Programm-Magazin Horizonte

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Programm-Magazin Nr. 7 Saison 14/15

Horizonte Donnerstag, 19. M채rz 2015


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Sinfoniekonzert ‹Horizonte›

2 Programm Entdeckerkonzert 3 Programm Sinfoniekonzert 4 Interview mit Dennis Russell Davies 8 Fazil Say 10 Yumi Hwang-Williams 12 Leonard Bernstein: Sinfonie Nr. 2, The Age of Anxiety 17 Paul Hindemith: Sinfonische Metamorphosen über Themen von Carl Maria von Weber Intermezzo

20 Vorlaut – Eine Serie von Alain Claude Sulzer 22 Casino-Geschichte(n), Teil 7 24 Sabine Horvath und Yannick Studer im Gespräch Vorschau

27 mini.musik: Im Museum

Liebe Musikfreundinnen und Musikfreunde

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ir sind stolz darauf, in Basel eines der ältesten und zugleich renommiertesten Orchester der Schweiz zu beheimaten. In der Nordwestschweiz verankert, geniesst das Sinfonieorchester Basel eine starke überregionale und internationale Ausstrahlung, was sich nicht zuletzt an den vielen Gastsolisten und -dirigenten aus aller Welt sowie an den regelmässigen Gastkonzerten zeigt. Nicht zuletzt entdeckt das Sinfonieorchester Basel immer wieder Werke der zeitgenössischen Musik und trägt damit zu einer innovativen Schweizer Musikszene bei. In dieser Saison eröffnen sich dem Sinfonieorchester Basel mit seiner Tournee durch China und Südkorea neue Horizonte. Das Orchester leistet damit einen wertvollen Beitrag an die Fortführung der internationalen Musiktradition, die unsere Kulturmetropole Basel seit Jahrzehnten auszeichnet. Nach dem Start der Asien-Tournee am 23. März 2015 in Peking steht am 25. März 2015 ein Konzert im Oriental Art Center in unserer Partnerstadt Shanghai auf dem Programm. Die beiden Kulturstädte Basel und Shanghai können damit einmal mehr auf gemeinsame Stärken setzen und von einem fruchtbaren Austausch profitieren. Den Abschluss der Tournee bilden zwei Konzerte im südkoreanischen Tongyeong am 27. und 28. März 2015. Ich möchte dem Sinfonieorchester Basel und seinem Chefdirigenten Dennis Russell Davies herzlich für den wertvollen Kulturaustausch mit China und Südkorea danken und wünsche ihnen eine erfolg­ reiche Tournee sowie allen Zuhörerinnen und Zuhörern anregende musikalische Unterhaltung auf höchstem künstlerischem Niveau.

27 Eröffnungskonzert Jazzfestival Basel: E.S.T. Symphony 28 Agenda

Dr. Guy Morin Regierungspräsident des Kantons Basel-Stadt


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Entdeckerkonzert

Neue Horizonte Donnerstag, 19. März 2015 ab 16.00 Uhr, Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal und Grosser Festsaal Eintritt frei

16.00 Uhr, Hans Huber-Saal

Asian Composers Showcase – Neue Musik aus Asien Du Wie (*1978): Quintet And I'm Dumb to Tell ... Jeongkyu Park (*1981): Moments Musicaux II Diana Soh (*1984): Incantare Zihua Tan (*1983): Walking on the Mångata Ensemble TIMF (Tongyeong International Music Festival) Christopher Lee, Leitung Hans-Georg Hofmann, Moderation Um die Komposition Neuer Musik in Asien zu fördern, veranstaltete das Goethe-Institut Korea in Zusammenarbeit mit dem Tongyeong International Music Festival 2014 zum zweiten Mal das Asian Composers Showcase. Die Werke, die am Entdeckerkonzert zur Aufführung kommen, sind Auftragsarbeiten der Gewinnerinnen und Gewinner des Asian Composers Showcase 2013.

17.15 Uhr, Grosser Festsaal

Gamelan und Balinesischer Tanz Gamelan für Kinder und Jugendliche Gamelan der Musik-Akademie Basel Sigrid Winter, Franz Goldschmidt und Charlie Richter, Leitung Ni Nyoman Inten Sriasih, Tanz Gamelan ist die Bezeichnung für die traditionellen Orchester auf Bali und gilt sowohl für die Instrumente als auch deren Spieler. Die meisten Orchester auf Bali bestehen hauptsächlich aus Metallophonen, verschiedenen Gongs und Gongspielen sowie kleinen Perkussionsinstrumenten und Trommeln. Typisch für die Gamelan-Musik ist das Spiel in ‹interlocking patterns›. 18.45 Uhr, Hans Huber-Saal

Konzerteinführung zum Sinfoniekonzert ‹Horizonte› durch Benjamin Herzog

Das Entdeckerkonzert findet in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Korea, dem Tongyeong International Music Festival (TIMF), dem Arts Council Korea (ARKO) und der Musik-Akademie Basel statt.

Vorverkauf und Preise Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus mit Musik Wyler, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, + 41 ( 0 )61 206 99 96, ticket@biderundtanner.ch

oder auf www.sinfonieorchesterbasel.ch

Preise Sinfoniekonzerte SOB : CHF 90/75/60/45/30 Ermässigungen : Studierende, Schüler und Lehrlinge : 50 %, AHV/IV: CHF 5, mit der Kundenkarte Bider & Tanner : CHF 5


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Sinfoniekonzert SOB

Horizonte

Donnerstag, 19. März 2015 19.30 Uhr, Musiksaal des Stadtcasinos Basel 18.45 Uhr: Einführung durch Benjamin Herzog

Paul Hindemith (1895–1963)

Sinfonische Metamorphosen über Themen von Carl Maria von Weber (1943) 1. Allegro 2. Turandot, Scherzo 3. Andantino 4. Marsch

Isang Yun (1917–1995)

Violinkonzert Nr. 3 (1992, CH-Erstaufführung) Pause

Leonard Bernstein (1918–1990)

Sinfonie Nr. 2, The Age of Anxiety, für Klavier und Orchester (1947–1949) Part I The Prologue (Der Prolog) The Seven Ages (Die sieben Lebensalter), Variationen I bis VII The Seven Stages (Die sieben Stationen), Variationen VIII bis XIV Part II The Dirge (Der Klagegesang) The Masque (Das Maskenspiel) The Epilogue (Der Epilog)

Konzertende ca. 21.45 Uhr

Sinfonieorchester Basel Yumi Hwang-Williams, Violine Fazil Say, Klavier Dennis Russell Davies, Leitung


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Interview mit Dennis Russell Davies

«Sprache spielt in allen Musiken eine Rolle» Der Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel über Isang Yun, die Vorteile einer Tournee und über die Begeisterungsfähigkeit des Publikums in asiatischen Ländern und der Schweiz von Jenny Berg

Jenny Berg: Dennis Russell Davies, bislang kennt man Sie vor allem als Experte für zeitgenössische amerikanische Musik ... Dennis Russell Davies: ... ja, das sagt man immer wieder – weil ich Amerikaner bin? (lacht) Ja. Nun geht das Orchester auf Asien-Tournee, unter anderem zum Tongyeong International Music Festival. Haben Sie auch zur asiatischen Musik besondere Affinitäten? Nein – aber ich habe eine besondere Beziehung zu Isang Yun. Tongyeong ist seine Heimatstadt, das Festival ist ihm gewidmet. Was ist das Besondere an diesem Festival? Es gibt dort einen wunderschönen neuen Konzertsaal. Aber mir ist die Teilnahme am Festival vor allem durch meine persönliche Bekanntschaft mit Isang Yun bedeutsam. Und: Meine Tochter Isabel ist halb Koreanerin, und ihre Grosseltern waren eng mit Isang Yun befreundet. Ich freue mich sehr, dass ich nun mit meinem eigenen Orchester dorthin reisen kann. Beschreiben Sie einmal Isang Yuns Musik. Seine Tonsprache ist eine faszinierende Verbindung von deutschen und koreanischen Elementen – er hat ja in seiner zweiten Lebenshälfte in Deutschland gelebt und später sogar die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Das hört man auch in seinen Werken. Er ist in der Musiksprache seines eigenen Volkes zu Hause, aber man spürt

auch ganz starke Einflüsse der deutschen Sprache, der deutschen Kultur, der deutschen Musik. Das ist eine sehr ungewöhnliche, persönliche Mischung. Spielt Sprache in seiner Musik eine Rolle? Natürlich, Sprache spielt in allen Musiken eine Rolle. Ein gute erste Annäherung an eine neue Komposition, an eine neue Musik, geht über die Sprache: Indem man schaut, wie die mündliche Tradition eines Komponisten aussah und klang, wie ihr Rhythmus ist, ihr Melodiefluss – das gibt oft sehr viel Aufschluss, auch bei zeitgenössischen Kompositionen.

Violinkonzert Nr. 3 Besetzung: Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Trompete, Schlagzeug, Streicher Entstehung: 1992, Auftragskomposition für Nederlandse Omroepprogramma Stichting, Hilversum Uraufführung: 22. Juni 1992, Amsterdam (Holland Festival; Radio Filharmonisch Orkest, Violine: Vera Beths, Leitung: Hans Vonk) Widmung: «In memoriam Edu Verhulst» Dauer: 24 Minuten


Bild : Benno Hunziker

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Wovon erzählt Isang Yuns Musik? Sie erzählt von seinem Leben. Sein Cellokonzert hat mich tief beeindruckt. Er hat dort eine Episode in seinem Leben beschrieben, die für uns alle unfassbar ist: die Jahre seiner Einzelhaft in Seoul. Yun wurde 1967 vom südkoreanischen Geheimdienst über die südkoreanische Botschaft in Bonn

nach Seoul entführt. Als politischer Häftling wurde er brutal gefoltert. Viele Musiker haben sich damals für seine Freilassung eingesetzt, besonders Heinz Holliger und Leonard Bernstein. Yun hat diese Zeit mit sehr viel Stille in der Musik beschrieben.


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Wie haben Sie Isang Yun dann persönlich kennengelernt? Das war in den frühen 1980er-Jahren. Heinz Holliger organisierte ein wunderschönes Konzert in Zürich mit dem Tonhalle-Orchester; ich habe Werke von Isang Yun dirigiert. Das war meine erste grosse Begegnung mit ihm. – Ich weiss es noch genau: Ich hatte damals meine älteste Tochter Annabel dabei, sie war damals vielleicht sechzehn Jahre alt. Nach dem Konzert waren wir gemeinsam mit Yun und den Solisten essen. Und – es war so typisch Teenager – meine Tochter konnte ihre Augen nicht von Isang Yun wegreissen. Sie war so verblüfft und beeindruckt von ihm und seiner Geschichte, sie hat es einfach nicht für möglich gehalten, dass man solche Erfahrungen durchmachen und überleben kann. Erzählt das 3. Violinkonzert, das Sie hier in Basel und auch in Tongyeong dirigieren werden, auch eine Geschichte? Das dritte Violinkonzert ist ein Symbol für Isang Yuns nicht abreissendes politisches Engagement. Yun hat sich nicht nur für die Versöhnung zwischen Süd- und Nordkorea eingesetzt – unter der Trennung der beiden Länder hat er auch menschlich sehr gelitten – sondern auch für die Versöhnung zwischen Japan und Korea. Er war ein Mann, der wirklich für das Verständnis zwischen den Völkern gearbeitet hat. Nun spielt mit Yumi Hwang-Williams eine Koreanerin dieses Konzert ... ... ja, sie ist in Korea geboren, aber als Kind in die USA emigriert und dort aufgewachsen. Sie spricht fliessend koreanisch. Ich freue mich sehr, dass sie mit uns dieses Werk spielen wird. Vor einigen Jahren trat sie schon einmal mit dem Sinfonieorchester Basel als Solistin auf, das war eine sehr schöne Begegnung. Wir spielten damals Isang Yuns erstes Violinkonzert. Das ist ein schwerer Brocken. Das dritte Konzert ist etwas reifer, auch in der Form kleiner. Ist dieses Werk auch für das Orchester anspruchsvoll? Ja, sehr. Yun verlangt sehr viele neue Arten der Tonerzeugung. Die Musiker müssen ganz andere Klänge hervorbringen. Manche sind sehr traditio­

nell, andere sehr fremd, mit vielen Glissandi und seufzenden Phrasierungen. Das ist vor allem für die Partien der Holzbläser sehr untypisch. Planen Sie für so etwas auch mehr Probenzeit ein? Nicht per se. Ein erstklassiges professionelles Orchester wie das Sinfonieorchester Basel ist es gewohnt, in einer kurzen Zeit mit intensiven Proben die schwersten Programme zu bewältigen. Nur in Ausnahmefällen müssen wir unseren üblichen Proben-Rhythmus erweitern. Und auch das geht nicht so ohne Weiteres – das Orchester ist sehr beschäftigt, spielt viel im Theater –, das muss alles genau geplant sein. Das macht unser Geschäft so kompliziert – und so interessant. (lacht) Das Orchester hat ein Werk Paul Hindemiths im Tourneeprogramm. Auch Hindemith musste seine Heimat verlassen ... ... ja, das ist ein sehr trauriges Kapitel in Deutschland, das wissen wir alle. Hindemith emigrierte 1938 in die Schweiz und floh später nach Amerika. Aber das ist nur eine sehr oberflächliche Parallele zu Yuns Leben. Wir spielen Hindemiths Sinfonische Metamorphosen über Themen von Carl Maria von

Dennis Russell Davies Dennis Russell Davies wurde in Toledo (Ohio) geboren und studierte Klavier und Dirigieren an der New Yorker Juilliard School. Er arbeitet mit Komponisten wie Luciano Berio, William Bolcom, John Cage, Manfred Trojahn, Philip Glass, Heinz Winbeck, Laurie Anderson, Philippe Manoury, Aaron Copland, Hans Werner Henze, Michael Nyman und Kurt Schwertsik zusammen. Nach seinen ersten Positionen als Chefdirigent bei amerikanischen Orchestern übersiedelte er 1980 nach Deutschland und Österreich. Seit 2002 ist er Chefdirigent des Bruckner Orchesters Linz und Opernchef am Landestheater Linz und seit Beginn der Saison 2009/2010 Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel. Im Dezember 2014 wurde Davies die höchste kulturelle Auszeichnung Frankreichs, der Commandeur des Arts et des Lettres, verliehen.


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Weber vor allem, weil es ein super Stück ist: virtuos, effektvoll, die Themen sind populär und vertraut, es ist sehr gut gearbeitet – eine schöne Musik. Als ich mit dem Dirigieren begann, war dieses Werk sehr populär und wurde jede Woche irgendwo gespielt. Jetzt ist es ein bisschen aus der Mode geraten. Als weiteres Werk steht Leonard Bernsteins 2. Sinfonie auf dem Programm  ... ... was eigentlich eine Art Klavierkonzert ist. Es ist eine Sinfonie mit einer grossen Solopartie für Klavier – eine wunderschöne Mischung. Ich bin ein grosser Anhänger Bernsteins; ich bedaure, dass er nicht mehr komponiert hat. Haben Sie den Solisten Fazil Say schon einmal mit diesem Werk gehört? Ja, wir haben es schon einmal gemeinsam gespielt, mit dem Concertgebouw Orchestra. Fazil Say ist ein unglaublich vielseitiger Künstler: Er ist Komponist, er improvisiert, er hat eine Neigung zum Jazz, er spielt ausgezeichnet Mozart und wunderbar Ravel. Kürzlich habe ich mit ihm das RavelKonzert gespielt – es war zum Niederknien! Auf unserer Asien-Tournee wird er übrigens auch das 3. Klavierkonzert von Beethoven spielen. Haben Sie selbst schon einmal in Asien gelebt? Meine Frau, Maki Namekawa, ist Japanerin, und seit mehreren Jahren bin ich sehr oft in Japan auf Familienbesuch. In den letzten Jahren habe ich angefangen, dort auch zu dirigieren. Gibt es in Asien andere Konzertrituale als bei uns? Nein. Die Strukturen sind zwar anders, aber das Publikum ist mit westlicher Musik sehr erfahren. Es ist ein sehr loyales, interessiertes Publikum. Manche Medien berichten, dass die Menschen in Asien bei Konzerten deutlich begeisterungsfähiger seien als hierzulande, wo man vielleicht etwas übersättigt ist ... Ich erlebe hier äusserst begeisterungsfähige Menschen im Publikum – bei jedem Konzert! Ihr Schweizer seid manchmal sehr hart – aber nur zu euch selbst! (lacht)

Sie sind seit 2010 Chefdirigent in Basel, hat sich das Orchester in dieser Zeit verändert? Das müssen Sie beurteilen! Aber in Ihrer Wahrnehmung? Ich fand das Orchester immer sehr gut. Was ich jetzt merke, ist: Sie haben sehr viel mehr Selbstvertrauen gewonnen. Sie spielen ein ganz breites Repertoire mit unheimlichem Elan und Können. Wenn ich dazu beigetragen habe, dann bin ich sehr stolz. Bringt eine Tournee auch für das Orchester einen Entwicklungsschritt? Ja, das ist eine wichtige Sache. Grundsätzlich gilt: Ein Programm muss wiederholt werden! Das war die grosse Problematik mit der AMG, als sie uns auf ein Konzert reduzieren wollten. Das Orchester braucht die Erfahrung, ein Repertoire nicht nur einmal, am besten drei-, viermal zu spielen. Und das organisieren wir jetzt seit mehreren Jahren selbst, und es klappt wunderbar. Ich sage immer: Ein Konzert ist vier Proben wert! Wird das Programm dann sicherer, gewinnt an Tiefe? Ja. Aber das Schöne an einer Tournee ist, dass man abgesondert vom Alltag unterwegs ist. Es gibt keine Erledigungen zu Hause, keine unbezahlten Rech­nungen, keine Probleme mit Behörden – nur uns und unsere Hauptaufgabe: diese Musik gemeinsam zu spielen. Ich glaube, davon profitieren wir alle. Ist es für die Musiker auch eine gute Schulung, in verschiedenen Sälen aufzutreten? Grundsätzlich ja. Wir haben hier ja eine sehr komfortable Ausgangssituation: Wir proben im Casino, also in dem Saal, in dem dann auch die Konzerte stattfinden. Das ist schön, denn Musik findet nicht in einem Vakuum statt – sondern in einer Akustik. Die Akustik ist Teil unseres Instruments. Und wenn dann ein Programm aufführungsreif ist, dann kann die Erfahrung mit einer anderen Akustik sehr lehrreich sein. Man wird immer freier, man hört mehr auf die anderen, man hört die Musik jedes Mal ganz anders. Und das ist für einen Musiker eine sehr hilfreiche Sache. ●


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Fazil Say

Weltbürger alla turca von Andreas Hillger

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er Untertitel seiner Website liest sich wie die Liste seiner Berufungen: «Pianist – Komponist – Weltbürger» nennt sich Fazil Say auf seinem Internet-Auftritt, der so opulent wie das Werk des 1970 in Ankara geborenen Künstlers daherkommt. Und tatsächlich ist der Türke viel mehr als nur «einer der grossen Künstler des 21. Jahrhunderts», zu denen ihn die französische Zeitung Le ­Figaro zählt. In seiner Heimat gilt der 1970 geborene Say, der bereits als 14-Jähriger sein erstes Klavierstück ­Phrigian komponierte, auch als wichtiger Bürgerrechtler und Kritiker des Islamismus. Nachdem er sich im April 2012 via Twitter über einen Muezzin und den Koran lustig gemacht hatte, wurde der bekennende Atheist wegen «öffentlicher Verunglimpfung religiöser Werte» angeklagt. Unter anderem hatte er geschrieben: «Überall, wo es Schwätzer, Gemeine, Sensationsgierige, Diebe, Scharlatane gibt, sind sie alle übertrieben gläubig. Ist das ein Paradoxon?» Dass Say für diese und andere Meinungsäusserungen in Istanbul zu

zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde, löste internationale Proteste aus – und machte ihn zugleich zu einer Galionsfigur all jener Türken, die für einen aufgeklärten und säkularen Staat kämpfen. Dass sich Spuren seiner Gesinnung auch in seinem musikalischen Werk finden, zeigt seine 2010 in Dortmund uraufgeführte 1. Sinfonie, in deren zweiten Satz Say das muslimische Glaubensbekenntnis persifliert: «Die Wut, die ich seit dreissig Jahren dafür empfinde, dass die Religion für politische Ambitionen missbraucht wird, und der grosse Einfluss der Orden, die die Religion ausbeuten, hat die dunklen und zum Zerreissen gespannten Noten erschaffen, aus denen dieser schnelle Satz besteht», sagt er zur Erklärung. So wächst das Werk des Künstlers Fazil Say einerseits aus seinem Bekenntnis – und wird andererseits von den Orten inspiriert, an denen der Weltenbummler sich niederlässt. Folgerichtig hat er sich in seinen Düsseldorfer und Berliner Jahren auch mit


Bild : Marco Borggreve


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Bild : Colorado Symphony

der Orchestrierung von grossen europäischen Vorbildern wie Debussy, Liszt oder Mozart beschäftigt, während das nach den jeweiligen Stationen sortierte Werkverzeichnis für New York die Auseinandersetzung mit Gershwin nachweist. Wie ein roter Faden aber zieht sich die Tradition seiner Heimat durch diese Abschnitte: Dem türkischen Eulenspiegel ­Hodscha Nasreddin hat er Tänze auf den Leib geschrieben, ein Alt-Anatolisches Tagebuch wird im Schwarzweiss der Tasten ebenso greifbar wie die 1001 Nächte im Harem. So ist er als Interpret wie als Komponist immer auch dem alla turca verpflichtet – aber nicht in einer traditionell erstarrten, sondern der Welt und der Kunst zugewandten Weise, die ihn für die Europäische Union 2008 zum Botschafter des interkulturellen Dialogs werden liess. Diese Ernennung dürfte in der langen Liste seiner Ehrungen und Auszeichnungen einen besonderen Rang einnehmen – und ist gerade in einer Gegenwart, die von zunehmendem religiösem Fanatismus geprägt ist, ein Adelstitel für den Künstler Say. ●

Yumi Hwang-Williams Yumi Hwang-Williams emigrierte im Alter von elf Jahren von Südkorea in die Vereinigten Staaten. Mit fünfzehn trat sie zum ersten Mal als Solistin mit dem Philadelphia Orchestra auf und studierte am Curtis Institute of Music. Seit 2000 ist sie Konzertmeisterin der Colorado Symphony. Sie hat mit Dirigenten wie Marin Alsop, Hans Graf, Paavo Järvi und Peter Oundjian zusammengearbeitet. 2010 hat Hwang-Williams mit dem Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Dennis Russell Davies Isang Yuns 1. Violinkonzert aufgeführt. Sie spielt auf einer Geige von Carlo Landolfi, die 1752 in Mailand gebaut worden ist. ●


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Leonard Bernstein: Sinfonie Nr. 2, The Age of Anxiety

Ein musikalisches Äquivalent zu Audens Sprachkunst von Habakuk Traber

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n einer Vorbemerkung zu seiner 2. Sinfonie bekannte Leonard Bernstein, schon bei der ersten Lektüre im Sommer 1947 habe ihn W. H. Audens Gedicht The Age of Anxiety (Das Zeitalter der Angst) so tief bewegt, dass er es unbedingt zur Grundlage einer Sinfonie machen wollte. Die Idee habe ihn

Sinfonie Nr. 2, The Age of Anxiety, für Klavier und Orchester Besetzung: Piccolo, 2 Flöten, 2 Oboen, ­ nglischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, E 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Schlagzeug, 2 Harfen, Pianino/Celesta, Klavier, Streicher Entstehung: 1947–1949 Uraufführung: 8. April 1949, Symphony Hall Boston (Boston Symphony Orchestra, Klavier: Leonard Bernstein, Leitung: Serge Koussevitzky) Widmung: Serge Koussevitzky Dauer: ca. 30 Minuten

derart eingenommen, dass er überall, wo er war, «in Taos (New Mexico) und Philadelphia, in Richmond (Massachusetts) und Tel Aviv, in Flugzeugen, Hotelhallen und schliesslich (eine Woche vor der Uraufführung) in Boston», an diesem Werk arbeitete, bis er die Partitur am 20. März 1949 in New York fertigstellen konnte. W. H. Auden (1907–1973) schrieb sein sechsteiliges Gedicht, das allein ein ganzes Bändchen füllt, in den Jahren 1946/47 unter dem Eindruck von Krieg und Holocaust und unter der bedrängenden Frage, was denn danach sein werde. Er kannte Europa, Grossbritannien, das Land seiner Herkunft, Deutschland, wo er 1929 mit seinem Freund Christopher Isherwood neun Monate lebte, und die USA, in die er 1939 (mit Isherwood) gezogen war – für ein Jahr, wie er ursprünglich meinte. Er blieb während der Kriegszeit, nahm 1946 die US-Staatsbürgerschaft an und teilte ab 1948 sein Leben zwischen Amerika und Europa auf. Als junger Mann beeindruckten ihn die Schriften von Karl Marx und Sigmund Freud, in ihnen fand er einen geistigen Kompass. Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, Auden öffnete sich dem Christentum, im Poem vom Zeitalter der Angst gab er seinem Um- und Weiterdenken poetische Gestalt. «Die wesentliche Linie des Gedichts», folgerte Leonard


Bild : Österreichische Nationalbibliothek


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Bernstein, «ist das Protokoll unserer schwierigen und problematischen Suche nach Glauben. Am Ende anerkennen zwei der vier Charaktere den Glauben und offenbaren zugleich ihre Unfähigkeit, sich im täglichen Leben danach zu richten.» Auden nannte das Gedicht, das letzte grosse, das er schrieb, eine «barocke Ekloge». In einem befremdlichen Vorwort zu einer merkwürdig verstümmelten deutschen Ausgabe, die 1947 noch unter alliierter Lizenz erschien, bemäkelte der deutsche Lyriker Gottfried Benn Titel und Untertitel des Werks: «Warum diese Arbeit Das Zeitalter der Angst heisst, ist mir nicht klar geworden. Die vier Menschen, die die Träger der Ereignisse sind, haben nicht mehr Angst, als sie alle Generationen des Quartär [ des neuesten Erdzeitalters, des Zeitalters des Menschen, H.T. ] empfanden.» Und: «Auch der Untertitel ein barockes Hirtengedicht leuchtet mir nicht ein. Barock – ja, sogar in hohem Masse, aber Hirten – nein, hier ist nichts von Idyll, es wird nichts geweidet, kein Stecken geführt, keine Wolle gestrickt, im Gegenteil, die Trauer dieser vier Personen ist eigentlich, dass sie keine Hirten und keine Herde mehr sind.» Nun, es gibt in der neueren Literatur eine berühmte Ekloge, Stéphane Mallarmés Nachmittag eines Fauns, in welcher der Feld-, Wald-, Wiesen- und Hirtengott Pan, unter den antiken (Halb-)Gottheiten der Rohling mit Herz, der Barbar im ursprünglichen Wortsinn, die Hauptrolle spielt. Über die modernen Nachfahren dieser Fabelwesen schrieb Auden: «Aber der neue Barbar ist kein ungehobelter Wüsten-Bewohner, er taucht nicht auf Aus Tannenwäldern; Fabriken bringen ihn hervor, Firmen und Körperschaften, Hochschulstädte Sind die Mütter seiner Mentalität; und viele Journale Stützen seine Überzeugungen. Er ist hier geboren. Die Bravour der Revolver, die jetzt im Schwange ist, Und der Todeskult sind vollkommen heimisch Im Inneren der Grossstadt.» Das Panische ist aus dem Natur- zum Stadtphänomen geworden, und die Nachfolge der Pastoral­gedichte trat die Poesie aus Im Dickicht der Städte (Bertolt Brecht) an. Die hohe Sprachkunst Audens stösst ihre Sonden in weite und lange historische Räume. Zeit-

geschichte wird, im Spiegel der Dichtkunst betrachtet, Menschheitsgeschichte – und umgekehrt. Das zur «Ekloge»; zur Angst und ihrem Zeitalter heisst es wenig später: «Lüge und Lethargie kontrollieren die Welt In ihren Phasen des Friedens. Was der Schmerz lehrte, Ist bald vergessen; wir feiern, Was geschehen sollte, als wäre es geschehen, Blenden uns durch unsere Grossspurigkeit. Dann Kommt sie zurück, die Furcht, die wir fürchten.» Hannah Arendt, die Auden gut kannte, schrieb wenige Jahre danach vom «Gefühl der Leere und der Bedeutungslosigkeit, das diejenigen, die gegen den Nationalsozialismus kämpften, nach dessen Niederlage befiel: Der Feind war bezwungen, aber die Angst blieb.» Als Gegenmittel gegen das Schreckenszeichen der Epoche argumentierte Arendt mit dem Begriff von der «Banalität des Bösen», den sie in ihrer Berichterstattung vom Eichmann-Prozess prägte. The Age of Anxiety ist als historisch-psychologische Dichtung geschrieben, Seelen- und Zeitdiagnose, Gegenwart und Mythen, modernes Empfinden und alte poetische Formen spielen ineinander. Sie besteht aus sechs Teilen, Kapiteln vergleichbar: I. Der Prolog – II. Die sieben Lebensalter – III. Die sieben Stationen – IV. Das Klagelied – V. Das Maskenspiel – VI. Der Epilog. Der äussere Rahmen: Drei Männer (Quant, Malin und Emble) und eine Frau (Rosetta) denken und trinken in einer New Yorker Bar der Kriegsjahre vor sich hin. Die ärgerliche Verquickung von Nachrichten und Werbung im Radio bringt sie ins Gespräch miteinander, darin fallen grundsätzliche Bemerkungen zu Audens Weltsicht und -beobachtung (Teil I). In einer Sitzecke diskutieren sie über die sieben Lebensalter des Menschen; der Alkohol löst die Schranken der inneren Zensur und bringt manche Einsicht zur Sprache, die sonst im Unterbewussten verharren würde (Teil II). Die Erkenntnis setzt sich fort im Traum, in den sie fallen und in dem sie «die seltene Gemeinschaft erwerben, die sonst nur im Zustand extremer Wachheit erreicht wird»: Paarweise in wechselnden Koalitionen und auf verschiedenen Wegen durchstreifen sie sieben Stationen einer imaginären Landschaft (Teil III). Die Bar schliesst; per


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Taxi fahren sie zu Rosetta, unter dem Traumeindruck stimmen sie ein Klagelied auf verstorbene Menschheitsretter an; der vierte Teil ist wie ein Kapitel aus einem Mythos formuliert. In Teil V sind sie in Rosettas Wohnung; Emble tanzt mit ihr, Malin und Quant gehen; sie spricht, als sie Emble schlafend findet, einen Monolog als modernen Psalm. Der Schein der aufgehenden Sonne lässt in Malin Fragen nach Gott und Transzendenz aufdämmern. Wie Rosetta findet er wieder Zugang zum Glauben, in das Alltagsleben greift die erahnte Spiritualität nicht ein. Audens Synthese aus Zeitkritik und Spiritualität, persönlichem Lebensgefühl und Epochendiagnose, aus engagierter Dichtung und Sprachartistik, aus Poesie, Psychologie und Religiosität traf auf ein gleich gestimmtes Denken bei Bernstein. Dem Komponisten kam es nicht darauf an, die Dichterworte musikalisch zu verstärken oder nachzuarbeiten, er wollte vielmehr in seinem Medium ein Äquivalent zu Audens Sprachkunst schaffen. Er entschloss sich zu einem Werk für Klavier und Orchester – «wegen der hohen persön­ lichen Identifikation meiner selbst mit dem Gedicht. In diesem Sinn wirkt der Pianist fast wie ein autobiographischer Protagonist; er wird gegen den Spiegel des Orchesters gesetzt, in dem er sich selbst analytisch und in einer modernen Atmosphäre sieht. Das Werk ist deshalb kein ‹Konzert› im virtuosen Sinn, obwohl ich Audens Gedicht für eines der aufwühlendsten Beispiele purer Virtuosität in der Geschichte der britischen Poesie halte.» Bernstein übernahm die sechs Abschnitte des Gedichts und ihre Überschriften für seine Komposition, fasste sie aber in zwei übergeordneten Teilen zusammen. Teil I enthält Der Prolog, Die sieben Lebensalter und Die sieben Stationen, Teil II Der Klagegesang, Das Maskenspiel und Der Epilog. Dass er mit seiner Sinfonie der Dichtung Audens ein gleichrangiges Gegenüber schaffen wollte, äussert sich in Entsprechungen und Differenzen gleichermassen. Bei Auden ist Der Prolog eines der längeren Kapitel, denn er führt die vier Personen in ihrem Wesen und im Ambiente der Bar ein und schafft in Gedanken, Bemerkungen und Dialogen die dramaturgischen und philosophischen Grundlagen des Werks. Der Musiker braucht die äusseren Vorbereitungen nicht. Bernsteins Prolog ist der kürzeste aller Sätze. Zwei Klarinetten beginnen «im Echoton» wie von ferne. Sie

zelebrieren, wie ein Gedanke Gestalt annimmt, in Klangrede übergeht und sich zum Dialog weitet, so wie die vier in der Bar erst für sich denken, sich dann äussern und ins Gespräch kommen. Der Prolog schliesst mit einer absteigenden Flötenlinie über tiefen Akkorden der Celli, der eigentümliche Glanz dieser Phrase dient laut Bernstein «als Brücke in das Reich des Unbewussten, in dem sich das Gedicht grossenteils abspielt.» – Mit dem Einsatz des Soloklaviers beginnt der zweite Satz (Die sieben Lebensalter), Bernstein komponierte ihn wie danach auch den dritten als eine Folge von Variationen. Dies entspricht dem Wesen des Gesprächs und des kollektiven Traums, in denen jeder der vier ein Thema oder eine Station anders erfährt und bespricht. Bernstein schrieb jedoch eine besondere Art von Variationen. Jede von ihnen greift ein markantes Motiv aus der vorigen auf, führt es durch und lässt dabei im Laufe der Entwicklung einen neuen Gegencharakter entstehen, den die nächste Variation näher beleuchtet. Die Verbindung von der ersten zur zweiten Variation stellt das absteigende Flötenmotiv aus Der Prolog her, es wird dort in frischerem Tempo und mit Gegenlinie im Bass zur Hauptsubstanz. Das Klavier flicht irgendwann eine auffällige Figur aus Quartsprüngen ein, daraus formt sich die ruhige Melodie, mit der Geigen und Englischhorn die dritte Variation eröffnen. In ihrem Verlauf wird das Thema horizontal gespiegelt und so zum Kerngedanken der lebhaften vierten Variation. Die fünfte formt deren motorischen Drive neu und gewinnt daraus eine Fuge mit Schlagzeugantrieb. In Einwürfen des Klaviers deutet sich der besondere Rhythmus an, der dann langsamer die sechste Variation bestimmt; sie wird wie die erste vom Klavier allein gespielt – «wie eine Kadenz», aber «con tristezza». In Audens Gedicht befände man sich bei der Lebensetappe des Alterns und Rückblickens. Die letzte Variation kehrt mit Nachklängen der vorletzten wieder zum Prolog zurück und führt die absteigende Linie, die Brücke zum Unbewussten, von ganz oben in die tiefsten Tiefen. Mit der letzten Lebensphase, sagt das erste Buch der Bibel, kehre der Mensch dorthin zurück, woher er genommen sei. Die Variationen des dritten Satzes wirken kompakter, energischer, zielstrebiger als die des zweiten. So wie Auden für seine Dichtung alte Formen der


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englischen Poesie mit besonderen Versmassen, mit Binnen- und Stabreimen verwendete und seiner Sprache damit strenge Strukturen auferlegte, so spielt Bernstein musikalische Formen vor allem der Barockzeit durch: die Passacaglia, die sich über einem repetierten Bassthema entfaltet (achte Variation), das Wechselspiel der Orchestergruppen wie in einem Concerto (Bernstein bringt sie mit der neunten Variation in Walzerschwung), Stücke in Kanonformen, die wie ein Ebenbild der vier Personen wirken, die auf getrennten Wegen Gleiches verfolgen, Fugen, umspielende Verwandlungen und Einkleidungen eines Themas und die mehrstimmige Schichtung verschiedener Gedanken. Der tradierten Variationsform kommt er hier näher als im zweiten Satz. – Da die ersten drei Stücke bruchlos ineinander übergehen, könnte man auch von einem einzigen grossen Satz sprechen. Für das gesamte Werk ergäbe sich dadurch eine ähnliche Form, wie Gustav Mahler sie seiner 3. Sinfonie verlieh, über die er jene berühmte Bemerkung machte: «Sinfonie heisst mir, mit allen verfügbaren technischen Mitteln eine Welt aufbauen.» Er gliederte sie in zwei Abteilungen (Bernstein: zwei übergeordnete Teile), die eine bildet der erste Satz allein (bei Bernstein die Variationen mit Prolog), die zweite entsteht aus den Sätzen zwei bis sechs, die dem Scherzo, dem langsamen Satz und dem Finale in der klassischen Sinfonie entsprechen. Bei Bernstein vertritt Der Klagegesang den langsamen Satz, Das Maskenspiel das Scherzo, Der Epilog das Finale. In Der Klagegesang beweinen die vier den Verlust des «Übervaters», der stets den rechten Weg weiss und weist. Bernstein baut einen Zwölftonakkord auf, als wollte er den orchestralen Schrei aus Bergs Violinkonzert durch Zeitlupe vergrössern; aus ihm gewinnt er die melodischen Gestalten einer hochemotionalen Trauermusik. Den Jazz aus Das Maskenspiel, den Tanz in Rosettas Wohnung, bestreiten Soloklavier und Schlagzeug. Er klingt in Der Epilog nach, gespielt vom Klavier im Orchester. Das Schlussstück, in dem der Solopianist ursprünglich nur noch Beobachterstatus einnehmen sollte, revidierte Bernstein 1965 und gab dem Pianisten vor der finalen Orchestersteigerung eine Art integrativen Rückblick auf das, was zuvor in Age of Anxiety musikalisch geschah. ●


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Paul Hindemith: Sinfonische Metamorphosen über Themen von Carl Maria von Weber

Ein Neuerer entdeckt die Tradition Mit verfremdeter, virtuos instrumentierter Frühromantik bringt der Exilant Paul Hindemith die Brillanz US-amerikanischer Orchester zur Geltung. von Jürgen Ostmann

A

ls Glenn Gould 1973 einen Aufsatz mit dem Titel Hindemith: Kommt seine Zeit (wieder)? schrieb, nahm ihn kaum jemand ernst. Hindemiths Zeit, das waren im Grunde die 1920er-Jahre gewesen, als er das Image des Bürgerschrecks pflegte und dem schweren Gefühlspathos der Spätromantik einen betont sachlichen, manchmal auch parodistisch aggressiven Musizierstil entgegenstellte. Danach wollten seine Werke und Überzeugungen nicht mehr so recht in die Zeit passen. Die Nationalsozialisten stuften seine (inzwischen gemässigtere) Musik nach längerem Schwanken als «kulturbolschewistisch» und «entartet» ein. Daraufhin gab Hindemith seine

Sinfonische Metamorphosen Besetzung: Piccolo, 2 Flöten, 2 Oboen, Englisch Horn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Schlagzeug, Streicher Entstehung: 1943 Uraufführung: 20. Januar 1944, New York Widmung: Léonide Massine Dauer: 22 Minuten

Berliner Professur auf und ging nach zweijährigem Aufenthalt in der Schweiz ins US-Exil. Seine Rückkehr nach dem Krieg feierten die europäischen Kollegen zunächst enthusiastisch. Doch als die in den 1930erund 1940er-Jahren entstandenen Stücke allmählich bekannt wurden, wandte sich die Avantgarde befremdet von ihm und seinem ‹altmeisterlichen Stil› ab. Was Hindemith wiederum enttäuschte und zu massloser Polemik gegen zwölftönige oder serielle Schreibweisen verleitete. Er sah sich immer mehr in die Rolle eines rückwärtsgewandten Aussenseiters gedrängt. Inzwischen haben sich die Gemüter beruhigt. Man reduziert Hindemith nicht mehr auf Klischees wie das des bilderstürmenden Revolutionärs oder des verknöcherten Reaktionärs, sondern befasst sich lieber mit bestimmten Kompositionen und Ideen. Denn längst ist ja der von Hindemith attackierte Serialismus (die strikte Organisation musikalischer Parameter wie Tonhöhe oder -dauer in Reihen) als Sackgasse erkannt. Viele Komponisten haben den Glauben an musikalischen ‹Fortschritt› aufgegeben und teilen Hindemiths Geschichtsauffassung von der Gegenwärtigkeit vergangener Epochen. Und sie legen wieder mehr Wert auf Kommunikation mit dem Publikum – auch dies eine Gemeinsamkeit mit Hindemith, der immer für einen bestimmten Bedarf schrieb. Wer weiss – vielleicht kommt Hindemiths Zeit ja tatsächlich wieder ...


Bild : Österreichische Nationalbibliothek

Paul Hindemith vor dem Plakat, das eine Aufführung seiner Werke ankündigt (1950)


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Die Sinfonischen Metamorphosen zählen zu den Werken der Jahre um 1940, mit denen sich Hindemith in den USA auch als Dirigent profilieren wollte, die aber von vielen Europäern als zu wenig modern wahrgenommen wurden. Dass der ehemals stramm anti­roman­ tisch eingestellte Komponist nun auf das 19. Jahr­ hundert zurückblickte, geht bereits aus dem Titel hervor: Themen von Carl Maria von Weber liegen den vier Sätzen zugrunde. Die Anregung zu der Komposition gab der Choreograph Léonide Massine, doch ein zunächst ins Auge gefasstes Ballett-Projekt scheiterte an den unvereinbaren Vorstellungen der beiden Partner: Massine dachte an eine Reihe handlungsfreier Tänze «von tugendhaften und lasterhaften Leuten» in einem Wiener Palais. Dazu sollten Orchesterbearbeitungen einiger Melodien Webers erklingen. Hindemith jedoch wollte sich nicht mit einer blossen Instrumentierung begnügen, sondern «alles ziemlich umändern und mehr eine Art freier Paraphrase über die Stücke» gestalten – so heisst es in einem Brief von 1940. Die ersten Ergebnisse seiner Arbeit erschienen wiederum Massine zu komplex, und deshalb schrieb Hindemith statt einer Ballettmusik gleich eine Orchestersuite für den Konzertgebrauch. Er vollendete sie 1943 und liess sie am 20. Januar 1944 durch das von Artur Rodzinski geleitete New York Philharmonic Orchestra erstmals aufführen. Zur Herkunft seiner Weber-Themen hat sich Hindemith nicht geäussert, und die Musikwissenschaft brauchte fast zwei Jahrzehnte, um seine Quellen zu ermitteln. Das überrascht vor allem deshalb, weil der Komponist sein Material keineswegs bis zur Unkenntlichkeit umgestaltete. Allenfalls brachte er hier und da eine rhythmische Veränderung oder eine irritierende harmonische Einfärbung an. Er erfand neue Begleitstimmen, und natürlich instrumentierte er die Melodien auch sehr erfindungsreich, um die Brillanz der amerikanischen Orchester zu bester Geltung zu bringen. Drei der vier Sätze basieren auf der heute fast vergessenen Musik Webers für Klavier zu vier Händen. Und keine der Originalmelodien zeigt ihren Komponisten auf der vollen Höhe seines Könnens – vermutlich lag gerade darin für Hindemith ein Anreiz, die Stücke umzuarbeiten. Dem ersten Satz, Allegro, liegt das vierte der acht Klavierstücke op. 60 zugrunde, ein ungarisch-zigeu-

nerisch gefärbter Marsch, dessen Tempovorschrift im Original noch durch den Zusatz tutto ben marcato erweitert ist. Hindemith verstärkt seinen kraftvollen Charakter vor allem durch Blechbläserakzente; der sanftere Mittelteil enthält ein schönes Oboensolo. Das folgende Scherzo geht auf kein Klavierstück, sondern auf eine Bühnenmusik zurück. Carlo Gozzi war der Autor des tragikomischen Märchens Turandot, das später Giacomo Puccini und Ferruccio Busoni als Opernstoff dienen sollte. 1809 kam die Geschichte um die männermordende chinesische Prinzessin in Friedrich Schillers Nachdichtung auf die Bühne, und Weber steuerte eine Ouvertüre und sechs kürzere Instrumentalsätze (op. 37) bei. Als Hauptthema der Ouvertüre wählte er ein air chinois, das er in Jean-Jacques Rousseaus Dictionnaire de la musique (1767) gefunden hatte. Ob die Melodie nun authentisch chinesisch ist oder nicht, auf jeden Fall gründet sie sich auf der pentatonischen (fünftönigen) Skala, die typisch für viele fernöstliche Musiktraditionen ist. Wie kaum anders zu erwarten, verstärkt Hindemith das exotische Flair noch durch den Einsatz von Schlaginstrumenten wie Gong, Becken, Tamtam und Glocken. Überraschend wirkt dann allerdings die Verwandlung der chinesischen Melodie in ein jazziges Fugenthema. Den dritten Satz, Andantino, instrumentierte Hindemith leichter und durchsichtiger als die übrigen; er konzentrierte sich vor allem auf die Streicher und einige Solo-Holzbläser. Das Thema stammt aus dem zweiten von Webers sechs Klavierstücken op. 10. Das Finale kommt noch einmal auf op. 60 zurück; das siebte Stück dieser Sammlung ist ein Moll-Marsch, der in Hindemiths Fassung durch Blechbläser-Fanfaren noch bedrohlicher wirkt. Man glaubt Anspielungen auf Gustav Mahler und, in einem von den Hörnern angeführten Dur-Abschnitt, auf Webers Freischütz zu hören. Insgesamt bieten die vier Sätze der Sinfonischen Metamorphosen eine Fülle geistreicher Ideen und dankbarer instrumentaler Aufgaben für sämtliche Orchestergruppen. Kein Wunder, dass sie sich als eine der meistgespielten Partituren Hindemiths etablieren konnten. ●


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Vorlaut – Eine Serie

Die Entdeckung Amerikas von Alain Claude Sulzer

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ünfunddreissig Jahre seines langen Lebens – er wurde immerhin neunundachtzig – verbrachte Mozarts bedeutendster Librettist in Nordamerika. Von Gläubigern verfolgt, setzte sich Lorenzo da Ponte 1805 nach Pennsylvania ab, kurz darauf siedelte er nach New York über, wo er im Tabakund Branntwein-, später im Obst- und Gemüsehandel tätig war. Danach unterrichtete der Italiener jüdischer Herkunft, der eigentlich Emmanuele Conegliano hiess und zum Christentum übertrat, als sein Vater in zweiter Ehe eine Christin heiratete, italienische Literatur. Am 23. Mai 1826, ein Jahr, nachdem er im Alter von fünfundsiebzig Jahren seine Lehrtätigkeit am Columbia College aufgenommen hatte, holte ihn die künstlerische Vergangenheit ein. Vierzig Jahre nach der Prager Uraufführung kam es zur denkwürdigen amerikanischen Erstaufführung ‹seines› Don Giovanni durch die Truppe des berühmten Manuel Garcia. Garcia, einer der bedeutendsten Tenöre Italiens, dem Gioacchino Rossini den Grafen Almaviva in die Gurgel geschrieben hatte, sang nicht etwa den Don Ottavio, sondern die für einen Bariton geschriebene, vermutlich transponierte Titelrolle. Seine Frau Maria-Joaquina Sitchez sang die Donna Elvira und seine Tochter Maria, die in New York ihren späteren Ehemann François Eugène Malibran kennenlernte, die Zerlina. Ihr Bruder Manuel Garcia fils, der als Erfinder der Laryngoskopie in die Medizingeschichte eingehen sollte, sang den Leporello. Pauline Garcia (später Viardot) war noch zu klein, um mitzusingen. Nach dem Erfolg des Garcia’schen Tourneetheaters, das auch Die Hochzeit des Figaro aufgeführt hatte, setzte Lorenzo da Ponte alle Hebel in Bewegung, um Sponsoren für das erste Opernhaus New Yorks aufzutreiben, das tatsächlich gebaut wurde, jedoch bereits 1836, zwei Jahre vor seinem Tod, einem Brand zum Opfer fiel.

Spätestens am Tag der amerikanischen Premiere von Mozarts Don Giovanni war die europäische Musik auf dem musikalisch fast unberührten Kontinent angekommen. Bis zu diesem Augenblick hatte der ferne Erdteil bestenfalls als selten benutzte Kulisse bei Balletten oder Opern mit exotischer Handlung gedient; in Jean-Philippe Rameaus Oper Les indes galantes etwa, deren erster Aufzug in der Türkei, der zweite – Die Inkas in Peru – in der Neuen Welt spielt, oder in Carl Heinrich Grauns Oper Montezuma, die von der Torheit jener handelt, die den Worten ihrer vermeintlichen Freunde Glauben schenken, die sie am Ende mit Waffengewalt in die Knie zwingen (Libretto: Friedrich der Grosse). Doch als realer Ort hatte Amerika für Komponisten – für die Karriere etwa – bis zu diesem Zeitpunkt nicht existiert. Zum Thema Amerika haben sich meines Wissens weder Mozart noch Beethoven je geäussert. Triumphe feierte man in Wien, Paris oder London. New York zu erobern, liess man sich erst später einfallen, dann aber mit Ausdauer. Fünfundsechzig Jahre nach der ersten Aufführung des Don Giovanni wurde der Tscheche Antonín Dvořák Direktor des New Yorker Konservatoriums. Die Mäzenin Jeannette Thurber hatte ihn nicht zuletzt deshalb nach New York eingeladen, weil sie sich in den Kopf gesetzt hatte, die amerikanische Musik von ihren europäischen Vorbildern zu befreien; amerikanische Komponisten sollten ihr eigenes Idiom entwickeln, so wie es die tschechischen Komponisten ihrerseits getan hatten. Dreiundzwanzig Jahre nachdem Dvořák die Neue Welt wieder verlassen hatte, wurde Leonard Bernstein in Lawrence, Massachusetts geboren. Den Don Giovanni hat er nie dirigiert. ●


Bild : Österreichische Nationalbibliothek

Der aztekische Herrscher Montezuma (um 1480–1520)


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Casino-Geschichte(n), Teil 7

Eine Art Verkehrskreisel von Sigfried Schibli

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eit dem 5. Januar 2015 gilt in Basel ein verschärftes Verkehrsregime, welches unter anderem den privaten motorisierten Verkehr gänzlich und den gewerblichen weitgehend aus der Innerstadt verbannt. Die verkehrsfreie Stadt war geboren. Man kann sich heute fast nicht mehr vorstellen, dass etwa die Steinenvorstadt noch vor wenigen Jahrzehnten von Autos befahren wurde und der Barfüsserplatz ein grosser, zentral gelegener und dementsprechend beliebter Parkplatz war. Und inmitten dieser Verkehrsströme von Strassenbahnen, Autos, Motorrad- und Velofahrern sowie Fussgängern steht wie eine Insel das Basler Stadtcasino. Der Kulturtempel als Zentrum eines Verkehrskreisels! Der Einfluss des Verkehrs auf die Konzerte im Stadtcasino mitten in der verkehrsreichen Innerstadt wurde immer wieder beklagt. Max Adam, damals Tonmeister des Radio-Studios Basel, protestierte 1961 in einem Leserbrief an die Basler Nachrichten: «Wie viele der schönsten Aufnahmen waren unbrauchbar und mussten noch und noch wiederholt werden, weil das Tram in ein zartes Piano polterte oder eine Autohupe in die Welt Mozarts drang!» Drei Jahre später mauerte man aus diesem Grund die Fenster des Musiksaals zu. Die Autogeräusche liessen sich so weitgehend vom Musiksaal fernhalten. Nicht aber die Immissionen durch die schweren Tramzüge am Steinenberg, die den Saal oft förmlich zum Vibrieren brachten. Dieses Ärgernis konnte erst 2006 beseitigt werden. Damals wurden die Tramschienen am Steinenberg mit einem schweren Massefedersystem versehen. Seither fahren die Trams auf Betonelementen, die auf Stahlfedern ruhen. So können sie nicht mehr

oder nur noch sehr eingeschränkt Körperschall in den Saal übertragen. Eine bauliche Massnahme, die nicht vom Kanton und auch nicht von der CasinoGesellschaft finanziert wurde, sondern mit drei Millionen Franken von der Basler Stiftung Bau & Kultur der Musik liebenden Mäzenin Christine Cerletti-­Sarasin. Durch den Wegfall der Parkplätze auf dem ‹Barfi› im Jahr 1979 wandelte sich rund hundert Jahre nach dem Bau des Musiksaals dessen Umgebung nachdrücklich. Und das war nicht die einzige folgenreiche bauliche Veränderung: 1975 war das alte Stadttheater gesprengt und durch einen Neubau ersetzt worden. Die gotische Barfüsserkirche, der Sitz des Historischen Museums, wurde zwischen 1975 und 1981 grundlegend restauriert. In diese Zeit fielen auch die Dachsanierung des Stadtcasinos und die Erneuerung der Fassaden des Musiksaals – wobei es sich weniger um eine Erneuerung als um die Wiederherstellung des Urzustands handelte. So wurden Fensterattrappen angebracht, die 1964 aus Lärmschutzgründen zugemauerten Fenster aber blieben zu. Mit der Renovation des Hans Huber-Saals waren diese Arbeiten 1980 abgeschlossen. Bemerkenswert ist das stark entwickelte bürgerliche Selbstbewusstsein der Casino-Gesellschaft. Peinlich genau achtete diese darauf, dass die bau­ lichen Massnahmen in Höhe von 2,5 Millionen Franken das Kantonsbudget nicht belasteten. Man beliess es bei einem Bundesbeitrag von rund 300 000 Franken und einem einmaligen Kantonsbeitrag à fonds perdu von 800 000 Franken, ergänzt durch ein kantonales Darlehen in derselben Höhe. Den Rest brachte die Casino-Gesellschaft selbst auf. Es war der bürgerlich ausgerichteten Casino-Gesellschaft wichtig,


Bild : Casino-Gesellschaft Basel

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Der Barfüsserplatz um 1930

nicht auf eine ständige Subventionierung durch den Kanton angewiesen zu sein. Auf das Jahr 1976 fielen gleich zwei grosse Jubiläen: die Hundert-Jahr-Feier des Basler Musiksaals und die Hundert-Jahr-Feier der Allgemeinen Musikgesellschaft (AMG). Dieses Doppeljubiläum feierte man am 16. Juni 1976 mit der Aufführung der monumentalen Gurrelieder von Arnold Schönberg durch das Basler Sinfonie-Orchester, Chöre und Solisten unter dem künstlerischen Leiter der AMG, Moshe Atzmon. Diese festliche Aufführung war nicht der einzige Beitrag der AMG zum Doppeljubiläum. Sie hatte ausserdem Kompositionsaufträge an den polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki sowie an die beiden Basler Rudolf Kelterborn und Robert Suter gesprochen. Penderecki schrieb ein Violinkonzert für den Solisten Isaac Stern, der auch die Uraufführung spielte, Kelterborn seine dritte Sinfonie mit dem Titel Espansioni und Robert Suter eine

Musik für Orchester. Die Leitung aller drei Uraufführungen mit dem Basler Sinfonie-Orchester lag bei Moshe Atzmon. Die beiden Rezensenten Albert Müry (Basler Nachrichten) und Peter Hagmann (National-Zeitung) lobten einhellig die künstlerische Qualität der KelterbornUraufführung. Doch waren sie sich über den Charakter dieses Events uneinig. Während Müry von einem «Ereignis» sprach und Kelterborns Fantasie und sein handwerkliches Geschick lobte, konstatierte sein junger Kollege Hagmann «nicht mehr als gelangweiltes Interesse» des Publikums an einem durch Schönheit und Klarheit bestechenden Werk. Die Musik unserer Tage komme bei der AMG «allenfalls in Alibifunktion» zur Geltung, monierte Hagmann, der später als «Erster Musikkritiker» an die Neue Zürcher Zeitung wechselte und dort weiter für die Erneuerung des Musiklebens kämpfte. ●


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Sabine Horvath und Yannick Studer im Gespräch

«Die grösste Herausforderung ist die Sprache» Sabine Horvath, Leiterin Aussenbeziehungen und Standortmarketing des Kantons Basel-Stadt, und Yannick Studer, Projektleiter des Sinfonieorchesters Basel, unterhalten sich über die Städtepartnerschaft zwischen Basel und Shanghai, chinesische Konzertagenturen und einen gelebten Kulturaustausch. aufgezeichnet von Simone Staehelin

Sabine Horvath: Die Städtepartnerschaft zwischen Basel und Shanghai besteht seit 2007 und setzt auf die Schwerpunkte Kultur, Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft, Life Science und Logistik. Sie ist aber auch gesellschaftspolitisch wichtig, wegen der Re­ krutierung von hoch qualifizierten Arbeitskräften. Die Partnerschaft baut auf einem Rahmenvertrag auf, in welchem die Grundsätze verankert sind. Darin haben wir uns unter anderem darauf geeinigt, nur Aktivitäten zu fördern, die für beide Standorte attraktiv sind. Vom Rahmenvertrag ausgehend werden dann direkt zwischen den einzelnen Institutionen tiefer gehende Kooperationen formuliert. Yannick Studer: Sie sind also mehr in der Vermittlung tätig und setzen den Rahmen? Die Inhalte werden dann von den Institutionen selbst bestimmt? Ja, genau. Gerade in Shanghai ist der Einfluss der Politik relativ stark, dort kann der Kanton über die Vermittlung auf politischer Ebene viel bewirken. Voraussetzung ist natürlich, dass es im Raum Basel Institutionen gibt, die an Shanghai interessiert sind. Gleichzeitig kann aber auch die Politik nicht alles bewirken. Wenn jetzt zum Beispiel das Sinfonie­ orchester in Shanghai auftritt, braucht es nicht nur die Politik, sondern vor allem auch eine Agentur, die bereit ist, diesen Auftritt zu realisieren.

Ich habe gelernt, dass es sehr wichtig ist, die richtige Agentur zu wählen. Man muss die politischen Gegebenheiten kennen. Wenn man die falsche Agentur wählt, kann diese dann auch schnell zu einem Bremsklotz werden. Die Agentur, mit welcher wir momentan zusammenarbeiten, ist zum Glück gut vernetzt und kann entsprechend Einfluss nehmen. Denn wie alle Kulturinstitutionen möchten wir am liebsten in den grossen Städten Chinas, also in Peking, Shanghai und Hongkong auftreten. Wir waren ja bereits 2004 und 2010 in China. Der Auftritt in Peking war da nicht so ein Problem, aber das Konzert in Shanghai hätte wohl ohne die Städtepartnerschaft nicht stattgefunden. Der Auftritt hat aber deutliche Spuren hinterlassen: Wir sind nun nicht mehr irgendein Orchester, wir sind das Sinfonieorchester Basel, das schon einmal in Shanghai gespielt hat, und die Menschen wissen, was sie erwartet. Das ist sehr schön und hilfreich.

Yannick Studer wurde 1984 in Biel geboren und ist in Basel und Arlesheim aufgewachsen. Er studierte an der Universität Basel Geschichte und Medienwissenschaft. Nach Positionen bei der Kaserne Basel und der Konzertgesellschaft arbeitet er seit 2011 für das Sinfonieorchester Basel.


Bild : Jean-François Taillard

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Yannick Studer und Sabine Horvath

Es war ja auch ein grossartiges Konzert, das viel Begeisterung ausgelöst hat. Ja das war toll. Auf dieser Ebene profitieren wir wirklich sehr von der Städtepartnerschaft. Bei Schwierigkeiten und Problemen mit Visa und Transportfragen sind die Kontakte auf politischer Ebene von grosser Hilfe. Wir können den Kontakt zu den Konsulaten und Botschaften herstellen und so über die Kulturattachés vor Ort viel Know-how vermitteln. Wir nutzen unsere Kanäle, um das Orchester vor Ort breiter abzustützen und Medienaufmerksamkeit zu generieren. Es ist aber in erster Linie das Orchester, das uns mit seinen Konzerten in Shanghai einen Mehrwert bringt. Vor Ort besteht dann wiederum die Möglichkeit, das Standing eines Orchesters zu verändern. Das muss schon immer auch das Ziel sein: Ein erfolgreiches Konzert in Shanghai kann an anderen Orten als wichtige Referenz wahrgenommen werden. Im ­besten Fall

Sabine Horvath wurde 1967 in Zürich geboren und lebt seit bald zwanzig Jahren in Basel. Sie absolvierte die Journalistenausbildung und einen Master of Science in Communications Management. Sie baute das seinerzeitige Stadtmarketing mit auf und leitet seit 2009 die Abteilung Aussenbeziehungen und Standortmarketing im Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt.

中国瑞士建交

周年


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resultiert aus diesen Auftritten eine Anfrage, oder es verbessern sich die Konditionen. Die Konditionen haben sich bereits jetzt verbessert! Aus unserer Sicht sind aber vor allem die Anfragen entscheidend. 2010 waren wir auf Hilfe angewiesen, um überhaupt in Shanghai spielen zu können. Heute sind wir das nicht mehr. Wir haben die Kontakte, und auf der Tournee ist Shanghai zu einer selbstverständlichen Station geworden, ohne dass wir auf die Städtepartnerschaft hätten zurückgreifen müssen. Wir können also auf dem guten Konzert von 2010 aufbauen. Ein toller Zufall ist auch, dass 2015 das 65. Jubiläum der Beziehungen zwischen der Schweiz und China gefeiert wird. Nebst den positiven Effekten in Shanghai hat die Städtepartnerschaft auch den Vorteil, dass Basel in gewissem Sinne zur exemplarischen Region der Schweiz wird. So wurde zum Beispiel das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China letztes Jahr hier in Basel unterzeichnet. Was sind denn die Herausforderungen, welchen Sie sich in dieser Partnerschaft stellen müssen? Die grösste Herausforderung ist sicherlich die Sprache. Das erschwert besonders den Kulturaustausch und die Medienarbeit. So weiss man nie genau, wie ein Konzert bei Chinesinnen und Chinesen an-

kommt, die nicht Englisch sprechen. Für Akteure aus dem Bereich Kultur ein Pendant zu finden, mit welchem eine richtige Kooperation entstehen kann, ist schwierig. Es wäre aber toll, wenn zum Beispiel das Sinfonieorchester Basel ein Partnerorchester finden und mit diesem gemeinsame Projekte erarbeiten könnte. Da könnte die Städtepartnerschaft bestimmt behilflich sein. Das wäre auf alle Fälle spannend! Der Kulturaustausch als solcher ist im Moment noch sehr beschränkt. Ganz ehrlich gesagt, reduziert er sich darauf, dass das eine Orchester von A nach B fährt und das andere Orchester von B nach A. Diese Art von Kulturaustausch liesse sich tatsächlich noch stark erweitern: Man könnte zum Beispiel Musiker austauschen oder im Instrumentarium, wo wir durch die lange Tradition gerade asiatischen Orchestern gegenüber einen grossen Vorsprung haben, wertvolles Know-how transportieren. Darüber haben wir noch gar nie nachgedacht. Und das ist doch eigentlich erstaunlich! In den Häfen und Spitälern sowie in der Wirtschaft und Bildung gehört der Austausch von Personal zur Tagesordnung. In der Kultur wäre es viel naheliegender, weil die Institutionen international ausgerichtet sind. Das trifft besonders auch auf unser Orchester zu, in welchem zwanzig Nationen vertreten sind. Und die Musik ist ja sowieso universell. ●

Impressum Sinfonieorchester Basel, Steinenberg 14, 4051 Basel, +41 ( 0 )61 205 00 95, info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch, www.facebook.com/sinfonieorchesterbasel, twitter.com/symphonybasel Geschäftsleitung : Franziskus Theurillat  Künstlerische Planung, Dramaturgie und Vermittlung : Dr. Hans-Georg Hofmann  Konzeption und ­Redaktion Programm-Magazin : Simon ­Niederhauser, Simone Staehelin  Korrektorat: Ulrich Hechtfischer G ­ asel/Muttenz  Auflage : 5500 Exemplare ­ estaltung : Neeser & Müller, Basel  Druck : Schwabe AG, B


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Vorschau Eröffnungskonzert Jazzfestival Basel: E.S.T. Symphony

Wo ist das schönste Bild?

«The Piano-Trio of the Decade» (London Times)

Musiker spielen mit Klangfarben und schaffen Klangbilder. Eine Malerin skizziert unermüdlich. Besucher werden zu Kunstwerken und versteinern zu Skulpturen. Doch ein Bild wird lebendig, der Rahmen ist leer. Was nun? Mit Musik von Mussorgsky, Dvořák, Prokofjew, Schönberg, Reich und Lutosławski gespielt auf Klarinette, Violoncello und Klavier.

Esbjörn Svensson war der wohl wichtigste europäische Jazz-Pianist der letzten fünfzehn Jahre. Der 16. April ist der Geburtstag des 2008 verstorbenen Musikers. Offbeat und das Sinfonieorchester Basel widmen das Eröffnungskonzert des Jazzfestivals Basel der einzigartigen Musik des legendären Esbjörn Svensson Trios (E.S.T). Das Trio aus Stockholm prägte mit einem speziellen Mix aus Jazz, Klassik und schwedischer Musiktradition die internationale Musikwelt unüberhörbar und nachhaltig.

Bild : Jean-François Taillard

Bild : zVg

mini.musik: Im Museum

Samstag, 28. März 2015 16.00 Uhr, Stadtcasino, Grosser Festsaal

Donnerstag, 16. April 2015 20.00 Uhr, Stadtcasino, Musiksaal


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Agenda MI 04.03. 19.30

Sinfoniekonzert SOB: Bruckner 4 Wolfgang Amadé Mozart: Sinfonie Nr. 34 C-Dur Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 4 Es-Dur, Romantische SOB / Stanisław Skrowaczewski

Stadtcasino, Musiksaal

DO 05.03. 20.00

Zu Gast in Strassburg Werke von Wolfgang Amadé Mozart und Anton Bruckner SOB / Stanisław Skrowaczewski

Palais de la Musique et des Congrès Strassburg

MI 11.03. DO 12.03. 19.30

Viertes Coop-/Volkssinfoniekonzert Werke von Wolfgang Amadé Mozart, Gioacchino Rossini und Ludwig van Beethoven SOB / Amira Elmadfa / Pietari Inkinen

Stadtcasino, Musiksaal

SA 14.03. 17.00

Schwarz auf Weiss: Echoes of the Jazz Age Musik von George Gershwin, Cole Porter und Erik Satie, Ausschnitte aus Tender is the Night (englisch) von F. Scott Fitzgerald Mitglieder des SOB / Christian Sutter / Marissa Blair

Basler Papiermühle

SO 15.03. 17.00

Schwarz auf Weiss: Echos des Jazz Age Musik von George Gershwin, Cole Porter und Erik Satie, Ausschnitte aus Zärtlich ist die Nacht (deutsch) von F. Scott Fitzgerald Mitglieder des SOB / Christian Sutter

Basler Papiermühle

DO 19.03. ab 16.00

Entdeckerkonzert: Neue Horizonte Mitglieder des SOB / Fazil Say / Dennis Russell Davies

Stadtcasino

DO 19.03. 19.30

Sinfoniekonzert SOB: Horizonte Paul Hindemith: Sinfonische Metamorphosen Isang Yun: Violinkonzert Nr. 3 Leonard Bernstein: Sinfonie Nr. 2, The Age of Anxiety SOB / Yumi Hwang-Williams / Fazil Say / Dennis Russell Davies

Stadtcasino, Musiksaal

SA 28.03. 16.00

mini.musik: Im Museum Mitglieder des SOB / Irena Müller-Brozovic / Norbert Steinwarz

Stadtcasino, Grosser Festsaal

DO 16.04. 20.00

Jazzfestival Basel: E.S.T. Symphony SOB / Mitglieder von E.S.T. / Hans Ek

Stadtcasino, Musiksaal

Vorverkauf ( falls nicht anders angegeben ) : Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus mit Musik Wyler, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf : www.sinfonieorchesterbasel.ch


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