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Berlin, was denn sonst?

Anita Tillmann hat immer an Berlin geglaubt und ist mit der Premium in der deutschen Hauptstadt durch dick und dünn gegangen. Der Erfolg hat ihr Recht gegeben. Die Premium ist heute bei Ausstellern und Besuchern völlig unumstritten. Die Diskussionen über die Zukunft Berlins als Mode(haupt)stadt wollen aber einfach nicht verstummen. Anita Tillmann sieht das im Gespräch mit style in progress gelassen.

Interview: Stephan Huber. Text: Isabel Faiss. Fotos: Juergen Schabes

Gab es für dich eigentlich jemals Momente des Zweifelns, ob diese Stadt doch richtig ist?

Nein. Es gab und gibt immer wieder harte Zeiten im Markt, unabhängig von der Stadt. Aber es ist eher eine Frage, wie man damit umgeht. Berlin ist richtig und bietet sehr viel Potenzial, um sich national und international weiterzuentwickeln – und vor allem auch den Raum, um sich verändern zu können. Was wäre denn die Alternative? Da wüsste ich keine. Ich glaube mehr denn je an Berlin, weil es alleine schon geografisch im Zentrum Europas mit dem starken wirtschaftlichen Umfeld von Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht diskutiert werden muss. Neue Konzepte und Hypes kommen und gehen – das ist der Lauf der Dinge. Letztendlich muss sich jeder um sein eigenes Produkt kümmern und zusehen, dass es funktioniert, dass es Sinn macht und dass man eine Rechtfertigung dafür hat.

Rund um die Premium herum tut sich momentan sehr viel in der Berliner Modewelt. Findet eigentlich auch Kommunika tion zwischen den einzelnen Key-Playern statt?

Selbstverständlich. Ich spreche beispielsweise mit Karl-Heinz Müller ganz offen über die allgemeine Entwicklung und darüber, wie wir den Markt einschätzen. Aber auch mit den anderen Messeveranstaltern tausche ich mich regelmässig aus. Berlin funktioniert, weil alle miteinander reden. Im Moment gibt es eine sehr anregende Bewegung von allen möglichen Ankerpunkten aus. Es entstehen gerade ganz viele neue Projekte. Welche davon überleben, bleibt dahingestellt. Aber genau der ständige Wandel und die Erneuerung machen diese Stadt einzigartig.

Dass es mittlerweile während der Fashionweek rund ein Dutzend Veranstaltungen gibt, wird vielfach kritisiert.

Niemand ist gezwungen, sämtliche Veranstaltungen zu besuchen. Es gibt eine spannende Auswahl und jeder kann für sich selbst entscheiden, welche davon relevant ist. Ich sehe da kein Problem.

Was war eigentlich die einschneidenste Veränderung für die Premium in den vergange nen Jahren?

Die internationale Positionierung Berlins. Als wir damals mit der Premium angefangen haben, hat kaum jemand daran geglaubt, dass sich Berlin als Modestadt etablieren kann. Es war damals nicht absehbar, dass sich ausgerechnet diese Stadt zum Meltin‘ Pot der gesamten Modebranche entwickeln wird. Zu der Zeit, im Jahr 2003, war Berlin eine Masse aus kreativem Potenzial, die wir genutzt haben, um ein ganz neues Messeformat und ein ganz neues Segment – das Premiumsegment, das es vorher nicht gab – zu launchen. Wir haben ein Produkt definiert, etabliert und dann eine internationale Marke daraus entwickelt, an der wir bis heute kontinuierlich arbeiten. Im Rückblick eine sehr kluge Entscheidung, denn der Premiummarkt ist bis heute eines der Segmente, die noch erfolgreich sind.

Gibt es spezielle Themen oder Konzepte, die ihr mittelfristig auf der Premium stärker entwickeln wollt?

Modisch passiert so viel in unserer Branche, dass wir nicht noch neben der Vielfalt der Kollektionen ständig neue Segmentierungen vornehmen wollen. Vor zwei Jahren erst haben wir das Konzept Essence of Premium mit sehr hochwertigen italienischen Designermarken sowie die Dissonance Area mit der neuen Avantgarde etabliert, die beide die anderen Segmente der Premium ideal ergänzen. Die Seek ist bereits im fünften Jahr erfolgreich und präsentiert das Who is Who der progressiven und modernen Menswear. Nächste Saison konzentrieren wir uns darauf, uns noch stärker zu profilieren und neue relevante Kollektionen zu integrieren. Wenn wir das, was neu ist, bündeln und für den Markt schlüssig aufbereiten, dann haben wir unser Ziel erreicht.

Ist das einer der Gründe für die seit einigen Saisons extrem positive Entwicklung der Pre mium?

Ja, aber vor allem auch die Kontinuität, mit der wir arbeiten. Eine atemlose Branche braucht verlässliche Fixpunkte. Anstatt von einer Sache zur nächsten zu springen, gehe ich lieber in die Tiefe – um Dinge zu optimieren. Neuen Ideen muss man erst einmal genügend Zeit geben, um sich zu etablieren. Sprunghaftigkeit gehört zu den Schwächen unserer Branche und wird oft mit Flexibilität verwechselt. Unsere Mission ist es, Qualität zu liefern, Marken jede Saison aufs Neue zu kuratieren und die richtigen Geschäftspartner zusammenzubringen. Wir sehen uns als Dienstleister und als Plattform, um dem Handel neue Marken und Themen zu präsentieren. Unsere entscheidende Stärke ist inhaltliche Kompetenz und Leidenschaft zur Mode. Wir wissen, wovon wir reden, wenn wir über Mode und das Geschäft mit der Mode reden. Das macht den Unterschied zu Messen, die in erster Linie Flächen verkaufen und der größten Marke den größten Stand geben – ohne inhaltlichen Kontext.

„Unsere entscheidende Stärke ist inhaltliche Kompetenz und Lei- denschaft zur Mode. Wir wissen, wovon wir reden, wenn wir über Mode und das Geschäft mit der Mode reden.“ Anita Tillmann

Es hat zuletzt viele Gerüchte über die Unternehmensstruk tur der Premium gegeben. Gibt es Expansionspläne?

Gerüchte gehören zur Modebranche wie das Amen zum Gebet. Im Moment bleibt alles, wie gehabt. Es gibt die Premium Exhibitions, die die 100-prozentige Tochter der Station Berlin ist. Das Fashionteam der Premium vermarktet die Messen in Berlin und München, das Team der Station Berlin betreut die Location als Veranstaltungsort. Die Station Berlin ist das ganze Jahr über sehr gut vermietet, mit Veranstaltungen wie Gala-Events, wie u. a. Tribute to Bambi, verschiedene Messeformate wie die re:publica oder die Kunstmesse ABC, bis hin zu Automobil-, Industrie- und Politikevents. Des Weiteren entwickeln wir eigene Formate wie z. B. Die Berliner Fahrrad Schau, eine Publikumsmesse, die sich immer mehr nationaler wie internationaler Aufmerksamkeit erfreut. Die Premium hat im letzten Jahr mehr Umsatz gemacht. Bei den vielen Ausstelleranfragen, die wir bekommen, könnte ich durchaus noch eine Modemesse veranstalten. Das würde mich auch reizen. Wir konzentrieren uns aber im nächsten Schritt auf unser Kernprodukt, die Premium in Berlin, sowie auf die Weiterentwicklung und den Ausbau der Premium Order Munich.

Wie stark kann die Premium selbst noch wachsen?

Räumlich sind unsere Expansionsmöglichkeiten begrenzt und das ist eigentlich auch gut so. Umso mehr konzentrieren uns auf inhaltliche Optimierung. Die Premium lebt davon, dass sie einen Mix aus etablierten und neuen Marken vorstellt. Unser ganzer Fokus liegt dabei auf dem Produkt. Um das in den Vordergrund zu stellen, haben bei uns alle Marken die gleiche Chance, gesehen zu werden. Sobald die Premium nur einer bestimmten Marke viel Aufmerksamkeit schenkt, haben wir etwas verkehrt gemacht. Deswegen müssen wir leider immer wieder großartige Marken ablehnen, die außerordentlich viel Fläche benötigen, weil wir diese Form von Marketingmaßnahme nicht bieten können und wollen. Das ist zugegeben unternehmerisch nicht immer einfach. Aber konzeptionell letztlich unabdingbar.

Ihr habt euch aus Düsseldorf zurückgezogen.

Aus Messesicht war die Entscheidung bereits überfällig. Ich bin froh, dass wir diesen Schritt gemacht haben. Alle wichtigen Agenturen, mit denen wir sehr eng zusammenarbeiten, haben dort ihre eigenen Showrooms und der Orderzeitraum geht weit über die Kern-Messetage hinaus. Ab sofort verstärken wir unsere Kompetenz in München. Durch die Kooperation mit der Familie Klinder von der Munich Fabric Start stehen uns dafür in Zukunft die Messehallen des MOC zur Verfügung, für das wir zusammen ein neues modernes Konzept erarbeitet haben.

Ist das nur eine Standortkooperation oder auch eine inhaltliche Zusammenarbeit?

Im Moment ist es eine inhaltliche und logistische Kooperation, wir planen aber ein Joint Venture und wollen so gemeinsam den Standort München weiterentwickeln. Die Premium in Berlin ist international. Hier machen wir die Verträge mit den Marken aus aller Welt, die sich dem internationalen Handel präsentieren. In Berlin haben wir außerdem einen großen Prozentsatz an ausländischen Agenturen, die neue Marken für ihr Portfolio suchen. München ist dagegen die stärkste Vertriebsplattform Deutschlands und wir arbeiten daran, sie richtig groß zu machen. Die Premium Order Munich ist eine Vertriebs- und Vertretermesse für Deutschland, Österreich und die Schweiz, auf der Abschlüsse gemacht werden, die aber um die 40 Prozent neue Kollektionen präsentiert, die in Berlin noch nicht fertiggestellt sind – viele davon aus dem Schuh- und Accessoirebereich. In München sehen wir ein hohes Wachstumspotenzial bis zu einer Gesamtfläche von 30.000 Quadratmetern. Und die Nachfrage ist enorm. Premiere feiern wir vom 9. bis 12. August.

Berlin und München rücken auch terminlich deutlich näher zusammen. Soll das künftig die entscheidende Achse sein?

Ich bin auf jeden Fall überzeugt, dass der Markt eine klare Strukturierung und besser abgestimmte Termine braucht. Und dazu wollen wir beitragen.

Was ist eigentlich langfristig für Berlin möglich?

Gerade in Zeiten wie jetzt, in denen sich jeder neu definiert und sich fragt, wohin die Reise wohl geht, entstehen viele neue kreative Ideen und man trifft neue, spannende Leute. Ich für meinen Teil bin sehr zuversichtlich, was Berlin angeht. Es kommen zunehmend internationale Kunden – vor allem Asiaten, Russen und Osteuropäer. Da ist noch viel Potenzial nach oben. Allerdings sind wir mit Berlin in vielen Ländern noch nicht auf der Landkarte – sowohl bei Marken als auch bei Einkäufern. Berlin als Modestandort gibt es erst seit zehn Jahren im Gegensatz zu der jahrzehnte- oder sogar jahrhundertelangen Historie der traditionellen Modemetropolen Paris und Mailand. Wir haben jetzt die Chance, uns zu etablieren, indem wir uns immer wieder neu definieren. Ich habe damals federführend eine Klammer um das ganze Berlin-Thema gemacht, weil ich fand, dass es als Paket kommuniziert werden muss. Mittlerweile hat sich Berlin dahingehend etabliert. Aber wie in jeder anderen Stadt und in jeder anderen Branche muss man stetig an seinem Produkt arbeiten und sich an die Marktgegebenheiten anpassen. Nicht nur, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern vor allem, um neue zu wecken. Es ist unglaublich, wie viele Möglichkeiten zum CrossThinking diese Stadt bietet. Berlin ist das Zentrum für Start-ups, denn hier sind neue Formate und Lösungen realisierbar. Sie entstehen wahrscheinlich gerade jetzt in diesem Moment.

Eröffnet das für dich nicht auch neue, konzeptionelle Ansätze für die Premium?

Grundsätzlich ja. Das einzig Stetige ist der Wandel. Das ist übrigens auch das Motto, das am besten zu meiner Persönlichkeit passt. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Ansätzen, Optimierungspotenzial und neuen Lösungen. Wir sind ein Marktplatz, auf dem immer wieder neue Produkte vorgestellt werden. Wenn ein Hersteller sein Produkt präsentiert und seine Kunden gefunden hat, zieht er sich häufig in den Showroom zurück. Wir zeigen neue Produkte und Designer, neue Positionierungen, neue Konzepte und Kooperationen, neue Distributionspolitik etc. Das ist unser stetiger Rahmen, in dem wir uns immer wieder für den Markt erneuern, in dem ohnehin schon genug passiert.

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