style in progress 3/2014 – Deutsche Ausgabe

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124 IM GESPRÄCH

Berlin, was denn sonst? Anita Tillmann hat immer an Berlin geglaubt und ist mit der Premium in der deutschen Hauptstadt durch dick und dünn gegangen. Der Erfolg hat ihr Recht gegeben. Die Premium ist heute bei Ausstellern und Besuchern völlig unumstritten. Die Diskussionen über die Zukunft Berlins als Mode(haupt)stadt wollen aber einfach nicht verstummen. Anita Tillmann sieht das im Gespräch mit style in progress gelassen. Interview: Stephan Huber. Text: Isabel Faiss. Fotos: Juergen Schabes

Gab es für dich eigentlich jemals Momente des Zweifelns, ob diese Stadt doch richtig ist?

Nein. Es gab und gibt immer wieder harte Zeiten im Markt, unabhängig von der Stadt. Aber es ist eher eine Frage, wie man damit umgeht. Berlin ist richtig und bietet sehr viel Potenzial, um sich national und international weiterzuentwickeln – und vor allem auch den Raum, um sich verändern zu können. Was wäre denn die Alternative? Da wüsste ich keine. Ich glaube mehr denn je an Berlin, weil es alleine schon geografisch im Zentrum Europas mit dem starken wirtschaftlichen Umfeld von Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht diskutiert werden muss. Neue Konzepte und Hypes kommen und gehen – das ist der Lauf der Dinge. Letztendlich muss sich jeder um sein eigenes Produkt kümmern und zusehen, dass es funktioniert, dass es Sinn macht und dass man eine Rechtfertigung dafür hat. Rund um die Premium herum tut sich momentan sehr viel in der Berliner Modewelt. Findet eigentlich auch Kommunikation zwischen den einzelnen Key-Playern statt?

Selbstverständlich. Ich spreche beispielsweise mit Karl-Heinz Müller ganz offen über die allgemeine Entwicklung und darüber, wie wir den Markt einschätzen. Aber auch mit den anderen Messeveranstaltern tausche ich mich regelmässig aus. Berlin funktioniert, weil alle miteinander reden. Im Moment gibt es eine sehr anregende Bewegung von allen möglichen Ankerpunkten aus. Es entstehen gerade ganz viele neue Projekte. Welche davon überleben, bleibt dahingestellt. Aber genau der ständige Wandel und die Erneuerung machen diese Stadt einzigartig. 314 style in progress

Dass es mittlerweile während der Fashionweek rund ein Dutzend Veranstaltungen gibt, wird vielfach kritisiert.

Niemand ist gezwungen, sämtliche Veranstaltungen zu besuchen. Es gibt eine spannende Auswahl und jeder kann für sich selbst entscheiden, welche davon relevant ist. Ich sehe da kein Problem.

Was war eigentlich die einschneidenste Veränderung für die Premium in den vergangenen Jahren?

Die internationale Positionierung Berlins. Als wir damals mit der Premium angefangen haben, hat kaum jemand daran geglaubt, dass sich Berlin als Modestadt etablieren kann. Es war damals nicht absehbar, dass sich ausgerechnet diese Stadt zum Meltin‘ Pot der gesamten Modebranche entwickeln wird. Zu der Zeit, im Jahr 2003, war Berlin eine Masse aus kreativem Potenzial, die wir genutzt haben, um ein ganz neues Messeformat und ein ganz neues Segment – das Premiumsegment, das es vorher nicht gab – zu launchen. Wir haben ein Produkt definiert, etabliert und dann eine internationale Marke daraus entwickelt, an der wir bis heute kontinuierlich arbeiten. Im Rückblick eine sehr kluge Entscheidung, denn der Premiummarkt ist bis heute eines der Segmente, die noch erfolgreich sind. Gibt es spezielle Themen oder Konzepte, die ihr mittelfristig auf der Premium stärker ent­ wickeln wollt?

Modisch passiert so viel in unserer Branche, dass wir nicht noch neben der Vielfalt der Kollektionen ständig neue Segmentierungen vornehmen wollen. Vor zwei Jahren erst haben wir das Konzept Essence of Premium mit sehr hochwertigen

italienischen Designermarken sowie die Dissonance Area mit der neuen Avantgarde etabliert, die beide die anderen Segmente der Premium ideal ergänzen. Die Seek ist bereits im fünften Jahr erfolgreich und präsentiert das Who is Who der progressiven und modernen Menswear. Nächste Saison konzentrieren wir uns darauf, uns noch stärker zu profilieren und neue relevante Kollektionen zu integrieren. Wenn wir das, was neu ist, bündeln und für den Markt schlüssig aufbereiten, dann haben wir unser Ziel erreicht.

Ist das einer der Gründe für die seit einigen Saisons extrem positive Entwicklung der Premium?

Ja, aber vor allem auch die Kontinuität, mit der wir arbeiten. Eine atemlose Branche braucht verlässliche Fixpunkte. Anstatt von einer Sache zur nächsten zu springen, gehe ich lieber in die Tiefe – um Dinge zu optimieren. Neuen Ideen muss man erst einmal genügend Zeit geben, um sich zu etablieren. Sprunghaftigkeit gehört zu den Schwächen unserer Branche und wird oft mit Flexibilität verwechselt. Unsere Mission ist es, Qualität zu liefern, Marken jede Saison aufs Neue zu kuratieren und die richtigen Geschäftspartner zusammenzubringen. Wir sehen uns als Dienstleister und als Plattform, um dem Handel neue Marken und Themen zu präsentieren. Unsere entscheidende Stärke ist inhaltliche Kompetenz und Leidenschaft zur Mode. Wir wissen, wovon wir reden, wenn wir über Mode und das Geschäft mit der Mode reden. Das macht den Unterschied zu Messen, die in erster Linie Flächen verkaufen und der größten Marke den größten Stand geben – ohne inhaltlichen Kontext.


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