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Nivellierung gegen unten droht
Seit 20 Jahren spiele ich Golf; ein gütiges Schicksal hat mich zu einem ziemlich guten Handicap (1) geführt. Noch immer liebe ich das Golfspiel, aber als Journalist muss ich es natürlich auch kritisch beobachten.
Als ich ein Anfänger war, gab es gerade etwas mehr als 30 Golfplätze in der Schweiz, auf welchen 15000 ASGCardholder spielten. Die Zulassungskriterien zu den Fairways und Greens waren damals deutlich höher als heute. Was wir heute «Platzreife» nennen und als Selbstverständlichkeit betrachten, das existierte noch nicht. Ich musste zuerst einmal Stunden nehmen, bis der Pro des Clubs es als verantwortbar erachtete, mich auch auf den Golfplatz zu führen – natürlich erst, nachdem ich das Regel- und Etiketten-Examen bestanden hatte. Dieser Test war nicht anders als heute; aber in gewissen Fällen konnte so leicht mehr als ein Jahr verstreichen, bis ein Neugolfer endlich einmal auch auf dem Golfplatz und nicht nur auf der Driving Range schwingen durfte. Der praktische Test dagegen war dann schon etwas schwieriger. Zusammen mit dem Pro mussten zwei Neunloch-Runden gespielt werden, die dazu dienten, ihn, den Pro also, davon zu überzeugen, dass der Schüler auch auf 18 Holes losgelassen werden konnte. Da ging es dann darum, wiederum unter permanenter Beobachtung des Lehrers, ein Score von nicht mehr als 40 Schläge über Par zu erzielen, wofür man dann Handicap 30 zugeteilt erhielt. Ein höheres Turnierhandicap sahen die Reglemente damals noch gar nicht vor; die Zeit, wo – incredibile dictu – 18 das höchste mögliche Handicap war, lag damals noch gar nicht so weit zurück!
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Unterdessen, wie wir alle wissen, ist in der Schweiz Handicap 36 das Mass aller Dinge. Mit diesem Schritt war die ASG aber nicht etwa vorgeprellt, sondern hatte das nachvollzogen, was in Deutschland oder Frankreich schon vorher passiert war. Handicap 36 sind 18 Doppelbogeys – ist jemand, der eine solche Runde spielt, turnierreif? Aber das ist eigentlich ja auch nicht mehr die Frage. Zu denken gibt mir, was heute in Frankreich und Deutschland bereits Tatsache ist:
Handicap 54 nämlich. Das sind 18 Triple-Bogeys, und wer dazu fähig ist, dem würden die meisten bestandenen
Golfer aus unserer Leserschaft als Spielpartner wohl eher etwas misstrauen. Wenn der Golfboom, die Öffnung des Spiels und was-weiss-ich-noch-was-alles zur Begründung und Legitimierung dieses Schrittes herangezogen werden, so ist das doch vor allem eine Nivellierung des Spielniveaus gegen unten. Unter dem
Oberbegriff «Demokratisierung des Golfspiels» driftet dieses langsam, aber sicher in eine Richtung, welche seinem ursprünglichen Sinn und Geist nicht entspricht. Allerdings finde ich diese «Demokratisierung» alles andere als schlecht, ganz im Gegenteil. Alle neuen Golfspieler und -spielerinnen sollen uns herzlich willkommen sein! Aber geben wir ihnen die richtigen Signale?
Denn wenn sich ein Spieler mit einem Handicap von beispielsweise 53,4 selber als vollwertiger Turnierspieler betrachtet, keine Lektionen mehr nimmt und sich an seinen 49 Stablefordpunkten freut, dann stimmt irgend etwas nicht mehr. Für uns anderen wird er zum ultimativen Ärgernis – er spielt nicht nur langsam, weil er viele Schläge ausführt oder häufig daneben schiesst, sondern weil er sich das Recht herausnimmt, jeden Ball minutenlang zu suchen und jedes Loch bis zum bitteren Ende fertig zu putten. Stichwort Putten: profimässig liest er seine Puttlinie von allen Seiten oder betrachtet sie gar am wie ein Senkblei gehaltenen Putter vorbei, ohne allerdings zu wissen, auf was er dabei ganz genau zu schauen hat. Kurz: das Idealbild des schlechten Beispiels.
«Slow Play» ist die schlimmste Seuche im Golf. Bei uns in der Schweiz hat es sich eingebürgert, von FünfstundenRunden auszugehen. Viele Clubmanager kämpfen darum, diesen Wert auf viereinhalb Stunden zu senken – darüber lachen die Schotten nur. Sie, die das heutige Golfspiel geprägt haben, spielen 18 Löcher in drei Stunden. Etwas anderes wird nicht toleriert.
Wenn doch die chronischen Langsamspieler wenigstens die schnelleren Flights ohne lange Debatten durchspielen liessen! Wenn sie doch endlich den Ball nach den ersten acht Strokes eines Lochs aufnehmen würden! Man sollte sie einmal zuschauen lassen, wie John Daly eine ParRunde in zweieinhalb Stunden spielt, ohne ein einziges Mal mit dem Putter die Senkblei-Nummer aufzuführen!
■ Jacques Houriet
Erster Abschlag einer typischen schottischen Dreistunden-Runde…