surprise strassenmagazin 272/12

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Afrikanische Pfarrer «Hier ist man es sich gewohnt, ruhig zu beten» Während sich hierzulande immer weniger junge Männer fürs Priesteramt in der katholischen Kirche entscheiden mögen, hat Afrika einen Priesterüberschuss. Immer mehr von ihnen kommen in die Schweiz – eine Gratwanderung zwischen den Kulturen.

VON FLORIAN BLUMER (TEXT) UND KARIN SCHEIDEGGER (BILDER)

Die Ankunft in Innsbruck war ein Schock für den 26-jährigen Priesterschüler Benignus Ogbunanwata aus Nigeria. Noch nie war er zuvor ausserhalb seines Landes gewesen. «Wie ein Brief mit Couvert und Adresse» sei er von seinem nigerianischen Bischof nach Innsbruck geschickt worden, um dort das Priesterseminar zu absolvieren, sagt Benignus im Gespräch am Sonntagmorgen vor dem Gottesdienst in Pfungen, das zehn Bahnminuten von Winterthur entfernt liegt, und lacht laut heraus. «Alles ist anders gewesen: das Klima, die Mentalität, die Sprache, das Brot. Selbst das Wasser hat anders geschmeckt.» Ein Glück, ist er nicht gleich in der Schweiz gelandet: «Zwischen der österreichischen und deutschen und der Schweizer Kirche liegen Welten», sagt er heute, mit 23 Jahren Arbeits- und Lebenserfahrung in den drei deutschsprachigen Ländern. «Wäre ich direkt in die Schweiz gekommen, wäre es wohl zu viel gewesen.»

Positives», obwohl es Pfarrer Benignus vielleicht manchmal nicht so genau nehme. Sie nickt aber zustimmend, als ihr Mann, langjähriger Präsident der Kirchgemeinde, einwirft, dass ihr nigerianischer Pfarrer sehr gewissenhaft arbeite und langfristig plane. Nur verstanden habe er ihn anfangs nicht so gut. Doch nun könne man mit ihm ja sogar Schweizerdeutsch sprechen. Weiter klingt es bei den Jetzers und ihren Tischgenossen, durchaus repräsentativ für die eingefleischten Kirchgänger, die sich heute eingefunden haben, so: «Benignus hat vieles angerissen, er hat eine offene, fröhliche und überzeugende Art, er ist sehr liebenswürdig, er ist – wie sagt man neumodisch? – authentisch. Er gibt viel und verlangt viel – vielleicht manchmal etwas zu viel.» Diese Aussagen mögen erstaunen, zumindest wenn man sich sein Bild über afrikanische Pfarrer mittels Schweizer Medien gemacht hat. Da war zum Beispiel der SF-Reporter-Film über Pfarrer Chidi Ilechukwu im urnerischen Seelisberg. Pfarrer wie Einheimische servierten dem Reporter die Story inklusive Klischees auf dem Silbertablett: Pfarrer Chidi sang, trommelte und tanzte in der Kirche im abgelegenen, von hohen Bergen umrahmten Innerschweizer Dorf, die knorrigen Dorfbewohner gaben sich ihrerseits alle Mühe, die Vorurteile zu bestätigen: So verweigerten sie ihrem unbeholfen dastehenden Pfarrer auf dem Friedhof vor der Kamera den Handschlag, einer erhob stattdessen die Faust: «E Chile sett e Chile si, nid e Rumpelchischte. Mir wend e Gottesdienscht, nid

«Ich bin ein ausgeliehenes Gut» Ausgesucht hatte sich der junge Nigerianer seinen Europaaufenthalt nicht: Er war zusammen mit einem Kollegen von seinem Bischof zum Lernen in die Fremde geschickt worden. Dies ist in Afrika üblich, nach dem Vorbild von Jesus, der seine Apostel jeweils zu zweit zu entsenden pflegte, wie Benignus erzählt. Nach Abschluss des Priesterseminars bekam er den Auftrag, in «Erst gingen Missionare aus Europa nach Afrika, nun kehrt Europa zu bleiben, um hier als Priester tätig zu sich die Missionierung um.» sein. «Ich bin ein ausgeliehenes Gut», sagt Benignus – der sich, wie in Afrika üblich, mit e Götzedienscht!» Ein paar Dorfbewohner konnte Chidi dann doch für dem Vornamen ansprechen lässt – und lacht wieder. Tatsächlich könnsich gewinnen, im Beitrag wird er als zwar unter Einsamkeit leidender, te ihn sein Bischof in Nigeria jederzeit zurückrufen. Was in Pfungen aber unermüdlicher Kämpfer für seine Sache dargestellt. Eine Erfolgsgrosses Bedauern auslösen würde. geschichte schien sich abzuzeichnen – bis die Medien ein Jahr darauf Denn entgegen dem landesweiten Trend hat Pfarrer Benignus eine meldeten: «Afrikanischer Pfarrer aus der Innerschweiz stiehlt 900 Franlebhafte Gemeinde, die an Zulauf gewinnt, auch von jungen Leuten. Am ken aus der Opferkasse.» Fastensonntag erscheinen rund 70 Gläubige. Neben den für den Kirchgang herausgeputzten älteren Semestern hat es auch junge Pärchen, FaGegen Verdächtigungen ist auch Gott machtlos milien mit Kindern und auch eine Gruppe von Teeniemädchen indischer Für die Bestätigung eines weiteren Klischees war dann im Herbst Abstammung. Die 16-jährige Eveline, eine von ihnen, sagt: «Ich komme 2011 ein afrikanischer Pfarrer in Kappelen, Solothurn, besorgt: Auch er gerne zu Pfarrer Benignus in die Kirche, weil er auch seine eigene Meihatte – wie in Afrika üblich, wo der Pfarrer meist keinen Lohn erhält nung einbringt. Das macht die Predigt interessanter.» Eveline und ihre und selbst über die Vergabe der Spenden entscheidet – eigenmächtig Freundinnen – eine von ihnen ist Ministrantin bei Benignus – sitzen mit über die Kollekte verfügt. Auch mit dem Zölibat nahm er es nicht so geweiteren rund 30 Kirchgängern im Keller des Pfarrhauses an einem nau: Er begann ein intimes Verhältnis mit der Sekretärin des Pfarramts. Tisch und essen Suppe. Es sei keine Liebe gewesen, die Einsamkeit habe ihn dazu getrieben, Heute ist «Suppensonntag». An einem anderen Tisch sitzen sechs sagte er gegenüber dem «Blick», der die «Sex-Beichte des katholischen ehemalige Mitglieder des Pfarreirats und der Kirchenpflege bei MinesPfarrers» dankbar abnahm. trone und einer Flasche Wein zusammen. Madeleine Jetzer sieht «viel

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