5 minute read

um Tiger W.

Tiger hat das diesjährige US Masters gewonnen. Gegen Chris DiMarco, mit einem gelungenen Birdie Putt am ersten Zusatzloch. Der Weg zum Sieg war indessen ziemlich holprig. Nach der ersten Runde lag er um sieben Schläge zurück, und sein Selbstverstrauen schien angeschlagen nach einem Bogey, das ein Eagle hätte sein können.

Am 13. Loch, einem Par 5, geriet sein Eagle-Putt zu lang, und der Ball rollte am Loch vorbei über das Green hinaus in ein Wasserhindernis. Tiger besah sich den Schaden, liess sich von seinem Caddie einen neuen Ball geben und, anstatt zu droppen, legte er diesen aufs Green und beendete das Loch mit zwei Putts. Zahllose Zuschauer an den Bildschirmen glaubten, Tiger hätte einen elementaren Fehler begangen, und überschwemmten die TV Gesellschaften mit entsprechenden Anrufen. Dabei war das Vorgehen völlig korrekt.

Advertisement

Landet der Ball in einem (frontalen, gelb markierten) Wasserhindernis, dann wird gewöhnlich auf der nach hinten verlängerten Linie Loch/Kreuzungspunkt gedroppt, was im konkreten Fall Weiterspielen jenseits des Wassers bedeutet hätte. Regel 26 stellt aber eine weitere und hier klar vorteilhaftere Erleichterungsmöglichkeit zur Verfügung, nämlich, den Schlag zu wiederholen und einen Ball von dem Ort zu spielen, von welchem der ursprüngliche Schlag gespielt worden war, für Tiger also vom Green. Und in diesem Fall wird der Ball nicht gedroppt, sondern hingelegt, und zwar so nahe wie möglich am Ort, wo er vorher gelegen hatte. So steht’s in Regel 20-5, und genau das hat Tiger getan. Trotzdem hatte der Kommentator natürlich recht mit seiner Bemerkung: Tiger dropped a shot on 13.

Alles klar beim Jahrhundertschlag

In der letzten Runde des gleichen Turniers spielte Tiger, was am nächsten Tag die Medien den Schlag des Jahrhunderts nannten. Dieses ist zwar noch jung, und die Liste der Jahrhundertschläge noch überblickbar, aber der Chip auf das 16. Green war tatsächlich ein Meisterstück. Und wie der Ball dann langsam und immer langsamer in einer Doppel-S-Kurve dem Loch zurollte, eine atemraubende Schrecksekunde lang am Abgrund inne hielt, bevor er fiel – besser geht’s tatsächlich nicht. Was aber wäre, wenn der Ball vor dem Fall etwas länger am Lochrand verweilt hätte?

Die Antwort findet man in Regel 16-2. Wenn ein Ball über den Lochrand hinausragt, so steht dem Spieler ausreichend Zeit zu, das Loch zu erreichen, ohne unnötig zu trödeln, und dann weitere zehn Sekunden, um festzustellen, ob sich der Ball still hält. Fällt er vor Ablauf dieser zehn Sekunden, dann gilt er als mit dem letzten Schlag eingelocht. Lässt er sich dazu länger Zeit, gilt er zwar ebenfalls als eingelocht, allerdings muss jetzt ein Strafschlag hinzugerechnet werden.

Dieser zusätzliche Schlag mag auf den ersten Blick ungerecht erscheinen, zumal dann, wenn es sich nur um einige Sekunden handelt. Aber das weiss man ja erst im Nachhinein, und dann stelle man sich bitte vor, was wäre, wenn die Regeln auf diesen zusätzlichen Schlag verzichten würden. Man steht mit seinen Mitspielern auf dem Fairway und starrt ungläubig auf die Gruppe auf dem Green, die, ums Loch geschart, vornüber gebeugt und regungslos wie im Gebet die Zeit verrinnen lässt, jede Sekunde eine kleine Ewigkeit, und keiner weiss, wie lange noch, bis dann irgendwann einer vielleicht endlich halt doch der Szene mit dem Putter ein Ende setzt. Nein, nein, die Regel ist schon recht so, wie sie ist.

Doch zurück zu Tiger Woods. Regeltechnische Fehler sind bei ihm selten. Er kennt die Prozeduren und Finessen, und im Ernstfall ist dort, wo er spielt, ein Schiedsrichter meistens nicht weit.

Wie damals am Phoenix Open vor sechs Jahren, als ein riesiger, wohl einige hundert Kilo schwerer Felsbrocken im Weg lag, genauer: seinen Schwung und seinen geplanten Ballflug behinderte. Tiger fragte die anwesenden Schiedsrichter, ob denn dieser Koloss nicht als «loser hinderlicher Naturstoff» straflos entfernt werden dürfe. Die ziemlich verblüfften Regelexperten mussten nach kurzem Überlegen zugeben, dass Steine ganz gleich welcher Grösse von der Definition des Begriffs mit umfasst werden, und auch, dass dieser hier nicht fest eingebettet war. Etwa ein Dutzend Zuschauer packten an, und der Weg war frei für einen Schlag aufs Green. Tigers einzige Sorge dabei war, dass ja keiner der Helfershelfer den Ball bewege. Jeder andere hätte dort einen Schlag mehr benötigt, entweder einen kurzen Befreiungsschlag oder einen Strafschlag nach der Regel des unspielbaren Balls. Und damit in Zukunft nicht jeder, der es sich leisten kann, einen Hilfstrupp mit auf den Platz nimmt, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, wird diese Regelung bei nächster Gelegenheit angepasst.

Strafschläge für Mr. W.

Ärgerlich und ohne Happy-end lief es für Tiger ein paar Wochen nach dem Masters 2005 in North Carolina. Am 10. Loch der letzten Runde lag sein Ball nach einem etwas verzogenen

Drive an einer metallenen Abschrankung, die ihn beim Rückschwung störte. Nachdem er vergeblich versucht hatte, das Gestell ausreichend zur Seite zu schieben, kamen ihm, wie gehabt, Zuschauer zu Hilfe, und die waren erfolgreicher. Was die Helfer nicht wussten, und auch Tiger nicht, der es aber hätte wissen müssen: Die Abschrankung war gemäss den Local Rules ausdrücklich zum unbeweglichen Hemmnis erklärt worden. Tiger hätte ohne weiteres straffrei nach Regel 24-2 droppen können, mit dem Wegräumen jedoch verstiess er gegen ein Grundprinzip des Spiels: er verbesserte unerlaubt den Raum seines beabsichtigten Schwungs. Der Preis: zwei Strafschläge nach Regel 13-2 und 50000 Dollar weniger Preisgeld. Es war dies, glaubt man den Chronisten, das erste Mal überhaupt in seiner Profikarriere, dass er sich wegen eines technischen Fehlers zwei Strafschläge eingehandelt hat. Einzig in einem Match gegen Paul Lawrie, bei der Matchplay-Weltmeisterschaft im Jahre 2000, passierte ihm ähnliches. Da verlor er ein Loch, weil er bei einem Probeschwung nahe am Ball versehentlich ein Ästchen abgebrochen und damit gegen die gleiche Regel verstossen hatte.

Bevor Sie also das nächste Mal auf einem fremden Platz einen störenden Pfosten aus dem Weg räumen, sollten Sie einen Blick in die Local Rules werfen. Auf zahlreichen Plätzen werden Sie finden, dass rote, gelbe oder sonstige Pfosten zu unbeweglichen Hemmnissen erklärt worden sind, vielfach sogar dann, wenn sie in ihren Löchern wackeln wie der Flaggenstock im Wind.

Übrigens: Wer Tigers Superschlag nochmals geniessen möchte, findet ihn unter den TV-Highlights auf www.masters.org.

Auch am US Masters 2005 selber, das Tiger ja gewonnen hatte, sah sich der Regelexperte zu mehr oder weniger philosophischen Gedanken angeregt. Langsamer und immer langsamer wurde nämlich das Spiel gegen Ende des Turniers. So nahm sich Tiger ausnehmend viel Zeit beim Studieren der Puttlinie, und mancher glaubte, nicht richtig zu sehen, als Steve Williams auf dem zweitletzten Loch die Distanz aus dem Niemandsland, wohin der Chef seinen Drive gespielt hatte, zum Green abschritt, 126 Yards hin und auch wieder zurück, wie der Caddie gut vernehmlich für die TV-Mikrofone meldete. Jeden Amateur hätte man wegen Spielverzögerung bestraft, so der Tenor an mancher Clubhaus-Bar. Stimmt. Und Tiger? Auch ihn, unter normalen Umständen. Aber die Umstände waren nicht normal. Beide Spieler hatten während der ganzen Runde vor jedem Schlag warten müssen, am Fairway auf der 13 hatten sich Tiger und sein Caddie sogar hingesetzt, bis Björn und Immelmann das Loch endlich beendet hatten. Und als sie zum 16. Abschlag kamen, war das Green nicht frei, obwohl nur der Däne puttete – Immelmann hatte ein Hole-in-One gespielt. Jener Schlag über den Wald war sodann nicht einer wie jeder andere. Ungewohnte Lage und ein unmöglicher Winkel zur Fahne verlangen nach etwas Augenmass und Toleranz, erst recht in der entscheidenden Phase des für viele wichtigsten Turniers des Jahres. Ein Amateur würde nicht anders behandelt, am gleichen Ort zur gleichen Zeit!

■ Hans-Jürg Künzi

Sogar dem Allerbesten kann es geschehen, dass er einen Regelverstosses begeht und «abgewunken» wird –sprich: Strafschläge notieren muss.

This article is from: