ZUM W ER K JOH A N NES BR A HMS 24 Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
FRUCHT EINES SOMMERS
VON TOBI AS BL EEK
«Ich wohne hier reizend», schreibt Johannes Brahms im Juni 1883 an den befreundeten Wiener Chi rurgen Theodor Billroth: «Ursprünglich als Atelier gebaut, ist es nachträglich zum hübschesten Landhaus geworden, und so ein Atelier gibt ein herrliches, hohes, kühles, luftiges Zimmer! Unsere Gesellschaft hier würde Dir ungemein behagen!» Wie fast jedes Jahr hatte der Naturliebhaber Brahms auch 1883 seiner Wahlheimat Wien für die Sommermonate den Rücken gekehrt. Auf Vermittlung deutscher Freunde schlug er sein Sommer domizil diesmal am Rande der Kurstadt Wiesbaden auf. Während die Nachmittage und Abende mit langen Wanderungen im Umland und allerlei geselligen Aktivitäten gefüllt waren, konnte sich der 50-Jährige in den Morgenstunden und an den Vor-
mittagen in der Kühle des Atelierhauses oder auf einsamen Spaziergängen ungestört der Arbeit widmen. Welche Frucht in diesem Wiesbadener Sommer langsam heranreifte, hielt der in Schaffensdingen so schweigsame Komponist selbst vor den engsten Freunden lange geheim. Erst nach seiner Rückkehr in die Donaumetropole offenbarte er, dass er über den Sommer eine neue Sinfonie fertiggestellt hatte. Nach zwei privaten Voraufführungen der Klavierfassung im Freundeskreis wurde die 3. Sinfonie am 2. Dezember 1883 in Wien mit grossem Erfolg uraufgeführt. Mit ihren vier konzentrierten Sätzen und einer Gesamtspieldauer von ungefähr einer halben Stunde ist die Dritte die kürzeste der vier Brahms-Sinfonien. Dass sie bei den meisten Zeitgenossen auf vorbehaltlose Begeisterung stiess, liegt an der gelungenen Verbindung von musikalischer Komplexität und Zugänglichkeit. So schreibt der berühmte Wiener Kritiker und Brahms-Apologet Eduard Hanslick in seiner Uraufführungskritik: «Von klarer unmittelbarer Wirkung beim ersten Hören, wird sie beim zweiten, dritten und zehnten für jedes musikalische Ohr noch reicheren Genuss aus immer feineren und tieferen Quellen strömen lassen.» Was Hanslick hier meint, lässt sich an der Anfangspassage des 1. Satzes erläutern. Sie beginnt mit drei vollen Bläserakkorden, die auf wirkungsvolle Weise