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Das Knie des Planeten Golf
Seit seinem Triumph am US Open im letzten Juni hat Tiger Woods nicht mehr Golf gespielt. Er hat sich einige Schäden in seinem linken Knie operieren lassen, hat ein umfangreiches Rehabilitationsprogramm durchlaufen, hat sich seiner jungen Familie gewidmet, und er hat sich als Promotions-Profi profiliert. Aber das Golfspiel fehlt ihm, und er fehlt dem Golfspiel genauso! –Für uns Schweizer nach dem «Knie der Nation» von Pirmin 1987 schon das zweite solche Gelenk, welches es bis in die Weltspitze geschafft hat.
Es ist einigen Spezialisten unter den amerikanischen Statistikern vor einiger Zeit wirklich gelungen, einen Zusammenhang zwischen den Turnierteilnahmen von Tiger Woods und der Börse der Wall Street herzustellen –spielte Tiger am Weekend, so hatte die Börse am Tag darauf positive Tendenzen! Ob das Sinn macht oder nicht, das herauszufinden ist wohl müssig. Aber siehe da: Tiger Woods ist seit letzten Sommer verletzt, und die Börsen stürzen einige Wochen darauf in die tiefste aller Krisen. Zwar lesen und hören wir tonnenweise Erklärungsversuche für die Wirtschaftskrise; aber hat schon mal jemand an den «Tiger Woods Case» gedacht?
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Das Fehlen des besten Spielers des heutigen Golfs ist wahrscheinlich für die Börse nicht wirklich ein Problem – für das professionelle Turniergolf indessen schon. Bereits am letzten Major der Saison 2008, der US PGA Championship, wo Woods der Titelverteidiger gewesen wäre, lag das TVRating ganze 55% unter demjenigen des Vorjahres. Auch der Ticketverkauf für die Playoffs des FedEx Cup lag weit unter demjenigen von 2007. Das Genie hat die Tour verlassen, die Langeweile ist eingekehrt.
Und Padraig Harrington?
Trotz der Abwesenheit von Tiger hat es auf den Turnierplätzen nicht an Exploits gefehlt. Wie der Ire Padraig Harrington zuerst das British Open, anschliessend auch die PGA Championship gewonnen hat, das war magistral und hätte eigentlich viel mehr Resonanz verdient. Doch diesen beiden Siegen haftet natürlich ein Makel an – Tiger war nicht am Start! Harrington hat sich damit solide unter den Top Ten etabliert und steht jetzt bei drei Majors; zwei davon hat er Sergio Garcia unter der Nase weg abserviert. Doch Harrington hat nicht die Ausstrahlung, die ihn zum ganz grossen Spieler machen könnte: als er die Backnine der letzten Runden an den PGA Championship mit 11 Putts hinter sich brachte, ging das im Bedauern um den armen Sergio beinahe unter. Man stelle sich vor, oben am Putter hätte Tiger Woods hantiert… Auch die zweite Ausgabe der Playoffs des FedEx Cup, dem Finale der US
Tour, enttäuschte. Bereits vor dem letzten – entscheidenden – Event stand Vijay Singh als Sieger fest, so dass es am eigentlichen Finaltag um nichts mehr ging. Camilo Villegas, der smarte, gut aussehende Kolumbianer, nutzte die Bühne, um sich mit zwei Siegen erstklassig in Szene zu setzen. Jetzt hat er bessere Verträge als Model und Dressman, doch die ob des Fehlens von Tiger vergrämte Golf-Gemeinde hat auch er nicht aus der Reserve locken können. Nicht einmal der Ryder Cup Ende September, sonst immer für Hochspannung gut, wusste zu begeistern. Doch daran war dieses Mal nicht Tiger schuld, sondern Nick Faldo, der nach Meinung vieler «Experten» das europäische Team richtiggehend in die Niederlage gecoacht hatte. Doch vielleicht stürzten sich diese Experten nur aus Frust über die Langeweile auf den bedauernswerten Briten… Aber die Feststellung bleibt: ohne Tiger läuft nicht viel. Seit 1996 spielt er bei den Pros, und die 65 errungenen Siege in den PGA Tours, darunter 14 Majors, haben ihn ganz in die Nähe der absoluten Rekorde aufrücken lassen. Sam Snead hat am meisten Siege angehäuft; nämlich 82, Majors inbegriffen, und Jack Nicklaus ist mit 18 Majors in dieser Kategorie das Mass aller Dinge. Auch hier haben die Experten ihre Meinung abgegeben: man denkt allgemein, dass Tiger diese Rekorde übertreffen wird. Immerhin ist er erst 33, und er hat nach eigenem Bekunden bereits wieder ein gutes Gefühl für seinen Schwung. Seit Anfang Januar haut er wieder Bälle, aber seine Turnierpläne hat er noch nicht enthüllt. Man geht allgemein davon aus, dass er am US Masters Mitte April in Hochform sein möchte.
Tiger wie eh und je
Tiger Woods hat seit über zehn Jahren das Turniergolf in einer Art und Weise beeinflusst und verändert, die einmalig ist – aber wenn spielen wird, dann muss sich erst noch zeigen, ob das der Tiger ist, den wir kennen. Zwar glauben die wenigsten dieser Experten, dass er seine besten Zeiten bereits hinter sich hat; eine Mehrheit geht eher davon aus, dass er besser denn je spielen und siegen wird.
Natürlich weiss niemand, wie es in seinem berühmten Knie drin genau aussieht, auch wenn er seit Anfang Jahr regelmässig und optimistisch über seine Fortschritte berichtet – Anfang Februar hat er erstmals volle Schwünge mit dem Driver gemacht und gesagt, das fühle sich «great» an. «Bisher habe ich wenig auf die Meinung von Ärzten gegeben, habe vor allem auf mich selber gehört. Das muss ich wohl jetzt ändern. Dieses Mal war mir auch sofort klar, dass ich ziemlich schwer verletzt war!». Zur Erinnerung: Kreuzbandriss, Knorpelschäden und Stressfraktur zusammen… Tiger weiter: «Nachdem ich die vollen Konsequenzen kapiert hatte, letzten Sommer, stürzte ich mich nach der Operation in eine langfristige Rehabilitation. Ohne zu forcieren, ohne Eile, systematisch und diszipliniert. Ich wollte sicher sein, dass ich dieses Problem los war, ein für alle Male!»
Er liess sich auch nicht von der unangenehmen Perspektive irritieren, den Platz an der Spitze des World Rankings im Laufe des Jahres 2009 verlieren zu können, auch wenn die engsten Verfolger gegenwärtig nicht gerade durch überragende Leistungen beeindrucken. «Sam, meine Tochter, ist bald zweijährig; es war wie ein Geschenk, so viel Zeit mit ihr verbringen zu können. Sie ist in voller Entwicklung, und das hat mein Leben enorm bereichert. Wäre ich von Turnier zu Turnier geeilt, dann hätte ich das alles verpasst – so hat meine Verletzungspause auch eine sehr positiven Aspekt gehabt». Tiger stellte auch eine andere Überlegung an. Er erinnerte sich, wie man ihm schon vorausgesagt habe, sein Niveau nicht halten zu können, als er seine Verlobung bekannt gab. Das gleiche passierte, als er seine Frau Elin heiratete, und als Sam Alexis geboren wurde. «Alle diese Ereignisse haben mich zu einem besseren Golfer gemacht. Ich gehe davon aus, dass auch diese Pause nun etwas Ähnliches bewirken wird. Ich will nicht wieder der gleiche werden, ich will besser werden! Eine solche Etappe in der Karriere haben zahlreiche Spitzensportler erlebt. Wenn ich das mit dem Tod meines Vaters vergleiche, dem grössten Unglück in meinem Leben, oder mit der Geburt von Sam, meinem grössten Glück, dann ist ein verletztes Knie ja wirklich keine grosse Sache!».
Tiger noch besser? Why not…!
Tigers Trainer Hank Haney sieht viel Potenzial für technische Verbesserungen: «Seine etwas hektische Schwungauslösung und die Tatsache, dass Tiger eigentlich zu sehr nur mit seiner rechten Seite schwang, waren Schutzmechanismen. Ich erwarte, dass er künftig noch solider auf beiden Beinen steht, den Schwung auch aus beiden Beinen beschleunigt. Er wird rhythmischer schwingen, wird seine linke Körperseite besser ausnützen, und er wird vielleicht noch weiter schlagen».
Sollte Tiger also keine Länge einbüssen und mehr Fairways treffen? Auch in mentaler und physischer Hinsicht wird er mindestens so gut sein wie der alte Tiger – fragt sich nur noch, ob er gleich gut puttet. So oder so aber, Kollegen Mickelson, Harrington, Garcia, Kim und Konsorten, aufgepasst! Die Schonzeit ist bald vorbei, die Trauben werden vermutlich bald wieder deutlich höher hängen. Seit 8. Februar hat Woods einen Sohn – Charlie…
■ Jacques Houriet