9 minute read

Sigrid Eder

3.3

Über die facettenreiche Rede von Gott in der Bibel

Gottesbilder im Buch Exodus und im Ijobbuch

Sigrid Eder

Biblische Texte sprechen in einer großen Vielfalt von Gott und bringen damit ganz unterschiedliche Gottesbilder zur Sprache. So wird davon erzählt, dass Gott sich in seiner Freundlichkeit den Menschen zuneigt, dass Gott Geborgenheit und Nähe schenkt, Orientierung gibt, dass Menschen sich auf Gott verlassen können, selbst wenn sie von Feinden bedroht werden, dass Gott schützt, Halt gibt und aus schwierigen Situationen befreit. Gerade diese Rede von Gott, der aus Enge, Unterdrückung, Sklaverei und Unmenschlichkeit in ein menschenwürdiges und freies Leben führt, steht im Zentrum des biblischen Buches Exodus. Dieses zweite Buch der Bibel beginnt damit, dass das Volk Israel in Ägypten groß geworden ist und erzählt von der Geburt des Mose, vom Auszug (Exodus) des Volkes Israel aus Ägypten bis zum Aufenthalt am Berg Sinai.

Bevor es zum Auszug und damit zur Befreiung Israels kommt, wird von zehn Plagen erzählt (Ex 7–12,36), welche zunächst drastische Beeinträchtigungen des Lebens in Ägypten bewirken und in weiterer Folge eine vollständige Vernichtung menschlicher Lebensgrundlagen wie Wasser, Tiere und Ernte nach sich ziehen. Ein Umdenken beim Pharao, das Volk Israel endlich gehen zu lassen, bewirken sie jedoch nicht. Die Plagenerzählungen sind nicht auf historische Naturkatastrophen zurückzuführen. Dazu fehlen ägyptische Quellen. Sie beschreiben keine naturkundlichen Sachverhalte und können damit nicht naturalistisch erklärt werden, auch wenn Grundkenntnisse typischer ägyptischer Naturvorgänge für ihre Darstellung verwendet wurden wie z. B. der Vorgang, dass sich im Zuge eines Nilhochwassers die Sedimente im Fluss rot färben (vgl. Berner 2011, 2–3). Die Plagenerzählungen wollen, wie alle anderen biblischen Texte auch, in erster Linie Botschaften vermitteln und verfolgen zwei Ziele: Erstens, dass dem Volk Israel der Auszug aus Ägypten gestattet wird, da der Pharao durchgehend eine verhärtete Haltung einnimmt und sich weigert, die Israelit*innen gehen zu lassen; zweitens, dass der Pharao, ganz Ägypten, das Volk Israel und auch alle Lesenden zur Erkenntnis des wahren Gottes kommen (vgl. Berner 2011, 1). Dieser ist der Gott Israels – und nicht der Pharao oder die ägyptischen Wahrsager mit ihrer Zauberkunst. Die Erzählungen über die Plagen sind also nicht als von Gott geschickte Katastrophen zu lesen, sondern sie dienen als göttlicher Machterweis und sind als Zeichen und Wunder, die zur Anerkennung der Macht Gottes führen, zu deuten (vgl. Dohmen 2018, 117). Wenn später im 14. Kapitel des Exodusbuches (Ex 14 – Durchzug durch das Schilfmeer) erzählt wird, dass das Volk Israel gerettet wird, indem die ägyptischen Streitkräfte im Meer versinken, dann betont diese Erzählung ebenso die Handlungsmacht des Gottes Israel, der mit aller Macht – und wenn es sein muss auch mit Gewalt – für sein Volk, das durch und in Ägypten unterdrückt war, Partei ergreift. Das dem Volk Israel angetane Unrecht wird damit geahndet und die Bedränger überwunden. Gott steht auf der Seite der Opfer, nicht auf der Seite der Machthabenden. Der militärisch hochgerüstete Pharao, der als Gott verehrt werden will, geht in dieser Auseinandersetzung mit der Gottheit Israels, die sich als wahrer Gott erweist, als Verlierer hervor. So kann der Text auch kriegskritisch gelesen werden, denn letztlich gewinnen die, die auf die Stärke Gottes vertrauen und nicht diejenigen, die auf militärische Kriegsmaschinerie setzen. Somit ist der Sieg allein der göttlichen Macht (und nicht Menschenmacht) zu verdanken. Er kann als Ausdruck des aktiven Eingreifens Gottes in die Geschichte seines Volkes mit dem letztendlichen Ziel der Gewaltüberwindung gelesen werden (vgl. Lass 2018, 84.94).

Diese und weitere biblische Darstellungen von Gott, der Kriege führt und Feinde entmachtet, lassen darauf schließen, dass das Volk Israel in seiner Geschichte vielfache Erfahrungen mit gewalttätigen Angriffen, Krieg, Unterdrückung, Zerstörung, Flucht, Verschleppung und Migration machen musste. Die biblischen Texte sind in einem Zeitraum von ca. 800 v. Chr. bis 200 n. Chr. in den Kulturen Palästinas und dessen Umwelt (Ägypten und Mesopotamien) sowie in Teilen des römischen Reiches bzw. des antiken Mittelmeerraumes entstanden und in den Sprachen Hebräisch, Aramäisch und Griechisch verfasst worden. Biblische Texte aus dem Alten Testament sind damit ca. 2500 Jahre alt und in für uns fremden Kulturen entstanden. Ein Durchgang durch die Geschichte zeigt, dass das kleine Volk Israel immer wieder in Kriegshandlungen verwickelt war und meist unter Einfluss fremder Herrscher wie Ägypten, Assyrien, Babylonien, Persien und Griechenland und deren unterschiedlichen Strukturen imperialer Macht und Kontrolle stand. Gewalterfahrungen altorientalischer Kriegsführung und Kriegsverbrechen haben sich somit in den Texten der Bibel niedergeschlagen. Biblische Texte, die Gewalt thematisieren, können ihre Funktion darin haben, sich mit eigenen Gewalterfahrungen auseinanderzusetzen, diese zu verarbeiten und zu deuten (vgl. Baumann 2006, 17).

Wird nun Gott in den Texten als kriegführend dargestellt, so spiegelt dies den damaligen Hintergrund wider, dass Kriege auch immer Kriege zwischen Gottheiten sind. Die eigene Gottheit muss daher als Siegerin beschrieben werden, soll sie die eigentliche Schutzgöttin sein, auf deren Rettung aus Unterdrückung sich Israel vollkommen verlassen kann. Diese altorientalische Kriegsrhetorik dient als Vorlage für die alttestamentlichen Texte und hat damit Eingang in die Bibel gefunden. Vorausgesetzt wird, dass es eine Fülle von Göttern gibt. Ein gegen Kriegsparteien gewinnender Gott zeigt die Macht des je eigenen Gottes auf: Was wäre das für ein Gott, der sich nicht gegen andere Völker und somit gegen andere Götter durchsetzen könnte? (vgl. Brandscheidt 2009, 4). Der Blick auf die besiegten Völker und deren Sichtweise auf die dargestellte Gottheit ist nicht wesentlich. Vielmehr wird die Perspektive aus der Sicht der Unterdrückten dargestellt. Die Exodus-Texte stellen das Schicksal des in Ägypten versklavten Volkes Israel ins Zentrum und sind als Erinnern des Leidens zu verstehen (vgl. Fischer 2011, 142). Der Durchzug durch

das Schilfmeer in Ex 14 kann als eine Erzählung gegen die Angst vor feindlicher Übermacht und als Ausdruck der Hoffnung auf die rettende Hilfe des eigenen Gottes gelesen werden. Gott rettet sein Volk aus der Macht des Todes, daher hat dieser Text Eingang in die christliche Osterliturgie gefunden (vgl. Eder 2010, 18).

Von einer Wandlung durch Gott aus tiefer Not in neues Leben erzählt auch das biblische Buch Ijob. Allerdings wird darin Gott selbst für das unendliche Leid, das Ijob trifft, verantwortlich gemacht. Der tiefgläubige Ijob erfährt einen Schicksalsschlag nach dem anderen und verliert nach seinem Besitz, seiner Dienerschaft und seinen Kindern die eigene Gesundheit, indem er an einem schweren Ausschlag erkrankt. Nimmt Ijob zu Beginn sein Schicksal demütig an, so beginnt er nach einer Zeit des siebentägigen Schweigens in Anwesenheit seiner Freunde bitter zu klagen. Als „Symbolgestalt der Anfechtung des Leidenden vor seinem Gott“ (Marböck 2014, 127) gilt Ijob als einer der leidenschaftlichsten biblischen Figuren, die ihre Not vor Gott bringen. Ijob hadert mit Gott, er klagt Gott an, schreit seine Not und das Unverständnis darüber direkt hinaus, macht Gott für sein Schicksal verantwortlich, wirft Gott alles hin und fordert ihn zu einem Rechtsstreit heraus. So finden sich in diesem biblischen Buch sowohl die schärfsten Anklagen gegen Gott (vgl. Marböck 2014, 131) als auch die größte Ambivalenz in der Darstellung der biblischen Gottesbilder. Ijob schildert Gott als einen, der Unrecht zufügt, der völlig willkürlich handelt, der wie ein Feind und so aggressiv wie ein Raubtier agiert (Ijob 16). Ijob beklagt einerseits Gottes bedrängende und zerstörerische Nähe (vgl. Kellenberger 2009, 229), andererseits schimmern in den Klagen Ijobs konkrete Vorstellungen von Gott, der rettend und erlösend eingreifen wird, durch (z. B. Ijob 19,25–27). Das Buch Ijob stellt wie kein anderes biblisches Buch die Frage nach unverschuldetem Leid. Dabei gibt sich das Buch Ijob mit den traditionellen Antworten der Freunde auf das Leid als Folge menschlicher Schuld, als Teil der Natur des Menschen, als eine Form göttlicher Erziehung und als eine Prüfung des Frommen nicht zufrieden (vgl. Schwienhorst-Schönberger 2018, 1174–1175) und sprengt damit die klassischen Antwortversuche auf die Frage nach dem Umgang mit schwerem Leid in der Welt und wie es angesichts dieses Leides einen guten und gerechten Gott geben kann (Theodizeefrage). Schließlich, so wird erzählt, erhält Ijob von Gott selbst Antwort in den sogenannten Gottesreden (Ijob 38–40,2; 40,6–41,26). Darin werden jedoch weder der Sinn des Leidens noch dessen Ende eröffnet. Ijob wird in die Schranken gewiesen. Menschliches Erkenntnisvermögen ist prinzipiell begrenzt, die Größe Gottes unergründlich. „Auch im Widersinn und Chaos wirkt Jahwe“ (Oorschot 1999, 212) – so die Hauptbotschaft der Gottesreden.

Das Buch Ijob geht gut aus. Ijob wird wiederhergestellt, vom Leiden befreit. Er stirbt alt und lebenssatt. Dieses Ende zeugt von der Hoffnung, dass das Leiden ein Ende hat, dass ein Leben in Zufriedenheit und Glück nach allem Leiden möglich ist. Ijobs Fragen nach dem Warum, Woher und Wozu des Leidens im Horizont der Gottesfrage bleiben im Buch ungelöst. „Am Ende des Hiobbuches ist nicht davon die Rede, dass sich die richtige Lehre durchsetzt, sondern davon, dass einer nach langem Leiden wieder leben konnte“ (Ebach 2014, 168). Ijob verwandelt die unmittelbare personale Gottesbegegnung. Er sagt selbst, dass er Gott mit eigenen Augen gesehen hat (Ijob 42,1–5). Dies ist eine sehr außerordentliche Weise der Gotteserfahrung. „Ijob erfährt Gott als einen, der ihm wirklich Antwort gibt. Sein Reden, Klagen und Schreien läuft nicht ins Leere. Gott zeigt sich dem geschundenen Menschen“ (Müllner 2006, 63). Die Bibel kennt in ihren Textwelten, in denen sie von den tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen – und nicht etwa von philosophisch-abstrakten Vorstellungen über den Menschen und dessen Verhältnis zu Gott – ausgeht, keine heile Welt. Auch wenn es viel Heiles in der Welt gibt, so gibt es auch heute keine heile Welt. Die Bibel konfrontiert gegenwärtige Lesende mit Erzählungen über einen Gott, der die Grenzen menschlichen Verstehens aufzeigt und der sich dem leidenden Menschen zuwendet (Ijob). Sie erzählt von einem Gott der Gegen-Gewalt, der Gerechtigkeit herstellt und die Unterdrücker entmachtet (Exodus). Auch heutzutage gibt es Menschen, für die ein weniger ,,harmonischer“ Gott eher ihrer Lebenswelt und Lebenserfahrung entspricht. Die „dunklen“ Seiten im Gottesbild zeugen von der Vielschichtigkeit der biblischen Rede von Gott und fordern immer neu zur Auseinandersetzung mit biblischen und den je eigenen Gottesvorstellungen heraus.

Literatur

Baumann, G. (2006). Gottesbilder der Gewalt im Alten Testament verstehen.

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Berner, C. (2011): Plagen/Plagenerzählung. In: Bauks, M./Koenen, K. (Hrsg.). Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de). Stuttgart, 1–12 [https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/31084/] Brandscheidt, R. (2009). Der Gott des Alten Testaments und die Gewalt. In: Trier

Theologische Zeitschrift 118, 1–15. Dohmen, C. (22018). Das Buch Exodus. In: Stuttgarter Altes Testament Bd. 1, hrsg. von Dohmen, C., Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 106–177. Ebach, J. (42014). Streiten mit Gott. Hiob Teil 2, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener

Verlagsgesellschaft. Eder, S. (2010). Gewalt in der Bibel. Begrifflichkeit – Verstehenshilfen – Perspektiven, in: Protokolle zur Bibel 19, 1–20. Fischer, I. (2011). Wieso lässt Gott beim Exodus Pharaos Elitetruppe ersaufen? Zur

Gewaltproblematik der Schilfmeererzählung. In: Bibel und Kirche 3, 138–143. Kellenberger, E. (2009). Gottes Doppelrolle in Ijob 16. In: Biblica 90, 224–236. Lass, M. (2018). … zum Kampf mit Kraft umgürtet. Untersuchungen zu 2 Sam 22 unter gewalthermeneutischen Perspektiven. Bonner Biblische Beiträge 185. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht. Marböck, J. (2014). Ijob und sein Gott. In: Kogler, F./Fischer, I./ Hubmann, F. (Hrsg.). Faszination Bibel. Theologie im kulturellen Dialog 27. Innsbruck-Wien:

Tyrolia-Verlag, 127–134. Müllner, I. (2006). Das hörende Herz. Weisheit in der hebräischen Bibel, Stuttgart:

Kohlhammer. Oorschot, J. (1999). Gottes Gerechtigkeit und Hiobs Leid. In: Theologische Beiträge 30, 202–213. Schwienhorst-Schönberger, L. (22018). Das Buch Ijob. In: Stuttgarter Altes Testament Bd. 2, hrsg. von Dohmen, C., Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1173–1229.

This article is from: