DIE ERNÄHRUNG VOLUME 45 | 02.2021

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VIREN – IN ALLER MUNDE! Es geht hier nicht um SARS-CoV2, auch nicht um die Covid-19-Pandemie, wohl aber um Viren und damit zusammenhängende Begriffe wie RNA, PCR und cycle threshold (ct-Wert). Auch auf Besonderheiten von Viren, im Speziellen von lebensmittel-ASSOZIIERTEN Viren, wird eingegangen. Nikolaus Hoffmann

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it dem Blick auf Viren betreten wir eine frem­ de, unheim­ liche Welt. Der Begriff Virus wird momentan so selbstver­ ständlich verwendet, dass man fast vergessen könnte, dass fast niemand von uns auch nur an­ nähernd eine Vorstellung davon hat, was Viren überhaupt sind. Allgemeine Aussagen über Viren müssen sehr weit ge­ fasst werden, um nicht falsch zu sein. Das schließt auch die Definition von Viren ein, welche immer wieder, mit der Entdeckung neuer Viren, angepasst und erweitert wer­ den muss. Denn Viren sind keine einheitliche Gruppe. Tatsächlich sind sie so he­ terogen, dass es ohne biolo­ gische Vorkenntnis schwer ist, ihre Diversität zu über­ blicken. Ein Beispiel dazu: Wenn Sie eine Tulpe, eine Qualle und einen Menschen miteinander vergleichen, handelt es sich im Verhält­ nis zu Viren um eine Gruppe sehr ähnlicher Organismen. Am besten lassen sich Viren wohl über eine grundsätzli­ che „Funktionsweise“ ein­ grenzen, wobei die Details sehr unterschiedlich sein können. Viren sind nicht un­ bedingt Krankheitserreger, auch wenn der menschliche Kenntnisstand über Viren vor allem auf der Untersu­

chung von Krankheitserre­ gen beruht.

Viren sind keine Lebewesen Die Aussage, Viren sind keine Lebewesen, klingt sehr klar und verständlich, ist aber unter Fachleuten umstritten, oder zumindest in Diskussi­ on. Viren sind keine Lebewe­ sen, „verhalten“ sich aber in vielen Aspekten wie Lebewe­ sen und unterliegen auch den Gesetzmäßigkeiten der Evo­ lution. Um die Situation zu verdeutlichen, könnte man die Aussage enger fassen: Viren sind außerhalb ihrer Wirtszellen keine Lebewesen, weil sie keinen eigenen Stoff­ wechsel haben und sich ohne ihren Wirt nicht vermehren können. Die Situation ändert sich aber schlagartig, sobald das Virus in eine Wirtszel­ le eindringt. In der Wirts­ zelle übernimmt das Virus Teile der Zellmaschinerie, „versklavt“ sie und bringt diese dazu, für sich zu ar­ beiten. So produzieren die­ se im Wesentlichen neue Viruspartikel, die dann auf verschiedene Weisen aus der Zelle frei werden. Im Inneren der Wirtszelle, also praktisch „gemeinsam“ mit der Wirtszelle, verhält sich

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das Virus wie ein Lebewesen. Es scheint, als ob Viren das Leben der Wirtszelle ausbor­ gen würden, weshalb die oft dogmatisch wiedergegebene Meinung, Viren seien keine Lebewesen, gelegentlich für Diskussionen sorgt.

Ein Schalter für die Gentechnik Die Eigenschaft der Viren, die Zellmaschinerie ihrer Wirte für sich arbeiten zu lassen, wird technologisch genutzt. Jeder, der ein Le­ bens- oder Futtermittel auf „Gentechnik-Freiheit“ un­ tersuchen lässt, stößt auf eine Untersuchung, die sich in etwa „Screening nach dem 35S-CaMV-Promotor“ nennt. Wobei die Buchsta­ benfolge CaMV für Cauli­ flower-Mosaic-Virus steht. Das CaMV wird häufig in verschiedenen Kreuzblütern, z.B. Karfiol, Senf, Raps, ge­ funden, für den Menschen ist es vollkommen harmlos. Im Zuge der Entwicklung gen­ technisch-veränderter Orga­ nismen wurde ein Stückchen der Virus-DNA, der 35S-Pro­ motor, als Steuerelement verwendet. Pflanzen erken­ nen den 35S-Promotor und beginnen, auf den Promotor folgende Gene umzusetzen. Der 35S-Promotor dient so­

mit als eine Art universeller „Ein“-Schalter. Diese Eigen­ schaft wurde in zahlreichen gentechnisch veränderten Pflanzen genutzt, sodass die Suche nach dem 35S-Promo­ tor einen guten Hinweis auf das Vorliegen eines GVO in einer Probe gibt.

Viren auf Lebensmitteln Für Lebensmittelprodu­ zenten geben – nicht nur in Corona-Zeiten – vor allem lebensmittelassoziierte hu­ man-pathogene Viren Grund zur Sorge. Das können sein: HAV (Humanes Hepatitis A Virus), Noroviren, auch He­ patitis E und Rotaviren. Auf dem Lebensmittel befinden sich diese Viren außerhalb ihres Wirtsorganismus. Sie sind daher als tote, infektiö­ se Partikel zu betrachten. In logischer Konsequenz dieser Situation kann also nicht von „lebendig“ und auch nicht von „Abtöten“, sondern bes­ ser nur von „infektiös“ und „Inaktivieren“ die Rede sein. Diese Unterscheidung ist nicht bloß akademisch-philo­ sophisch, sie ist wichtig, um die Besonderheiten und die teilweise ungewohnten He­ rangehensweisen bei der Un­ tersuchung und beim Nach­ weis von Viren zu verstehen.


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