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Mode muss auf die politische Agenda
Das Thema Mode muss auf die polit ische Agenda
Nur wer aktive und gezielte Nachwuchsförderung betreibt, kann Weltmeister werden. Eine wirtschaftliche Gesetzmäßigkeit anhand von Fußball zu belegen, ist keine Männerdomäne, wie Christiane Arp und Anita Tillmann beweisen. Sie haben sich aufgemacht, die Dinge zu ändern. Rund um die Chefredakteurin der deutschen Vogue und die Chefin der Berliner Messe Premium hat sich der Fashion Council Germany gebildet, ein Expertengremium, das mit Herzblut und Fachwissen – zu gleichen Teilen – die Wahrnehmung von Mode in Deutschland verändern will.
Interview: Stephan Huber. Text: Isabel Faiss. Foto: Peter Rigaud Wenn ich mir zu Beginn dieses Gesprächs wünschen dürfte, was am Ende dabei „Es fehlt an Akzeptanz für das Unt ernehmert um herauskommt, sind das zwei Dinge: eine Vision, die zeigt, aus den Creat ive was in der deutschen Mode Indust ries. “ Anita Tillmann
eigentlich möglich wäre und was dafür noch gebraucht wird.
Christiane Arp: Das ist genau unser Ansatz, nach vorne zu blicken und nicht zurück. Die bisher das WIR-Gefühl, ein deutschen Designern, die kein Zeit des Nörgelns ist vorbei. Wir gemeinsames Verständnis dafür, Problem mit ihrer Heimat oder haben uns aufgemacht, die Dindass die Förderung des Modeder Anerkennung dort haben, ge zu ändern und die Idee von standorts Deutschland in unser sondern die in ihrer Startphase einem Fashion Council Germany aller Interesse ist. Auch dafür hier einfach keine Lobby fanden, als Anlaufstelle für Nachwuchsbrauchen wir den Council. an die sich Kreative wenden designer real werden zu lassen. Meiner Meinung nach fehlt in können. Unterstützung wird Das war unsere Grundstimder Mode dieser gesellschaft Designern höchstens durch mung, dass wir eben nicht länger liche Stolz auf das UnternehEinzelpersonen zuteil, aber dieses die Vergangenheit aufarbeiten, mertum an sich, den man in System ist zu zerbrechlich und sondern die Zukunft gestalten anderen Ländern durchaus auch zu subjektiv. Das ist es, was wollen. wahrnimmt. Während es in wir ändern müssen. NachwuchsDemnach ist die Gründung anderen Ländern sehr positiv designer haben kein Problem mit des Fashion Council Germany wahrgenommen wird, wenn Deutschland, sondern mit dem eigentlich die Feststellung ein Designer aus dem eige Angebot hier. eines Bedarfs. Trotzdem fragt nen Land kommt, gilt das für CA: Eines unserer wichtigsten man sich, wer braucht diese Deutschland nicht. Warum Ziele ist, dass Mode in DeutschPlattform und welche Absich eigentlich? land als Kulturgut wahrgenomten hat sie? AT: Das nehme ich in der neuen men wird. Auf der Condé Nast CA: Der Nachwuchs braucht Generation nicht mehr wahr. International Luxury Conference den Council mehr als jeder andeDie jungen Designer haben kein von Suzy Menkes in Florenz re, denn es muss eine 365-TaProblem mehr mit Deutschstand der Bürgermeister auf dem ge-Lobby für Mode geben und land. Was vielmehr fehlt, ist Podium und sagte: Mode ist Teil diese gibt es bis dato nicht. Das die Akzeptanz für das Unterunserer Kultur und es ist unsere kann auch ich mit der Vogue nehmertum aus den Creative Leidenschaft. Wünschen wir nicht allein leisten. Industries. Unternehmertum an uns das auch in Deutschland? Anita Tillmann: Das kann auch sich gab es in Deutschland ja Natürlich! keine Messe wie die Premium schon immer, darin sind wir aus Aber warum ist dem nicht so? bieten, denn zweimal im Jahr der Historie heraus sehr stark, AT: Ehrlich gesagt, das kann reicht einfach nicht. aber eben nicht für Kreativität! ich in zwei Sätzen erklären: CA: Dafür muss es auch die Was jetzt passiert – nicht nur im Das Bildungsbürgertum hat richtige Plattform geben und die Modebusiness, sondern überall Mode immer als etwas Frivoles richtigen Menschen müssen am –, ist, dass kreative Prozesse und banalisiert. Ohne den Zweiten Tisch sitzen, die alle an einem Unternehmertum nicht mehr Weltkrieg hätte sich Berlin aus Strang ziehen. Denn wir alle voneinander getrennt werden. dem Flow der 1920er-Jahre haben bereits einen 24/7 Job Es entstehen neue Produkte, heraus wahrscheinlich dahin und der Council braucht Zeit Innovationen, neue Arbeitsplätze entwickelt, wo Paris heute steht. und Leidenschaft. Wir haben und Wertschöpfung. Hier setzt Nur, ich kann nicht immer in Deutschland viele Talente der Fashion Council Germanur in der Vergangenheit nach und auch Leute, die sich für die ny an. Denn überall auf der Ursachen forschen, damit kann Mode einsetzen, nur leider fehlte Welt begegnen wir großartigen ich mich nicht aufhalten. Ich möchte lieber Teil dessen sein, das den Weg der Kreativindustrie in die Zukunft mitgestaltet. Der Zeitpunkt ist ideal. Nehmen wir „ Die Modewirt schaft den Fußball als Beispiel: Wenn wir nicht in den Nachwuchs muss mi Inst it ut t ziehen, ionen und investiert hätten, wären wir nicht Weltmeister. Momentan gibt es mehr junge Modeinteressierte Firmen in Deut schlan insbesondere auch d, denn je. Warum? Weil Social Media die Mode, Styles und Looks allgegenwärtig macht. Han und delsunt ernehmen Fachgeschäft e.“ Instagram, Facebook, Youtube, Blogs etc., noch nie war Mode so zugänglich, noch nie haben Christ iane Arp wir diese Werbefenster gehabt,


wir leben in einer Selfie-Kultur. Noch nie war es so selbstverständlich, Mode als Teil des Alltags zu betrachten – wie es sich Karl Lagerfeld einmal wünschte. Und noch nie war die Chance für Modeunternehmen größer als jetzt, genau diese Leute für sich zu gewinnen und sich deren Impact zu holen. Wer sich die Chance entgehen lässt, den verstehe ich nicht.
Aber welche Perspektiven haben diese jungen Leute wirklich?
AT: Teil der Modewelt zu sein, gesehen zu werden, ernst genommen zu werden.
Und wie bekommt man nun die Politik dazu, sich zu Mode als deutschem Kulturgut zu bekennen?
CA: Durch aktive Lobbyarbeit, die zu einem Bewusstseinswandel führt. Eines der Hauptziele des Fashion Council Germany.
Das wird er wie anstellen?
CA: Die nächsten Schritte des Council stellen wir zur Fashion Week vor.
Anders gefragt: Welche Komponenten braucht man dafür?
CA: Die richtigen Leute und finanzielle Unterstützung. Beim Council ziehen Menschen an einem Strang, die schon bewiesen haben, dass sie für das Thema kämpfen. Anita Tillmann macht eine der erfolgreichsten Messen in Deutschland, Marcus Kurz oder Melissa Drier beschäftigen sich seit 20 Jahren mit Mode. Im Präsidium des Council sind glaubwürdige Fachleute, die sich schon lange um die deutsche Mode verdient machen und jetzt erstmals gemeinsam agieren. Aber natürlich muss auch die Modewirtschaft mitziehen, Institutionen und Firmen in Deutschland, insbesondere auch Handelsunternehmen und Fachgeschäfte.
Am Beginn einer Veränderung steht fast immer eine Katastrophe. Der österreichische Weinbau hat beispielsweise durch die Katastrophe des Glykolskandals erkannt: Massenproduktion kann nicht unsere Zukunft sein, unsere einzige Chance ist Qualität.
CA: Genau diese Qualität, dieses Potenzial haben wir in Deutschland. Wenn wir für den Vogue Salon, unsere Nachwuchsförderungsinitiative, junge Designer sichten, sehen wir so viele große Talente, die es wirklich wert sind, dass man sie fördert. Auch weil sie echtes Marktpotenzial haben. Denn natürlich geht es in letzter Konsequenz um wirtschaftlichen Erfolg. Ich kann eine Kollektion, die ich bemerkenswert finde, zwar im Magazin featuren, aber wenn meine Leserin sie dann nicht im Handel findet, dann sind wir nur den halben Weg gegangen.
Muss man schon bei der Ausbildung ansetzen?
CA: Ganz bestimmt! Durch die Hochschulreform können Modestudenten heute in sechs Semestern ihren Bachelor machen und gehen damit ab. Das ist viel zu früh. Ich habe früher immer großartige Abschlussklassen von der UdK (Universität der Künste Berlin, Anm. d. Red.) gesehen und merke jetzt im Vergleich, dass nach sechs Semestern einfach noch etwas fehlt. Die Studenten sind meiner Meinung nach noch nicht fertig für den Beruf als Modedesigner.
Also gibt es de facto einen qualitativen Unterschied im internationalen Vergleich?
CA: Absolut. Es muss schon in der Ausbildung Wert darauf gelegt werden, dass die Absolventen im internationalen Wettbewerb mithalten können. Meines Erachtens müssen wir viel fokussierter ausbilden und fördern. Es reicht heute nicht mehr, ein Kleid toll zeichnen zu können. Es geht vor allem darum, das Kleid ins Geschäft zu bringen. Wir blicken auf die erfolgreichen Modelle vom BFC (British Fashion Council) oder dem CFDA (Council of Fashion Designers of America). Die
„ L’art pour l’art hat in der Mode nur sehr bedingt Gült igkeit.“ Anita Tillmann „ Ich habe bei vielen Gesprächen das Gefühl, dass sich der Handel im Jet zt befindet, mit dem Blick nach hint en.“ Christ iane Arp
setzen mit ihrem Programm erst nach der Ausbildung an. Dort wird auch ein Absolvent vom Central Saint Martins College in Förderprogrammen für zwei weitere Jahre gecoacht, denn auch nach dem Studium ist ein Designer oft noch nicht bereit, ein eigenes Label aufzubauen. Erst wenn all das greift, werden wir auch in Deutschland junge Modedesigner haben, die wirtschaftlich erfolgreich sind.
Und schon sind wir wieder beim Thema Geld. Für Verbes serungen sind alle, aber wenn es um das Finanzieren geht, lautet die Frage: Wer zahlt?
AT: Im besten Fall arbeiten hier Wirtschaft und Politik zusammen. Und bei beiden denke ich, dass wir mit dem Council nicht vor verschlossenen Türen stehen, ganz im Gegenteil, das Interesse ist da. Zumal die Creative Industries auf europäischer Ebene einen wirtschaftlichen Wert haben und sich das Bewusstsein dahingehend auch im Zuge der Globalisierung komplett geändert hat. Deutschland kann sich dem nicht entziehen und wird es auch nicht. In der Wirtschaft gibt es das Bewusstsein, dass nur qualitativ hervorragender Nachwuchs die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Zukunft sichert. CA: Das Thema Mode steht auf der politischen Agenda heute sicher noch weit hinter anderen Themen, die es zu fördern gilt. Aber genau das wollen und werden wir ändern. Denn wir erzählen eine wirklich glaubwürdige Geschichte.
Der Modehandel braucht glaubwürdige Geschichten, um sie dann auch weiterzuerzäh len. Das ist eines der wichtigsten Distinktionsmerkmale, die er heute noch hat.
CA: Der Handel muss aber auch lernen, bei der Geschichte wirklich zuzuhören. Denn früher war die Stadt die Grenze. Das hat sich verändert. Heute ist die Welt offen. Ich kann im Internet global einkaufen. Oftmals unterschätzt der Handel seine Kunden und wie wichtig es ist, sie zu überraschen. Wenn ich in meinen Lieblings-Store gehe, dann will ich die Sicherheit haben, dort etwas Neues zu entdecken. AT: Wichtig ist vor allem, die Mitarbeiter in den Stores einzubeziehen – sie müssen die Storys kennen. Was man heute zum Verkaufen braucht, ist die Identifikation mit dem Produkt, sonst funktioniert es nicht. Storytelling kann nur dann wirklich erfolgreich sein, wenn die gesamte Kette glaubwürdig ist. Vom Designer bis zum Verkäufer.
Also geht es nicht zuletzt auch darum, dem Handel neue, moderne, überraschende Ge schichten anzubieten?
CA: Die Grundidee des Berliner Mode Salons, der im Januar in Berlin Premiere gefeiert hat, war, eine Begegnungsstätte zwischen Design und Handel zu schaffen und damit die Idee unseres Vogue Salons über den Nachwuchs hinaus auf eine größere Ebene zu heben. Wir wollten, dass auch deutsche Designer, die nicht oder nicht mehr im Zelt der Mercedes Benz Fashion Week zeigen, trotzdem gesehen werden, und zwar ganz konzentriert für ein paar Stunden für den Fachhandel. Natürlich war mir klar, dass kein Händler dorthin kommt und eine ganze Kollektion schreibt. Unser Ziel war es, dass die Designer die Chance bekommen, ihre Geschichte zu erzählen. Was ich als wirklichen Erfolg sehe, ist, dass wir beim letzten Berliner Mode Salon die KaDeWe-Chefin Petra Fladenhofer so begeistern konnten, dass sie im Juli die Front-Schaufenster mit Designern des Berliner Mode Salons ausstatten wird und es im Atrium des KaDeWe ihre aktuellen Kollektionsteile

zu Kaufen geben wird. Das ist genau der Bogen, um den es geht – und es muss einfach nur jemand anfangen.
Der Erfolg Ihres Engagements bemisst sich also letztlich auch am kommerziellen Erfolg?
AT: Das ist zumindest ein ganz wesentlicher Faktor. L’art pour l’art hat in der Mode nur sehr bedingt Gültigkeit. Dabei liegt die Chance darin, in unserer globalisierten Reisegesellschaft den Kunden etwas zu bieten, das sie woanders nicht bekommen können. Für den deutschen Handel ist es daher essenziell, deutsche Designer anzubieten und diese auch zu fördern. Unsere Aufgabe ist es, dem Handel neue Kollektionen vorzustellen, aber auch darum, diesem ein Teil des Risikos zu nehmen. Das machen wir, indem wir das Angebot vorselektieren – auf der Premium gleichermaßen wie auf dem Berliner Mode Salon. Das ist Teil der angesprochenen Glaubwürdigkeit. Wenn ein Händler sich entscheidet, sich von einer etablierten Marke zu trennen und damit Umsatz an einen Nachwuchsdesigner abzugeben, geht dieser ein Risiko ein. Und genau da greift der Fashion Council Germany, denn wenn der Händler weiß, dass wir hinter einem Designer stehen, dass er durch uns gefördert und aufgebaut wird und dass für ihn kommuniziert wird, dann ist das ein überzeugender Grund, diesem ebenfalls eine Chance zu geben. Das Vertrauen des Handels in eine Institution wie den Fashion Council und in die Leute dahinter ist essenziell. Aus diesem Grund haben wir auch Händler früh mit eingebunden, um uns auszutauschen und auch die Probleme des Handels genau zu analysieren.
Wir reden hier fast durchgehend über die Bedeutung des Nachwuchses und die Alterna tivlosigkeit, ihn bestmöglich zu fördern, um zukunftsfähig zu sein. Gerade für den Handel ist das ein brennendes Thema.
CA: Aber, sieht denn der Handel wirklich die Notwendigkeit dafür? Wir als Vogue müssen uns jeden Tag mit dem Morgen beschäftigen. Gerade deshalb hat unserer Claim „Before it’s in fashion, it’s in Vogue“ heute mehr Gültigkeit denn je. Ich habe bei vielen Gesprächen das Gefühl, dass sich der Handel im Jetzt befindet, mit dem Blick nach hinten. Weil: Diese Jacke mag meine Kundin, also kaufe ich sie nächste Saison wieder. Aber die Welt wird nie wieder so sein, wie sie in dieser Sekunde gerade ist. Und trotzdem verharrt hier jemand im Jetzt. Das reicht heute nicht mehr. AT: Das Problem mit dem qualifizierten Nachwuchs im Handel hat sehr viele Facetten. Es hat sehr viel mit den Perspektiven zu tun, die ein junger Mensch wahrnimmt. Natürlich auch mit Geld, aber die Perspektive und die Identifikation mit dem Unternehmen sind entscheidend. Führungsstil, Mitarbeitermotivation und Respekt spielen eine große Rolle.
Ich plädiere ja immer dafür, sein Team bis hin zum Azubi mit auf eine Messe zu nehmen und auch anzunehmen, was das an neuem Input bringt.
CA: Absolut, wenn ich Vogue ganz allein machen und ausschließlich meinen Geschmack zeigen würde, wäre sie sturzlangweilig.
Das ist ein schöner Satz ...
CA: Ganz im Ernst! Ich glaube,
„ In der Wirt schaft gibt es das Bewusst sein, dass nur qualitat iv hervorragender Nachwuchs die Wett bewerbsfähigkeit und damit die Zukunft sichert.“ Anita Tillmann „ Wer nur seine eigene Perspekt ive zulässt, verhindert Weit erent wicklung.“ Christ iane Arp
dass es essenziell ist, dass ich auch durch die Brillen meiner jungen Mitarbeiter schaue. Ich bin das Nadelöhr und davor darf ich auch keine Angst haben, aber ich will erst einmal alles sehen und dann entscheiden können, was wir in die Welt hinausschicken und was nicht. Ein sinnbildliches Beispiel ist vielleicht die typische Schleife, die ich häufig bei meinen Stylings mache. Eben so, wie sie mir gefällt. Aber würde ich alle Schleifen in den Modeproduktionen von Vogue machen, wäre das wenig überraschend. Wer nur seine eigene Perspektive zulässt, verhindert Weiterentwicklung.
An welchen Stellen braucht es für die Entwicklung des Fashi on Council Germany die Politik als Unterstützer?
AT: Grundsätzlich geht es bei der Frage darum, inwieweit die Creative Industries als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen werden, also, wie weit kann ein Politiker in diesem Thema vorpreschen? Wenn es in irgendeiner Form messbar ist! Die Politiker machen sich angreifbar, wenn sie für etwas eintreten, das nicht fundiert ist. Unser Ziel muss also sein, dass das Thema und seine wirtschaftliche Relevanz wahrgenommen werden – wir haben als Berliner Messen unseren Erfolg bewiesen und eine messbare Basis geschaffen. Jetzt sollten wir die Chance nutzen, über die Kreativszene in Deutschland zu sprechen. Die Politik nimmt das durchaus wahr – im Rahmen dessen, was machbar ist. Auch hier geht es in erster Linie um Vertrauen, das der Council gegenüber der Politik erst einmal aufbauen muss. Bis jetzt gab es niemanden, der mit einem konkreten Ziel von der Politik etwas gefordert hat. Ich würde auch von unserer Presse einfordern, fördert, was wir haben. Nörgelt nicht immer an dem herum, was nicht klappt, sprecht doch über das, was geht, welche Optionen es gibt. Man muss Türen öffnen, damit jemand durchgeht.
Und Sie haben keine Sorge, das Thema könnte etwas zu elitär werden?
CA: Eigentlich bin ich ja ein Fachidiot, ich habe mich in einem ganzen Berufsleben mit Mode beschäftigt ...
Was für eine Headline ...
AT: Man nennt das heute Nerd!
Jogi Löw hat sich zeitlebens nur mit Fussball beschäftigt, um beim Bild zu bleiben.
CA: Das nehme ich als Kompliment. Aber ist es nicht eine wunderbare Idee, zu sagen, ich habe dazu beigetragen, dass ein paar Talente ihren Weg an die Spitze der internationalen Modeszene gemacht haben? Das reicht als Vision. Hier sind wir wieder bei Jogi Löw. Er hatte Abermillionen an Co-Trainern, aber der „Fachidiot“ hat es am Ende gestemmt. Es braucht diejenigen, die sich mit der Sache wirklich auseinandersetzen. Was sollte daran elitär sein, etwas wirklich zu können?
Und was sind nun die nächsten Stepps für den Fashion Coun cil Germany?
CA: Der 9., 10. und 11. Juli 2015 in Berlin.

Partner statt Buhmann

Warum die Mode die Politik braucht. Ein Kommentar von Stephan Huber
Es gibt nichts zu beschönigen – die Modebranche hat ein verdammt toughes Jahr hinter sich. Das bestätigen die Umsatz zahlen, das bestätigt die Stimmung im Markt, das bestätigen die vielen per sönlichen Gespräche in den vergangenen Monaten. Die Problemanalyse war in all diesen Gesprächen interessanterweise weitgehend deckungsgleich: *Der (nicht nur) durch den Onlinehandel radikal veränderte Wettbewerb
*Viel zu viel Ware im Markt
*(Gefühlter) Dauerabverkauf
*Hohe Abschriften
*Rückläufige Frequenz in den Läden
*Explosion der Mieten, vor allem aber nicht nur in Toplagen
*Zunehmend monotone Einkaufsstraßen und Innenstädte
*Vergleichbare und damit langweilige Sortimente
*Personal bzw. Personalsuche
*Den (emotionalen) Bedarf der Kundinnnen und Kunden weitgehend ignorierende Saisonrhythmen
Alles richtig – und auf den ersten Blick eine Sisyphosaufgabe. Auf den zweiten Blick aber, um bei der griechischen Mythologie zu bleiben, eine Herkulesaufgabe. Also bewältigbar, aller dings nur mittels eines schier übermenschlichen Kraftaktes. Man könnte diese Analogie jetzt auch auf die Spitze treiben und daran erinnern, dass Herkules, bevor er gezwungen war, sich seinen zwölf Prüfungen zu stellen, im Wahn sei ne Existenzgrundlage vernichtet hat. Aber das wird dann doch etwas zu spitzfindig. Der Blick muss jetzt nach vorne gerichtet werden. Denn „übermenschlicher Kraftakt“ beschreibt sehr genau, was die Modebranche insgesamt und der Fachhandel im Speziellen zu stemmen haben. Und ein Halbgott wird’s nicht richten. Für Aufga ben, die die Kraft des Einzelnen überfordern, hat der Mensch aber schon in seinen evolutio nären Anfängen ein kluges Erfolgsrezept entwickelt: die Gemeinschaft! Mit Einzelkämpfertum ist obenstehende Liste nämlich nicht zu bewäl tigen. Den langbärtigen Kalauer vom Einzelhändler der einzeln handelt, habe ich schon immer grenzenlos dämlich gefunden, wenn auch nicht völlig frei von jedem Wahrheitsgehalt. Die Politik muss Teil dieser Gemeinschaft sein. Das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, in dem wir alle leben und agieren, bei aller an gebrachter und notwendiger Kritik übrigens das Einzige, dem es historisch gelungen ist, auch den Praxistest zu bestehen, ist auf eine Po litik angewiesen, die ihre Rolle als aktiver Gestalter nicht nur der Gegenwart, sondern vor allem der Zukunft auch aktiv wahrnimmt. Und es ist auf Menschen, Unternehmen, Interessensge meinschaften etc. angewiesen, die diese Rolle ebenso aktiv einfordern. Die sich also nicht damit begnügen, die in vielen Bereichen fehlen de Gestaltung zu bejammern, sondern vielmehr Bedarf anmelden und sich für ihre eigene Sache selbstbewusst stark machen. Ob es um ganz pragmatische Fragen wie die Sonntagsöffnung oder eine Rückkehr zur Regu lierung der Schlussverkäufe geht oder um große Zukunftsthemen wie die künftige Funktion und Funktionsfähigkeit der Städte oder die Bewusst seinsbildung für die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Modebranche – für die Lösung ist eine vertrauensvolle, gemeinschaftliche Zusam menarbeit mit der Politik unumgänglich. Oder, um es mit Angela Merkel zu sagen: „Alternativlos.“