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Strassenmagazin Nr. 544 17. Feb. bis 2. März 2023

CHF 6.–

davon gehen CHF 3.– an die Verkäufer*innen

Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufer*innen mit offiziellem Verkaufspass

Wohnen

Hier nicht erwünscht

Wer nicht der Norm entspricht, hat es schwer auf dem Wohnungsmarkt Seite 8


SOZIALE STADTRUNDGÄNGE

ERLEBEN SIE BASEL, BERN UND ZÜRICH AUS EINER NEUEN PERSPEKTIVE. Menschen, die Armut, Ausgrenzung und Obdachlosigkeit aus eigener Erfahrung kennen, zeigen ihre Stadt aus ihrer Perspektive und erzählen aus ihrem Leben. Authentisch, direkt und nah. Buchen Sie noch heute einen Sozialen Stadtrundgang in Basel, Bern oder Zürich. Infos und Terminreservation: www.surprise.ngo/stadtrundgang


TITELBILD: MELANIE GRAUER

Editorial

Konstrukte Eine «wilde Horde von Queers und trans Personen», wie sie sich selbst bezeichnet, besetzte vor einigen Wochen vorüber­ gehend ein Haus im gutbürgerlichen Basler Gellertquartier. In einem Pressecommu­ niqué schrieben die Hausbesetzer*innen: «Weitgehend unsichtbar bleibt, dass gender-nonkonforme und trans Personen besonders mit Wohnungslosigkeit zu kämpfen haben.» Wir haben Hausbeset­ zer*in Jay getroffen und uns von den Erfah­ rungen bei der Wohnungssuche erzählen lassen. Es liess uns grundsätzlicher darüber nachdenken, wie eng Wohnen und Norm verknüpft sind. Ab Seite 8. Vor einiger Zeit fragte ich bei der Stadt Zürich nach, ob es eigentlich wirklich kein städtisches Plastikrecycling gebe. Doch, gibt es, in zwei entlegenen Recyclinghöfen, die Plastikflaschen müssen «sortenreines» PE oder PP sein (oder PET, aber da weiss ich, wohin ich es bringen soll). Mein Problem – Joghurtbecher, Früchte­ schalen und dergleichen – sei allerdings «sehr schwer zu identifizieren», die stoff­ 4 Aufgelesen 5 Na? Gut!

Willkommen zurück!

5 Vor Gericht

Profit zulasten der Ärmsten

6 Verkäufer*innenkolumne

Nur ein Sturz

7 Die Sozialzahl

Schampar unbequem

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8 Wohnen

Queere Hausbesetzung – was sie mit Diskriminierung zu tun hat

12 Reproduzierte Normen 14 Wiederverwertung

Wege unseres Mülls

liche Verwertung stosse an technische ­Grenzen. Nun, ich bringe mein Plastik jetzt zu einer Migros-Sammelstelle, und was die damit macht, entzieht sich meiner Kennt­ nis. Die Handhabe beim Plastikrecycling in der Schweiz ist ein seltsames Kon­ strukt. Dass es dabei auch um unterschied­ liche Interessen geht, war mir nicht klar. Ab Seite 14. Es ist klar, was Hunger – richtiger Hunger – ist und was er mit den Menschen macht. Im Detail beschreibt es Ibrahim Liban, Arzt im Norden Somalias, ab Seite 20. Trotzdem ist es eine politische Entscheidung, ob und wann in einem Land eine Hungersnot ausgerufen wird. Es ist ein weiteres Konstrukt, in dem das Leben eines Menschen und die übergeordneten Rahmenbedingungen wenig miteinander zu tun haben. Eines, das besonders tragisch ist. DIANA FREI Redaktorin

20 Somalia

Politik des Hungers

24 Audiofestival

Vertonung eines Lebens

26 Veranstaltungen

29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren 30 Internationales ­ Verkäufer*innen-Porträt

«Meine Kinder sollen es besser haben»

27 Tour de Suisse

Pörtner in Thun

28 SurPlus Positive Firmen

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Aufgelesen

News aus den über 90 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Kunst als Empowerment

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Über Kunst werden immer wieder Visionen einer anderen, auch besseren Welt erdacht, vermittelt und debattiert. Dass Kunst für 2 manche auch einen ganz konkreten Zugang zu unserer existierenden Welt darstellen kann, ist möglicherweise etwas weniger offensichtlich. Organisationen wie Studio A und Big hART aus Australien nutzen Kunst und das Kunstschaffen, um strukturell diskriminierten, benachteiligten Personen und deren Gemeinschaften zu mehr Sichtbarkeit und Teilhabe zu verhelfen. Gerade im Umgang mit First Nations, den Ureinwohner*innen des Kontinents, lassen sich durch das Gehört-, Gesehen- und Anerkannt1 Lisa Tindall, Moonlight Starbone, Werden im besten Falle Heilungs2020, Acryl auf Leinwand, 30 × 30 cm. prozesse erwirken. Es geht dabei Mit Genehmigung der Künstlerin und um die Darstellung ihrer eigenen Studio A. Sicht auf ihre Erfahrungen und 2 Catherine McGuiness, Rosary with the Seagull, 2022, Acryl auf Leinwand, Geschichten – und um die Gewalt, 121,8 × 91,5 cm. Mit Genehmigung der die ihnen über so lange Zeit anKünstlerin und Studio A. getan wurde und wird.

BIG ISSUE AUSTRALIA, MELBOURNE

3 Thom Roberts, A portriff of Adam (Shane Simpson AM), 2021, Acryl auf Leinwand, 101,5 × 101,5 cm. Mit Genehmigung des Künstlers und Studio A.

Männliche Erfindungen Die meisten Erfindungen stammen von Männern. In Deutschland kommen gerade mal 10 Prozent aller patentierten Erfindungen von Frauen, in Österreich sind es bloss 8 Prozent. Der Grund dafür liege auf der Hand, sagt Cornelia Rudloff-Schäffer, Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts: «Wir lassen einen erheblichen Teil unseres Innovationspotenzials ungenutzt, weil Frauen in Forschung und Entwicklung nicht angemessen zum Zug kommen.» Als Argument führt sie Länder an, in denen der Anteil an Absolventinnen in den entsprechenden wissenschaftlichen Disziplinen vergleichsweise hoch ist – und damit auch der Prozentsatz von Erfinderinnen: Lettland (30,6 Prozent), Südkorea (28,3) oder Portugal und China (beide 28,6).

HINZ & KUNZT, HAMBURG

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Hunderttausende ohne festes Obdach In Deutschland haben 263 000 Menschen kein festes Obdach. Die Bundesregierung hat erstmals einen Bericht zur Lage der Wohnungslosen in Deutschland vorgelegt. Die Zählung erfasst die in der Wohnungsnotfallhilfe Untergebrachten (178 000), verdeckt Wohnungslose, die bei Freund*innen oder Bekannten unterkommen (49 000), sowie die insgesamt mehr als 37 000 ungeschützt auf der Strasse lebenden Obdachlosen.

BODO, BOCHUM/DORTMUND

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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

Na? Gut!

Willkommen zurück! Wo werden Sie in 43 Jahren stehen, haben Sie schon darüber nachgedacht? Ich weiss nicht, welche kühnen Träume Sie haben, aber was die Erde angeht, wissen wir nun: Sie sollte bis 2066 auch über der Antarktis wieder von einer Ozonschicht umgeben sein. Wie sie es 1980, vor dem Ozonloch und den Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW), war. Schon 2045 soll sich die Ozonschicht über der Arktis erholt haben und 2040 über dem Rest der Welt. Dies halten das UN-Umweltprogramm (Unep) und die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in einem Bericht fest. Dass die Ozonschicht, die zehn bis fünfzig Kilometer über uns liegt, sich erholen kann, liegt am Verbot der FCKW. Diese chemischen Substanzen, die früher in Haar­sprays, Klimaanlagen oder Kühlschränken waren, führten seit den 1970er-Jahren dazu, dass die Ozonschicht ultraviolette Sonnenstrahlen durchliess, die sie – da krebserregend – von uns fernhalten sollte. Dann kam 1987 das Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht, und FCKW wurden verboten. 2016 wurde das Protokoll ergänzt, nun durften auch viele Fluorkohlenwasserstoffe (FKW) nicht mehr produziert werden. Die UNO schätzt, dass dies eine Erderhitzung von 0,3 bis 0,5 Grad bis 2100 vermeidet. Blicke in die Zukunft sind selten so prickelnd, wie wenn der WMOGeneralsekretär Petteri Taalas sagt: «Der Schutz der Ozonschicht wird zum Vorbild für den Klimaschutz.» Dieser Erfolg zeige, was möglich sei, um den Temperaturanstieg zu begrenzen. Umso hoffnungsvoller machen wir uns schon mal bereit, um bald zu rufen: Willkommen zurück, liebe Ozonschicht! LEA

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Vor Gericht

Profit zulasten der Ärmsten Erinnern Sie sich an die Zürcher Gammelhäuser? Als 2015 ein Multimillionär aufflog, der im Langstrassenquartier lottrige Wohnungen an «Randständige» vermietete? Zu horrenden Preisen, nah am Maximum, das Sozial- und Asylbehörden Bedürftigen für Unterkunft gewähren? Dafür wurde er vom Bezirksgericht Zürich 2020 mit zwei Jahren Freiheitsstrafe bedingt bestraft. Höher fiel die Strafe desselben Gerichts im Fall einer Vermieterin 2021 aus: 33 Monate, wovon sie 11 hätte absitzen müssen. Auch sie, eine 59-jährige Ingenieurin, war wegen gewerbsmässigem Wucher verurteilt worden. Sie habe von 2010 bis 2017 in drei Liegenschaften in Zürich und Spreitenbach möblierte Zimmer überteuert vermietet – gezielt an Menschen, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen und finanziellen Stellung auf dem Wohnungsmarkt kaum Chancen haben. Am Obergericht fordert die Frau nun resolut einen zweitinstanzlichen Freispruch. Sie weist die Vorwürfe als Unsinn zurück. «Sie haben doch Jus studiert», ermahnt sie den Gerichtsvorsitzenden keck, «Sie wollen doch keine unschuldigen Menschen ins Gefängnis stecken.» Fest steht jedoch, dass es sich bei ihren ehemaligen Mieter*innen mehrheitlich um Ausländer*innen ohne Sprach- oder Ortskenntnisse handelte. Bis auf wenige Ausnahmen bezogen alle Sozialhilfe. Erwiesen ist auch, dass sie der Besitzerin bis zu 1100 Franken inklusive bezahlten – für ein 7,2 m2 kleines Zimmer in einer Siebenzimmerwohnung, in der sie sich Bad und Kü-

che mit bis zu 11 Personen teilten. Estrich oder Keller gab es nicht, die Wäsche wuschen sie in der Wohnung und hängten sie im Flur auf. Die hygienischen Zustände in den Gemeinschaftsräumen sei wegen Schimmelbefall teils gesundheitsgefährdend gewesen, so die Anklage. Der von den Anklagebehörden beauftragte Gutachter kam zum Schluss, dass für das oben genannte Zimmer ein Mietzins um die 600 Franken angemessen gewesen wäre. Die Staatsanwaltschaft errechnete, dass die Frau mit solchen Wucherpreisen insgesamt 660 000 Franken zu viel erwirtschaftet hat. Davon will die aber nichts wissen. Das Problem sei nicht sie gewesen – sondern die Mieter*innen. Ratten habe es nur gehabt, weil diese ihren Müll mit Essensresten auf den Balkon gestellt hätten. Schimmel, weil sie nie lüfteten. Wieder erklärt sie den Richtern das Recht: «Begeht jemand in der Schweiz einen Mord, können Sie ja auch nicht den Bundesrat zur Rechenschaft ziehen.» Die Oberrichter blieben unbeeindruckt. In den 43 untersuchten Fällen hätten die Betroffenen die Zustände fast einhellig als desolat beschrieben. Sie habe Menschen aus dem schwächsten sozialen Umfeld skrupellos ausgenutzt. Die von der Vorinstanz verhängte Strafe erachten die Richter allerdings als zu hoch: Sie erhält wie der eingangs erwähnte «Berufskollege» zwei Jahre bedingt. Ob das aber genügt, um künftig solche widerlichen Fälle von Abzocke zu verhindern, ist im heutigen ausgetrockneten Wohnungsmarkt mehr als fraglich.

Y VONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin

in Zürich. 5


ILLUSTRATION: ANNALISA ROMPIETTI

Verkäufer*innenkolumne

Nur ein Sturz Es war an einem Sonntag im Frühling 2004, als ich den Notfall des Universitätsspitals Zürich aufsuchte, weil sich mein Ell­bogen entzündet hatte. Zunächst wurde ich dafür gerügt, dass ich erst so spät g ­ ekommen war. Es habe sich so viel Eiter angesammelt, wurde mir gesagt, dass es möglicherweise zu spät sei, den Arm noch zu retten. Ich würde gleich am nächsten Morgen als Erste operiert werden. «Okay», sagte ich, «dann komme ich morgen früh wieder.» Diese Idee wurde aber vehement abgelehnt. Man gab mir ein Beruhigungsmittel und sagte, ich würde auf ein Zimmer verlegt. Ich schlief ein. Als ich wieder aufwachte, fragte ich mich: Wo bin ich hier? Mir wurde bewusst, dass ich noch immer auf dem Operationstisch lag. Ja nicht ­bewegen, dachte ich. Ich schaute nach rechts in den Raum, da standen drei Ärzte in langen weissen Kitteln und drehten mir den Rücken zu. Ich schaute nach links: Wieder drei Ärzte, auch die drehten mir den Rücken zu. Sie schauten Röntgenbilder an. Nun war ich langsam so wach und auch empört, dass ich laut sagte: «He, hallo, wo bin ich hier überhaupt, was ist passiert und was machen Sie da?» Was nun 6

­ eschah, behalte ich wohl bis ins hohe g Alter in amüsanter Erinnerung: Alle sechs Ärzte drehten sich gleichzeitig um. Einige sogar mit offenem Mund, dann sprachen sie alle gleichzeitig und fielen einander ins Wort. Die Informationen, die ich bekam, waren folgende: «Es ist ein Wunder, dass Sie noch am ­Leben sind. Wir durften Sie ja nicht an die lebenserhaltenden Maschinen ­hängen, darauf hat Ihr Mann bestanden. Er ist übrigens schon lange hier mit Ihrer Tochter.»

ich gestürzt sei, sie läge im obersten Stock. Die Plastikplane sei weggerissen gewesen. Der Securitas habe mich auf ­seinem letzten Rundgang unter diesem Balkon auf dem Rasen gefunden. Wie ich denn überhaupt in den Rohbau gekommen sei? Diese Frage kann bis heute niemand beantworten. Ich bin aber früher schon hin und wieder Schlaf ­gewandelt. Es war Herbst, ein halbes Jahr später, als ich aus dem USZ austrat. Heute denke ich nicht mehr oft an diesen Unfall. Zum Glück habe ich körperlich ­alles hinter mir gelassen, denn ich gehe wieder. Das Einzige, was blieb, ist das Gefühl vom Glück, noch am Leben zu sein. Und das Wissen, dass ich das Leben ein zweites Mal geschenkt bekommen habe.

«Sie waren während fast 20 Stunden im Koma.» «Wir haben Sie überall geröntgt und auch durch die Röhre geschickt. Sie haben fast keine Verletzungen, unglaublicherweise. Nur Ihr rechter Fuss, die Ferse, ist in über zwölf Teile zertrümmert.»

K ARIN PACOZZI, 56, verkauft Surprise in Zug. Der Sturz aus dem Universitätsspital war natürlich mehr als nur ein Sturz. Aber es war nur ein Sturz – von vielen. Sie hat in ihrem Leben immer wieder Unfälle gehabt.

«Sie werden nie mehr gehen können.» Und dann die Frage: «Wollten Sie Selbstmord begehen?» Das Universitätsspital wurde zu der Zeit renoviert, ein Rohbau wurde erstellt. Man sehe genau, aus welcher Balkontür

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration. Surprise 544/23


INFOGRAFIK: BODARA ; QUELLE: BFS (2023): STATISTIKEN ZU DEN NATIONAL- UND STÄNDERATSWAHLEN. NEUCHÂTEL

Die Sozialzahl

Schampar unbequem

die SPS nicht zum ersten Mal. Erinnert sei darum an die Drohung von Helmut Hubacher, einst mächtiger Präsident der SPS, der für diesen Fall voraussagte, dann würde die Bundespolitik für die anderen «schampar unbequem» werden.

Dieses Jahr stehen die Gesamterneuerungswahlen des ­Nationalrats und des Bundesrats an. Intensiv wird über die ­zukünftige Zusammensetzung der Schweizer Regierung ­spekuliert. Die Bundesratsparteien repräsentieren nur noch bedingt die Haltung der Wählerschaft. Im Nationalrat kommen sie auf einen Anteil von 75 Prozent, im Ständerat auf 87 Prozent. In der Vereinigten Bundesversammlung haben sie noch einen Anteil von 77 Prozent. Diese wird den Bundesrat wählen. Rund ein Viertel der Schweizer*innen, die vor vier ­Jahren an die Urne gingen, hat im Bundesrat keine Stimme.

Was meinte Hubacher damit? Die Schweiz hat ein einzigartiges demokratisches System, in dem Politik längst nicht nur im Parlament und in der Regierung gemacht wird. Das Referendum sowie die Initiative sind zwei Instrumente, mit denen auch von aussen Einfluss auf das politische Geschehen genommen werden kann. Die Stärke von Parteien bemisst sich darum auch daran, Initiativen erfolgreich lancieren und glaubhaft mit dem Referendum drohen zu können. Nur wer eigene Positionen durchbringen kann, die im Parlament keine Mehrheiten ­finden, gilt als starke Partei.

Insbesondere sind die «grünen» Anliegen mit keinem Mandat vertreten. 2019 kam die Grüne Partei Schweiz (GPS) im Nationalrat auf 28 und im Ständerat auf 5 Sitze, die Grün­ liberale Partei der Schweiz (GLP) im Nationalrat auf 16 Sitze. Sollte sich der Erfolg der Umweltparteien wiederholen – so wird kolportiert –, wäre die Zeit reif für einen Bundesratssitz. Wird die Zauberformel, nach der sich der Bundesrat zusammensetzt, dieses Jahr also fallen? Sie besagt, dass die drei stärksten Parteien zwei Sitze und die viertstärkste einen Sitz im Bundesrat beanspruchen darf.

In dieser Hinsicht sind die beiden grünen Parteien den Nachweis von Stärke bis anhin weit­gehend schuldig geblieben. Die GLP ist mit ihrer Initiative «Energie- statt Mehrwertsteuer» grandios gescheitert, die GPS schaffte es nicht, der CO2-Lenkungsabgabe, gegen deren ­Einführung die SVP das Referendum ergriffen hatte, zum Durchbruch zu verhelfen. So bleiben beide grünen Parteien im p ­ olitischen System der Schweiz leider eher schwach und die Wahrscheinlichkeit einer Vertretung im Bundesrat klein.

Die entscheidende Frage ist, wonach sich die Stärke einer ­Partei bemisst. Ergibt sich diese nur aus der Anzahl Sitze im Parlament und dem Anteil der Wählenden? Dem ist nur sehr bedingt so. Natürlich könnten zum Beispiel die bürger­ lichen Parteien in der Vereinigten Bundesversammlung ihre Muskeln spielen lassen und der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS) einen Sitz wegnehmen und diesen der GPS zuschanzen, sollte diese nochmals Erfolge bei den Nationalratswahlen feiern können. Das Risiko, einen oder gar beide Sitze im Bundesrat zu verlieren, besteht für

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Mandate der Parteien im Nationalrat, Ständerat und in der Vereinigten Bundesversammlung, 2019 FDP

die Mitte

28

7

SP

SVP

GLP

Übrige

28 39

53 Nationalrat

Bundesratsparteien

5 1

29

16

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Grüne

12

6 9

13 Ständerat

33

8

41

16

41

59

48

Vereinigte Bundesversammlung

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Wohnen Wer von der Norm abweicht, wird bei der Wohnungssuche diskriminiert. Auffällig ist, wie stark dabei die soziale Kontrolle bis tief in die Privatsphäre hineinreicht.

Doch kein Haus für queere und trans Menschen Eine Wohnung oder ein WG-Zimmer zu finden, ist nicht für alle Menschen gleich einfach. Eine Gruppe queerer und trans Menschen hatte in Basel ein Haus besetzt, um auf die Diskriminierung aufmerksam zu machen. TEXT LEA STUBER

ILLUSTRATION MELANIE GRAUER

Dass sie es schwer haben würden, wussten sie schon einen Tag danach. In einer Montagnacht im Januar besetzten sie das Haus an der Hardstrasse 99 im Gellert-Quartier, am Mittwoch publizierte der Kanton Basel-Stadt eine Baupublikation für – die Hardstrasse 99. Das Haus stand jahrelang leer, ausgerechnet jetzt wollte der Eigentümer es rundum sanieren. «Wenn wir das gewusst hätten», sagt Jay, grauer Kapuzenpullover und rundes, jugendliches Gesicht, «hätten wir eher ein anderes Haus besetzt.» An Tag 9 räumte die Polizei das Haus, der Eigentümer hatte eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt. Und so trinkt Jay, eine*r von über zehn Besetzer*innen, den Kaffee statt im Gellert, dem schicken Basler Quartier mit den Villen, Kanzleien von Anwält*innen und Büros, noch immer im Kleinbasel, dem ehemaligen Industrieund Arbeiterquartier, auf der anderen Seite des Rheins. «Moment», sagt Jay, kaum steht der Kaffee auf dem Tisch, und setzt sich an die gegenüberliegende Tischseite, «ich möchte aus dem Fenster schauen können.» Draussen kurvt das Tram zwischen Claraplatz und Dreirosenbrücke, junge Menschen in grossen Jacken flanieren auf ihren Velos an Coiffeursalons, Telefongeschäften und Brautmodeläden vorbei. Kleinbasel unter der Januar-Wolkendecke, hier mag Jay die Stadt am liebsten. Surprise 544/23

Jay, Ende zwanzig und non-binär, nutzt das englische Pronomen they. They wohnt in einer WG um die Ecke, hat ein Phil.-hist.-Fach studiert und arbeitet im Bildungsbereich. Genauer will they nicht werden, auch den Nachnamen nennt Jay nicht. Besetzer*innen bleiben lieber im Verborgenen, denn sie machen sich potenziell strafbar. Wenn Menschen mit grossem Tamtam ein Haus besetzen, Transparente aus den Fenstern hängen und Flyer verteilen, tun sie das meist mit einer politischen Botschaft. Wohnungsnot, fehlende Freiräume, Protest gegen Leerstand oder hohe Mieten – die Themen der Hausbesetzungen der 1970er- und 80er-Jahre in Basel, Zürich, Genf, Bern oder Lausanne sind gar nicht so weit weg von denen heutiger Besetzer*innen. Waren es früher die Forderungen der 68er- oder der Jugendbewegung, so kommen jetzt diejenigen von jungen queeren und trans Menschen hinzu. Passender in der kulturellen Vielfalt Schon Anfang Dezember besetzte die Gruppe ein Haus an der Gärtnerstrasse im Kleinbasel. Die Botschaft war an der Gärtner- wie an der Hardstrasse dieselbe: «Es bleibt unsichtbar, dass gender-nonkonforme und trans Personen besonders mit Wohnungslosigkeit zu kämpfen haben. Als marginalisierte Gruppe werden wir bei der Wohnungssuche strukturell diskriminiert.» Und: «Dass Verdrängung 9


im St. Alban und Gellert ein Thema ist, zeigt sich bereits an den hohen Mietkosten. Wir nehmen es uns deshalb heraus, eine Hochburg mittlerer bis oberer Mittelschicht zu stürmen, die sich auch geographisch vom Rest der Bevölkerung distanziert.» Jay ist gut darin, die Botschaft der Gruppe zu erklären, die, wenn man so will, die Minderheit der Minderheit ist: In der EU identifizieren sich 5,9 Prozent der Bevölkerung als LGBTIQ, als non-binär identifizieren sich in den USA gemäss einer Umfrage mit Studierenden 3,7 Prozent, davon gut die Hälfte als trans. Doch sie reden, so Jay, nicht nur über Politisches – über Kapitalismus und Wohlstand, Verdrängung und Gentrifizierung, Rassismus und Transfeindlichkeit. Die Gruppe trifft sich in einem Freiraum, wo manche von ihr wohnen; in welchem genau, Jay hat dies abgeklärt, will die Gruppe nicht sagen. Der Ort soll nicht mit Hausbesetzer*innen in Verbindung gebracht werden können. Hier, wo im Winter das Feuer im Ofen flackert, trinken sie Kaffee auf den Sofas oder kochen zusammen, tanzen in der selbstgebauten Küche oder träumen von ihren Crushes von der letzten Party im Humbug oder von der ZischBar in der Kaserne. Kleinbasel biete Begegnungsräume, eine sichtbare, auch kulturelle Vielfältigkeit – Jay schwärmt. Hier sei es nicht so schickimicki, nicht so Upper Class wie im Gellert. «Ich fühle mich passender.» Doch, sagt Jay, wenn eine Person erzählt, dass sie von ihren Eltern aus der Wohnung geworfen wurde, können sie sich hineinversetzen. «Viele haben selbst schon ähnliche Situationen erlebt – vielleicht auch von anderen Verwandten oder dem Umfeld – oder bei guten Freund*innen miterlebt.» Und dann sind sie schnell wieder beim Politischen bei den Gesprächen im Freiraum. Seelenstriptease am WG-Casting Als they 18 oder 19 Jahre alt war, wurde eine von Jays ersten Partnerpersonen, wie they sie nennt, von den Eltern zuhause aus der Wohnung geworfen. Also zog sie zu Jay in die WG, ins gleiche Zimmer. Elf Quadratmeter für zwei 10

Menschen, das sei schwierig gewesen – finanziell, aber auch psychisch. Auch vor ihren Freund*innen hatten sie sich noch nicht als queer geoutet. Wer zuhause von der Familie häusliche Gewalt erlebt, findet etwa bei der Opferhilfe Unterstützung. Davon wussten sie nichts. «Wer noch keine Community hat», sagt Jay, «ist auf sich gestellt.» In Berlin gibt es mit QueerHome* seit Kurzem eine Beratungsstelle für queere Menschen in Wohnungsnot. Ein vergleichbares Angebot in der Schweiz fehlt. Und dann zählt Jay Beispiel um Beispiel auf. Gerade erst sei ein trans Junge, 16 Jahre alt, von seinen Eltern aus der Wohnung geworfen worden. Oder die 19-jährige trans Person, die noch in Ausbildung ist und auf einmal einen Job finden musste, um eine Wohnung finanzieren zu können. Auch sie war von ihren Eltern auf die Strasse gestellt worden. Oder die Person, deren Mutter sie überzeugen wollte, dass sie nicht queer sei. Irgendwann ertrug sie das nicht mehr und zog aus. Oder: Queere und trans Menschen, die flüchteten und nun im Bundesasylzentrum von den Behörden nicht nur Rassismus, sondern auch Transund Queerfeindlichkeit erleben. Die Community erzählt sich diese Fälle von Wohnungslosigkeit weiter. Haben wir ein freies Zimmer in einem besetzten Haus? Oder ein Sofa in einer WG? Irgendwo findet sich meistens ein Schlafplatz, man rutscht zusammen. Eine von Jays Mitbewohner*innen, eine trans Frau, suchte sehr lange ein WG-Zimmer. In den WGs, die sie sich anschaute, fühlte sie sich fetischisiert. Länger als geplant lebte sie noch bei den Eltern. Das Fetischisieren kennt auch Jay, they hört dann: Erzähle mir alles über dich! Welche Beziehung hast du zu deinem Geschlechtsteil? «Und ich denke: Wir kennen uns seit fünf Minuten, warum fragst du mich nicht nach meinen Hobbys?» Für Jay ist klar: An einem WG-Casting sagt they, dass they non-binär ist. Mit «sie» angesprochen zu werden, fühle sich an, als würde eine Person mit einem glitschigen Fisch in Jays Gesicht schlagen. Surprise 544/23


Wer das Queer oder Trans sein verschweige, sagt Jay, schütze sich möglicherweise vor direkter Anfeindung. Doch es sei belastend, nicht authentisch, nicht ehrlich sein zu können. Wird in einer WG der Community ein Zimmer frei, melden sich sofort viele queere Menschen. Natürlich, das betont Jay, gebe es queer-freundliche cis Menschen. «Doch manchmal ist es einfacher, mit anderen queeren Menschen zu wohnen.» Wohnen und Transidentität Eine Wohnung in einer grösseren Schweizer Stadt zu finden, ist im Moment eine herausfordernde Sache. Bis vor zwei Jahren stiegen die Leerstände, doch seither sinkt die Leerwohnungsziffer, 2022 betrug sie noch 1,31 Prozent. «Selbst für einen 30-jährigen, heterosexuellen cis Mann wird es schwierig, im Kleinbasel eine Wohnung zu finden», sagt Jay. «Immerhin ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass er sich die 2000 Franken für eine sanierte Wohnung leisten kann.» Etwa 20 Prozent der trans Personen, so Jay, haben in der Schweiz keinen Job. Das liegt deutlich über der letztjährigen Arbeitslosenquote von 2,2 Prozent. Neben den oftmals eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten werden gleichgeschlechtlich gelesene Paare, erzählt Jay, von Verwaltungen oft für Freund*innen gehalten, die eine WG gründen wollen. «Wenn die Verwaltung WGs ausschliesst und explizit ein Paar sucht, werden zwei queere Menschen gar nicht als Paar in Betracht bezogen.» Dass Menschen mit einem ausländisch klingenden Namen in der Schweiz bei der Wohnungssuche diskriminiert werden, stellten in den letzten Jahren mehrere Untersuchungen fest. Inwiefern dies auch auf queere und trans Menschen zutrifft, ist statistisch hingegen kaum in Erfahrung zu bringen. Zu Transidentität gibt es in der Schweiz kaum Forschung. Sigmond Richli vom Transgender Network Switzerland sagt: «Ein so spezifisches Thema wie Wohnen und Transidentität wurde in der Surprise 544/23

Schweiz ganz bestimmt noch nie untersucht.» Was Diskriminierung im Allgemeinen betrifft, gaben im Schweizer LGBTIQ+-Panel von 2022 51,8 Prozent der queeren und trans Menschen an, sozial ausgegrenzt zu werden. 67,1 Prozent werden in der Öffentlichkeit angestarrt. Bei 69,7 Prozent wird die Geschlechtsidentität nicht ernst genommen. 76,3 Prozent erleben strukturelle Diskriminierung. Und 82,4 Prozent sind Witzen ausgesetzt. Auch zur Wohnungs- und Obdachlosigkeit von queeren und trans Menschen fehlen Zahlen. Eine Studie zur Obdachlosigkeit in der Schweiz von 2022 erfragte als Geschlecht nur «Frau» und «Mann». Bei einer Befragung zur Jugendobdachlosigkeit in Kanada von 2016 identifizierten sich 30 Prozent als LGBTQ+ – ein deutlich höherer Anteil als in der restlichen Bevölkerung. Gerne hätte Jay an der Hardstrasse 99 Wasser und Strom wieder zum Fliessen gebracht, Heizung und Toiletten installiert, das Haus von Brettern befreit und die Zimmer wohnlich gemacht für queere und trans Menschen in besonders prekären Situationen. Die etwa keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben oder Rassismus erleben. «Ich bin jung, weiss, gut gebildet, habe einen Schweizer Pass. Vergleichsweise bin ich privilegiert», sagt Jay, eine Zigarette drehend, und nimmt die Bauchtasche vom Tisch. Dann tritt they hinaus auf die Strassen Kleinbasels.

Hier wirst du unterstützt Bist du queer oder trans und erlebst Diskriminierung? Weiterhelfen kann etwa die LGBTIQ-Helpline: lgbtiq-helpline.ch. Für junge Queers: milchjugend.ch und du-bist-du.ch. Für queere Geflüchtete: inaya-basel.ch und queeramnesty.ch. Für trans Menschen: tgns.ch. Für non-binäre Menschen: nonbinary.ch.

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FOTO: SCHWEIZERISCHES SOZIALARCHIV ZÜRICH

Jugendliche beim Zügeln eines Klaviers: Die erste besetzte Liegenschaft in Zürich an der Venedigstrasse, 1971. Das Bild stammt aus den Materialien zu Thomas Stahels Publikation «Wo-Wo-Wonige – Stadt- und wohnpolitische Bewegungen in Zürich nach 1968».

Häuslichkeit abseits der Norm Die Art und Weise, wie wir wohnen, war schon immer eng mit den Normvorstellungen der Gesellschaft verknüpft. TEXT DIANA FREI

Aus Werbeanzeigen lässt sich vieles ablesen: Wofür inseriert wird, führt vor Augen, was die Bedürfnisse einer Zeit sind – oder waren. Und so stösst man, blättert man in NZZ-Ausgaben von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts, immer wieder auf Anzeigen für komplette Wohnungsausstattungen (nebst Mitteln gegen Blähungen; offensichtlich hatte man nun sitzende Büroarbeit, ernährte sich aber immer noch wie Bauern oder Bauarbeiter). Im Ausverkauf stand «Das wohnfertige Schweizerheim», das nicht nur ein schönes Doppelschlafzimmer bereithielt, sondern insgesamt 40 Teile, aus denen sich das Eheleben zusammensetzte, bis hin zu Nachttischlampen und «guten Schwei12

zerbildern» an der Wand. Für 1360 Franken konnte man sich schwere Möbel kaufen, die genauso unverrückbar waren wie das zugehörige Lebensmodell: die erfolgreiche Ehe. Gesellschaftliche Normen materialisieren sich also nicht nur in Wohnungseinrichtungen, sie bilden sich auch in der Konzeption von Grundrissen ab – und natürlich in der Wohnungsvergabe. Dass sie auch zu Diskriminierungen führen, liegt auf der Hand. Am klarsten fassbar ist sie bei Menschen mit Namen, die auf eine nicht-schweizerische Herkunft schliessen lassen. So hat eine Studie der Universität Bern 2014 ergeben, «dass Personen mit einem ausländisch klingenden Namen in der Ostschweiz und im Surprise 544/23


Mittelland im Vergleich zu Personen mit einem schweizerischen Namen und einem sonstigen identischen Bewerbungsprofil um 8.4 bis 10.3 Prozentpunkte weniger oft zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen wurden.» Und: «Personen mit einem arabisch oder tamilisch klingenden Namen werden stärker diskriminiert als solche mit einem serbokroatisch klingenden Namen.» Eine Studie des Bundesamts für Wohnungswesen hat 2019 ergeben, dass, wer einen kosovarischen oder türkischen Namen trägt, signifikant weniger Chancen hat, zu einer Besichtigung eingeladen zu werden, als diejenigen, deren Namen auf eine Herkunft aus der Schweiz oder einem der direkten Nachbarländer schliessen lassen. Trennungsbefehl wegen Konkubinat Aber zurück zur Ehe, denn interessant ist speziell die Verknüpfung von Wohnen und Sexualmoral, Geschlechternormen oder Intimbeziehungen. Also von Dingen, die bis ins innerste Private reichen. Bis 1972 waren die moralischen Schranken auf dem Wohnungsmarkt hierzulande im Gesetz festgeschrieben, und zwar in Bezug auf Mann und Frau: Das Konkubinatsverbot untersagte unverheirateten Paaren das Zusammenwohnen. «Das Verbot stammte aus dem Jahr 1911 und sah vor, dass die Statthalterämter auf Meldung der Gemeinderäte hin Trennungsbefehle an Konkubinatspaare erliessen. Wer dem nicht Folge leistete, hatte mit strafrechtlichen Folgen wegen Ungehorsams zu rechnen», schreibt Carole Scheidegger in ihrer Liz.-Arbeit von 2006. Das Verbot diente aufmerksamen Nachbar*innen denn auch als Steilvorlage für die Ausübung sozialer Kontrolle beziehungsweise für regelrechtes Denunziantentum. Das Privatleben anderer konnte mit der Vorstellung staatlicher Ordnung verknüpft werden. «Schrilles Türgeklingel schreckte beide aus ihren Träumen hoch. (...) Der Wecker stand auf sechs Uhr früh, und vor der Tür standen zwei Polizeibeamte. Höflich, aber entschieden teilten sie mit: es sei eine Reklamation eingegangen. Wegen Konkubinats. Und nun müssten sie einmal kurz nachsehen, ob das überhaupt stimme», zitiert Scheidegger einen Artikel von 1967 aus der Wochenzeitung Zürcher Woche. Es ging darum, die staatliche – und hier eben auch moralische – Ordnung wiederherzustellen, die durch (schon nur leicht) alternative Lebenskonzepte offensichtlich schnell in Frage gestellt wurde. Das Konkubinatsverbot galt vielerorts in der Schweiz. Als es 1972 in Zürich abgeschafft wurde, bestand es in vielen weiteren Kantonen weiterhin: Appenzell, Baselland, Basel-Stadt, Glarus, Graubünden, Luzern, Nidwalden, Obwalden, Schwyz, St. Gallen, Uri, Wallis und Zug. Normen und moralische Vorstellungen werden beim Wohnen reproduziert. So ist im Historischen Lexikon der Schweiz nachzulesen: «Die bürgerliche Gesellschaft entwickelte im frühen 19. Jahrhundert verbindliche Leitbilder des Wohnens. (…) Eng damit verbunden war der aufkommende Dualismus zwischen der öffentlichen Erwerbssphäre des Mannes und dem abgeschlossenen, weiblich konnotierten Bereich der Familie, wo Harmonie und Musse Platz finden sollten.» Das funktionierte natürlich nur innerhalb einer heteronormativen Logik. Interessant Surprise 544/23

ist, dass die realen Intimbeziehungen hinter den Kulissen durchaus anders aussehen konnten. Der Künstler Matt Smith thematisiert queere Beziehungen in Zusammenhang mit historischen Herrschaftshäusern in England, die vom National Trust, der Institution zur Pflege öffentlich zugänglicher Kulturbauten, Besucher*innen gezeigt werden. Smith hält fest, dass die Präsentation der historischen Gebäude zu einem wesentlichen Teil auf Familiennarrative baut. «LGBT-Sexualitäten» kämen selten vor: «Reproduktive und heteronormative Sexualität ist ein wesentlicher Teil des kuratorischen Narrativs.» (Er hat es dann natürlich mittels künstlerischer Interventionen in Zusammenarbeit mit dem National Trust auch aufgebrochen.) Das Narrativ ist aber im wahrsten Sinn des Wortes nur Fassade in Bezug auf die Geschichtsschreibung. Smith nennt Häuser, die historisch verbunden sind mit Männern, «die in ihrem Leben und ihren Intimitäten gegen soziale Normen verstiessen, und zwar durchaus auch in der Öffentlichkeit». Was bleibt, ist dennoch eine bereinigte Geschichte des Hauses und dessen Bewohner*innen. Von «Wohnleitbildern» spricht auch der Historiker Thomas Stahel in seiner Dissertation «Wo-Wo-Wonige! – Stadt- und wohnpolitische Bewegungen in Zürich nach 1968»: Genau dagegen wehrten sich Hausbesetzer*innen und Kommunenbewohner*innen in den 70er- und 80er-Jahren. Sie kritisierten die funktionale Trennung von Arbeitssphäre und häuslichem Dasein, die zunehmende Individualisierung und die bürgerliche Kleinfamilie. Ziel war die Verwirklichung von gänzlich neuen Formen des Zusammenlebens, von Selbstversorgung bis hin zu anarchistischen Konzepten. «Ein Grossteil der alternativen Projekte wurde nur ansatzweise beziehungsweise in einer Zwischennutzung verwirklicht oder blieb reine Utopie», schreibt Stahel und zitiert das Ssenter for Applied Urbanism (SAU): «Die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der Schweiz engen den Spielraum für phantasievolle Veränderungen empfindlich ein, die ordnende Gewalt von Staat und Familie erschwert das Aufkommen neuer Lebensformen.» Umso mehr verstanden sich Kommunenbewohner*innen und Hausbesetzer*innen als politische Bewegung, die Normen sprengen sollte. Das unterscheidet sie fundamental von den meisten heutigen Wohngemeinschaften, die sich längst etabliert haben und oft in erster Linie Zweckgemeinschaften in Lebensphasen mit geringem Einkommen sind. Wenn nun, wie in Basel, queere und trans Menschen als Community ein Haus besetzen, kommen neue Aspekte hinzu: Zum einen geht es darum, in einer ganz konkret schwierigen Wohnsituation – etwa mit den eigenen Eltern – ein neues Zuhause zu finden. Dann geht es um eine Art von Safe Space, einen Ort, an dem der Mensch sicher ist und nicht auf eine vermeintliche Andersartigkeit reduziert wird. Und politisch wird es, indem die Gruppe sich dabei an die Medien wendet, um auf ihre Benachteiligung auf dem Wohnungsmarkt hinzuweisen. Aber sie thematisieren damit weniger gesellschaftliche Utopien als aktuell gelebte Identität. 13


Abfallnation Schweiz Wiederverwertung Die Einwohner*innen der Schweiz seien Weltmeister im Wieder-

verwerten, das behaupten Recyclingorganisationen und Behörden gerne. Tatsächlich wird die Hälfte unseres Hausmülls verbrannt. Doch das soll sich jetzt ändern. TEXT CHRISTOPH KELLER

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FOTOS KLAUS PETRUS

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707 Kilogramm pro Kopf und Jahr – nach Norwegen und Dänemark produziert die Schweiz europaweit am meisten Müll.

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Eines Tages leerte ich unseren Abfallsack auf den Kellerboden. Ich sortierte, trennte, machte kleine Haufen. Fand kein Papier, kein Glas, keine PET-Flaschen, keine Plastikdosen und schon gar keine Batterien, denn das wandert hierzulande alles in die Recyclingcontainer, anderes auf den Kompost. Aber da waren drei angebrannte Pizzaränder (wir vermeiden Foodwaste, so gut es geht), ein zerfaserter Küchenlappen (gehört eigentlich in die Textilsammlung), ein Kugelschreiber. Der Rest, ein riesiger Haufen, war Plastik: Joghurtbecher, Käseverpackungen, Klarfolien, Nüsschenbeutel. Wohin, fragte ich mich, kommt das alles? Wir leben längst, so formulierte es der Kulturwissenschaftler Justin McGuirk, in einem «Zeitalter des Mülls», in einer Welt, in der Wachstum «komplett abhängig ist von der unablässigen und gnadenlos effizienten Produktion von Müll». Und von allen Ländern ist die Schweiz einer der gnadenlos effizientesten Produzenten von Abfall. Nämlich pro Einwohner sind es genau 707 Kilogramm im Jahr, nur Norwegen und Dänemark produzieren in Europa mehr Müll, und 773 Kilogramm sind es pro Kopf in den USA. Davon wird etwas mehr als die Hälfte wiederverwertet, der Rest landet heute mitsamt den ganzen Bauabfällen, Industriemüll, dem Abfall aus Spitälern, den Windeln aus Kinderkrippen, ausrangierten Skis, zerkratzten Motorradhelmen, müffelnden Klobürsten, meinem Plastikhaufen im Keller: in den Kehrichtverbrennungsanlagen. Und wird dort verbrannt. Meine erste Erkenntnis: Schweizer Hausmüll löst sich fast zur Hälfte in Luft auf, wird in der Atmosphäre deponiert. Als CO2, als das Gas, das unser Klima an die Grenzen des Kollapses bringt. Allein in der Schweiz stossen die Müllverbrennungsanlagen 4,2 Millionen Tonnen CO2 aus pro Jahr (das sind zehn Prozent des landesweiten Ausstosses). Dazu kommen die Schäden durch die giftige Schlacke, die in Deponien gelagert wird, eine ständige Gefahr für Grundwasser und Natur. Nicht mitgezählt auch, was wir sonst an Müll noch so produzieren. Radio­ aktiven Müll, Sondermüll, dazu 8900 Tonnen Mikroplastik pro Jahr vom Abrieb der Pneus unserer Autos, tausende Tonnen Mikroplastik aus Duschgels und Kunststoffkleidern, und das alles gelangt in die Umwelt, ins Meer, in unserer Nahrungsmittelkette.

Wir haben Plastikmüll im Blut, Mikroplastik findet sich mittlerweile auch in der Muttermilch, so weit ist es gekommen. Wir pusten mit verbranntem Müll Millionen Tonnen Klimagase in die Luft, und eigentlich sollten wir eines tun: dringend den Abfall reduzieren. Aber die Prognosen sind düster, Expert*innen rechnen mit einer Zunahme der Abfallproduktion um bis zu 4,7 Prozent bis 2035. Und so ist das heutige Schweizer System der Abfallbewirtschaftung: nicht zukunftsfähig. Denn es basiert weitestgehend auf der flächendeckenden «thermischen Verwertung» in den 29 Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA), die in der Schweiz seit den Sechzigerjahren in Betrieb genommen wurden. Diese KVAS nun haben ein Versprechen abgegeben, es steht in einem Vertrag ­zwischen dem Bund und dem VSBA, dem «Verband Schweizerischer Betreiber von Abfallverwertungsanlagen» (nicht: Kehrichtverbrennungsanlagen), der im vergangenen März unterzeichnet wurde. Darin ist festgeschrieben, dass die KVAs das Problem mit dem CO2 lösen sollen, sie müssen spätestens bis 2050 auf null Emissionen kommen. Und hier soll es die Technologie des «Carbon Capture and Storage», des Ausfilterns von CO2 mit anschliessender Deponierung in unterirdischen Kavernen richten; in einem ersten Schritt wollen die Betreiber*innen mit einer Pilotanlage bis 2030 mindestens 100 000 Tonnen CO2 aus den Schloten rausfiltern und sicher einlagern. Nur wo? Die Kapazitäten sind unsicher Robin Quartier, Geschäftsführer des VBSA, besitzt kein Auto, fährt mit dem Velo zur Arbeit und regt sich täglich auf über die klimaschädlichen SUVs. Und im Gespräch ist spürbar, dass das «Problem» mit dem CO2 Robin Quartier am Herzen liegt; er beteuert, man sei zwar technisch in der Lage, das CO2 in den Kaminen abzuscheiden, aber man wisse nicht wohin damit. «Es ist tatsächlich unsicher, ob es überhaupt Kapazitäten gibt, um das CO2 tief unter der Nordsee in Kavernen zu deponieren, wir wissen auch nicht, ob es möglich ist, das CO2 mit einer Pipeline etwa durch Deutschland hindurchzuführen, und man hat auch keine Ahnung, was das kostet.» «Es wird jedenfalls teuer. Und technisch anspruchsvoll.» «Ja.» «Und was ist mit der Umwandlung von CO2 in synthetischen Treibstoff?» 15


«Das ist noch viel teurer, weil das Verfahren sehr viel Strom braucht, wir sprechen von der Grössenordnung von mehreren Atomkraftwerken.» «Also fällt auch diese Option dahin?» «So ist es.» Die KVAs in der Schweiz werden ihre Klimaziele von sich aus nicht erreichen, das ist absehbar. Und einige frisieren dabei ihre Umweltbilanzen ganz erheblich. Die Industriellen Werke Basel etwa, deren KVA jährlich über 240 000 Tonnen CO2 in die Luft pustet, behaupten, man sei unter dem Strich «klimaneutral», weil die Hälfte des Abfalls aus «biogenen» Quellen stammt, also aus Holz, Papier, Essensresten und so weiter. Die andere Hälfte habe das Bundesamt für Umwelt BAFU deshalb als «klimaneutral» deklariert, weil man die Emissionen an CO2 bereits bei der Produktion der Produkte «erfasst» habe. Mit dieser Rechnung verschwinden Hunderttausende real emittierte Tonnen CO2 einfach aus der Klimabilanz, damit die KVA in Basel (wie andere auch) ihre CO2-Emissionen als «klimafreundlich» verkaufen kann. Genauso

wie die gewonnene Wärme für das Fernwärmenetz, das in Basel real aber zu 32 Prozent mit Erdgas betrieben wird, und zu 44 Prozent mit Abfall; mit Abfall, der am Rheinknie zu einem grossen Teil aus dem Ausland und aus anderen Kantonen dazugekauft wird. Atmosphäre als Deponie Seit die ersten KVAs in den 1960er-Jahren gebaut wurden, nutzt die Abfallnation Schweiz die Atmosphäre als Deponie. Und das mit Unterstützung des BAFU, das auf Anfrage beschwichtigt, die Treibhausgas­ emissionen aus den KVAs spielten ja nur eine «untergeordnete Rolle» (es sind immerhin 10 Prozent aller CO2-Emissionen der Schweiz). Das BAFU betrachtet denn auch das Verbrennen von Abfall (die «energetische Verwertung») und das Recycling (die «stoffliche Verwertung») seit Jahren und bis heute als «gleichwertige» Formen der «Entsorgung» von Abfällen. Das bestätigte die Direktorin des BAFU, Katrin Schneeberger, höchstpersönlich gegenüber einem, der nach genauer Lektüre von Ge-

setz und Verordnung zu einem anderen Schluss gekommen war: Andreas Howald, Rechtsanwalt in Bern, Rechtsvertreter des «Vereins Plastic Recycler Schweiz». Andreas Howald, der am Telefon geduldig jeden einzelnen Gesetzes- und Verordnungsartikel erläutert, der auf Gerichtsentscheide verweist, auf Erläuterungen zur Verordnung, sagt entschieden, dass sowohl das Umweltschutzgesetz des Bundes wie auch die entsprechende eidgenössische Abfallverordnung vorschreiben, die «stoffliche Verwertung», also das eigentliche Recyling von Abfall, habe Vorrang vor der lediglich «energetischen Verwertung» von Abfall. «Genau das ist der Sinn von Gesetz und Verordnung, wenn die massgeblichen und klaren Normen richtig angewendet würden. Und massgeblich bei der Frage, was wie verwertet werden soll, ist der jeweils aktuelle Stand der Technik, auch das ist so zwingend in der geltenden eidgenössischen Abfallverordnung vorgeschrieben. Danach könnten bereits heute und teilweise seit Jahren eine ganze Reihe von Abfällen, die heute einfach in der Kehricht-

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verbrennung KVA verbrannt werden, tatsächlich wiederverwertet werden, allem voran Plastik.» «Das heisst», frage ich zurück, «dass das heutige System der flächendeckenden und prioritären Abfallverbrennung gesetzeswidrig ist?» «Das ist so, ja.» «Und wie sind wir so weit gekommen?» «Primär fehlt es am konsequenten Vollzug bestehenden Rechts durch das Bundesamt für Umwelt BAFU und damit verbunden an der dem BAFU aufgetragenen Feststellung des Stands der Technik. Zugleich sind die KVAs regional wirtschaftlich wichtige Auftraggeberinnen und bedeutende Einnahmequellen der Gemeinden und Kantone, welche die Eigentümer der KVAs sind, und mit Sack- und Entsorgungsgebühren sowie dem Verkauf von Fernwärme und Strom viel Geld verdienen.» Die Rolle der Verbrennungsanlagen Ähnlich drastisch drückt es Ewoud Lauwerier aus, er ist Politikwissenschaftler und Mitautor der kürzlich erschienenen Studie «Plastik in der Schweiz» der Meeresschutz­ organisation «OceanCare». Er sagt, die Schweiz habe sich mit dem System der Abfallverbrennung als Standard in eine Art «Locked-in-Situation» begeben, da sei Transparenz schwierig. Und das «Quasimonopol» der Verbrennungsanlagen werde denn auch politisch verteidigt, bis hinein in die inneren Zirkel im Bundeshaus. Aber damit könnte es bald ein Ende haben. Denn mittlerweile wächst der Druck, die Kreislaufwirtschaft in der Schweiz zu stärken, will heissen eine Wirtschaft, bei der Stoffe und Produkte möglichst ressourcenschonend produziert und dann «im Kreislauf» gehalten, also mehrfach wiederverwendet werden. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft setzt voraus, dass Produkte so «designt» werden, dass sie auch wiederverwertbar sind, Kreislaufwirtschaft ist das Gegenteil der heute gängigen Wegwerfwirtschaft. Die Kreislaufwirtschaft ist unter der Bundeshauskuppel angekommen, allem voran mit der parlamentarischen Initiative «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken», lanciert von der Umweltkommission des Nationalrates. Und im Zentrum steht da vor allem jene Sorte unseres Abfalls, die in der Schweiz meist verbrannt wird: Plastik. Druck aufgebaut hat auch, nebst weiteren Vorstössen, die Motion von Nationalrat Thomas Dobler (FDP), die den BunSurprise 544/23

Gut sortiert ist halb entsorgt? Lackfarben ist Sondermüll, der auf mehr oder weniger verschlungenen Wegen in die Umwelt und manchmal in die Nahrungsmittelkette gelangt.

desrat verpflichtet, «mittels Verordnung festzulegen, dass stofflich verwertbare Anteile von Kunststoffabfällen schweizweit koordiniert und flächendeckend getrennt gesammelt und hochwertig stofflich verwertet werden können». Druck kommt aber auch von den Konsument*innen, die, das zeigen Umfragen, zu 70 Prozent ein komplettes Plastikrecycling wünschen; nicht zuletzt macht auch die Europäische Union vorwärts. Sie verbietet bereits heute bestimmte Einwegverpackungen in Plastikform und will die Vorschriften für Plastik insgesamt verschärfen.

Das alles freut vor allem Simone Hochstras­ ser. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins Schweizer Plastic Recycler VSPR, sie spricht bei unserem Gespräch ganz sachlich, legt die Fakten auf den Tisch. Simone Hochstrasser betont, der VSPR habe von sich aus die Grundlagen gelegt für eine harmonisierte, zertifizierte Plastiksammlung. Man wollte «nicht auf die Politik warten», denn die habe viel zu lange gezögert, auch das Bundesamt für Umwelt gehöre «nicht gerade zu denen, die sich etwas Neues ausdenken». Das sei aber auch nicht deren Aufgabe, sondern es sei Aufgabe der Privat­ 17


Entsorgungstelle in Bern: Weniger als ein Zehntel des Plastiks in der Schweiz wird heute wiederverwendet – eine Ausnahme ist PET, da sind es über 80 Prozent.

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wirtschaft, sich selber Regeln aufzuerlegen. Und so seien heute schon neun Betriebe in der deutschsprachigen Schweiz für ein hocheffizientes Plastikrecycling zertifiziert, man sei bereit für mehr. «Das bedeutet», hake ich nach, «dass die Privaten die Initiative ergriffen haben.» «So ist es, weil wir eine starke Bewegung spüren, den Willen, etwas zu tun, und jetzt sind sich alle am Finden.» Plastik anders designen Einer, der zu den Pionieren im Plasticrecycling gehört, heisst Markus Tonner; er ist Inhaber der Firma InnoRecycling in Eschlikon und Präsident des VSPR. Markus Tonner, der gerne auf seinem Werkhof zum Gespräch lädt, inmitten von riesigen Ballen Plastik, Tonnen über Tonnen Plastikverpackungen, ist ein engagierter, visionärer Unternehmer. Tonner beliefert die benachbarte InnoPlastics, die pro Jahr 19 000 Tonnen Regranulate aus rezykliertem Plastik herstellt. Plastik, das aus Haushalten kommt, aus der Industrie, aus der Landwirtschaft. Es stammt zu einem grossen Teil aus dem Ausland, aus der Schweiz werden gerade mal 6700 Tonnen angeliefert. Tonner betont seit Jahren, dass man vom handelsüblichen Haushaltplastik etwa 80 Prozent relativ einfach recyclen kann, mehr als 50 Prozent davon wird zu wiederverwendbarem Plastik, bei «reineren» Plastiksorten ist die Ausbeute erheblich höher. Und im Vergleich zur Verbrennung spart die Wiederverwertung pro Kilo Plastik drei Kilo CO2 ein. Tonner hängt es nicht an die grosse Glocke, aber sein Betrieb hat dazu beigetragen, dass allein im letzten Jahr etwa 72 000 Tonnen CO2 vermieden wurden. CO2, das sonst über die KVAs in die Atmosphäre gelangt wäre. Aber es sei noch immer «viel zu wenig», sagt Tonner. Weil weniger als ein Zehntel des Plastiks in der Schweiz heute wiederverwertet wird (beim PET sind es über 80 Prozent), trotz aller Anstrengungen. Tatsächlich benötigt man mindestens 20 000 Tonnen gesammeltes Plastik pro Jahr, um eine vollautomatisierte Plastiksortieranlage rentabel betreiben zu können. Zurzeit wird Plastikmüll aus der Schweiz, der für die Wiederverwendung bestimmt ist, im Vorarlberg vorsortiert. Wer mit Patrick Semademi spricht, CEO des Plastikunternehmens Semademi AG, mit 250 Mitarbeiter*innen in ganz Europa, bekommt eine Ahnung von der Zukunft in Sachen Plastik. Semadeni, der zudem beim Surprise 544/23

Verband der Schweizer Kunststoffindustrie für den Sektor Nachhaltigkeit verantwortlich ist, sagt bei unserem Gespräch unumwunden, man sei an der Schwelle zu einem zweifachen «Paradigmenwechsel». Erstens, indem gebrauchter Plastik nicht mehr als «Abfall», sondern als «Wertstoff» behandelt wird. «Und zweitens arbeiten wir daran, Komplexität aus dem System herauszunehmen, also wir produzieren Plastik, der weniger kompliziert zusammengesetzt ist, damit er auch leichter wiederverwertet werden kann.» «Wie muss ich mir das vorstellen?» «Zum Beispiel wird auf die Einfärbung verzichtet oder man benutzt lösbare Etiketten, insgesamt sollen Plastikprodukte nicht komplizierter zusammengesetzt sein als unbedingt nötig.» «Plastik wird also fit gemacht für den Kreislauf?» «Genau.» Semadeni ist Bergsteiger, er sieht bei jeder Bergtour, was die Klimakrise in den Bergen anrichtet, erzählt von Steinschlag, gefährlichen Passagen. Deshalb setzt er sich ein für «Zero Waste», also «Null Abfall», und er bekennt sich zu den Entwicklungszielen der UNO in der «Agenda 2030». Aber er gibt zu, dass bei Weitem noch nicht alle Firmen die Zeichen der Zeit gesehen haben, es brauche, sagt er, «noch viel Aufklärung». Und ja, auch neue Regeln. Die werden gerade formuliert, im Parlament, bei der Revision des Umweltschutzgesetzes. Dort haben die behandelnden Kommissionen beider Räte die Kreislaufwirtschaft als Grundsatz festgeschrieben – und auch, dass Abfälle prinzipiell «stofflich verarbeitet» werden müssen. Also ist «Verbrennen» inskünftig der allerletzte Ausweg. Das Parlament will eine flächendeckende Sammlung von wiederverwertbaren Abfällen, vor allem von Plastik. Letztlich anders heizen Nicht die öffentliche Hand, etwa die Gemeinden oder die 29 «Abfallverwertungsanlagen» sollen diese Aufgabe übernehmen, sondern Private, das ist der Stand der Beratungen. Das Parlament setzt damit, wie beim PET, auf das Prinzip der Eigenverantwortung der Branche und ebnet den Weg für die bereits bestehenden privaten Sammlungen (unter anderem auch von Migros und Coop) und für das Projekt «Sammlung 2025», das vom Verband «swissrecycling» länger schon vorbereitet

wird. Es sieht vor, dass in Zukunft ein schweizweit koordiniertes Recyclingsystem für Kunststoffverpackungen und Getränkekartons eingeführt wird, es soll ein «praxisorientiertes und breit abgestütztes System werden», wie Rahel Ostgen von «swissrecycling» sagt. Damit holt die Abfallnation Schweiz ihren enormen Rückstand auf das europäische Ausland etwas auf, zumindest bei den Verpackungen, also bei dem Plastik, der vor allem im Haushalt anfällt. Aber auch alle Metalle, Bauschutt, Holz, Bioabfälle, alles muss nach den neuen Vorschriften, die in Arbeit sind, wieder «verwertet» werden, und zwar «stofflich». Und früher oder später müssen, wenn die Schweiz ihre Klimaziele erreichen will, überhaupt alle Industrieabfälle, Plastik oder nicht Plastik, aufbereitet werden. Was heisst das für die KVAs, die auf diese Abfallmengen angewiesen sind? Robin Quartier, Geschäftsführer des VBSA, bleibt gelassen. Natürlich, sagt er, sei insbesondere Plastik ein «sehr praktischer Abfall für die KVAs, weil Plastik eben gut und relativ sauber brennt». Aber er vertraue darauf, dass es auch in Zukunft noch genug anderen Abfall geben werde, und sonst «muss man eben die eine oder andere Anlage abschalten». Das sind Töne, die nicht von allen gerne gehört werden, vor allem nicht von den Kantonen, die ihre KVAs über Jahre zu eigentlichen Kraftwerken ausgebaut haben, zu Lieferanten von Strom und vor allem: von Fernwärme. Denn es ist unklar, wie diese Fernwärmenetze betrieben werden sollen, wenn die Kreislaufwirtschaft in der Schweiz flächendeckend eingeführt ist, wenn jede Kosmetikflasche, jeder Bodenlappen, jede Sitzgarnitur, jede Druckerpatrone wieder in den Kreislauf kommt, wenn sich also, wie vom Gesetzgeber gewünscht, das Volumen des Abfalls drastisch reduziert. Vielleicht werden dann die Fernwärmenetze nicht mehr mit Abfall geheizt (und mit Gas), sondern von grossen, leistungsfähigen geothermischen Anlagen, wie heute schon in München. Und in vielen anderen europäischen Ländern.

Hintergründe im Podcast: Radiojournalist Simon Berginz spricht mit Reporter Christoph Keller über seine Recherche. surprise.ngo/talk 19


Den Hunger erdulden: der kleine Hassan und seine Mutter Malyun im Spital von Borama, Somaliland.

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Politik des Hungers Somalia Am Horn von Afrika verhungern Hunderttausende. Offiziell handelt es sich trotzdem nicht um eine Hungersnot. Warum nicht? TEXT UND FOTO KLAUS PETRUS

Borama

SOMALIA

«Der Hunger ist ein Kampf des Körpers gegen den Körper. Erst knurrt Ihr Magen, dann streikt er, er zieht sich zusammen, will nichts mehr zu sich nehmen. Das mag seltsam klingen, aber: Wer hungert, hat keinen Hunger mehr. Sie verlieren Ihre Zuckerreserven, später Ihr Fett. Sie magern ab. Ihr Immunsystem schwächelt, Viren attackieren Ihren Körper und lösen Durchfall aus. Sie verlieren grosse Mengen an Salz, Wasser und Verdauungssäften. Dann trocknen Sie langsam aus. Parasiten siedeln sich in Ihrem Mund an, Ihre Bronchien sind entzündet. Sie müssen husten und können kaum atmen. Sie röcheln. Sie bekommen Panik. Ein Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit begleitet Ihren körperlichen Zerfall. Manchmal dauert es Tage, manchmal Wochen, bis der letzte Rest Ihrer Muskelmasse aufgebraucht ist. Ist es so weit, können Sie sich nicht mehr auf den Beinen halten oder mit Ihren Händen aufstützen. Bald werden Sie sich überhaupt nicht mehr rühren. Sie kauern sich zusammen, liegen reglos da. Ihre Haut legt sich in Falten, sie wird brüchig und durchsichtig, bei jeder Bewegung könnte sie reissen wie ein dünnes Blatt Papier. Alles an Ihnen ist Schmerz. Ihr Wimmern wird zu einer Art Summen. Und dann sterben Sie.» So in etwa hat mir der Arzt Ibrahim Liban den Hungertod beschrieben, in einem Kinderspital in Borama, einer Stadt im Norden von Somalia, am Krankenbett des kleinen Hassan. Zehn Tage war seine Mutter Malyun, eine Ziegenhirtin und Nomadin, zu Fuss unterwegs hierher, in der Hoffnung, Ibrahim Liban könne ihren Sohn noch retten. Doch der zuckt nur mit den Schultern. Hassan muss mit Schläuchen ernährt werden, sein Atem geht schnell, die Augen sind leer. Er ist, wie alle Kinder hier, am Verhungern. Eine Sache der Definition Da ist er also wieder, der Hunger am Horn von Afrika. 1992 starben allein in Somalia 200 000 Menschen am Hunger und an Unter­ernährung, 2011 war es gar eine Viertel Million, darunter 125 000 Kinder. In beiden Fällen wurde von den Vereinten Nationen (UNO) die Hungersnot ausgerufen. Jetzt, 2023, befürchtet man noch mehr Tote; von 500 000 ist beim Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) die Rede, sollte die Internationale Gemeinschaft in den kommenden Wochen und Monaten nicht handeln und abermals offiziell von einer Hungersnot sprechen. Denn dann würden Gelder und Güter fliessen, Regierungen müssten reagieren und Hilfsorganisationen hätten mehr Spielraum. Was bisher aber nicht geschah. Aber wieso nicht? Weil der Hunger immer auch – und vielleicht zuallererst – ein Politikum ist. Surprise 544/23

Dieses Politikum beginnt bereits bei der Definition von Hunger. Gemäss der Welternährungsorganisation (WHO) hungern erwachsene Personen, wenn sie – je nach Geschlecht, Alter, Klima und Schwere der Arbeit – weniger als 2200 Kilokalorien täglich zu sich nehmen, Säuglinge, wenn sie nicht 700 Kilokalorien täglich bekommen und Kleinkinder bis zu zwei Jahren, wenn die Menge an täglichen Kilokalorien weniger als 1000 beträgt. Die internationale Hungerskala IPC unterscheidet fünf Schweregrade des Hungers, von «minimalem Hunger» (Stufe 1) über «akuten Hunger» (Stufe 3) bis zur «Hungersnot» (Stufe 5). Letztere ist als Katastrophenlage charakterisiert, in der der Zugang zu Nahrungsmitteln und anderen Grundbedürfnissen völlig fehlt. Um eine Hungersnot auszurufen, müssen weitere Kriterien erfüllt sein, wie: in einer bestimmten Region hat einer von fünf Haushalten keinen Zugang zu Nahrung; mehr als 30 Prozent der Kinder dieser Region unter fünf Jahren sind akut unterernährt; im Zeitraum von 90 Tagen sterben täglich mindestens zwei von 10 000 Menschen an Hunger. Allerdings haben diese Kriterien ihre Tücken. So ergibt der Zeitraum von 90 Tagen zwar Sinn bei akuten Ereignissen: ein Erdbeben, eine Überschwemmung, eine Heuschreckenplage, Terroranschläge – dann haben Abertausende von Menschen plötzlich keinen Zugang mehr zu Essen und Trinken, sie müssen die Flucht ergreifen. Die UNO geht davon aus, dass weltweit bis zu 50 Millionen Menschen jedes Jahr von derlei Ausnahmesituationen betroffen sind. Doch was ist mit dem schleichenden Hunger? Kein plötzliches Drama hat ihn verursacht, keine akute Katastrophe, sondern, wie in Somalia, die Tatsache, dass die letzten fünf Regenzeiten ausgefallen sind und das Land allmählich verdorrt oder dass die Terrormiliz al-Shabaab seit Jahren die Menschen bestiehlt, verfolgt und in Armut und Hunger treibt oder dass die eigene Regierung in Korruption versinkt. Wer deswegen hungern muss, hungert nicht akut, sondern chronisch. Chronischer Hunger führt in fast allen Fällen zu Mangelernährung. Die WHO schätzt, dass weltweit zwei Milliarden Menschen davon betroffen sind, allein in Somalia sind von den 17 Millionen Einwohner*innen derzeit 6,7 Millionen mangelernährt. Sie haben nicht immer, aber manchmal zu essen, doch handelt es sich dabei häufig – auch das ein Nebeneffekt des chronischen Hungers – nicht um ausreichend nährstoffreiche Nahrung. Mangel- und Fehlernährung wird denn auch als «unsichtbarer Hunger» (Jean Ziegler) bezeichnet und führt bei Kindern sowie Erwachsenen nicht bloss zu Vitamin-, sondern auch zu Zink- und 21


17 000 000 Einwohner*innen in Somalia

Somalia – ein ewiges Hungergebiet

6 700 000

3 900 000

Menschen sind von Hunger bedroht

500 000 davon Kinder

Jodmangel. Die Folgen lassen sich beziffern: Infolge der durch Vitamin-A-Mangel ausgelösten Krankheiten wie Malaria oder Röteln sterben gemäss WHO jedes Jahr 600 000 Kinder unter fünf Jahren; infolge schwerer Durchfallerkrankungen durch Zinkmangel sind es jährlich 800 000; schliesslich kommen jedes Jahr 20 Millionen Kinder mit unterentwickelten Gehirnen auf die Welt, eine Folge des chronischen Jodmangels der Mütter. Auch für Ibrahim Liban im Kinderspital in Borama ist dies eine der grossen, da nachhaltigen Folgen des Hungers: «Selbst wenn Hassan wieder gesund werden sollte – aus ihm wird kein Einstein, kein Ministerpräsident, Ingenieur oder Lehrer; ein Taxifahrer vielleicht oder ein Viehhirte. Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, aber: In unserem Land kommen seit Generationen nur noch Idioten zur Welt. Wie soll das alles weitergehen?» Weniger Zahlen, weniger Hunger? Ein anderes Problem sind die Zahlen. Die UNO ruft nur dann eine Hungersnot aus, wenn die Faktenlage klar ist. Im Falle von Somalia ist sie das selten. So sucht man das Land auf dem Welthunger-Index von 2022 vergeblich. Die ersten drei Plätze werden vom Jemen, der Zentralafrikanischen Republik sowie Madagaskar belegt – und das, obschon Nichtregierungsorganisationen regelmässig monieren, es deute alles darauf hin, dass Somalia bereits seit Jahren Platz 1 belegt. Tatsächlich taucht das Land auf dem Index nur deswegen nicht auf, weil verlässliche Zahlen zum Hunger fehlen. Die am Horn von Afrika tätige deutsche Hilfsorganisation Welthungerhilfe (WHH) spricht von 7,1 Millionen von Hunger Betroffenen, 6,7 Millionen seien mangelernährt, darunter 500 000 22

Kinder. Zudem hätten fast vier Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, und eine weitere Million Menschen – davon die meisten Viehhirten – sei infolge von Dürre und Trockenheit zu Binnenflüchtlingen geworden. Ale­xander Fenwick, WHH-Verantwortlicher für Somalia, räumt allerdings ein, dass es sich hier um Schätzungen handelt, die seiner Ansicht nach zu tief angesetzt sind. «Der Grund besteht darin, dass wir zu den Gebieten, wo bereits Hungersnot herrscht, kaum oder überhaupt keinen Zugang haben und auf die Angaben von Personen angewiesen sind, die aus diesen Regionen flüchten mussten.» Fenwick spricht unter anderem von den ländlichen Regionen im Südwesten Somalias, die weitgehend von al-Shabaab kon­ trolliert werden. Seit dem Sturz des somalischen Diktators Mohammed Siad Barre im Jahr 1991 setzt die Miliz mit Terroranschlägen, Entführungen und Verfolgungen alles daran, am Horn von Afrika einen sogenannt Islamischen Staat zu errichten. Obschon sie in den vergangenen Jahren an Einfluss verloren hat, betrachtet sich al-Shabaab nach wie vor als Opposition zur somalischen Regierung. Insbesondere ist es der Terrorgruppe gelungen, die ländlichen Gebiete zu besetzen und aus dem Hunger Profit zu schlagen. So machen sie sich die Not der Viehhirten zunutze und rekrutieren, offenbar sehr erfolgreich, aus den Reihen der hungernden Nomaden künftige «Gotteskrieger». Auch setzen sie Hilfswerke unter Druck, indem sie ihnen die Arbeit in den Hungergebieten erschweren. Nicht wenige Organisationen sind gezwungen, mit al-Shabaab zu verhandeln; andere, wie das Welternährungsprogramm (WFP) oder UNICEF wurden von al-Shabaab aus den Hungergebieten verwiesen. Was sich, wie gesagt, auf die Faktenlage niederschlägt; oder wie Fenwick sagt: Surprise 544/23

QUELLE: ZAHLEN FÜR 2022 VON WELT­H UNGERHILFE, WWW.WELTHUNGERHILFE.DE/SPENDEN-SOMALILAND/DUERRE-SOMALIA

Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser


QUELLE: UNICEF, WWW.UNICEF.CH/DE/SO-HELFEN-SIE/PROGRAMME/HUNGERSNOT-OSTAFRIKA

«Eigentlich wissen wir alle, was in diesen Gebieten abgeht. Nur weil wir die Toten nicht zählen können, heisst das nicht, dass es sie nicht gibt.» Es ist nicht das erste Mal, dass Terror und Hunger sich begünstigen; man denke bloss an den Jemen, den Südsudan, an Afghanistan oder, weiter zurück, an den Holodomor, jene Hungerkrise in der Sowjetunion Anfang der 1930er-Jahre, die Stalin gezielt für seinen Krieg gegen die Ukraine nutzte und die am Ende vier Millionen Ukrainer*innen das Leben kostete.

abgezwackt würden; Gelder, welche die somalische Regierung bisher nutzt, um einen Beamtenstaat zu etablieren oder die Terrormiliz al-Shabaab in Schach zu halten. NGOs sehen noch ein anderes Motiv: Würde in Somalia schon wieder die Hungersnot ausgerufen, würde dies selbst die letzten ausländischen Investoren vertreiben. Auf deren Geld aber ist die somalische Regierung dringend angewiesen. Es erstaunt daher nicht, dass Präsident Mohamed noch vor Kurzem beteuerte, er sehe derzeit «kein unmittelbares Risiko für eine Hungersnot».

Angst vor Verlusten Auch für Regierungen ist der Hunger häufig ein politisches Kalkül. Der somalische Präsident Hassan Sheikh Mohamed, seit Frühjahr 2022 im Amt, sagte vor Kurzem: «Das Risiko bei der Erklärung einer Hungersnot ist sehr hoch. So eine Erklärung kann die Entwicklung im Land lahmlegen.» Auf den ersten Blick scheint diese Aussage kontraintuitiv. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass mit einer Erklärung der Hungersnot nicht bloss die mediale Aufmerksamkeit steigt, sondern auch die internationalen Hilfsbudgets aufgestockt werden. Konkret rechnet die UNO für den Fall, dass in Somalia die Hungersnot ausgerufen würde, mit einer ersten Tranche von über einer Milliarde US-Dollar. Allerdings handelt es sich dabei und in Übereinstimmung mit der Definition der Hungersnot als «akute Katastrophenlage» um eine kurzfristige Nothilfe. An einer solchen scheint Präsident Mohamed nur wenig Interesse zu haben. Offenbar befürchtet er, dass Entwicklungsgelder – sollte die Hungerkrise länger anhalten, was wahrscheinlich ist – von Langzeitprojekten

Und dann sterben sie Definitionen, Zahlen, Terroristen und Staatsleute – wer vom Hunger redet, redet irgendwann von etwas Abstraktem. Von etwas Unpersönlichem. Als sei der Hunger nicht der Hunger derer, die daran sterben. Dabei existiert Hunger, wenigstens medizinisch gesehen, niemals ausserhalb des Menschen, der an ihm zugrunde geht. Weshalb es eigentlich nie allein um den Hunger geht, sondern immer um den hungernden Menschen. Ob jemand dort draussen eine Hungersnot ausruft, mag denen hier im Kinderspital von Borama im Nordwesten von Somalia egal sein, so möchte man meinen. Und doch: 2011, als in Somalia letztmals offiziell eine Hungersnot erklärt wurde, zählte man am Ende 250 000 Hungertote; mehr als die Hälfte starb vor der Erklärung. Damals hiess es, man habe zu lange gewartet. Und dieses Mal? Für Hassan ist es zu spät. Der kleine Junge von Malyun, der einmal Pilot werden wollte, ist inzwischen am Hunger verstorben.

16 600 000 Kinder unter fünf Jahren sind schwer akut unterernährt

149 200 000 45 400 000 Kinder – die Verwundbarsten in Zeiten des Hungers

Kinder unter fünf Jahren sind zu klein für ihr Alter (unterentwickelt)

Kinder unter fünf Jahren sind zu dünn für ihr Alter (ausgezehrt)

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Vertonung eines Lebens Audiofestival «Sonohr» zeigt mit Tonexperimenten, Klangerfahrungen und den

Hörstücken im nationalen Wettbewerb, wie vielfältig Audioschaffen sein kann. Nominiert ist auch der Surprise-Podcast «Tito – vom Obdachlosen zum Stadtführer». TEXT DIANA FREI

Irgendwie muss man sich ja kategorisieren, und so nennt sich Sonohr fast bescheiden «Radio & Podcast Festival», obwohl es Audio aller Art vereinigt: Hier entstehen Hörerlebnisse auch live anlässlich von Performances, es gibt Soundwalks durch die Stadt, und der Glasgower Künstler Mark Vernon steigt in sein persönliches Archiv gefundener und gesammelter Tonbandkassetten. In einer audiovisuellen Performance wird eine magnetische Flüssigkeit mittels Live-Electronica in Wallung gebracht, während Tim Shaw auf einem Stadtspaziergang akustische und elektromagnetische Signale aus der Umgebung sammelt und sie auf die Funkkopfhörer des Publikums überträgt. Dazu konkurrieren im nationalen Wettbewerb zwölf fiktionale und dokumentarische Audiowerke. «Das denkende Herz – nach den Tagebüchern von Etty Hillesum» etwa, ein Hörstück aus elektronisch-musikalischen Textund Stimmlandschaften, die auf den Tagebüchern der 1943 in Auschwitz ermordeten Etty Hillesum basieren. Oder «Züriwasser», das den von den Gewässern des Kantons Zürich erzeugten Klanglandschaften folgt. Der Sechsteiler «La Gaythé» begegnet alternden LGBTQ+-Personen und erzählt unter anderem von der 78-jährigen Marie-Claire aus Genf, die über ihre Kindheit, die Beziehung zu ihren Eltern und zur Religion spricht: Das Per24

sönliche wird zu einem Gesellschaftsporträt und Zeitzeugnis. Weiter im Wettbewerb wird unser Verhältnis zu Fleisch zum Klangerlebnis und die Geschichte eines Herz-Kreislauf-Zusammenbruchs zur Audio-Doku. Ebenfalls im Wettbewerb steht «Tito – vom Obdachlosen zum Stadtführer», ein Auftragswerk von Surprise, das die Audioproduzenten This Wachter und Simon Meyer umgesetzt haben. Der Fünfteiler zeichnet den Weg von Tersito «Tito» Ries nach, der für den Verein Surprise seit 2021 Soziale Stadtrundgänge macht. Als Guide zeigt er die Stadt Basel aus der Sicht eines zeitweilig Abgestürzten und erzählt dabei aus seiner Biografie. Tito war in seiner Vergangenheit nicht nur obdachlos, sondern auch Unternehmer. Nachdem er seine zweite Firma aufgebaut hatte, ging er nach Neuseeland, um Englisch zu studieren, er machte das Höhere Wirtschaftsdiplom und zog Kinder gross. Er war aber auch Gefängnisinsasse aus Gründen, die er nicht detailliert ausführen mag. Abwärts ging es, nachdem er mit seiner dritten Firma Konkurs ging, weil mehrere Kunden gleichzeitig zahlungsunfähig wurden. Heute ist er in einer Mehrfachrolle für seine vor 25 Jahren an MS erkrankte Freundin: als Partner, Pfleger und «Case Manager» – wie er es selbst nennt – zugleich. Tito kennt die Abgründe des Lebens, die Schwellen, über die man Surprise 544/23


BILD(1): JONATHAN TURNER BILD(2): ZVG, BILD(3): ZVG

3 1 Tim Shaw, «Ambulation»: Aus Umgebungsgeräuschen entsteht eine Performance. 2 Mark Vernon, Künstler aus Glasgow, bei der Arbeit. 3 Stationen einer Lebensgeschichte: Tito Ries auf der Probetour des Sozialen Stadtrundgangs.

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stolpern kann, die äusseren Weichenstellungen, die einen entgleisen lassen, ebenso wie die folgenreichen Fehler, die man selber im Leben machen kann. Der Erzähler wird zum Schatten Als er 2020 bei Surprise die Ausbildung zum Stadtführer begann, sollte This Wachter ihn mit Mikrofon begleiten. Doch dann kam die Pandemie. «Wir hatten uns davor einmal kurz getroffen», sagt Tito, «und This meinte da schon, ich solle doch mal selbst ein bisschen etwas auf mein Handy aufnehmen.» Lebensgeschichte, Alltag, Gedanken, Erinnerungen. «Ich lachte erst mal und sagte: ‹Zuerst musst du mir erklären, was das heisst, Podcast.› Das mag seltsam klingen, aber ich wusste nicht genau, was das ist. Wie man das macht, worauf es dabei ankommt – das war mir alles überhaupt nicht klar.» Er sollte es schnell lernen, weil This Wachter aufgrund der Pandemie entschied: Tito sollte nicht nur ein bisschen etwas, sondern ziemlich viel selbst aufnehmen. Wachter sagt dazu: «Ich habe die Methode auch in anderen Audiostücken schon verwendet, um Momente einzufangen, zu denen ich selbst nicht Zugang habe. Aber dass jemand wirklich fast sein ganzes Leben erzählt, das haben wir zum ersten Mal so gemacht.» Dreieinhalb Monate lang belieferte Tito den Audioproduzenten mit Ton­aufnahmen, es wurden 17 Stunden daraus. Tito gab seine Biografie – nach einem einzigen kurzen Treffen mit Wachter – damit in fremde Hände. «Das war für mich ungewöhnlich. Als Unternehmer war ich es gewohnt, dass ich Einfluss nehmen kann und derjenige bin, der erstmal eine Idee haben und sie umsetzen musste. Ich empfand es aber als entlastend.» Und noch ein anderer Aspekt kam dazu: «Es ging mir 25 Jahre lang mies, aber ich habe immer versucht, dabei zu lachen und habe es mit Surprise 544/23

viel Humor überspielt. Und dann kommt plötzlich ein Moment, in dem endlich mal jemand zuhört, was denn hier gelaufen ist und was vielleicht dazu geführt hat, dass ich so abgestürzt bin.» Für den Audiomacher ist es eine spezielle Verantwortung, mit dem Leben eines anderen Menschen umzugehen. Es stellen sich ethische Fragen. «Man muss sehr bewusst entscheiden: Was will ich von dieser Person veröffentlichen? Muss man jemanden auch ein Stück weit vor sich selbst schützen? Weiss er oder sie, wozu sie wirklich bereit ist? Wem gehört eigentlich die Geschichte?», sagt Wachter. Und auch die eigene Rolle muss reflektiert werden. «Ich habe entschieden, dass es mich als Erzähler nicht braucht. Auch das habe ich noch nie gemacht. Ich bin eher Titos Schatten, und mit der Zeit werde ich auch zu einem Gegenüber. Manchmal hört man, dass ich anwesend bin, dass er zu mir redet oder auch über mich redet. Ich als Erzähler komme aber erst in der allerletzten Episode vor.» Spät kamen im Produktionsprozess auch die Ortstermine dazu. So fügen sich die unterschiedlichsten Erzähl­ ebenen, Audioelemente, Tonsituationen zusammen und verbinden sich mit Cellomusik. Wachter beschreibt seine Arbeit als «Kunsthandwerk»: ein journalistischer Ansatz mit künstlerischer Komponente. Etwa, indem das Cello keine Melodie spielt, sondern Klänge produziert, die die Brüche und Wendungen in der Biografie hörbar machen.

«Sonohr – Radio und Podcast Festival», 24. bis 26. Februar, Hauptspielort Kino Rex, Schwanengasse 9, Bern. Keine Tageskasse am V ­ eranstaltungsort, ­Ticketbestellung online oder Tel. 0900 441 441 und Ticketino-­ Vorverkaufsstellen (z. B. Post-Filialen, BLS-Reisezentrum). www.sonohr.ch 25


Winterthur «Adji Dieye – Aphasia», Ausstellung, Sa, 25. Feb. bis Mo, 29. Mai, Di bis So, 11 bis 18 Uhr, Fotomuseum Winterthur, Grüzenstrasse 44+45. fotomuseum.ch

Die italienisch-senegalesische Künstlerin Adji Dieye (*1991), die in Zürich und Dakar wohnt, beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit den Themen Postkolonialismus und Nationalstaatenbildung. Dabei untersucht sie aus einer afrodiasporischen Perspektive, welche Rolle Sprache und der urbane Raum in der Geschichtsschreibung spielen. Der Verlust von Sprache ist Kern der Videoinstallation «Aphasia». Der Begriff Aphasie steht für eine kognitive Störung des Sprachvermögens oder Sprachverstehens. Dieye eignet ihn sich über eine Sprachperformance an öffentlichen Orten in Dakar an und überträgt ihn in einen kulturellen Kontext. In gebrochenem Französisch liest sie aus einem Manuskript: Es sind Reden, mit denen sich Präsidenten des Senegal seit der Unabhängigkeit des Landes 1960 in französischer Sprache an die Bevölkerung gewandt haben. In der von der früheren Kolonialmacht eingeführten Sprache also, die nur ein Teil der Bevölkerung in ihrer institutionellen Form tatsächlich versteht. DIF

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St. Gallen «Gina Proenza – Moving Jealousy», Ausstellung bis 19. März, Di bis Fr, 12 bis 18 Uhr, Sa/So 11 bis 17 Uhr, Kunst Halle Sankt Gallen, Davidstrasse 40. k9000.ch Die Arbeiten der franko-kolumbianischen Künstlerin Gina Proenza (*1994) erzählen Geschichten von tropischen Schlingpflanzen und den abgelegenen Dörfern Mittelamerikas, sie verbinden Poetisches mit Skulpturalem und rücken nun in St. Gallen das Schicksal des Schweizer Weisswurms aus der frühen Neuzeit ins Zentrum. Ausgangspunkt der Ausstellung sind Überlieferungen aus Archiven der Kantone Freiburg und Luzern aus dem 15. Jahrhundert, in denen einer Wurm-Spezies die Schuld für einen breitflächigen Ernteausfall zugewiesen wurde. Die Schädlinge

wurden daraufhin von den Autoritäten in einer verbalen Anklage von den Äckern verwiesen. Ob sie dieser Forderung nachkamen, bleibt zu bezweifeln, es handelte sich jedoch um eine Standardprozedur der öffentlichen Hand. Proenza fragt sich und uns: Bleiben diese Abfolgen nur Absurditäten aus der Vergangenheit? Wie werden wir heute von ihnen bestimmt? Wie verständigen wir uns? Verstehen wir uns überhaupt? Der Umgang mit dem Weisswurm stösst uns letzten Endes auf universelle Fragen der Mehrdeutigkeit von Dingen. DIF

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Online «Ein Bild verletzt mehr als 1000 Worte», Forschungsprojekt, bis So, 5. März, online. hassbilder-verletzen.ch

MirÓ Neue HorizoNte

Hassbilder zirkulieren in sozialen Netzwerken wie Instagram, Facebook oder Youtube, auf Webseiten und Messengerdiensten wie Telegram und WhatsApp. Als Memes, Fotos oder Karikaturen wecken sie die Aufmerksamkeit, sind meist leicht verständlich und bleiben in Erinnerung. Ein Forschungsprojekt an der Fachhochschule Graubünden und der Université de Fribourg hat nun zum Ziel, das Ausmass und die Merkmale von visuellen Hassbotschaften zu identifizieren und ist auf die Beteiligung möglichst vieler Datenspender*innen angewiesen: Bis zum 5. März können auf der Website hassbilder-verletzen.ch Beispiele hochgeladen werden. Erforscht wird etwa, welche Personengruppen besonders häufig Gegenstand von Hassbildern sind oder auf welchen Plattformen und Kommunikationskanälen sie verbreitet werden. Aus den Erkenntnissen sollen dann Massnahmen gegen Hassbilder

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Zürich «Blinde Flecken – Zürich und der Kolonialismus», Ausstellung, bis Sa, 15. Juli, Mo bis Fr, 8 bis 18 Uhr, Sa, 9 bis 12 Uhr, Eintritt frei, Stadthaus Zürich. stadt-zuerich.ch/kultur/de/ index/institutionen/­ ausstellungen_stadthaus/ Kolonialismus.html Was hat Zürich mit Kolonialismus zu tun? Das mögen sich noch immer so manche fragen, und die Antwort ist: genug, um zum Thema eine vielfältige Ausstellung mit reichhaltigem Rahmenprogramm zu konzipieren. Die Ausstellung (und ausdrücklich auch die Stadt Zürich) will ein grösseres Bewusstsein für die historischen Verflechtungen schaffen und aufzeigen, dass der Kolonialismus in Zürich bis heute nachwirkt. Kuratiert von den Historiker*innen Manda Beck und Andreas Zangger zusammen mit der Antirassismus-Expertin Anja Glover; mit Führungen, Podiumsdiskussionen, Filmen, Stadtrundgängen und Workshops, in Zusammenarbeit mit Museen, Theaterhäusern und Bildungsinstitutionen. Programm online. DIF

entwickelt werden. Das Projekt wird vom Bundesamt für Kommunikation unterstützt. Als Hassbild gilt jede visuelle Darstellung, die diskriminierend oder verletzend wirkt, zu Gewalt aufruft oder sie verherrlicht. DIF

BILD(1): ADJI DIEYE, BILD(2): GINA PROENZA, JALOUSIE MODERNE, 2021, ART AU CENTRE GENÈVE. PHOTO: FRANK MARTIN

Veranstaltungen

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10.01.23 13:55


Aufgeben musste hingegen der Trau­ ring-Shop. Auch auf dem Weg zum Laui­ tor flattern Wimpel verschiedenster Länder im Wind über dem Garten eines kleinen Gebäudes, in dem eine Maler­ staffelei zu sehen ist. Dass nicht jeder kreative Umgang mit Farbe Freude bereitet, ist an einem Zettel abzulesen, auf dem beklagt wird, dass Schmierereien auf der Fassade bereits ei­ nen Schaden von 486 Franken angerich­ tet hätten. Bei der Kirche gibt es eine Schlossbergschule mit einem Panora­ mabänklein davor, das mit bunten Fähn­ chen abgesperrt ist. Da es gegen eine Hauswand ausgerichtet ist, ist das zu verkraften. Neben der Kirche steht ein Unterweisungshaus, wer oder was darin unterwiesen wird, ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Oben thront das viertürmige Schloss, in dem ein Hotel untergebracht ist. Auch ein Museum gibt es, das jedoch nur sonntags von 13.00 bis 16.00 Uhr geöffnet ist.

Tour de Suisse

Pörtner in Thun Surprise-Standorte: HB/VM Bälliz Einwohner*innen: 43 630 Sozialhilfequote in Prozent: 4,3 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 14,6 Thuner Hausberg: Niesen, zu dessen Gipfel auf 2362 Metern über Meer die mit über 11 600 Stufen längste Treppe der Welt führt

Nicht Richtung Stadtzentrum und Schiffstation, sondern in die Gegen­ richtung führt der Weg auf den ­Bahnhofsplatz, der von einem wuchtigen, geschwungenen Gebäude dominiert wird, daneben Warenhäuser und ­ Einkaufspassagen, es findet sich eine ­Filiale der als Meme Stock bekannt ­gewordenen Firma Game Stop. In Thun befindet man sich bereits im touris­ tischen Berner Oberland, es locken statt­ liche, mit Schnörkeln verzierte Hotels am Ufer der Aare, eines heisst passend «Beau Rivage». Ein Teil des hier schon ordentlich breiten Flusses ist durch eine Schleuse abgetrennt, über die eine Holzbrücke führt, darunter sprudelt wild das Wasser. Ein Schild weist darauf hin, dass das Befahren der Aare auf ­diesem Abschnitt verboten ist, ausser für die Kanuten. Surprise 544/23

Die von Fussgänger*innen und Velos benutzbare Flusspromenade ist mit der Aufforderung «Luege, lose, lächle» ver­ sehen. Es wirkt denn auch freundlich, dieses Thun. «Thun ist schön, nur nichts tun ist schöner», so liest man auf einem Plakat. Offenbar wollen die Leute hier das Schöne und das Schönere, denn für Schweizer Verhältnisse sind ungewöhnlich viele Menschen zu sehen, die irgendwo herumstehen oder -sitzen und nichts tun. Vielleicht sind sie auch vom Fremdenverkehrsamt angestellt, um die Tourist*innen zu entschleunigen, nicht, dass diese noch ein schlechtes Gewissen bekommen wegen ihres Nichtstuns. International ist die hinter dem Fluss gelegene Altstadt allemal, es gibt eine kanadische Bar, das Rössli beherbergt ein Thai-, die Krone ein Chinarestaurant.

Das Panorama lässt sich auch ohne Bank bewundern, das markante Stockhorn sticht heraus, unten wuselt die Stadt. Um wieder dorthin zu kommen, kann das Treppenhaus des Parkhauses be­ nutzt werden, das mit dem «European Gold Standard Parking Award Off Street» ausgezeichnet worden. Es sind 124 Stu­ fen zu bewältigen, in dem Betongemäuer ist Vogelgezwitscher zu hören. Der Ausgang befindet sich beim grossen Spi­ tal Thun. Gegenüber gibt es gleich zwei Bestattungsunternehmen. Auf dem Weg zurück zum Bahnhof pas­ siert man Bistro und Shop des für seine Meringue bekannten und letztes Jahr von schweren Unwettern heimgesuchten Hotels Kemmeriboden in Schangnau. Das Bistro ist voll. Am Bahnhof selbst kann man den Hunger mit einem Cheese Kebap stillen. Dieser symbolisiert sowohl die Fusionsküche als auch eine ge­ lungene Integration.

STEPHAN PÖRTNER

Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist. 27


IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D

Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist. 01

AnyWeb AG, Zürich

02

Cobra Software AG www.cobrasw.ch

03

Praxis Dietke Becker

04

Beat Vogel – Fundraising-Datenbanken, Zürich

05

InhouseControl AG, Ettingen

06

Arbeitssicherheit Zehnder, Zürich

07

Beat Hübscher, Schreiner, Zürich

08

Yogaloft GmbH, Rapperswil SG

09

unterwegs GmbH, Aarau

10

Fäh & Stalder GmbH, Muttenz

11

Büro Dudler, Raum- & Verkehrsplanung, Biel

12

Tochter auf Zeit. Winterthur

13

Barth Real AG, Zürich

14

flowscope. B. & D. Steiner-Staub

15

Lebensraum Interlaken. Coaching & Therapie

16

Infopower GmbH, Zürich

17

Gemeinnützige Frauen Aarau

18

Be Shaping the Future AG

19

Hofstetter Holding AG, Bern

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Fontarocca Natursteine, Liestal

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Madlen Blösch, Geld & so, Basel

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iris-schaad.ch Qigong in Goldau

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Automation Partner AG, Rheinau

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FairSilk social enterprise www.fairsilk.ch

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Maya-Recordings, Oberstammheim

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Caroline Walpen Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 53 I marketing@surprise.ngo

GEMEINSAM SCHAFFEN WIR CHANCEN Nicht alle haben die gleichen Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Aus diesem Grund bietet Surprise individuell ausgestaltete Teilzeitstellen in Basel, Bern und Zürich an – sogenannte Chancenarbeitsplätze. Aktuell beschäftigt Surprise acht Menschen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt in einem Chancenarbeitsplatz. Dabei entwickeln sie ihre persönlichen und sozialen Ressourcen weiter und erproben neue berufliche Fähigkeiten. Von unseren Sozialarbeiter*innen werden sie stets eng begleitet. So erarbeiteten sich die Chancenarbeitsplatz-Mitarbeiter*innen neue Perspektiven und eine stabile Lebensgrundlage. Eine von ihnen ist Marzeyeh Jafari «Vor wenigen Jahren bin ich als Flüchtling in der Schweiz angekommen – und wusste zunächst nicht wohin. Ich hatte nichts und kannte niemanden. Im Asylzentrum in Basel hörte ich zum ersten Mal von Surprise. Als ich erfuhr, dass Surprise eine neue Chancenarbeitsplatz-Mitarbeiterin sucht, bewarb ich mich sofort. Heute arbeite ich Teilzeit in der Heftausgabe – jetzt kann ich mir in der Schweiz eine neue berufliche Zukunft aufbauen.»

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Wir alle sind Surprise #541: Haben Sie Vorurteile?

#542: Vor Gericht

«Zum Nachdenken angeregt»

«Ausschliesslich Männer?»

Was für ein grossartiger Text von Klaus Petrus zum Thema Vorurteile! Er hat mich zum Nachdenken angeregt. Obwohl ich selbst sehr «allergisch» gegenüber Vorurteilen bin, muss ich wohl einsehen, dass wir Menschen letztlich halt doch nur Affen mit Vorurteilen sind. Was ich mich frage: Die gegenwärtige Woke-Debatte dreht sich um Minderheiten und dass sie in unsere Gesellschaft integriert werden sollen (was in meinen Augen richtig ist). Aber geht es da letztlich nicht auch um Vorurteile, wenn wir diese Minderheiten in ihrer Identität immer als Gruppe definieren und zu wenig den Einzelnen sehen, wie Herr Petrus in seinem Artikel das fordert?

Im erwähnten Beitrag ist von Jüd*innen die Rede. Müsste es nicht Jüdinnen und Juden heissen? Sonst machen Sie aus männlichen Juden «Jüden». Im zweitletzten Abschnitt, erste Zeile, werden Richter erwähnt. Ich muss also davon ausgehen, dass es ausschliesslich Männer sind. Vielleicht haben Sie recht, ich weiss es nicht, es ist nur ziemlich erstaunlich. Was ich aber ganz sicher weiss: Es sind auch europäische Jüdinnen im Holocaust vernichtet worden, nicht nur Juden.

ERIC BOUVET, Bern

«Wenn die halbe Welt im Bus sitzt» Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie dieses schwierige Thema so offen angehen. Und dann diese sprechenden Fotos! Seit einiger Zeit nehme ich das in mir wahr, z.B. im Bus, wenn die halbe Welt im Bus sitzt, und ich will das nicht, aber es ist da in mir. Ganz anders erlebe ich mich, wenn ich die Leute kenne, dann ist das nicht da. Und wir sind doch alles Geschöpfe desselben Schöpfers, er wertet nicht! Also: Danke und weiter so.

«Spannend wie immer» Heute in Bern das ­«Surprise» gekauft und im Zug nach Hause gelesen. Spannend wie immer! Danke vielmals für die Reportagen und Berichte! VRENI WIT T WER,

Sumiswald

URSI NIT TNAUS, ohne Ort

Impressum Herausgeber Surprise, Münzgasse 16 CH-4051 Basel Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12 Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02 Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Bern: T +41 31 558 53 91 rundgangbe@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T +41 43 321 28 78 M+41 79 797 94 10 anzeigen@surprise.ngo Redaktion Verantwortlich für diese Ausgabe: Diana Frei (dif) Sara Winter Sayilir (win), Klaus Petrus (kp) Reporterin: Lea Stuber (lea) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch

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HANS CURTI, Solothurn

Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Simon Berginz, Monika Bettschen, Christina Baeriswyl, Dina Hungerbühler, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Priska Wenger, Christopher Zimmer

25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten Strassen­verkäufer*innen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.– Geschenkabonnement für: Vorname, Name

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh­ migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

PLZ, Ort

Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik

Vorname, Name

Papier Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSC®, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach Auflage 28 300

Wir bitten um Entschuldigung: Natürlich muss es auch zu Textschluss Jüd*innen heissen. Die Schreibweise Jüd*innen wird durchaus auch von jüdischen Einrichtungen als Gendervariante gewählt (bspw. Deutsches Jüdisches Museum Berlin). Die britischen Richter waren unseres Wissens nur Männer.

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Mitarbeitende dieser Ausgabe Liam Geraghty, Melanie Grauer, Christoph Keller, Karin Pacozzi, Annalisa Rompietti

Druck AVD Goldach

Anm. d. Red.:

Strasse

Rechnungsadresse:

Strasse PLZ, Ort Telefon E-Mail Datum, Unterschrift

Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt. IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

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Bitte heraustrennen und schicken an: Surprise, Münzgasse 16, CH-4051 Basel, info@surprise.ngo

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FOTO: EXPOSURE PHOTO AGENCY

Internationales Verkäufer*innen-Porträt

«Meine Kinder sollen es besser haben» «Ich verkaufe die englische Strassenzeitung The Big Issue nun schon seit zehn Jahren. Es waren Verwandte von mir, die mich auf die Idee brachten. Sie verkauften das Heft ebenfalls und ­erzählten mir, wie das Ganze funktioniert und dass man mit dem Verkauf obdachlose Menschen unterstützen kann. Und so kam es, dass ich ab und zu meine Verwandten zur Zentrale von Big Issue begleitete. Die Frau, die dort arbeitete, war sehr nett, und eines Tages fragte sie mich: ‹Möchtest du ebenfalls ­Verkäuferin werden?› Ich sagte sofort: ‹Ja, das wäre toll!› Schon bald merkte ich, dass mir das alles sehr guttat: Die Leute auf der Strasse waren freundlich zu mir, ich begann, Kontakte zu knüpfen – und meine Arbeit zu geniessen. Der Verkauf von Big Issue kommt mir sehr entgegen: Ich habe sechs Kinder, und da brauche ich keinen Chef, der mich ­herumschubst oder sagt: ‹Du musst arbeiten, auch wenn dein Kind krank ist.› Ich kann an meinen Standplatz gehen, wann immer ich möchte, und ich kann aufhören, wann immer ich will. Diese Flexibilität ist sehr praktisch. Noch wichtiger ist, dass mir dieser Job Spass macht. Ich verkaufe das Heft schon seit fünf Jahren immer an demselben Platz, nämlich vor dem Lebensmittelladen bei der Universität von Warwick in ­Coventry, das liegt etwas östlich von Birmingham. Hier fühle ich mich wie zuhause. Alle mögen mich, die Mitarbeiter*innen und Studierenden der Universität sind freundlich und zuvorkommend. Und die Kund*innen? Ich sage nur so viel: Wenn ich nicht aufpasse, werde ich noch richtig dick! Denn sie wissen genau, was ich gerne trinke. Sie rufen mir zu: ‹Für dich ein Ingwer Latte, Bianca?› Das ist eine Tasse Milch mit Ingwer, Zimt und Honig. Und natürlich sage ich dann: ‹Ja, gerne!› Ich konnte hier wirklich gute Freundschaften schliessen, die auch von Dauer sind. Einige meiner Kund*innen haben längst ihren Uniabschluss gemacht und rufen mich trotzdem immer wieder mal an. So wurden aus Kund*innen Freund*innen, ­einige von ihnen sind sogar Teil der Familie geworden. Wie ich schon sagte, ich habe sechs Kinder, die mich ständig auf Trab halten. Ich wünsche mir, dass sie zur Schule gehen und sich weiterbilden können, am liebsten an einer Universität. Ich selbst hatte dazu nie die Möglichkeit. Das war aufgrund der Umstände nicht zu ändern, das Leben in Rumänien war hart; mehr möchte ich nicht dazu sagen. Meine Kinder sollen es ­einmal besser haben, das ist mir wichtig. Natürlich, am Ende liegt es an ihnen, was sie mit ihrem Leben anstellen wollen. ­Solange sie bereit sind, zu lernen und hart zu arbeiten, haben sie alle Voraussetzungen, die es für ein gutes Leben braucht. Sonntags gehe ich gerne mit meinen Kindern zu McDonald’s – auch wenn das für mich eine Strafe ist, da ich derzeit auf Diät bin und nur Grünzeugs essen darf. Ich liebe Weihnachten, weil wir dann unser traditionelles Essen aus Rumänien zubereiten. Ich mache Gerichte wie Sarmale – Kohlrouladen –, was köstlich 30

Bianca, 28, verkauft The Big Issue UK in Warwick. Sie stammt ursprünglich aus Rumänien und mag Ingwer-Milch und Kohlrouladen.

ist. Viele meiner Kund*innen kennen rumänische Speisen nicht, und so bringe ich ihnen etwas mit und meistens schmeckt es ihnen auch. Im Moment sind die Zeiten hart. Die Preise steigen, alles wird teurer. Doch was kann man machen? Wir müssen es nehmen, wie es kommt. Umso wichtiger ist mir, dass die Leute merken, dass Big Issue nicht bloss eine Zeitung ist, sondern auch eine Möglichkeit, um Menschen zu helfen, die es schwer haben. Je mehr Leute die Zeitung kaufen und lesen, desto grösser ist diese ­Unterstützung. Deshalb ist es mir ein Anliegen, all jenen zu danken, die bei mir die Strassenzeitung kaufen: für ihre Freundschaft und dafür, dass sie da sind, wenn ich sie brauche – und dass sie mit mir einen Schwatz halten, wenn ich müde bin, gelangweilt oder niedergeschlagen. Diese Freundschaft ist für mich mehr wert als alles andere.

Aufgezeichnet von LIAM GER AGHT Y Übersetzt von KL AUS PETRUS Mit freundlicher Genehmigung von THE BIG ISSUE UK / INTERNATIONAL NET WORK OF STREET PAPERS

Surprise 544/23


TITO

VOM OBDACHLOSEN ZUM STADTFÜHRER Eine Podcastserie von Surprise in fünf Teilen Episode 1

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Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise


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