Paracontact Sommer 2023

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Mit dem Kajak auf dem Wasser

Sommerspass
Das Magazin der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung I Sommer 2023

NEU

Der Katheter der nächsten Generation

Mikro-Öffnungen. Makro-Unterschied.

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Geschätzte Leserinnen und Leser

Die Forderung ist simpel: Wir Menschen mit Behinderung möchten gleichberechtigt in der Gesellschaft mitmachen und über unser Leben selbst bestimmen. Wir wollen keine Sonderrechte, sondern gleiche Rechte. Dass dies in der Schweiz nach wie vor nicht Realität ist, wissen wir nicht erst, seit ein Ausschuss der UNO das letztes Jahr bestätigt hat.

Was es mit jungen Menschen macht, wenn sie nicht wie alle am Leben teilhaben können und beispielsweise von der Arbeitswelt ausgeschlossen werden, lesen Sie eindrücklich auf S. 12/13.

zuhanden der beiden Kammern eine Resolution, in der sie vollständige politische Teilhabe fordern. Wie ein Mitglied der SPV den Nachmittag im Nationalratssaal erlebte, erfahren Sie auf S. 47.

Doch es tut sich etwas, auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Die SPV lanciert eine Interessenvertretung hindernisfreies Bauen. Durch gezieltes Lobbying bei Behörden und Verwaltungen, aber auch in der Baubranche soll eine Bauweise zum Standard werden, die für alle Zugänglichkeit schafft.

Am 24. März trafen sich 44 Menschen mit einer Behinderung unter der Bundeshauskuppel zur ersten Behindertensession. Die Teilnehmenden erarbeiteten

Seit dem 27. April sammeln wir Unterschriften für die Inklusions­Initiative. Die Initiative wehrt sich dagegen, dass Menschen mit einer Behinderung viel zu häufig in Institutionen leben müssen und ihnen benötigte Hilfsmittel und Assistenz verwehrt bleiben. Je älter wir werden, umso mehr spitzt sich dieser Missstand zu. Ohne Wahlfreiheit der Wohnmöglichkeit als auch der erforderlichen Assistenz und Hilfsmittel droht Hausarrest, Vereinsamung und auch eine erhebliche Gefährdung der psychischen wie physischen Gesundheit. Unterstützen Sie die Initiative mit Ihrer Unterschrift! Für gleichberechtige Teilhabe, für freie Wahl der Wohnform, für mehr Assistenz.

Viel Freude und Inspiration bei der Lektüre wünscht

Paracontact I Sommer 2023 3 EDITORIAL
«Wir bewegen mit»

Herausgeberin

Schweizer Paraplegiker-Vereinigung

Kantonsstrasse 40, 6207 Nottwil

Telefon 041 939 54 00

E-Mail spv@spv.ch

www.spv.ch

Chefredaktorin

Evelyn Schmid

Redaktion

Laurent Prince, Nadja Venetz, Felix Schärer, Roger Getzmann, Daniela Vozza, Michael Bütikofer, Peter Birrer, Tina Achermann

Koordination, Grafik, Inserate

Tina Achermann

Fotos

SPV, SPS, Adobe Stock, Tobias Lackner, InSuperAbili, Mark Henley/Panos, Maria Ambühl, Reka-Feriendörfer, Merlin Adventures, Swissbasketball, Tokio Marathon Foundation, D. Léchenne, BWF/Parabadminton photo, SAC David Schweizer, Active Communication, EPFL, Stiftung Cerebral, Swiss Paralympic/Gabriel Monnet, N. Buob, Kompetenzzentrum Sport Armee/ Charlotte Donzallaz, Pro Infirmis

Druck

Brunner Medien AG, www.bag.ch

Redaktionsschluss

Ausgabe Herbst 2023: abgeschlossen

Ausgabe Winter 2023: 6.9.2023

Auflage

8100 Exemplare deutsch

4 250 Exemplare französisch

Wir bemühen uns um gendergerechtes Schreiben, verwenden zur besseren Lesbarkeit manchmal die weibliche oder männliche Form stellvertretend für alle Geschlechter.

Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. Fremdbeiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der SPV wieder. Ein Abdruck von unverlangt eingesendeten Manuskripten ist nicht gewährleistet.

Paracontact I Sommer 2023 5 IMPRESSUM INHALT
WIR BEWEGEN AKTUELL 6 INKLUSIONS-INITIATIVE Jetzt unterschreiben 8 Das betrifft uns alle 9 DELEGIERTENVERSAMMLUNG Angeregte Diskussionen 10 NACHGEFRAGT Hindernisfrei als Standard 11 LEBENSBERATUNG SELBSTWERTGEFÜHL Im Spiegel der Gesellschaft 12 VERKEHR Mobil sein mit Elektroantrieb 15 RECHTSBERATUNG HAFTPFLICHT Baden in trübem Wasser 16 MEDIZIN UND WISSENSCHAFT GESUNDHEIT Brüchige Knochen 18 TAGUNG Komplexität Querschnittlähmung 20 HINDERNISFREIES BAUEN BERUF Hindernisfreier Arbeitsplatz 22 FREIZEIT REISE Abstecher in den Orient 24 IN KÜRZE 27 UNTERKÜNFTE Barrierefreie Reka­Ferien 28 SICHER UNTERWEGS Am Steuer tankt sie Energie 29 HOCH HINAUS Gipfelstürmer 31 DISC GOLF Scheiben­Schiessen einmal anders 32 ROLLSTUHLSPORT WCMX Die verblüffende Weltmeisterin 34 IN KÜRZE 36 TRAINERAUSBILDUNG Eine Investition in die Zukunft 38 EUROPAMEISTERSCHAFTEN European Games auch im Parasport angekommen 39 KLETTERN Kraft und Kreativität 40 FOKUS VERMISCHTES 42 IM GESPRÄCH Nalani Buob 44 BEHINDERTENSESSION Jetzt braucht es Taten 47 UNSERE HELFER Botschafterin, Unterstützerin, Sportlerin 49 FÜR SIE DA Thomas Hurni 50 24 40

AUSZEICHNUNG

Ehre für Catherine Debrunner

Die Leichtathletin Catherine Debrunner wurde in der Kategorie «Laureus Weltsportler*in mit einer Behinderung» mit einem Laureus Award geehrt. Die Laureus Awards zählen zu den bedeutendsten Auszeichnungen im Sport. Geehrt werden in sieben Kategorien und global ausgerichtet Sportpersönlichkeiten mit herausragenden Erfolgen im Vorjahr. Die Nominationen im Bereich Behindertensport werden vom Internationalen Paralympischen Komitee eingereicht.

NEUE MITARBEITENDE

Adrian Achermann Sozialarbeiter

Seit März ist Adrian Achermann Teil des Teams Sozialberatung. Ursprünglich absolvierte er eine kaufmännische Lehre in einer Sozialversicherung und arbeitete anschliessend in den Bereichen Marketing und Events, bevor er sich für ein Studium der Sozialen Arbeit entschied. Als diplomierter Sozialarbeiter FH engagierte er sich für schutzbedürftige Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

Rasselbande

Seine zwei kleinen Kinder geben bei Adrian Achermann den Takt an. Die Familie reist gern oder erkundet die Umgebung mit dem Velo. Den Luzerner zieht es sommers wie winters in die Natur und Berge.

Der Tessiner Rollstuhlclub InSuperAbili gründete vor rund zwei Jahren eine Tischfussballmannschaft. Die Sportart bietet ein geselliges Erlebnis in einer fröhlichen und lustigen Atmosphäre.

Am Töggelikasten sind Schnelligkeit und Geschick gefragt. Das Team von InSuperAbili trifft sich jeden Montag von 19.30 bis 20.30 Uhr im Parsifal­Schulhaus in Porza zum Training. Die Türen sind offen für alle, die Spass am Tischfussball haben oder den Sport ausprobieren möchten. Kommen Sie vorbei!

Wer Mitglied im InSuperAbili­Table­Soccer­Team werden will, meldet sich direkt beim Club.

Der Architekt berät in einem 60%-Pensum SPV-Mitglieder in der Romandie. David Gebara bringt viel Erfahrung in der Planung und im Bau von Gebäuden des Gesundheitswesens mit. Diese

Tätigkeit hat ihn für barrierefreie Räume sensibilisiert. An seiner Arbeit für das Zentrum für hindernisfreies Bauen schätzt er den direkten Kontakt mit Menschen.

Weltkulturerbe

David Gebaras Lieblingsgebäude ist das Guggenheim-Museum in New York, weil man die Ausstellung mithilfe einer Rampe besichtigt, die nach unten führt. Seine Freizeit verbringt er gerne auf der Skipiste, beim Tauchen oder Kitesurfen.

Der gelernte Tiefbauzeichner und diplomierte Bauingenieur bringt viel Erfahrung aus der Baubranche mit. Zuletzt arbeitete Adrian Haueter-Zumbühl als Projekt- und Simulationsingenieur. Sein Know-how setzt er nun bei der SPV ein und lobbyiert auf nationaler Ebene für eine hindernisfreie Bauweise.

Tiefe Töne

Der Wahlobwaldner bläst Alphorn im Trio Hohnegg und singt Bass im Jodlerklub Sarnen. Der Vater von drei erwachsenen Söhnen liest gern Schweizer Literatur und engagiert sich politisch im Kantonsrat Obwalden.

RUBRIK 6 Paracontact I Sommer 2023 AKTUELL Kontakt www.insuperabili.ch
AUS DEN CLUBS «Goal!»
Adrian Haueter-Zumbühl Koordinator Interessenvertretung hindernisfreies Bauen David Gebara Architekt

Inklusion im Stadion

Es war ein grosser Moment für Anouk und Felix, als sie am 11. März gemeinsam mit den Spielern der BSC Young Boys und des FC Sion einlaufen durften.

Erstmals haben in der Super League zwei Kinder im Rollstuhl das Einlaufen der Teams begleitet. Möglich machte dies eine gemeinsame Aktion für Inklusion von YB

und der Schweizer Paraplegiker­Stiftung. Auch die SPV trug zum Gelingen bei und suchte nach zwei Kindern, die Lust auf dieses Erlebnis hatten. Ein Team der Schweizer Paraplegiker­Stiftung war vor dem Spiel mit einem Stand vor dem Stadion präsent und sensibilisierte für das Thema Querschnittlähmung.

WEITERBILDUNG

Lehrgang Club Management

Zusammen mit Swiss Olympic und anderen Partnern bieten wir neu den Lehrgang «Club Management» an. Es ist ein idealer Kurs für Vorstandsmitglieder der Rollstuhlclubs.

Der Lehrgang besteht aus einem individuellen E­Learning und zwei Präsenztagen. Der Lehrgang behandelt Themen wie Mitgliedergewinnung, Finanzen, Freiwilligenmanagement, Sponsoring oder das Vereinsrecht. Sie besuchen die Module, die Sie interessieren und entscheiden selbst, wie intensiv und wann Sie die Themen im Selbststudium bearbeiten.

Nach Abschluss des E­Learnings und der beiden Präsenztage erhalten Sie das «Führungszertifikat für Vereinsvorstände».

Präsenztage: 26.8.2023 in Olten, 16.9.3023 in Nottwil

Anmeldeschluss: 30.6.2023

Kurssprache: Deutsch. Für 2024 ist ein französischer Lehrgang vorgesehen.

Informationen und Anmeldung academy.swissolympic.ch

DIREKTION

Sprechstunde

Sie haben ein Anliegen, eine Idee oder Kritik, die Sie der SPV vortragen möchten?

Die SPV möchte hören, was ihre Mitglieder denken. Jeweils am Dienstag von 16 bis 18 Uhr sind Telefon und Türen von Direktor Laurent Prince offen. Bringen Sie Ihr Anliegen persönlich vor oder rufen Sie an: Tel. 041 939 54 01. Eine Anmeldung ist nicht nötig. Im Verhinderungsfall von Laurent Prince empfängt Sie ein Mitglied der Geschäftsleitung.

NEUER CLUBPRÄSIDENT

RC Biel

Tobias Soder

Geburtsdatum: 6.10.1982

Beruf: Inhaber einer Webund IT-Agentur, Stadtrat in Nidau (BE), Musiker Im Club seit: 2020 (Wiedereintritt)

Hobbys: Spaziergänge mit dem Hund, Freunde treffen Aktuelle Projekte des Clubs: Aufbau neuer Angebote (Segeln auf dem Bielersee, Curling in der Halle in Biel), Erstellen einer neuen Website.

Angebote des Clubs: Tennis, Curling, künftig Segeln, Jassturnier, Ausflüge und gesellige Events, Aktionen für Präsenz und Sensibilisierung.

Paracontact I Sommer 2023 7
FUSSBALL

Jetzt unterschreiben

Die Inklusions­Initiative fordert ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben für Menschen mit Behinderung. Helfen Sie mit, damit dies gelingt.

Seit 23 Jahren gibt es in der Bundesverfassung ein Verbot der Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Die Schweiz hat zudem ein Behindertengleichstellungsgesetz und die UNO­Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Die Überprüfung der Schweiz durch einen Ausschuss der UNO hat im vergangenen Jahr unmissverständlich gezeigt, dass es noch viel zu tun gibt, bis in der Schweiz alle Menschen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben.

INITIATIVTEXT

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:

Art. 8 Rechtsgleichheit ₄ aufgehoben

Art. 8a (neu)³ Rechte von Menschen mit Behinderungen

¹ Das Gesetz stellt die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderungen in allen Lebensbereichen sicher. Menschen mit Behinderungen haben im Rahmen der Verhältnismässigkeit Anspruch auf die dafür erforderlichen Unterstützungs- und Anpassungsmassnahmen, insbesondere auch auf personelle und technische Assistenz.

² Menschen mit Behinderungen haben das Recht, ihre Wohnform und ihren Wohnort frei wählen zu können und im Rahmen der Verhältnismässigkeit Anspruch auf die dafür erforderlichen Unterstützungs- und Anpassungsmassnahmen.

Drei Fokusthemen

Die Inklusions­Initiative soll die Politik nun unter Druck setzen. Parlament und Bund müssen endlich vorwärtsmachen, um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in die Tat umzusetzen. Inhaltlich fokussiert sich die Initiative auf die Themen Teilhabe, Wohnen und Assistenz.

– Die Inklusions­Initiative fordert ein Ende der Diskriminierung. Alle sollen an der Gesellschaft teilhaben. Menschen mit Behinderung werden in vielen Bereichen ausgeschlossen. Dies betrifft beispielsweise Wohnen, Bildung, ÖV, Kultur, Dienstleistungen und Bauten. Der Gesetzgeber erhält den Auftrag, die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen sicherzustellen.

– Die Inklusions­Initiative fordert, dass alle Menschen das Recht haben, ihre Wohnform und ihren Wohnort selbst zu wählen. Nach wie vor sind viele Menschen mit Behinderung gezwungen, in Institutionen zu leben.

– Die Inklusions­Initiative fordert mehr Assistenz, damit Menschen mit Behinderung vollumfänglich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Die Ausübung einer beruflichen oder politischen Tätigkeit ist für viele Menschen mit Behinderung erschwert. Mit der InklusionsInitiative sollen Menschen mit Behinderung die personellen und technischen Ressourcen erhalten, um sich mittels Assistenz vollumfänglich und selbstbestimmt in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur einbringen zu können.

Am 27. April 2023 startete die Unterschriftensammlung mit einem grossen Aktionstag in Bundesbern. Insgesamt 18 Monate hat das Komitee nun Zeit, um die benötigten 100 000 gültigen Unterschriften zu sammeln, damit sich die Schweizer Stimmbevölkerung über die Initiative in einer Volksabstimmung äussern kann.

Die Inklusions­Initiative wird getragen von den Verbänden AGILE.CH und Inclusion Handicap, dem Verein Tatkraft, Amnesty International und der Stiftung für direkte Demokratie.

Jede Unterschrift zählt!

Unterschreiben Sie noch heute. Einen vorfrankierten Unterschriftsbogen zum Ausdrucken finden Sie auf unserer Website. Aktivieren Sie Ihr Umfeld. Gemeinsam schaffen wir eine inklusivere Schweiz.

WIR BEWEGEN 8 Paracontact I Sommer 2023 INKLUSIONS-INITIATIVE
Download Unterschriftenbogen auf spv.ch

Das betrifft uns alle

Für SPV­Präsidentin Olga Manfredi schliesst die Inklusions­Initiative ein seit Langem klaffendes Loch. Es geht um Selbstbestimmung.

Weshalb braucht es die InklusionsInitiative?

Das aktuell bestehende Angebot gewährleistet nicht, dass wir Menschen mit Behinderung gemäss UNO­BRK ein selbstbestimmtes Leben führen können. Das hat die Überprüfung durch den UNO­Ausschuss letztes Jahr deutlich gezeigt. Je älter die Menschen werden, umso gravierender wird diese Lücke. Selbst Personen, die eine Vollrente erhalten, bringen es trotz Assistenzbeitrag meist nicht zustande, ihre Betreuung zu Hause zu organisieren, ohne dass das soziale Umfeld pflegerische Aufgaben übernimmt. Doch was, wenn der Partner oder die Partnerin aus Altersgründen die Betreuung nicht mehr stemmen kann? Zudem zieht sich ein beträchtlicher Teil eine Rückenmarksverletzung erst im Pensionsalter zu. Ohne Unterstützung aus dem sozialen Umfeld ist die Chance gross,

dass die Personen im Pflegeheim landen. Das will die Initiative anpacken: Mehr Assistenz, mehr selbstbestimmtes Wohnen.

Wie kam die Initiative zustande? Ursprünglich initiiert hat die Initiative eine Person, die selbst einen hohen Pflegebedarf hat. An einer ausserordentlichen DV vom 20. Januar 2023 haben die beiden Verbände AGILE.CH und Inclusion Handicap beschlossen, die Initiative mitzutragen, um sie auf ein solides Fundament zu stellen. Dieses Fundament gewährleistet, dass die Initiative verfassungswürdig und rechtlich korrekt formuliert ist. Sie muss einen Inhalt haben, der nicht nur ausreichend Unterschriften generiert, sondern auch Chancen hat, in der parlamentarischen Debatte und in der Volksabstimmung zu überzeugen. Damit eine Initiative erfolgreich ist, braucht es meist eine sehr breite Koalition.

Welche Chancen rechnest du ihr aus?

Hier eine Prognose abzugeben, ist nicht ganz so einfach. Ich denke, dass wir die benötigte Anzahl Unterschriften erreichen werden. Das Thema betrifft alle. Jede und jeder will doch bis ins hohe Alter selbst über das eigene Leben bestimmen. Was danach in der parlamentarischen Debatte geschieht, hängt stark von der Zusammensetzung des Parlaments ab. Wie auch bei einer allfällig folgenden Volksabstimmung wird sich die Debatte um das ewig gleiche Argument drehen: Kosten.

Welche Rolle übernimmt die SPV innerhalb der Initiative?

Als Mitglied von Inclusion Handicap tragen wir die Initiative mit. Wir werden Unterschriftenbögen verteilen, die mit unserem Logo versehen sind. Wir werden unser Anliegen breit über unsere Kanäle kommunizieren und versuchen, die Schweizer Paraplegiker­Stiftung mit ihrer immensen Reichweite ins Boot zu holen. Zugleich unterstützen wir die Rollstuhlclubs, wie sie Unterschriften sammeln können. Wenn Clubs eine eigene Aktion auf die Beine stellen, ist das natürlich grossartig. Wenn aber schon jedes Clubmitglied unterschreibt und in seinem persönlichen Umfeld für die Initiative wirbt, haben wir schon viel erreicht. Hierfür möchten wir motivieren und die Gespräche, die ich in den letzten Wochen und Monaten darüber geführt habe, haben gezeigt, dass die Bereitschaft da ist.

Paracontact I Sommer 2023 9 WIR BEWEGEN INKLUSIONS-INITIATIVE
Website der Initiative www.inklusions-initiative.ch
Mitlancierung der Initiative Inclusion Handicap und AGILE.CH

Angeregte Diskussionen

Die Delegierten genehmigten den Jahresbericht und die Jahresrechnung und wählten Alessandro Viri sowie Daniel Stirnimann in den Zentralvorstand.

Von Evelyn Schmid

49 Delegierte und zahlreiche Gäste, darunter alle Ehrenmitglieder der Schweizer Paraplegiker­Vereinigung, fanden am 6. Mai 2023 ihren Weg an die diesjährige Delegiertenversammlung nach Nottwil. Die Teilnehmenden blickten auf das vergangene Jahr zurück. Daraus ergaben sich angeregte und konstruktive Diskussionen.

Herausforderndes 2022

Die Schweizer Paraplegiker­Vereinigung berät ihre Mitglieder in Rechts­ und Baufragen sowie in sozialen Themen. 2022 leistete die SPV in diesen Bereichen 22 110 Beratungsstunden (Vorjahr 21 300). Im Bereich Leistungssport durften Athletinnen und Athleten total 13 Medaillen an Titelwettkämpfen feiern. Insgesamt hat die SPV 394 Veranstaltungen (mit­)organisiert, darunter viele Breitensport­ und Freizeitanlässe sowie 15 Ferienreisen für Menschen mit einer Querschnittlähmung.

Eine Herausforderung stellten 2022 die grossen bereichsübergreifenden und zeitintensiven Projekte dar. Das Digitalisierungsprojekt «OM», das über mehrere Jahre dauerte, konnte per Ende Jahr abgeschlossen werden. Zudem erfolgte die Lan­

cierung der neuen Website termingerecht am 27. Oktober 2022. Der an der DV verabschiedete Jahresbericht gibt einen umfassenden Überblick über die erbrachten Leistungen.

Jahresrechnung

Die 49 anwesenden Delegierten genehmigten einstimmig die Jahresrechnung 2022 und erteilten dem Zentralvorstand und der Geschäftsleitung Décharge. Die negative Entwicklung auf den Finanzmärkten im vergangenen Jahr hat tiefe Spuren in der Jahresrechnung der SPV hinterlassen. Im Jahresabschluss 2022 weist die SPV einen Aufwandüberschuss von CHF 3,6 Mio. aus,

wobei davon CHF 2,8 Mio. der negativen Performance auf den Finanzanlagen geschuldet ist. Hierbei handelt es sich mehrheitlich um Buchverluste. Der Aufwandüberschuss aus der operativen Tätigkeit von CHF 0,8 Mio. liegt unter dem Vorjahresergebnis wie auch dem Budget.

Als Revisionsstelle wurde die Firma PricewaterhouseCoopers AG wiedergewählt, die auch die Konzernprüfung der Schweizer Paraplegiker­Stiftung wahrnimmt.

Wahl Zentralvorstand

Der amtierende Vorstand stellte sich mit Ausnahme des zurücktretenden Walter Lisetto für die Periode 2023 bis 2025 zur Wiederwahl zur Verfügung. Olga Manfredi, Annick Meystre, Stephan Bachmann, Fabien Bertschy und Cornel Villiger wurden von den Delegierten einstimmig wiedergewählt. Als Ersatz für Walter Lisetto und die bereits während der letzten Amtsperiode zurückgetretene Claudia Hüttenmoser wählten die Delegierten Alessandro Viri und Daniel Stirnimann in den Zentralvorstand. Als Präsidentin wurde ohne Gegenstimmen und mit grossem Applaus Olga Manfredi bestätigt.

Lesen Sie im Jahresbericht, was die SPV 2022 geleistet hat.

Zentralvorstand

v. l. n. r: Daniel Stirnimann, Stephan Bachmann, Olga Manfredi, Annick Meystre, Fabien Bertschy, Alessandro Viri (es fehlt Cornel Villiger)

WIR BEWEGEN 10 Paracontact I Sommer 2023
DELEGIERTENVERSAMMLUNG

Hindernisfrei als Standard

Die Schweizer Paraplegiker­Vereinigung baut eine Interessenvertretung hindernisfreies Bauen auf. Adrian Haueter­Zumbühl treibt das Projekt als Koordinator voran.

Was will die Interessenvertretung hindernisfreies Bauen?

Unser Hauptziel ist es, zu sensibilisieren, und zwar primär im Sinne unserer Mitglieder, sprich Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Wir weibeln für hindernisfreies Bauen bei all jenen, die im Bausektor tätig sind: bei Behörden, Verwaltungen, in der Politik, bei Architektinnen und Architekten, in Unis und Fachhochschulen. Im Prinzip ist es klassisches Lobbying. Das kann ich als Koordinator nicht allein, sondern wir möchten ein breites Netzwerk aufauen. Die Interessenvertretung fungiert als Schnittstelle, die den Austausch fördert. Wir machen keine Bauberatungen und sind auch keine Konkurrenz zu kantonalen Fachstellen, sondern wir wollen mitreden, dabei sein, wenn grosse öffentliche Projekte entstehen, und zwar frühzeitig und nicht erst, wenn es darum geht, Einsprachen zu machen.

Wie entstand die Idee für dieses Projekt? Wir haben mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren gesprochen. Aus den Rollstuhlclubs kam mehrfach der Wunsch, dass hindernisfreies Bauen verstärkt in den Fokus rücken muss. Nach dieser Bedürfnisabklärung war für uns klar, dass wir uns dem annehmen und die politische Arbeit intensivieren möchten. Bis jetzt gibt es lediglich die Fachkommission Rollstuhlfahrende im öffentlichen Verkehr (RöV), die sich, wie der Name schon sagt, auf die Zugänglichkeit des öffentlichen Verkehrs spezialisiert. Eine auf jegliche Form von Infra­

struktur ausgerichtete Interessenvertretung fehlt jedoch. Dieses Defizit wollen wir aufheben.

Du hast im März deine Arbeit als Koordinator aufgenommen.

Wie gehst du nun vor?

Wir haben für den Start des Projekts drei Pilotkantone definiert: Schwyz, Neuenburg und Zürich. Ein Kanton in der Zentralschweiz, ein Kanton in der Romandie und ein Kanton mit hoher Bevölkerungsdichte. Hier werde ich mit den Akteurinnen und Akteuren des Bauwesens Kontakt aufnehmen, damit wir mit unseren Anliegen einen Fuss in der Tür haben und ich ein Netzwerk aufauen kann. Wir geben uns anderthalb Jahre, um zu sehen, wie es läuft, bevor wir weitere Regionen dazunehmen. Wirklich Konkretes kann ich gar nicht sagen. Die Route, wohin die Reise führt, ist nicht fix abgesteckt, sondern wir starten auf der grünen Wiese. Es ist schön, hier mitgestalten zu dürfen.

Wie willst du ein gesamtschweizerisches Netzwerk stemmen?

Das ist gar nicht die Idee. Wir möchten in allen Regionen der Schweiz Interessenvertreterinnen und ­vertreter gewinnen, die mit ihrem Netzwerk wiederum kurze Wege zu den Behörden und zu den Verantwortlichen haben. Es macht keinen Sinn, das alles zentral über mich laufen zu lassen. Die Interessenvertretung muss regional aufgestellt sein. Optimalerweise arbeiten wir mit Betroffenen zusammen. Für diesen Schritt ist es aber noch zu früh. Wir

stehen noch ganz am Anfang und sobald die Zeit reif ist, werden wir einen Aufruf machen.

Welche Visionen verfolgt die Interessenvertretung?

Der Idealfall wäre natürlich, wenn es uns eines Tages gar nicht mehr braucht und eine hindernisfreie Bauweise zur Selbstverständlichkeit geworden ist; gleich wie beim Brandschutz. Den stellt auch niemand in Frage. Aktuell macht der Bund Mindestvorgaben und jeder Kanton hat andere Vorschriften. Da ist es schwierig den Überblick zu behalten. Hindernisfreies Bauen wird heute noch zu oft vernachlässigt und die Bedürfnisse von Menschen mit eingeschränkter Mobilität werden, wenn überhaupt, zu spät im Bauprozess berücksichtig. Wenn dann Anpassungen vorgenommen werden müssen, heisst es oft, hindernisfrei zu bauen sei teuer. Das ist es aber nur, weil die Kriterien dafür nicht von Anfang an mitgedacht wurden. Wir haben also noch einiges zu tun, bis wir die Interessenvertretung wieder auflösen können.

WIR BEWEGEN NACHGEFRAGT
Paracontact I Sommer 2023 11
Hindernisfrei im öffentlichen Raum

Im Spiegel der Gesellschaft

Die eigene Behinderung zu akzeptieren und sich selbst zu mögen, ist für Betroffene oft eine Herausforderung. Zwei Mitglieder der SPV teilen ihre Gedanken mit uns.

Von Jacqueline Calame und Peter Birrer

Täglich werden wir mit Bildern überflutet, die Perfektion und ein bestimmtes Ideal suggerieren. Doch was geschieht, wenn ich mich in diesen perfekten Bildern nicht wiedererkenne? Wie erleben Menschen mit einer Querschnittlähmung eine Gesellschaft, in der Erfolg, Schönheit, Reichtum und Geld im Vordergrund zu stehen scheinen?

Zwei Erwachsene aus der Westschweiz, die von Geburt an mit einer Behinderung leben, haben sich bereit erklärt, über das Thema Selbstwert nachzudenken und ihre Empfindungen mit uns zu teilen. Wir be­

danken uns ganz herzlich bei den beiden SPV­Mitgliedern für ihre Offenheit und die Zeit, die sie sich für ihre Texte genommen haben.

Den Augenblick geniessen

Caroline Bossy, 30 Jahre

Ich spürte früh die elterliche Aufforderung, erfolgreich sein zu müssen, immer besser zu werden und so zu sein wie die anderen –ansonsten würde ich nicht geliebt werden. Mein Handicap und die damit verbundenen Grenzen wurden gar nicht erst berück­

sichtigt. Ich verrenke mich jeden Tag, um mich der Gesellschaft anzupassen, damit alles rund läuft, und muss dabei ziemlich Federn lassen.

Viele sagen: «Wenn du etwas willst, dann kannst du es erreichen.» Aber das ist nicht so: Ich kann nicht gehen! Ich schaffe es nicht! Was nun? Jedes Mal, wenn wir etwas nicht bekommen oder erreichen können, verweigern und beschweren wir uns. Macht uns das glücklich? Wir können nicht einen Marathon laufen wie andere, es ist schlicht undenkbar. Die mentale und körperliche Energie, die wir aufwenden müssen, um unser Anderssein auszugleichen oder zumindest zu verringern, geht verloren. Also ziehe ich es vor, mich damit abzufinden und mein Bestes zu geben.

Handeln statt reagieren

Loslassen. Die Situation annehmen. Akzeptieren, dass man nicht alles kontrollieren kann, was man kontrollieren möchte. Das heisst aber nicht, dass man aufgibt. Im Gegenteil! Man muss Resilienz entwickeln. Was kann ich ändern? Was nicht?

Ich habe eine Beeinträchtigung. Das bedeutet zwangsläufig, dass ich auch eine Menge Schwierigkeiten habe. Wenn man einen einzigartigen und wertvollen Gegenstand verliert, ist er weg, das ist Fakt. Und wenn wir erkranken oder einen Unfall erleiden, müssen wir irgendwie damit leben. Das ist zwar schwierig, gehört aber zum Leben.

Die Wahrnehmung ändern

Wir werden mit Bildern überhäuft, die Schönheit und Perfektion anpreisen. Aber das alles ist nur Schein und lenkt von unse­

12 Paracontact I Sommer 2023 LEBENSBERATUNG SELBSTWERTGEFÜHL
Caroline Bossy Zufriedenheit finden, in dem was ist

ren eigentlichen Werten ab. Was ist Schönheit? Was ist Erfolg? Es sind Begriffe, die sich mit Oberflächlichkeiten befassen. Es sind Worte, die in keiner Weise unsere wahren Werte beschreiben und doch wichtig sind für viele Leute. Bin ich ein guter Mensch, wenn ich nicht 4000 Franken pro Monat verdiene? Kann ich Wertschätzung erhalten, wenn ich nicht oder nicht mehr so aussehe wie Menschen, die in den Medien als Idealbild gelten?

Ich glaube, dass meine Welt perfekt und schön ist, wie sie ist. Ich ziehe es vor, in meiner eigenen Realität zu leben, statt blindlings irgendwelchen Diktaten zu folgen. Es ist zwar schwierig, sich gut zu fühlen, wenn die von anderen diktierten Glücksvorstellungen nicht erreicht werden. Aber diese Faktoren sind falsches Glück. Wahres Glück entsteht durch den Augenblick und nicht durch Errungenschaften. Jede und jeder besitzt die Fähigkeit, im Hier und Jetzt das Glück zu sehen, das da ist. Das Glück, da zu sein. Es geht darum, innezuhalten, das Glück zu erkennen und es zu geniessen.

Wir sind alle gleich Wenn man mit einer körperlichen Behinderung lebt, kann man zum eigenen Wohl einzig den Zustand des Bewusstseins ändern. Wir sind aufgefordert, das Gewöhnliche, das «Normale», die Perfektion und den Erfolg loszulassen. Es geht nicht darum, mit anderen zu konkurrieren, sondern vielmehr zu beobachten, dass wir gar nicht so anders sind als die anderen. Dass jeder Mensch einzigartig ist. Und anders.

Ich glaube, dass wir die Gesellschaft kontinuierlich menschlicher machen können, indem wir bei uns anfangen und die eigene Wahrnehmung ändern. Ich entscheide mich also dafür, meine Grenzen zu akzeptieren und in mir das zu finden, was Spass macht, die kleinen Details des Lebens zu sehen und herauszufinden, wie ich mich in meinem Körper wohlfühlen kann.

Arbeitslos wider Willen

Christophe (Name geändert), 31 Jahre

Es ist nicht einfach, in einer Gesellschaft zu leben, in der man das Gefühl hat, man müsse gut aussehen, gut gekleidet sein, den

anderen gleichen, ein schönes Auto und Geld besitzen. Man glaubt, kein Recht zu haben, anders zu leben. Darum passt man sich aus Angst vor Ablehnung an, so gut es geht, mit dem Risiko, dass man nicht mehr sich selbst ist.

Ich muss mit einer IV­Rente auskommen. Mir stehen nur wenige finanzielle Mittel zur Verfügung, um den gleichen Lebensstil wie andere zu pflegen und sich Extras wie Ferien leisten zu können. Trotzdem bin ich nicht arm dran: Ich vermittle das Bild eines gepflegten und gut gekleideten Mannes. Ich habe das Glück, allein in einer hübschen Wohnung zu leben und ein Auto zu fahren, das mir gefällt.

Fehlende Tagesstruktur

Ich bin eingebettet in eine intakte Familie und pflege viele soziale Kontakte. Allerdings bin ich arbeitslos, und das belastet mich. Es ist schwierig, mit meiner Beeinträchtigung einen Job zu finden. Wie soll ich einem Arbeitgeber klarmachen, dass mein Kopf zwar bereit wäre, an fünf Tagen pro Woche pünktlich anzufangen und das volle Pensum zu leisten, aber mein Körper das schlicht nicht schafft? Wie soll ich eine Stelle behalten können bei all den notwendigen Arztterminen, der Müdigkeit und den Schmerzen? Könnte man nicht Jobs schaf­

fen, die man «auf Abruf» machen kann –bei denen die Rollen getauscht werden und die Unternehmen sich uns anpassen?

Das Bild eines jungen Mannes, der alles hat, aber nicht für sich selbst sorgen kann, ist schwer zu ertragen. Es ist schwierig, keinen Arbeitsrhythmus, keine strukturierten Tage zu haben und am Abend die Zufriedenheit nach einem erfüllten Tag zu spüren. An Gesprächen, die sich um Arbeit drehen, kann ich leider nicht teilnehmen. Das steigert mein Selbstvertrauen gewiss nicht. Mein Leben ist anders als das meines Umfelds. «Anderssein ist eine Stärke!», habe ich mir tätowieren lassen. Ich wünsche mir, dass diese Stärke vermehrt auch von der Gesellschaft und der Berufswelt geschätzt wird.

BERATUNG

Das Team der Lebensberatung steht auch für Themen dieser Art zur Verfügung. Wir sind für Sie da und hören Ihnen zu.

Kontaktieren Sie uns unter Tel. 041 939 68 68 oder lb@spv.ch

Paracontact I Sommer 2023 13
Symbolbild Am Rand Das Gefühl, nicht dazuzugehören

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14 Paracontact I Sommer 2023

Mobil sein mit Elektroantrieb

Mit Strom betriebene Rollstühle oder Zuggeräte sind beliebt. Doch was ist mit diesen Hilfsmitteln erlaubt und was gilt es zu beachten?

Elektrische Rollstühle sowie elektrische Antriebsgeräte wie Swiss­Trac sind ein ideales Hilfsmittel für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, da sie die Bewegungsfreiheit für lange Strecken erhöhen und damit mehr Unabhängigkeit ermöglichen. Diese elektrischen Hilfsantriebe sind immer mehr verbreitet und erleichtern den Alltag insbesondere für Personen, welche Schwierigkeiten haben, einen Rollstuhl manuell anzuschieben.

Inverkehrsetzung

In der Schweiz benötigen Elektrorollstühle und Antriebe wie der Swiss­Trac keine Typengenehmigung oder Zulassung beim kantonalen Strassenverkehrsamt. Sie erreichen die Höchstgeschwindigkeit nicht, welche in der Strassenverkehrsordnung für Motorfahrräder festgehalten ist. Motorisierte Gefährte, die 30 Stundenkilometer oder mehr erreichen, benötigen hingegen eine Zulassung des Fahrzeugs und ein Nummernschild.

Führerschein

Elektrorollstühle, Swiss­Trac und die verschiedenen anderen Zuggeräte mit einer Höchstgeschwindigkeit von max. 20 km/h dürfen ohne Führerschein gefahren werden. Elektrorollstuhlmodelle, die schneller fahren als 20 km/h gelten als Motorfahrräder und benötigen daher einen Führerschein der Klasse M. Das Mindestalter für diesen Führerschein ist 14 Jahre.

Versicherung

Die Haftpflichtversicherung ist eine der wichtigsten Formen des Versicherungsschutzes, um bei Sach­ und Personenschäden abgesichert zu sein. Es empfiehlt sich,

die eigene Versicherungsagentur anzufragen, damit sie eine Police erstellt, welche den eigenen Bedürfnissen und Anforderungen entspricht. Auch der Abschluss einer Versicherung gegen Diebstahl ist möglich.

Verkehrsregeln

Im Strassenverkehr gelten für elektrische Fahrzeuge, die nicht schneller als 20 km/h fahren, die gleichen Regeln wie für Fahrräder. Das heisst, sie müssen auf der rechten Strassenseite fahren und den Radweg benutzen, sofern ein solcher vorhanden ist. Falls die Fahrzeuge nicht breiter als einen Meter sind, dürfen sie auch auf dem Bürgersteig fahren. Es gelten die gleichen Regeln wie für Fussgänger. Sind Sie nachts oder bei schlechtem Wetter auf der Stras­

se oder auf einem Radweg unterwegs, muss der Rollstuhl mit deutlich sichtbaren Lampen ausgestattet sein, die vorne weiss und hinten rot leuchten.

Für Rollstühle, die schneller als 20 km/h fahren, gelten die gleichen Regeln wie für Mopeds. Das heisst, sie dürfen nur auf der Strasse benutzt werden. Das Fahren auf Bürgersteigen und Radwegen ist nicht zulässig. Helmpflicht besteht keine.

Führerausweise und Zulassungen Informationen erhalten Sie bei Ihrem kantonalen Strassenverkehrsamt.

Paracontact I Sommer 2023 15 LEBENSBERATUNG
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HAFTPFLICHT

Baden in trübem Wasser

Ein Sprung ins Wasser, gefolgt von der Diagnose: Tetraplegie. Unter welchen Umständen kann eine Drittperson für solche Verletzungen haftbar gemacht werden?

Ein Überblick über die Haftung im Lichte der jüngsten Rechtsprechung.

Agnès von Beust, MLaw, Rechtsanwältin

Die warme Jahreszeit kommt näher und damit auch die Lust, sich in einem Gewässer abzukühlen. Das ist jedoch nicht ungefährlich, wie die Statistiken zeigen: Badeunfälle gehören in der Schweiz zu den drei häufigsten Gründen für Rückenmarksverletzungen. Dieser Artikel befasst sich mit der Frage, inwiefern die Betreiberinnen und Betreiber von privaten (zum Beispiel eines Hotels) oder öffentlichen Badeanlagen für Unfälle haften.

Herr X. beobachtet, wie in einem von der Gemeinde betriebenen Strandbad mehrere Badegäste vom Badesteg aus in den See springen. Er beschliesst, es ihnen gleichzutun und springt kopfvoran in den See. Sein Kopf schlägt am Seegrund auf, was eine Tetraplegie zur Folge hat. Die Untersuchung zeigt, dass die Seetiefe für einen solchen Sprung zu gering war. Welche rechtlichen Schritte stehen Herrn X. in diesem Fall offen?

MASSGEBENDE ELEMENTE

Unfallort: Ereignete sich der Unfall in einer kostenpflichtigen und/oder beaufsichtigten Anlage? Waren Verbotsschilder, eine Markierung auf dem Boden oder andere Warnhinweise vorhanden, welche (Kopf-)Sprünge ins Wasser verboten haben? Wie war die Badeanlage konzipiert? Wie tief war das Wasser? Welches Zielpublikum wurde für die Anlage angesprochen? Wie wurde die Anlage genutzt? Wie war das Verhalten der anderen Benutzerinnen und Benutzer vor Ort? Welche Weisungen erteilte die Aufsichtsperson?

Persönliche Umstände: Alter der geschädigten Person? In welchem Zustand befand sich die Person vor dem Unfall (gute Gesundheit, Alkohol usw.)? Besuchte sie den Ort regelmässig?

Datum und Zeit des Unfalls: Wie gut war die Sicht beim Sprung ins Wasser?

Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit

16 Paracontact I Sommer 2023 RECHTSBERATUNG

Unfallumstände

Jeder Badeunfall ist einmalig. Der erste Reflex einer Juristin ist daher, die genauen Umstände des Unfalls abzuklären. So kann eruiert werden, welche Möglichkeiten der geschädigten Person offenstehen, ihren Schaden gegenüber einer Drittperson geltend zu machen.

Ziel der Haftung ist es, die geschädigte Person in die Lage zu versetzen, in der sie sich befunden hätte, wenn sie keine Verletzung ihrer körperlichen Integrität erlitten hätte. Wird dann die Haftpflicht anerkannt, ist eine Entschädigung zu bezahlen, um den daraus entstandenen Schaden «auszugleichen».

Was sagt das Recht?

Will eine geschädigte Person gegen die Person, die sie für haftbar hält, rechtlich vorgehen, so muss sie beweisen, dass gewisse Voraussetzungen gegeben sind. Grundsätzlich handelt es sich dabei um:

– einen Schaden (im vorliegenden Fall die Folgen einer Rückenmarksverletzung)

– eine unerlaubte Handlung

– den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen diesen beiden Elementen

– das Verschulden (je nach Haftung)

Im schweizerischen Recht gibt es mehrere Haftungsgrundlagen. Bei Badeunfällen ist vor allem die Haftpflicht des Werkeigentümers (Art. 58 des Obligationenrechts (OR)) von der vertraglichen Haftung (Art. 97 OR) zu unterscheiden. Denkbar ist auch eine Deliktshaftung (Art. 41 OR).

Beispiel von Herrn X.

Kehren wir zum Beispiel von Herrn X. zurück. Das Bundesgericht durfte sich vor Kurzem mit einem solchen Fall befassen. Dabei kam es zum Schluss, dass die Gemeinde als Betreiberin des Strandbades für die Unfallfolgen haftet (Urteil BGer 4A_450/2021). Im Wesentlichen stellte das Bundesgericht nämlich fest, dass es im Strandbad üblich war, vom Badesteg aus in den See zu springen und der Bademeister das tolerierte. Es stellte auch fest, dass keine Verbotsschilder vorhanden waren, die (Kopf­)Sprünge ins Wasser verboten oder auf die geringe Wassertiefe hinge­

wiesen hätten, wodurch die Badegäste die Gefahr hätten erkennen können. Aus diesen Gründen wurde ein Werkmangel am Badesteg bejaht.

Das Bundesgericht sah bei Herrn X. jedoch auch ein erhebliches Selbstverschulden. Eine erwachsene Person hätte sich unter diesen Umständen vergewissern müssen, ob die Wassertiefe für einen Kopfsprung ausreicht. Aus diesem Grund setzte das Bundesgericht die Haftung der Gemeinde um 40% herab.

Sicherheit von Anlagen

Der Fall von Herrn X. zeigt, dass für die Beurteilung der Haftung von grundlegender Bedeutung ist, welche Gefahr von einer Badeanlage ausgeht. War die Anlage für ihren Verwendungszweck genügend sicher konzipiert?

Die Sicherheit von Badeanlagen wird unter anderem in den Empfehlungen der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) thematisiert. Sie konkretisieren objektiv den Begriff der Sicherheit von öffentlichen Badeanlagen, indem mehrere Massnahmen vorgeschlagen werden. Dazu gehören Regeln über die minimale Wassertiefe, das Anbringen von Hinweistafeln oder eine Markierung, die (Kopf­)Sprünge ins Wasser verbietet. Weitere nützliche Normen sind im Reglement von Swiss Aquatics zu finden.

Alle diese Empfehlungen konkretisieren die Pflichten der Betreiberinnen und Betreiber von Badeanlagen, die es hinsichtlich der Sicherheit von Badegästen zu beachten gilt. Wie im Fall, den das Bundesgericht zu beurteilen hatte, kann eine genügende Aufsicht entscheidend sein. Aufgrund der Tatsache, dass der Bademeister Kopfsprünge in den See tolerierte, befand das Gericht, dass die Gemeinde entsprechende Sicherheitsmassnahmen hätte treffen müssen.

Vorsichtiges Baden Nichtsdestotrotz bleibt Vorsicht die Mutter aller Tugenden. Die Rechtsprechung hat zwar die Haftung einer Drittperson anerkannt, beim Geschädigten aber auch ein schweres Verschulden gesehen. Er hätte

Dieser Artikel gibt somit Gelegenheit, um auf die von der Schweizer Paraplegiker-Stiftung empfohlenen Vorsichtsregeln hinzuweisen:

– Nie in unbekanntes und unklares Wasser springen.

– Keine Kopfsprünge in flaches Wasser machen.

– Keine Mutproben riskieren.

– Beim und vor dem Baden keinen Alkohol und keine Drogen zu sich nehmen.

– Warnhinweise und Verbotstafeln beachten.

ohne vorherige Prüfung der Wassertiefe nicht in einen Natursee springen dürfen, dessen Pegel Schwankungen unterliegt.

Zusammenfassung

Wie die Rechtsprechung zeigt, sind die Umstände eines Badeunfalls genau abzuklären, da eine Drittperson für die Unfallfolgen haftbar gemacht werden könnte. Die Art und Weise, wie die entsprechende Anlage genutzt wird, ist zu prüfen und unter Berücksichtigung der einschlägigen Standards mit den getroffenen Sicherheitsmassnahmen zu vergleichen. Die persönlichen Umstände spielen ebenfalls eine Rolle. Eine solche Abklärung gehört zum Pflichtenheft des Rechtsdienstes der SPV.

Ein Kopfsprung hat allzu oft sehr einschneidende Folgen für die Gesundheit, da die Halswirbel bei einem Sprung in flaches Wasser als erste betroffen sind. Der Schaden ist daher sehr gross. Wenn eine Drittperson haftet, kann der Schaden so wenigstens finanziell «ausgeglichen» werden. Um die vielen Bademöglichkeiten im Sommer geniessen zu können, ist jedoch immer Vorsicht geboten.

Mehr Informationen

dazu finden Sie unter www.paraplegie.ch

Paracontact I Sommer 2023 17
RISIKEN VERMEIDEN

Brüchige Knochen

Personen mit Querschnittlähmung neigen zu Osteoporose. Wieso das so ist und was man tun kann, weiss die Forschung bisher nur unzureichend.

Als Osteoporose wird eine verminderte Knochenmasse und eine mikroarchitektonische Verschlechterung des Knochengewebes bezeichnet. Das Risiko eines Knochenbruchs erhöht sich dadurch. Durch die reduzierte Sensititvität in gewissen Körperregionen besteht für Menschen mit Querschnittlähmung zusätzlich die Gefahr, Brüche nicht zu bemerken. Gemessen wird die Knochendichte mit Hilfe der DXAMethode. Eine Osteoporose liegt dann vor, wenn die Knochenmineraldichte an der Lendenwirbelsäule und /oder am Hüftknochen um mehr als –2,5 Standardabweichungen vom Mittelwert einer 20­ bis 29­jährigen gesunden, geschlechtsgleichen Person abweicht. Diese Abweichungen vom Referenzmittelwert werden als T­Scores ausgegeben. Somit besteht eine Osteoporose ab einem T­Score von ≤ –2,5.

Ursachen

Die exakte Pathophysiologie einer Osteoporose bei Querschnittlähmung ist bislang nicht umfassend geklärt. Diskutiert werden verschiedene Faktoren, die das Krankheitsbild begünstigen. Die fehlende mechanische Belastung, die sich durch die Querschnittlähmung ergibt, gilt als einer der Hauptfaktoren für das Auftreten einer Osteoporose. Darüber hinaus scheinen aber auch nichtmechanische Faktoren die Entwicklung einer Osteoporose bei Querschnittlähmung zu begünstigen. Die Schädigung des neurovegetativen Systems und die Veränderung der Blutzirkulation beeinflussen die Knochenzellen. Zusätzlich wirken die Veränderungen im Stoffwechsel, dem Nervensystem und im Hormonhaushalt auf den Knochenstoffwechsel und schliesslich die Knochenfestigkeit ein.

DIAGNOSE

Gemäss den Empfehlungen der WHO wird die mittels DXA erfasste Knochenmineraldichte in vier diagnostische Kategorien eingeteilt:

– Normal T-Score > –1

– Osteopenie (verminderte Knochendichte) T-Score

≤ –1 aber > –2,5

– Osteoporose T-Score ≤ –2,5

– manifeste Osteoporose

T-Score ≤ –2,5 mit inadäquater Fraktur

Behandlung

Gemäss den Leitlinien Osteoporose des Dachverbands Osteologie sollte eine prophylaktische Osteoporose­Basistherapie bei Risikopersonen durchgeführt werden. Zu diesen gehören wie eingangs erwähnt auch Menschen, die aufgrund einer Querschnittlähmung auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Zur Basistherapie gehört die Einnah­

MEDIZIN UND WISSENSCHAFT
GESUNDHEIT
18 Paracontact I Sommer 2023
Von Kamran Koligi, Leitender Arzt Paraplegiologie SPZ, und Nadja Venetz

me von Calcium sowie von Vitamin D3. Empfohlen wird eine Calciumgesamtzufuhr von 1000 mg bis maximal 2000 mg täglich. Wer gesund und ausgewogen isst, deckt diesen Bedarf in der Regel über die Ernährung.

Bei einem hohen Sturz­ und/oder Frakturrisiko und einer geringen Sonnenlichtexposition empfiehlt sich zudem die Einnahme von Vitamin D3. Die Dosis sollte 800 bis 1000 IE pro Tag betragen. Eine messwertgesteuerte Vitamin­D3­Substitution wird nicht empfohlen. Im Rahmen der Basistherapie sollte zudem eine bestehende Dauertherapie mit Glukokortikoiden wenn möglich reduziert oder bestenfalls beendet werden.

Zur spezifischen Osteoporosetherapie stehen Bisphosphonate, sowie wenige andere Präparate, wie Östrogene, Teriparatid (PTH 1–34), Raloxifen und Denosumab zur Verfügung. Die Indikation folgt laut Osteoporose­Leitlinien einem komplexen Algorithmus unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, T­Score und genauer beschriebenen Risikofaktoren.

Stand der Wissenschaft

Die Forschungslage auf dem Gebiet Osteoporose in Zusammenhang mit Querschnittlähmung ist dünn. Endpunktstudien be­

züglich der therapeutischen Beeinflussung der Frakturhäufigkeit liegen nicht vor und die wissenschaftliche Evidenz ist unzureichend. Eine spezifische Osteoporosetherapie erfolgt gegebenenfalls «off­label», wenn Arzneimittel ausserhalb ihres zugelassenen Gebrauchs verwendet werden. Dennoch existiert eine Vielzahl von physiotherapeutischen und pharmakologischen Behandlungsansätzen, jedoch mit unterschiedlich guten Wirksamkeitsnachweisen.

Im Bereich der Prävention einer Osteoporose innerhalb von zwölf Monaten nach Diagnose einer Querschnittlähmung zeigten sowohl oral verabreichte Bisphosphonate (Tiludronat, Etidronat und Alendronat) als auch intravenös applizierte Bisphosphonate (Zoledronat, Pamidronat) eine Reduktion des subläsionalen Knochenabbaus gegenüber Placebo. Es gibt Hinweise dafür, dass eine einmalige intravenöse Gabe von Zoledronat den Oberschenkelknochen innerhalb von zwölf Monaten nach einer Querschnittlähmung gegenüber Placebo stabilisiert.

Die Studienlage zur Therapie einer Osteoporose bei chronischer Querschnittlähmung (länger als zwölf Monate) beschränkt sich auf Untersuchungen mit Alendronat (10 mg/d + 500 mg Calcium/d) über den Zeitraum von zwei Jahren bei Querschnitt­

gelähmten. Die Kombination von Alendronat und Calcium erwies sich als effektiv in der Stabilisierung der Knochenparameter der Tibia und der Hüfte und resultiert in einer Zunahme der Dichtewerte der Lendenwirbelsäule bei chronischer Querschnittlähmung. Dies im Gegensatz zur Kontrollgruppe, welche unter Substitution mit 500 mg Calcium pro Tag einen signifikanten Abbau der Knochenmineraldichte der Tibia und der Hüfte aufwies.

Mechanische Ansätze

Studien über die Effekte von nichtpharmakologischen Interventionen wie Steh­ oder Gehtraining, Sport, Vibration sowie Funktionelle Elektrostimulation (FES) auf die subläsionalen Knochenparameter von Personen mit Querschnittlähmung zeigen keine eindeutigen Ergebnisse. Mehrheitlich basieren die Resultate auf Studien von geringer Evidenzklasse und kleiner Fallzahl. Zudem weisen die Studien eine Heterogenität bezüglich der Kriterien der involvierten Patientinnen und Patienten, der Trainingshäufigkeit sowie der Trainingsintensität auf, sodass keine allgemeingültigen Schlüsse formuliert werden können. Einzig der Effekt von Funktioneller Elektrostimulation (FES) wurde in mehreren Studien bei Querschnittgelähmten mit intaktem unterem Motoneuron untersucht und in einer Metaanalyse zusammengefasst. FES­induziertes Cycling oder das KnieFlexion­Extensionstraining weisen demnach einen knochenaufauenden Effekt auf die Knochenparameter der gelähmten Extremitäten auf. Ein osteoanaboler Effekt ist nachgewiesen bei FES­Trainingsumfängen von drei bis fünf Einheiten pro Woche für jeweils eine halbe bis eine Stunde während sechs bis zwölf Monaten. Der osteoanabole Effekt bildet sich nach Beenden der FES­Intervention langsam wieder zurück.

Da die Wirksamkeit vieler Therapieansätze nur unzureichend wissenschaftlich nachgewiesen ist, bedarf es eines engen Dialogs zwischen dem betreuenden medizinischen Fachpersonal und den Patientinnen und Patienten. Die Entscheidungen über diagnostische und therapeutische Massnahmen müssen stets im individuellen Kontext getroffen werden.

Paracontact I Sommer 2023 19
Transfer Bei Osteoporose besteht die Gefahr eines Beinbruchs

Komplexität Querschnittlähmung

Am 36. Jahreskongress der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegiologie trafen sich vom 19. bis 22. April 2023 Fachkräfte aus unterschiedlichen Disziplinen in Nottwil.

Ärztinnen, Orthopäden, Neuro­Urologen, Pflegende, Ergo­ und Physiotherapeuten, Mitarbeitende von Sozialdiensten und der Seelsorge, Psychologinnen und Logopäden – die Aufzählung ist lang und längst nicht abschliessend. 703 Teilnehmende aus zehn Nationen fanden ihren Weg nach Nottwil. Der alljährlich stattfindende Jahreskongress der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegiologie (DMGP) ist die wichtigste Fachtagung für all jene, die sich in ihrem Beruf mit der Rehabilitation und der Versorgung von Menschen mit Querschnittlähmung auseinandersetzen. Diese Breite ist Absicht. Paraplegiologie ist ein komplexes Feld und damit die bestmögliche Behandlung und Betreuung gelingen, ist eine interdisziplinäre Herangehensweise unabdingbar.

Netzwerk

Diana Sigrist­Nix, Leiterin Medizinische Dienste, und Dr. med. Michael Baumberger, Chefarzt Paraplegiologie, beide vom Schweizer Paraplegiker­Zentrum, bildeten die wissenschaftliche Leitung des Kongresses. Sie wählten diese Komplexität zum Tagungsthema. Und sie wählten aus den über 100 eingereichten Abstracts zusammen mit dem OK die besten aus und kreierten ein Programm bestehend aus Workshops und Vorträgen. Dabei ging es um neuste wissenschaftliche Ergebnisse, aber auch um Erkenntnisse aus dem praktischen Alltag. «Die Referate zu hören ist das eine, aber die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen mit Leuten, die in derselben oder einer anderen Berufsgruppe tätig sind, ist fast noch wertvoller. Die Tagung bietet auch eine

Plattform, um zu erfahren, wie andere mit derselben Herausforderung umgehen», erklärt Diana Sigrist­Nix. Grosse Herausforderungen seien etwa der akute Fachkräftemangel und der Transfer von Wissen. Und Michael Baumberger fügt an: «Das Ziel ist, das Netzwerk zu erweitern und den eigenen Rucksack mit neuem Wissen zu füllen, was letztlich den Patientinnen und Patienten zugutekommt.»

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Einen intensiven fachlichen Austausch boten die sogenannten Arbeitskreistreffen am ersten und zweiten Kongresstag. Hier fanden Vertreterinnen und Vertreter der einzelnen Fachgebiete zusammen und besprachen Themen aus der eigenen Disziplin. Am Arbeitskreis «Sozialdienst» nahmen auch Daniela Vozza und Kathrin Huber der SPV­Lebensberatung teil. «Der Arbeitskreis ist eine einzigartige Chance, sich mit anderen Sozialarbeitenden auszutauschen, die dieselbe Klientel betreuen wie wir. Wir erhalten fachliche Impulse und lernen neue Ansätze kennen», erläutert Daniela Vozza. So diskutierte der Arbeitskreis die Situation der Angehörigen und lernte eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz über die Wirkung von Sozialer Arbeit im

20 Paracontact I Sommer 2023 MEDIZIN UND WISSENSCHAFT
«Kontakte knüpfen und den Rucksack mit neuem Wissen füllen»
TAGUNG
Von Nadja Venetz Tagungsleitung Diana Sigrist-Nix und Michael Baumberger

Rehaprozess kennen sowie die Angebote von ParaWork. Auch die übrigen Arbeitskreise erhielten Einblick in das umfassende Angebot der Schweizer ParaplegikerGruppe und besichtigten auf einem Rundgang die entsprechenden Stationen und Therapieräumlichkeiten.

Im Anschluss an die Arbeitskreise wurden die Grenzen der einzelnen Disziplinen geöffnet. Nun ging es darum, wie die einzelnen Fachgebiete am besten zusammenarbeiten, zum Wohle der Betroffenen. «Mit dem Campus in Nottwil, auf dem wir von der Erstversorgung bis zur lebenslangen Begleitung alle Phasen abdecken, leben wir diese interdisziplinäre Zusammenarbeit. Das ist längst nicht für alle Teilnehmenden des Kongresses Realität. Wir müssen uns bewusst sein, dass gerade in Deutschland und Österreich die Behandlung von Personen mit Querschnittlähmung viel fragmentierter ist, was es schwierig macht, für die Behandelnden wie für die Behandelten», sagt Diana Sigrist­Nix.

Spannende Einblicke

Während sich Fachpersonen mit einem Abstract um einen Redebeitrag bewerben konnten, wurden für die sogenannten Keynote­Vorträge Expertinnen und Experten eingeladen. Im Eröffnungsvortrag legten Dr. Grégoire Courtine und Dr. med. Jocelyne Bloch dar, wie es ihnen und ihrem Team gelang, von ersten Versuchen an Mäusen die Elektrostimulation des Rückenmarks durch Implantate soweit weiterzuentwickeln, dass Testpersonen mit Querschnittlähmung nach intensivem Training mehrere Schritte gehen konnten. Im Zuge ihrer Arbeit entdeckten die Forschenden, dass sich durch die Elektrostimulation die Rumpfstabilität sowie der Blutdruck der Probanden verbesserten. Daraus hervor ging eine neuartige Therapie der Elektrostimulation, die das Team künftig einer breiten Anzahl an Betroffenen zugänglich machen möchte.

Vom Labor in die Klinik

Der Frage, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in den Behandlungsalltag überführt werden können, ging Dr. Marnie Graco nach. Die Wissenschaftlerin gehört der jungen Disziplin der Implementation Science

an. Der Wissenschaftszweig untersucht, wie es gelingt, Daten und Wissen aus Studien in die Klinik zu bringen und neue Behandlungsroutinen entstehen zu lassen. Die Australierin erforschte dies am Beispiel der Schlafapnoe. Über 80 % der Menschen mit Tetraplegie haben eine milde bis schwere Schlafapnoe. Klinische Studien belegen dies, doch werden längst nicht alle Betroffenen im behandelnden Paraplegiker­Zentrum darauf untersucht. Mit Hilfe von Interviews an verschiedenen Kliniken fand Marnie Graco heraus, dass es in einigen Zentren den Behandelnden an Zeit und/ oder Kompetenz mangelt. An anderen Paraplegiker­Zentren wiederum war die Diagnose und Behandlung von Schlafapnoe Teil der Behandlungsroutine. Wieso gelingt etwas an einem Ort und am anderen nicht? Die Wissenschaftlerin konnte zeigen, dass in Kliniken mit kleinen, motivierten und interdisziplinären Teams die Behandlung erfolgte. Daraus konnte sie ein Modell entwickeln, dass interessierte ParaplegikerZentren auch bei sich anwenden können. Das Wissen um die wissenschaftliche Erkenntnis ist folglich das eine, die Umsetzung in der täglichen Arbeit mit und an den Patientinnen und Patienten das andere.

SPZ­Direktor Luca Jelmoni wünschte den Teilnehmenden zur Tagungseröffnung eine gemeinsame Vision in der Behandlung von Personen mit einer Querschnittlähmung. Im Idealfall liefert ein solcher Kongress neue Impulse und hilft, den Blick zu schärfen für andere Möglichkeiten, wie man eine Fragestellung angehen kann. «Es ist wichtig, die Kontakte auch ausserhalb des Kongresses zu pflegen. Das hilft, die eigene Blase, in der man sich tagtäglich bewegt, zu verlassen und neue Perspektiven zu erhalten», fasst Diana Sigrist­Nix zusammen. Nach vier Tagen reisten die Teilnehmen­

den mit einem prall gefüllten Rucksack an Eindrücken wieder zurück in ihren Berufsalltag. Es bleibt zu hoffen, dass der ein oder andere Input aus dem Kongress Eingang findet in die tägliche Routine.

AUSZEICHNUNGEN

Zwei Abstracts des Schweizer Paraplegiker-Zentrums wurden mit dem Prof.-Friedrich-Wilhelm-MeineckeGedächtnispreis der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegiologie ausgezeichnet:

Ursachen und Prävalenz, Ursachen und Prädiktoren von Rehospitalisationen bei Querschnittlähmung innerhalb der ersten zehn Jahre nach Erstrehabilitation

Autorenteam:

Inge Eriks-Hoogland (Nottwil), Benjamin Hirsch (Nottwil), Jürgen Pannek (Nottwil), Lea Studer (Nottwil), Armin Gemperli (Nottwil)

Inzidenz und Risikofaktoren von Pneumonien bei Personen mit frisch erworbener Querschnittlähmung: Resultate der RESCOM Studie

Autorenteam:

Gabi Müller (Nottwil), Anja Raab (Bern, Nottwil), David Berlowitz (Melbourne AU), Karin Postma (Rotterdam NL), David Gobets (Wijk aan Zee NL), Sven Hirschfeld (Hamburg DE), Burkhart Huber (Häring AT), Margret HundGeorgiadis (Basel), Xavier Jordan (Sion), Martin Schubert (Zürich), Renate Wildburger (Tobelbad AT), Martin Brinkhof (Nottwil)

Paracontact I Sommer 2023 21
Mehr zur DMGP www.dmgp.de
Elektrostimulation Grégoire Courtine und Jocelyne Bloch über ihre Forschung

Hindernisfreier Arbeitsplatz

Wenn Betroffene nach einem Unfall an ihre Arbeitsstelle zurückkehren, benötigt es oftmals bauliche Anpassungen.

Der berufliche Wiedereinstieg ist bereits bei der Erstrehabilitation ein Thema. Hier wird erkannt, ob es eine bauliche Anpassung des Arbeitsplatzes benötigt, wenn der oder die Betroffene zum bisherigen Arbeitgeber zurückkehren möchte. Ein Bedarf kann sich aber auch auf Grund von Veränderungen des Gesundheitszustands ergeben. Um diesen Bedarf abzuklären, organisiert die zuständige Person der Ergotherapie eine Begehung des Arbeitsplatzes. Die Architektinnen und Architekten vom Zentrum für hindernisfreies Bauen (ZHB) in Muhen werden beigezogen. Sie halten nach der Besichtigung die Massnahmen in einem Bericht fest, der auf Wunsch auch eine Kostenschätzung enthält. Damit ist der Leistungsauftrag des ZHB erfüllt.

Zugang zur Arbeitswelt

Das Einholen von Offerten, das Argumentieren gegenüber der zuständigen IV­Stelle und die Bauleitung bleiben häufig Aufgabe der Arbeitgebenden und/oder der betroffenen Person. Bei umfassenden Arbeitsplatzanpassungen kann die IV­Stelle die Kosten der Baubegleitung gutheissen. In der Praxis wird diese Dienstleistung jedoch häufig nicht zugesprochen. Damit Menschen mit Behinderung gleichberechtigt in der Gesellschaft mitwirken können, ist der Zugang zum Arbeitsmarkt ungemein wichtig. Das hält auch die UNO­Behindertenrechtskonvention fest. Dass dies oftmals ein beschwerlicher Weg ist, zeigen die beiden Beispiele.

Fallbeispiel 1: Detailhandel

Frau A. ist seit 2014 gehbehindert und arbeitet an der Kasse eines Schweizer Grossisten. Weil sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert hatte, ist sie vermehrt auf einen Rollstuhl angewiesen und begab sich zur erneuten Behandlung ins Schweizer Paraplegiker­Zentrum. Zusammen mit der Ergotherapie der Klinik und der Hilfsmittelberatung SAHB besichtigten wir den Arbeitsplatz der Patientin. Die Wiederaufnahme der Berufsarbeit war für den 23. November 2022 geplant.

Die grosse Filiale des Detailhändlers, in der Frau A. arbeitet, wurde 2019 komplett umgebaut und saniert. Bereits in dieser Zeit war die Arbeitnehmerin bemüht, den Be­

trieb von der hindernisfreien Anpassung zu überzeugen, was allerdings schwierig war. Die baurechtliche Bewilligung ist uns nicht bekannt. Die Frage, ob gemäss Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) dieser Umbau hindernisfrei hätte gestaltet werden müssen oder ob allenfalls auch eine Umsetzungsproblematik besteht, bleibt offen.

Das ZHB hat an der Bauberatung alle relevanten Räume besichtigt und Vorschläge zur individuellen hindernisfreien Anpassung gemacht. Damit Frau A. vom Kundenbereich, wo sich ihr Kassenarbeitsplatz befindet, in den Mitarbeitendenbereich gelangen kann, benötigt es einen Treppenlift. Nachdem wir ein detailliertes Protokoll erstellt hatten, das den gegenwärtigen

HINDERNISFREIES BAUEN 22 Paracontact I Sommer 2023 BERUF
Zugänglichkeit In der Verantwortung ist das Unternehmen

Zustand festhielt, sowie eine Auflistung der erforderlichen Anpassungen (Treppenlift und Türautomation), war die kostenlose Bauberatung abgeschlossen. Das Projekt wurde an den Detailhändler zur Umsetzung übergeben.

Im Dezember 2022 setzte sich der firmeninterne Bauleiter und die Vertretung der Sozialberatung des Detailhandelsunternehmens mit unserer Kundin in Verbindung. Die Offerten wurden eingeholt und der Arbeitgeber hat sich entschieden, die Umbaumassnahmen vorzufinanzieren, mit der Absicht, ein Gesuch bei der zuständigen IV­Stelle einzureichen. Dabei unterstützten ihn ParaWork und das ZHB. Ein IVEntscheid ist bis heute (Stand Anfang April) noch nicht bekannt – dies vier Monate nach dem geplanten Arbeitsbeginn. Ein untragbarer Zustand, insbesondere für die Arbeitnehmerin Frau A. «Meine Bemühungen an meinem Arbeitsplatz dauern schon geschlagene dreieinhalb Jahre», kommentiert sie ernüchtert. Der Umbau des Arbeitsplatzes inklusive Treppenlift beginnt dann hoffentlich so bald wie möglich.

Fallbeispiel 2: Flughafen

Der Arbeitsplatz von Herr B. befindet sich im Sicherheitsbereich eines Schweizer Flughafens. Bevor das Gelände betreten oder verlassen werden kann, ist eine genaue Personenkontrolle nötig, analog den Flugpassagieren. Im unteren Geschoss (Hochparterre) hat es Arbeitsplätze mit Bildschirmen. Hier wird der ganze Betrieb über­

wacht und kontrolliert. Im Obergeschoss sind die regulären Büroarbeitsplätze. Herr B. hat sowohl im Hochparterre als auch im Obergeschoss je einen Arbeitsplatz.

Am 3. Dezember 2021 besichtigte das ZHB gemeinsam mit Herrn B., seiner Ergotherapeutin, dem Berufscoach von ParaWork und Vertretenden des Sicherheitsunternehmens sowie der SAHB den Arbeitsplatz. Auch in diesem Fall erstellte das ZHB einen ausführlichen Bericht mit konkreten Anpassungsvorschlägen. Diese beinhalteten Anpassungen des Zugangs und der Toiletten, einen Treppenlift und die Automation der Türen. Zudem erstellte das ZHB im vorliegenden Fall eine Grobkostenschätzung der baulichen Massnahmen und holte eine Offerte eines Treppenliftbauers ein.

Mit diesen Unterlagen zusammen mit der Hilfsmittelbegründung der Ergotherapie wurde bei der IV ein Gesuch eingereicht. Schnittstelle zur IV ist in der Regel die SAHB, welche ihrerseits eine Expertise an die IV erstellt. Am 6. Juli 2022 wurde das Gesuch von der zuständigen IV­Stelle abgewiesen. Gemäss einer früheren Baubewilligung sei das Gebäude gemäss Behindertengleichstellungsgesetz hindernisfrei. Das Institut für Rechtsberatung der SPV sprach ein und die IV revidierte am 7. März 2023 ihren Entscheid teilweise. Das Planungs­ und Bauleitungshonorar wurde nicht bewilligt, obwohl Aussentreppenlifte im vorliegenden Kanton eine Baubewilligung benötigen. Dieser Entscheid trifft fast

anderthalb Jahre nach der Arbeitsplatzabklärung ein. Ein für den arbeitswilligen Betroffenen und auch für seinen Arbeitgeber unhaltbarer Zustand. In einem Betrieb wie im vorliegenden Fall ist es wichtig, dass sich Fachpersonen, die mit den hohen Sicherheitsstandards vertraut sind, um solche Bauprojekte kümmern. Wir sind der Auffassung, dass der Aufwand für Planung und Bauleitung im selben Rahmen wie die Baukosten von der IV übernommen werden sollten.

Dank der Schweizer Paraplegiker­Stiftung und dem Arbeitgeber, welche sich im Rahmen einer unbürokratischen Vorfinanzierung an den zurzeit ungedeckten Kosten beteiligen, ist nun der Umbau in Planung und kann hoffentlich bald umgesetzt werden. Ob bei der IV­Stelle noch einmal Einsprache erhoben wird, ist zurzeit in Abklärung.

Beide Beispiele zeigen auf, wie wichtig die Interventionen des Zentrums für hindernisfreies Bauen und weiterer Institutionen sind. Künftig wird sich die Interessenvertretung für hindernisfreies Bauen gezielt dafür einsetzen, dass das BehiG konsequent und bei allen relevanten Bauprojekten bis zur Abnahme umgesetzt wird. Nur dann kann Inklusion gelingen.

Berufliche Eingliederung ParaWork

www.parawork.ch

Paracontact I Sommer 2023 23

Abstecher in den Orient

Während sieben Tagen erkundete eine Reisegruppe der SPV Marrakesch und Umgebung. Ein Erlebnis für alle Sinne.

Nach nur vier Flugstunden befinden sich die Reisegäste in einer ganz anderen Welt. Marrakesch, eine der vier Königsstädte Marokkos, fasziniert und fordert mit ihrem Gewusel, den unbekannten Düften und den engen Gassen. Abseits vom Trubel lassen sich auch Orte der Ruhe und Entspannung erspähen. Diese Vielfalt wollte auch eine Reisegruppe der SPV entdecken.

1001 Windlicht

Die Medina, das historische Zentrum von Marrakesch, gleicht einem Labyrinth. Fussgänger, Mofas und Esel mit Karren drängen sich in den engen Strassen aneinander vorbei. Es ist laut, es stinkt, es ist hektisch. Geduld ist gefragt, wenn man hier vorankommen will, vor allem als 17­köpfige Reisegruppe mit acht Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. «Für mich als Tetra war das ganz schön anstrengend», meint Sadmir Mujanovic. Noch mal etwas enger wird es in den Souks, den überdachten Märkten. Bis auf die Strasse hinaus und

über die Köpfe hinweg türmen sich hier Körbe, Lederwaren, Schuhe, Schmuck, Gewürze, Teppiche, Geschirr, allerlei Kitsch und Nippes. Und kaum bleibt der eigene Blick eine Sekunde zu lange an einem Gegenstand kleben, ist man bereits in ein Gespräch verwickelt. Feilschen ist Ehrensache. Mitten im Souk fand die Reisegruppe «le jardin secret», den geheimen Garten. Ein wunderbarer Ort, um einmal kurz durchzuatmen.

Das Herz der Medina ist der weltberühmte Platz Djemaa el Fna. Bereits tagsüber bevölkern ihn Schlangenbeschwörer, Imbissverkäufer und Akrobaten. Wirklich ausgelassen geht es jedoch erst nach Einbruch der Dunkelheit zu. Ein Stück Geschichte erschloss sich den Reiseteilnehmenden beim Besuch der ehemaligen Koranschule Medersa Ben Youssef. Das aufwändig restaurierte Gebäude ist ein Prachtwerk orientalischer Baukunst und war einst die grösste islamische Hochschule für Theologie.

Oase

Ein wahres Paradies fand die Reisegruppe in ihrer Unterkunft. Das Gasthaus Handi Oasis befindet sich ausserhalb der Stadt. Nicht nur die gepflegte Gartenanlage, der Pool mit Lift und die komplett barrierefreie Infrastruktur überzeugte die Teilnehmenden, sondern auch die Herzlichkeit der Angestellten. Die SPV­Reisegruppe hatte die familiäre Anlage mit nur zehn Zimmern ganz für sich allein und wurde täglich mit Köstlichkeiten der marokkanischen Küche verwöhnt. Handi Oasis wurde so zur Oase der Entspannung für die ganze Gruppe. «Die Unterkunft war sensationell, ein Ort zum Geniessen», schwärmt Teilnehmer Remo Maag, «abends nach einem Tag voller Eindrücke haben wir oft darüber gesprochen, wie schön es hier ist.» Auch Daniela Marzari, die als Assistentin der Reiseleitung die Gruppe begleitete, ist voller Lob für die Betreiber: «Manager Patrick stand zu jeder Tageszeit für uns bereit, um zusätzliche Ausflüge oder Sonderwünsche

24 Paracontact I Sommer 2023 FREIZEIT
REISE

zu organisieren.» So buchten Remo Maag und Sadmir Mujanovic zusätzlich eine Ballonfahrt zum Sonnenaufgang. Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt. Beide waren begeistert von der überwältigenden Stimmung und der Hilfsbereitschaft der Crew und waren sich einig: Für ein nächstes Mal müsste dieses Erlebnis Teil des Reiseprogramms sein.

Staub aufwirbeln

Die Reisegruppe lernte nicht nur die Sehenswürdigkeiten der Stadt kennen, sondern erkundete auch das Umland. Marokko ist ein Wüstenstaat. Die Steinwüste Agafay beginnt quasi vor den Toren Marrakeschs.

Nach einer 45­minütigen Anreise wurden die Reiseteilnehmenden in fünf ZweierBuggys und einen Quad transferiert und bretterten über Schotterpisten durch die karge Landschaft. Am Horizont erhoben sich die mächtigen Gipfel des Atlasgebirges. «Auf dem Buggy die Natur und die Steinwüste so unmittelbar zu erleben, hat mich beeindruckt.» Für Sadmir Mujanovic war die Tour eines der Reisehighlights. Nach der zweistündigen Ausfahrt freuten sich alle auf das Mittagessen im Freien, welches im Schatten der Bäume auf bunten Teppichen serviert wurde, und anschliessend auf die Dusche im Hotel. Der Staub der Wüste hatte seine Spuren hinterlassen.

Besuch bei den Berbern

Ein zweiter grosser Ausflug führte die Gruppe in die sogenannten drei Täler. Kontrastreich präsentierte sich die Landschaft. Karge und trockene Abschnitte gingen über in üppig grüne Täler und Wälder aus Eukalyptus­, Pinien­ und Olivenbäumen. Die hier heimischen Berber bauten ihre Lehmhaussiedlungen an steile Hänge. Ihre Schafe, Ziegen und Esel tummelten sich am Strassenrand. In einem solchen Dorf hielt die Reisegruppe für ein Mittagessen. Von der Terrasse schweifte der Blick in die Ebene, die sich mit ihren verschiedenen Rot­, Grün­ und Gelbtönen wie ein Patchwork­Teppich präsentierte.

Land und Leute

Am letzten Tag der Reise führten die drei Köchinnen des Hotels die Gruppe in die Geheimnisse der marokkanischen Backkunst ein. Drei Sorten Gebäck entstanden, welche anschliessend für jede und jeden verpackt wurden, um sie als süsses Souvenir mit in die Schweiz zu nehmen. Ob in der Hotelanlage oder auf den Ausflügen –die Reisegruppe begegnete stets Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft. «Ohne Berührungsängste und Vorbehalte haben uns die Männer einfach gepackt und in die Geländewagen gesetzt», erzählte Monika Kaufmann, «es gab keine Diskussion, ob das jetzt angebracht sei oder nicht. Dieses Unkomplizierte hat mir gefallen.» Dass die Schweizer Reisegruppe dann auch Rücksicht nahm auf die Bedürfnisse ihrer Gastgeber, sei eine Frage des gegenseitigen Respekts gewesen. Schliesslich fiel die Reise der SPV in den Fastenmonat Ramadan.

Das abwechslungsreiche Reiseprogramm, das zahlreiche Erlebnisse aber auch genügend Raum zur freien Gestaltung bot, gefiel den Teilnehmenden. So konnten alle auch ihren eigenen Interessen und Bedürfnissen nachgehen. Und nach sieben eindrücklichen Tagen in der Wärme hiess es Abschied nehmen von Marrakesch.

Bereichernd

Gesellige Momente und unzählige Eindrücke

Paracontact I Sommer 2023 25

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VORSCHAU

Lottoplausch

Zusammen mit dem Jodlerklub Nottwil organisieren wir Ende Jahr zwei unterhaltsame Lottoabende.

Haben Sie die richtigen Zahlen? Mit etwas Glück gewinnen Sie attraktive Preise. Am 28. und 29. Dezember 2023 finden gegen Abend in der Aula des Schweizer Paraplegiker-Zentrums in Nottwil gesellige Stunden statt. Kommen Sie vorbei, es lohnt sich!

VORSCHAU

Swiss-Trac-Ausflug

Sie sind gerne in der Natur unterwegs und haben einen Swiss-Trac?

Dann ist der Swiss-Trac-Ausflug am 2. September 2023 in der Region Rothenthurm genau das Richtige für Sie! Unter erfahrener Leitung wird die Region erkundet. Auch fürs kulinarische Wohl ist gesorgt. Begleitpersonen können zu Fuss mitkommen. Wir freuen uns auf einen erlebnisreichen Tag an der frischen Bergluft.

STÄDTEREISE

Schönes Madrid, olé!

Sechs SPV­Mitglieder mit Tetraplegie machten sich Ende April auf, die spanische Hauptstadt zu entdecken.

Die Stadtrundfahrt zum Auftakt unserer wöchigen Städtereise ermöglichte uns auf entspannte Weise, eine Übersicht der Stadt zu erlangen. Natürlich durfte auf dem Wochenprogramm eines der grössten und bedeutendsten Kunstmuseen der Welt, das «Museo del Prado», nicht fehlen. Die Reisegruppe kundschaftete den symbolträchtigen «Plaza Mayor» und den Königspalast «Palacio Real de Madrid» aus. An der «Cor­

ral de la Moreria», dem berühmtesten Flamenco­Tablao der Welt, tauchten die Reisegäste in die Welt des Flamencos ein und wurden mit kulinarischen Köstlichkeiten verwöhnt. Auch die umliegenden Städte Segovia, mit dem antiken römischen Aquädukt, der gotischen Kathedrale und dem grossen Schloss sowie Toledo, bekannt als Stadt der drei Kulturen, wurden bereist.

Interessiert?

Haben Sie Lust, mit uns zu verreisen? Buchbare Reisen: www.spv.ch/veranstaltungen

REISETHEATER

Sieben auf einen Streich

Der beliebte Märchenklassiker «Das tapfere Schneiderlein» zog in der SPZ­Aula Jung und Alt in seinen Bann!

Das Reisetheater, ein Theaterensemble, welches mit seinem Bus quer durch die Schweiz fährt, hat einen Tag in Nottwil haltgemacht. Einen Nachmittag lang durften die Besucher*innen in eine andere Welt abtauchen.

Die interaktive Aufführung hat besonders bei den jungen Besucher*innen Eindruck hinterlassen. So hat das tapfere Schneiderlein an diversen Stellen die Kinder aufge­

fordert mitzusingen und zu rufen. Das tapfere Schneiderlein hat den Kindern ebenfalls Mut gemacht, in Konfliktsituationen nach eigenen Lösungen zu suchen. Denn: Nicht nur Wissen oder Muskelkraft führt zu Heldentaten – mit Leidenschaft, Mut, Einfallsreichtum und Schläue kann viel erreicht werden.

Vorfreude herrscht! 2024 wird das Reisetheater das Märchen «Aschenputtel» aufführen.

Weitere Events spv.ch/Veranstaltungen

FREIZEIT Paracontact I Sommer 2023 27
FREIZEIT
Infos und Anmeldung www.spv.ch

Barrierefreie Reka­Ferien

Sie sind auf der Suche nach einer barrierefreien und familienfreundlichen Unterkunft? Reka­Ferienanlagen gibt es in der ganzen Schweiz.

Die Reka­Feriendörfer sind Ferienanlagen, welche sich optimal für Familienferien eignen. Die Anlagen stehen alle bewusst abseits der grossen Tourismusströme und bieten somit einen idealen Ort für Ruhe und Erholung. Grosse Spielplätze, Kinderbetreuung und Rekalino­Clubs machen die Ferien auch für die kleinen Gäste unvergesslich. Ferien für alle ist dabei das Ziel. Dies zeigt auch die Rollstuhlgängigkeit der Anlagen. Alle zwölf Anlagen sind bedingt barrierefrei und über 30 Ferienwohnung sind komplett barrierefrei.

Unsere Empfehlungen

Lugano

Das Reka­Feriendorf in Lugano feierte im letzten Jahr seine Eröffnung. Mit Unterstützung der Stiftung Denk an mich wurden die gesamte Anlage und 20 Ferienwohnungen barrierefrei ausgebaut. Der Pool hat einen mobilen Badelift und auch die Garderoben und sanitären Anlagen der

Poollandschaft sind auf die Bedürfnisse von Gästen abgestimmt, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Der perfekte Ort für einen Sommerurlaub bietet jedoch nicht nur die Anlage selbst, sondern auch die Stadt Lugano.

Die Seepromenade und der grosse Stadtpark bilden eine wunderschöne Kulisse, um die Sonne zu geniessen. Wer die Schweiz schon immer mal in Klein sehen wollte, sollte sich die Swissminiatur­Welt in Melide nicht entgehen lassen. Als Gast im Rollstuhl profitieren Sie von einem Gratiseintritt.

Rougemont

Einmal in einem urchigen Chalet mitten im Grünen übernachten. Dies bietet die Reka­Ferienanlage in der Westschweiz. Umgeben von Bergen und Wiesen ist Erholung vorprogrammiert. Das Dörfchen Rougemont liegt auf 1007 Meter über Meer und gilt als eines der schönsten Dörfer der Schweiz.

Madulain

Im schönen Oberengadin liegt das kleine Dorf Madulain. Mit seinen nur knapp 200 Einwohnern ist es der ideale Ort für Ruhe und Entspannung. Der Wellnessbereich in der Reka­Ferienanlage «Chesa Engiadina» ist mit dem Lift zugänglich. Es hat im ganzen Haus Rampen und auch das Spielzimmer ist mit dem Lift erreichbar.

Hasliberg

Das Dorf liegt umgeben von Bergkuppen im Kanton Bern. Die Reka­Ferienanlage ist mit einem stufenlosen Zugang zum Hallenbad ausgestattet und es hat einen Lift im Empfangshaus. Ein Ausflug in die Berge ist mit den rollstuhlgängigen Seilbahnen in der Region Hasliberg­Meiringen kein Problem. Im Winter gibt es die Möglichkeit, die Pisten mit einem Mono­ und Dualskibob runterzukurven.

Sörenberg

Inmitten der Natur steht das Reka­Feriendorf Sörenberg. Die Anlage verfügt über ein ebenerdig zugängliches Hallenbad und mit dem Lift gelangt man in jede Etage. Im Feriendorf gibt es rollstuhlgängige Parkplätze. Im Winter können Sie Ihre Ferien mit einem Ski­Tageskurs der SPV verbinden. Im Sommer lassen sich geländegängige Rollstühle mieten, mit denen Sie die Natur entdecken.

Wenn das Fernweh plagt: Toskana Sonne, Strand und Barrierefreiheit bietet die Reka­Ferienanlage in der Toskana. Eine super Lage mit Blick aufs Meer und wunderschöne Sonnenuntergänge runden den perfekten Sommerurlaub ab. Zudem gibt es die Möglichkeit, vor Ort ein RollstuhlTransportfahrrad für zwei Personen oder einen geländegängigen Rollstuhl zu mieten.

FREIZEIT 28 Paracontact I Sommer 2023 UNTERKÜNFTE
FREIZEIT Feriendestinationen www.reka.ch
Lugano Eröffnet 2022 Toskana Ferien am Meer Madulain Ort der Ruhe und Erholung

Am Steuer tankt sie Energie

Marianne Kenel bringt Reisegruppen der SPV sicher in die Ferien und zurück. Die 51­jährige Zürcherin bringt Routine aus 30 Jahren als Chauffeuse mit.

Wer mit der Schweizer Paraplegiker­Vereinigung (SPV) mit dem Bus in die Ferien verreist, kennt die Frau, die mit einem Lächeln am Steuer sitzt und das Gefährt routiniert ans Ziel bringt: Marianne Kenel, 51, Chauffeuse aus Obfelden ZH. Sechsmal pro Jahr verbringt sie mit einer Gruppe jeweils acht Tage – und auf jeden einzelnen Ausflug freut sie sich: «Ich habe immer tolle Gäste an Bord, die extrem dankbar sind.»

Marianne Kenel bringt eine Menge Erfahrung mit, seit 30 Jahren fährt sie schon. Dass sie überhaupt damit an fing, hat mit ihren Eltern zu tun: Sie betrieben im Knonaueramt ein kleines Busunternehmen und chauffierten immer wieder auch Menschen mit Beeinträchtigungen. Marianne Kenel absolvierte eine KV­Lehre, legte nach der Auto­ auch gleich die Lastwagenprüfung ab und half fortan im Familienbetrieb aus, so oft sie konnte.

Vorausschauend, ruhig, zügig Das Busfahren blieb für sie lange aber so etwas wie ein Hobby. Marianne Kenel arbeitete bis 2009 als Buchhalterin, ehe sie sich als Mutter vorwiegend um ihre eigene Familie kümmerte. Daneben aber war sie weiterhin gern zur Stelle, wenn die Eltern Unterstützung benötigten. 2013 aber gaben sie ihre Firma ab. «Schmerzlich» sei das zwar gewesen, sagt sie, «aber eben doch die richtige Entscheidung».

Für sie indes ging es weiter. Sukzessive erhöhte sie ihr Pensum als Chauffeuse, die für verschiedene Unternehmen unterschiedliche Busse durch die Gegend steuert – und

der es besonders Spass macht, mit den grössten verfügbaren Cars unterwegs zu sein. «Das Fahren mit einem 78­Plätzer ist anspruchsvoll», sagt sie, «das mag ich.»

Wie beschreibt sie ihren Stil am Steuer? «Ich bin eine vorausschauende, ruhige und zügige Fahrerin.» Und: «Ich lasse mich auf der Strasse nicht von anderen Verkehrsteilnehmenden stressen, im Gegenteil. Für mich ist das, was ich tue, zwar meine Arbeit, aber auch eine ideale Möglichkeit, um Energie zu tanken.»

Wenn Marianne Kenel für die SPV im Einsatz ist, hat sie oft mit Stammgästen zu tun, deren Bedürfnisse sie kennt. Sie weiss bei manchen, wo sie im Bus am liebsten sitzen und wie sie den Rollstuhl positioniert haben möchten. Marianne Kenel ist mehr als nur Chauffeuse, sie ist auch eine Frau, die mit ihrer unkomplizierten Art zu guter Stimmung beiträgt.

Früher, als sie noch für die Eltern fuhr, bekam sie gelegentlich einen dummen Spruch zu hören, wenn sie irgendeine Gruppe chauffierte. «Es war ungewohnt, dass eine junge Frau am Steuer sass», sagt sie, «da fiel schon einmal der Satz: ‹Wenn das nur gut kommt …›.» Beirren liess sie sich nicht –mit ihren Fähigkeiten brachte sie jede skeptische Stimme zum Verstummen.

Beeindruckende Energiereserven Hunderte Kilometer legt Marianne Kenel täglich zurück, nie wird es für sie langweilig oder eintönig. Wenn es mit einer Gesellschaft in den Europapark nach Rust geht, steht sie um 4 Uhr auf, um rechtzei­

tig am Besammlungsort zu sein. Von Vorteil ist es, kein Morgenmuffel zu sein. Und ihr Glück ist es auch, dass sie keine Mühe hat, bis spät am Abend zu fahren: «Ich verfüge über genügend Energiereserven und werde nicht so schnell müde.»

Sie liebt es, für die SPV ins Ausland zu fahren, und sie mag es genauso gern, die Schweiz immer wieder von Neuem zu entdecken. «Wir leben in einem wunderschönen Land», sagt sie. Geriet sie auch schon einmal in eine brenzlige Situation? Zum Beispiel 2021, als kurz vor dem Reiseziel Kärnten der Lift im Bus plötzlich den Geist aufgab. Marianne Kenel steckte mit ihrer Reisegruppe auf einem Rastplatz fest. Aber sie bewahrte Ruhe, suchte nach einer Lösung, fand im Internet einen Spezialisten in der Nähe – und innert Kürze war der Schaden behoben.

FREIZEIT Paracontact I Sommer 2023 29 SICHER UNTERWEGS
SPV-Reisen mit Marianne Kenel ans Ziel

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Gipfelstürmer

Lust auf frische Alpenluft und eine atemberaubende Bergkulisse? Entdecken Sie mit uns die Freiburger Alpen.

Von Claude Siegenthaler und Nadja Venetz

Vanil Noir, Berra, Moléson, Kaiseregg: Das sind die bekanntesten Gipfel der Freiburger Voralpen. Hätten Sie’s gewusst? Und irgendwo hier verläuft der Röstigraben; diese vermeintliche Kluft zwischen Westund Deutschschweiz. Lernen Sie mit uns die Gegend kennen.

Unser Bergausflug startet am Samstag, 26. August 2023 in Plasselb. Um 10 Uhr treffen wir uns bei der Kirche und machen uns anschliessend auf in Richtung Alp Flühkäseberg beziehungsweise Alp Cousimbert des Particuliers, wie die Romands sagen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer, welche mit einem eigenen 4 × 4­Fahrzeug anreisen, fahren mit ihrem Auto weiter ins Tal hinein. Für alle anderen stehen Fahrzeuge zur Verfügung.

Unsere erste Station ist die Alphütte Flühkäseberg auf 1488 m ü. M. Auf der gemütlichen Sonnenterrasse werden wir uns jedoch erst auf dem Rückweg niederlassen. Uns zieht es weiter den Berg hoch. Bei der

Alphütte steigen alle Teilnehmenden auf Geländewagen um. Mit einem starken Motor bewältigen wir die letzte Steigung und fahren unserem Ziel entgegen: dem Gipfelkreuz des Käsebergs. Hier oben geniessen wir das Panorama. Von 1633 m ü. M. blicken wir herab auf den Röstigraben und den Trubel im Tal und saugen die Schönheit der Berge des Berner Oberlands und der Freiburger Alpen in uns auf. Auf diese einmalige Aussicht stossen wir mit einem Gipfelumtrunk an. Prosit!

Hüttenzauber

Die frische Luft schürt den Hunger. Wir fahren wieder den Hang hinunter. Norbert Bächler, Wirt der Alphütte Flühkäseberg, empfängt uns mit offenen Armen. Auf dem Holzherd bereitet er uns eine feine Rösti zu oder serviert eine kalte Platte mit Leckereien aus der Region. Seine Hütte ist rollstuhlgängig und verfügt über ein Rollstuhl­WC. Sein Vater hat die Hütte eigenhändig wieder errichtet, nachdem sie 1962 ein Feuer zerstört hatte. Ohne Strassen

musste damals das Baumaterial mit Geländefahrzeugen, zu Pferd oder von Hand hochgebracht werden. Seit 1974 lassen sich Wanderer und Ruhesuchende auf der grossen Terrasse nieder. Hier scheint die Zeit stillzustehen. Handyempfang gibt es keinen, nur die angeregten Gespräche der Tischnachbarn, das Surren der Insekten und das Bimmeln der Kuhglocken.

Norbert Bächler ist nicht nur Hüttenwart, sondern auch Inhaber der Eventagentur Merlin Adventures. Als Tourenleiter, Wanderführer und Fluglehrer zeigt er seinen Gästen die Freiburger Alpen. Hier kennt er jeden Gipfel. Gemeinsam mit der Schweizer Paraplegiker­Vereinigung organisiert er den Ausflug und nimmt Sie mit auf eine erlebnisreiche Bergtour.

Lust auf Bergluft? Hier anmelden: www.spv.ch (eventkalender, ausflug-fluehkaeseberg)

Paracontact I Sommer 2023 31 FREIZEIT
Weitblick Die Aussicht geniessen

Scheiben­Schiessen einmal anders

Man spielt auf Körbe, Ketten erleichtern das Putten und gelegentlich landet man in den Sträuchern. Disc Golf ist ein geselliges Spiel für die ganze Familie. Wir haben den Parcours ums SPZ herum getestet.

«So ein Mist, schon wieder in den Sträuchern, dabei hatte ich doch vorher so einen grossartigen Wurf», sage ich zu meinen Kolleginnen, die mit mir die Mittagspause für eine kleine Disc­GolfChallenge nutzen. So birgt das Spiel für mich als ambitionierten Sportler einiges an Frustrationspotenzial. Dieses wird allerdings, so viel kann man vorneweg nehmen, durch den Spass in der Gruppe locker wieder aufgeholt – sogar überflügelt.

Eben noch am Schreibtisch sitzend, stehen wir nun bereits am ersten «Tee», wie die Abwurfstelle beim Disc Golf analog der bekannten Schläger­Ball­Variante genannt wird. Die speziellen Frisbeescheiben sind am Empfang des Schweizer ParaplegikerZentrums schnell und sehr preiswert auszuleihen. «Es sind gute Discs, jedoch alles Putter­Scheiben, also für den letzten Wurf in den Korb gedacht», erklärt uns Philipp Muff, Initiant des Parcours vom Verein

Woodpeckers aus Sursee und Mitarbeiter der Orthotec. Die Profis führen jeweils verschiedene Scheiben mit sich, für den Abwurf vom «Tee», für die Annäherung und den finalen Zielwurf auf den Korb.

Für Bewegungsfreiheit auf dem Kurs ist auch für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer gesorgt. Die Löcher des SPZParcours verlaufen alle entlang von geteerten Wegen. Wenn die Scheibe jedoch schief aus der Hand gleitet, liegt sie auch schnell mal auf einem Strauch oder in der Blumenwiese. «Daher sollte man immer

FREIZEIT 32 Paracontact I Sommer 2023
DISC GOLF

mit einer stehenden Person zusammenspielen», bestätigt uns Philipp Muff und demonstriert die Kniffe beim Abwurf sowie die wichtigsten Regeln.

So wird gespielt

Jeder Spieler wirft seine Disc vom Abwurfpunkt, dem «Tee Pad» in Richtung des Ziels. Im Disc Golf ist dies ein zirka ein Meter hoher Metallkorb mit Ketten, welche helfen, dass die Scheiben im Korb hängenbleiben. Nachdem alle Spielenden ihre Disc geworfen haben, wird der nächste Wurf vom Landepunkt der Disc aus gespielt. Immer beginnend mit der Disc, welche am weitesten vom Ziel entfernt ist, werfen alle Teilnehmenden einer Gruppe so viele Male, bis ihre Scheibe im entsprechenden Korb landet und liegen bleibt. Die benötigten Würfe pro Personen werden notiert. Zum Schluss werden die Würfe aller gespielten Löcher addiert. «Für Spielende im Rollstuhl haben wir die Adaption eingeführt, dass die Scheibe von der Wiese einfach auf die nächste Stelle auf dem Weg gelegt und von dort aus weitergeworfen wird», so Philipp Muff zu den Regelanpassungen mit dem Rollstuhl.

Wir hatten den Luxus, unter kompetenter Anleitung in den Kurs zu starten. Die Regeln sind jedoch auch kurz und knapp sowie einfach verständlich auf dem ScoringZettel beschrieben. Diesen kriegt man mit den Scheiben am Empfang. Eine digitale Version steht via App ebenfalls zur Verfügung. Darauf sind alle Eckpunkte von Disc­Golf­Szenerien auf der ganzen Welt zu finden und die Würfe der gespielten Runde können auch gleich noch per Klick gezählt werden.

Die Technik machts

Manuela Schärs Scheiben fliegen besonders gut, wie an einer Schnur gezogen. «Das liegt an der Rotation, die sie den Scheiben mit ihrem Leichtathletik­erprobten Handgelenks­Zwick mitgibt», so Philipp. Denn verkanten die Spielgeräte, stellen sie sich im Wind auf und landen schnell abseits der Ideallinie. Fussgängerinnen und Fussgänger nehmen für einen möglichst weiten Abwurf Anlauf und werfen aus der Hüftdrehung heraus. Für uns als Fun­Gruppe macht dieser Vorteil jedoch keinen Unter­

schied. Die Würfe der Spielenden im Rollstuhl sind ebenso weit wie diejenigen der Stehenden, oft sogar genauer. Silvana, die ebenfalls in unserer Runde mit dabei ist, hat nur einen Teil ihrer Finger. Die ehemalige Spielerin des Rollstuhlrugby­Nationalteams kann die Scheibe aber gerade noch genügend gut greifen, um sie zielgenau zu werfen. Bei stark eingeschränkter Handfunktion könnte es jedoch schwierig werden, mitzuspielen.

Fazit «Disc Golf fägt!»

Unser Vergnügen wurde durch parkierte Autos eines Grossanlasses etwas getrübt. Alle waren wir uns jedoch einig: Nächstes Mal spielen wir eine ganze Runde, denn bereits die wenigen gespielten Löcher machten riesig Spass. Geeignet ist das Spiel rund ums SPZ ebenfalls für einen Familienausflug, einen Teamanlass mit dem Verein

oder aber für Patientinnen und Patienten, die beispielsweis Wartezeiten beim Jahresuntersuch totschlagen müssen. Wir lassen die Scheiben jedenfalls bald wieder steigen.

PARCOURS-INFOS

Löcher (Körbe): 9

Par: 27

Gesamtlänge: 538 m Längstes Loch: 91 m Leihpreis/Scheibe im SPZ: CHF 2.– bis 3.–

Öffnungszeiten

Montag bis Freitag: 12.00 –13.30 Uhr, ab 17.00 Uhr

Samstag und Sonntag: Ganztags bespielbar

Wichtig: Zu jeder Zeit haben Therapien oder sonstige Trainings Vorrang!

Disc-Golf-App

Parcours-Infos und Scoring

Paracontact I Sommer 2023 33
Disc Golf Spassige Freizeitaktivität in der Gruppe

Die verblüffende Weltmeisterin

Lorraine Truong leidet nach mehreren Gehirnerschütterungen an Neuropathie. Der Sport gibt der 33­jährigen Neuenburgerin Halt im Leben: Im WCMX hat sie ihren bisher bedeutendsten Titel errungen.

Von Peter Birrer

Wenn sie in einem Skatepark unterwegs ist, blendet sie alles um sich herum aus. Das ist die Welt, in der sie ihre Kreativität ausleben kann und furchtlos Grenzen auslotet. Und die in ihrem Leben eine zentrale Rolle einnimmt: Lorraine Truong ist WCMX­Athletin. WCMX steht für Wheelchair Motocross und ähnelt Freestyle BMX.

Lorraine Truong zeigt mit ihrem Rollstuhl verblüffende Tricks auf höchstem Niveau. Im Dezember 2022 krönte sie sich in Kalifornien zur Weltmeisterin. «Diesen Titel tragen zu dürfen, ist ziemlich cool», sagt sie, «darauf bin ich stolz, weil es der Lohn für harte Arbeit ist.» Aber die 33­Jährige strebt nach mehr. Sie ist getrieben vom Ehrgeiz, an der Weltspitze zu bleiben. Und weitere Triumphe zu feiern.

Der Sport prägt ihr Leben seit je. Er hat ihr Leben aber auch verändert. Als junge Frau findet sie zum Mountainbiken und entwickelt Fähigkeiten, die ihr Starts im Weltcup ermöglichen. Cross­Country, Enduro, Downhill – ihre Disziplinen erfordern Mut und Geschicklichkeit, aber davon hat Lorraine Truong genug.

Verhängnisvoller Sturz 2015

Die Neuenburgerin aus Môtiers, deren Vater aus Vietnam stammt, weiss, dass Stürze vorkommen, sie lässt sich deswegen nicht einschüchtern. Sie erwischt es mehrmals und zwar heftig. Mit 14 erleidet sie die erste Gehirnerschütterung, und es sollen weitere

folgen. Aber Lorraine Truong macht unbeirrt weiter. Sie erholt sich und setzt sich mit jugendlicher Dynamik wieder aufs Rad. Heute sagt sie nachdenklich: «Vielleicht hätte ich mir die eine oder andere Pause mehr gönnen müssen.»

Andere ziehen sich bei groben Stürzen einen Bein­ oder Armbruch zu, Lorraine Truong trifft es mehrere Male am Kopf, 2015 besonders hart. Im französischen Samoëns fährt sie im Weltcup und kommt zu Fall, der Helm schützt sie nicht genügend. Sie zieht sich ein Schädelhirntrauma zu, das sie zum Ende ihrer Karriere im Mountainbike­Sport zwingt.

Eine Neuropathie wird diagnostiziert, die eine Bandbreite von Beeinträchtigung zusammenfasst. Lorraine Truong kann zwar gehen, ermüdet aber sofort und nutzt deshalb einen Rollstuhl. Die Frau, die in Lausanne einst Maschinenbau und Materialwissenschaften studiert hat, muss sich plötzlich damit abfinden, dass ihr vermeintlich einfachste Dinge im Alltag nicht mehr gelingen. Telefonieren fällt ihr schwer, weil sie das, was sie hört, nicht richtig aufnehmen und einordnen kann. Darum zieht sie es vor, per Whatsapp zu kommunizieren oder aber jemandem gegenüberzusitzen, um mit ihm zu sprechen.

Sie benötigt Unterstützung und erhält sie zum einen von einem technischen Hilfsmittel, das sie «la petite voix» nennt, die klei­

ne Stimme. Das technologische Hilfsmittel meldet zur vollen Stunde die Uhrzeit. Gibt Anweisungen, wie sie beim Duschen vorzugehen hat. Oder sagt, welche Schritte beim Zubereiten einer Mahlzeit zu wählen sind.

Das feine Gespür von Largo

Zum anderen ist Largo immer an ihrer Seite, ein altdeutscher Schäferhund, der Lorraine Truong schon zurück in ihre Wohnung führte, als sie die Orientierung verloren hatte. Largo hat auch die Gabe zu spüren, wenn bei seiner Chefin ein epileptischer Anfall droht. Dann signalisiert er das so, dass Lorraine weiss, worauf sie sich vorbereiten muss. Lorraine hat Largo eigenhändig trainiert.

RUBRIK 34 Paracontact I Sommer 2023 FREIZEIT ROLLSTUHLSPORT
WCMX
Schäferhund Largo Freund und Assistent

Ihre Tage sind kurz, weil sie viel Erholung benötigt. Bis zu 16 Stunden schläft sie. Mit ihrer Ausbildung könnte sie als Ingenieurin arbeiten, aber daran ist nicht zu denken. Vereinzelt übersetzt sie nun Texte für einen Auftraggeber, investiert Zeit in Therapien und natürlich in den Sport. Ihr Vorteil ist es, an einem Ort zu leben, an dem sie Ruhe hat. Sie wohnt in Vollèges, einem Walliser Dörfchen oberhalb von Martigny, sie hat von ihrem Haus freien Blick auf Le Catogne, diesen markanten Berg. Und ihr Glück ist es, den Sport zu haben, der ihr Halt und Sinn gibt, mit dem sie schwierige Momente überwindet.

Wieder ein Stück Unabhängigkeit

Nach dem Ende ihrer Karriere als Mountainbikerin verbrachte sie sechs Monate in der Rehabilitation in der Clinique romande de réadaption in Sion, zwei Jahre war an Bewegung nicht zu denken. In dieser Zeit, sagt sie, habe sie ein grosses Stück ihrer Unabhängigkeit verloren. Aber sie erlangt sie zurück, als sie mit WCMX beginnt. Sie muss nun nicht mehr ihren Freunden im Skatepark zuschauen, sondern findet Gefallen daran, mit dem Rollstuhl Tricks einzustudieren.

Marco Bruni ist einer ihrer grossen Förderer. Der Leiter Athletenentwicklung bei der Schweizer Paraplegiker­Vereinigung (SPV) in Nottwil wird auf Lorraine Truong aufmerksam gemacht, nimmt Kontakt mit ihr auf und startet im Mai 2019 die Zusammenarbeit mit der Sportlerin, über die er sagt: «Sie ist eine Ausnahmeathletin. Und für mich die grösste Herausforderung, die ich als Trainer je zu meistern hatte.»

Nun ist Marco Bruni im Geschäft kein Neuling, er hat Dutzende Leistungssportlerinnen und Leistungssportler gecoacht, als einstiger Snowboard­Nationaltrainer beispielsweise auch Olympiasieger Iouri Podladtchikov. «Lorraine gehört wie Iouri zu den Top 3 aller, mit denen ich mich je auseinandersetzte», erklärt er. «Was Lorraines Mindset betrifft, ist sie unfassbar stark. Sie weiss sehr genau, wie sie ihr Umfeld bewegen und fordern muss, um hohe Ziele zu erreichen. Sie arbeitet ungemein zielorientiert und bringt auch die nötige Kompromisslosigkeit mit.»

Ein dickes Lob von Marco Bruni Es gibt Athletinnen und Athleten, die dann aktiv werden, wenn sie dazu aufgefordert werden. Lorraine Truong hingegen wartet nicht, sondern ergreift selber die Initiative und lässt im Skatepark nicht erkennen, dass sie unter grossen neuropathischen Problemen leidet. Sie schafft es, sich einen Lauf einzuprägen und all das, was ihr wichtig ist, zu zeigen. «Es ist phänomenal, wie Lorraine das macht», sagt Marco Bruni.

Ebenfalls aussergewöhnlich findet er ihre Art, einen Wettkampf aufzuarbeiten. Nach der WM nahm sie ein Debriefing vor, über das Marco Bruni staunte. Lorraine Truong analysierte schriftlich bis ins Detail und punktgenau, was gut und was weniger gut war. Das wiederum erleichtert einem Coach auch die Arbeit: Sie ist in der Lage, deutliche Anweisungen zu geben.

Inzwischen kümmert sich Marco Bruni nicht mehr so intensiv wie in den Anfängen um die WCMX­Sportlerin, Lorraine trainiert häufig mit James Brickell, der ihr helfend zur Seite steht. Gerne würde sie den Aufwand erhöhen, nur liegt das aus rein physischen Gründen nicht drin. Sie muss

sich damit zufriedengeben, vielleicht einmal pro Woche während zwei, drei Stunden einen Skatepark besuchen zu können.

«Keine falschen Hoffnungen»

Es mag den Eindruck erwecken, dass das, was Lorraine Truong macht, verrückt ist. «Das habe ich auch schon gehört», sagt sie gelassen, «aber das ist es nicht. Ich weiss, wo die Grenzen liegen und tue nichts, das unvernünftig ist.»

Das Mitglied des Rollstuhlclubs Valais Romand verzichtet darauf, sich zu viele Gedanken darüber zu machen, was in ein paar Jahren sein wird. «Ich mache mir keine falschen Hoffnungen», sagt sie, «sonst werde ich möglicherweise wahnsinnig.»

Sie akzeptiert ihre Situation und ist gewillt, das Beste daraus zu machen. Auf den Sport bezogen bedeutet das: alles daransetzen, um in diesem Jahr den WM­Titel zu verteidigen. Sie schaut zu Largo, der mit den Vorderpfoten auf dem Schoss seiner Chefin Platz nimmt. Und ihr auch dann treu bleibt, falls sie nicht als Weltmeisterin aus den USA heimkehrt.

Paracontact I Sommer 2023 35
Fokussiert Lorraine Truong und Marco Bruni

BASKETBALL

Integration am Swiss-Cup-Final

Es gibt noch viel zu tun, bis die Integration von Rollstuhlbasketball in den Schweizer Cup-Final eine gewinnbringende Story für Swiss Basketball und den Rollstuhlsport darstellt.

Sportlich war der Cup-Final eine spannende Angelegenheit, 25:25 stand es zur Halbzeit. Danach konnten sich die Pilatus Dragons zusehends absetzen. Grund dafür war ihre Verteidigung, die Husein Vardo, dem Top-Scorer der Rolling Rebels, keine einfachen Punkte mehr zugestand.

Neben MVP Nicolas Hausammann trafen nun auf Seiten der Dragons auch Jan Vogelsang und Maurice Amacher ihre Würfe, was zum 48:64Sieg der Zentralschweizer führte.

Leider konnte die Kommunikation von SRF nicht mit dem sportlich Gebotenen mithalten. Keine Fernsehbilder schafften es in die Kanäle von SRF, auch wenn alle Kameras für die später stattfindenden Spiele der Fussgänger bereitstanden.

HANDBIKE

Auf die Plätze fertig los!

Der Nationale Handbike Cup (NHC) ist am Ostermontag erfolgreich in eine weitere Runde gestartet.

Am NHC messen sich Breitensportler ohne Rennerfahrung bis hin zu SpitzensportAthletinnen. Es gibt auch in diesem Jahr wieder neue Rennveranstalter, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Athlet*innen eine attraktive Strecke und ein Erlebnis mit Gleichgesinnten zu bieten. Die Mehrheit der Handbike­Wettkämpfe sind eingebunden in bekannte Radsport­Anlässe wie z. B. den Grand Prix Mobiliar. Aus insgesamt

acht Wettkämpfen besteht der NHC. Der erste fand am 10. April 2023 statt. Den Abschluss macht das Handbike/Militärradrennen in Stäfa am 3. September 2023.

Grundsätzlich ist die erfolgreiche Teilnahme wichtiger als die Platzierung. Rollstuhlfahrerinnen und ­fahrern bietet sich eine Bühne, um sich sportlich zu messen und stolz zu sein auf die eigene Leistung.

Anmeldungen sind immer noch möglich. Ist Ihr Interesse geweckt? Mehr Infos und Anmeldung unter: www.handbike.spv.ch

Einmal durch Nottwil

Ein Team Relay der besonderen Art! Die besten Schweizer Handbikerinnen und Handbiker messen sich am 12. Juni in einer spektakulären Stafette auf der Zielgerade der zweiten Etappe der Tour de Suisse.

Die Tour de Suisse ist das wichtigste Radrennen der Schweiz und führt in acht Etappen über 1300 km durch alle Landesteile. Die zweite Etappe endet in Nottwil.

Bevor die internationalen Radprofis einfahren, liefern sich die besten Schweizer Handbikerinnen und Handbiker einen packenden Staffelwettkampf.

Seien Sie um 14.30 Uhr live vor Ort und feuern Sie die Athletinnen und Athleten zu Höchstleistungen an.

Tour de Suisse in Nottwil www.tds-nottwil.ch

ROLLSTUHLSPORT 36 Paracontact I Sommer 2023
TOUR DE SUISSE

An der diesjährigen WM vom 8.–17. Juli 2023 in Paris werden die ersten Quotenplätze für die Paralympics 2024 verteilt.

Nach einer intensiven Vorbereitungszeit im Winter und ersten Wettkämpfen im Frühling bot sich den Schweizer Athletinnen und Athleten in Arbon und Nottwil die Gelegenheit, ihren Formstand zu überprüfen. Dabei bewiesen einige Schweizer Leichtathletik­Cracks, dass der Fahrplan im Hinblick auf die WM in Paris stimmt. Wir dürfen gespannt sein, wer sich an der WM in Paris empfiehlt und mit einem Quotenplatz für 2024 liebäugeln darf.

42,195

BOGENSCHIESSEN

WM in Pilsen

In Hinblick auf die Paralympics 2024 in Paris nehmen die diesjährigen Bogenschiess-Wettkämpfe einen besonders hohen Stellenwert ein.

Die ersten Resultate dienen als Basis für die Selektionen im nächsten Jahr, und es gilt für die Schweizer Athlet*innen an der WM, sich einen der 78 von insgesamt 140 Quotenplätze für Paris zu sichern. Wer vom 17. bis 23. Juli 2023 nach Pilsen (CZE) an die WM fährt, wird Ende Mai bestimmt.

Sportarzt Dr. med. Phil Jungen

Die Expert*innen des Nationalen Leistungszentrums für Rollstuhlsport (NLR) begleiten unsere Athletinnen und Athleten auf dem Weg an die Spitze. Dr. med. Phil Jungen ist Chefarzt der Sportmedizin Nottwil und Mitgründer des NLR.

MARATHON

Kilometer

Gelungener Start in die Marathonsaison mit einem Schweizer Doppelsieg in Tokio.

Am Tokio­Marathon am 5. März fuhren

Manuela Schär und Marcel Hug ihrer Konkurrenz davon und stellten dabei noch einen Streckenrekord auf. Das Rennen in Tokio war das erste der Abott World Marathon Majors. Marcel Hug gewann die Serie

2022 und strebte an, seinen Sieg zu verteidigen. Dass die Form stimmt, zeigte auch Manuela Schär. Nach einem von einer Verletzung geprägten Jahr 2022 wollte sie an den Frühlingsmarathons in Tokio, Boston und London herausfinden, wo sie im internationalen Vergleich steht. Am Marathon in London mischte auch Catherine Debrunner mit.

Bei der Sportmedizin Nottwil seit?

Ich arbeite seit 2015 in der Sportmedizin Nottwil als Leiter des Instituts.

Deine Aufgabe im NLR?

Ich bin einer der Mediziner und zuständig für alle KaderAthlet*innen mit medizinischen Problemen. Auch die jährlichen sportärztlichen Untersuchungen während der Testing Days fallen in meine Zuständigkeit.

Deine Lieblingstätigkeit als Arzt?

Die Begleitung der Athletinnen und Athleten vom Nachwuchstalent bis zur Elite macht mir Freude und ist interessant. Aber auch die Wettkampfbetreuung vor Ort, z. B. bei den Paralympics, ist stets ein grossartiges Erlebnis.

Was ist deine Superpower?

Meine Begeisterungsfähigkeit und Empathie für die Sportler*innen.

Paracontact I Sommer 2023 37 NLR-EXPERTENGRUPPE
LEICHTATHLETIK Startschuss

Eine Investition in die Zukunft

Im März begann Daphné Léchenne die Ausbildung von Rollstuhlsport Schweiz in Nottwil. Wir haben uns mit ihr getroffen, um mehr über ihre Motivation und ihr Projekt zu erfahren.

Von Davide Bogiani Wer ist Daphné Léchenne?

Ich bin 43 Jahre alt, Walliserin und lebe seit 15 Jahren in der Region Biel. Den Grossteil meiner Freizeit verbringe ich auf dem Wasser: auf Segelbooten, Windsurfrettern, Paddles oder Kajaks. Das Thema Behinderung ist seit 13 Jahren Teil meines Lebens. Mein Sohn hat besondere Bedürfnisse, ist aber nicht im Rollstuhl. Beruflich bin ich im Personalwesen und Coaching tätig und teile mein Berufsleben zwischen einem Bundesamt in Bern und meiner selbstständigen Tätigkeit auf.

Traum vom Segeln, er hatte aber nie einen geeigneten adaptierten Platz gefunden. Die Zeit reichte nicht aus, um gemeinsam zu segeln. Aber wir kehrten in die Schweiz zurück mit der Idee, ein für alle zugängliches Segelangebot zu entwickeln.

Erzähl uns von eurer Idee … Unser Projekt hat sich schnell entwickelt. Mein Lebensgefährte, Andi Schraner, betreibt seit 18 Jahren das Bieler Segelcenter, eine Segelschule. Der Hafen, in dem sich die Schule befindet, ist fast vollständig für Rollstuhlfahrer geeignet. Wir starteten also bereits mit gewissen Ressourcen und Infrastrukturen. Nach ein paar Abklärungen haben wir Kontakt mit dem Rollstuhlclub Biel aufgenommen. Dann ging alles sehr schnell: die Kontakte zu Interessierten, der Kauf von speziellen Booten und die Anpassung von bestehenden Booten sowie die Definition unseres Angebots, das nun erfolgreich läuft.

Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Rollstuhlclub Biel?

gängerinnen und Rollstuhlfahrern, Personen aus der Deutsch­ und Westschweiz, Männern und Frauen.

Du hast gerade deine erste Ausbildung im Rollstuhlsport abgeschlossen: Wie siehst du diesen Bereich in zehn Jahren? Ich bin mir sicher, dass der Rollstuhlsport eine vielversprechende Zukunft vor sich hat. Ich denke, dass er sich rapide weiterentwickeln wird und der Zugang zu immer neuen Sportarten möglich sein wird. Die technischen Fortschritte sind rasant und der Rollstuhlsport bietet einen Raum der Authentizität und des Austauschs, der vielleicht manchmal im Fussgängersport abhandengekommen ist.

Und zum Schluss

Wie bist du zum Rollstuhlsport gekommen?

Wie so oft war es Zufall. Während eines Trainingswochenendes auf dem Comersee im Herbst 2022 trafen mein Lebensgefährte und ich einen Campingnachbarn im Rollstuhl. Er erzählte uns von seinem

Die Zusammenarbeit mit dem Bieler Rollstuhlclub läuft hervorragend und war von Anfang an von entscheidender Bedeutung. Ohne den Club und die grossartige Mithilfe wäre das Projekt nicht zustande gekommen. Der neue Präsident, Tobias Soder, ist jung, dynamisch und hat ein motiviertes und kompetentes Team. Wir erhalten auch wertvolle Unterstützung von einem Mitglied des RC Bern, Michael Siegrist: Er hat einen Segelschein und steht uns mit Hilfe und Rat zur Seite. Es ist ein aussergewöhnliches Team, ein schönes Beispiel für die absolute Durchmischung von Fuss­

Ein grosses Dankeschön an Martin Wenger, Sophie Gnaegi, Carsten Gugel und Hans Georg Koch für die zwei unglaublichen Ausbildungstage in Nottwil. Ich war berührt von der Gastfreundschaft, der Freundlichkeit und dem Wohlwollen, dies zusammen mit einer beeindruckenden Professionalität sowie der Qualität der Infrastruktur.

Gerne möchte ich alle einladen, ob Fussgänger oder Rollstuhlfahrerin, die gelegentlich oder regelmässig segeln oder ihren Segelschein machen möchten. Wir freuen uns darauf, Sie diesen Sommer und auch in Zukunft auf dem Bielersee zu sehen.

Hinweise

Fragen und Infos zum Segeln: praesident@cfrb.ch

Fragen und Infos zur Ausbildung: www.spv.ch (Sport/Ausbildung)

ROLLSTUHLSPORT 38 Paracontact I Sommer 2023 TRAINERAUSBILDUNG
Segeln für alle Daphné Léchenne

European Games auch im Parasport angekommen

Eine Neuheit in Europa, aber nicht auf der Welt. Panamerikanische und Asienspiele finden seit bald 20 Jahren statt – auch in Parasportarten. Nun sollen die Spiele erstmals in Europa stattfinden.

Unter dem Namen «European Championships» wurden 2018 zum ersten Mal mehrere Europameisterschaften an einem Ort ausgetragen. Sozusagen als Pendant zu den Parapan American und Asian Games. Nun hat sich die Niederlande bereit erklärt, die ersten Para­European Games durchzuführen.

Vom 8. bis 20. August 2023 sollen also erstmals Europameisterschaften in zehn verschiedenen Parasportarten gleichzeitig stattfinden. Gastgeberstadt Rotterdam empfängt rund 1500 Athletinnen und Athleten aus 45 verschiedenen europäischen Ländern.

WETTKAMPFPROGRAMM 2023

Badminton: 15.–20. August

Basketball: 11.–19. August

Boccia: 8.–13. August

Bogenschiessen: 16.–20. August

Goalball: 10.–13. August

Judo: 8.–10. August

Para-cycling: 17.–20. August

Sportschiessen: 17.–20. August

Taekwondo: 14.–16. August

Tennis: 8.–13. August

Von der Idee zur Umsetzung Alles begann im Sommer 2019 mit den Weltmeisterschaften im Para­Bogenschiessen. Im Stadtzentrum von s’Hertogenbosch (NL) bewies die Weltelite im Bogenschiessen ihr Können vor vollen Tribünen. Das Stadion im Herzen der Stadt zog Einheimische und Fans wie ein Magnet an. Gespannt wurden die Wettkämpfe mitverfolgt. Die Rückmeldungen waren derart positiv, dass das OK einen Weg finden wollte, Parasport wirklich erfolgreich zu machen. «Man muss die Sportarten unter die Leute bringen und das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit dafür wecken. Wir wollen den Parasportler*innen die gleiche Plattform und Behandlung bieten wie allen anderen Sportler*innen», so die Aussage des OKs.

Mehr Informationen

www.epc2023.com

Zwischenhalt vor Paris 2024

Aus der Idee wurde Ernst. In knapp zweieinhalb Monaten starten die ersten European Para Championships in der zweitgrössten Stadt der Niederlande. Alle zehn Sportarten, die Teil dieser Europameisterschaften sind, haben einen direkten Bezug zur «Road to Paris 2024». So können Qualifikationspunkte für die Paralympics 2024 geholt werden. Einige Sportarten bieten an der EM sogar eine direkte Qualifikationsmöglichkeit für Paris 2024.

Hauptaustragungsort wird das Veranstaltungszentrum Rotterdam Ahoy mit seinen sechs Hallen sein. Daneben gibt es auch verschiedene Aussenplätze, alle im Herzen von Rotterdam. So will das OK dafür sorgen, dass der Parasport zu den Menschen kommt und nicht umgekehrt.

Keine Eintagsfliege

Das OK in Rotterdam will mit den European Para Championships 2023 den Grundstein für weitere Austragungen legen. Geplant ist, dass die Meisterschaften alle vier Jahre in einer europäischen Grossstadt im Jahr vor den Paralympischen Spielen ausgetragen werden. Ob aus der Premiere ein Dauerbrenner wird, hängt wohl nicht zuletzt vom Erfolg der bevorstehenden Grossveranstaltung ab.

Event-Trailer Hochspannung garantiert am grössten ParasportEvent in Europa

ROLLSTUHLSPORT Paracontact I Sommer 2023 39 EUROPAMEISTERSCHAFTEN

Kraft und Kreativität

Paraclimbing ist in der Schweiz noch eine junge Sportart. Den nötigen Schub verlieh ihr die Weltmeisterschaft, die im August in Bern stattfindet.

«Klettern mit Querschnittlähmung geht nicht.» Zu diesem Urteil kam Angela Fallegger, als sie 2019 einen Flyer von PluSport in den Händen hielt, der ein inklusives Klettertraining «Klettern für alle» bewarb. Darauf abgebildet war eine Frau im Rollstuhl. Etwas skeptisch und doch interessiert, wie dies funktionieren soll, nahm sie an dem Schnuppertag teil. Entgegen ihrer Erwartung schaffte sie eine Route und klettert fortan regelmässig. Ihr gefällt, dass sie als Rollstuhlfahrerin den Sport mit Fussgängern ausüben kann. Heute ist Angela Fallegger Teil des Schweizer ParaclimbingNationalteams.

Offiziell gegründet wurde das Team 2022 unter dem Dach des Schweizer AlpenClubs SAC, wo es zum Ressort Leistungssport gehört. Der SAC wiederum fördert die Sportart im Rahmen eines Kooperationsvertrags mit PluSport. Zwar veranstaltet der internationale Kletterverband IFSC seit 2011 Weltmeisterschaften im Paraclimbing, doch war die Sportart hierzulande bis anhin kaum organisiert. 2023 ist die Schweiz

Gastgeberin der Climbing­ und Paraclimbing­WM. Und wollte eigene Para­Athletinnen und ­Athleten an den Start schicken. Doch wo findet man diese?

Athlet*innen gesucht

«Wir haben Schnuppertrainings durchgeführt und in den Kletterhallen des Landes mit Flyern auf das Projekt aufmerksam gemacht», erinnert sich Michael Bühler, Trainer des Swiss Paraclimbing Teams. Mit der Zeit wurde die Rekrutierung zum Selbstläufer. Die Klettererfahrung der heutigen Teammitglieder ist denn auch sehr unterschiedlich. «Wir haben zum Beispiel einen 60­jährigen Athleten, der seit 45 Jahren klettert und vor sechs Jahren erblindet ist», erklärt Michael Bühler. Andere wiederum seien neu in der Sportart, aber sehr motiviert und talentiert.

Damit die Leistungen einigermassen fair beurteilt werden können, werden die Athletinnen und Athleten aufgrund ihrer Einschränkungen in Klassen eingeteilt. Insgesamt zehn solcher Startklassen pro Ge­

schlecht definiert der internationale Kletterverband IFSC. Es gibt drei Klassen für Kletternde mit einer Sehbehinderung, vier für Menschen mit Amputation(en) und noch mal drei für Personen mit neurologischen bzw. physiologischen Einschränkungen. Damit eine Klasse an einem Weltcup als separate Wertung durchgeführt wird, benötigt es mindestens vier gleichklassierte Personen aus drei unterschiedlichen Nationen. Ist das nicht der Fall, werden Klassen zusammengelegt. Das sorgt immer wieder für Frust. «Je nachdem, wer mit welchen Einschränkungen gegen wen klettern muss, ist die Rangliste von Anfang an klar, das ist schade», meint Angela Fallegger. Die Wettkämpfe werden folglich fairer, je mehr Athletinnen und Athleten starten. «Klar möchten wir als Team möglichst breit aufgestellt sein», betont Michael Bühler, «aber wir haben keine Checkliste, welche Einschränkung uns noch fehlt und suchen dann gezielt danach.» Das Swiss Paraclimbing Team wächst von allein. 2022 zählte es acht Mitglieder, 2023 bereits deren 15. Die Sportart hat gute Chancen, 2028 paralympisch zu werden.

Fürs Paraclimbing werden eigene Routen geschraubt. Diese verfügen über mehr Tritte und grosse Griffe. Die Kletternden sind mit einem Seil von oben, einem sogenannten Toprope gesichert und nehmen nicht wie im sonstigen Wettkampfklettern das Seil von unten mit. Das Sicherheitsrisiko, wenn sich die Wettkampfteilnehmenden selber in die Sicherungsvorrichtungen einhängen müssten, wäre zu gross. Personen mit Amputation an den Beinen entscheiden selbst, ob sie mit oder ohne Prothese klettern. Bei einer Amputation an den obe­

40 Paracontact I Sommer 2023
ROLLSTUHLSPORT KLETTERN
Sulivan Thuer Nationalteam der Schweiz

WELTMEISTERSCHAFT

Die IFSC Climbing und Paraclimbing WM findet vom 1. bis 12. August 2023 in der Postfinance-Arena in Bern statt. Erstmals in der Geschichte der WM werden die Wettkämpfe im Climbing und Paraclimbing an einem gemeinsamen Grossanlass ausgetragen. Die Wettbewerbe sind barrierefrei zugänglich.

Mehr Informationen www.bern2023.org

ren Extremitäten sind keine Prothesen erlaubt. Sehbehinderte klettern mit Hilfe eines Guides, der per Funk Richtungsanweisungen gibt. Kletternde mit kompletter Querschnittlähmung binden oft ihre Beine zusammen, um kontrollierter zu schwingen. Angela Fallegger nutzt Knieschoner, weil sie sich mit den Knien abstützt. «Ich bin inkomplett gelähmt und kann mit jedem Bein etwa sieben bis zehn Kilogramm drücken. So kann ich Gewicht abgeben. Wenn ich die Knie gegen die Wand oder gegen Griffe stemme, kann ich die Hebel­

wirkung anders umsetzen. Den Rest mache ich mit dem Oberkörper», erklärt sie ihre Technik. Ihr Teamkollege Sulivan Thuer klettert mit einer kompletten Paraplegie. Klimmzug für Klimmzug.

Die bunt gemischte Truppe ist für Michael Bühler, den ehemaligen Cheftrainer des SAC Regionalzentrums Bern Mittelland Emmental, eine Herausforderung. «Ich muss mich sehr individuell auf jede Person einlassen und verstehen, welche Möglichkeiten sie hat, bevor wir eine Taktik festlegen und Lösungen erarbeiten können. Mit den Sehbehinderten gehe ich die Route detailliert durch und benötige ein System,

mit dem ich ihnen per Funk klare Anweisungen für den nächsten Zug geben kann.»

Angela Fallegger gefällt diese Vielfalt: «Wir helfen uns gegenseitig. Die Sehenden holen die Blinden von der Bushaltestelle ab. Die Fussgänger öffnen die Türen für die Rollstuhlfahrer. Erst vor Kurzem habe ich mit einer blinden Teamkollegin über die Leitlinien am Bahnhof gesprochen. Für sie sind sie eine wichtige Orientierungshilfe, obwohl sie nicht weiss, wo diese hinführen, während ich mit dem Rollstuhl drin hängen bleibe.»

Präsenz zeigen

Für das Nationalteam finden wöchentlich drei Trainings statt, abwechselnd an den Stützpunkten Ostermundigen, Uster und in den Hallen von grimper.ch. Je nach beruflicher Auslastung oder räumlicher Entfernung ist das nicht für alle machbar. Die Athletinnen und Athleten organisieren sich teilweise untereinander. Einige besuchen zusätzlich das Kletterangebot von PluSport. Die Chancen an der Heim­WM im August schätzt Trainer Michael Bühler realistisch ein: «Wir wollen mit einer guten Equipe an den Start gehen, die im Vorfeld Erfahrung sammeln konnte. Eine Medaille wäre definitiv ein Exploit, aber ein bis zwei Finalplätze wären cool.» Beim Gedanken an Bern wird Angela Fallegger ein bisschen nervös: «An den bisherigen Wettkämpfen war nie jemand aus meinem Umfeld vor Ort. Aber jetzt, wenn Freunde und Familie im Publikum sitzen, muss ich schon liefern.» Angesprochen auf ihre sportlichen Ziele winkt sie ab. «Ich freue mich über einen siebten Platz genauso wie über einen fünften. Durch das Klettern habe ich körperliche Fortschritte gemacht, die meinen Alltag erleichtern. Ich kann mittlerweile mit Hilfe eines Geländers ein paar Stufen Treppensteigen und das Vertrauen in meine Armkraft ist viel grösser. Das bringt mir mehr als jeder Podestplatz.»

Lust auf ein Schnuppertraining?

Schreiben Sie Michael Bühler michael.buehler@sac-cas.ch

Paracontact I Sommer 2023 41
Angela Fallegger am IFSC Paraclimbing World Cup 2022 in Villars

HILFSMITTEL

Hands-Free Weinglas

Ein Strohhalm im Weinglas?

Mit dem Hands-Free Weinglas geniessen Sie Weine stilecht.

Menschen mit Behinderung sollen im Erwerbsleben und beim Zugang zu Dienstleistungen besser vor Diskriminierung geschützt werden.

Der geschlossene Aufbau bringt auch ohne Schwenken des Glases die Aromen der Weine voll zur Geltung. Ein mitgelieferter Ständer mit einem fünf Kilogramm schweren Fuss hält das Glas in Position. Weinglas und Ständer werden in der Schweiz hergestellt.

Hier erhältlich www.active-shop.ch

BENEFIZ

Wings for Life Run

Am 7. Mai 2023 rannten und rollten Tausende Menschen weltweit zur selben Zeit für den guten Zweck.

In der Schweiz fiel der Startschuss in Zug. Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung war zum wiederholten Male nationale Partnerin des Anlasses. Die Startgelder des Wings for Life Run fliessen in die Rückenmarksforschung. Die gemeinnützige Stiftung fördert Forschungsprojekte und Studien rund um den Globus.

Dies hat der Bundesrat an seiner Sitzung vom 10. März 2023 entschieden. Er hat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) damit beauftragt, bis Ende Jahr eine entsprechende Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) vorzulegen.

Arbeitgebende sollen verpflichtet werden, zumutbare Massnahmen zu treffen, damit Mitarbeitende mit Behinderungen gleichgestellt einer Arbeit nachgehen können. Menschen mit Behinderung sollen im Er­

werbsleben explizit vor Diskriminierung geschützt werden. Zu Dienstleistungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, sollen Menschen mit Behinderung Zugang haben. Private sollen verpflichtet werden, angemessene Vorkehrungen zu treffen, damit Menschen mit Behinderungen diese Dienstleistungen ohne erschwerende Bedingungen in Anspruch nehmen können. Bei der Ausarbeitung der Vernehmlassungsvorlage muss das EDI zudem prüfen, ob auch das selbstbestimmte Wohnen von Menschen mit Behinderungen im BehiG verbessert werden kann.

Stammzellenforschung, Neurotechnologie oder epidurale elektrische Stimulation: Weltweit arbeiten Forschende daran, Rückenmarksverletzungen zu heilen. Was ist Realität und was ein Traum?

Expert*innen aus verschiedenen Disziplinen geben Betroffenen Einblick in den Stand der Forschung. An der Tagung, die von der Berner Fachhochschule gemeinsam mit der Schweizer Paraplegiker­Stiftung organisiert wird, erhalten Sie Inputs zu den Themen Wiederherstellung des natürlichen Gehens, Funktionelle Elektrostimulation, Exoskelette, nicht­invasive Rückenmarkstimulation und klinische Studien. Nach den Vorträgen gibt es Gelegen­

heit, in einer Ausstellung Demonstrationen zu erleben und sich mit den Forschenden austauschen.

bfh.ch/forschungsstand-paraplegie 26.10.2023, 13.30 –18.30 Uhr Hotel Sempachersee, Nottwil

42 Paracontact I Sommer 2023 VERMISCHTES
POLITIK Teilrevision
Behindertengleichstellung
Weitere Informationen www.edi.admin.ch
WISSENSCHAFT Stand der Forschung

AUSFLUG

Geländerollstuhl Jurapark

Dank der Zusammenarbeit mit der Stiftung Cerebral verfügt der Jurapark Aargau über zwei geländegängige Elektrorollstühle der Marke JST Multidrive, die gemietet werden können.

Die Vermietung befindet sich in WindischBrugg im Centurion Towerhotel direkt am Bahnhof. Eine Anmeldung ist erforderlich. Die Rollstühle stehen täglich ab 9.30 Uhr zur Verfügung.

Dank zwei starken Elektromotoren und der robusten Bauweise des Rollstuhls können coupierte Wanderwege, starke Steigungen und auch lange Naturbelagstrecken problemlos befahren werden. Der Jurapark Aargau listet auf seiner Website mehrere Routenvorschläge. Entdecken Sie eine faszinierende Kulturlandschaft.

Weitere Informationen

www.jurapark-aargau.ch

TOURISMUS

Barrierefreie Schweiz

Die Stiftung Claire & George lanciert ein neues Kooperationsprojekt mit 14 Tourismusdestinationen und in Zusammenarbeit mit Schweiz Tourismus.

Die «Accessible Switzerland Tour» soll in zehn Etappen durch das Land führen und barrierefreie Spots in den Bergen mit attraktiven Städten verbinden. Ein Hauptau­

genmerk liegt zudem auf rollstuhlgerechten gastronomischen Angeboten entlang der Tour. Das Projekt dauert von 2023 bis 2026 und wird von Innotour, dem Förderinstrument des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco, unterstützt.

Stiftung Claire & George www.claireundgeorge.ch

BUCHTIPP

Durch einen Skiunfall wird Lorenzo Amurri mit 26 Jahren jäh aus seinem umtriebigen Leben als Musiker und Produzent gerissen. Er bleibt von der Brust abwärts gelähmt.

In seiner Autobiografie gibt Lorenzo Amurri mit herausragender sprachlicher Gewandtheit Einblick in seinen beschwerlichen Weg zurück in seinen neuen Alltag. Dabei gibt er nicht nur intime Details preis, er offenbart auch seine tiefsten Gefühle. Gefühle, die zu äussern er gegenüber seinen nächsten Personen nicht imstande war, was seine Situation zusätzlich erschwerte.

Die grosse Leidenschaft des Autors war die Musik. Durch seine Lähmung hat er zum Schreiben gefunden. Seine Erzählung ist ein grossartiger Beweis dafür, dass ihm das mehr als gelungen ist. Man möchte das Buch nicht mehr aus den Händen legen.

Rezension von Renata Tozzi

Buchinfo

ISBN 978-3-947767- 09-0

AKTIONSTAG

Politik inklusiv

Am 10. Mai 2023 forderten Menschen mit Behinderung auf dem Bundesplatz in Bern politische Teilhabe. Organisiert wurde diese Aktion von Pro Infirmis.

Paracontact I Sommer 2023 43
«Bis ich wieder atmen konnte»

Der Sport hat mir viele Türen geöffnet

Nalani Buob hat ihr Hobby zum Beruf gemacht: Die 22­jährige Baarerin tourt als Rollstuhltennisspielerin durch die Welt. Im Winter absolvierte sie zudem in Magglingen die Spitzensport­Rekrutenschule.

Als Kind haderte sie oft mit der Beeinträchtigung, immer wieder fragte sie sich: «Warum ich?» Heute ist das alles anders, mit 22 Jahren strahlt Nalani Buob Selbstvertrauen aus. Die Baarerin, die mit Spina Bifida zur Welt kam, sagt: «Ich mache, was mich glücklich macht.» Und den Rollstuhl betrachtet sie längst als Teil von sich, als Merkmal, nicht als Makel – getreu ihrem Motto: «The wheelchair is a feature, not a bug.»

Einen wesentlichen Einfluss auf die Stärkung der Persönlichkeit hatte zweifellos der Sport. Nalani Buob fand als Primarschülerin zum Tennis, tourt inzwischen durch die Welt und will bald an den ganz grossen Turnieren Erfolge feiern. Vorweisen kann die Linkshänderin bislang zwei WM­Titel bei den Juniorinnen im Einzel und zwei im Doppel, dazu nahm sie 2021 in Tokio erstmals an Paralympics teil. Nalani Buob ist zielstrebig unterwegs – und mit offenen Augen. Mit ihrer Stiftung unterstützt sie in Indien, der Heimat ihrer Mutter, Kinder und ermöglicht ihnen das Tennisspielen.

Nalani, wie beschreibst du dich einer fremden Person mit drei Adjektiven? Aufgestellt, lebensfreudig, neugierig.

Und welche Eigenschaft hättest du gerne zusätzlich?

Ich wäre gerne in organisatorischen Fragen besser. Dieses Talent fehlt mir. Aber ich arbeite dran.

Du machst extrem viel im Alltag. Fangen wir mit deinem Beruf an: Du bist aktuell Tennisprofi.

Genau. Ich habe das Glück, dass ich einen Sport ausüben darf, der mehr ist als ein Hobby. Im November 2011 fing ich mit Tennis an, und ich habe meine Leidenschaft zum Beruf machen dürfen.

Wieso hast du dich für Tennis entschieden?

Das war ein reiner Zufall. Marcel Boss, mein Lehrer in der 5. Klasse, schlug vor, dass ich mich sportlich betätige und schaute im Internet nach entsprechenden Möglichkeiten für Kinder im Rollstuhl. Zum einen wollte er, dass ich selbstständiger werde, zum anderen sah er darin die Chance, das Selbstbewusstsein zu fördern. Im Angebot war ein Tenniskurs in Cham, aber zuerst dachte ich: Nein, das ist nichts für mich, ich habe keine Lust. Der Trotz einer Primarschülerin halt. (Schmunzelt.) Nach langem Hin und Her mit meinen Eltern willigte ich ein, weil sie mir sagten: «Wenns dir nicht gefällt, kannst du sofort aufhören». Ich sagte: «Okay, dann probiere ich es».

Und du bist nicht mehr davon losgekommen.

Ich schlug den ersten Ball – und es packte mich so sehr, dass klar war, dass das mein Sport ist.

Entsprechend dankbar dürftest du deinem ehemaligen Lehrer sein … in der Schule gab es zwischen uns ein paar Differenzen, aber ich kann heute schon dazu stehen. Ich habe Herrn Boss viel zu verdanken.

Worin besteht die Faszination Tennis für dich?

Es geht nicht nur darum, den Ball übers Netz zu schlagen. Gefordert sind auch koordinative Fähigkeiten, ein optimales Handling mit dem Rollstuhl, man muss sich immer wieder und innert Kürze neu positionieren. Mein Vorteil war es, dass ich ein gutes Ballgefühl besitze, das Technische bereitete mir von Anfang keine Mühe. Und förderlich war auch, dass mich mein damaliger Trainer Thomas Waltenspühl schon in der ersten Stunde motivierte. Seine Komplimente taten mir gut.

Etwas macht dich automatisch zu einer besonderen Spielerin: Du bist Linkshänderin.

Ja, davon gibt es tatsächlich nicht so viele. In der Regel treten Rechtshänder nicht so gern gegen Linkshänder an.

Du bist vierfache Juniorenweltmeisterin: zweimal im Einzel und zweimal im Doppel. Nun strebst du an die Weltspitze. Was braucht es, um ganz nach oben zu gelangen?

44 Paracontact I Sommer 2023 FOKUS IM GESPRÄCH

Technisch habe ich die Schläge zwar drauf, aber sie müssen noch wuchtiger werden. Und wichtig ist die Konstanz. Es geht darum, das bestmögliche Niveau während einer ganzen Partie abzurufen, nicht nur einen Satz lang. Da kann ich sicher noch zulegen. Aber ich bin auf einem guten Weg, um mich den Top Ten der Welt anzunähern. In den vergangenen Monaten habe ich ziemlich Gas gegeben.

Wohin soll die Reise in deiner Karriere führen?

Ich möchte mich für die Grand­Slam­Turniere qualifizieren. Das ist ein sehr ambitioniertes, aber trotz allem auch realistisches Ziel. Danach nehme ich die Paralympics 2024 in Paris ins Visier und will dort mindestens eine Runde weiterkommen als bei meiner Premiere 2021 in Tokio, als ich im Achtelfinal ausschied.

Hast du ein Vorbild, das dich inspiriert? Nein. Vermutlich bin ich eine der wenigen Athletinnen, die kein Vorbild im eigentlichen Sinn hat. Natürlich fand ich Roger Federer bewundernswert, er war ein unfassbar guter Tennisspieler. Und ich sehe, was andere Grössen in diesem Sport abliefern. Aber ich fixiere mich nicht auf einzelne.

Wie viel Zeit investierst du pro Woche in den Sport?

Normalerweise trainiere ich an fünf Tagen auf dem Court, dazu kommen zwei Krafteinheiten, und eine widme ich der Ausdauer. Alles in allem beläuft sich der Aufwand netto etwa auf 15 Stunden.

Du hast 2022 die kaufmännische Lehre abgeschlossen. Wann war für dich klar, dass du den Leistungssport dem Bürojob vorziehst?

Dieses Ziel steckte ich mir sehr früh. Im Sommer 2012 kam ich in Baar in die Oberstufe, ein Semester später wechselte ich in die Sportklasse nach Cham, und ab da stand für mich fest: Ich unternehme alles, um Profisportlerin zu werden.

Obwohl du nicht Millionen auf die hohe Kante legen kannst … nein, aber ans Geld habe ich nie gedacht, als ich mich mit meiner Zukunft befasste. Ich entschied mich für den Sport,

weil er mir so unheimlich Spass macht. Ausserdem hatte ich das Glück, dass ich relativ viel Aufmerksamkeit bekam. Das wiederum erleichterte mir die Suche nach Sponsoren. Dank ihnen kann ich mir das Profidasein leisten. Es gibt zwar Preisgelder, aber die bewegen sich in einer bescheidenen Dimension. Man müsste quasi jedes Turnier gewinnen, wenn man allein vom Preisgeld leben möchte. Und das ist doch sehr unrealistisch.

Dann muss es doch auch etwas Mut gebraucht haben, ganz auf die Karte Sport zu setzen. Das hält sich im Rahmen. Ich war nicht die beste Schülerin, aber im Sport, da war ich sehr gut. Dank meiner Leistungen auf dem Tennisplatz erhielt ich auch einen

Platz in der Sportklasse. Der Sport war mir immer wichtig, er ist es geblieben, und ich wüsste nicht, wo ich heute wäre, wenn ich den Sport nicht gehabt hätte. Er hat mir viele Türen geöffnet, darum stand für mich auch ausser Frage: Wenn ich die Chance habe, Profi zu werden, packe ich sie. Zudem bin ich ein Mensch mit grossem Bewegungsdrang. Stundenlang ruhig sitzen –das ist nicht mein Ding.

Du hast indische Wurzeln, deine Mutter stammt aus Goa. Und du hast eine Stiftung gegründet, mit der du dich in Indien engagierst. Was willst Du mit «The First Serve» bewirken?

Indien ist für mich – wie die Schweiz – Heimat, ich fühle mich zu diesem Land hingezogen. Früher reiste unsere Familie regel­

Paracontact I Sommer 2023 45
Paralympics Premiere 2021 in Tokio

mässig nach Goa. Wir engagierten uns dort für Waisenkinder, und ich war immer wieder von Neuem zutiefst beeindruckt. Diese jungen Menschen strahlen Freude aus, obwohl ihre Lebensumstände sehr schwierig sind. Ich empfand es stets als unfair, dass es Kinder gab, die keine Eltern haben, die kaum etwas besitzen und auch keine Schule besuchen können. Damals entstand in mir das Verlangen, mich einzusetzen. Das tue ich nun mit der Stiftung «The First Serve». Wir sind in Indien tätig und ermöglichen Kindern mit einer Behinderung Trainings im Rollstuhltennis.

Wie bist du in die Stiftungsarbeit gestartet?

Angefangen hat es im Sommer 2018 mit einem mehrtägigen Tennis­Workshop für Kinder zwischen zehn und zwölf Jahren. Wir organisierten Schläger, Bälle, TennisRollstühle – und los gings. Vorgängig war ich mega nervös, weil ich aus meinen Trainings einen strikten Ablauf gewohnt bin. Aber ich musste gar nicht viel tun, um die Kinder glücklich zu machen. Sie packten die Schläger und fingen an, Bälle zu schlagen – es war die helle Freude, ihnen zuzuschauen.

Wie läuft das Projekt?

Daran beteiligt sind aktuell zwei Schulklassen. Wir arbeiten mit einer Stiftung vor Ort zusammen, die den Betrieb am Laufen hält. Sie sorgt dafür, dass Tennislehrer mit den Kindern trainieren und ihre Talente fördern. Aber sie müssen keine Topsportler

werden. Priorität hat für mich, dass sie sich bewusst werden, mit dem Rollstuhl gleich viel wert zu sein wie andere Menschen auch. Dass sie spüren, was möglich ist, wenn sie mit Überzeugung daran arbeiten. Dass sie dank Sport an Persönlichkeit gewinnen können. Mit dem Projekt ist ein Anfang gemacht, aber für mich steht fest: Mein Engagement soll in Zukunft noch stärker werden, ich möchte in dieser Stiftung richtig Gas geben. Das Ziel ist, irgendwann nicht nur Tennisstunden, sondern auch schulische und berufliche Ausbildungen zu ermöglichen.

Du bist Tennisprofi, hast eine Stiftung gegründet – und zuletzt hast du in Magglingen die Spitzensport-RS absolviert. Was reizte dich daran? Es spielten mehrere Faktoren mit. Zum Beispiel die Gelegenheit, mit vielen Athletinnen und Athleten aus verschiedenen Sportarten gemeinsam eine längere Zeit zu verbringen, mich mit ihnen auszutauschen und so zu profitieren. Oder die Möglichkeit, selber sehr intensiv trainieren zu können und wertvolle Inputs von Fachleuten in Sachen Karriereplanung oder Kommunikation und Auftrittskompetenz zu erhalten.

War es also gar nicht so militärisch, wie man sich das unter einer RS normalerweise vorstellt?

Die ersten drei Wochen waren schon geprägt von einer allgemeinen militärischen Grundausbildung, Zugschule oder Lernen von Dienstgraden, dazu gab es eine Sani­

tätsausbildung. Und früh aufstehen mussten wir natürlich schon auch, was für mich als Nicht­Morgenmensch eine Herausforderung war. Ein paar Tage benötigte ich, um mich daran zu gewöhnen, dass man uns dies und jenes vorschrieb. Als Profi bin ich sonst meine eigene Chefin, die weitgehend selbst bestimmen kann, was sie tut. (Schmunzelt.) Ich absolvierte die RS freiwillig und kann im Rückblick sagen: Es hat sich gelohnt, dass ich dorthin gegangen bin. Wir hatten eine megacoole Truppe beisammen. Und in den 18 Wochen habe ich mich persönlich weiterentwickelt und bin offener geworden.

Über dein musisches Talent haben wir noch gar nicht gesprochen: Du spielst Geige. Wann gibst du dein erstes Konzert?

(Lacht.) Ich habe lange nicht mehr gespielt, darum möchte meine Künste derzeit kaum jemand hören! Aber ja, ich fing in der 1. Klasse an, besitze eine eigene Geige und spiele gern. Leider komme ich zu selten dazu.

Dann wirst du auch kaum Zeit haben, deine Bucketlist abzutragen – oder hast du keine?

Doch, doch, es gibt schon ein paar Dinge. Ganz oben steht das Ziel, die Arbeit mit meiner Stiftung in Indien auszubauen, das ist für mich eine Herzensangelegenheit, die mich neben dem Tennisplatz so erfüllt wie kaum sonst etwas.

46 Paracontact I Sommer 2023
Rekrutin Buob mit ihrer Trainerin Stiftungsarbeit Engagement in Indien

Jetzt braucht es Taten

Am 24. März versammelten sich 44 Menschen mit Behinderung im Nationalratssaal und verabschiedeten zuhanden des Parlaments eine Resolution für mehr Inklusion und politische Teilhabe. Alex Oberholzer, langjähriges SPV­Mitglied, war einer davon.

Die grösste Herausforderung war, sich an der ersten nationalen Behindertensession einen Platz zu ergattern. Man musste gewählt werden. Über 200 Menschen mit Behinderung aus der ganzen Schweiz bewarben sich um einen Sitz bei der Pro Infirmis. Diese erstellte eigens für diese Wahl eine entsprechende Plattform. Die 44 Personen mit den meisten Stimmen erhielten einen der begehrten Plätze. (44 entsprechen 22 % der 200 Nationalratssitze, 22 % beträgt gemäss Statistik der Anteil an Menschen mit Behinderung in der Schweizer Bevölkerung). Ich musste mich also ins Zeug legen, mit Mails an Freunde und Bekannte, mit Beiträgen auf Facebook und diversen Posts auf Instagram. Es hat geklappt.

Kaum waren die 44 Parlamentarierinnen und Parlamentarier für einen Tag bestimmt, kam es zu Sitzungen, Chats, Telefonaten und Mails. Gleichsam durch die Hintertür begann ein regelrechter Politikbetrieb zu rattern. Es schien manchmal, als wollten einige der Gewählten am 24. März die Welt verändern. Zu lange hatte man geschwiegen, Bedürfnisse unterdrückt.

Missstände benennen

Je näher der Tag kam, desto dringender wurde auch die Frage nach der Kleidung. Soll ich mich den Vorbildern anpassen oder doch eher einen optischen Kontrapunkt setzen? Ich gebe es zu, auch die Nervosität stieg. Und mir war klar, ich würde das Wort ergreifen. Denn was Zugänglichkeit anbelangt, ist die Schweiz noch immer ein Entwicklungsland, und das sollte gesagt werden, wenn schon mal alle Kameras und Mikrofone auf uns gerichtet sind.

Vor dem Bundeshaus dann viele Menschen in Rollstühlen und mit Langstöcken sowie Medienschaffende, welche sich auf uns stürzten. Es wurden Interviews gemacht und Fotos geknipst. Schon erstaunlich, wie schnell es geht, bis man sich wie ein Parlamentarier fühlt. Nach der Einlasskontrolle durch die Polizei dann freie Fahrt mit dem Rollstuhl durchs Bundeshaus. Der Lift war zum Glück knapp gross genug, Treppenstufen wurden mit Rampen überdeckt. So wurde das Bundeshaus für Menschen mit Rollstuhl zugänglich gemacht. Nationalrats­ und Ständeratssaal, Wandelhalle, Café und selbstverständlich auch die Galerie des Alpes.

Weil es für alle von uns, ausser für Nationalrat Christian Lohr, die erste Parlamentssitzung war, verhielten wir uns äusserst diszipliniert. Kaum klingelte die Glocke, beendeten wir unsere Reden. So konnten alle Traktanden zügig und speditiv bearbei­

tet, die Abstimmungen durchgeführt und die Resolution zuhanden des Parlaments übergeben werden. Nach dem obligaten Gruppenfoto lud das Parlament zum Apéro riche in die Galerie des Alpes.

Wie weiter

Es war eine feierliche, eine erhabene, auch eine ziemlich emotionale, zuweilen ausgelassene Stimmung, welche an diesem Nachmittag den Nationalratssaal erfüllte. Wir machten uns hörbar. Wir machten uns sichtbar. Und wir waren viele. Am Schluss der Session versicherte uns Nationalrat Christian Lohr, das sei bestimmt nicht die letzte gewesen. Er werde dafür sorgen, dass weitere solche Sessionen folgen werden. Das ist auch nötig. Denn nach den Worten braucht es jetzt dringend Taten.

FOKUS
BEHINDERTENSESSION
Im Nationalratssaal ergreift Alex Oberholzer das Wort
Paracontact I Sommer 2023 47 Mehr
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48 Paracontact I Sommer 2023

Botschafterin, Unterstützerin, Sportlerin

Thuy Essellier leitet im Rollstuhlclub Valais Romand das Ressort Rechts­ und Sozialberatung. Daneben ist sie sportlich sehr aktiv: Die 49­Jährige legt pro Jahr rund 9000 Kilometer mit dem Handbike zurück – in einem adretten Outfit.

Wer mit Thuy Essellier in Sitten unterwegs ist, merkt rasch: Die Frau hat einen hohen Bekanntheitsgrad. Ein Hallo hier, ein Winken da, ein Schwätzchen dort – das ist Standard. Thuy Essellier liebt es, Menschen zu treffen, und sie liebt es genauso, Menschen zu helfen. Das tut sie im Rollstuhlclub Valais Romand des französischsprachigen Wallis als Verantwortliche für das Ressort Rechts­ und Sozialberatung. Seit 2019 leistet sie zudem als Eintrittscoach für Neumitglieder wertvolle Dienste. «Der Club ist wie eine zweite Familie für mich», sagt die 49­Jährige, «und für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, Solidarität zu zeigen und für andere da zu sein, wenn sie Unterstützung benötigen.»

Eine unverzichtbare Stütze

Thuy Essellier kam als Siebenjährige mit ihrer Mutter und den zwei Schwestern aus Vietnam in die Schweiz. Mit 19 erlitt sie bei einem Autounfall als Beifahrerin schwere Verletzungen, die sie zur Paraplegikerin machten. Unbeirrt fand sie ihren Weg. Sie zog ins Wallis, machte Sitten zu ihrem Lebensmittelpunkt, von dem sie schwärmt, und sie gehört seit dessen Gründung 1995 dem Rollstuhlclub Valais Romand an. «Ich bin stolz, ein Teil dieses Clubs zu sein», sagt die Sozialarbeiterin, die bei der Stiftung Emera in Sitten arbeitet.

2010 übernahm sie die aktuelle Funktion im Vorstand und ist eine unverzichtbare Stütze. Wenn ein Mitglied zum Beispiel eine juristische oder soziale Frage hat, das

Problem aber nicht selbstständig aus der Welt schaffen kann und deshalb Hilfe benötigt, wendet es sich an Thuy Essellier. Sie sucht nach Lösungen oder spricht sich mit der Rechtsabteilung der Schweizer Paraplegiker­Vereinigung ab. Zufrieden ist sie erst, wenn sie eine Lösung gefunden hat oder zumindest einen Beitrag geleistet hat, um voranzukommen. Sie engagiert sich mit Hingabe für Menschen mit einer Beeinträchtigung, damit sie ein selbstbestimmtes Leben führen können. In diesem Zusammenhang zitiert sie den deutschen Philosophen Immanuel Kant: «Autonomie ist die Grundlage der Menschenwürde.»

Mit High Heels auf dem Handbike

Zu tun hat Thuy Essellier stets genug. Ihr Rollstuhlclub zählt insgesamt rund 200 Aktiv­ und mehr als 90 Passivmitglieder, und er steht im Ruf, sehr aktiv zu sein. Sie ist Stammgast an Kultur­ oder Sportanlässen. Vor ihrem Unfall war sie nicht besonders sportlich, heute spielt sie Tennis, besucht dreimal pro Woche das Fitnesscenter und mag auch das Fechten. Ausserdem ist sie begeisterte Handbikerin. Kontinuierlich hat sie den Trainingsumfang gesteigert, inzwischen legt sie pro Jahr durchschnittlich rund 9000 Kilometer zurück und fällt dabei mit ihrem Outfit auf, das zu ihrem Markenzeichen geworden ist: Die Walliserin trägt bevorzugt einen Rock und … High Heels. Ihr Erscheinungsbild ist ihr wichtig, sie sagt: «Wenn ich mit jemandem verabredet bin, ist es für mich eine Frage des Respekts, gut angezogen zu sein.»

Thuy Essellier, die sich als Familienmensch und passionierte Leserin bezeichnet, betont, wie gut die Zusammenarbeit mit der SPV in Nottwil funktioniert. «Wir haben das Glück, dass wir in unserem Land eine Organisation wie die SPV haben», sagt sie, «die Dienstleistungen der SPV sind von immenser Bedeutung.» Darum, fügt sie an, sei sie nicht nur Repräsentantin des Rollstuhlclubs Valais Romand, sondern auch der SPV.

Unermüdlich und vielseitig engagiert

Die Frau strotzt vor Tatendrang und Energie. Nach dem Gespräch steht ein Abstecher auf dem Programm: Sie fährt mit dem Handbike von Sitten nach Martigny und wieder zurück, alles in allem 60 Kilometer. Sie rechnet genügend Zeit ein und schmunzelt: «Ich treffe unterwegs sicher noch Leute.»

Paracontact I Sommer 2023 49 FOKUS UNSERE HELFER

Mit Sport und Spass

Seit mehr als 21 Jahren motiviert Thomas Hurni unsere Mitglieder zu einem gesunden Bewegungsverhalten und Sport.

Von Evelyn Schmid

An Ideen mangelt es ihm nie. Und Überraschungsmomente sind ihm genauso wichtig wie eine gute, durchdachte Vorbereitung und klare Ziele. Wenn man mit dem Leiter Breitensport – Freizeit – Gesundheit spricht, spürt man, dass ihm seine Projekte Spass machen.

Als Primar­ und Sportlehrer war es schon immer Thomas Hurnis Aufgabe, Menschen zu motivieren. So wundert es auch nicht, dass ihn 2002 die Stelle bei der SPV mit dem saloppen Titel «Animation Breitensport» angesprochen hat. Anfangs ging es bei der 50%­Stelle darum, Sportangebote für alle zu fördern und die dazu nötigen Kursleiterinnen und ­leiter auszubilden. Später quetschte man auch noch den Nachwuchs und die Hauptverantwortung für Leistungssportbereich von Ski Alpin in seinen Aufgabenbereich. Sein anfängliches Teilzeitpensum bei der SPV stockte er daher nach und nach auf und das als Lehrer ab.

Offene Ohren

Mit der voranschreitenden Professionalisierung des Sportangebotes kamen neue Projekte dazu. Thomas Hurni ist nicht jemand, der gute Ideen über den Haufen wirft, nur weil sie nicht von ihm stammen. So übernahm er beispielsweise das Kids Camp und entwickelte es weiter. Es freut ihn, wenn Teilnehmende sagen, dass sie auch nach Jahren immer noch Neues erleben. Dabei hält er sich an die Devise: Man kann vieles Unmögliche möglich machen, wenn man es mit Beharrlichkeit und Improvisationstalent versucht. Als dreifacher Vater von Teenagern weiss er zudem, was Jugendliche interessiert. Auch dass er viel Sport macht, hilft ihm, neue Sportarten einzuführen. Selbst begeistern ihn Rudern, Biken, Langlauf, Skifahren und vieles mehr.

Gemeinsam mit seinen Mitarbeitenden entwickelte er auch das Freizeit­ und Multisport­Camp «move on» über die letzten

Jahre weiter. Immer wieder neue Angebote zu finden, macht ihm Spass. Ein offenes Ohr ist dabei wichtig. So hat er auch die nebenbei erwähnte Idee einer Mitarbeiterin für eine inklusive Radtour nicht einfach überhört, sondern aufgenommen. Daraus entstand der Giro Suisse, der bereits dreimal erfolgreich durchgeführt wurde.

Auf Augenhöhe

Wenn man mit Thomas Hurni über sein Team spricht, kommt er ins Schwärmen. Er habe es nicht gerne, wenn man ihn mit Chef anspricht. Er arbeite mit allen auf Augenhöhe, auch wenn sie unterschiedliche Aufgaben haben. Das lebt er auch in seinem neuen, beziehungsweise erweiterten Team so. Seit gut einem Jahr hat er die Verantwortung für den Nachwuchs abgegeben, dafür gehören nun die Themen Freizeit und auch Gesundheit zu seinem Aufgabenbereich. «Es ist eine grosse Herausforderung, herauszufinden, was die Rollstuhlclubs und die Mitglieder in Zukunft wünschen. Viele Freizeitangebote können heute zusammen mit Fussgängern gemacht werden und Freizeiteinrichtungen wie Kino oder Museen werden zum Glück immer barrierefreier», erklärt er. Aktuell arbeitet er daran, gemeinsam mit externen Partnern Kurse in den Bereichen Kreativität und Gesundheit für Personen im Rollstuhl zu öffnen. Es sind genau solche Aufgaben, die Thomas Hurni seit jeher reizen. Man darf gespannt sein auf weitere innovative Ideen.

50 Paracontact I Sommer 2023 FOKUS
FÜR SIE DA

• Die Schutzhülse hilft, den Katheter vor Kontakt mit Bakterien in den ersten 15 mm der distalen Harnröhre zu bewahren und hilft, das Risiko eines Bakterientransfers in den Harntrakt zu reduzieren

• Die Schutzfolie ermöglicht es, den Katheter überall anzufassen und stellt eine Barriere dar, die hilft, Keime vom Katheter fernzuhalten

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