Nr. 6 Saison 23/24 – Domestica

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DOMESTICA

28./29. 2. 2024

19. 30 UHR

PROGRAMM-MAGAZIN NR. 6

SAISON 23/24

Sinfonieorchester Basel

David Moreau, Violine

Edgar Moreau, Violoncello

Jérémie Moreau, Klavier

Robert Treviño, Leitung

STADTCASINO BASEL
CHF 5

ÜBERSICHT DER SYMBOLE

Diese Institution verfügt über eine Höranlage

Nummerierte Rollstuhlplätze im Vorverkauf erhältlich

Für Familien mit Kindern geeignet

Das Sinfonieorchester Basel verwendet geschlechtergerechte Formulierungen und weist Autor*innen bei der Vergabe von Textaufträgen im Vorfeld darauf hin. Es steht den Autor*innen jedoch frei, ihre Texte individuell zu gestalten.

INHALT PROGRAMM 5 UNSUK CHIN Subito con forza 6 LUDWIG VAN BEETHOVEN Tripelkonzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur 10 INTERVIEW Edgar Moreau, Violoncello 14 RICHARD STRAUSS Sinfonia domestica 18 INTERVIEW Robert Treviño, Leitung 22 RÜCKBLICK 26 FAMILIENGESCHICHTEN von Sigfried Schibli 28 ORCHESTERFAMILIEN Corina Belcea & Antoine Lederlin 32 LEXIKON DES ORCHESTERS von Benjamin Herzog 36 IN ENGLISH by Bart de Vries 38 VEREIN ‹FREUNDESKREIS SINFONIEORCHESTER BASEL› 39 IM FOKUS 41 DEMNÄCHST 42

DOMESTICA

Liebes Konzertpublikum

Unser Saisonthema ‹Familienbande› erreicht zumindest numerisch seinen Höhepunkt. Gleich drei Brüder werden in Beethovens Tripelkonzert auftreten: David, Edgar und Jérémie Moreau. Seit ihrer Kindheit musizieren sie zusammen, und sie werden gemeinsam ihr Debüt mit unserem Orchester erleben.

Robert Treviño, der schon in der vergangenen Saison mit Rachmaninows 2. Sinfonie bei uns gastierte, kehrt mit einem aussergewöhnlichen Werk zurück: Die Sinfonia domestica von Richard Strauss impliziert unser Saisonmotto bereits im Titel. Allerdings verstört bis heute so manche Konzertbesucher*innen das Programm dieser Sinfonie. Wie kann ein Komponist Ereignisse aus dem häuslichen Alltag in Musik setzen und intime Einblicke in sein Privatleben geben? Kinderspiel, Wiegenlied oder Besuch von Verwandten mag man noch verschmerzen – aber darf ein Komponist wie Richard Strauss das nächtliche Liebesspiel und den Streit mit der Ehefrau musikalisch nachzeichnen?

Vielleicht ignorieren Sie einfach sein Programm und lassen sich auf die herausragende Musik ein, die von einem opulent besetzten Orchester gespielt wird.

Wir wünschen Ihnen dabei viel Ver gnügen.

SINFONIEKONZERT

Die Brüder Jérémie, David und Edgar Moreau spielen Beethovens Tripelkonzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester.

VORVERKAUF, PREISE UND INFOS

VORVERKAUF

Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel

Aeschenvorstadt 2, 4051 Basel

+41 (0)61 206 99 96

ticket@biderundtanner.ch

Billettkasse Stadtcasino Basel

Steinenberg 14 / Tourist Info

4051 Basel

+41 (0)61 226 36 00

tickets@stadtcasino-basel.ch

Sinfonieorchester Basel

+41 (0)61 272 25 25

ticket@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch

ZUGÄNGLICHKEIT

Das Stadtcasino Basel ist rollstuhlgängig und mit einer Induktionsschleife versehen. Das Mitnehmen von Assistenzhunden ist erlaubt.

PREISE

CHF 105/85/70/55/35

ERMÄSSIGUNGEN

• Junge Menschen in Ausbildung: 50 %

• AHV/IV: CHF 5

• KulturLegi: 50 %

• Mit der Kundenkarte Bider & Tanner: CHF 5

• Begleitpersonen von Menschen, die für den Konzertbesuch eine Begleitung beanspruchen, haben freien Eintritt.

Die Anmeldung erfolgt über das Orchesterbüro.

GEHÖRSCHUTZ

Gehörschutz ist an der Abendkasse sowie am Welcome Desk im Foyer des Stadtcasinos Basel erhältlich.

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VORVERKAUF © zVg

DOMESTICA

Mi, 28. Februar 2024, 19.30 Uhr

Do, 29. Februar 2024, 19.30 Uhr

Stadtcasino Basel, Musiksaal

Unsuk Chin (*1961):

Subito con forza (2020)

Ludwig van Beethoven (1770–1827):

Tripelkonzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur, op. 56 (1804)

I. Allegro

II. Largo

III. Rondo alla Polacca

PAUSE

Richard Strauss (1864–1949):

Sinfonia domestica, op. 53 (1903)

I. Bewegt – Thema I – Thema II – Thema III

II. Scherzo (Munter)

III. Wiegenlied (Mässig langsam)

IV. Adagio (Langsam)

V. Finale (Sehr lebhaft)

Sinfonieorchester Basel

David Moreau, Violine

Edgar Moreau, Violoncello

Jérémie Moreau, Klavier

Robert Treviño, Leitung

Mi & Do, 18.45 Uhr, Hans Huber-Saal: Konzerteinführung mit Lea Vaterlaus

Mi: Im Anschluss an das Konzert

Kritikerrunde mit Benjamin Herzog im Hans Huber-Saal

ca. 5’

ca. 33’

ca. 41’

Konzertende: ca. 21.40 Uhr

PROGRAMM 5
HÖR’ REIN

UNSUK CHIN

Subito con forza

EINE HOMMAGE AN BEETHOVEN

VON ROBERT KIRZINGER Unsuk Chins Werk Subito con forza (‹Plötzlich mit Kraft›) entstand 2020 als eine kleine Hommage an Ludwig van Beethoven –in einem Jahr, in dem viele der geplanten Feierlichkeiten zum Jubiläum des Komponisten wegen der Pandemie ausgesetzt werden mussten. Die Partitur trägt den Zusatz «Anlässlich des 250. Jahrestages von Beethovens Geburt».

Die Komponistin äusserte, dass sie stark von Beethovens ständiger Suche nach neuen Richtungen in seiner Kunst, von seiner Auseinandersetzung mit neuen Herausforderungen und der Entwicklung neuer Lösungen in jedem seiner bedeutenden Werke beeinflusst sei. Die italienische Ausdrucksbezeichnung ‹subito, con forza› impliziert einen plötzlichen Wechsel von einer Textur zur anderen, ein häufiges Ereignis in Beethovens Musik. Chin hat in ihrem fünfminütigen Stück Bezüge dazu eingebettet, wobei manche davon gar nicht so versteckt sind. Sie erklärt selbst: «Was mich besonders reizt, sind die enormen Kontraste: von Vulkanausbrüchen bis hin zu extremer Ruhe».

Geboren in Seoul (Südkorea) lernte Unsuk Chin von ihrem Vater das Notenlesen, nahm Klavierunterricht und strebte eine Karriere als Konzertpianistin an, bevor sie sich an der Seoul National University auf die Komposition konzentrierte und bei Sukhi Kang studierte. Chin folgte dem Beispiel von Kangs Lehrer, dem bedeutenden koreanischen Komponisten Isang Yun, und entschied sich, ihre Studien in Deutschland fortzusetzen, wo sie mit György Ligeti arbeitete. Ausserdem machte sie im Studio für elektronische Musik an der Technischen Universität Berlin intensive Erfahrungen, die ihren Umgang mit akustischen Instrumenten bis heute beeinflussen.

ZUM WERK 6
7 ZUM WERK UNSUK CHIN
© Priska Ketterer

Ihr Lehrer Ligeti regte Chin dazu an, ungehemmt alle möglichen Musikstile –einschliesslich nicht-westliche Musik –zu verwenden, um ihre Ausdrucksziele zu erreichen und sich an den Feinheiten und Rätseln des Komponierens zu erfreuen. Diese Ansätze gipfelten in ihrem bisher grössten Werk, in ihrer Oper Alice in Wonderland (2007). Für ihr Violinkonzert wurde sie 2004 mit dem renommierten Grawemeyer Award ausgezeichnet.

Chin ist eine der versiertesten und gefragtesten Orchesterkomponist*innen der Gegenwart und wurde von vielen der wichtigsten Orchester in Asien, Europa und den USA mit Kompositionen beauftragt. Ihr Violinkonzert Nr. 2, Scherben der Stille, war ein gemeinsamer Auftrag des London Symphony Orchestra, des Gewandhausorchesters Leipzig und des Boston Symphony Orchestra für den Geiger Leonidas Kavakos, der auch die Uraufführung mit dem LSO und Sir Simon Rattle im Januar 2022 spielte. Im Februar 2023 waren Unsuk Chins Werke in zehn Konzerten des Festivals ‹Présences› von Radio France zu hören, und ihr jüngstes Orchesterwerk Alaraph wurde im August 2023 vom Sinfonieorchester Basel und seinem Chefdirigenten Ivor Bolton uraufgeführt.

Unsuk Chins Werke zeichnen sich durch brillante Oberflächenaktivität, Texturen aus hochaktiven Einzelstimmen sowie die Verwendung ungewöhnlicher Instrumentenkombinationen und erweiterter Spieltechniken aus. Damit werden einzigartige, scharfe Klänge erzeugt. Das Interesse der Komponistin an der spektralen harmonischen Zusammensetzung des Klangs und der Verwendung von Mikrotönen führt zu einer ätherischen, jenseitigen Wirkung, die sie in Verbindung mit einer breiten harmonischen Palette einsetzt. Diese Klänge werden mit sicherem Sinn für Erzählung und Ausdruckswirkung in eine musikalische Architektur eingebunden. Subito con forza, das viele Ereignisse auf kleinem Raum zusammenfasst, ist ein Mi-

UNSUK

krokosmos der klanglichen Vorstellungskraft der Komponistin und ihrer Freude an orchestraler Bewegung.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Boston Symphony Orchestra

Subito con forza

BESETZUNG

2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauke, Schlagzeug, Klavier, Streicher

ENTSTEHUNG 2020

URAUFFÜHRUNG

24. September 2020 im Concertgebouw in Amsterdam mit dem Royal Concertgebouw Orchestra unter der Leitung von Klaus Mäkelä

DAUER

ca. 5 Minuten

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ZUM WERK
CHIN

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BEETHOVEN Tripelkonzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur

BEETHOVENS ETHOS

Ein zunächst leise und vertraulich geäusserter Gedanke wird immer grösser. Eine Idee von Humanismus breitet sich aus, und eine Vor stellung, wie er zur bestimmenden

Kraft des Zusammenlebens der Menschen werden könnte.

Ludwig van Beethoven baute sein Tripelkonzert auf einer besonders beeindruckenden Thematik auf, die auf alle Themen und Sätze des Werks ausstrahlt und abfärbt. Aus den zunächst nur raunend im Orchester von den Bässen und Violoncelli angestimmten Motiven entwickelt sich im 1. Satz eine grandiose sinfonische Musik – mit dem Unterschied zu einer Sinfonie, dass drei Soloinstrumente konzertant in das Geschehen eingreifen und zu Dialogpartnern des Orchesters werden. Beethoven erzählt die Geschichte vom Menschsein am Schicksal von Einzelindividuen (Soloinstrumente) und des Kollektivs (Orchester). Die Grösse dieser Musik ist Ethos, das

aus ihr spricht. Das Hauptthema durchläuft im monumentalen 1. Satz verschiedene Stimmungen. So gibt es Akkorde und Harmoniefolgen, aus denen Erhabenheit entsteht. Dann wieder zieht sich die Musik in Innigkeit zurück, wie etwa in einer ganz zarten und ‹dolce› von Solovioline und Solovioloncello vorgetragenen Passage. Die aber immer wie der sich aufbauende, durchaus auch imperiale Musik des 1. Satzes lässt sich wohl auch mit zwei hochrangigen Fürsten der Monarchie in Beziehung bringen: dem Habsburger Erzherzog Rudolph von Österreich, für den Beethoven das Werk komponierte, und dem Fürsten Joseph von Lobkowitz, dem er es widmete. Mit der frühklassischen ‹Sinfonia concertante› hat diese Konzertmusik Beethovens nichts mehr zu tun, vielmehr ist dies konzertante Sinfonik. Man spürt den Atem des c-Moll-Gegenstücks, des Klavierkonzerts Nr. 3, und auch der Eroica – Werke, die in die Entstehungszeit des Tripelkonzerts fielen. Die solistische Besetzung des Klaviertrios in einem Konzertwerk blieb auf Jahrzehnte hin ein Einzelfall. Kein Komponist übernahm diese Besetzung, ehe sie Mitte des 20. Jahrhunderts von dem Russen Alexander Tscherepnin und dem Italiener Alfredo Casella wieder aufgegriffen wurde. Die ungewöhnliche Besetzung mit den drei Soloinstrumenten geht auf Beethovens Absicht zurück,

ZUM WERK 10
LUDWIG VAN

seinen prominenten Klavierschüler Erzherzog Rudolph von Österreich in ein konzertantes Geschehen einzubringen, ohne ihn als einzigen Solisten zu exponieren. Also fügte Beethoven dem Klavierpart zwei äusserst anspruchsvolle Streicherparts für die in Diensten des Erzherzogs stehenden Instrumentalisten Carl August Seidler (Violine) und Anton Kraft (Violoncello) hinzu. Bemerkenswert ist, dass in allen drei Sätzen das erste solistische Wort immer das Violoncello hat. Das führte dazu, dass man von dem Werk mitunter von einem ‹versteckten Cellokonzert› spricht, das Beethoven eben in Hinblick auf den damals überragenden Cellisten Anton Kraft komponiert hätte. Das Werk enthält tatsächlich einige der schwersten Passagen der gesamten Konzertliteratur für dieses Instrument. Zudem gibt es im langsamen 2. Satz eines der schönsten Themen, die je für eine Solocellostimme geschrieben wurden. In diesen vom Klavier mit ätherischen Figuren umrankten Liedgesang ohne Worte stimmen dann auch Violine, Klarinetten und Fagotte ein.

Die etwas ungleichgewichtige Behandlung der Soloparts hat zwar zu einer häufigen Bewertung des Werks als unausgeglichen und nicht vollends gelungen geführt. Aber es erfüllt in seiner Eigenart höchste Ansprüche. Das oft kammermusikalisch geführte Solistentrio wird in eine farbenreiche und vielschichtige Instrumentierung eingebettet. Die thematische Gestaltung ist in ihrer Effizienz bester Beethoven: Mit wenig Mitteln erzeugt er enorm viel Wirkung. Das erhabene Hauptthema trägt in seiner aufsteigenden punktierten Antriebsfigur auch schon Merkmale des Seitenthemas in sich, das zwar kantable Vorzüge hat, aber die Stimmung des Hauptthemenkomplexes beibehält. Das romantische Thema des 2. Satzes ist ebenfalls deutlich mit dem Anfangsmotiv des Werks verwandt. Und auch das Rondo -Thema des Finalsatzes bewegt sich in seiner Grundstruktur im

Beethoven komponierend am Klavier, Gemälde von Carl Schlösser (um 1890)

Intervallrahmen der Quart und in ähnlichen rhythmischen Bahnen. Im Finale schlägt Beethoven einen tänzerischen Dreiertakt an, im Tempo alla Polacca, wie zwischen Polka und Polonaise schwankend. Der thematische Charakter wandelt sich von einem melodiösen Auftakt über marschartige Töne bis zum Tanzschwung. Eine schöne Vorstellung: Alle Menschen tanzen miteinander.

Tripelkonzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur

BESETZUNG

Klavier, Violine und Violoncello solo, Flöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauke, Streicher

ENTSTEHUNG um 1804

URAUFFÜHRUNG

18. Februar 1808 im Leipziger Gewandhaus

DAUER ca. 33 Minuten

11 ZUM WERK LUDWIG VAN BEETHOVEN
© akg-images

‹CONCERT

CORNER› –

KONZERT EINFÜHRUNGEN FÜR UNTERWEGS!

In unserem neuen Podcast ‹Concert Corner› treffen sich Benjamin François, Hans-Georg Hofmann (Künstlerischer Direktor des Sinfonieorchesters Basel) und Lea Vaterlaus in lockeren Gesprächs runden, um den Hintergründen der Klassik auf die Spur zu kommen.

Die Podcasts sind als Kon zerteinführungen gedacht und stehen ca. 3 Wo chen vor dem jeweiligen Sinfoniekonzert über unsere Website sowie über Spotify zur Ver fügung. Hören Sie rein!

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EDGAR MOREAU im Gespräch

NICHTS IST IN STEIN GEMEISSELT

VON BENJAMIN FRANÇOIS

Die CD-Aufnahme der französischen Geschwister Edgar, Raphaëlle, David und Jérémie Moreau mit Quartetten von Dvořák und Korngold im Jahr 2020 liess aufhorchen. Mit seinen Brüdern wird der Cellist Edgar Moreau Ende Februar 2024 Beethovens Tripelkonzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester, op. 56 mit dem Sinfonieorchester Basel aufführen. Eine Gele genheit, die Moreau-Trinität und ihre Familien bande näher zu ergründen.

«Wir brauchten keine langen Diskussionen, um zu beschliessen, gemeinsam öffentlich aufzutreten.»

BF Bedeutet das Aufwachsen im gleichen Elternhaus zwangsläufig auch eine Verwandtschaft in der musikalischen Sensibilität?

EM Das hängt sicherlich von den menschlichen und innerfamiliären Bindungen ab. In unserem Fall waren die Altersunterschiede gering – zwischen mir, dem Ältesten, und Jérémie, dem Jüngsten, sind alle Geschwister innerhalb von fünfeinhalb Jahren geboren, sodass wir unsere gesamte Kindheit zusammen erlebten. Wir musizierten, wenn wir von der Schule nach Hause kamen, wir hörten dieselben CDs ... Kurzum, es wurden sehr enge Bindungen aufgebaut, auch wenn später jede*r einen eigenen Weg ging: Meine beiden Brüder gingen nach Deutschland, um ihre Ausbildung zu absolvieren, und meine Schwester ging in die Schweiz. Heute sind wir alle Pariser* innen – es gab eine Art Rückkehr zu den Wurzeln. Wir brauchten keine langen Diskussionen, um zu beschliessen, gemeinsam öffentlich aufzutreten. Unsere Erziehung hat uns

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INTERVIEW
15 EDGAR MOREAU INTERVIEW © Julien
Mignot

dieselbe ‹Chemie› mitgegeben in Bezug auf die musikalische Ästhetik. Das gemeinsame Arbeiten geht relativ schnell. Da wir uns sehr nahestehen, geht das manchmal etwas zulasten der Diplomatie. Aber selbst am Ende eines vielleicht rauen Arbeitstags wissen wir, wie wir diese schöne Nähe bewahren können.

BF Reservieren Sie sich regelmässige gemeinsame Probezeiten? Wie halten Sie das Gleichgewicht zwischen Solokarriere und TrioProjekten?

EM Seit ich Professor am Konservatorium in Paris bin, ist es schwieriger, die Termine zu koordinieren, aber wir haben es immer geschafft, uns Arbeitszeit ein zu räumen, die sich am Rhythmus der Kon zerte orientiert. Wir investieren die Zeit, die wir brauchen, um uns beispielsweise auf Beethovens Tripelkonzert, op. 56 vorzubereiten. Auch wenn der Name ‹Moreau› eine vorrangige Präsenz hat, legen wir Wert darauf, dass unsere Vornamen auch unabhängig voneinander existieren. Das gibt uns die Freiheit, an anderen Projekten teilzunehmen, und nährt jeweils unser nächstes Trio-Treffen. Im Allgemeinen versuchen wir, jährlich ein Kammermusikprogramm zusammenzustellen, sodass wir es gründlich bearbeiten können. Es ist ein Glück, dass wir uns oft als Familie sehen und die Arbeit bei jeder Probe vertiefen können. Unsere Arbeitsweise gleicht dem eines konstituierten Streichquartetts.

BF Ist das hohe Niveau das Ergebnis eines – im positiven Sinne –familiären Wettstreits? Treffen Sie künstlerische Entscheidungen im Kollektiv?

EM Da ich als ältester Bruder meine Laufbahn sehr früh begann, habe ich meine Geschwister in diesen musikalischen Anspruch hineingezogen. Gleichzeitig ist jede*r völlig frei, die eigene Freiheit zu nutzen, um aus der Familiendynamik auszubrechen und die Solo-

karriere vorzuziehen. Wie es bei meiner Schwester Raphaëlle derzeit der Fall ist: Nichts ist in Stein gemeisselt. Das deckt sich mit meinem Traum, ein festes Trio zu gründen, indem wir gemeinsam langsam weitergehen und unsere Ansprüche auf das höchste Niveau treiben. Das ist für mich ein sehr befriedigendes künstlerisches Ziel. Innerhalb des Trios versuchen wir alle, unsere Ideen zu verteidigen, und wir finden gute Kompromisse im Sinne eines gemeinsamen Lernens, bevor wir unsere Individualität in den Vordergrund stellen.

BF Zu Beethovens Tripelkonzert liest man oft, dass Erzherzog Rudolph am Klavier den beiden anderen Solisten nicht ganz ebenbürtig war. Wie gehen Sie mit dieser historisch bedingten Unausgeglichenheit im Trio um? EM Ich habe dieses Tripelkonzert mit sehr vielen Pianisten aus unterschiedlichen Generationen gespielt und kann versichern, dass sie diesen schlichten, aber alles andere als simplen Klavierpart fürchten. Die Stimme schweigt oft, um dann vier oder fünf kleine Arpeggien zu spielen, bevor sie sich wieder zurückzieht. Dies ist unüblich in der Klavierliteratur, wo Pianist*innen oft mit begleitenden Streicher*innen zu tun haben. Das Wunderbare an diesem Werk ist sein kammermusikalischer Aspekt. Es ist ein Kompromiss zwischen einer Sinfonie und einem Konzert. Es ist also ein Werk, das extrem schön ist, wenn man es als ein unglaublich kammermusikalisches Spiel zwischen Violine, Violoncello, Klavier und Orchester versteht. Auf jeden Fall versuchen wir um jeden Preis, eine Art Hahnenkampf zu vermeiden, bei dem jeder immer lauter spielt, um sich Gehör zu verschaffen. Dieses Stück erhält seinen Sinn nur, wenn man es mit einer gewissen Schamhaftigkeit spielt, die von jedem Mitglied des Trios und des Orchesters mitgetragen wird.

16 EDGAR MOREAU INTERVIEW
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RICHARD STRAUSS

Sinfonia domestica

DAS HÄUSLICHE FAMILIENLEBEN

VON EGBERT HILLER

Die künstlerische Fantasie ist grenzenlos, doch sie will angeregt sein – und äussere Eindrücke spielen dabei auch auf dem Feld der Musik (wie sollte es anders sein) eine grosse Rolle.

Allerdings erfolgt die Übertragung dieser Eindrücke in Klang selten eins zu eins. Vielmehr ist die Gratwanderung zwischen Nachahmung und Abstraktion, zwischen konkreter aussermusikalischer Vorlage und innermusikalischer Gestaltung, ein zentrales Spannungsverhältnis. Auch unterliegt dieses Spannungsverhältnis stetem Wandel, der sich nicht zuletzt im Kontext massgeblicher gesellschaftlicher Veränderungen vollzieht. Einen gewaltigen Einschnitt in der Kulturgeschichte markierte die Phase der Aufklärung im 18. Jahrhundert, die die Loslösung der Künste – so auch der Tonkunst – von Kirche und Hof einleitete. Die damit einhergehende Lockerung funktionaler und geistlicher, zeremonieller und kultischer Bindungen führte zur Konzentration auf neue Inhalte, da

nach dem Verlust dieser Sinngebungen für jedes Werk nun erst ein Sinngehalt gesucht werden musste. Sinngehalte fanden die Komponist* innen etwa im Persönlich-Biografischen, in Naturstimmungen, in spirituellen und geistigphilosophischen Reflexionen oder auch in der Struktur der Musik selbst. Inspirieren liessen sie sich zudem von den Schwesterkünsten Literatur und Bildende Kunst.

Dass äussere Einflüsse und innere Empfindungen im künstlerischen Prozess komplexe Wechselwirkungen eingehen, brachte sehr früh schon Ludwig van Beethoven mit seinem pointierten Ausspruch «Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei» auf den Punkt. Vor dem Hintergrund seiner 6. Sinfonie grenzte er sich von blosser Tonmalerei ab und lenkte den Blick auf die inneren Empfindungen, die ihn bei der Betrachtung ländlicher Stimmungsbilder überkamen und die er in Klang umwandelte. Die Auswahl der schöpferischen Anknüpfungspunkte blieb freilich keineswegs unumstritten, wie ein heftiger Richtungsstreit zwischen den Anhängern von ‹Programmmusik› und ‹Absoluter Musik› in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unterstreicht. Er erhitzte die Gemüter und spaltete die Musikwelt in zwei Lager –wobei sich beide Lager auf Beethoven beriefen. Während sich die ‹Neudeutsche Schule› um Franz Liszt und Richard

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Wagner mit Programmsinfonie und Musikdrama als «musikalische Fortschrittspartei» verstand, scharten sich die Verfechter ‹Absoluter Musik› um den vermeintlich konservativen Johannes Brahms als legitimer Erbe seiner klassischen Vorgänger. Während die ‹Neudeutschen› die «poetische Idee» als kompositorische Grundlage hervorhoben, konterte das wortgewandte Sprachrohr der Gegenpartei, der Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick, mit der «tönend bewegten Form».

PAPA, MAMA UND DAS BABY

«Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei» hatte auch Richard Strauss verinnerlicht. Um 1900 gebärdete er sich indes als wahrer Heisssporn, der mit seinen ‹Sinfonischen Dichtungen› die Tonkunst aus den Angeln heben wollte. Da wundert es nicht, dass er in den Brennpunkt des ästhetischen Konflikts zwischen den Vertretern von Pro gramm musik und Absoluter Musik geriet. Zehn sinfonische Dichtungen, von ihm selbst «Tondichtungen» genannt, schrieb Strauss. Um sich gegen seine Widersacher, die ihm «blosse Illustrationskunst» vorwarfen, zu wehren, dachte er Beethovens Worte weiter: «Für mich ist das poetische Programm», so Strauss, «auch nichts anderes als der Formen bildende Anlass zum Ausdruck und zur rein musikalischen Entwicklung meiner Empfindungen; nicht wie Sie glauben, bloss eine musikalische Beschreibung gewisser Vorgänge des Lebens. Das wäre doch ganz gegen den Geist der Musik. Aber dass die Musik nicht in reine Willkür sich verliere und ins Uferlose verschwimme, dazu braucht sie gewisser Form bestimmender Grenzen, und dieses Ufer formt ein Programm. Und mehr als ein gewisser Anhalt soll auch für den Hörer ein solch analytisches Programm nicht sein. Wen es interessiert, der benütze es. Wer wirklich Musik zu hören versteht, braucht es wahrscheinlich gar nicht.» Relevant ist diese Erläuterung für Strauss’ sämtliche Tondichtungen, ob-

wohl etwa in Till Eulenspiegel oder Don Quixote echte «Tonmalereien» nicht zu verleugnen sind. Gemünzt war die Strauss’sche Aussage jedoch auf die Sinfonia domestica, die 1903 entstanden ist. Dass Strauss vorschwebte, in ihr eher intime Vorgänge in Klang zu transformieren, teilte er bereits 1902 der Zeitschrift Musical Times mit: «In meinem nächsten Tongedicht werde ich einen Tag meines Familienlebens illustrieren. Es wird teilweise lyrisch, teilweise humorvoll ausfallen – eine Tripelfuge, deren drei Themen Papa, Mama und das Baby repräsentieren.» Die Hauptthemen hat Strauss in der Partitur charakterisiert: Der Papa ist in der einleitenden Cello-Figur erst gemächlich, dann in den Oboen träumerisch, in den Klarinetten mürrisch, in den Violinen feurig und in den Trompeten lustig . Papas F-Dur begegnet die Mama mit H-Dur, der von F-Dur am weitesten entfernten und im Tritonus-Abstand stehenden

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ZUM WERK RICHARD STRAUSS
© akg-images / World History Archive
Richard Strauss und seine Familie

Tonart. Der Beginn des Mama-Themas stellt im Gegenzug aber die Umkehrung der ersten Töne des Papa-Themas dar, wodurch enge Verbundenheit angezeigt wird.

DER HELD WIRD ZUM PANTOFFELHELD

Das Baby ist zunächst bester Laune, was sich aber ändert, als es ins Bett gebracht wird. «Das Ende der Welt und der Untergang der Götter in Walhalla machen nicht ein Viertel von dem Lärm eines bay rischen Babys im Bad», soll der Dirigent Hans Richter über diese Passage gesagt haben. Ein weiterer Höhepunkt ist die grosse Liebesszene, deren ekstatische Offenheit zu Schockeffekten bei Publikum und Kritik führte und in der Strauss mehr als nur eine Vorahnung seiner berühmt-berüchtigten Oper Salome (1905) ausformulierte. Am nächsten Morgen entbrennt zwischen den Eheleuten ein von Strauss als Doppelfuge gestalteter lustiger Streit, der aber auf einen fröhlichen Beschluss hinausläuft.

Wie ernst der Komponist dieses Programm auch immer meinte, in ihrer Doppelbödigkeit und innermusikalischen Strenge stehen die Klänge in jedem Moment für sich selbst ein. Charakteristisch für Strauss’ reflektierende Ebene ist zudem die assoziative Verknüpfung der Sinfonia domestica mit den Tondichtungen Don Quixote und Ein Heldenleben, die in sich wiederum ein Gegensatzpaar bilden. So formte er eine Trias vom tragikomischen Ritter von der traurigen Gestalt über die ins Philosophische überhöhte Auseinandersetzung zwischen Held und Welt in Ein Heldenleben bis zur tönenden Darstellung von bürgerlichfamiliärem Umfeld und Eheleben in der Sinfonia domestica. Und diese Wendung des Helden zum Pantoffelhelden korrespondierte durchaus mit gesellschaftlichen Phänomenen. Zwar blieb die Funktion des häuslichen Familienlebens um 1900 als Gegenpol zum «rauen Weltgetriebe», in dem sich der Mann tatkräftig zu behaupten hatte, erhalten. Aller-

dings wurden die bürgerlichen Ideale in der anbrechenden Moderne massiv hinterfragt und von der Jugendstil- und Expressionisten-Generation mit beissendem Spott bedacht; so von dem Frühexpressionisten Alfred Mombert in seinem 1896 erschienenen Gedichtband Der Glühende:

«Ja, in der Jugend war ich der starke Junge, / schleppte die stärksten Helden an meinem Tau, / aber da wässerte mir die Zunge, / und ich hing am Arm einer Ehefrau.»

Dieser Text entstand ursprünglich für das Programm-Magazin Nr. 6 der Saison 2019/20.

Sinfonia domestica

BESETZUNG

3 Flöten, Piccolo, 2 Oboen, Oboe d’amore, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 4 Fagotte, Kontrafagott, 8 Hörner, 4 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, 2 Harfen, Streicher

ENTSTEHUNG

1902/03 in Berlin und auf der Isle of Wight

URAUFFÜHRUNG

21. März 1904 im Rahmen des 4th Strauss Festival Concert in der New Yorker Carnegie Hall mit dem Wetzler Symphony Orchestra unter der Leitung des Komponisten

DAUER

ca. 41 Minuten

20 RICHARD STRAUSS ZUM WERK

� BASEL Pferd frisst Hut

Musikalische Komödie nach ‹Ein Florentinerhut› von Eugène Labiche, Musik von Herbert Grönemeyer

Musikalische Leitung: Thomas Wise Inszenierung: Herbert Fritsch Sinfonieorchester Basel Chor des Theater Basel theater-basel.ch/pferdfrissthut

im Gespräch

«DEM PUBLIKUM INTIME EINBLICKE ZU GEWÄHREN, IST MUTIG»

VON CORINA KOLBE

Nach seinem erfolgreichen Debüt in der Saison 2022/23 kehrt der Dirigent Robert Treviño zum Sinfonieorchester Basel zurück. Im Fokus des aktuellen Konzerts steht die Sinfonia domestica, in der Richard Strauss sein eigenes Familienleben porträtierte. Ein Werk, das dem amerikanischen Dirigenten auch persönlich viel bedeutet.

«Das Familienleben hat für mich etwas Sublimes.»

CK Robert Treviño, was verbinden Sie mit der Sinfonia domestica?

RT Die Domestica ist meine absolute Favoritin unter den Tondichtungen von Strauss. Als Komponist hat er die grossartigsten Opern geschaffen. Zugleich erfreute er sich an den einfachen Dingen des Lebens, wie andere Menschen auch. In diesem Stück zeigt er uns, wie erfüllend es sein kann, wenn man sein Kind zu Bett bringt und dann die Zweisamkeit mit der geliebten Frau geniesst. Das Familienleben hat für mich etwas Sublimes.

CK Strauss hat sich in seinen Kompositionen mehrfach selbst porträtiert. Zu Ein Heldenleben ist folgender Kommentar von ihm überliefert: «Ich sehe nicht ein, warum ich nicht eine Sinfonie über mich selbst schreiben sollte. Ich finde mich ebenso interessant wie Napoleon oder Alexander.» Klingt das nicht grössenwahnsinnig?

RT Strauss war ein sehr geistreicher Mann. (lacht) Nein, ich finde die Kritik unangebracht. Schrieb nicht auch

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TREVIÑO
INTERVIEW
ROBERT
23 ROBERT TREVIÑO INTERVIEW
© Benno Hunziker

Beethoven Musik, die von ihm selbst handelte? Oder Mahler? Hat sich irgendeiner von ihnen in seinen Werken nicht selbst reflektiert? Die Aufgabe eines Komponisten besteht doch darin, seine Weltsicht mit den Mitteln der Musik auszudrücken. Einem grossen Publikum intime Einblicke in das eigene Leben zu gewähren, ist nicht selbstherrlich, sondern mutig. Ich denke, Strauss will uns mit der Sinfonia domestica daran erinnern, dass Familienglück mehr zählt als jeder berufliche Erfolg.

CK Ihr erstes musikalisches Schlüsselerlebnis hat Ihnen aber nicht Strauss, sondern Mozart beschert.

RT Als ich acht Jahre alt war, habe ich im Autoradio zufällig das Lacrimosa aus Mozarts Requiem gehört. Das war wie eine Initialzündung! Ich war bis dahin mit Carlos Santana, den Beasty Boys und ACDC aufgewachsen. Dann kam auf einmal diese Musik, die mich nie wieder losgelassen hat. In dem Moment wurde mir klar, dass ich selbst Musiker werden wollte. Mozart liebe ich nach wie vor. Leider habe ich nie erfahren, von wem die Aufnahme stammte, die damals im Radio lief.

CK Wann verspürten Sie zum ersten Mal den Wunsch, ans Dirigentenpult zu treten?

RT Schon bald nach meinem MozartErlebnis. Nur ein paar Monate später sah ich Seiji Ozawa im Fernsehen dirigieren. Da wusste ich, dass ich unbedingt Dirigent werden wollte. Für mich hat sich das alles rasch hintereinander entwickelt.

CK Was ist für Sie die Essenz des Dirigierens?

RT Ich sehe meine Aufgabe vor allem darin, den Musiker*innen ihre Arbeit zu erleichtern und für die Komponist*innen einzutreten. Wenn Dirigent*innen wissen, wie ein Orchester funktioniert, können sie am besten führen und den Mu-

siker*innen genau das geben, was sie brauchen. Früher habe ich selbst Fagott gelernt. Als Dirigent habe ich mich dann mit allen Instrumenten soweit vertraut gemacht, dass ich auf jeden Musiker individuell eingehen kann.

CK Als Dirigent müssen Sie also auch ein guter Psychologe sein?

RT Man muss lernen, andere Menschen zu durchschauen. Ich wundere mich immer darüber, dass Musiker*innen so selten bewusst ist, wie viel die Dirigent*innen eigentlich über sie wissen. Da wir mit unserem ganzen Körper kommunizieren, fällt es uns leicht, auch die Körpersprache der anderen zu verstehen. Meist merke ich sehr schnell, ob Musiker*innen, denen ich gegenüberstehe, unglücklich, wütend oder in Hochstimmung sind. Und im Idealfall kann ich meine Werkzeuge dann so einsetzen, dass ein gutes Ergebnis herauskommt.

CK Unter Ihrer Leitung spielt das Sinfonieorchester Basel neben der Sinfonia domestica und Beethovens Tripelkonzert auch die Schweizer Erstaufführung des Stücks Subito con forza von Unsuk Chin, in dieser Saison ‹Composer in Residence›. Wie kann man ein möglichst grosses Publikum für Neue Musik interessieren?

RT Ich bin der Meinung, dass ein modernes Publikum leicht Zugang zu zeitgenössischer Musik finden kann. Denn viele Menschen sind offen für Neues. Musik, die man zum ersten Mal hört, fordert einen dazu heraus, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

24 ROBERT TREVIÑO INTERVIEW

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RÜCKBLICK 26
2023
Robert Treviño und das Sinfonieorchester Basel im Stadtcasino Basel, Januar
27 RÜCKBLICK
© Benno Hunziker

FAMILIEN-IMPERIUM STRAUSS

VON SIGFRIED SCHIBLI

Viele Musiker*innen stammen aus sogenannten ‹Musikerfamilien›. Auch

Richard Strauss, der seine Familie ‹verkomponiert› hat. Aber was heisst da schon ‹Musikerfamilie›? Richards Mutter Johanna, sechzehn

Jahre jünger als ihr Mann Franz, stammte aus der Bierbrauer-Dynastie Pschorr und fiel musikalisch nicht weiter auf. Immerhin förderte sie das Talent des Kindes: Mit sechs Jahren schrieb

Richard ein erstes eigenes Werk, die Schneiderpolka, die am Faschingsball der Brauerei aufgeführt wurde. Dass Richard seine Mutter ernst nahm,

zeigen seine Briefe, in denen er sie über seine Projekte informierte. Ein Vollblut-Musiker war dagegen Richards Vater Franz Strauss. Er war Hofhornist in München und leitete das AmateurOrchester Wilde Gungl. Dort machte der junge Richard als Geiger erste Orchester-Erfahrungen.

Vater Franz betrachtete die staatliche Musikausbildung skeptisch. Er war denn auch neben einigen Kollegen aus der Hof kapelle der erste und einzige Musiklehrer des begabten Kindes. Mit allen Mitteln versuchte er, den übermächtigen Einfluss der Musik Wagners auf seinen Sohn einzuschränken – mit mässigem Erfolg: Das Narkotikum der WagnerMusik wirkte auch beim jungen Richard Strauss. 1878, mit 14 Jahren, schrieb er an seinen Freund Ludwig Thuille: «Ich bin Wagnerianer geworden.» Dabei spielte sein Förderer Hans von Bülow eine wichtige Rolle. Er war mit der LisztTochter Cosima, der späteren Cosima

FAMILIENGESCHICHTEN 28

Wagner, verheiratet. Später überliess er dem jungen Strauss die Leitung der Meininger Hofkapelle, womit er den Grundstein zu dessen Dirigentenkarriere legte. Mit 23 Jahren lernte Richard die ein Jahr ältere Sängerin Pauline de Ahna kennen. Er engagierte sie häufig und verliebte sich in sie, machte ihr aber erst nach sieben Jahren einen Heiratsantrag. Auch das war der aufstrebenden Sängerin noch zu früh: Sie wolle erst ihre künstlerische Laufbahn vorantreiben und noch nicht «ein wahres Muster von Hausfrau werden».

Aus dieser Zeit ist folgende Anekdote überliefert: Als Strauss im Frühling 1894 in Weimar seine Oper Guntram einstudierte, in welcher Pauline die hohe Partie der Freihild sang, kam es zum Zerwürfnis zwischen dem Komponisten/Dirigenten und der Sängerin. Diese schleuderte zornentbrannt den Klavierauszug gegen den Dirigenten, worauf

das Orchester unruhig wurde und die Probe unterbrochen werden musste. Nach einer Viertelstunde kam Strauss auf die Bühne zurück und verkündete: «Fräulein de Ahna und ich haben uns soeben verlobt!» Die Ehe währte, ungeachtet wiederholter Krisen und chronischer Eifersucht, bis zu Richards Tod im September 1949. Überlebt haben drei Werke, in denen Strauss seiner Gemahlin ein klingendes Denkmal setzte: Ein Heldenleben mit dem charakteristischen Geigensolo, die Sinfonia domestica und die Oper Intermezzo .

Der gemeinsame Sohn Franz – er erscheint in der Sinfonia domestica in der Klanggestalt der Oboe d’amore –wurde nicht Musiker, sondern Jurist. Mit seiner jüdischen Gattin Alice lebte er lange in der Villa der Familie Strauss in Garmisch oder im ‹Strauss-Schlössl› in Wien. Strauss hatte die Villa 1908 mit dem Geld gekauft, das er mit der Oper

29 FAMILIENGESCHICHTEN
FAMILIEN-IMPERIUM STRAUSS
© akg-images
Richard Strauss mit seiner Ehefrau Pauline und dem gemeinsamen Sohn Franz

Salome verdient hatte. Der Sohn von Franz und Alice Strauss, Richard junior, war vom Grossvater zum Opernregisseur bestimmt worden, übte diesen Beruf aber nur kurz aus und widmete sich fortan mit seiner Gattin Gabriele der Verwaltung des Familien-Imperiums und dem Archiv. Sein Bruder Christian war ausgebildeter Arzt und schien sich durch diese Berufswahl dem Strauss-Clan entziehen zu wollen. Doch gelang ihm dies längerfristig nicht, und er wurde zum ‹Aussenminister› des Familien-Imperiums. Christian Strauss starb 2020 mit 87 Jahren in Garmisch-Partenkirchen, wo sich bis heute das Richard-StraussMuseum befindet. Die Formulierung von Karl Kraus bewahrheitet sich: «Das Wort ‹Familienbande› hat einen Beigeschmack von Wahrheit.»

30 FAMILIEN-IMPERIUM STRAUSS FAMILIENGESCHICHTEN
© Wikimedia Commons
Richard Strauss im Jahr 1904

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CORINA BELCEA & ANTOINE LEDERLIN im Gespräch

LIEBE AUS DEM STREICHQUARTETT

Orchestermusiker und Hochschuldozentin, Streichquartett-Tourneen und Familienleben:

Das Musiker*innen-Paar Corina Belcea und Antoine Lederlin bringt ganz schön vieles unter einen Hut. Die rumänische Geigerin und der französische Cellist und Mitglied des Sinfonieorchesters Basel lernten sich im renommierten Belcea Quartet kennen, das unter anderem regelmässig an den Promenadenkonzerten im Gare du Nord zu hören ist.

LV Das Belcea Quartet entstand 1994 während Corinas Studium am Royal College of Music in London. Antoine, wie wurdest Du Mitglied dieses Ensembles?

AL Ich trat dem Quartett im Januar 2006 bei. Das Streichquartett war damals auf der Suche nach einem neuen Cellisten, und ich war den Musiker*innen freundlicherweise empfohlen worden. Nach einigen Probeaufnahmen wurde ich ins Quartett aufgenommen – so lernten Corina und ich uns kennen!

LV Euer Quartett besteht aus vier Musiker*innen mit unterschiedlichen Nationalitäten, die eine gemeinsame musikalische Idee verfolgen. Trefft ihr künstlerische Entscheidungen gemeinsam?

CB Unsere Arbeit basiert auf gegenseitigem Respekt, Vertrauen und Offenheit. Der Prozess ist demokratisch, denn wir probieren stets verschiedene Möglichkeiten aus, um eine Vision zu verwirklichen. Für die berufliche Ausrichtung und Entwicklung des Belcea Quartets arbeiten wir ausserdem mit einer wunderbaren Agentin des Simmenauer-Büros in Berlin zusammen, die einen Überblick über unseren gesamten Terminkalender hat und uns entsprechend unseren Bedürfnissen berät.

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ORCHESTERFAMILIEN

AL Zu viert kann es kompliziert sein, Entscheidungen zu treffen. Wir diskutieren jeweils alle künstlerischen Optionen aus: Wenn zum Beispiel ein Mitglied des Quartetts eine Entscheidung leidenschaftlich ablehnt, beugen sich die anderen drei manchmal, um eine zu grosse Frustration zu vermeiden.

«Das Quartett ist ein subtiler, zerbrechlicher und sehr intensiver menschlicher Mechanismus.»

LV Zur Geschichte eines lange bestehenden Quartetts gehören meist auch Besetzungsänderungen, wie bei Euch jüngst an der 2. Geige. Welchen Einfluss hat dies auf die künstlerische Ausrichtung?

CB Veränderungen im Ensemble sind immer eine sehr schmerzhafte Erfahrung und schwer zu bewältigen, vor allem, wenn die Dynamik in der Gruppe wunderbar stimmt, was mit Axel Schacher der Fall war. Im ersten Moment stellt sich die Angst ein, dass alles, woran man zwölf Jahre lang als Gruppe gearbeitet hat, zerbröckelt. Es lohnt sich nun aber, Zeit und Energie zu investieren, um unsere neue Kollegin zu integrieren. Die Entwicklung von homogenem Klang, Reflexen, Artikulation, Phrasierung und gemeinsamer Atmung braucht Zeit – darauf konzentrieren wir uns momentan.

AL Das Quartett ist ein subtiler, zerbrechlicher und sehr intensiver menschlicher Mechanismus. Wie in einer Familie nimmt man den Platz ein, der noch frei ist!

LV Welchen Einfluss hat die gemeinsame Leidenschaft für die Musik auf Eure persönliche Beziehung?

33 CORINA BELCEA & ANTOINE LEDERLIN ORCHESTERFAMILIEN
© Benno Hunziker

Haben bestimmte Stücke eine besondere Bedeutung für Euch?

AL Wir sind beide leidenschaftlich verliebt in das Repertoire der Gattung Streichquartett. Das verbindet und vereint uns enorm. Unser Musikgeschmack ist zwar ähnlich – beim Unterrichten sagen wir aber manchmal diametral entgegengesetzte Dinge! (lacht)

CB Für mich ist die Verbindung von Berufs- und Privatleben mittlerweile so selbstverständlich geworden, dass ich sie gar nie hinterfrage. Antoine stellt in seinem musikalischen Leben genauso hohe Ansprüche an sich selbst wie in unserem Alltag, was ich an ihm besonders mag. Ich versuche, das auf mich selbst zu übertragen – mit unterschiedlichem Erfolg … (lacht) Ich glaube, ich bin eher in der Gegenwart verwurzelt, während Antoine die Fähigkeit hat, vorauszudenken und sich ideale Szenarien vorzustellen. Musikalisch haben wir in den letzten achtzehn Jahren einige Erinnerungen gesammelt – eine sehr tiefe Verbindung haben wir zu den Beethoven-Quartetten, die wir in einer aussergewöhnlichen Phase unserer Beziehung erarbeitet, gespielt und aufgenommen haben.

LV Wie unterstützt Ihr Euch bei künstlerischen oder persönlichen Herausforderungen? Habt Ihr bestimmte Konzertrituale?

AL Corina ist eine Geigerin mit aussergewöhnlichem Talent und einer sehr gesunden Einstellung zu ihrem Beruf. Wenn sie an einem Abend nicht gut in Form ist, vertraut sie einfach darauf, dass es beim nächsten Mal wieder besser wird.

CB Wir haben keine besonderen Rituale, aber ein kleines Zeichen der Zuneigung, bevor wir die Bühne betreten, ist immer der perfekte Weg, um unvermeidliche Spannungen oder Stress abzubauen. Mit Antoine an meiner Seite sind die persönlichen Herausforderungen viel leichter zu bewältigen.

LV Gibt es Konzert-Momente die Euch in Erinnerung geblieben sind?

AL Ich erinnere mich an einen Auftritt in Italien, bei dem Corinas Geigenbogen plötzlich sehr hoch durch die Luft flog und viel weiter hinten auf der Bühne landete. Oder an meinen Geburtstag: Wir sollten das 2. Streichquartett von Bartók aufführen, aber meine Kolleg*innen spielten stattdessen Happy Birthday! Ein Moment der Panik für mich und des Lachens für sie. Und das Publikum war Komplize!

CB Es gab viele lustige Momente – von der Verwechslung von Konzertjacken bis hin zu technischen Problemen mit dem Notenpedal auf der Bühne. Ich erinnere mich auch lebhaft daran, als Antoine neu zum Belcea Quartet kam und in den ersten drei Monaten etwa fünfzig Quartette lernen musste. Mit besorgtem Gesicht blickte er jeweils auf die Notenpulte nebenan, um zu sehen, welches Instrument den nächsten Satz beginnt …

LV Ihr habt in London und Paris studiert – jetzt lebt Ihr beide in der Nähe von Basel. Fühlt Ihr Euch hier wohl?

CB Nach fast zwanzig Jahren London war es wunderbar zu sehen, dass es auch ein Leben abseits der grossen Metropole gibt! Ich schätze das langsamere Tempo des Lebens in einer gut organisierten Gesellschaft sehr und habe das Gefühl, dass ich viel mehr Zeit habe, die kleinen Dinge zu geniessen.

AL Wir fühlen uns in dieser Region sehr wohl – vor allem, seit wir Kinder haben. Die Lebensqualität hier ist unvergleichlich.

LV Habt Ihr Eure Kinder auch schon in die Welt der Musik eingeführt?

CB Unsere Kinder spielen tatsächlich Geige und Cello, da dies die Instrumente sind, bei denen wir ihnen helfen können. Egal, welchen Berufsweg sie einschlagen möchten – ich finde es wichtig, dass sie

34 CORINA BELCEA & ANTOINE LEDERLIN ORCHESTERFAMILIEN

mit der Musik in Berührung kommen und die harte Arbeit erkennen, die es braucht, um ein Instrument zu lernen. Der Nutzen für ihre Entwicklung ist unglaublich, und manchmal macht es ihnen sogar ein wenig Spass. (lacht)

AL Eine existenzielle Frage! Auf der einen Seite erinnern wir uns an die eigene Jugend, die von Freunden abgeschnitten und von grosser Disziplin geprägt war. Auf der anderen Seite haben wir durch die Musik einen privilegierten Zugang zu einer Welt gefunden, die uns all die Jahre emotional genährt hat. Dass unsere Kinder Musik machen, haben wir entschieden – das ist hart! (lacht)

LV Ihr spielt auf sehr besonderen, alten Instrumenten. Könnt Ihr diese kurz vorstellen?

CB Ich habe das grosse Glück, mit der grosszügigen Unterstützung der MeritoStiftung in Wien auf einer alten italienischen Geige von Giovanni Battista Guadagnini spielen zu dürfen. Instrumente dieser Qualität machen unser musikalisches Leben so viel spannender, da wir nach und nach ihre verborgenen Schätze, Farben und Klänge entdecken können.

AL Ich spiele ein Cello von Matteo Goffriller aus dem Jahr 1723, einem Geigenbauer aus Venedig. Dieses Cello hat eine schöne Geschichte: Es gehörte dem grossen französischen Cellisten Pierre Fournier, bevor der Cellist des Alban Berg Quartetts es kaufte und dreissig Jahre lang spielte.

LV Welchen Beschäftigungen geht Ihr ausserhalb der Musik nach?

AL Ich liebte es, Tennis zu spielen –besonders mit meinem Orchesterkollegen David Delacroix –, bis ich mir ein Band riss und aufhören musste. Stattdessen gehe ich gerne Skifahren und wandern. Und mein Sohn versucht, mich beim Fussball zu verbessern!

CB Antoine und ich haben sehr unterschiedliche Kindheitserfahrungen ge-

macht, sodass wir auch in Sachen Sport unterschiedliche Dinge mögen: Ich hatte nur einen Eislaufplatz in der Nähe meiner Wohnung und habe Mühe, beim Skifahren überhaupt vom Sessellift zu steigen, während Antoine auf den Pisten in seinem Element ist. Er ist viel abenteuerlustiger als ich, weshalb wir viele Dinge mit unseren eigenen Freund*innen getrennt unternehmen. Eine Sache, die wir wirklich gerne zusammen machen, ist, gute Restaurants zu entdecken. Unser ehemaliges Quartettmitglied und guter Freund Axel Schacher war dabei immer die treibende Kraft; er hat eine Liste mit guten Adressen geführt, die wir besuchten.

LV Antoine, ich habe gehört, Du hättest ausserdem ein Faible für guten Wein ...

AL Ich bin kein Weinexperte und trinke selten. Ich habe aber beschlossen, dass, wenn ich etwas trinke, es sehr gut sein muss. Deshalb führe ich einen gut ausgestatteten Weinkeller, den ich mit Axel teile. Bereits in jungen Jahren besuchten wir gemeinsam Weinverkäufe …

35 CORINA BELCEA & ANTOINE LEDERLIN ORCHESTERFAMILIEN
© Benno Hunziker

P WIE PROBESPIEL

VON BENJAMIN HERZOG

Die einen fühlen einfach grosse Erleichterung. Endlich hat es geklappt! Zweihundertfünfzig Bewerber*innen, eine Stelle. Und man hat sie als Einzige*r bekommen! Eine schwer vorzustellende Situation. Andere können ihr Glück daher erst einmal kaum glauben, es fliessen Tränen, und sie befinden sich in einem tranceartigen Hoch. Wiederum andere erzählen, sie seien nach den Anstrengungen des Probespieltags schlichtweg erledigt gewesen. Zu erschöpft, um überhaupt noch etwas zu fühlen. Und daher froh, dass wenigstens die künftigen Kolleg*innen ihre Mitfreude zeigten.

Das Probespiel ist die Eintrittspforte in jedes Berufsorchester. Ein entscheidender Moment in vielen Musiker*innen-Karrieren. Die konkrete Vorbereitung darauf fängt oft Monate bis Jahre vorher an. Nach Einsenden einer Bewerbung, heute oft auch in Form einer Videoaufnahme, heisst es zu warten auf eine Einladung vom Orchester. Fünfundzwanzig Bewerber*innen werden in der Regel nach einer ersten Durchsicht seitens der Probespielkommission zum Termin eingeladen. Diese Kommission (im Detail regelt das jedes Orchester individuell) setzt sich aus dem betreffenden Register, einer repräsentativen Vertretung aller Register des Orchesters, also Bläser, Streicher, Schlagzeug, Harfe, sowie je einer Person des Orchestervor-

stands und der Direktion zusammen. Auch der Chefdirigent hat in der Kommission Einsitz, ist aber eher selten persönlich anwesend. Da treten also fünfundzwanzig hoffnungsvolle Kandidat*innen an, denen das Orchester einen ganzen Tag widmet.

Die Kandidierenden spielen in der Regel drei Runden, zwei davon hinter einem Vorhang. In der 1. Runde wird meistens ein Ausschnitt aus einem klassischen Konzert verlangt. Anhand von drei Minuten Mozart lässt sich ablesen, inwiefern jemand den Notentext einerseits technisch beherrscht und andererseits, wieviel Persönlichkeit im engen Korsett dieser tausendfach gespielten Mozartmusik er oder sie zu zeigen vermag. Auch ob der Klang ins Orchester passt, lässt sich bei Mozart heraushören. Die Kommission stimmt nach jeweils fünf Kandidierenden ab. Elektronisch und anonym. In der 2. Runde folgt sodann ein Satz aus einem romantischen Konzert. Hier können die Kandidat*innen ihre Persönlichkeit zeigen. Ebenfalls in dieser Runde werden die sogenannten Orchesterstellen abgefragt. Das sind schwierige Passagen aus der sinfonischen Literatur und dem Opernrepertoire. Richard Wagners knifflige Tannhäuser- Ouvertüre zum Beispiel. Aber auch lyrische, langsame Stellen sind gefragt. Und bewirbt sich jemand um eine Soloposition bei den Bläsern, als Stimm-

LEXIKON DES ORCHESTERS 36

führer*in einer Streichergruppe oder gar als Konzertmeister*in, werden entsprechende Soli verlangt. Richard Strauss’ Heldenleben , das in weiten Strecken ei nem veritablen Geigenkonzert gleichkommt, oder der exponierte Fagott-Beginn von Strawinskys Sacre du printemps als Beispiele. In der 3. Runde, in der es mit Orchesterstellen weitergeht, wird nun der Vorhang gelüftet. Man möchte auch sehen, wie sich jemand beim Spielen bewegt. Ob das organisch ist, ob die Körpersprache von jemandem in einer potenziellen Führungsposition auch lesbar ist. Manchmal wird in dieser Runde auch ein Kammermusikstück im Ensemble mit den künftigen Kolleg*innen gespielt.

Ein solcher Probespieltag kann für die Aspirant*innen fünf Stunden dauern oder auch mal über sieben. Je nach Programm, das verlangt wird, nach Beratungszeit der Kommission und Anzahl Kandidierender. Ganz sicher ist die Anstellung nach einer solchen Momentaufnahme allerdings noch nicht. Denn auf das Probespiel folgt, wie bei vielen Firmen auch, eine Probezeit . Im Orchester meist eine ganze Saison lang, also etwa neun Monate. Hier zeigt sich, wer in die Orchestergemeinschaft ‹passt› und dem Orchesteralltag mit allen Herausforderungen gewachsen ist. Und das ist längst nicht jede*r. Kenner*innen berichten, dass hier noch einmal ein

gutes Viertel herausfalle. Bei manchen Musiker*innen zeigt sich auch erst im Laufe der Zeit, ob ihnen das Musizieren im Orchesterbetrieb liegt oder ob sie vielleicht doch eher eine Solistenkarriere anstreben möchten. Den Entscheid nach diesem Probejahr über den Verbleib im Orchester fällt, je nach Stelle, das Register und die Probespielkommission. Bei Solopositionen sogar das ganze Orchester. Bleiben darf, wer die Hälfte beziehungsweise zwei Drittel der Stimmen hinter sich hat. Auch das ist wieder abhängig davon, um was für eine Stelle es sich handelt.

Das nächste Mal: Q wie Quartett

LEXIKON DES ORCHESTERS 37 © Janine
Wiget
P WIE PROBESPIEL

SIMPLICITY AND COMPLEXITY

The compositions on this concert’s program not only create a fascinating contrast between (perceived) simplicity and complexity, but they are also an ode to Beethoven and a celebration of our composer-in-residence, Unsuk Chin.

In 2020 we should have commemorated the 250th anniversary of Beethoven’s birth, but due to the pandemic, many of the planned activities were scuppered. But do we need a pretext to celebrate one of the greatest composers? Isn’t today’s or next year’s concert as good an occasion as any other? Unsuk Chin’s short tribute to the master, Subito con forza, certainly has a timeless quality.

When Chin was born in 1961, South Korea was a poor country. The family couldn’t afford the piano lessons Chin desired. At twelve she realized she was too old to catch up with those who were able to develop their talents at a much younger age, and she decided she would focus on composing instead. Her ambition and perseverance led her to Europe where she received lessons from the wellknown Hungarian-Austrian composer Ligeti.

Subito con forza starts with a chord that is strongly reminiscent of Beethoven’s Coriolan Overture. The similarity with Beethoven is also noticeable in Chin’s use of great dynamic contrasts. Right after the powerful first chord, for instance, there is a long soft mumble in the strings that eventually builds towards a next forte. Such contrasts are one of the hallmarks of the piece. The rich use of percussion and textural layering are typical for many of Chin’s compositions, as we also heard in her work Alaraph at the season’s opening concert.

Beethoven’s Triple Concerto has often been dismissed for its simplicity. The piano part in particular, has led to speculation that the concerto was written for Archduke Rudolph, an accomplished player, but still an amateur. But there is evidence that the piece was conceived with a professional pianist in mind. The reason why it strikes some as simple may lie in the fact that Beethoven was using this concerto as a testing ground to solve a problem, he wasn’t able to deal with in his earlier concertos: how to write an orchestral opening that draws in the listener without giving the impression of the opening of a symphony, and simultaneously creates the bedding for the soloists to make a splendid entrance. With three soloists – the cellist arguably being the lead character – Beethoven set himself a complex task.

Simplicity plays an entirely different role in Richard Strauss’s Sinfonia domestica. The underlying program of this tone poem is a musical painting of the composer’s domestic life with his wife and young son. Using ‘Leitmotive’, or recurring themes, Strauss (1864 –1949) brings not only himself (in different moods), his wife, his son (happy and crying), and his uncles and aunts to life, but also several situations, like a marital argument and a love scene, and more intangible states of being like confusion, caring, dreaming, doing and thinking. The subject matter of the tone poem may be simple, even banal, bringing all the themes together in a coherent and brilliant way, as Strauss did, is an entirely different thing. Simplicity and complexity – sometimes they go hand in hand.

IN ENGLISH 38

MUSIK VERBINDET –FREUNDSCHAFT AUCH

Der Freundeskreis ist eine engagierte Gemeinschaft, die Freude an klassischer Musik sowie eine hohe Wertschätzung gegenüber dem Sinfonieorchester Basel verbindet.

Wir unterstützen die Arbeit der Musiker*innen des Sinfonieorchesters Basel auf vielfältige Weise. Wir tragen dazu bei, in der Stadt und der Region Basel eine positive Atmosphäre und Grundgestimmtheit für das Orchester und das Musikleben zu schaffen. Unser Verein stellt für seine Mitglieder ein reichhaltiges Programm an exklusiven Anlässen mit dem Sinfonieorchester Basel zusammen. Dabei bietet sich die besondere Möglichkeit des direkten Kontakts zu den Musiker*innen. In der letzten Spielzeit konnten wir erstmals zu einer fünfteiligen Kammermusikreihe einladen. Für diese Saison planen wir eine ganze Reihe an vergleichbaren Angeboten –eine aktuelle Vorschau finden Sie auf unserer Website. Als Mitglied erhalten Sie jeweils per Mail Informationen zu den bevorstehenden Anlässen und Angeboten.

Wir heissen Sie sehr herzlich will kommen! Nehmen Sie direkt Kontakt mit uns auf: freundeskreis@sinfonieorchesterbasel.ch oder besuchen Sie unsere Website www.sinfonieorchesterbasel.ch/freundeskreis

39 VEREIN ‹ FREUNDESKREIS SINFONIEORCHESTER BASEL ›
© Benno Hunziker
© © Illustration:
Paula Troxler

WIE KLINGT BASEL?

Fr, 15. März 2024, 18 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal

Was verbinden wir heute noch mit Volksliedern? Sind sie noch Teil unserer Geschichte, unserer Identität? Viele von uns kennen sie aus der Kindheit oder verbinden damit besondere Erinnerungen. Egal in welcher Sprache – Volkslieder aus allen Ländern sind Ausdruck von Heimat und Gemeinschaft. Das Sinfonieorchester Basel möchte Ihre Volkslieder in ihrer ganzen Vielstimmigkeit zum Klingen bringen. Wir wollen voneinander lernen und alle gemeinsam in den verschiedensten Sprachen singen. Wie unterschiedlich klingt Basel?

Wir haben in einer Umfrage ermittelt, welche Volkslieder Ihre liebsten sind und mit welchen Liedern Sie besondere Erinnerungen verbinden. Aus den Einsendungen haben wir eine Auswahl getroffen, die wir nun gemeinsam zum Klingen bringen möchten. Mit grossem Orchester und Sänger*innen auf der Bühne und im Publikum wird das Stadtcasino Basel zum Soundtrack der Stadt.

Das Liederheft zum Mitsingen finden Sie als Download auf unserer Website.

Sinfonieorchester Basel

Chöre aus Primar- und Sekundarstufe

Florian Walser, Jean Kleeb und Enver Yalcin Özdiker, Arrangements

Paweł Kapuła, Leitung

Nachwuchs-Dirigent Paweł Kapuła wird das Mitsing-Konzert leiten.

PREISE

Erwachsene: CHF 20

Kinder ab 4 Jahren: CHF 10

Familien (2 Kinder + 2 Erwachsene): CHF 50

Ermässigung: mit Familienpass CHF 10 auf ein Familienticket

TICKETS & PROGRAMM

www.sinfonieorchesterbasel.ch

IM FOKUS 41
© Kamil Szkopik

WEITERES KONZERT JUBILÄUMSKONZERT MÄDCHENKANTOREI BASEL

Fr, 8.3.2024, 19.30 Uhr

So, 10.3.2024, 11 Uhr

Don Bosco Basel

Sinfonieorchester Basel, Mädchenkantorei Basel, Lena Laschinger, Marina Niedel

MITSINGEN WIE KLINGT BASEL?

Fr, 15.3.2024, 18 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal

Sinfonieorchester Basel, Chöre aus

Primar- und Sekundarstufe, Florian Walser, Jean Kleeb, Enver Yalcin Özdiker, Paweł Kapuła

MINI.MUSIK

HINTER DER BÜHNE

Sa, 23.3.2024, 16 Uhr

Scala Basel

Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel, Madeline und Jeroen Engelsman

SINFONIEKONZERT PLANETS

Mi, 10.4.2024, 19.30 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal

Sinfonieorchester Basel, Basler Madrigalisten, Time for Three, Krzysztof Urbański

WEITERES KONZERT PLANETS –CASUAL CLASSIC

Do, 11.4.2024, 19.30 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal

Sinfonieorchester Basel, Basler Madrigalisten, Time for Three, Krzysztof Urbański

VORVERKAUF

(falls nicht anders angegeben)

Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel

Aeschenvorstadt 2, 4051 Basel

+41 (0)61 206 99 96 ticket@biderundtanner.ch www.biderundtanner.ch

Billettkasse Stadtcasino Basel

Steinenberg 14 / Tourist Info 4051 Basel

+41 (0)61 226 36 00 info@stadtcasino-basel.ch

Detaillierte Informationen und Online-Verkauf: www.sinfonieorchesterbasel.ch

IMPRESSUM

Sinfonieorchester Basel Picassoplatz 2 4052 Basel

+41 (0)61 205 00 95

info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch

Orchesterdirektor: Franziskus Theurillat Künstlerischer Direktor: Hans-Georg Hofmann

Redaktion Programm-Magazin: Lea Vaterlaus

Korrektorat: Ulrich Hechtfischer Gestaltung: Atelier Nord, Basel

Illustrationen: Janine Wiget

Druck: Druckerei Lutz AG

Auflage: 1500 Exemplare

DEMNÄCHST 42

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