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The Incredible

Wahrlich: «Mr. Incredible» wäre der richtige Name für den Sieger der Open Championship – Tiger Woods, wie wir alle wissen. Denn unglaublich war die Demonstration, die er anlässlich der ganzen vier Runden, aber besonders am Sonntag Nachmittag abgeliefert hatte, um dieses beste aller Majors zu gewinnen. Woods lief auf zur Form seines Lebens; ähnlich wie Roger Federer kürzlich bei seinem Sieg in Wimbledon.

Dabei haben diese Open Championship in Hoylake, auf dem Parcours von Royal Liverpool, eigentlich vor allem Paradoxes zu Tage gefördert. Zuallerst ist aufgefallen, dass die Amerikaner, welche auf ihrer eigenen Tour nahezu ausschliesslich übergepflegte Parkland-Kurse spielen («dropand-stop»), unseren wind- und regengewohnten LinksSpezialisten kaum eine Chance liessen. Bei sehr wenig Wind und knochentrockenem Boden; aber trotzdem. Nach der dritten Runde konnten sich noch rund zehn Spieler – alle innerhalb weniger Schläge – berechtigte Hoffnungen auf den Sieg machen. Zusammen auf die Schlussrunde gingen Woods und Sergio Garcia, Chris DiMarco und Ernie Els, Angel Cabrera und Jim Furyk, und zweitbester Europäer war der Engländer Greg Owen auf dem 10. Zwischenrang. Garcia schien mit bloss einem Schlag Rückstand die besten Chancen zu haben, endlich sein erstes Major zu gewinnen; und Spannung schien garantiert. Doch der einzige, der das Tempo von Woods mithalten konnte, war ein Amerikaner. Denn bereits auf den ersten paar Holes manövrierten sich Els, Furyk, Cabrera und vor allem Garcia durch ein paar Bogeys selber aus der Entscheidung. DiMarco jedoch konnte den Abstand zu Tiger halten und rückte nach dem 11. Loch plötzlich auf einen Schlag heran. Ein bisschen Spannung kam auf, aber bloss für einen kurzen Moment. Denn der Meister überliess nichts dem Zufall, blieb seinem Game Plan treu und machte gerade einen einzigen kleinen Fehler.

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Es war genau dieser Game Plan, der diesen Sieg als Krönung einer nahezu perfekten Leistung erscheinen lässt. Was wir gesehen haben, und was uns Tiger Woods in verschiedenen Interviews selber mitgeteilt hat, das ergibt ein abgerundetes Bild. Einige Mosaiksteinchen dazu müssen wir uns selber ausdenken –doch das ist nicht allzu schwierig.

• Vor Turnierbeginn hat Woods das gemacht, was wir Amateure auch tun sollten. Er hat auf dem Platz trainiert, hat sich genau überlegt, wo die Schwierigkeiten liegen, und hat sich einen Schlachtplan geschmiedet.

• Die entscheidenden Schläge in seinem Plan waren in Hoylake die langen Eisen und die Annäherungsputts. Diese hat er speziell trainiert; die Putts noch anschliessend an die dritte Runde, auf welcher er dreimal drei Putts hinnehmen musste.

• Ausser auf zwei, drei Holes setzte er für den Abschlag ein Eisen 2 oder 3 ein. Seine Strategie sah vor, mit seinen Abschlägen kürzer zu bleiben als die Distanz zu den FairwayBunkern. Das hatte, wie er in einem TV-Interview selber sagte, den Vorteil, dass er die Länge seiner Abschläge kontrollieren konnte. Hätte er mit dem Driver abgeschlagen, wäre sein Ball auf den extrem harten, schnellen Fairways vielerorts zu lang gewesen und in der Kurve des Dogleg ins Rough gerollt. Als Konsequenz dieser Strategie musste er hinnehmen, längere Approaches zum Green zu haben.

• Für die Schläge zum Green zielte er konsequent zur Greenmitte. Es ging wieder darum, die Bunker aus dem Spiel zu nehmen. Von der Greenmitte ergab sich eine typische Länge für den ersten Putt zu vielen Fahnenpositionen: rund 10 Meter. Genau diese Putts übte er stundenlang.

Natürlich braucht es einen Tiger Woods, um einen über 7000 Yards langen Links Course nahezu ausschliesslich mit Eisen unter Par zu spielen. Seine Kraft, seine Koordination und sein perfektes Timing lassen ihn diese schwierigsten aller Clubs beherrschen wie kaum ein zweiter. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten war sicherlich der Schlüssel zum Erfolg. Doch auch punkto Motivation liess er nichts anbrennen: Woods wollte diesen Sieg um jeden Preis, und der kürzliche Tod seines Vaters hat da sicherlich eine enorme Rolle gespielt.

Aber mit dem letzten Putt war das Open noch nicht beendet. Tiger Woods brach unter aufgestauten Emotionen und nach dem Passieren der Ziellinie zusammen – Konzentration und Kontrolle waren plötzlich nicht mehr nötig. Als Sieger weinte er sich zuerst in den Armen seines Caddies Steve Williams, anschliessend auch bei seiner Frau aus und zeigte sich für einmal menschlich und verletztlich – er, der sonst immer ein unnahbares, abweisendes Äusseres zur Schau stellt. Dieses «Monster der Selbstkontrolle» hatte genau diese verloren – allerdings, im Unterschied zu seinen Gegnern, erst nach dem Gewinn des Open und des Claret Jug!

■ Jacques Houriet

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