style in progress 3/2015 – Deutsche Ausgabe

Page 135

SO LÄUFT’S 131

Die Neuerfindung des Wunderkinds Manchmal trifft man sich zweimal im Leben. Eine Zufallsbegegnung am Flug­ hafen brachte Peter Kappler und Wolfgang Joop, die sich noch aus Joop-Zeiten kennen, wieder zusammen. Kappler, der vorher bei Strenesse und Hugo Boss war und zuletzt das Schwei­ zer Label Jet-Set und das italienische Label Dondup leitete, soll die wirtschaft­ liche Kompetenz in Joops Luxushaus Wunderkind bringen. Vielleicht eine Traumaufstellung für den internationalen wirtschaft­ lichen Erfolg Wunderkinds. Interview: Stephan Huber und Quynh Tran. Fotos: Wunderkind

Wunderkind war von Anfang an ein Projekt, das sehr bewusst eine deutsche Kultur angenommen hat.

Wolfgang Joop: Viele Umstände sind schwer gewesen, aber die Kollektion zu erstellen, ist uns hier immer sehr leicht gefallen. Es muss wohl mit den Geistern zu tun haben, mit denen man sich identifizieren kann. Ich habe keine Zeitung aufschlagen, keine Trendscouts holen müssen, um diese Emotion abzurufen, denn ich finde, Wunderkind hat wirklich etwas, was wir in Deutschland vergeblich suchen: Authentizität. Es kann nicht so sein wie, sondern es ist so, wie es ist. Man könnte sich fragen, warum Sie nicht das Leben genießen statt weiterzuma­ chen. Warum dieser Hunger?

WJ: Das müssen sie sich nicht fragen. Ich genieße mein Leben, weil ich tun darf, was ich machen will. Es ist ein Privileg, unabhängig zu sein und Mode machen zu dürfen. Ich mache es, weil ich etwas zu sagen habe und meine Sprache arbeiten lasse. Mode ist wie eine universelle

Sprache, wie Esperanto. Warum sind wir fasziniert von ihr? Weil sie nicht berechenbar ist, launisch und frivol – alles, was hier in Deutschland Angst macht.

an Fashion interessiert. Wir kommunizieren durch Bilder. „Jeder macht heute sein Mood Board, jeder macht aus sich eine Kampagne“, hat die Künstlerin Britta Thie gesagt. Wenn ich mein Instagram und Facebook täglich neu zusammenstelle, mache ich meine Kampagne und schaffe ein Bild.

Warum hat Deutschland die­ ses eigentümliche Verhältnis zur Mode, beinahe eine Art Nicht-Wahrnehmung?

WJ: Weil Deutschland seine kulturelle Identität durch dem Krieg verloren hat. Durch die Vernichtung der Juden ist dem Land ein Großteil der Stylemaker und Kulturträger verloren gegangen. Mode ist in Ländern mit einer ungebrochenen Geschichte fester Bestandteil der Kultur. Doch in Deutschland klafft hier immer noch eine große Lücke, die durch die nächsten Generationen hoffentlich langsam wieder gefüllt wird. Berlin war schließlich vor dem Krieg eine stilprägende Modemetropole, gleichbedeutend mit Paris. Peter Kappler: Ich würde es eher als Anders-Wahrnehmung bezeichnen. In der Mode fühlen wir Deutschen uns einfach unsicher. Sie fragen, warum Wolfgang Joop weitermacht. In den USA oder in Italien würde keiner auf die Idee kommen, einen Ralph Lauren oder einen Giorgio Armani zu fragen, warum sie nicht lieber das Leben genießen. WJ: Hier würde keiner einen Schriftsteller oder Künstler fragen, warum er noch ein Buch schreibt und noch ein Bild malt. Die Kunst ist heilig, aber Mode liegt irgendwo zwischen Arts und Crafts, ein Bereich, der nicht identifiziert worden ist. Aber man kann mit Aussagekraft, Erfahrung und künstlerischem Anspruch innerhalb der Mode ein Menschenbild erfinden. Und hinter Wunderkind, das weiß man mittlerweile, steht ein Mensch. Sie versuchen in einer deutschen Tradition zu

Durch die Globalisierung und Digitalisierung ist die Beklei­ dungskultur rational durch­ gerastert. Wie sehr lassen Sie sich davon beeinflussen?

beweisen, dass es auch in dieser komplexen Kultur­ geschichte möglich ist, ein Projekt wie Wunderkind zu realisieren.

WJ: Ja, es ist möglich, mit Engagement und Entschlossenheit, und das zeigen wir. Auch Helmut Lang hat es gezeigt. Seine Kollektion bestand aus Wiener Kaffeehausfiguren, sie war dunkel, intellektuell, jüdisch, zeigte ein Menschenbild des versunkenen Wiens. Das war Identität, die uns umhaute, weil sie im Kontrast stand, weil es ein Widerspruch war. Jil Sander funktionierte im Kontrast zu einer Konfektion, die üppig und laut war, Saint Laurent, weil er einen Menschentypus geschaffen hat, der frivol und cool und anders war. Heute würde man das alles nicht mehr cool finden, weil es schnell zur Headline Fashion geworden ist. Heute finden die Umbrüche in der Mode viel schneller statt.

WJ: Die Welt hat sich geändert, weil man ein Smartphone in der Hand hat. Alles hat sich geändert. Die Jugend ist sehr

WJ: Ich lasse mich nicht beeinflussen. Früher hat man sich über Mode gefreut, weil man auf sie warten musste. So ähnlich wie in einer Beziehung, in der man getrennt ist und Sehnsucht hat. Dann ist es eine Eruption der Gefühle, wenn man sich wieder sieht. Diese Eruption der Gefühle findet nicht mehr statt. Gibt es eine Möglichkeit, neue Bedürfnisse zu schaf­ fen?

WJ: Für mich ist Luxus ein philosophisches Konzept. Es gibt kein Produkt, das Luxus ist. Eine Kroko-Tasche ist für den einen ein Verbrechen an der Natur, für den anderen etwas Tolles. Luxus ist Souveränität und Freiheit, sich das zu leisten, was für einen selbst knapp und vielleicht auch irrational ist. Wie wollen Sie in unserer Zeit der Umbrüche etwas Wertvolles kreieren?

WJ: Es geht heute darum, Maximalismus zu entwickeln, das Maximale aus dem, was du hast, herauszuholen. Ich kann auf zehn Jahre zurückschauen und sagen, dass sich bei Wunderkind nichts entwertet hat. Wenn ich ein Muster aus dem Jahr 2003 nehme, kann ich es wieder anziehen. Wir können heute aus dem Fundus unglaublich viel rausholen. Das ist mein Ansatz, aus dem Fundus eine Zukunft zu style in progress 315


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.