KOMPASS Stadtmagazin Ausgabe 6 | 17

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er gebürtige Stollberger hat schon so ziemlich alle Flecken dieser Welt durchradelt, erwandert oder mit den Kajak erfahren. Ganz »nebenbei« veranstaltet der Sachse die aller zwei Jahre stattfindenden Abenteuertage in Glauchau, hält Vorträge und betätigt sich selbst als Reiseveranstalter. KOMPASS traf den sympathischen Abenteurer und Weltrekordhalter zu einem Interview. KOMPASS: Du hast das Himalaya-Gebirge mit dem Rad von Ost nach West durchquert, warst in Neuguinea »ausgesetzt« , hast die Quelle des Ganges besucht und ganz nebenbei die Welt einmal umrundet. Warum müssen es immer Höchstleistungen sein?

Gil Bretschneider: Ich denke, es liegt in der Natur des Menschen, dass man sich immer genau die Ziele setzt, die man noch gerade so mit den Fingerspitzen erreichen kann. Angefangen hat das Ganze auch nicht mit Höchstleistungen, sondern mit dem Willen etwas zu entdecken, was so in dieser Art vielleicht noch niemand gemacht hat. Die allererste Reise, die ich damals mit Peer Schepanski, meinem jahrelangen Reisebegleiter, gemacht habe, war gleich eine Weltreise mit dem Fahrrad. Wir waren damals 19 und 21 Jahre alt und wir sind nicht mit dem Gedanken losgefahren, irgendwelche Rekorde zu brechen, sondern es war einfach nur der Drang auszubrechen, sich was anzuschauen, wovon unsere Eltern und Großeltern jahrzehntelang geträumt haben. Dieser Wunsch Dinge zu sehen, die man sonst nur aus Büchern oder aus dem Fernseher kannte, war und ist tief verwurzelt. So ist das eigentlich entstanden. Und es kann schon sein, dass man sich dann immer größere Ziele steckt und vielleicht immer mehr von sich erwartet und immer spektakulärer unterwegs sein will. Aber ich denke, jetzt ist der Punkt erreicht, wo das langsam ein wenig abebbt und man wieder zu seinen Wurzeln zurückfindet. Ich reise sehr gern mit dem Fahrrad, zu Fuß, aber auch mit dem Kajak, aber nicht mehr um Rekorde zu brechen, sondern einfach des Reisens wegen.

Es läuft derzeit mit dem Kinofilm »Expedition Happiness« eine zweite Reisedokumentation von Felix Starck, in der er in einem umgebauten Schulbus den amerikanischen Kontinent von Alaska im Norden bis nach Argentinien im Süden bereist. Bei seiner ersten Expedition fuhr er auch mit dem Rad um die Welt, nur teaserte er seine Reise vorab an, in der Hoffnung, er könne seine Reiseerlebnisse vorverkaufen, was ihm auch mit großem Erfolg gelang. Wie stehst Du zum Thema Kommerz im Abenteuer?

Es ist ganz schwer, das Kommerzielle auszugrenzen, ich lebe eigentlich immer nach der Devise: Leben und leben lassen. Schon seit Jahren gibt es viele Vortragsreferenten, aber im Laufe der Zeit wurden es immer mehr. Das Reisen selbst ist auch einfacher geworden. Und aufgrund der Vorträge haben wir, die wir schon so lange Vorträge halten, auch einen Teil dazu beigetragen, dass die Welt enger zusammengerückt ist. Mit dem Kommerz muss man, wenn man das Reisen professionell betreiben möchte, bis zu einem gewissen Grad leben. Es geht für mich eher um eine Balance, einerseits mit meinen Vorträgen Geld einzunehmen, aber mich andererseits nicht zu verkaufen. Ich reise noch immer an Ziele, die ich selber gern besuchen möchte, oft auch ohne vorheriges Konzept, anders wie beispielsweise ein Filmemacher, der benötigt wahrscheinlich einen Plan, um das Maximum aus dieser Expedition herauszuholen. Ich sage immer: Wenn man so eine Reise für sich selber macht, dann wird diese sehr viel einprägsamer sein, als eine Reise, die man nur unternimmt, um davon zu leben. Aber klar, man muss irgendwann die Entscheidung treffen: Will man das bloß für sich machen? Dann geht man »normal« arbeiten und spart sein Geld und geht dann auf Reisen. Oder man lebt davon und dann muss man natürlich auch den Preis einer gewissen Kommerzialisierung dafür zahlen. Bei großen Vorhaben muss ich natürlich ebenfalls Verträge unterzeichnen und Sponsoren ins Boot holen, das

bleibt nicht aus. Und auf den Kinofilm bezogen: Es wird heute kaum mehr jemanden geben, der das Rad neu erfinden kann. Klar versucht jeder außergewöhnlich unterwegs zu sein, um auf sich aufmerksam zu machen, um am Ende sich selbst und seine Reise zu vermarkten, wie weit er dabei geht, muss jeder für sich selbst entscheiden. In Deinem, wie auch in seinem Fall, war irgendwann der Gedanke da: Ich setz' mich aufs Rad und fahre um die Welt. Dennoch scheitern viele an diesem Wunsch es selbst zu versuchen, weil man feststellt: Es geht eigentlich gar nicht, denn ich habe einen Job, eine Wohnung, alles Mögliche, aber keine Freiheit. Wie geht man an so eine Reise heran, wie macht man sich erst einmal »frei« von allem, um überhaupt so eine Reise antreten zu können?

Gerade Leute, die zu meinen Vorträgen kommen oder auch Reiseteilnehmer, stellen ähnliche Fragen. Ich denke, was man auf jeden Fall haben muss, ist Mut und wenn es »bloß« der Mut zum Loslassen ist. Einfach mal die Komfortzone verlassen, die Türen hinter sich schließen und vielleicht für eine gewisse Zeit auf etwas verzichten zu können. Natürlich muss man gesund sein, aber wenn man einmal losgekommen ist von dem Leben, welches man sich aufgebaut hat und wo man auch noch nie so richtig ausgebrochen ist, dann ergibt sich der Rest letztendlich von selbst. Man muss den Mut aufbringen, mal was Neues zu probieren. Wir sind damals sehr jung aufgebrochen und hatten uns noch nicht so viel aufgebaut, entsprechend fiel das Loslassen nicht so schwer. Wenn man natürlich eine Familie hat, wenn man ein Haus gebaut und Kredite laufen hat, ist es natürlich sehr viel schwerer »Ballast« abzuwerfen. Aber jeder, der die Möglichkeit hat, ein wenig runterzufahren und von seinem Gepäck, was man sich über die Jahre anhäuft, loszulassen, der wird auf jeden Fall zufrieden sein.

am Puls der natur Mit dem Kajak durch die Gletscherlagune in Island. 06 17

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