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Mai 2022, Kleines Haus
damit schnell und aufregend, verliert aber seine verletzende Wucht und gewinnt letztlich mehr Raum. Bewusste Ablenkung also, die im Ergebnis auch und manchmal besser zum Ziel führt. Theater, Geschichten, Bühnengeschehen, Figuren können eine solche Rolle des Dritten übernehmen – niemand kann es besser als sie! Der Austausch im Theater geht immer über Bande, bedeutet immer, dass wir gemeinsam ein Geschehen wahrnehmen, das wir dann auf uns übertragen können. Möglicherweise können Menschen einander besser zuhören, besser miteinander reden, wenn sie ein anderes Thema haben als die Meinung und vermeintlich ‚falsche‘ Position des Gegenübers. Wenn Empathie nicht mehr im direkten Umgang möglich ist, geht es vielleicht über einen Umweg und über Stellvertreter*innen. Das hat zugleich den Charme, dass jene wieder hörbar werden, die fast verstummt sind. Denn ihnen sollten wir dringend jetzt endlich zuhören, ihre Geschichten 25
übersetzen in eine verdichtete Sprache, in Tanz, Musik, Tragödie und Komödie, in Poesie und Fantasie. Denn wenn wir in Selbst- und Fremdwahrnehmung nicht mehr auf pandemisch Schutzbefohlene zusammengeschrumpft sind, dürften wir alle Sinne brauchen, um einander zumindest ein bisschen besser zu verstehen. Der große Theaterschatz an uralten und ganz neuen, an erfundenen und bereits gelebten Leben, Abenteuern und Schicksalen kann dazu dienen, uns ein bisschen fiktionales Wissen zu borgen für die Horizonterweiterung. Hannah Ahrendt hat vor langer Zeit darauf aufmerksam gemacht, dass es sich lohnen könnte, das Wort Interesse wörtlich zunehmen. Inter-esse, Dazwischen-sein. Wenn jede*r sich ein bisschen von sich selbst wegbewegt, kann man sich in der Mitte treffen. Und weniger selbstbezüglich miteinander reden.
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Die vorsichtige Methode des Essays, des literarischen Versuchs also, wäre heute möglicherweise keine schlechte Vorgehensweise und die faserreichen Zeichnungen Peter Engels bilden eine solche Poetik ab: Nicht alles schon vorher wissen, Seitenwege gehen, ziellos sein, Versuche wagen, überhaupt ETWAS wagen, sich etwas zumuten (was mit Mut zu tun hat), Behauptungen verlachen. Und wirklich dem kühnen Ansatz folgen, ALLES erzählen zu wollen, damit wir das Unwichtige nicht vom vermeintlich Wichtigen zu früh abspalten, denn vielleicht irren wir uns ja und die Nebensächlichkeit ist wichtig oder die Spinnerei eine verblüffende Wahrheit! Kommunikation ist auch ohne Corona schon eine heikle Angelegenheit, José Saramago beschrieb ihre Tücken und Verwirrungen als „die Tatsache, dass sich zwar die Kommunikationstechnologien in wahrhaft linearer Progression von Verbesserung zu Verbesserung hangeln, die andere Kommunikation hingegen, die eigentliche,
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