Surprise Strassenmagazin 289/12

Page 21

BILD: REUTERS/SAAD SHALASH

Freiheit auf zwei Rädern – auch für Frauen: irakische Biker in Bagdad.

bien und Iran. So zeigen sich in Bagdad Frauen oft ohne Verschleierung oder traditionelle Kopfbedeckung, zumindest in privaten Clubs oder in den als weniger konformistisch geltenden Vierteln. Westlich geprägte Friseursalons und sogar Fitness-Studios für Frauen wurden eröffnet. Doch infolge der amerikanischen Invasion, die 2003 zu Saddams Sturz führte, gerieten zahlreiche Stadtviertel unter die Kontrolle islamistischer Milizen. Konservative islamische Parteien gewannen zunehmend an Einfluss, was eine strengere religiöse Auslegung vieler Aspekte des Alltags mit sich brachte. Erstickt vom konservativen Klima Künstler, Filmemacher und Musiker sagen, dass sie vom konservativen Klima in ihrem Land erstickt würden. Lokale, die Alkohol verkaufen oder Clubs werden immer wieder von bewaffneten Gruppen überfallen und zerstört, manche werden sogar zum Ziel des Bombenterrors der Aufständischen. Ein Zeichen, dass der Einfluss der Milizen ungebrochen ist: Im Frühjahr dieses Jahres wurden mindestens 14 Jugendliche zu Tode geprügelt; es scheint sich um eine gezielte Aktion militanter Schiiten gegen junge Leute gehandelt zu haben, denen die Islamisten vorwarfen, westliche Kleidung und Frisuren im Stil der Emopunks zu tragen. In den schiitisch kontrollierten Vierteln kursierten Warnungen an die Jugendlichen, ihr Aussehen zu ändern. Auf dem Highway von Jedriya ist von einer solchen Bedrohung nichts zu spüren. Die Biker betrachten die Geschwindigkeit als Mittel der Selbstdarstellung. Sie tragen Jeans, Halstücher und zum Teil sogar Schutzkleidung aus Kunststoff, wie sie von professionellen Rennfahrern benutzt wird. Sie bewundern gegenseitig ihre Maschinen und beobachSURPRISE 289/12

ten einander, wie sie sich durch den dichten Verkehr schlängeln und dabei all die Tricks zeigen, die sie sich von den Sportsendungen im Satellitenfernsehen abgeschaut haben. Die Verkehrspolizei ist kein wirklich ernstzunehmender Gegner. Ihr Blaulicht vertreibt die Biker zwar für den Moment, aber bald darauf treffen sie sich an einem andern Ort. Zuschauer geniessen die Unterhaltung und haben nur Spott für die Polizisten, die sie wegzuweisen versuchen. Am nächsten Abend taucht eine schwer bewaffnete Spezialtruppe auf, um jene Männer festzunehmen, die mit Alkohol entlang des Highways aufgegriffen werden. Daraufhin zerstreuen sich die Fahrer in die Nacht. «Die Nachbarn haben sich beschwert, und wir haben Befehl, alle zu verhaften, die trinken», sagt ein Beamter des Innenministeriums, der seinen Namen nicht nennen will. «Diese Motorradkerle sind doch Kidnapper und Diebe. Nicht alle, aber die meisten.» Von Polizeiaktionen lässt sich der Mechaniker Salwan Satar nicht aufhalten. «Die Leute sind stolz auf uns, weil wir im Irak etwas Ungewohntes machen. Es ist etwas Neues.» Satar sitzt auf seiner Suzuki Bandit, einer grün und rot besprühten Spezialanfertigung. «Wir können auch auf eine Mine fahren und sterben, aber hier machen wir die Leute glücklich.» ■

www.street-papers.org / INSP Übersetzung aus dem Englischen von Veronica Koehn

21


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.