: grösserer, schnellerer Kern, dünne IonomerZwischenschicht, Hülle aus Urethan mit 392 Dimples

• Titleist Pro V1x: weicher Kern mit zwei Lagen, dünne IonomerZwischenschicht, Urethan-Hülle mit 332 Dimples

• Srixon Z-Star: Energetic Gradient Growth Kern, elastische Zwischenschicht, 0,02 Inch dünne Urethan-Hülle mit 324 Dimples

• Srixon Z-Star X: Energetic Gradient Growth Kern, elastische Zwischenschicht, 0,02 Inch dünne Urethan-Hülle

• Wilson Staff Dx2: Gummikern mit 50-Compression, PhD-Ionomer-Hülle mit flachen Dimples

• Wilson Staff Px3: Gummikern mit Null Compression, harte Zwischenschicht aus HPF-Polymer, PhD-Ionomer-Hülle mit flachen Dimples

• Nike One Tour: Kern optimiert für Speed, erste Zwischenschicht für Power-Transfer, innere Hülle für Feel und Spinkontrolle, äussere Hülle aus Urethan für einen langen, voraussagbaren Ballflug (sic!)

• Nike Juice: weicher Kern für Feel und Distanz für eine breite Skala von Schwungtypen, Ionomer-Hülle mit 312 Dimples verbessert Aerodynamik und Carry

• Onoff UV247S: Kern extrem gross für Elastizität und hohe Anfangsgeschwindigkeit, dünne Zwischenschicht, dünne Hülle mit 330 Dimples

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