Jahrbuch 2009

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J A H R B U C H 2009 ÖSTERREICHISCHE GES E L L S C H A F T FÜR ALPIN- UND HÖHE N M E D I Z I N

HERAUSGEBER: W. SCHOBERSBERGER W. DOMEJ M. FAULHABER M. BURTSCHER


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IMPRESSUM Herausgeber: SCHOBERSBERGER Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., Vizepräsident der ÖGAHM, Institut für Sport-, Alpinmedizin & Gesundheitstourismus (ISAG), TILAK und UMIT, Anichstrasse 35, A-6020 Innsbruck. E-mail: wolfgang.schobersberger@uki.at DOMEJ Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., Vizepräsident der ÖGAHM, ARGE-Alpinmedizin, Klinische Abteilung für Lungenkrankheiten, Medizinische Universität Graz, Auenbruggerplatz 20, Human Performance ResearchGraz/KFU, A-8036 Graz E-mail: wolfgang.domej@medunigraz.at FAULHABER Martin, Dr., Institut für Sportwissenschaften der Leopold-FranzensUniversität Innsbruck, Fürstenweg 186, A-6020 Innsbruck. E-mail: martin.faulhaber@uibk.ac.at BURTSCHER Martin, Univ.-Prof. DDr., Präsident der ÖGAHM, Institut für Sportwissenschaften der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Fürstenweg 186, A-6020 Innsbruck. E-mail: martin.burtscher@uibk.ac.at

Verleger: Österreichische Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin Satz, Gestaltung und Druck: DIE DRUCKEREI EGGER GmbH, Langgasse 90, 6460 Imst ISBN-Nr. 978-3-9501312-9-1 Alle Rechte vorbehalten Umschlagbilder: Gestaltung Brigit Faulhaber 3


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VORWORT Die Österreichische Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin (ÖGAHM) wurde 1989 von einer handvoll enthusiastischer Pioniere der Bergmedizin ins Leben gerufen. In den 20 Jahren ihres Bestehens hat sie sich zur weltweit größten und bedeutendsten Gesellschaft entwickelt, die sich mit der ganzen Vielfalt medizinischer Belange des Bergsportes beschäftigt. Sie wird heute von rund 1500 Mitgliedern getragen. Sie hat im Laufe ihrer Entwicklung auch schwierige Phasen durchlaufen und erst allmählich ihr scharfes Profil entwickelt. Heute ist die ÖGAHM kompetenter Ansprechpartner in allen alpin- und höhenmedizinischen Fachfragen. Das auf solider praktischer Erfahrung und wissenschaftlicher Forschung beruhende „Know-how“ wird in den weit über die österreichischen Grenzen hinaus geschätzten „Alpinärztekursen“ weitergegeben. Ebenso internationale Anerkennung finden unsere regelmäßigen Publikationen (Jahrbuch und Rundbriefe). Aus der Vielfalt aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse wurde alljährlich eine Auswahl mit besonderer Bedeutung für die alpinmedizinische Praxis in den Jahrbüchern unserer Gesellschaft publiziert. Mit dem vorliegenden Buch wird ein 20-bändiges Kompendium komplettiert. Sie finden hier die Mehrzahl jener Beiträge abgedruckt, die anlässlich unserer Jubiläumsveranstaltung im Frühjahr 2009 in Igls (Tirol) präsentiert wurden. Dort wurde versucht, den Bogen zwischen traditionellen Aufgabenbereichen und den derzeitigen stürmischen Entwicklungen zu spannen. Wie weit das gelungen ist, beurteilen Sie bitte selbst. Ich möchte Ihnen im Namen des gesamten ÖGAHM-Vorstandes viel Freude beim Lesen wünschen und Sie gleichzeitig ermuntern, uns auch in Zukunft mit Beiträgen Ihres Fachbereiches zu unterstützen. Ein besonderes Anliegen ist es mir noch, unserem federführenden Redaktionsteam der Jahrbücher, Kollegen Professor Wolfgang Schobersberger und Professor Wolfgang Domej für die langjährigen und unermüdlichen Bemühungen um die Jahrbücher der ÖGAHM zu danken.

Foto: p.vagners

Ihr Martin Burtscher Präsident

ÖGAHM Vorstand bei der Jubiläumstagung „20 Jahre ÖGAHM“ im Congress Igls, Mai 2009 5


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Inhalt Impressum …………………………………………………………………………

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Vorwort des Präsidenten ……………………………………………………………

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Autorenverzeichnis …………………………………………………………………

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Fachartikel F. Berghold Die Entwicklung der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin 1989 bis 2009 ……………………………………………………………………… 11 Block i: Megatrend alpen R. Rodewald Landschaft und Gesundheit – eine vielversprechende Verbindung ……………… 17 W. Schobersberger, V. Leichtfried, M. Raggautz, P. Vagners, B. Strasser Zukunftschancen des Alpinen Gesundheitstourismus im Rahmen des Klimawandels ………………………………………………………………… 27 M. Wogrolly-Domej Kreativität und Höhe am Beispiel des Kulturprojektes Dachstein:Cult und der Glücksmeldestelle auf Klein Matterhorn ………………………………… 37 E. Humpeler Benötigt der alpine bzw. generell der Gesundheitstourismus Grundlagenforschung? …………………………………………………………… 47 P. Lechleitner Alpine Medical Wellness ………………………………………………………… 55 E. Humpeler AMAS …………………………………………………………………………… 63 M. W. Flatz, E. Punter, W. Schobersberger, E. Humpeler Physiological Effects of a Vacation with Physical Activity at Altitude …………… 75 Block ii: höhenmedizin gestern – heute –morgen E. Simons Die Geschichte der Höhenkrankheit ……………………………………………… 85 7


U. Gieseler Die Diagnose von Höhenerkrankungen …………………………………………… 107 K. Schommer, P. Bärtsch Prophylaxe und Therapie der Höhenkrankheiten ………………………………… 115 M. Tannheimer, N. Albertini, H.-V. Ulmer, A. Thomas, M. Engelhardt, R. Schmidt Testen des individuellen Höhenkrankheitsrisikos in größerer Höhe ……………… 125 R. Waanders Stress und die akute Berg- und Höhenkrankheit: Ein Modell …………………… 145 W. Domej, G. Schwaberger, C. Pietsch Höhentauglichkeit bei respiratorischen Vorerkrankungen ………………………… 157 Th. Valentin, M. Hoenig Infektionskrankheiten in der Alpin- und Höhenmedizin ………………………… 181 H. Köppel, W. Wonisch Die periphere arterielle Verschlusskrankheit – Das Aus für den Alpinsport?……… 199 H. Juch, M. Gauster Teratogenes Risiko von Höhenaufenthalten in der Schwangerschaft

…………… 205

Th. Küpper, U. Schwarz, V. Schöffl Epidemiologie und Risikoanalyse beim Eisklettern ……………………………… 221 G. Sumann, H. Brugger Neues aus der Lawinenmedizin – Überblick und aktuelle Themen ……………… 241 A. Werner, H.C. Gunga Wärmehaushalt und Temperaturregulation des Menschen in extremen Umwelten und Physiologie und Pathophysiologie des Individuums ……………… 259 A. Koller, W. Schobersberger Extreme körperliche Belastungen: Vom Muskelkater bis zum „Herzmuskelkater“ … 277 M. Burtscher, M. Faulhaber, M. Wille Zukunft künstlicher Hypoxie in Sport und Medizin ……………………………… 287 D. Tanczos Führen am Berg aus Gefälligkeit – Zivilrechtliche Haftungsfragen im nicht kommerziellen Bergsport …………………………………………………… 301 8


Autorenliste BERGHOLD Franz, Univ.-Prof. Dr. med., Past-Präsident der ÖGAHM, Salzburger Platz 130, A-5710 Kaprun. E-mail: bergi@sbg.at BURTSCHER Martin, Univ.-Prof. DDr., Präsident der ÖGAHM, Institut für Sportwissenschaften der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Fürstenweg 186, A-6020 Innsbruck. E-mail: martin.burtscher@uibk.ac.at DOMEJ Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., Vizepräsident der ÖGAHM, ARGE-Alpinmedizin, Klinische Abteilung für Lungenkrankheiten, Medizinische Universität Graz, Auenbruggerplatz 20, Human Performance ResearchGraz/KFU, A-8036 Graz E-mail: wolfgang.domej@medunigraz.at FLATZ Markus, Mag., Sportwissenschafter, Institut für Sportwissenschaften, Universität Innsbruck, Fürstenweg 185, A-6020 Innsbruck. E-mail: markus.flatz@student.uibk.ac.at GIESELER Ulf, Dr. med., Medizinische Abteilung Diakonissenkrankenhaus Speyer, Kardinal Wedelstrasse 71, D-67343 Speyer. E-mail: ulf-gieseler@high-mountains.de HUMPELER Egon, Univ.-Prof. Dr. med., Institut Humpeler & Schobersberger GmbH, Inselstrasse 5, A-6900 Bregenz. E-mail: humpeler@utanet.at JUCH Herbert, Univ.-Ass. Dr. med., Institut für Zellbiologie, Histologie und Embryologie, FE Humane Teratogene, Medizinische Universität Graz, Harrachgasse 21/7 A-8010 Graz. E-mail: herbert.juch@medunigraz.at KOLLER Arnold, Dr., Institut für Sport-, Alpinmedizin & Gesundheitstourismus (ISAG), Anichstrasse 35, A-6020 Innsbruck. E-mail: arnold.koller@uki.at KÖPPEL Herwig, Privatdozent Dr. med., SKA RZ St. Radegund, ARGE-Alpinmedizin, Quellenstraße 1, A-8061 St. Radegund. E-mail: herwig.koeppel@gmx.at. KÜPPER Thomas, PD Dr. med., Medizinische Kommission der Union Internationale des Associations d’Alpinisme (UIAA MedCom), Bern / Schweiz und Institut für Arbeits- & Sozialmedizin, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen, Pauwelsstrasse 30, D-52074 Aachen. E-mail: tkuepper@ukaachen.de LECHLEITNER Peter, Prim. Univ.-Prof. Dr., Interne Abteilung, BKH Lienz, SymbioMed Medical Center, Grandhotel Lienz, Fanny-Wibmer-Peditstr. 2, A-9900 Lienz. E-mail: p.lechleitner@tirol.com 9


RODEWALD Raimund, Dr. phil., Geschäftsleiter Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, Schwarzenburgstrasse 11, CH-3007 Bern. E-mail: r.rodelwald@sl-fp.ch SCHOBERSBERGER Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., Vizepräsident der ÖGAHM, Institut für Sport-, Alpinmedizin & Gesundheitstourismus (ISAG), TILAK und UMIT, Anichstrasse 35, A-6020 Innsbruck. E-mail: wolfgang.schobersberger@uki.at SCHOMMER Kai, Dr. med., Universitätsklinikum Heidelberg, Medizinische Klinik (Krehl Klinik), Innere Medizin VII, Sportmedizin, Im Neuenheimer Feld 410, D-69120 Heidelberg. E-mail: kai.schommer@med.uni-heidelberg.de SIMONS Elisabeth, Dr. med., Stadtspital Triemli, CH-8063 Zürich. E-mail: elisabeth.simons@triemli.stzh.ch SUMANN Günther, Prim. Dr. med., IKAR MEDCOM, Institut für Anästhesiologie und Intensivmedizin, LKH Vöcklabruck, Dr. Wilhelm Bock Str. 1, A-4840 Vöcklabruck. E-mail: guenther.sumann@gespag.at TANCZOS Dalia, Mag. iur., Richterin der Bezirksgerichte Fürstenfeld und Weiz, Schillerstraße 9, A-8280 Fürstenfeld. E-mail: dalia.tanczos@justiz.gv.at TANNHEIMER Markus, Dr. med., Abteilung für Visceral- und Thoraxchirurgie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm. E-mail: markus.tannheimer@arcor.de VALENTIN Thomas, Ass. Dr. med., Klinische Abteilung für Pulmonologie, Universitätsklinik für Innere Medizin (UKIM), LKH Universitäts-Klinikum Graz, Auenbruggerplatz 20, A-8036 Graz. E-mail: thomas.valentin@klinikum-graz.at WAANDERS Robb, Mag. Dr., Kassier der ÖGAHM, Bahnhofstraße 16/2, A-6800 Feldkirch. E-Mail: robb.waanders@lkhr.at WERNER Andreas, Dr. med., Oberfeldarzt, Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe, Abteilung – Flugphysiologie, Steinborner Str. 43, D-01936 Königsbrück und Charité – Campus Benjamin Franklin, Universitätsmedizin Berlin, Institut für Physiologie, Zentrum für Weltraummedizin. Arnimallee 22, D-14195 Berlin. E-mail: andreas.werner@charite.de WOGROLLY-DOMEJ Monika, Dr., Große Mohrengasse 33/14, A-1020 Wien. E-mail: monika.wogrolly@living-culture.at

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Franz Berghold

D i e E n t w i c k l u ng d e r Ö s t e r r e i c h i s c h e n G esellschaft f ü r A l p i n - u n d H ö h e n m e d i z i n 1989 bis 2009

Um diese Entwicklung zu verstehen, muss man den Bogen etwas weiter spannen – zurück zu den Anfängen der Alpinistik und der Bergrettungsmedizin.

Alpinistik und Bergrettung Aus heutiger Sicht wirkt der Bergsport ja eher als der Inbegriff einer uralten, traditionsbewussten Tätigkeit, so alt etwa wie der Teil der Menschheit eben, der im Gebirge lebt. Tatsächlich wurden aber die Berge historisch eher gemieden, galten sie doch als Sitz der Götter und Dämonen; selbst Dante siedelte in seinem Inferno die Hölle ins Gebirge. Erst vor rund 150 bis 200 Jahren begann man Alpengipfel zu ersteigen, und Bergsteigen als Sport entwickelte sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die großen alpinen Vereinigungen sind demnach auch kaum älter als einhundert Jahre. Mit der Breitenentwicklung des Bergsports kam es aber leider auch immer wieder zu Alpinunfällen. So war ein tödlicher Lawinenunfall auf der Rax bei Wien der Anlass, die weltweit erste alpine Rettungsorganisation zu gründen (ausgerechnet in Wien, ärgern sich auch heute noch einige Tiroler). Allerdings: in den ersten Jahrzehnten bestand die Funktion alpiner Rettungsvereinigungen in erster Linie im Bergen von Toten. 11


Rettungsgruppe auf der Raxalpe (1896)

Von den Wurzeln der Bergrettungsmedizin zur medCom iKAr Wie in vielen technologischen Bereichen beruhte die Fortentwicklung auch der Bergrettungstechnik auf militärischen Bestrebungen. Die beiden furchtbaren Weltkriege fanden in besonders grauenhafter Ausprägung in Gebirgen statt. Aber erst nach dem Weltkrieg, um die Mitte des 20. Jahrhunderts, gab es im Rahmen der alpinen Rettungsorganisationen die ersten Gehversuche einer Bergrettungsmedizin. Im Mai 1956 wurde die Internationale Kommission für Alpines Rettungswesen (IKAR) gegründet, ein Zusammenschluss von nationalen Gruppen vornehmlich in den Alpen. Ihr erster und legendärer Präsident war bezeichnenderweise der praktische Arzt Rudi Campell aus Pontresina in der Schweiz. Maßgebliche Protagonisten der ersten Stunde waren übrigens die Österreicher Elmar Jenny und Gerhard Flora, die späteren Gründungspräsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin. Und wieder dauerte es Jahrzehnte des Bemühens und der Erfahrungssammlung bis zur allmählichen Etablierung einer einigermaßen standardisierten Bergrettungsmedizin. Die IKAR schaffte eine eigene notfallmedizinische Subkommission (MEDCOM IKAR). Und wieder ging hier Österreich beispielgebend voran: Seit 1971 veranstaltete Gerhard Flora alle zwei Jahre die Internationalen Bergrettungsärztetagungen in Innsbruck, die sich zu den bis heute maßgeblichen Eckpfeilern in der Bergrettungsmedizin entwickeln sollten. 12


die Wurzeln der HöHenmedizin Die Alpinmedizin, wie wir sie heute kennen, beruht auf zwei wesentlichen Grundpfeilern. Auf der Bergrettungsmedizin und auf der Höhenmedizin – genaugenommen: der Medizin der großen und extremen Höhen. Auch hier kam eigentlich erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts Bewegung ins Spiel: Jahrzehntelang waren es vornehmlich britische Gruppen, die mit breiter nationaler Unterstützung die unsägliche Schmach einer früheren Weltmacht, weder den Südpol noch den Nordpol bezwungen zu haben, wettzumachen versuchten, indem sie seit den frühen Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in mehreren, außerordentlich verbissenen Wellen den dritten Pol der Erde, den Everestgipfel, berannten. Die Geschichte ist bekannt: Am 29. Mai 1953 legten Edmund Hillary und Tenzing Norgay der eben gekrönten britischen Königin schließlich den heiß ersehnten Gipfelsieg zu Füßen. Was aber kaum bekannt ist: Der Erfolg der Everest-Expedition 1953 war in erster Linie der ersten höhenmedizinischen Forschungsexpedition der Geschichte zu verdanken. Sie fand 1952, noch während sich Schweizer unter Raymond Lambert (und schon damals Tenzing Norgay!) am Everest verzweifelt abmühten, ganz in der Nähe, im Bereich des Achttausenders Cho Oyu statt. Sie hatte erklärtermaßen ein einziges Ziel: Die medizinisch-physiologischen Gründe für das bisherige Scheitern am höchsten Berg der Erde zu erkunden und taktische Tricks herauszuarbeiten (optimale Sauerstoffatmung, Trinken usw.). Die Erstersteigung des Mount Everest war also eng verbunden mit der Geburtsstunde der Höhenmedizin. Erst Jahrzehnte später wandte man sich auch den so genannten Mittleren Höhen zu, den alpinen Höhenlagen also. Immerhin bevölkern alljährlich 40 bis 60 Millionen Touristen die Hochgebirge der Alpen. Nicht ohne Stolz darf man erwähnen, dass hier österreichische Forscher – Karl Inama, Egon Humpeler, Martin Burtscher, Wolfgang Schobersberger u.a.m. – weltweit bahnbrechende Resultate erzielt haben, die heute aus der modernen Urlaubs- und Rehabilitationsmedizin nicht wegzudenken sind.

die gründung der medCOm uiAA In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte die immer breitere Palette der Bergsportarten einen bis heute ungebrochenen Boom. Damit stieg auch das Interesse nicht nur an der Bergrettungsmedizin – darum kümmerte sich ja die MEDCOM IKAR – sondern auch an der Höhenmedizin, an der Höhenakklimatisation, am Kinderbergsteigen und an vielen anderen gesundheitlichen Aspekten der Alpinistik. Der Weltbergsportverband UIAA (Union Internationale des Assoziations d`Alpinisme) 13


gründete daher 1979 eine Medizinischen Kommission (MEDCOM UIAA). Sehr bald sollte sich zwischen den beiden MEDCOMs eine sehr intensive Kooperation entwickeln, zumal ja die Grenzen zwischen der Bergrettungsmedizin (aus der sich die alpine Notfallmedizin und die alpine Hubschrauberrettung entwickelten) und der Höhenmedizin mit ihren mannigfaltigen alpinmedizinischen Aspekten fließend waren.

die internAtionAl soCiety for mountAin mediCine (ismm) Der Pferdefuß von MEDCOM IKAR und MEDCOM UIAA bestand aber von Anfang an darin, dass es sich dabei um reine Delegiertenclubs handelte. Außenstehende, also nicht von den nationalen Institutionen und Verbänden entsandte ÄrztInnen waren quasi ausgeschlossen. Im Wissen um dieses Manko gründete die MEDCOM UIAA 1985 in Chamonix die International Society for Mountain Medicine (ISMM). Diese war sowohl als öffentlich zugängliche Fachgesellschaft als auch als Träger und Förderer der wissenschaftlichen Forschung gedacht.

die ersten nAtionAlen Vereinigungen für Alpin- und HöHenmedizin gründeten siCH Sehr bald erwiesen sich ihre weltumspannende Anonymität ebenso wie die gelegentliche Tendenz zu wissenschaftlicher Abgehobenheit als Pferdefüße der ISMM. Die nationalen Interessen und Gegebenheiten waren zu unterschiedlich, als dass sie unter einem gemeinsamen Dach hinreichend repräsentierbar erschienen. Die ISMM kam also jahrelang nicht vom Fleck. Für interessierte ÄrztInnen in den einzelnen Gebirgsländern war die Society zu anonym und fremd. Es regte sich der Wunsch, überschaubare Identitäten zu schaffen, nämlich nationale Gesellschaften. Dass die Österreicher die weltweit ersten sein würden, die eine nationale Gesellschaft für Bergmedizin gründen würden, war aber im Rückblick eigentlich bloß purer, schicksalhafter Zufall. Die Geschichte war folgende: Im Mai 1987 fand in Davos ein erster großer Weltkongress für Höhenmedizin statt – mit stolzen 5 (fünf!) Teilnehmern aus Österreich (davon waren drei geladene Referenten und nur zwei Teilnehmer, nämlich mein bester Freund Karl und meine spätere Frau Hildegard). Unglaublich aber wahr: In Österreich wusste praktisch keiner von den vielen an der Alpinmedizin interessierten Kolleginnen und Kollegen von dieser Veranstaltung direkt vor unserer Haustüre. Ich war als Delegierter Österreichs bei der MEDCOM UIAA informiert. Dieses beschämende Dilemma, vor dem seltsamen Hintergrund der paradoxen Tat14


sache, dass die österreichische Bergrettungsmedizin unter Elmar Jenny und Gerhard Flora ja Weltspitze war, veranlasste noch vor Ort Egon Humpeler, Wolfgang Schobersberger und mich, in einem Davoser Kaffeehaus die Idee einer österreichischen Fachgesellschaft zu überlegen. Ihr Hauptzweck sollte in einer gegenseitigen Informations- und Kooperationsplattform bestehen, zumal damals, 1987, das Internet noch in den Kinderschuhen steckte. So ein beschämendes Informationsdefizit wie damals in Davos sollte jedenfalls nie mehr möglich sein. Jenny und Flora waren einverstanden, und so fand dann am 15.4.1989, vor über 20 Jahren, die Gründungsversammlung der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin statt. Sie wurde damals übrigens bald die heute noch mitgliederstärkste nationale alpinmedizinische Fachgesellschaft. Weitere Gesellschaften folgten bald: In den USA, in Frankreich, Japan, Deutschland, Schweiz, Italien, Spanien, Tschechien usw. Mittlerweile gibt es das Web, und damit würde sich eine Gesellschaft wie die unsrige eigentlich wieder erübrigen. Man erhält ja heute jede gewünschte Information auf Knopfdruck frei Haus. Trotzdem gibt es uns noch – warum eigentlich? Ich weiß es nicht, ich ahne nur irgendwie, dass es daran liegen mag, für mich zumindest, dass hinter der alpinmedizinischen Wissenschaft und der fachlichen Wissensvermittlung Menschen stehen. So sind die von der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin seit 18 Jahren durchgeführten, bis heute 87 einwöchigen Internationalen Lehrgänge für Alpinmedizin zum International Diploma in Mountain Medicine (seit 1992 3.494 Teilnehmer) nach wie vor überfüllt und gelten als weltweit größte „Bergärzteschmiede“. Dort treffen sich nämlich Gleichgesinnte, denen das Bergsteigen ebenso am Herzen liegt wie die Medizin.

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Raimund Rodewald

L a n d s c h a f t u n d G e s u ndheit – e i n e v i e l v e r s p r e c h e n d e Verbindung Landscape and Health – a Very Promising Combination

SUMMARY Landscape and health are two concepts with a long tradition in history but not in science. Since the 80ies the salutogenesis has become more and more an interesting research field. In a 2007 published study by the Swiss Foundation for Landscape Conservation (www.sl-fp.ch) the relation between health and landscape elements has become evident. In future health promotion effects of landscape should be more integrated into space planning and health care system. Keywords: Landscape, nature, spacial planning, health promotion

ZUSAMMENFASSUNG Landschaft und Gesundheit sind geschichtlich betrachtet seit längerem miteinander in Verbindung gesetzt worden. Neue wissenschaftliche Belege für die gesundheitsfördernde Wirkung von Natur und Landschaft fehlen hingegen. Deren salutogenetische Bedeutung wächst seit den 80er Jahren stetig. In einer 2007 veröffentlichten Grundlagenstudie der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (www.sl-fp.ch) wird die Evidenz der Gesundheitsressource Landschaft verdeutlicht. Dieser Aspekt soll künftig vermehrt in die Raumplanung und das Gesundheitswesen berücksichtigt werden. Stichwörter: Natur, Landschaft, Raumplanung, Gesundheitsförderung

LANDSCHAFT UND GESUNDHEIT – SCHON SEIT LANGEM EIN THEMA Die Bedeutung intakter Landschaften und Freiräume (inner- und außerhalb von Siedlungen) für Körper, Geist und Seele des Menschen wird in Vorträgen oder Artikeln häufig angesprochen. Leider gibt es aber nur wenig konkrete Indizien über einen nachweisbaren Effekt. Gemäß Definition der WHO von 1946 ist Gesundheit ein Zustand des kompletten physischen, mentalen, spirituellen und sozialen Wohlbefindens und besteht 17


nicht nur aus der Absenz von Krankheit oder Schwäche. Nach Aaron Antonovsky und der von ihm begründeten Salutogenese wird Gesundheit mehr als Prozess denn als Zustand verstanden. Der Mensch befindet sich demgemäß bis zu seinem letzten Atemzug Ebene der Wahrnehmung und Objektbeschreibung Landschaft als physische, sinnlich erfahrbare Realität in Form von Bergen, Gewässern, Strassen, Quartieren, etc.

Realität objektiv

Landschaft

intersubjektiv

subjektiv Konstrukt

Metapher Landschaft als Metapher für Träume, Nostalgie, Erinnerungen, Mystik etc.

Landschaft als Konstrukt in Wissenschaft, Politik, Gesellschaft, Kunst etc.

Ebene der Zeichen und individuellen Präferenzen

Ebene der kulturellen und sozialen Werte und Normen

Abbildung 1: Das Landschaftsmodell, abgeändert nach (1) in einem Gesundheits-Krankheitskontinuum. Die Frage stellt sich, was den Menschen gesund (und nicht bloß krank) macht. Das Wohlbefinden umfasst daher subjektiv erfahrbare Gesundheit und Lebensqualität. Gesundheit wird somit zu einer täglichen Ressource. Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach dem Einfluss von Landschaft (intakt/reizvoll oder trivialisiert) auf unser Wohlbefinden bedeutsam. Landschaft ist im physischen und sensorisch wahrgenommenen (ästhetischen, die objektive Seite), im metaphorischen (die subjektive Seite) und konstruktivistischen Sinne (die intersubjektive Seite) zu verstehen. Dass der Zusammenhang zwischen Natur/Landschaft und Gesundheit bislang kaum je untersucht wurde, erstaunt insofern, als die gesundheitsfördernde Kraft von Natur als Gesundheitsressource – so auch von Alpenreisenden (2-4) – in früheren Zeiten immer wieder beschworen wurde: 1.

Vierelementenlehre von Aristoteles, Gewässer und Winde bei Hippokrates Die stoffliche Natur wird als Medium (Wesen der Natur) sinnlich wahrnehmbar und charakterisieren zugleich die Bedürftigkeit des Lebewesens. Die gesundheit18


liche bzw. krankmachende Wirkung wurde den Gewässern und Winden (Miasmen) im Corpus Hippocraticum beschrieben. 2.

Heilkräuter, Mineralien mit Heilkraft Bereits seit der Antike waren zahlreiche Heilpflanzen, später auch die Heilwirkung von Mineralien beschrieben.

3.

Landschaftsveränderungen zur Seuchenbekämpfung Seit der Antike und vor allem in der Renaissance wurden u.a. aus hygienischer Sicht Landschafts- und Siedlungsumformungen durchgeführt (Abwässer, Wasserversorgung, Verlegung von Friedhöfen, Bannwälder u. a.)

4.

Bewegung in freier Natur zur Gesunderhaltung Der englische Arzt Richard Morton (1637-98) riet zu Leibesübungen und Bewegung in freier Natur als Therapie neben Diät und Trinkkuren bei Lungenkrankheiten. Der deutsche Turnvater Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) forderte seit 1805 Bewegung in freier Natur zur Gesunderhaltung (mit Blick auf Schlachten). William Wordsworth, John Keats, Samuel Taylor Coleridge und Charles Dickens gehörten in England im 19. Jhr. zu den großen Spaziergängern.

5.

Heilquellen und Thermalbäder („Spa“) als Gesundheitsquellen Bereits in der Antike waren natürliche Mineral- und Thermalquellen als gesundheitsfördernd bekannt (Asklepieion auf Kos, 3. Jhdt. v. Chr.), wo auch andere Therapien durchgeführt wurden), mycenische Therme San Calogero auf Lipari (2. Jht. v. Chr.). Johann Jakob Scheuchzer beschrieb 1708 ausführlich die Heilwirkung des Brigerbades bei Brig/Wallis. Beispiele für Heilquellen sind St. Moritz, Tarasp, Vulpera, Alvaneu, Spinabad/Davos, Pfäfers (Paracelsus war als Arzt dort 1555). Gemäß einer Schrift von ca. 1920 gab es in den Alpen ca. 100 Spas, im Jura 26 und weitere 30. Im Prospekt des Hotels Ofenhorn im Binntal wurde 1912 der Aufenthalt als „gesund“ beschrieben (mit Hinweis auf die eisenhaltigen Quellen).

6.

Die Nostalgia Der Basler Arzt Johannes Hofer beschrieb 1688 die Nostalgia oder Schweizer Krankheit (Heimweh), die sich bei den Söldnern in Frankreich im Verlust der guten Luft und des fehlenden Läutens der Kuhglocken manifestierte.

7.

Die Naturanschauung als Wohltat der Seele J.W. Goethe 1779: Naturanschauung als „Vorrat von Gewürz, womit er den unschmackhaften Teil des Lebens verbessern kann“. H.-B. de Saussure (Briefe an A. v. Haller): „La pureté de l‘air, sa température agréable, la beauté du spectacle.“ J.J. 19


Rousseau: Ruhe und Natur ermöglicht die innere Versenkung. Carl Gustav Carus (Psyche, 1846): „Es kann ein solches Eintauchen in freie Natur allerdings wahrhaft erfrischend und mächtig auf den Geist wirken.“ 8.

Die gesunde Höhenluft: Sanatorien, Kurhäuser und Kliniken und diverse Therapien (Klimatotherapie, Heliotherapie, Liegetherapie, Hydrotherapie, Waldwanderungen) Ein erstes modernes Krankenhaus nach dem Prinzip Frischluft entstand 1787-1789 in landschaftlicher Lage und mit großem Parkareal in Bamberg. John Davy 1842, danach Hermann Brehmer und Alexander Spengler in Davos (1850er Jahre) postulierten bei Lungenkrankheiten die gesundmachende Wirkung von Höhenlagen „Alpine people rarely had tuberculosis because of the greater respiratory activity occasioned by a rarefied atmosphere“. (Sokolovsko/Görbersdorf/Niederschlesien, war die erste Lungenheilanstalt 1854 auf 546 müM mit Frischlufttherapie gegen Miasmen, Wanderungen im Wald). Zuvor gab es die (billigen) Milchkuren: Dr. Meyer von Arbon TG riet 1749 seinem kranken Schwiegersohn zu einer Geissenmilchkur in Gais AI (abführende Wirkung). Viele Sanatorien wurden schleichend in Hotels übergeführt, die Kurorte wurden zu Gesundheits- und Sportresorts. Die Heliotherapie stammte aus arabischer Welt, später in Lyon, dann durch Auguste Rollier in Leysin angewendet.

9.

Gesundes Landleben (Rudolf Virchow 1821-1902) Der Berliner Arzt Virchow erwähnte 1852 in „Die Noth im Spessart“ die geringere Sterblichkeit im Gebirge und nannte als Faktoren die „Bergluft, die elevirte Lage, die hohen Waldgegenden und die Arbeiten im Freien“.

10. Stadt- und Naturpark-Bewegung Öffnung des Wiener Praters (ehem. kaiserliches Jagdgebiet) per Erlass des Kaisers Joseph II vom 7.4.1766 für Jedermann: Wien zählte 1785 über 210‘000 E. „In der Stadt ist den Wienern nicht wohl, sie lieben die freye Luft“ (Anselm Desing, 1741). Zwischen 1770 und 1800 entwickelten sich in der Umgebung Wiens diverse Naherholungsgebiete und Ausflugsorte. (1699-1772, bayr. Philosoph und Pädagoge). Der Elfenaupark Bern ist erst seit 1918 öffentlich, der Thuner Schadaupark erst seit 1925. Frederick Law Olmsted beschreibt die Wirkung des Yosemite-Parks auf die Besuchenden als Beruhigung von nervlicher und geistiger Anstrengung, von Missmut, Melancholie und Reizbarkeit (1865). Zudem gibt es zahlreiche Redewendungen und Begriffe, die auf den Kontext Gesundheit und Landschaft hinweisen: „Luftveränderung“, „Heimweh“, „gesundes Landleben“, „gesunde Landluft“, „Sommerfrische“, „Akklimatisierung“ u.a. 20


Die alpine Landschaft als «Wellnessort» wurde auch in manchen Werbeplakaten der Tourismusbranche immer wieder thematisiert. Das Bedürfnis «Nature for people» scheint gerade mit dem wachsenden Anteil der Bevölkerung, der in städtischen Agglomerationen lebt, zu steigen.

DIE AKTION «PAYSAGE À VOTRE SANTÉ» Die 2005 gestartete Aktion «Paysage à votre santé» der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) und der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) beabsichtigt, (a) die Wirkungen von Landschaften und Siedlungen auf Körper und Psyche des Menschen aufgrund einer umfassenden Literaturrecherche zu beschreiben, (b) Kriterien für eine möglichst gesunde Landschafts- und Siedlungsqualität zu erstellen, und (c) Projekte und weitere Anreize für eine Bewusstwerdung und Verbesserung der räumlichen Qualität zu lancieren. Das Vorhaben wird finanziell unterstützt durch die Bundesämter für Umwelt sowie für Gesundheit und von der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz. Die wissenschaftliche Recherchearbeit wurde im Auftrag der beiden Verbände vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern (ISPM, Abteilung Gesundheitsforschung, Prof. Thomas Abel) durchgeführt (5).

DIE GRUNDLAGENSTUDIE AUS SICHT DER GESUNDHEITSFORSCHUNG Das ISPM hat erstmals eine breite Übersichtsstudie zu den Zusammenhängen von Landschaft und Gesundheit erstellt (6). Dabei gliederte sie ihre Recherche auf die ökologische, ästhetische, physische, psychische, soziale und pädagogische Komponente. Ausgehend von dem obigen Landschaftsmodell wird der Fokus in der Studie auf die objektive Realität gelegt. Fragen, inwieweit Symbolleistungen von Landschaft oder auch Wertekonstrukte gesundheitsbildend sein können, mussten weitgehend offen gelassen werden. Die Studie zeigt, dass sich Landschaft umfassender auf Gesundheit auswirkt als bislang angenommen: Der Zugang zu Grünräumen, bewegungsfreundliche Städte, soziale Treffpunkte im Freien, Waldkindergärten u.a.m. wirken günstig auf die physische, psychische und soziale Gesundheit der Bevölkerung. Umgebungen, die von der Bevölkerung als attraktiv wahrgenommen werden und gut zugänglich sind, sind für die Ausübung körperlicher Aktivität förderlich. Natur wirkt sich auch positiv auf die psychische Gesundheit der Menschen aus: Die Anwesenheit von Bäumen, Wiesen, Feldern etc. steigert die Konzentrationsfähigkeit, fördert positive Gefühle und reduziert Frustration, Ärger, Kriminalität und Stress. Schließlich tragen grüne Außenräume in hohem Maße dazu bei, dass sich Menschen in ihrer Umgebung sozial engagieren und sich sozial integriert und wohl fühlen. Zudem wurden auch verschiedene Effekte auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aufgezeigt. 21


DIE GESUNDHEITSFÖRDERNDE WIRKUNG VON LANDSCHAFTEN Mit Blick auf die nicht-urbane Landschaft finden sich in der Studie Untersuchungen namentlich zum Wald und zum Stichwort „Therapeutische Landschaften“. Wald ist gemäß schweizerischen Studien der Inbegriff für Ruhe, Freiheit, Schönheit, Leben und somit von Bedeutung für die psychische Gesundheit. Die englische Forstsoziologin E.A. O’Brien beschrieb die gesundheitsfördernde Funktion des Waldes (7) wie folgt : (1) Der Wald trägt zur Erholung von Stress bei, indem verschiedene Sinne angeregt werden. (2) Der Wald und einzelne Bäume können eine persönliche Bedeutung haben, Träger für Geschichten, Mythen und Legenden sein und somit Identität und Lebensbezug vermitteln. (3) Wald kann z. B. Verkehrslärm dämpfen, und er kann viele Leute beherbergen, ohne dass das Gefühl von Überbevölkerung aufkommt. (4) Der Wald bietet Raum für verschiedene Freizeitaktivitäten, die zur körperlichen Betätigung und/ oder zu sozialen Kontakten beitragen können. (5) Der Aufenthalt im Wald ist nicht teuer, was im Zusammenhang von sozialer Ausgrenzung und Ungleichheit von gesundheitlicher Relevanz ist. Die Befragten charakterisieren ihre Erfahrung im Wald mit Gefühlen von Freiheit, Ruhe, Entspannung, Kontemplation, Zufriedenheit und Entlastung. Eine andere Befragung – ebenfalls aus England – ergänzt, dass der Wald unter anderem als Ort erfahren wird, in dem eigene Erinnerungen abgerufen und nochmals durchlebt werden können (8), was ein Gefühl von Identität und Lebensbezug vermitteln kann. Die Studienergebnisse rechtfertigen die Forderung, dem Gesundheitspotential von Landschaft künftig mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse müsste die Raumplanung die Landschaft als eine Gesundheitsdeterminante stärker berücksichtigen. Im Zusammenhang mit ruralen Landschaften ist der Begriff der therapeutischen Landschaften wichtig. Das Konzept wurde vom Geographen Wil Gesler (9) eingeführt, der therapeutische Landschaften als „places with an enduring reputation for achieving physical, mental, and spiritual healing“ definiert. Therapeutische Landschaften fokussieren den therapeutischen Nutzen von materiellen wie symbolischen Aspekten von Orten wie zum Beispiel von Spitälern, Bädern, Wallfahrtsorten, Kultstätten oder dem Zuhause. Physische, psychische, soziale und spirituelle Erfahrungen spielen dabei eine Rolle. Natürliche Landschaftselemente können Bestandteile von therapeutischen Landschaften sein. So zeigt die Untersuchung von Conradson (10), dass die weite und ästhetisch attraktive natürliche Umgebung des Zentrums Holton Lee in Südengland – einem therapeutischen Zentrum für körperlich behinderte Personen – für die Gäste 22


von Bedeutung ist. Die Betrachtung der Landschaft und der Aufenthalt in der Landschaft vermittelt Ruhe und Zufriedenheit. Weitere Studien von Terry Hartig belegen den blutdrucksenkenden und aufmerksamkeitssteigernden Effekt von Blicken auf die oder Wanderungen durch die Natur im Gegensatz zur Stadt (11). Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch in selbstbewertenden Befragungen über die Gesundheitswirkung von körperlicher Betätigung Outdoor versus Indoor (12).

ERSTES FAZIT FÜR DIE PRAXIS Für die Waldpraxis ergeben sich aus den Primärstudien zur Gesundheitswirkung folgende Kriterien: Ruhe, Komplexität der Waldbilder, Waldkindergärten, Vielfalt von Wegqualitäten, gute Zugänglichkeit und Erreichbarkeit, «Mystery» (Geheimnisvolles), Wildheit und Aussichtslagen. Für die Landschaftsentwicklung stehen folgende Kriterien im Mittelpunkt: Frische Luft, öffentliche Zugänglichkeit, Wetter, hohe Vegetationsdichte, Natürlichkeit, Gewässer, Wald, therapeutische Landschaften, abwechslungsreiche Räume, Vielfalt von Wegqualitäten, Soundscape, Wildheit, Aussichtslagen, «Mystery», ästhetisch ansprechende Landschaften, Land-use Mix. Für die urbanen Räume sind folgende Kriterien von Bedeutung : Als angenehm empfundene und ästhetisch ansprechende Landschaften, visuelle Stimuli, Fülle und Komplexität wie Wasser und Vegetation, bauliche Kriterien, Aussicht auf Natur, Landschaften, die kreatives Spielen ermöglichen, auch mit Rückzugsmöglichkeit (Privatsphäre), Zugang zu attraktiven Zielorten, Erreichbarkeit zu Fuß, Präsenz von bewegungsfördernden Einrichtungen, vielfältig nutzbare Landschaften (Land-use mix), vernetzte Straßen, sichere Gehwege, Bodenbeschaffenheit, Fußgängerzonen, Parks, öffentliche Plätze, Lage eines Parks, Sicherheit durch Parkwächter, kein Verkehr, verkehrsarme Lage, vertrauensvolle Beziehung zu Nachbarn, aktive Nachbarschaft, sicheres Spielen im Freien ohne Beaufsichtigung, Gemeinschaftsgärten.

KONKRETE FALLBEISPIELE Ausgehend von der erwähnten Studie wurden in einer zweiten Phase Thesen der Gesundheits-/Landschaftsbeziehung abgeleitet und mit denjenigen Landschaftskriterien verbunden, die in den jeweiligen Primärstudien untersucht und denen entsprechende Gesundheitswirkungen zugeschrieben wurden. Daraus entstand eine Matrix der Landschafts-/Gesundheitsbeziehung. Diese Kriterien wurden nun in dem Fallbeispiel Liebefeld/Köniz/bei Bern zusammen mit interessierten Quartierbewohner/innen ausgetestet. Es entstand daraus eine fast flächendeckende Gesundheitsprüfung der entsprechenden Raumverhältnisse, woraus wiederum konkreten Gestaltungsziele abgeleitet wurden. In dem weiteren Fallbeispiel Scuol/Graubünden wird ebenfalls partizipativ eine Projekt23


liste erarbeitet, welche das dortige Gesundheitszentrum mit dem Tourismus unter dem Stichwort «Promenaden» verbinden soll. In der Stadt Zürich besteht eine Strategie zur Gesundheitsförderung, die auf dem Grünbuch der Stadt Zürich basiert und auf Bewegung und Nutzung des «Grünen Netzes» der Stadt beruht. Schließlich findet in Zollikofen BE seit einigen Monaten ein «Dialog Gesundheit» im Sinne von Gesundheitsforen mit der Bevölkerung statt, woraus ein Gesundheitsratgeber entstehen soll.

SCHLUSSFOLGERUNGEN 1. Die Beziehung zwischen Landschaft und Gesundheit ist relevant und wissenschaftlich belegbar. 2. Die Wirkungen von landschaftlichen und urbanen Elementen auf die Gesundheitsförderung sind darstellbar und evident. Dennoch herrscht ein großer Forschungsbedarf. So fehlen nach dem heutigen Wissensstand die möglichen Gesundheitswirkungen von Licht, Gerüchen, Wildtieren, gestalteten und ungestalteten urbanen Räumen und Gebäuden sowie ganz allgemein von der ländlichen Kulturlandschaft. 3. Die Planung und Gestaltung von ländlichen und urbanen Landschaften in der Praxis sollten die Aspekte der Gesundheit und des Wohlbefindens stärker berücksichtigen. 4. Bei Bau- und Planungsvorhaben sollte eine Gesundheitsverträglichkeitsprüfung in Erweiterung der UVP durchgeführt werden. 5. Die Tatsache, dass attraktive und naturnahe, öffentlich zugängliche Landschaften Gesundheit und Wohlbefinden unterstützen, sollte für die Krankenkassen und die entsprechenden Politikbereiche von größerer Bedeutung sein. 6. Ein neues nationales Forschungsprogramm zum Thema «Bedeutung der Gesundheits-Landschafts-Beziehung für die öffentlichen und privaten Akteure» ist zu fordern.

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LITERATUR (1)

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(10) Conradson D. Landscape, care and the relational self: Therapeutic encounters in rural England. Health & Place 2005; 11(4):337-348. (11) Hartig T. Three steps to understanding restorative environments as health resource. In : Ward Thompson C., Travlou P. (Hrsg) Open Space : People Space, Taylor & Francis London New York 2007:163-179 (12) Seeland K. Bedeutung und Potenzial körperlicher Aktivität für Gesundheit und Wohlbefinden (COST E39). ETHZ, Zürich 2008 25


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Wo l f g a n g S c h obersberger, Veronika Leichtfried, Marisa Raggautz, Patricia Vagners, Barbara Strasser

Z u k u n f t s c h a n c e n d e s A l p i n e n Gesundheitst o u r i s m u s i m R a h m e n d e s Klimawandels

Future Perspectives of Alpine Health Tourism due to Climate Change

SUMMARY It is expected that within the next decades tremendous changes in the world climate will occur, which also affect the Alps. Because those changes in climate will have a negative impact on the environment (less snow, deficits in winter tourism, worse water quality of swimming lakes) it is of the utmost importance for the tourism industry to deal with the problems of this topic and to get creative in offering appropriate packages, especially in the field of Alpine health tourism. The following two examples shall demonstrate the opportunities in Alpine health tourism due to the climate change. These are a) lower temperatures in the Alps as compared to the temperatures in the valleys, which offer a recreational sojourn especially in the heat of the summer, and b) decrease of allergens at higher altitudes, which patients with allergic-atopic illnesses can benefit from in various ways. However, medicine and tourism will have to co-operate tightly to create and implement new verifiable and efficient vacation products, and to optimize their quality on a regular basis. Keywords: climate change, allergy, asthma, moderate altitude, health tourism

ZUSAMMENFASSUNG In den nächsten Jahrzehnten ist mit einer deutlichen globalen Erderwärmung zu rechnen, die auch den Alpenraum in Mitleidenschaft ziehen wird. Gerade weil der Klimawandel mit negativen Aspekten behaftet ist (weniger Schnee, Einbußen des Wintertourismus, schlechtere Wasserqualität der Badeseen), ist es für die Tourismusindustrie bereits jetzt von essentieller Bedeutung sich mit dieser Problematik zu befassen und mit neuen Angeboten, v.a. im Bereich des Alpinen Gesundheitstourismus positive Akzente zu setzen. Anhand von zwei Beispielen wird erörtert, welche Chancen der Klimawandel 27


für den Alpinen Gesundheitstourismus bietet. Es sind dies a) die niedrigeren Temperaturen im Alpenraum verglichen mit Tallage, welche gerade im Hochsommer noch einen Erholungsurlaub ermöglichen und b) die Allergenarmut im Gebirge, die für das Gästeklientel von Patienten mit allergisch-atopischen Erkrankungen eine Vielzahl von gesundheitlichen Benefits mit sich bringt. Allerdings gilt es in enger Zusammenarbeit von Medizin und Tourismus nachweislich wirksame Urlaubsprodukte zu erstellen, umzusetzen und hinsichtlich Qualität regelmäßig zu optimieren. Schlüsselwörter: Klimawandel, Allergie, Asthma, mittlere Höhe, Gesundheitstourismus

EINLEITUNG Die Themen „Klimawandel” und „Globale Erwärmung” stehen seit einigen Jahren regelmäßig im Brennpunkt medialer und politischer Diskussionen. Polarisierungen sind auch hier anzutreffen: Von Horrorszenarien bis zur kompletten Verneinung eines Klimawandels sind sämtliche Ansichten präsent. Diese Diskussionen betreffen natürlich auch den Alpenraum und somit den Alpinen Gesundheitstourismus. Allerdings scheint der Eindruck zu entstehen, dass die Sorge der globalen Erwärmung fast ausschließlich den Wintertourismus betrifft. Wie lange wird es noch möglich sein, in tiefer gelegenen Regionen schifahren zu können? Sind Schneekanonen, die auch bei Plusgraden künstlichen Schnee produzieren können, die Lösung schlechthin? In den letzten Jahrzehnten hat sich gerade in Österreich ein hochkarätiger Alpiner Gesundheitstourismus entwickelt und viele alpine Hotelbetriebe zählen in der internationalen Spa- und Wellnessbranche zu den Vorzeigebetrieben. Allerdings bedarf es im Gesundheitstourismus ständiger Innovationen und Produktentwicklungen zur Kundenbindung. Im vorliegenden Artikel wird anhand von zwei Beispielen aufgezeigt, dass der Klimawandel im Sinne einer globalen Erwärmung durchaus als Chance für den Alpinen Gesundheitstourismus anzusehen ist.

HITZEWELLEN UND MORBIDITÄT/MORTALITÄT Untersuchungen des “ Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)” weisen klar auf einen dramatischen Anstieg der globalen durchschnittlichen Temperatur der Erdoberfläche von 1.4°C bis 5.8°C zwischen dem Jahr 1900 und dem Jahr 2100 hin (1). Mit steigender Häufigkeit wird es im Sommer zu Hitzewellen mit bislang nicht gemessenen Temperaturmaxima kommen. Hohe Außentemperaturen belasten den menschlichen Organismus, wobei die nötigen Thermoregulationsmechanismen bei Kleinkindern bzw. Säuglingen und bei älteren Personen oft zu wenig effektiv sind und deshalb diese Personengruppen unter Hitzewellen am meisten zu leiden haben. Dies konnte auch in Studien 28


nachgewiesen werden: Heiße Sommer erhöhen die Mortalität von älteren Personen mit präexistenten kardiovaskulären Erkrankungen (2, 3). Österreich bleibt von Hitzewellen und den negativen Auswirkungen auf die Bevölkerung nicht verschont. Hutter et al. (4) berichten über einen Anstieg der durchschnittlichen Temperatur in Wien von Mai bis September von 1.7°C innerhalb der letzten 35 Jahre. An extrem heißen Tagen stieg in Wien das Mortalitätsrisiko vor allem bei Personen mit einem Alter über 65 Jahren. Im heißen Sommer von 2003 starben in Wien geschätzte 130 Personen infolge der Hitzewelle. Wo ist nun der Link zwischen globaler Erwärmung und Alpinem Gesundheitstourismus? In den kommenden Jahren wird in den Sommermonaten Juli und August in den Tallagen das touristische Outdoor-Angebot von Biken, Walken und Nordic Walking eine Änderung erfahren. Zumindest tagsüber sind diese Angebote aus gesundheitlicher Sicht bei Sonnentagen in Frage zu stellen. Darüber hinaus könnte zukünftig der Badeurlaub durch die Beeinträchtigung der Wasserqualität der Seen bei hohen Außentemperaturen beeinträchtigt werden. In alpinen Höhenlagen ist zwar ebenfalls mit einem Temperaturanstieg zu rechnen; allerdings werden die Temperaturen im Gebirge stets niedriger liegen als jene in Tallagen. Aus Sicht von Medizin und Marketing könnte zukünftig der alpine Wander- und Gesundheitsurlaub im Sommer unter dem Blickwinkel der verträglichen Temperatur (bei Tag und Nacht) promotet werden.

ALPINES KLIMA UND ALLERGISCH-ATOPISCHE ERKRANKUNGEN Alpines Klima Für den Talbewohner bedeutet der Aufenthalt in alpinen Regionen sich nicht nur an den reduzierten O2-Partialdruck der Umgebungsluft anzupassen, sondern sich auch mit anderen klimatisch-meteorologischen Faktoren auseinander zu setzen. Die wichtigsten klimatischen Änderungen in der sog. mittleren Höhe (1.500 m – 2.500 m) sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Für den Patienten mit allergisch-atopischen Leiden sind Anstieg/Abfall pro 100 m Globale Strahlung +20-30% UV Strahlung +20-30% Elektromagnetische Strahlung Windgeschwindigkeit Verminderung Inhalative Allergene Barometerdruck -12% Sauerstoff-Partialdruck -12% Lufttemperatur -6°C Wasserdampfdruck -25% Luftverschmutzung Tabelle 1: Meteorologische und klimatische Änderungen im alpinen Raum Anstieg

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es vor allem die Reduktion von Allergenen und die fehlende Umweltverschmutzung (u. a. Feinstaubpartikel), welche für die positiven gesundheitlichen Auswirkungen des Höhenaufenthalts verantwortlich gemacht werden. Weiters sind die niedrigeren Jahresmittel-Temperaturen, die verminderte Luftfeuchtigkeit sowie die geänderte Vegetation als zusätzliche Faktoren zu nennen. So wachsen ab 1.500 m viele der klassisch allergie-auslösenden Pflanzen, Bäume und Sträucher nicht mehr. Zudem liegt die nachweisbare Konzentration von Allergenen der Hausstaubmilbe in vielen alpinen Regionen unterhalb des Grenzwerts für die Auslösung von Asthmasymptomen. Diesbezügliche Daten von alpinen Regionen in Europa existieren für Briancon, Frankreich, 1.326 m, Misurina, Italien, 1.756 m und Davos, Schweiz, 1.600 m (Zusammenfassung siehe 5). Eine deutliche Verminderung der Allergenbelastung wird auch für Sporen berichtet (z. B. Cladosporium spp., Alternaria spp.). Für die kommenden Jahrzehnte wird in Tallage eine massive Ausbreitung von Unkrautgewächsen mit hoher allergener Potenz, v.a. der Amrobsie (Ambrosia artemisiifolia) erwartet. Gemäß dem StartClim Report 2005 (6) bedecken derzeit potentiell allergienauslösende Pflanzen den österreichischen Boden zu 11%. Für das Jahr 2100 wird ein dramatischer Anstieg des Bodenbewuchses bis zu 80% vorhergesagt. Auch aus diesem Grunde könnte die alpine Bergwelt zukünftig eine interessante Destination für Gäste mit allergisch-atopischen Erkrankungen werden.

Mittlere Höhenlagen und Auswirkungen auf allergisch-atopische Erkrankungen Asthma ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung gekennzeichnet durch wiederkehrende Episoden von Atemwegsobstruktion und bronchialer Hyperreaktivität. Zu den Hauptursachen werden Überemfindlichkeitsreaktionen gegenüber Hausstaubmilben, Sporen und Schimmelpilze gerechnet und dementsprechend gilt die Verhinderung der Exposition mit diesen allergenen Auslösern als die Therapie schlechthin. Da beispielsweise die Hausstaubmilbe in vielen Haushalten vorkommt, ist ein allergenfreier Zustand in der häuslichen Umgebung fast nicht zu erreichen und das Ergebnis diverser Empfehlungen, vom Wechsel der Bettmatratze bis hin zum Entfernen sämtlicher Teppiche, oftmals enttäuschend. In mittlerer Höhe ist die Anzahl der Hausstaubmilben verringert, da das Milbenwachstum und die Vermehrung bei niedriger Luftfeuchtigkeit erschwert sind (7). Deshalb drängt sich die Frage auf, welche gesundheitlichen Auswirkungen ein Höhenaufenthalt bei Patienten mit allergischem Asthma (v.a. auf Hausstaubmilben) hat. In den letzten 20 Jahren sind einige klinische Studien zu dieser Thematik durchgeführt und veröffentlich worden, die tatsächlich den Benefit der Höhenexposition bei AsthmaPatienten nachweisen konnten. Die wichtigsten Studien werden im folgenden Kapitel zusammengefasst. 30


Prävalenz von Asthma in alpinen Gebieten Der mögliche Einfluss des alpinen Klimas auf die Prävalenz und Morbidität von Kindern mit chronischem Bronchialasthma wurde von Gourgoulianis et al. (8) analysiert. Basierend auf Fragebögen zur Erstmanifestation und den Symptomen des Asthmas konnte festgestellt werden, dass die Prävalenz von Asthma bei Kindern, die in Höhen zwischen 800 m und 1.200 m lebten, halb so groß war als verglichen mit Kindern, die in Tallage aufwuchsen. Zudem wiesen im Vergleich zu den „Talkindern“ die „Bergkinder“ eine niedrigere Morbidität auf, ausgedrückt in weniger Fehltagen in der Schule sowie eine geringere Häufigkeit von nächtlicher Dyspnoe. Eine inverse Assoziation zwischen der Prävalenz von Asthma-Symptomen und der Höhe der Wohnstätte von Kindern wurde von Weiland et al. (9) als Ergebnis der International Study of Asthma and Allergies in Childhood (ISAAC) veröffentlicht. In einer französischen Studie wurden mehr als 4000 Einwohner von Marseille sowie über 1000 Bewohner von Briancon, 1.350 m, befragt und teilweise mittels Prick-Test auf Hausstaubmilben-Allergie getestet. Die Prävalenz von Asthma war in Marseille mit 4,1% signifikant höher als im Gebirgsort mit 2,4%. Ähnlich verhielt es sich mit positiven Hauttests bei asymptomatischen Personen: 27,5% in Marseille vs. 10,2% in Briancon (10). Auswirkungen eines Aufenthalts im Gebirge auf Asthma-Patienten Bereits im Jahre 1906 gab es die ersten Berichte des „Davoser Ärztevereins“, dass während eines Aufenthalts in Davos, Schweiz, 1.600 m, 133 von 143 Asthmapatienten keine oder weniger Asthmaanfälle als vor dem Höhenaufenthalt hatten und nach Rückkehr ins Tal immerhin noch 81% über eine längerfristige Verbesserung berichteten (5). Den heutigen Wissensstand über die positiven Effekte des alpinen Klimas auf Patienten mit Asthma verdanken wir einigen wenigen Arbeitsgruppen in Europa. Wichtige Studien wurden im Istituto Pio XII, Misurina, Italien, in 1.756 m durchgeführt. Dort konnten Piacentini et al. nachweisen, dass ein mehrwöchiger Aufenthalt zu einer Reduktion der Immunmarker und zu einer Verbesserung der bronchialen Hyperreaktivität bei Patienten mit allergischem Asthma führte (11). Untersuchungen an asthmatischen Kindern, die für 9 Monate im Istituto Pio XII verblieben und dort auch die Schule besuchten, zeigten Verbesserungen des Asthmas, die bis zu 3 Monate nach Rückkehr in Tallage anhielten (12). Die Lungenfunktion verbesserte sich während eines 12-wöchigen Aufenthalts in 1.756 m bei Kindern mit allergischem Asthma (Hausstaubmilbe) (13). Nach einem 3-monatigen Aufenthalt in 1.756 m von Asthma-Kindern im Alter zwischen 8 und 13 Jahren nahm der Anteil von Epithelzellen und eosinophilen Zellen im Bronchialsekret ab (14), die bronchiale Hyperreaktivität verbesserte sich und der Anteil eosinophiler Zellen im Sputum war vermindert (15). Wiederum analysierte die Arbeitsgruppe von Peroni (16) Asthmakinder während eines 9-monatigen Aufenthalts 31


in der Höhe, während bzw. nach einer 2-wöchigen Unterbrechung des Höhenaufenthalts (Weihnachtsferien) sowie nach Re-Exposition in 1.756 m. Das Residualvolumen nahm während der Höhenexposition ab, erreichte aber in Tallage wieder die pathologischen Basiswerte. Die Rückkehr in die Höhenstation führte erneut zur Verbesserung des Residualvolumens. Selbst kürzere Höhenaufenthalte dürften zu objektivierbaren Verbesserungen bei Asthma führen. In einer Höhenklinik in Davos, 1.600 m, waren Marker der Immunaktivierung bereits nach 3 Wochen signifikant vermindert, nach 5 Wochen kam es zur Verbesserung von Lungenfunktionsparametern (17). Ähnliche Ergebnisse wurden von einer holländischen Forschergruppe für Kinder mit Asthma nach einem Monat Aufenthalt in 1.560 m veröffentlicht (18). Nach einer 2-wöchigen Höhenkur in Davos führte die Rückkehr von Asthma-Kindern nach Holland wieder zu einer Verschlechterung der FEV1, einer verstärkten Atemwegsobstruktion nach Histamin-Provokation sowie zu einem 3-fachen Anstieg von Leukotrien B4 im Harn (19). Ähnliche Ergebnisse liegen für Stickstoff-Monoxid in der Ausatemluft (FE-NO), welches als valider Marker für die Atemwegsinflammation angesehen wird, vor: Innerhalb weniger Tage Höhenaufenthalt nahm das Stickstoff (NO) in der Ausatemluft signifikant ab (20, 21). Grootendorst et al. (22) untersuchten die Auswirkungen eines 10-wöchigen Höhenaufenthalts (1.560 m, Schweizer Alpen) auf Jugendliche mit persistierendem Asthma (Hausstaubmilbe) unter hochdosierter Therapie mit inhalativen Kortikosteroiden. Nebst der Verminderung der bronchialen Überempfindlichkeit auf Adenosin und Histamin gaben die Patienten an, dass sich ihre Lebensqualität (anhand des PAQL Fragebogens) in der Höhe verbessert habe. Weiters nahmen die Harnkonzentrationen von eosinophilem Protein X, Leukotrien E4 und Prostaglandin F2 ab. Diese subjektiven und objektiven Verbesserungen des Asthmas blieben 6 Wochen nach Rückkehr ins Tal erhalten. Die Autoren empfehlen zusätzlich zur medikamentösen Therapie regelmäßige Allergenkarenz durch Höhenaufenthalte. Huss-Marp et al. (23) analysierten die Effekte eines 4–6-wöchigen alpinen Rehabilitationsprogramms in den Bayrischen Alpen (1.200 m) bei 311 Asthma-Kindern. Nach der Höhenexposition wurde eine signifikante Reduktion des ausgeatmeten StickstoffMonoxids (FE-NO) bei allen Kindern gemessen, was als Hinweis auf einen Rückgang des bronchialen Entzündungsgeschehens anzusehen ist. Interessanterweise waren die FE-NO Änderungen nicht nur bei Kindern mit allergischem Asthma, sondern auch bei jenen mit intrinsischem Asthma nachweisbar. Die Autoren gehen davon aus, dass nicht nur die Allergenkarenz in der Höhe der einzig verantwortliche Faktor für die Verbesserung des Asthmas ist, sondern auch andere Faktoren wie z. B. die fehlende Luftverschmutzung oder Stressreduktion ebenfalls eine positive Rolle spielen. In einer retrospektiven Studie wurden die Daten von 860 Asthmatikern ausgewertet, die über 4-6 Wochen in Davos behandelt wurden. Im Zeitraum von einem Jahr nach der 32


Höhenkur gaben noch 65,2% der Patienten an, dass keine oder weniger Asthma-Schübe als vor der Höhengebirgsklimatherapie aufgetreten sind und dass die notwendigen Medikamente, v. a. Kortikosteroide, reduziert werden konnten (24). Zudem stieg der Anteil von arbeits- oder schulfähigen Patienten von 72,9% vor dem Höhenaufenthalt auf 90,4% während des ersten Jahres nach der Höhenkur. Die Autoren sehen die Hochgebirgsklimatherapie sowohl aus medizinisch-ethischen als auch aus volkswirtschaftlichen Gründen für das ganzheitliche Behandlungskonzept von Asthma als unverzichtbar an. Auswirkungen eines Aufenthalts im Gebirge auf Patienten mit atopisch-allergischen Hauterkrankungen In einigen Studien konnte der Nachweis erbracht werden, dass das alpine Klima auch bei allergisch-atopischen Hauterkrankungen zu einer Verbesserung des Krankheitsbildes führte. Beispiele hierfür sind das atopische Ekzem, die atopische Dermatitis sowie die Neurodermitis (24 - 26). Das Gästeklientel mit allergischen Erkrankungen als Zukunftschance im Alpinen Gesundheitstourismus? Seit Jahrzehnten berichten immer wieder Urlaubsgäste, dass sie sich nach einem Bergurlaub mental und körperlich wieder fit fühlen. Dass tatsächlich ein Alpiner Wanderurlaub mit vielen Benefits, physisch wie psychisch, assoziiert ist, konnten die AMASProjekte (Austrian Moderate Altitude Studies) bei Patienten mit metabolischem Syndrom und bei Personen mit hohem Stresslevel auf wissenschaftlicher Basis nachweisen (27, 28). Die klinische Wirksamkeit einer sog. „Hochgebirgsklima-Therapie” bei Asthmatikern ist durch die positiven Ergebnisse vieler Studien unumstritten, auch wenn es von wissenschaftlicher Seite noch offene Fragen gibt. Die multiplen Effekte sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Diese Fakten sind sowohl vielen Ärzten als auch Touristikern unbekannt. Verminderung der Asthma-Symptome bereits innerhalb von Stunden und Symptom-Reduktion über Wochen bis Monate nach Rückkehr Verbesserung des individuellen Wohlbefindens Verbesserung pulmonaler Funktionsparameter und Reduktion der bronchialen Inflammation Verminderung von Inflammationsmarkern Dosisreduktion der Basistherapie (v.a. Kortikosteroide) In Kombination mit Bergwandern: Steigerung des Selbstbewusstseins und Wohlbefindens Verbesserung einiger allergisch-atopischer Hauterkrankungen (z. B. Neurodermitis) Tabelle 2: Positive gesundheitliche Auswirkungen des alpinen Klimas auf Patienten mit Allergien/Asthma 33


Spezifische alpine Urlaubsprogramme bzw. eigene Urlaubsprodukte für Allergiker fehlen derzeit im Gesundheitstourismus und sind absolute Voraussetzungen für die touristische Vermarktung dieses Alleinstellungsmerkmals. Die Entwicklung eines derartigen Gesundheitsprodukts setzt die enge Kooperation von Medizin und Wissenschaft auf der einen Seite und Tourismus bzw. Wirtschaft auf der anderen Seite voraus. Nur dann kann es gelingen, die negativen Seiten des Klimawandels aus touristischer Sicht auch positiv zu besetzen.

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Monika Wogrolly-Domej

K r e a t i v i t ä t u n d Höhe a m B e i s p i e l d e s K u l t u r p r o j e k t es Dachstein:Cult u n d d e r G l ü c k s m e l d e s t e l l e a u f Klein Matterhorn Creativity and Altitude, Example of the Dachstein Cultural Project Dachstein:Cult and the Happiness Registry on the Klein Matterhorn

SUMMARY From the scientific point of view, a connection between creativity and altitude would at first seem to be a matter of speculation. A cultural project on the Dachstein glacier and an idea for a project on the Klein Matterhorn, however, allow the assumption of a connection between a longer stay at moderate altitude and an increase in creativity, imagination and productivity from the philosophical and psychotherapeutic points of view. The cultural project “DACHSTEIN:CULT – Europe’s highest-lying artists’ quarantine ward” has been in operation since 2004 at the upper terminal of the Dachstein aerial tramway. The participating artists have described their subjective experience as follows: Their sleep was restless and shallow the first few nights but in the course of their ten to sixteen days stay at 2700 m asl, their feeling of wellbeing and their artistic inspiration increased. Without exception, the artists noted better concentration and artistic productivity. Those who worked in the visual arts produced more pictures in less time than they would have at their accustomed altitude; writers could concentrate better and produced texts faster. Initial adaptive problems such as restless sleep, cough, dry mouth and fatigue were replaced by an increasing sense of security and alertness, more drive and optimism. All in all, hypoxia may brighten the artist’s mood, whereby the effect of positive group dynamics and the special situation of the Alpine setting should also be taken into account. The – as of yet – unrealized project for the world’s highest located happiness registry on the Klein Matterhorn in Zermatt should serve to round out thoughts as to the relationship between creativity and altitude. Keywords: Creativity, moderate altitude, hypoxia, artists’quarantine ward 37


ZUSAMMENFASSUNG Dass es einen Zusammenhang zwischen Kreativität und Höhe gibt, erscheint zunächst vor naturwissenschaftlichem Hintergrund rein spekulativ. Ein Kulturprojekt am Dachsteingletscher und eine Projektidee auf Klein Matterhorn lassen jedoch die Annahme eines Zusammenhanges zwischen einem längeren Höhenaufenthalt in mittlerer Höhenlage und einer Zunahme an Kreativität, Einfallsreichtum und Schaffenskraft aus philosophischer und psychotherapeutischer Sicht zu. Am Beispiel des seit 2004 in der Bergstation der Dachstein-Seilbahn stattfindenden Kulturprojektes „DACHSTEIN:CULT – Europas höchste Künstlerquarantäne“ wurde folgender subjektiver Effekt von den teilnehmenden Künstlern beschrieben: Während der Schlaf in den ersten Nächten als unruhig und seicht bezeichnet wurde, kam es während des zehn- bis sechzehntägigen Aufenthaltes auf 2.700 Höhenmetern subjektiv zu einem Anstieg des Wohlbefindens und der künstlerischen Inspiration. Ausnahmslos alle Künstler bemerkten eine erhöhte Konzentration und Schaffenskraft. Bei Bildenden Künstlern entstanden in kürzerer Zeit mehr Bilder als in Talebene, bei Schriftstellern stiegen die Konzentration und Schnelligkeit beim Verfassen von Texten. Anfängliche Anpassungsschwierigkeiten wie unruhiger Schlaf, Hüsteln, Mundtrockenheit und Müdigkeit wurden durch ein zunehmendes Gefühl der Geborgenheit, Wachheit, einen gesteigerten Antrieb und Optimismus abgelöst. Insgesamt mag sich die „Hypoxie-Stimmung“ aufhellend auf die Befindlichkeit der Künstler auswirken, wobei der Anteil einer positiven Gruppendynamik und der exklusiven Situation in alpiner Landschaft hier mitzudenken sind. Das noch nicht realisierte Projektkonzept zur weltweit höchsten Glücksmeldestelle auf Klein Matterhorn in Zermatt soll die Überlegungen zu einem Zusammenhang zwischen Kreativität und Höhe abrunden. Schlüsselwörter: Kreativität, mittlere Höhenlage, Hypoxie, Künstlerquarantäne, Glücksmeldestelle

EINLEITUNG Ist Kreativität mit naturwissenschaftlichen Erkenntnismethoden evaluierbar? Die Antwort ist gewiss nein. Kreativität ist mit objektiven Kriterien weder nachweisbar noch messbar. Neben den etablierten naturwissenschaftlichen existieren geisteswissenschaftliche Erkenntnismethoden, welche im Zeitalter der Biotechnologie zunehmend kontroversiell diskutiert wurden, aber sich gerade im letzten Jahrzehnt wieder steigernder Beliebtheit erfreuen. Auch und gerade unter Verfechtern einer „Evidence Based Medicine“ konnte die Autorin im Zuge eines dreijährigen Forschungsprojektes des Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (FWF) zum Arzt-Patienten-Verhältnis (1) eine zunehmende Sehnsucht nach philosophischen Fragestellungen feststellen, wenngleich dies sehr gern von vielen Ärzten zugleich selbstkritisch als „unwissenschaftlich“, „irra38


tional“ und „affektgeladen“ bezeichnet und als „menschliche Schwäche“ eher negativ konnotiert wurde. Auf die Sehnsucht der Medizin nach der Philosophie, eine Wiederannäherung empirisch-analytischer und philosophischer Grundhaltungen und den Methodenstreit zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften kann im Folgenden nicht näher eingegangen werden. Die Autorin beschränkt sich in ihren Überlegungen auf eine phänomenologische Skizze von zwei Kulturprojekten im alpinen Raum und ist dabei auf eine möglichst wertneutrale Darstellung bedacht. Die Ausgangsthese lautet, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt von Kulturschaffenden (im Folgenden: „Künstler“ genannt) in alpiner Umgebung und dem subjektiv berichteten Empfindungsqualitäten wie „gesteigertes Wohlbefinden“, „mehr Energie“, „einen kreativen Dopingeffekt“ gibt. Ein für „alpine Kreativität“ international modellhaftes Kulturprojekt begann 2004 am Dachstein.

DACHSTEIN:CULT – EUROPAS HÖCHSTER KULTURSTÜTZPUNKT Unter dem Titel „Dachstein:Cult - Europas höchster Kulturstützpunkt“ öffneten im Oktober 2004 die weltweit höchsten Gastateliers für Künstler ihre Pforten. Die Grazer Kulturinitiative ART:NETWORK hatte unter der Leitung der Verfasserin den PlanaiHochwurzen-Bahnen als Seilbahnbetreibern ein Konzept für ein periodisches Projekt vorgelegt, welches bis zum heutigen Tag läuft. Die Idee dahinter war, den Einfluss der Höhe auf die psychophysische Befindlichkeit der teilnehmenden Künstler zu nützen. In Form einer so genannten „Künstlerquarantäne“ verbrachten Künstler aus aller Welt zwei Mal jährlich bei so genannten Frühjahrs- und Herbstateliers, ebenso wie aus der Region Ramsau am Dachstein und Schladming, bis zu sechzehn Tage auf einer Höhenlage von 2700 Metern in der Bergstation der Hunerkogelgondelbahn. Folgende Einflüsse der Höhe machten sich in den Erfahrungsberichten von insgesamt vierundzwanzig befragten Künstlern bemerkbar: Lufttrockenheit Kälte Wind Licht (Helligkeit) Akustik (Stille) Hypoxie (v. a. im Schlaf) Farben (Schnee) Tourismus Hinzu kamen Bedingungen, welche mit der Unterbringung im ehemaligen „Alten Restaurant“ einhergingen; so beschrieben die Künstler die ersten Nächte als „unter39


kühlend“, da sie die Temperaturregelung in den Innenräumen noch nicht beherrschten, oder wurde ein anhaltender Summton vermerkt, der auf Maschinen zurückzuführen war. Beide Probleme konnten jedes Mal in Zusammenarbeit mit Seilbahnbediensteten zur Zufriedenheit gelöst werden.

WOHNEN UND VERPFLEGUNG Neben einer Gruppe von mindestens zwei und maximal neun Künstlern bewohnte stets ein wechselnder Maschinist der Planai-Hochwurzen-Bahnen die Bergstation. Für Hygienemaßnahmen wurden in der Talstation in einem dort gelegenen Hotel Zimmer gemietet, so dass der Höhenaufenthalt immer wieder unterbrochen wurde, um sich frisch zu machen und zu duschen. Man kann sagen, dass die Künstler sich schnell mit den Gegebenheiten ihrer abgelegenen Wohngemeinschaft anfreundeten und mit einer nach dem 3. Tag schon routinierten Haltung in der Seilbahn von der Talstation (1.700 m) zur Bergstation (2.700 m) fuhren, als wären sie in einer Großstadt mit der U-Bahn zur Arbeit unterwegs. Für die Verpflegung kamen die Künstler durch in den umliegenden Supermärkten gemachte Lebensmitteleinkäufe selbst auf bzw. gab es eine Gruppeneinladung in regionale Gaststätten zum Einstand und/oder zur Verabschiedung einer Künstlergruppe durch die Projektleitung. Manche Künstler nutzten die Infrastruktur des „Alten Restaurants“ und bereiteten sich in der Restaurantküche Mahlzeiten zu, andere zogen es vor, sich kalt zu verpflegen oder verzehrten im eine Etage tiefer gelegenen Gipfelrestaurant einfache Gerichte.

INFRASTRUKTUR Nahezu die gesamte Infrastruktur der Bergstation war den Künstlern während ihres Aufenthaltes in „Europas höchst gelegener Kreativquarantäne“ zugänglich, inklusive Seilbahn und Schilifte. Auch die Pistengeräte konnten optional in die Feldforschung einbezogen und von den Künstlern als Transportmittel genutzt werden. Zusätzlich dienten der im Laufe der Projektdauer errichtete Dachstein-Skywalk und Eispalast als künstlerische Inspirationsquellen. So etablierte es sich zur Gewohnheit, nach der Ankunft einer neuen Künstlergruppe diese sich sternförmig auf dem Skywalk anordnen zu lassen, einem ausgesetzten Fußboden aus Glas (Foto 1), der den Blick in die Tiefe auf einen Klettersteig öffnet, wobei es Personen mit Höhenschwindel und Höhenangst merklich schwerer fiel, sich auf dem Glasfenster zu platzieren. Dieses Skywalk-Foto zu machen, wurde im Zuge der periodischen Gastateliers zum unverzichtbaren Ritus und erschien in zahlreichen nationalen und internationalen Printmedien zur Vorankündigung der „Tage der offenen Tür“. 40


Foto 1: Künstler am Skywalk

Foto: Art:Network

TAGE DER OFFENEN TÜR Unter dem Motto „Kunst hautnah erlebbar machen“ veranstalteten die Projektbetreiber gegen Ende jedes Frühjahrs- und Herbstateliers so genannte „Tage der offenen Tür“. Dazu wurde eine umfassende Pressearbeit geleistet, welche sich in einem jeweils äußerst erfolgreichen Medienecho niederschlug. Als Beispiele dafür seien angeführt: Der Besuch von Deutsche Welle Welt TV während des Aufenthaltes des österreichischen Literaten und Nestroy- sowie Bachmann-Preisträgers Franzobel im Jahr 2005, woraus ein global gesendeter Fernsehbeitrag über DACHSTEIN:CULT und das „Leben der Künstler in Eis und Schnee“ hervorging. Das Alpen-Donau-Adria-Magazin mit Günther Ziesel stattete dem ersten Gastatelier (Frühjahrsatelier 2005) einen Besuch ab und wurde im Raum Österreich-Slowenien-Kroatien und Italien ausgestrahlt. Der ORF, Landesstudio Steiermark, die Kleine Zeitung und die Kronenzeitung, Kurier und Salzburger Nachrichten sowie die regionale Ennstaler Woche berichteten schon traditionell über die jeweilige Zusammensetzung einer neuen Künstlergruppe. Das Leitbild, Kunst für alle Zielgruppen zu erschließen und zugänglich zu machen, erfüllte sich aus Sicht der Projektbetreiber spätestens mit dem Besuch zweier Gondelwarte im Kunsthaus Graz bei „DACHSTEIN:CULT GOES GRAZ 2008“. Raimund Brandner, einer der beiden Angestellten der Planai-Hochwurzen-Bahnen, war vom Text des Literaten Franzobel über eine Seilbahnfahrt mit einem pferdefüßigen Berufskollegen („Gondoliere vom 41


Dachstein, der dasteht wie eine Stewardess“) so angetan, dass er zu dem Schluss kam, sich nun auch kompetent für Kunst zu fühlen und erkannt zu haben, dass Kunst Grenzen überschreiten dürfe und müsse. Was ihn zu dieser Meinung gebracht habe, begründete Brandner so, dass er die Künstler Tag für Tag während des Gastateliers beobachtet und festgestellt habe, dass es „keine Aliens“, sondern normal lebende und arbeitende Menschen seien. Das Klischee vom weltfremden und faul in den Tag hinein lebenden Künstler konnte somit durch die Koexistenz von Künstlern und Seilbahnbediensteten wenigstens innerhalb des Projektes DACHSTEIN:CULT widerlegt werden. An den Tagen der offenen Tür war es Medienvertretern und Besuchern des Dachsteingletschers möglich, den Künstlern bei der Arbeit über die Schulter zu schauen und so besser zu ermessen, wie Kunstwerke zustande kommen. Es wurden keine fertigen Endprodukte vorgestellt, sondern künstlerische „work in progress“. Ein Kunstwerk jedes teilnehmenden Künstlers wurde jeweils für eine Dauerausstellung im Kontext der „Kunst im öffentlichen Raum“ am Wartebereich der Talfahrt der Hunerkogelgondelbahn hinterlassen. Dort befindet sich etwa das überlebensgroße Portrait besagten Gondelwartes Raimund Brandner, Acryl auf Leinen, des Künstlers Herbert Soltys. Dieses Bild wurde auch in der Stiftung Starke in Berlin-Grunewald ausgestellt, zum Thema „Kunst als Transportmittel und Intermedium zwischen geografischen Punkten“. An den „Tagen der offenen Türen“ wurden so genannter „Gletscherbellini“ von DACHSTEIN:CULTProjektpaten Arrigo Cipriani der berühmten Harry’s Bar in Venedig und Brötchen des Gipfelrestaurants kredenzt, um zu zeigen, dass auch Kulinarik ein unverzichtbarer Kulturbaustein ist.

KULTUR UND WIRTSCHAFT Die Grazer Kulturinitiative ART:NETWORK hatte es sich bei ihrer Gründung 2005 zum Ziel gesetzt, die Partnerschaft zwischen Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft zu fördern und mit medien- und öffentlichkeitswirksamen hochwertigen Kulturprojekten Berührungsängste von weniger Kunst fokussierten Wirtschaftstreibenden und Kunstskeptikern abzubauen. Die oftmals befürchtete Instrumentalisierung der Kunst durch die Wirtschaft im Sinne einer funktionalisierten „Auftragskunst“ sollte sich mit „Europas höchsten Gastateliers für Künstler“ nicht bewahrheiten. Im Gegenteil, wurde von den Projektbetreibern größter Wert auf die Freiheit der Kunst innerhalb ethischer Grenzen gelegt. Auch der Projektpartner Planai-Hochwurzen-GesmbH stimmte der prinzipiellen Freiheit der Kunst zu; so konnten auch brisante Themen wie die ausgesetzte Gefahrensituationen bei einem Brandfall in der Bergstation und die wachsende Touristifizierung und Vertechnisierung der Bergstation sowie die drohende Umwandlung des natürlichen Gletschers in ein allen zugängliches „Glacier Wonderland“, eine Disney World der Alpen kritisch in künstlerischen Arbeiten reflektiert werden. 42


DACHSTEIN:CULT GOES EUROPE Unter der Bezeichnung „DACHSTEIN:CULT GOES EUROPE“ können von der Tourismusabteilung des Landes Steiermark geförderte Subprojekte des Dachprojektes DACHSTEIN:CULT zusammengefasst werden. Beginnend mit „DACHSTEIN:CULT GOES BERLIN“ im Januar 2007 startete eine Serie von Tochterprojekten innerhalb Europas. Inhaltlich handelte es sich um einen Transfer künstlerischer Ergebnisse der DACHSTEIN:CULT-Gastateliers in die Galerie der Stiftung Starke in Berlin-Grunewald und in das Kulturforum der Österreichischen Botschaft in Berlin. Deutsche Medien berichteten, der Besuch und das öffentliche Interesse lagen weit über den Erwartungen von Betreibern und Künstlern. Im Jahr 2008 gastierten bei DACHSTEIN:CULT GOES WARSAW Künstler, welche bei verschiedenen Gastateliers mitgewirkt hatten, im Österreichischen Kulturforum von Warschau. Bei DACHSTEIN:CULT GOES VENEZIA wurde ein Film gedreht, in dem der Literat Franzobel seinen am Dachstein verfassten Text über den Absturz einer Gondel in einer venezianischen Gondel, mit gestreiftem Ruderleibchen gekleidet wie ein Gondoliere, liest. Analogien und Parallelen zwischen dem Dachstein-Gastatelier auf fast 3000 Höhenmetern und der Lagunenstadt auf 0 Metern Seehöhe werden im Film offenbar. Der DACHSTEIN:CULT GOES VENEZIA-Film wurde bei DACHSTEIN:CULT GOES GRAZ (ein seit 2005 jährlich in der Hauptstadt der Steiermark an unterschiedlichen Orten wie Galerien, dem Casino Graz und dem Grazer Kunsthaus stattfindendes Kulturereignis) im „Friendly Alien“, dem Grazer Kunsthaus, gezeigt. Das Motto des Films war „Hier wie dort“, zumal es hier wie dort, am Dachstein und in Venedig – mit Schibrillen (Dachstein) bzw. Augenmasken (Venedig) maskierte Touristen gab, hier wie dort Vögel, Dohlen (Dachstein) und Tauben (Venedig), und hier wie dort waren die Menschen auf der Suche nach Attraktionen für Fotoaufnahmen. Beide Orte wurden touristisch vermarktet. Durch den literarischen Text des Schriftstellers Franzobel konnten der Dachstein und Venedig über „Kunst als Transportmittel“ in Verbindung gesetzt werden. Dieser Effekt kann als ein Hauptauftrag der Kunst betrachtet werden, Grenzen überschreitend und Kulturen verbindend zu wirken. 2009 sollte die verbindende Wirkung der am Dachstein entstandenen Kunst bei „DACHSTEIN:CULT GOES NEW YORK“ ihren Höhepunkt erreichen.

FINANZIERUNG Finanziert wurde das Projekt DACHSTEIN:CULT durch die mit einem 5-jährigen Businessplan begründete Kooperationspartnerschaft mit den Planai-Hochwurzen-Bahnen sowie ferner durch Förderungen aus der öffentlichen Hand, welche der Trägerverein ART:NETWORK durch periodische Projektanträge an das Land Steiermark, die Kultur- und Tourismusabteilung, sowie an die Stadt Graz erwirkte. Durch das einma43


lig herausgegebene Printmedium DACHSTEIN:CULT wurde erkannt, dass über eine Zeitung auch Sponsoren aus der Wirtschaft gewonnen werden konnten. Somit wurde die Auflage des mit 10.000 Exemplaren begonnenen Mediums erhöht und erscheint seit September 2007 das österreichisch-italienische Magazin LIVING CULTURE mit 50.000 Exemplaren Auflage im 2-Monatsrhythmus, jeweils mit Beiträgen über die DACHSTEIN:CULT-Gastateliers und DACHSTEIN:CULT GOES EUROPE-Aktivitäten. Die erste Ausgabe brachte eine Titelstory und ein Exklusivinterview mit dem Extrembergsteiger Reinhold Messner. Dieser sagte im Interview den nachhaltigen Satz: „Ich fühle mich der Kunst viel näher als dem Sport.“

KÜNSTLER UND HÖHE Die Künstlergruppen setzten sich jeweils heterogen zusammen. Das Alter der teilnehmenden Künstler betrug zwischen 23 und 72 Jahren (jüngste Teilnehmerin und ältester Teilnehmer). Herkunftsländer waren Österreich, Deutschland, Albanien und Frankreich, wobei auf Wunsch der Planai-Hochwurzen-Bahnen immer auch regionale Künstler teilnahmen. Es gab eine öffentliche Ausschreibung etwa auf der Website des Kulturamtes in Graz, ebenso wie selbstständige Bewerbungen an und Einladungen durch ART:NETWORK. Von Literatur, Bildender Kunst, Konzeptkunst, Kunstperformance bis zu Komposition, Medienkunst und kreativer Feldforschung waren alle zeitgemäßen Sparten vertreten. Den Projektbetreibern war auch der Dialog innerhalb der Künstler und das Interesse für die Aktivitäten der anderen Teilnehmer essentiell. Auch hier wirkte die exponierte Höhenlage auf den Gruppenprozess unterstützend. Bis auf ein Gastatelier, an dem die Minimalanzahl von zwei männlichen Teilnehmern verzeichnet wurde, kam es stets zu einem positiven Gruppenprozess, der zu über die Atelierdauer hinausreichenden Freundschaften führte. Die Höhe wurde von allen Künstlern als „Horizont- und Bewusstseinserweiternd“ geschildert. Eine Künstlerin beschrieb die Stille, wenn die letzte Seilbahn zu Tale gefahren ist, als eine Stille, „die man hören kann“. Die besonderen Sinneseindrücke des Gletschers schlugen sich in der subjektiven Stimmung und in der Arbeitsweise nieder. Weniger die inhaltliche Ausbildung der Arbeiten veränderte sich, es wurde eher ein veränderter Schaffensprozess mit Worten wie „intensiver, schneller, impulsiver, ausdrucksvoller“ beschrieben.

ALPINE KREATIVITÄT Zusammenfassend lässt sich sagen, dass schwerlich zu entscheiden ist, ob der Zusammenhang zwischen gesteigerter Kreativität und dem Höhenaufenthalt von Künstlern ein willkürlicher ist. Letztlich kann sich die Autorin nur auf geschilderte Phänomene der Selbstwahrnehmung von Künstlern und ihre Fremdwahrnehmung der Künstler zu 44


Beginn, in der Mitte und am Ende von Gastateliers in mittlerer Höhenlage berufen. Die einhellige Schilderung aller teilnehmender Künstler, dass sie weniger Schlaf benötigt hätten und ausgeruht und voller Schaffensdrang trotz Schlafreduktion gewesen seien, legt den Verdacht nahe, dass gerade Künstler zu einer besonders sensiblen Auffassung der Höhe und den damit verbundenen Bedingungen neigen. Ein Projekt, das sich den therapeutischen Effekt der Höhe zueigen macht, ist noch in Planung und wurde vom Peak-Architekten Heinz Julen den Zermatt-Bergbahnen innerhalb seines architektonischen Projektes für Klein Matterhorn vorgelegt.

GLÜCKSMELDESTELLE AUF KLEIN MATTERHORN: ONE NIGHT STAY IN THE SPACE OF HAPPINESS Ein weiteres in Planung befindliches Projekt, das sich mit gewünschten Auswirkungen der Höhe auf den menschlichen Organismus befasst, ist das 2006 begonnene Projekt der „weltweit höchsten Glücksmeldestelle“. Im Rahmen dieses Projektkonzeptes, das u. a. den Zermatt Bergbahnen und Zermatt Tourismus vorgelegt wurde, soll durch den gezielten Höhenaufenthalt von Personen die bewusstseinsverändernde Wirkung der Höhe von Klein Matterhorn (fast 4.000 Metern) therapeutisch genutzt werden. Da das Projekt im Begutachtungsstadium ist, besteht darüber gegenwärtig Verschwiegenheitspflicht, ehe die Möglichkeiten zur Realisierung bekannt werden. Die Autorin ist zusammenfassend der Überzeugung, dass Höhenaufenthalte zur gezielten Burnoutprophylaxe und für psychotherapeutische Settings künftig vermehrt zu erschließen sein werden. Glücksgefühle durch Hypoxie sind Gegenstand einer Untersuchung zusammen mit dem Neuropsychologen Robb Waanders.

DANKSAGUNGEN Land Steiermark Kultur und Tourismus Unternehmen Planai-Hochwurzen Stadt Graz Kultur Heinz Julen, Zermatt ÖGAHM

LITERATURVERZEICHNIS (1)

Wogrolly-Domej M. Abbilder Gottes. Demente, Komatöse, Hirntote. Verlag Styria-Pichler, Wien 2004 45


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Egon Humpeler

B e n ö t i g t d e r a l p i n e b z w. generell d e r G e s u n d h e i t s t o urismus G r u n d l a g e n f o r s c hung?

Is Basic Medical Research Necessary for Alpine Health Tourism ?

SUMMARY Before answering the question of the necessity of research in health tourism, a precise definition of health tourism is inevitable. Health tourism is a form of tourism that promises the guests an impact on their health when using specific tourism offers along with its climatic or geographic characteristics (such as mountain, sea, spas etc.). However, in medical tourism the tourist is brought into another country to obtain medical – therapeutical care. The criteria of quality for health care in medical tourism is provided by Evidence Based Medicine (EBM), tourism orients itself on the tourism guidelines, and the F.A.C.D. guidelines provide a basis for health tourism. F stands for fact by research (health effects have to be proved by medical research), A for actualisation and update of research as well as in education and training programs, C for cooperation with competent partners (coaches, hotels etc.), and D for documentation and data bank in order to offer transparency for the guests. One vacation product that follows those F.A.C.D. guidelines above is the Welltain® (www.welltain.at) vacation. It is for those guidelines and criterias of quality in health tourism only that a serious health vacation program can be offered rather than just being used as a marketing gag. Therefore, a definite YES can be the only answer to the necessity of current medical studies in the field of health tourism. Keywords: health tourism, medical tourism, evidence based medicine EBM, F.A.C.D. criteria, Welltain® Leisure 47


ZUSAMMENFASSUNG Vor der Beantwortung der Frage, ob im alpinen Gesundheitstourismus medizinische Forschung notwendig ist, muss der Begriff Gesundheitstourismus klar definiert werden. Gesundheitstourismus ist eine Tourismusform, wo dem Menschen über ein touristisches Angebot meist unter Ausnützung besonderer klimatischer Gegebenheiten (Berg, Meer etc.) oder geografischer Besonderheit (Therme etc.) Gesundheitseffekte versprochen werden. Dies hat nichts mit Medizintourismus zu tun, wo der Tourismus dazu dient, den Menschen in ein anderes Land zu einer medizinischen – therapeutischen Maßnahme zu bringen. Die Qualitätskriterien sind für die rein medizinischen Maßnahmen die Evidence Based Medicine (EBM), für den Tourismus touristische Guidelines und für den Gesundheitstourismus die F.A.C.D. Kriterien, wo medizinische Forschung (F.) und Aktualisierung der Forschung sowie Ausbildung (A.) und Cooperation (C.) mit kompetenten Partnern und Dokumentation und Datenbank (D.) die entscheidende Rolle spielen. Ein Urlaubsprodukt nach diesen Kriterien ist z. B.: Welltain® (www.welltain.at). Nur durch diese Qualitätskriterien ist im Gesundheitstourismus gewährleistet, dass das Gesundheitsversprechen des Tourismus nicht einfach zu einem Marketinggag verkommt. Deshalb ein klares Ja zur Notwendigkeit laufender medizinischer Studien im Bereich Gesundheitstourismus. Schlüsselwörter: Gesundheitstourismus, Medizintourismus, Evidence Based Medicine EBM, F.A.C.D. Kriterien, Welltain® Ohne vorher nicht Gesundheitstourismus zu definieren, ist die Beantwortung der im Thema gestellten Frage nicht möglich. Was ist mit Gesundheitstourismus eigentlich gemeint ? „Googelt“ man unter Gesundheitstourismus, so werden nahezu 90.000 Ergebnisse mit sehr unterschiedlichen Begriffserklärungen gefunden. Es sollen hier zwei Formen dieses Tourismus klar getrennt werden: Der Medizintourismus vom Gesundheitstourismus. Medizintourismus bedeutet in der Regel entweder seinen Urlaub mit einer oft preiswerten medizinischen Behandlung zu kombinieren oder aber auch ohne Urlaubsabsichten irgendwo hin zu fahren, um sich behandeln zu lassen. Medizintourismus bedeutet letztlich mit dem Flieger zum Arzt. Man fährt nach Ungarn zum Zahnarzt, ins Ausland zu einer Schönheitsoperation, oder lässt sich eine neue Hüfte oder eine neue Herzklappe implantieren. (z. B.: www.urlaub-im-web.de/gesundheitstourismus). Angeblich lassen sich jetzt schon mehr als 300.000 Deutsche im Ausland behandeln, sind also Kunden dieses Medizintourismus. Außereuropäisch, vor allem in Amerika, sind solche Behandlungen im Ausland schon längst Normalität geworden (z. B.: www.flymedic.de/behandlung-im-ausland/gesundheitstourismus-als-globaler48


wachstumsmarkt). Dies bedeutet übrigens, dass es nach der Globalisierung der Finanzmärkte und der Globalisierung der Produktion nun auch die Globalisierung der Medizin gibt. Dieser Medizintourismus, oft irreführend und fälschlich als Gesundheitstourismus bezeichnet, ist klar getrennt in Medizin und Tourismus und unterliegt daher völlig anderen Qualitätskriterien als der Gesundheitstourismus nachfolgender Definition.

MEdiZiNtoURiSMUS iSt Nicht idENt Mit GESUNdhEitStoURiSMUS Es bestehen einige Versuche, Gesundheitstourismus zu definieren (1,2), wobei in der Literatur häufig die Definition von Kaspar (1) zitiert wird, als „Oberbegriff für einen touristischen Aufenthalt mit dem Ziel der Erhaltung, Stabilisierung und Wiederherstellung der Gesundheit, bei dem aber – um ihn von einem normalen Ferienaufenthalt zu unterscheiden – Gesundheitsdienstleistungen einen Schwerpunkt bilden“. Gesundheitstourismus – etwas vereinfacht definiert – ist eine Tourismusform, bei der dem Menschen über ein touristisches Angebot Gesundheit versprochen wird; dies meist unter Ausnützung einer spezifisch klimatischen (Berge, Meer etc.) oder geografischen Besonderheit (Therme etc.). In Abbildung 1 ist dargestellt, dass diese Form des Tourismus eng verknüpft und vernetzt ist mit Prävention und Rehabilitation aber auch mit Wellness und Medicalwellness.

Abbildung 1 Während also beim Medizintourismus Tourismus und Medizin etwas Selbstständiges sind, bilden oder sollten im Gesundheitstourismus Medizin und Tourismus eine Einheit bilden, beide „Kulturen“ Medizin und Tourismus müssten eins werden. 49


Daraus ergibt sich auch eine unterschiedliche Form der Qualitätssicherung: Beim Medizintourismus gelten klare Qualitätskriterien und Regeln und zwar für den Tourismus (vom Tourismus festgelegt) und für die Medizin (von der Medizin in Form der Evidence Based Medicine EBM festgelegt). Verspricht aber der Tourismus durch eine Maßnahme Gesundheit, z. B. über eine Wellnessmaßnahme, so darf Gesundheit nicht als Marketinggag missbraucht werden, sondern es muss inhaltlich der Gesundheitseffekt nachgewiesen werden. Leider versuchen inzwischen vor allem touristische Unternehmen und fragwürdige Interessensgruppen mit Gesundheitstourismus, Wellness und Medical Wellness ihre Geschäfte zu machen. Dabei handelt es sich nach Ansicht des Deutschen Wellnessverbandes in den meisten Fällen um eine reine Marketingmasche. Die Bandbreite der Angebote ist kaum mehr überschaubar und reicht bis hin zur Scharlatanerie (www.wellnessverband.de). Damit Gesundheit nicht zum Marketinggag verkommt, muss ganz entschieden eine inhaltliche Qualifizierung gefordert werden, die durch die F.A.C.D. Kriterien, die in Analogie zur EBM aufgestellt wurden, gegeben ist. Auf diese F.A.C.D. Kriterien wird im zweiten Teil der Ausführungen eingegangen, zuvor aber ist es notwendig, noch generell ein Wort zum Thema Gesundheit zu sagen. Gesundheit: Auf die Definition der Gesundheit durch die WHO soll hier nicht näher eingegangen werden, da diese Definition einer dringenden Diskussion und Neuformulierung bedarf. Sicher ist, dass die Bedeutung von Gesundheit sich in einem großen Wandel befindet. Das Gesundheitsbewusstsein der Menschen spielt eine immer größer werdende Rolle, was man u.a. daran erkennt, dass für Wellnessmaßnahmen, die letztlich doch irgendetwas mit der Gesundheit zu tun haben, dies auf jeden Fall bei den meisten Angeboten suggeriert wird, riesige Beträge ausgegeben werden. Laut einer Studie der Bank Bär in Zürich setzt der globale Wellnessmarkt jährlich ein Volumen von etwa 400 Milliarden Dollar um (4). Dies ist deshalb verständlich, weil Gesundheit heute viel mehr als noch vor wenigen Jahren zählt. Während man früher unter Gesundheit einfach die Abwesenheit von Krankheit verstanden hat, oder wie es der Franzose Leriche einmal sagte, „Gesundheit zeigt sich als das Schweigen der Organe“, ist heute Gesundheit wesentlich mehr. Es ist zuallererst primär persönliches, aber dann auch ein gesellschaftliches Kapital, ja Gesundheit ist sogar zu einem Statussymbol geworden. Der Mensch will verständlicherweise bis ins hohe Alter gesund sein und wenn möglich, auch gesund zu Grabe getragen werden. Mit anderen Worten, der Stellenwert der Gesundheit war sicherlich noch nie so groß wie heute und steht schon längst ganz vorne in den Werteskalen bei Meinungsumfragen. 50


Dieses Faktum wird sicher noch zunehmen und zwar aus folgenden triftigen Gründen: Es wird einerseits eine immer älter werdende Gesellschaft immer mehr interessiert sein, ihre Gesundheit zu erhalten; andererseits muss eine immer mehr geforderte, jüngere Gesellschaft ebenfalls eminent daran interessiert sein, gesund zu bleiben, denn gerade diese jüngere Gesellschaft wird in der derzeitigen demografischen Entwicklung immer mehr deshalb gefordert werden,weil sie letztlich die Pensionen der immer größer werdenden älteren Gesellschaft sichern sollte. Dazu kommt, dass die Ressourcen des Staates mit Sicherheit nicht ausreichen werden, der immer größer werdenden älteren Gesellschaft sämtliche Kosten im Krankheitsfall oder Pflegefall zu übernehmen. Der Staat scheint jetzt schon, was die Mittel für die kurative Medizin betrifft, an seine Grenzen zu kommen, von den Mitteln für präventivmedizinische Maßnahmen ganz zu schweigen. Die öffentlichen Mittel für Präventivmedizin machen jetzt schon Bruchteile der Beträge aus, die für die kurative Medizin ausgegeben werden, was wiederum bedeutet, dass nur über den privaten Bereich, oder eben über Prävention in der Freizeit und im Urlaub etwas für die Gesundheit und deren Erhaltung getan werden kann oder muss. Aus dem Gesagten ist abzuleiten, dass das Thema Gesundheit sowohl für Jung und Alt zu einem ganz zentralen Thema wird, und gerade in dieser eindeutigen Entwicklung liegt die enorme Chance für den Gesundheitstourismus generell, besonders natürlich auch für den alpinen Gesundheitstourismus. Qualitätskriterien: In der ärztlichen Tätigkeit gibt es den Begriff der Evidence-BasedMedicine (EBM), ein Schlagwort der letzten Jahre, nicht selten missverstanden. EBM beansprucht nicht die medizinische Wahrheit, sie ist eher eine Denkschule, die lehren soll, kritische Fragen in der Patientenversorgung zu stellen, wobei die modernen Ergebnisse guter Studien in die tägliche Arbeit einfließen. In Abbildung 2 ist eine solche mögliche Klassifizierung der Evidenz dargestellt (4). Und genau diese Denkschule oder inhaltliche Qualitätssicherung soll auch im Gesund-

Abbildung 2 51


heitstourismus der Ansatz sein. Dies heißt nicht, dass Erfahrung, gesunder Menschenverstand aber auch Vorsicht nicht auch Basis für richtiges Handeln sein können. EBM steht also auch für erfahrungsbasierte Medizin und nicht alles, was nicht evidenzbasiert und durch Studien nachgewiesen ist, muss falsch sein. Dennoch ist die Forderung nach sehr guten Studien im Gesundheitstourismus ein Gebot der Stunde, denn der Tourismus wirbt mit Gesundheit; und dieser Gesundheitseffekt muss nachgewiesen werden, ansonsten verkommt die Gesundheit zur Marketingmasche und ist letztlich Betrug am Gast. Dies besonders dann, wenn nicht erwiesene oder einfach angenommene Wirksamkeit einer Maßnahme dem Gast überteuert verkauft wird. Nun lässt sich EBM nicht einfach 1:1 auf die geforderten Studien und deren Ergebnisse im Gesundheitstourismus übertragen, dennoch ist die Seriosität von gesundheitsorientierten Produkten zu gewährleisten, weswegen die F.A.C.D. Kriterien in Anlehnung an die Philosophie der Evidence Based Medicine aufgestellt wurden. Diese F.A.C.D. Kriterien sollen Entscheidungshilfen und nicht starres Korsett sein. Sie sollten bei allen gesundheitsorientierten touristischen Produkten Anwendung finden, um nicht nur dem Vertreiber eines solchen Produktes, sondern auch dem Gast eine Möglichkeit der Beurteilung zu geben, wie weit die von ihm absolvierte Maßnahme tatsächlich gesundheitsfördernd ist oder nicht. Nun hört man immer wieder, gerade auch von z. T. börsennotierten Firmen, dass dem Rechnung getragen wird, indem man laufend zertifiziert, was z. T. mit großen Kosten verbunden ist. Ein Wesensmerkmal vieler dieser Zertifizierungen ist, dass primär die Hardware geprüft wird, das Rundherum einer Spa-Abteilung, die Breite des Pools, die Hygiene und Wärme des Wassers und vieles andere mehr. Letztlich alles Dinge, die man leicht messen kann. Oft übersehen wird dabei die Software, die Qualität des Programms bzw. des Inhalts, aber auch die Art der Durchführung einer gesundheitsversprechenden Maßnahme. Was damit gemeint ist, soll an einem simplen und banalen Beispiel kurz erwähnt werden. Beim Kauf eines Medikaments interessiert den Käufer primär ja auch nicht das Design der Apotheke oder die Verpackung des Medikaments, sondern die Kompetenz des Apothekers und die Gewissheit, dass das von ihm gekaufte Präparat einer strengen Qualitätskontrolle und Prüfung unterworfen wurde.

F.A.C.D.KRitERiEN: F. steht für Fakten durch Forschung: Ohne Forschung können keine Aussagen über den Gesundheitseffekt einer Maßnahme im Gesundheitstourismus gemacht werden. 52


A. steht für Aktualisierung und Ausbildung: Bei einer relativen kurzen Halbwertszeit des medizinischen Wissens sind laufende Forschungsprojekte notwendig und es ist auch notwendig, die Ergebnisse über eine entsprechende Ausbildung der Transporteure, z. B. der Coaches, an den Gast zu bringen. C. steht für Kooperation mit kompetenten Partnern sowohl in der Hotellerie als auch mit Coaches, die entsprechend geschult werden, aber auch Kooperation mit anderen Partnern, sei es Versicherungen, Tourismusorganisationen etc. D. steht für Datenbank und Dokumentation: Die bei einer gesundheitsorientierten Maßnahme gemessenen Ergebnisse sollen in einer Datenbank gespeichert werden bzw. für nachträgliche Kohortenstudien zu Verfügung stehen (selbstverständlich anonym). Es soll dem Gast aber auch dokumentiert werden, dass er durch diese Maßnahme nicht nur eine subjektive Verbesserung verspürt, sondern diese auch objektiv erfassbar ist. Als Beispiel der Anwendung dieser F.A.C.D. Kriterien für ein touristisches gesundheitsversprechendes Produkt wurde Welltain® (wellbeing in the mountain) geschaffen (www.welltain.at), welches derzeit in Lech angeboten wird und auf Basis der AMAS I und AMAS II Studien (5) und anderen Erkenntnissen basiert. Das USP, also das Unique Selling Proposition eines gesundheitstouristischen Produktes, kann letztlich nur oder fast nur über den Inhalt und die Qualität gegeben sein und nicht nur über die immer noch größeren, noch raffinierteren und letztlich auch immer unerschwinglicher werdenden Spa-Abteilungen und Wellnesstempel. Was Evidence Based Medicine in der Klinik und in der ärztlichen Tätigkeit ist, sind die F.A.C.D. Kriterien im Gesundheitstourismus. Das Einhalten dieser F.A.C.D. Kriterien garantiert letztlich die inhaltliche Qualität. Gesundheit wird somit nicht zu einem Marketinggag pervertiert, sondern ist tatsächlich im gesundheitsorientierten Produkt enthalten. Daraus ableitend soll die eingangs gestellte Frage noch einmal mit einem klaren Ja beantwortet werden, denn in dem Augenblick, in dem Gesundheit versprochen wird, muss der Nachweis dieser Gesundheitsförderung vorher erbracht worden sein, ansonsten verkaufe ich eine Lüge. Gesundheitstourismus ohne medizinische Forschung ist nicht möglich.

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LITERATUR (1)

Kaspar C. Gesundheitstourismus im Trend. Jahrbuch der Schweizer Tourismuswirtschaft 1995/1996, Institut für Tourismus und Verkehrswirtschaft, St. Gallen, 1996: 53-61.

(2)

Gee Ch., Fayos-Sola E. (Eds). International tourism: a global perspective. Madrid. World Tourism Organisation. 1997.

(3)

Schobersberger W, Hoffmann G, Humpeler E. The Growing Role of Health in Tourism. In: Kronenberg Ch, Müller S, Peters M, Pikkemaat B, Weiermair K.(Hrsg). Change Management in Tourism. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2008: 113-125.

(4)

Frick K, Hauser M. Gesundheitsmarkt und Gesundheitsstandort Liechtenstein. Gottlieb Duttweiler Institut. Rüschikon/Zürich 2008:37-38.

(5)

von Planta M. Evidenzbasierte Innere Medizin. Deutscher Ärzte-Verlag Köln 2005.

(6)

Schobersberger W, Leichtfried V, Mueck-Weymann M, Humpeler E. Austrian Moderate Altitude Studies (AMAS): benefits of exposure to moderate altitudes (1.500-2.500 m). Sleep Breath 2009;(in Druck).

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Peter Lechleitner

A l p i n e M e d i c a l Wellness

Alpine Medical Wellness

SUMMARY Qualification criteria for offices which deal with medical wellness should be established and undergo controlling. This is necessary to develop acceptable products which can be used to further develop the well-being of people. A lot of research has to be done especially on which kind of vacation has the best influence on primary and secondary prevention under given circumstances of time. Alpine areas offer a special surrounding with beneficial influences on our organ systems and mind. In the following, possibilities of alpine medical wellness research will be discussed. Keywords: Alpine medical wellness, holiday research, primary and secondary prevention, tourist industry development

ZUSAMMENFASSUNG Wenn sich Medical Wellness (MW) zu einem seriösen Produkt, das auch letztlich ökonomisch nachhaltig genutzt werden kann, entwickeln sollte, so müssen konkrete Qualifikationen für MW betreibende Praxen definiert und auch kontrolliert werden. Fragwürdige Interessensgruppen, die mit pseudomedizinischer Wellness Geschäfte machen, sind kontraproduktiv. Vieles ist im Rahmen der MW noch nicht erforscht, insbesonders nicht welche Urlaubsform bei den gegebenen Zeitterminanten optimal für Prävention und bestimmte chronische Erkrankungen ist. Dies ist Aufgabe einer Forschung, die auf dem Boden einer hochentwickelten Tourismus- und Wellnesskompetenz sinnvolle Primär- und Sekundär-Präventivprodukte entwickeln kann. Der Alpenraum gibt mit seinem Reizklima zusätzliche Möglichkeiten, die über mehr oder weniger etablierte Medical Wellness-Konzepte hinausgehen. 55


Im Folgenden werden einige Möglichkeiten und Voraussetzungen für eine erfolgreiche alpine Medical Wellness dargelegt. Schlüsselwörter: Alpine Medical Wellness, Urlaubsforschung, Primär- und Sekundärprävention, Tourismusentwicklung

EINLEITUNG Wellness ist ein gängiger Begriff in vielen Hotels und unter Urlaubern geworden, wobei dieser Begriff überwiegend mit einem erweiterten Saunaangebot, Whirlpools, Sinnesrausch in einer angenehmen Umgebung, und seriösen Kosmetikprodukten in Verbindung gebracht wird. Dies entspricht jedoch keineswegs der Grundidee des Begriffes. Im Folgenden wird versucht, die Begriffe „Wellness“ und „Medical Wellness“ (MW) mit griffigen Inhalten zu versehen. Es wird dargelegt, wie sich MW von konventionellen medizinischen Leistungen in Spitälern und Praxen unterscheidet und in Verbindung mit touristischen Wellnessbetrieben gebracht werden kann. Es soll auch ausgelotet werden, welche Möglichkeiten eine alpine Form von MW („Alpine Medical Wellness“) hat. Im Folgenden wird dargelegt, wo die Urlaubserforschung in Bezug auf medizinisch erfassbare Parameter steht und welche Fragestellungen in Zukunft zu bearbeiten sind. Es wird versucht darzulegen, dass nur seriöse Forschung in diesem Bereich zur Entwicklung eines konkreten Produktes „Medical Wellness“ führen kann und somit einen wichtigen Stellenwert in der Präventivmedizin und der alpinen Touristik einnimmt.

WELLNESS Der Begriff Wellness wurde Ende der 50er Jahre geprägt und geht auf Pionierarbeiten des amerikanischen Präventivmediziners Halbert L. Dunn zurück. Seit dieser Zeit haftet dem Begriff Wellness ein präventivmedizinischer Anstrich an. Der Begriff setzt sich aus „Well-being“ und „Fit-ness“ zusammen. Ende der 90er Jahre wurde der Begriff weiter präzisiert und als Gleichgewicht von körperlicher, sozialer, mentaler, spiritueller und emotionaler Gesundheit definiert (Greenberg J.S., 1997). Wenngleich diese Definition gleichermaßen unbrauchbar ist wie die WHO-Definition von Gesundheit, so zeigt sie jedoch, dass vor allem Aspekte, die über die körperliche Gesundheit hinausgehen, hier besondere Berücksichtigung finden. Jedenfalls rückt sie die Lebensqualität des einzelnen in den Mittelpunkt und es kommen individuumsbezogene Harmonieprogramme zum Einsatz. Wesentliche Meilensteine dieser individuellen Programme sind neben Eigenverantwortlichkeit und Umweltbewusstsein v.a. bewusste Ernährung, Fitness und Stressbewältigung (Haug C.V., 1991). Aktuell beinhalten Wellnessangebote in diversen Wellnesshotels häufig fernöstliche Anleihen. Dies kommt nicht von ungefähr, zumal z. B. die traditionell chinesische 56


Gesunderhaltung das heute als neue Erkenntnis ausgewiesene Wellness-Gedankengut bereits über Jahrtausende praktizierte. Es ist seit Jahrhunderten etabliert, dass in der traditionell chinesischen Gesundheitserhaltung die Kultivierung des Geistes, insbesondere im Rahmen einer Achtsamkeitsmeditation, die Anpassung der Ernährung, der Umgang mit Alkohol und Tee, Leibesübungen (Qi-Gong, Tai-Chi), Arbeit, Erholung und Schlaf, Sexualleben und vor allem auch der Umgang mit dem alternden Körper und Geist wesentliche Berücksichtigung findet. All diese Elemente finden wir im modernen Wellness-Gedanken wieder.

MEDICAL WELLNESS (MW) „Medical Wellness“ bedeutet das Zusammenwirken von Medizin und Wellness mit dem Ziel, mehr gesundheitliche Wirkung zu entfachen, als dies in den Einzelkomponenten möglich ist. Aus Sicht des Autors impliziert dies, dass gesicherte medizinische Daten - angewendet durch einen kompetent ausgebildeten Arzt - den oft diffus abgegrenzten Bereich Wellness, der in Bezug auf Prävention wiederum relativ wenig abgesicherte wissenschaftliche Daten aufweist, seriöse Grundlage für den Inhalt bilden. Die Anwendungen sollen in einem „Wohlfühlambiente“ stattfinden. Der deutsche Wellnessverband hat sich bemüht, in einem Kriterienkatalog einen Leitfaden für zeitgemäße Wohlfühlmedizin anzubieten. Dabei sind zahlreiche Einzelkriterien zu erfüllen, um ein Zertifikat als Gesundheitspraxis zu erhalten. Neben diesem Gütesiegel kann auch ein Wellness-Award, nach Überprüfung durch sachverständige Tester, erworben werden. Dies ist der Versuch einer Zertifizierung, wie sie im Wellnessbereich und insbesondere im „Medical Wellnessbereich“, allerdings länderübergreifend, stattfinden soll. Wesentliche Eckpfeiler für eine solche Zertifizierung sollten nach Meinung des Autors sein: Sinnvolles medizinisches Konzept, welches die Erkenntnisse der Schulmedizin mit jenen der seriösen komplementären Medizin verknüpft, wobei hier ●

die Erstellung eines Risikoprofils,

eines Fitness-Scores,

Aspekte der Ernährung,

Stressmanagement,

Aspekte des Bewegungsapparates,

Umgang mit Genussmittel

Meilensteine sein müssen. 57


Die angebotenen Leistungen müssen in seriösen Aus- und Weiterbildungen nachgewiesen werden.

Die angebotenen Leistungen dürfen nicht unkritisch, sondern müssen transparent und mit Grenzen und Möglichkeiten dargestellt werden.

Die Servicequalität und Dienstleistungseinstellung sollte deutlich über jenen von Kassenpraxen stehen.

Idealerweise sollte das Ambiente der „Medical Wellness Praxis“ Anknüpfung zu den schönen Künsten (bildende Kunst, Musik, Literatur) anbieten.

Zusammenfassend sollte also ein bestimmtes Angebot an Dienstleistungen und Produkten entstehen, betrieben von kompetent ausgebildeten Ärzten mit kompetent ausgebildetem Hilfspersonal unter Verzicht auf dubiose paramedizinische Verfahren, abgesichert durch Qualitätsprüfungen und Zertifizierungen. Diesen Ansprüchen entspricht die Realität keineswegs. Ähnlich dem Wellnessbegriff hat sich bisher keine breit akzeptierte Definition von „Medical-Wellness“ durchgesetzt, wenngleich sich einige Institutionen darum bemühten. Qualitätskriterien werden nicht eingehalten. Häufig liegt kein sinnvolles medizinisches Konzept vor. Unklar ist auch die Abgrenzung zur Kur, zur Rehabilitation und zur klassischen Heilbehandlung. Es besteht somit die Gefahr, dass MW zu einer diffusen Geschäftsidee für Ärzte und Hoteliers wird, in der Hoffnung auf eine möglichst kurzfristige Umsatzsteigerung. Der Aufbau einer kompetenten medizinischen Wellnesspraxis hingegen, idealerweise im Umfeld eines Wohlfühlhotels, ist eine Aufgabe von mehreren Jahren.

ALPINE MEDICAL WELLNESS Die Grundprinzipien der „Medical Wellness“ werden zweifellos auch in den Alpen zu erfüllen sein, wenngleich hier besondere Voraussetzungen, besondere „Produkte“ angeboten werden können. Die alpine Besonderheit von „Medical Wellness“ beruht einmal auf dem positiven Stoffwechsel- und Kreislaufeffekt der mittleren Höhen (1400 bis 2500 m). Diese Effekte wurden besonders im Rahmen der AMAS-Studien erforscht und haben positive Einflüsse eines Aufenthaltes in mittleren Höhen u.a. auf Blutdruck, Blutzucker, Lipidstoffwechsel, Glucosebelastungstoleranz, Insulinresistenz, Körperfett, Schlafqualität und Stammzellen gezeigt (1-5). Eine weitere Besonderheit des alpinen Raumes ist die Hypoallergenität der Höhenlage. Interessante Forschungsbereiche sind Gebirgsgewässer als Gesundheitsquelle (z. 58


B. Wasserfälle analog zum Meeraufenthalt von Menschen mit Lungenproblemen), der Berg als spirituelles und Selbsterfahrungserlebnis, lokale Flora als Basis für Phytotherapeutika. Auch die Stressforschung, wie sie z. B. im Rahmen einer Herzfrequenzvariabilitätsmessung Einzug gefunden hat und in diesem Setting die Analyse des vegetativen Nervensystems in Bezug auf Erholungseffekt verschiedener Urlaubs- und MW-Produkte, bieten vielversprechende Ansätze. Ziel wird es allerdings sein, ganz konkrete Ernährungs-, Bewegungs- und Stressbewältigungsprodukte anzubieten und sie auf Wirksamkeit und Nachhaltigkeit zu untersuchen, immer unter der Berücksichtigung, dass der durchschnittliche Urlaubsaufenthalt nur mehr wenige Tage dauert. Es ist unrealistisch, drei- bis sechswöchige Gebirgsaufenthalte zur Maximierung des alpinen Effektes anzupreisen.

WERTSCHÖPFUNG IM ALPENRAUM DURCH MEDIZIN- UND FORSCHUNGSKOMPETENZ Basis einen erfolgreichen Gesamtkonzeptes ist das Zusammenspiel von Tourismus-, Wellness- und Medizinkompetenz gepaart mit seriöser Forschung. Hier wurden bereits mit den AMAS-Studien und dem Welltain®-Programm von Schobersberger und Humpeler wichtige Ansätze gemacht und sollen weiter beschritten und diversifiziert werden. Es wird notwendig sein, dass unsere Tourismuswirtschaft dafür Forschungsgelder zur Verfügung stellt und dass die Forschungskonzepte fundiert und wissenschaftlich-ethisch abgesichert durchgeführt werden. Leider besteht bei vielen Touristikern die trügerische Hoffnung, dass mit schnellen Pseudountersuchungen in kurzer Zeit wesentlich mehr touristischer Umsatz zu erzielen ist. Dies ist mit Sicherheit der falsche Ansatz und es muss ein Umdenkungsprozess unter den Touristikern einsetzen. MW ist kein schnelles Geld. Letztlich wird nur Seriosität und Wirkungsnachweis konkreter Produkte der alpinen Medical Wellness zum Durchbruch verhelfen.

MEDICAL WELLNESS - REGIONEN Es ist durchaus sinnvoll, dass bestimmte Regionen mit bestimmten Charakteristika für spezielle Produkte im Rahmen der alpinen Medical Wellness stehen. Am Beispiel von Osttirol, einem Bezirk mit relativ geringer Wertschöpfung, könnte gezeigt werden, wie ein langfristig angelegtes Medical Wellness-Konzept mit entsprechenden Forschungsprojekten in der Lage ist, konkrete Produkte zu entwickeln. Diese Produkte können einerseits Allgemeingültigkeit für den Alpenraum (ähnlich dem Welltain®-Programm) aber auch regionstypische Züge aufweisen. Die Authentizität einer solchen Region wie Osttirol kann z. B. davon abgeleitet werden, dass in diesem Bezirk die längste Lebenserwartung der österreichischen Bevölkerung gegeben ist und ein ein59


maliges landschaftliches Umfeld mit gut erschlossenen Wander- und Radwegen, vielen Gletscherflüssen und spirituellen Regionen vorhanden ist. Hier könnte eine überschaubare und fast in sich geschlossene Region gut beforscht werden. Aus diesem Grund wurden bereits konkrete Konzepte für die Erforschung einwöchiger Urlaubsaufenthalte mit dessen Wirksamkeit auf Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel- und Stressparameter mit innovativen Ansätzen entworfen. Es wird sich zeigen, ob Politik und Tourismuswirtschaft bereit sind, diese Forschungsvorhaben mitzutragen. Davon wird letztlich der Erfolg abhängen.

ALLGEMEIN GÜLTIGE FRAGEN UND KONZEPTE FÜR PRÄVENTIVE UND THERAPEUTISCHE URLAUBSAUFENTHALTE UNTER AUSNÜTZUNG DER ALPINTYPISCHEN VORAUSSETZUNGEN Hier zeichnen sich zweifellos die klassischen Zielgruppen ab. Es ist davon auszugehen, dass ca. 50 % der Urlaubsgäste über einen Bluthochdruck verfügen, 30 % übergewichtig sind und bereits 10 % an einem Diabetes leiden. Eine nicht unerkleckliche Zahl leidet bereits an Allergien, abgesehen von arbeitsbedingten Erschöpfungszuständen. Allgemein ist zur erforschen: ● Welche Auswirkungen hat Urlaub auf die Gesundheit? ● Welche Urlaubsbedingungen/Inhalte haben die besten Auswirkungen auf messbare Parameter? ● Was sind die besten Zeitdeterminanten (Urlaubsdauer, Urlaubsfrequenz)? ● Wie nachhaltig ist der Urlaub? ● Was sind gesündere Urlaubsformen? Medical Wellness kann durchaus über ihren präventiven Charakter hinausgehen und Programme für spezielle Krankheitszielgruppen, welche sich in einem stabilen Zustand befinden, zu erarbeiten. Bei all diesen Gruppen spielen Ernährung, Bewegung und Stressbewältigungskonzepte eine wesentliche Rolle. Insbesonders für: ● ● ● ● ● ● ● ● ●

Allergiker Asthmatiker COPD-Patienten Diabetiker Bluthochdruckpatienten Herzinsuffiziente Übergewichtige Tumorrekonvaleszente Burnout-Gefährdete etc. 60


Durch entsprechende Publikationen in einschlägigen wissenschaftlichen Medien kann Seriosität und Akzeptanz erzielt werden, welche letztlich zu einer ökonomisch umsetzbaren Produktentwicklung führen kann. Unserer fast ausschließlich ökonomisch orientierten Tourismuswelt muss jedoch klar sein, dass Medical Wellness kein schnelles Geld, mehr als heiße Luft und warmes Wasser ist und kein Wellnepp sein darf.

LITERATUR (1)

Frick M., Rinner A., Mair J., Alber H.F., Mittermayr M., Pachinger O. et al. Transient impairment of flowmediated vasodilation in patients with metabolic syndrome at moderate altitude (1700 m). Int J Cardiol 2006;109:82-87.

(2)

Mair J., Hammerer-Lercher A., Mittermayr M., Klingler A., Humpeler E. et al. 3-week hiking holidays at moderate altitude do not impair cardiac function in individuals with metabolic syndrome. Int J Cardiol 2008;123:186-188.

(3)

Mueck-Weymann M., Leichtfried V., Schobersberger W., Hoffmann G., Greie S., Reicht I., Humpeler E. AMAS II (Austrian Moderate Altitude II): Auswirkungen eines einwöchigen Aktivurlaubs (1700 m) in mittleren Höhen auf bio-psychologische Parameter. In Schobersberger W. et al., Jahrbuch 2007 der Österreichischen Gesellschaft für Alpin und Höhenmedizin, Raggl digital graphic+print, Innsbruck, 209-226.

(4)

Schobersberger W., Schmid P., Lechleitner M., v. Duvillard S., Hörtnagl H. et al. Austrian Moderate Altitude Study 2000 (AMAS 2000). The effects of moderate altitude (1700 m) on cardiovascular and metabolic variables in patients with metabolic syndrome. Eur J Appl Physiol 2003;88:506-514.

(5)

Theiss H.D., Adam M., Greie S., Schobersberger W., Humpeler E., Franz W.M. Increased levels of circulating progenitor cells after 1-week sojourn at moderate altitude (Austrian Moderate Altitude Study II, AMAS II). Resp Physiol Neurobiol 2008;160:232-238.

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Egon Humpeler

D i e m i t t l e r e H ö he – 4 0 J a h r e a n g e w a n d t e m e d i z i nische Forschung The Moderate Altitude – 40 Years of Applied Medical Science

SUMMARY The aim of this excerpt is to analyse the health effects of a sojourn at moderate altitude on the basis of scientific research done over the last 40 years. The main focus is put on how to approach this topic of health tourism, respectively a vacation in the mountains as a health measurement. The promise of the tourism industry (provider) that the vacation in fact offers health effects has to and can only be proved by science. Moderate altitude refers to altitudes between 1500 and 2500 m, whereas the bottom boarder line is not clarified exactly yet. Many single studies regarding this topic have paved the road over the last 40 years. Starting in 1995 new impulses have been given to science and new scientific discoveries have been made by the two comprehensive studies AMAS that will be presented here in a draft. Keywords: Moderate altitude (1200-2500 m), dissociation curve, metabolic syndrome, health tourism, AMAS (Austrian Moderate Altitude Study).

ZUSAMMENFASSUNG Ziel dieser Ausführung ist es, die gesundheitlichen Auswirkungen eines Aufenthaltes in mittleren Höhenlagen auf der Basis der letzten 40 Forschungsjahre zu beleuchten. Schwerpunkt ist die gesundheitstouristische Betrachtungsweise dieser Thematik, es geht um den Urlaub in den Bergen gedacht als Gesundheitsmaßnahme. Wenn ein Gesundheitsversprechen durch Urlaub von Seiten des Tourismus gegeben wird, muss der Nachweis einer Gesundheitsförderung erbracht werden, was nur durch Forschung möglich ist. Wenn von mittlerer Höhe gesprochen wird, sind Höhen von 1500 – 2500 m gemeint, wobei die Untergrenze noch nicht ganz geklärt ist. Der Verlauf dieser 40 Jahre war geprägt durch viele Einzelstudien. Ab dem Jahre 1995 waren es die großen 63


AMAS Studien, die neue Impulse für Forschung setzten und damit neue Erkenntnisse erbrachten, auf die skizzenhaft eingegangen wird. Schlüsselwörter: Mittlere Höhe (1200 – 2500 m), Sauerstoffbindungskurve, Metabolisches Syndrom, Gesundheitstourismus, AMAS (Austrian Moderate Altitude Study)

EINLEITUNG Ziel dieser Ausführung soll sein, die gesundheitlichen Auswirkungen eines Aufenthaltes in mittleren Höhenlagen auf der Basis der letzten 40 Forschungsjahre zu beleuchten. Im Vordergrund steht dabei die touristisch-gesundheitsorientierte Komponente, also letztlich der Urlaub in den Bergen. Dieses Thema war und ist das besondere Ziel sämtlicher Forschungsaktivitäten. Es ist nicht die Absicht des Autors, einen chronologischen Überblick über alle Publikationen, die sich mit der mittleren Höhe beschäftigen, zu geben, sondern darzustellen, worin die Bedeutung gerade der mittleren Höhen aus gesundheitstouristischem Blickwinkel liegt und warum der Schwerpunkt unserer gesamten Forschungsaktivitäten in diesem Höhenbereich zu finden ist. Die große Bedeutung der Studien anderer Autoren (Burtscher, Domej, Berghold, Jenny, Flora u.a.) ist bekannt und es soll hier nicht gesondert darauf hingewiesen werden.

DEFINITION „MITTLERE HÖHE“ Es werden im Allgemeinen Höhen zwischen 1500 und 2500 m als mittlere Höhen bezeichnet. Da es aber Hinweise gibt, dass schon in tiefer gelegenen Lagen, also schon knapp über 1000 m Veränderungen und Reaktionen des Körpers auftreten können, sollte meines Erachtens die mittlere Höhenlage in Zukunft generell als eine Höhenlage zwischen 1200 und 2500 m definiert werden. Bei einer solchen Festlegung der mittleren Höhe sollte aber gewährleistet sein, dass von diesen Höhenlagen aus höhergelegene Regionen aufgesucht werden können. Die Festlegung auf diese Höhen halte ich deshalb auch für gerechtfertigt, da z.B. eine Altersabhängigkeit in den Reaktionen des Organismus auf die verschiedenen Höhen nicht geklärt ist. Es ist sicher unterschiedlich zu bewerten, ob sich z.B. ein 70-Jähriger oder 17-Jähriger auf 1200 m begibt und dort körperlich aktiv ist. Mittlere Höhe bedeutet eine Höhe zwischen 1200 und 2500 m. (mit obiger Einschränkung) Gerade diese mittleren Höhen waren es, die schon in viel früherer Zeit Forscher fasziniert haben. Nathan Zuntz und seine Mitarbeiter berichteten 1906 in ihrem Werk 64


Höhenklima und Bergwanderungen faszinierend exakt und mit großer Forscherakribie die vielen positiven Seiten des Wanderns in den Bergen (1). Eben ist in den USA die Bedeutung von Nathan Zuntz neu aufgearbeitet und in Buchform zusammengefasst worden.(2) Während das Ziel der ersten, eigenen Untersuchungen primär dem Aufenthalt vor allem des kranken Menschen in mittleren Höhenlagen galt (3), erweiterte sich das Thema immer mehr und die Bestrebungen gingen in die Richtung, den Aufenthalt in mittleren Höhenlagen als Teil des Urlaubs zu sehen und zu erforschen. Es ist heute sicher wieder ein Gebot der Stunde, den Urlaub zu dem zu machen, was er bei seiner Einführung war, nämlich eine Gesundheitsmaßnahme, worüber beim ersten Teil dieses Kongresses im Rahmen des 3. Zukunftsforums u.a. referiert wurde, vor allem, als es um das Thema Gesundheitstourismus ging. Die Frage, warum gerade diese mittleren Höhen von großem Interesse sind, lässt sich u.a. damit beantworten, dass diese Höhen von Millionen von Menschen jährlich zu Urlaubszwecken aufgesucht werden, und dass diese Höhen daher im Tourismus eine

Abbildung 1: Verschiebung der Bindungskurve nach nach rechtsrechts und deren Auswirkungen Abbildung 1: Verschiebung der Bindungskurve und deren Auswirkungen (Näheres siehe Text) 65


äußerst große Rolle spielen, weswegen diese Höhen auch manchmal als die „merkantilen“ Höhen bezeichnet werden. Daneben aber gab und gibt es eine Reihe wichtiger Gründe physiologischer und medizinisch-klinischer Natur, die eine Trennung von mittlerer Höhe bis 2500 m und Höhen darüber auch forschungsmäßig rechtfertigen. Einer dieser Unterschiede ist das Verhalten der Sauerstoffbindungskurve in verschiedenen Höhenlagen. In mittleren Höhen zeigte sich - wie mehrfach festgestellt – eine Rechtsverschiebung der Bindungskurve, ausgedrückt in einer Zunahme des P50 Wertes (4). Diese Rechtsverschiebung der Sauerstoffbindungskurve, gleichbedeutend mit einer Abnahme der Sauerstoffaffinität des Hämoglobins, bedeutet – jedenfalls theoretisch – eine Erhöhung der kapillaren und damit auch des mitochondrialen Sauerstoffpartialdrucks (Abb. 1). Es soll angemerkt werden, dass diese Verbesserung der mitochondrialen Sauerstoffversorgung durch eine Rechtsverschiebung der Sauerstoffbindungskurve denkbar ist, aber der Nachweis fehlt bis heute. Die Publikation aller bis dorthin gesammelten Daten wurde damals mit dem Kardinal Innitzer Förderungspreis für Medizin durch Kardinal König ausgezeichnet (Abb. 2). Die unterschiedlichen Auswirkungen einer Rechtsverschiebung der Sauerstoffbindungskurve auf die arterielle Sauerstoffsättigung und des gemischt venösen Sauerstoffpartialdrucks in 2000 m und 5000 m Höhe sind in der Publikation von Humpeler und Mairbäurl dargestellt (4).

Abbildung 2: Verleihung des Kardinal Innitzer Förderungspreises durch Kardinal König an Dr. Humpeler 66


Ein Meilenstein in der damaligen Diskussion der gesundheitlichen Bedeutung der mittleren Höhe war das Internationale Symposium in Innsbruck/Igls, also am selben Ort, wo die Jubiläumstagung 20 Jahre ÖGAHM dieses Jahr stattfand (6). Ein großer Befürworter und wichtiger Förderer der Forschungsaktivitäten in mittlerer Höhe war der damalige Institutschef des physiologischen Institutes der Medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck, Prof. Peter Deetjen (in Abb. 3), bei der Eröffnung seines Instituts durch den damaligen Bundespräsidenten Dr. Rudolf Kirchschläger zusammen mit der damaligen Wissenschaftsministerin Frau Dr. Firnberg, Abt Stöger und mit unserem Team. Dieses Institut war dann auch die Heimstätte des Gründungskongresses unserer Gesellschaft im Jahr 1989. In der Folgezeit trat ein junger Assistent in das Institut für Physiologie ein und es kann als besonderer Glücksfall bezeichnet werden, dass bei diesem Assistenten, Dr. Wolfgang Schobersberger, die Höhenphysiologie besonderes Interesse fand.

Abbildung 3: BP Dr. Kirchschläger, Ministerin Dr. Firnberg, Abt Stöger und Prof. Deetjen bei der Eröffnung des Physiologischen Institutes der Universität Innsbruck Das erste Großprojekt, das wir, Schobersberger und ich, in Angriff nahmen, war AMAS 2000, wobei AMAS für Austrian Moderate Altitude Study steht und 2000 ausdrückt, dass Höhen bis 2000 m erforscht werden und der erste Teil dieses Projektes bis zum Jahre 2000 abgeschlossen werden sollte. Der erste Teil von AMAS I wurde 1998 in 67


Lech am Arlberg durchgeführt, wo vor allem die Möglichkeit einer solchen Großstudie geprüft und auch die statistischen Grundlagen erarbeitet werden mussten, um dann im Jahre 2000 die Hauptstudie durchzuführen. In Abbildung 4 ist der Original Auditplan dargestellt.

Abbildung 4: Original Abbildung 4: Original Auditplan der AMASAuditplan I Studie

der AMAS I Studie

Die Ergebnisse dieser Studie mit einem Team von mehr als 40 Personen sind sehr verkürzt in Abb. 5 dargestellt und diese wurden in zahlreichen Journalen publiziert (8-13). Vor kurzem erfolgte die Zusammenfassung all dieser Daten in einer eigenen Publikation (14). Die Zahl der Vorträge, populär wissenschaftliche Publikationen und Presseartikel zu den AMAS Studien sind enorm und auch Teile früherer Jahrbücher unserer Gesellschaft sind dieser Thematik und diesen Studien gewidmet, z. B. das Jahrbuch 2000 (7). 2006 wurde das AMAS II Forschungsprojekt durchgeführt. Schwerpunkt war die Erforschung von Veränderung der Stresslage und Untersuchung von Stammzellaktivitäten (15). 68


AMAS I x Ökonomisierung des Herzkreislaufverhaltens x Deutlicher Abfall erhöhten Blutdrucks x Verringerung des Körpergewichts ohne eigentliche Diät x Verbesserung des Blutfett – und Blutzuckerstoffwechsels x Verbesserung des Sauerstofftransports durch rote Blutkörperchen x Rückgang des „oxidativen Stress“ - Reduktion der freien Radikalen x Verbesserung des psychischen Wohlbefindens (z.B.: positive Lebenseinstellung, Schlafqualität ) x Verbesserung der Fitness AMAS II x Signifikanter Stressabbau x Regenerative Effekte durch Stammzellenaktivierung

Abbildung 5: Effekte eines Höhenaufenthaltes, Ergebnisse der AMAS I und II Studien Neben den Publikationen in angesehenen Journalen gab es auch eine Reihe von Auszeichnungen, so u. a. den Wissenschaftspreis der Österreichischen Gesellschaft für Sport und Präventivmedizin aber auch Auszeichnungen aus dem Tourismussektor, so den 1. Preis beim Innovationspreis 2002 des Bundesverbandes der Österreichischen Tourismusmanager. Ohne die zahlreichen Mitarbeiter, auf die unten hingewiesen wird, wären diese AMAS Studien nicht möglich gewesen, weswegen es gerechtfertigt ist, diese bei einer solchen Zusammenfassung dankbar zu erwähnen. An das Ende der Ausführungen soll eine Zusammenfassung gestellt werden, die wichtige Ereignisse der letzten 40 Jahre Mittlere Höhenforschung beinhalten (Abb. 6). 20 dieser 40 Jahre ist auch ÖGAHM Geschichte, die Tätigkeit in diesen Jahren hat zu Gründungen von Gesellschaften geführt, zu Gründungen von Firmen und Instituten, zu Kongressen aber eben auch zu wichtigen Publikationen. Viele Forschungsprojekte konnten bei dieser Ausführung nicht berücksichtigt werden, wie z. B. Schwangere in der Höhe (16), endokrinologische Fragen und mittlere Höhe (17) oder Kurzzeiteffekte (18). Kontinuierlicher Entwicklungsprozess über vier Jahrzehnte

Abbildung 6: Chronologie 40 Jahre alpinmedizinischer Forschung und Entwicklung 69


Dass das bisherige Tun nur ein bescheidener Anfang in der systematischen Erforschung von Fragen des alpinen, gesundheitsorientierten Tourismus sein kann, ist klar. Dennoch kann mit großer Befriedigung gesagt werden, dass der Start vor 40 Jahren zur Gründung der ÖGAHM beigetragen hat, und dankbar soll vermerkt werden, dass die Gesellschaft und deren Aktivitäten beigetragen haben, diese Sparte der medizinischen Forschung zu fördern und weiterzubringen.

DAS AMAS FORSCHUNGSTEAM AMAS I Team Gesamtleitung Egon Humpeler Leitung der wissenschaftlichen Koordination Wolfgang Schobersberger zusammen mit (in alphabetischer Reihenfolge) Baumgartner Holger Berger Ken Burtscher Martin Boldt Hendrik Czak Heide Eckmeckcioglu Cem Faulhaber Martin Felkel Georg Fries Dietmar Greie Sven Gunga Hans-Christian Halleck Philipp Hauer Beatrix Hölzl Cornelia Hoppichler Fritz Hörtnagl Helmut Humpeler Susanne Klingler Anton Koralewski Hans-Eberhard und Ingeborg Lechleitner Monika Mair Johannes Marktl Wolfgang Mittermayr Markus Riedmann Gebhard Riedmann Brigitte Rinner Alexander Schmid Peter Schöpf Gerhard

70


Strauss – Blasche Gerhard Waanders Robb Wontroba Isaak AMAS II Team (in alphabetischer Reihenfolge ) Adam Michaela Franz Wolfgang – M. Greie Sven Humpeler Egon Hoffmann Georg Leichtfried Veronika Mueck-Weymann Michael Reicht Ignaz Schobersberger Wolfgang Theiss Hans Diogenes

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74


M a r k u s W. Flatz, Evelyn Punter, Wolfgang Schobersberger, Egon Humpeler

P h y s i o l o g i c a l E f f e c t s o f a Va c a tion with Physical A c t i v i t y a t A l t i t u d e – P r e l i m i nar y Data from a P r o j e c t C o n c e r n i n g t h e A u s trian Moderate A l t i t u d e S t u d i e s ( AMAS)

SUMMARY This study presents measurements and analysis from a real time vacation at moderate altitude (1450 m) including customized and guided physical activities. This program was based on the Austrian Moderate Altitude Studies (AMAS). Hence, the aim here was to compare this data to the results of AMAS. We tested 28 subjects (male and female) mean age (SD) 53.5 (13.3) years, mean height 1.76 (0.09) m and mean weight 79.2 (16.5) kg, and compared basic resting and exercising measurements from PRE (after 1st overnight) to POST (10th day of the vacation). At rest we conducted body impedance analysis (BIA), heart rate (HR), blood pressure (BP) and percutan pulsoximetry (SpO2) measurements. Exercise tests included an indoor step test (HR, SpO2, BORG perceived exertion scale) and a defined test hiking trail with a flat and a following steep part aiming for similar hiking time with comparable power output (time, HR, SpO2, BORG). The results showed a reduction in body weight solely due to a loss of body fat and unchanged fluid balance. Also, systolic blood pressure decreased significantly. Both exercise tests (indoor step test and defined hiking trail) revealed a decreased heart rate response, increased oxygen saturation and decreased BORG rating: over all an improved exercise tolerance. These results showed positive effects from a real time vacation with guided physical activities at moderate altitude on body composition, blood pressure and exercise tolerance. This is consistent with the results of AMAS. Keywords: exercise tolerance, health tourism, WelltainÂŽ 75


ZUSAMMENFASSUNG Wir erhoben und analysierten Daten eines praktisch durchgeführten Urlaubs in mittlerer Höhe (1450 m) mit adäquater und betreuter körperlicher Aktivität. Dieses Programm basiert auf den Österreichischen Höhenstudien (Austrian Moderate Altitude Studies AMAS). Ziel war es daher auch, die Ergebnisse dieses real durchgeführten Urlaubs (Welltain®) mit denen der AMAS-Studien zu vergleichen. Die Daten von 28 Personen (Frauen und Männer), mit den Mittelwerten (Standardabweichung) für Alter 53.5 (13.3) Jahre, Größe 1.76 (0.09) m und Gewicht 79.2 (16.5) kg wurden analysiert. Einfache Messungen während Ruhebedingungen sowie während moderater körperlicher Belastung wurden am Tag nach der ersten Übernachtung und am zehnten Tag des Urlaubs gemessen und verglichen. Unter standardisierten Ruhebedingungen wurde eine Körperzusammensetzungsmessung (BIA), die Herzfrequenz (HR), der Blutdruck (BP) und perkutan die Sauerstoffsättigung (SpO2) gemessen. Mittels eines standardisierten Stufentests (HR, SpO2, BORG Skala für subjektives Beanspruchungsempfinden) und einer definierten Testwanderstrecke bestehend aus einem flachen Teilstück und einem anschließenden Anstieg wurden Belastungsmessungen durchgeführt (Zeit, HR, SpO2, BORG). Die Ergebnisse zeigten eine Reduktion des Körpergewichts, hauptsächlich aufgrund der Abnahme des Körperfettanteiles und einen unveränderten Flüssigkeitsstatus. Weiters kam es zu einer Abnahme des systolischen Blutdrucks. Für beide Belastungstests (Stufentest und Testwanderstrecke) zeigten sich eine Abnahme der Belastungsherzfrequenz, eine verbesserte Sauerstoffsättigung und eine verminderte subjektive Beanspruchung, zusammengefasst eine verbesserte Belastungstoleranz. Diese Ergebnisse zeigen positive Effekte eines real durchgeführten Urlaubs mit betreuten Aktiveinheiten in mittlerer Höhe hinsichtlich der Körperzusammensetzung, des Blutdrucks und der Belastungstoleranz. Diese Ergebnisse stimmen mit jenen der AMAS Studien überein und bestätigen die positiven Effekte eines betreuten Aktivurlaubs in mittlere Höhenlage. Schlüsselwörter: Belastungstoleranz, Gesundheitstourismus, Welltain®

INTRODUCTION The Austrian Moderate Altitude Study (pilot study AMAS and AMAS I) was conducted to research the safety aspects for people with metabolic syndrome and the effects of a sojourn including appropriate physical activity at moderate altitudes of 1700m (sleeping altitude), up to 2500 m during hikes. Furthermore, AMAS II was conducted especially to research regenerative effects during a one-week sojourn with moderate physical activity and relaxation exercises at moderate altitude (1700 m) in healthy subjects. 76


To date, numerous papers out of these studies are published describing different aspects (1 - 10). Based on these results the tourism project Welltain® started in 2002 with the aim to offer a unique vacation: medical and sport scientific anamnesis and tests at the beginning and at the end of the vacation, an appropriate and well adjusted exercise schedule, conducted and guided by sport scientific experts and completed by regeneration exercises and massages to fulfil the needs of the guests for their health benefits. The aim of this preliminary data was to analyse the data from the pre- and post-tests of this real time vacation to gain information about the effects of such an individually styled program and to compare them to the AMAS data.

METHODS All measurements were obtained at an altitude of 1450 m, the sleeping altitude during the vacation was 1450 m – 1700 m, whereas the usual living altitude of the subjects included was between sea level and 800 m. The pre-tests took place in the morning after the first overnight, 2 hours or more after a light breakfast. The post-tests were taken at the same daytime and nutritional status as the pre-tests, on day 10 of the vacation. During the vacation there were no restrictions regarding food intake, hence, no control of that. Drinking water was suggested often during the hikes and beyond as a part of the information the guests received concerning the needs for exercise, especially at altitude. The exercise program for every guest was customized. 28 healthy men and women, mean age 53.5 ± 13.3 years (range 38 – 79yrs.), mean height 1.76 ± 0.09 m, mean weight 79.2 ± 16.5 kg, and mean body mass index (BMI) 25.5 ± 4.0 kg/m2 were included in this study. All of them underwent medical observation by a physician prior to the program and were declared as fit for appropriate exercises and treatments. Rest At rest we made body composition analysis (BIA, Biosign Inbody 3.0, Korea), and measured heart rate (HR, Polar S 810i, Finland), blood pressure (BP) and percutan pulsoximetry (SpO2, Mini Corr Pulsoximeter, Smith Industries Medical Systems). Exercise We used a modified Harvard step test with individual step settings as an indoor exercise test. Step height and the frequency of the steps were set to an individual level for each subject to guarantee a moderate intensity. Considering a steady level of condition, we measured heart rate (HR), SpO2 and BORG-rate of perceived exertion (14) between minute 3 and 4 during the test. 77


Another exercise test took place under field conditions, using a designated hiking trail with a flat part and a following steep part. Again, HR, and in the steep part, SpO2 and BORG ratings were obtained. The aim for both exercise tests (indoor and field test) was to generate the same power output for pre- and post-testing. Identical step height and frequency for the indoor test and identical hiking velocity for the field test were applied through the sport scientific experts (exercise physiologists) who also guided the guests throughout their vacation, supporting them with knowledge and information about exercise, altitude, a healthy life-style and individual concepts for their every-day use after the vacation. Statistics We used a paired students t-test (two tailed) to compare pre- vs. post-test data, assuming normal distribution of this biomedical data. A p value ≤ 0.05 was defined as statistically significant. Data are shown as means and standard deviation in parenthesis (SD).

RESULTS All participants completed the tests and the exercise program without any complications and left motivated for their ever-day lives. Results are also shown in table 1. The exercise program of every guest was customized. Overall about 3 hrs endurance exercises (hiking, Nordic walking, biking) per day at an intensity of 60-80% HRmax, and BORG ratings from 10 - 15, and additional exercises (strength training, gymnastics, regeneration training, 4 - 5 times in 12 days) were performed. Rest The BIA showed a significant loss of body weight (-0.8 kg from 79.2 (16.5) kg to 78.4 (15.9) kg, p=0.01), accompanied by a change in BMI (25.5 (4.0) kg/m2 vs. 25.2 (3.9) kg/m2, p=0.01). This was solely due to the loss of body fat (- 0.5 kg from 19.8 (11.9) kg to 19.3 (6.8) kg, p=0.06). Total body fluid, intra- and extra-cellular fluids remained unchanged. There was no change in resting HR and SpO2 increased borderline (94.6 (1.7) % vs. 95.1 (1.8) %, p=0.06). Even though we only were able to include 4 subjects, systolic blood pressure (SBP) decreased (133.5 (2.9) mmHg vs. 125.3 (4.5) mmHg, p=0.05, n=4 !), and diastolic blood pressure (DBP) remained statistically unchanged (84.0 (7.3) mmHg vs. 78.0 (3.9) mmHg, p=0.2, n=4). Exercise - Step Test The indoor step test revealed a decreased HR (120 (20) min-1 vs. 114 (17) min-1, 78


p=0.001), an unchanged SpO2 (93.3 (2.5) vs. 93.8 (2.5), p=0.15), and a decreased BORG-rating (12.1 (1.7) vs. 10.9 (1.9), p=0.004). Exercise - Test Hiking Trail During the flat and the steep part of the test hiking trail we measured an unchanged hiking time (935 (252) seconds vs. 928 (238) s, p=0.8 and 428 (187) s vs. 446 (201) s, p=0.2 respectively), and a decreased HR response (111 (10) min-1 vs. 104 (11) min-1, p<0.001 for the flat part, and 132 (12) min-1 vs. 121 (16) min-1, p<0.001 for the incline respectively). SpO2 increased during the steep part (91.3 (3.2) % vs. 92.4 (2.7) %, p=0.005) whereas the BORG-rating decreased (13.7 (1.5) vs. 12.3 (1.8), p=0.001).

HIKE

EXERCISE

STEP

CV

REST

BIA

Table 1: Results from resting and exercising measurements on the 1st morning after arrival at altitude (1450 m) (PRE) and on the 10th day of the vacation (POST). p value alike or lower than 0.05 are defined as statistically significant. Data shown as means (standard deviation)

Weight [kg] BMI [kg/m2] Total body water [l] Intracellular water [l] Extra cellular water [l] Fat mass [kg] % body fat [%] HR [min-1] SpO2 [%] SBP [mmHg] DBP [mmHg] HR [min-1] SpO2 [%] BORG rating Time flat [sec] HR flat [min-1] Time steep [sec] HR steep [min-1] SpO2 steep [%] BORG steep

PRE (1st morning after arrival at altitude) 79.2 (16.5) 25.5 (4.0) 43.8 (9.4) 28.3 (6.2) 15.3 (3.7) 19.8 (11.9) 24.3 (6.5) 67.5 (8.8) 94.6 (1.7) 133.5 (2.9) 84.0 (7.3) 120.3 (19.6) 93.3 (2.5) 12.1 (1.7) 934.7 (252) 111.4 (10.0) 428.1 (187) 131.5 (12.0) 91.3 (3.2) 13.7 (1.5)

POST (10th day at altitude)

p value (n=28)

78.4 (15.9) 25.2 (3.9) 43.6 (9.2) 28.2 (6.2) 15.2 (3.7) 19.3 (6.8) 23.9 (6.4) 67.3 (9.6) 95.1 (1.8) 125.3 (4.5) 78.0 (3.9) 113.7 (17.0) 93.8 (2.5) 10.9 (1.9) 928.3 (238) 103.5 (10.5) 445.9 (201) 120.9 (15.5) 92.4 (2.7) 12.3 (1.8)

0.01 0.01 0.1 0.22 0.57 0.06 0.18 0.91 0.06 0.05 * n=4 0.2 * n=4 0.001 0.15 0.004 0.78 <0.001 0.15 <0.001 0.005 0.001

Abbreviations: BIA (body impedance analysis), CV= Cardiovascular, BMI (body mass index), HR (heart rate), SpO2 (percutan oxygen saturation), SBP (systolic blood pressure), DBP (diastolic blood pressure). 79


DISCUSSION We analysed data of 28 men and women who completed a customized vacation program at moderate altitude including physical exercise and regeneration. Initialised through the Austrian Moderate Altitude Studies (AMAS) this project was in collaboration with the tourism industry, medicine, and exercise physiological experts.

Body composition We measured a loss of body weight solely due to the loss of body fat. This weight loss corresponded with the results of the AMAS pilot study (3) and AMAS I (4). Total body fluid remained unchanged from pre to post test (2nd to 10th day at altitude). This is also confirms the results of Gunga et al. (3), and Greie et al. (4) with which Gunga et al. showed an initial fluid loss from low to moderate altitude but unchanged body fluids until day 9 at altitude (3). From our data we are not able to exclude another possible explanation for decreased body weight: the loss of appetite. Nevertheless, Gunga (3) showed that Leptin as a marker of appetite loss is not increased and is moreover expected to decline because of the physical activity. Overall we conclude that the increased caloric turnover due to appropriate physical exercise is responsible for the loss of fat and body mass.

Cardiovascular measurements at rest Because of the relatively short time period we did not expect a decreased HR at rest due to training effects. For effects on HR due to acclimatization our data are consistent with the AMAS pilot study and others at similar altitude (2000m) (2,11). SpO2 tended to increase during the 10-day period (94.6 vs. 95.1 %, p=0.06). 1450 m is too low of an altitude to prove statistical significance for this study group and study design. In contrast, other studies at higher altitudes (2000 m) found statistically significant changes. Although we were able to include BP data from 4 subjects only, we measured a decrease of systolic BP (SBP) and statistically unchanged diastolic BP (DBP). Again, this coincides with the data from the AMAS pilot study (2), and the main study, in which Greie et al. (4) showed decreased DBP as well. Even with the limited samples in our data, these findings demonstrate once more that exposure to altitude with customized physical activity has the potential to decrease SBP and DBP in a clinical relevant manner (84.0 mmHg vs. 78.0 mmHg, p=0.19, n=4). It is relevant to point out that the effects on BP seem to be independent from the altitude level since Greie et al. showed the same decrease in the control group at 200 m (4). However, it remains unproved which single factor, i.e. vacation, physical activity, or a combination of both, has most impact on the reduction of blood pressure. 80


Cardiovascular Measurements at Submaximal Exercise We measured a marked reduction of exercise HR response during the stay at moderate altitude for both exercise tests (indoor step test and test hiking trail). Due to unchanged hiking time from pre- to post-test, subjects had similar power output in both test hikes. These results are consistent with data from the hiking study from Burtscher et al. (11), and are evidence for a better exercise tolerance at altitude. However, because of a missing a sedentary control group we are not able to clarify if this decrease is either because of physical activity or altitude acclimatization or the combination of both. Unfortunately, we have no data concerning cardiovascular responses before and/or after the stay at altitude to support all the effects of this treatment. Reports from AMAS showed an unchanged maximal power and heart-rate response one week after the return to 600 m (2,4). The latter described an increased relative maximal power output based on decreased body-weight (4). On the contrary, Burtscher et al. (11) measured reduced HR during submaximal exercise back at 600 m (after 1 week at 2000 m). and discussed a down regulation of beta receptors and/or increased parasympathetic activity suggested from Kacimi et al. (12). A resting control group at altitude is needed to clarify the effects of physical activity and altitude acclimatization on cardiovascular changes during exercise.

SUMMARY and PREVIEW Regarding the positive effects on body composition, blood pressure and exercise tolerance, data are consistent with the results from AMAS. However, further studies are required in order to develop guidelines for vacationers with pre-existing chronic diseases visiting moderate altitudes. Moreover, moderate hypoxia may serve as model for different aspects of human physiology and psychology. We are aware that data of the control group at 200 m published by Greie et al. (4) showed basically the same effects on cardiovascular, anthropometric and metabolic parameters, hence, showed similar benefits of a vacation, either at low or moderate altitude. To date, control groups at either altitude without physical activity are missing to detect the casualities of altitude, vacation and of course of physical activity. Therefore, it might not be a question of altitude but a question of the additional treatment. Nevertheless, safety is the main outcome in the studies with a well-designed scientific manner, as well as in an applied real-time vacation, and there are similar benefits up to 1700 m of altitude. On the other hand, latest findings concerning extra benefits from a sojourn at altitude derived from the data of AMAS II (10), in which increased levels of circulating progenitor cells were measured after a week sojourn at moderate altitude. Further topics of interest might include effects on glucose intolerance and diabetes mellitus respectively 81


since results from intermittent hypoxia studies showed promising results (13). Taking into account some environmental aspects, regeneration ability concerning effects of light at night, noise level and allergens, and effects of movement patterns during hiking uphill and downhill (cardiovascular, neuromuscular, metabolic and equilibrium aspects) should be focused on in further studies.

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(10) Theiss H.D., Adam M., Greie S., Schobersberger W., Humpeler E., Franz W.M. Increased levels of circulating progenitor cells after 1-week sojourn at moderate altitude (Austrian Moderate Altitude Study II, AMAS II). Respiration Physiology Neurobiology 2008;160:232-238. (11) Burtscher M., Bachmann O., Hatzl T., Hotter B., Likar R., Philadelphy M., Nachbauer W. Cardiopulmonary and metabolic responses in healthy elderly humans during a 1-week hiking programme at high altitude. Eur J Appl Physiol 2001 May;84(5):379-86. (12) Kacimi R., Richalet J.P., Corsin A., Abousahl I., Crozatier B. Hypoxia-induced downregulation of beta-adrenergic receptors in rat heart. J Appl Physiol 1992 Oct;73(4):1377-1382. 83


(13) Haufe S., Wiesner S., Engeli S., Luft F.C. Jordan J. Influences of normobaric hypoxia training on metabolic risk markers in human subjects. Medicine & Science in Sports & Exercise 2008; 40(11):1939-44. (14) Borg G. Psychophysical bases of perceived exertion. Med Sci Sports Exerc 1982;14:377 – 381.

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Elisabeth Simons

D i e G e s c h i c h t e d e r H ö h enkrankheit History of High Altitude Disease

SUMMARY The history of high altitude illness – from occasional observation to modern high altitude medicine – reflects some aspects of scientific and social development of the last centuries. Mountaineers and scientists proposed early theories about fatigue, headache and nausea without taking effort to examine their causes. Many mistook the symptoms for fear, and denied the existence of a disease. High altitude physiology proved hypoxia at high altitude but pathophysiology and possible treatment of high altitude illness remained obscure. Mountain sickness was regarded an uncomfortable side effect of thin air and severe courses were unrecognized. Scientists rather explored mechanisms of acclimatization, acute hypoxia or climatic effects at moderate altitude. Precise descriptions of high altitude diseases were made in South America, where greater numbers of patients aroused clinicians’ attention. This knowledge was unrecognized in the western world for a long time. Increasing numbers of tourists hiking towards higher altitudes enhanced interest in cases of acute mountain sickness, high altitude pulmonary and cerebral edema and thus led to the development of modern high altitude medicine. Keywords: high altitude disease, hypoxia, history

ZUSAMMENFASSUNG Die Geschichte der Höhenkrankheit bis zur Entwicklung der modernen Höhenmedizin gibt Einblick in die wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrhunderte. Obwohl es schon früh vielfältige Spekulationen über Müdigkeit, Kopfschmerzen und Übelkeit in der Höhe gab, fehlten vorerst Bestrebungen, deren Ursache durch Untersuchungen zu klären. Da die Symptome nicht regelmäßig auftraten, zweifelten Viele an der Existenz einer entsprechenden Krankheit. Die Höhenphysiologie erbrachte den 85


Beweis für den Sauerstoffmangel in der Höhe, aber die Höhenkrankheit galt meist als eine unbequeme Begleiterscheinung, deren Ursache und Behandlung nicht erforscht wurde und schwerwiegende Krankheitsverläufe blieben als solche unerkannt. Die Forschungstätigkeit hatte andere Schwerpunkte, wie Mechanismen der Akklimatisation, der akuten Hypoxie oder der Heilwirkung moderater Höhenaufenthalte. Lediglich in Südamerika, wo die Anzahl Erkrankter größer war, gelangen exakte klinische Beschreibungen und Schlussfolgerungen, die jedoch in der westlichen Welt unbeachtet blieben. Erst die Zunahme der Erkrankungen mit dem Boom von Höhentourismus und Bergsportarten führte zur Entwicklung der Höhenmedizin. Schlüsselwörter: Höhenkrankheit, Hypoxie, Geschichte

EINLEITUNG Die Geschichte der Entdeckung und Erforschung einer Krankheit beinhaltet Personen und Ereignisse: Erstbeschreiber, Irrtümer und Meilensteine bei der Abklärung von Ätiologie und Pathogenese, sowie Fortschritte der Behandlung stehen im Mittelpunkt. Berücksichtigt man auch die Wahrnehmung und Deutung einer Krankheit, ihre Bedeutung im Laufe der Zeit und die vorhandene oder fehlende Motivation für ihre Erforschung, öffnet sich neben der Ereignisgeschichte eine breitere Perspektive, die Hinweise auf Sozial-, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte der betreffenden Periode gibt. Bei diesem Ansatz fließt in der modernen Medizingeschichte auch die Sichtweise und die Krankheitserfahrung der Patienten ein (1). Diese zweite Betrachtungsart drängt sich für die Darstellung der Höhenkrankheit geradezu auf, da ihre eigentliche Erforschung streng genommen erst mit der Entwicklung der Höhenmedizin im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einsetzt, obwohl die Krankheit schon viel länger bekannt war. Die frühen Beschreibungen aller Höhenkrankheiten erfolgten meist durch betroffene Laien oder Wissenschaftler, die in der Höhe selber zu Patienten wurden und die Symptome mehr als lästigen Störfaktor, denn als Gegenstand ihrer Forschung betrachteten. So lässt sich die Geschichte der Höhenkrankheit in und mit vielen Geschichten erzählen, die einzelne Aspekte beleuchten, aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Dort wo mit der modernen höhenmedizinischen Forschung die Gegenwart beginnt, endet diese Darstellung der Geschichte der höhenbedingten Gesundheitsstörungen.

FRÜHE BEGEGNUNGEN MIT DER BERGKRANKHEIT Die in Zentralasien und Südamerika aufgrund klimatischer Bedingungen höher gelegene Siedlungsgrenze führte früher und häufiger als in Europa zu Reisen, bei denen Folgen des Sauerstoffmangels auftraten. So berichtet ein chinesischer Text um 35 v. 86


Chr. von den Großen und den Kleinen Kopfwehbergen auf der Strecke zwischen Kashi und Kabul, wobei nicht nur deren Name sondern auch die Beschreibung der Symptome mit Hitze, Kopfschmerz und Erbrechen Rückschlüsse auf das Auftreten der Bergkrankheit bei der Überquerung des Kilik-Passes (4827 m) erlauben (2). In der europäischen Literatur gibt es aus dieser Zeit Berichte über Aufstiege zum Olymp, bei denen Schwämme als Atemhilfe gegen die Unbill der kargen Umgebung dienten. Bergbesteigungen um ihrer selbst Willen, waren in Europa im Altertum und Mittelalter wohl sehr selten, die Reisen von Kaiser Hadrian auf den Ätna und von Petrarca auf den Mont Ventoux dürfen als exotische Ausnahmen gelten. Das lebensfeindliche Ambiente des Hochgebirges wurde möglichst gemieden, zu groß waren die Gefahren von Lawinen, Steinschlag, Unwettern, Drachen und Gnomen, zudem war dort oben nichts zu holen. Die Umwälzungen in Politik, Religion und Wissenschaft, die den Beginn der frühen Neuzeit markieren, führten dann aber zu einem vermehrten ästhetischen und wissenschaftlichen Interesse am Gebirge, sodass im 16. Jahrhundert Gelehrte und Neugierige zunehmend in die Gebirge aufstiegen. Der Zürcher Arzt Conrad Gessner beispielsweise erklomm 1555 den Pilatus in der Innerschweiz bei Luzern und beschrieb ausführlich die positiven Effekte auf den menschlichen Körper. Unabhängig aber von merkantilen und kriegerischen Erfordernissen oder alpinistischen Beweggründen für die Alpenüberquerungen und Besteigungen, traten auf der erreichten Höhe beim damaligen Aufstiegstempo in den Alpen keine Höhenprobleme auf (3). Dies war in den hohen Andenregionen anders. Dort machten die höhenungewohnten Eroberer Bekanntschaft mit Beschwerden, die den einheimischen Indios als Puna, Mareo, Soroche oder Veta vertraut waren. Sowohl die verschiedenen regionalen Bezeichnungen als auch die unterschiedlichen Erklärungsversuche (Winde, verschiedene Ausdünstungen) lassen darauf schließen, dass die Symptome von den Einheimischen als durch die Höhe bedingte Krankheiten wahrgenommen und interpretiert wurden. Die seit dem 16. Jahrhundert aus Südamerika eintreffenden Berichte von Militärs, Missionaren und Gelehrten stießen in Europa auf großes Interesse. Unterschiedlich ausführlich und exakt, immer aber mit einer gewissen Dramatik schilderten die Be- Die Eis- und Steinmassen des Gebirges betroffenen die erlittenen Beschwerden. Der drohen die Menschen (Holzschnitt, Chrobekannte Bericht des Jesuitenpaters José nik Johannes Stumpf, 1548) 87


de Acosta in Historia natural y moral des las Indias ist nur Einer unter Vielen (4). Die typischste und auch vollständigste Beschreibung dieser Zeit mit Hinweisen auf Hirnund Lungenödem stammt jedoch aus dem asiatischen Raum. Mirza Muhammad Haidar schilderte in seinem um 1540 verfassten Reisebuch Tarikh-i-Rashidi was passiert, wenn die Fremden in Taschkent von der Krankheit dam-giri befallen werden. „The symptoms are the feeling of severe sickness, and in every case one’s breath so seizes him, that he becomes exhausted just as if he had run up a steep hill with a heavy burden on his back. On account of the oppression it is difficult to sleep. Should, however, sleep overtake one, the eyes are hardly closed before one is awoke with a start caused by oppressions on the lungs and chest. When overcome with this malady the patient becomes senseless, begins to talk nonsense, and sometimes the power of speech is lost, while the palms of the hands and soles of the feet become swollen. Often when this last symptom occurs, the patient dies between dawn and breakfast time; at other times he lingers for several days. If, in the interval, his fate has not been sealed, and he reaches a village or fort, it is probable that he may survive, otherwise he is sure to die” (5). Im Gegensatz zu den meisten anderen Berichten jener Zeit enthält diese exakte und detaillierte Beschreibung keine ätiologischen Spekulationen.

BAROMETER UND HEIMWEHKRANKE Während in den asiatischen und amerikanischen Gebirgen Europäer ihre ersten Erfahrungen mit der Höhenkrankheit machten, verebbte in Europa der erste Anlauf zur Eroberung der Alpen bald. Im Zeitalter der Religionskriege, Bauernaufstände und Hungersnöte waren die Energien andernorts gebunden und das Weltbild verlangte nach Klarheit und Ordnung. Die Berge hingegen, so der Philosoph Thomas Burnetius, seien das größte Muster von Unordnung und wüstem Wesen, ohne Gestalt, Schönheit und Ordnung. In solche Gegenden ging man im 17. Jahrhundert nicht ohne guten Grund (3). In diese Zeit fallen andererseits wissenschaftliche Entdeckungen, die für das spätere Verständnis der höhenbedingten Veränderungen Barometer dienten der Vermessung der ganz entscheidend sind. Ein anfänglich unbeBerge (Naturgeschichte des Schwei- kannter und 1777 als Sauerstoff identifizierter Stoff, war verantwortlich für das Brennen einer zerlandes, J. J. Scheuchzer, 1746) 88


Flamme und das Überleben von Tieren. Und 1647 erfolgte mittels des wenige Jahre zuvor entwickelten Quecksilberbarometer der experimentelle Nachweis des mit zunehmender Höhe sinkenden Luftdrucks. Diese Erkenntnis wurde bald zur Höhenbestimmung im Gelände eingesetzt, als mit dem Ende des Barock auch die Natur zum Forschungsgegenstand wurde (3). Der Zürcher Arzt Johann Jakob Scheuchzer bereiste und beschrieb ab etwa 1700 die Schweizer Alpen und beobachtete dabei die Wirkung der dünneren Luft in der Höhe. Er war sicher, die ausgedehntere Luft verleihe den „Alpleren, insgemein den Schweizern, ihre vierschrötige, große, ansehnliche Gestalt“ (6). Den Nachrichten über Atemnot in den peruanischen Gebirgen schenkte er explizit wenig Glauben, da er ohne Symptome bis auf 2500 m aufstieg. Er entwickelte stattdessen eine Theorie über ein Krankheitsbild in den Niederungen. Die schwere Luft des Tieflands beenge den Kreislauf der Säfte im Inneren eines Gebirgsmenschen und führe so zu der Nostalgia oder Heimweh benannten Erkrankung, die nur durch Überführung in höhere Gebiete – nach Möglichkeit in die Heimat, oder notfalls auf hohe Türme – geheilt werden könne.

ERSTE BERGKRANKE IN DEN ALPEN Es vergingen noch einmal einige Jahrzehnte bis einzelne Europäer erneut Interesse am Hochgebirge entwickelten. Eine schwärmerische Überhöhung der einfachen und naturnahen Zustände in den Bergen prägte nun das neue Bild der Alpen und war so die

Auf dem Mont Blanc stellte H. B. de Saussure fest, die Natur habe den Menschen nicht für die hohen Regionen geschaffen (Radierung von Henry L‘Evêque) 89


Grundlage für die Entwicklung des Alpinismus. Der Genfer Gelehrte Horace Bénédict de Saussure stand dieser Retournons à la nature Bewegung sehr nahe. Er förderte wesentlich die Erstbesteigung des Mont Blanc, dessen Gipfel er 1787 beim dritten Versuch auch selber erreichte (3). Sein hochgelegenes Nachtlager auf 3900 m gab ihm am Gipfeltag Gelegenheit, die Symptome der akuten Bergkrankheit, die er nicht so benannte, zu beobachten und zu beschreiben. Die Ursache von Übelkeit, Atemnot, Schwäche, überwältigender Müdigkeit und Appetitlosigkeit sah er mechanisch bedingt: der tiefe Luftdruck führe zu einer abnehmenden Druckbelastung des Körpers und so zu einer Erschlaffung der Gefäße, insbesondere auch im Gehirn. Seine verständliche Schlussfolgerung war, die Natur habe den Menschen nicht für diese hohen Regionen geschaffen (7). Diese Feststellung verhinderte die weitere Erschließung der Hochalpen am Ende des 18. Jahrhunderts keineswegs. Es gab eine Flut von Berichten über Gipfelbesteigungen, die auch vorhandene oder fehlende körperliche Beschwerden akribisch festhielten. Wer beschwerdefrei auf einem hohen Gipfel stand, mutmaßte anschließend, die dünne Luft bewirke keine Veränderungen und jene, die beeinträchtigt waren, verbanden ihre Berichterstattung häufig mit erklärenden Kommentaren. Krankheitssymptome waren meist eine lästige Begleiterscheinung, denen zwar Aufmerksamkeit, aber keine Untersuchungen gewidmet wurden. Ihre Beschreibung unterstrich das Ausmaß der ausgestandenen Strapazen und man zählte, was man zählen konnte: Puls, Atemfrequenz und die Anzahl Schritte bis zur nächsten Pause (3).

Ein Lawinenniedergang verhinderte 1820 physiologische Forschung am Mont Blanc (Lithografie von C. Charton) 90


Erst 1820 gab es den Versuch einer Besteigung des Mont Blanc, bei der auch physiologische Fragen studiert werden sollten. Der russische Arzt Joseph Hamel plante die Wirkung des Sauerstoffmangels auf den menschlichen Körper zu untersuchen. Er postulierte, dass mit dem sinkenden Luftdruck die Sauerstoffmenge in der Umgebungsluft abnehme und dass dies zu Muskelschwäche und möglicherweise weiteren Symptomen führen müsse. Daher wollte er komprimierten Sauerstoff als Atemhilfe auf seine Besteigung mitnehmen, konnte diesen jedoch in Chamonix nicht erwerben. Auch seine Pläne, auf dem Gipfel Blut und Atemluft zu untersuchen, scheiterten, da ein Lawinenniedergang am Gipfelhang seine Expedition frühzeitig beendete. Seine Hoffnung, viel „in physiologischer Rücksicht zu lernen (…) und über das Atemgeschäft wichtige Aufschlüsse zu bekommen“ erfüllte sich nicht, immerhin aber gelang ihm die erste Beschreibung der „high-altitude flatus expulsion“ (8). Nach dem Unglück mit drei Todesopfern wurde Hamel für seine risikoreiche Besteigung bei schlechtem Wetter stark kritisiert und seine physiologischen Überlegungen gingen vergessen.

THEORIEN ALLER ART Im Verlauf des 19. Jahrhunderts entstanden zahlreiche phantasievolle Theorien, um die inzwischen häufig geschilderten Symptome von akutem Sauerstoffmangel und akuter Bergkrankheit zu erklären, die Mutmaßungen ersetzten fehlendes physiologisches Wissen. Das Phänomen Höhenkrankheit wurde mit Interesse betrachtet, die kritische Erforschung unterblieb. Die meisten Forscher betrachteten das Absinken des Luftdrucks als Ursache der Krankheiten in der Höhe, über die Folgen für den Organismus wurde wild spekuliert. Mögliche Erklärungen umfassten eine Sogwirkung wie von Schröpfköpfen, die Darmgasausdehnung oder wie bei Hamel, den Sauerstoffmangel. Andere Theorien machten Pflanzen- und Mineralienausdünstungen, Kohlensäurevergiftung oder Fieberzustände verantwortlich (3). Frühe Psychosomatiker identifizierten Höhenangst und Unfähigkeit als Ursache der eingebildeten Krankheit. Nicht nur in den neu gegründeten Alpenvereinen, sondern auch in naturwissenschaftlichen Publikationen schrieben harte Männer unfreundliche Worte über die psychische Prädisposition und das unzureichende Training der Erkrankten: „Noch ein paar Jahre und dann sind unsere jungen Leute, unfähig sich ohne Dampf und Wagen fortzubewegen, nicht mehr in der Lage, einen Hügel hinaufzuklettern, ohne in Ohnmacht zu fallen oder unter Beklemmungen und Schwindel zu leiden“ (9). Diese Haltung war sicherlich mitverantwortlich für eine schwindende Anzahl von Laien-Leidensberichten in den folgenden Jahrzehnten. Im Jahr 1854 erschien die erste der Bergkrankheit gewidmete Monographie von Conrad Meyer-Ahrens mit dem Titel „Die Bergkrankheit oder der Einfluss des Ersteigens 91


großer Höhen auf den thierischen Organismus“. Der Autor berichtete weder von eigenen Erlebnissen noch vertrat er eine eigene Theorie, sondern sammelte und analysierte das bis dahin publizierte Material. Die Bergkrankheit erhielt einen Namen und hatte klar beschriebene Symptome, die der Autor aus den zahllosen bisherigen Berichten zusammenstellte: Appetitverlust und Übelkeit, Kopfschmerzen und Beschleunigung von Atmung und Kreislauf, Schlafstörungen und Schwächung der Muskelkraft. Meyer-Ahrens formulierte auch gewisse Gesetzmäßigkeiten: ob und wie die Krankheit aufträte, sei abhängig von der Höhe, der Disposition des Einzelnen, dem Tempo der Lokomotion und den meteorologischen Verhältnissen. Alles in allem bot Meyer-Ahrens eine solide Metaanalyse der bisherigen ungeordneten Beiträge (10).

ANFÄNGE DER HÖHENPHYSIOLOGIE In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts machte die experimentelle Physiologie rasche Fortschritte und das Interesse an der Physiologie der Höhe wurde dadurch gefördert, dass sich nun immer mehr Menschen dem verminderten Luftdruck aussetzten: neben den Alpinisten strebten auch Erholungssuchende in die Berge und die Ballonfahrer stiegen in große Höhen, bis auf über 8000 m auf, was auch zu hypoxiebedingten Zwischenfällen führte. Der französische Physiologe Paul Bert publizierte 1878 sein umfassendes Werk La pression barométrique in dem er den experimentellen Beweis erbrachte, dass das Verhältnis der Gase zueinander konstant bleibt und der Partialdruck der Gase abhängig vom Luftdruck ist. Sein Freund und Gönner Denis Jourdanet hatte in Südamerika die Theorie der Anoxyhémie entwickelt und verglich den Zustand nach einem schnellen Höhenaufstieg mit einer anämisierenden Blutung: es fehle an Sauerstoff. Bert bewies dies in einem eindrücklichen Selbstversuch. In einer Dekompressionskammer Paul Bert dekomprimiert einen Spatz auf die Höhe des Mount erreichte er bei einem Everest (La Pression barométrique, 1878) 92


Druck von 248 mm quasi den Gipfel des Mount Everest. Bei diesem Umgebungsdruck behandelte er sich selbst erfolgreich mit Sauerstoff, während seine „Kontrollgruppe“, ein kleiner Spatz, ohne Sauerstoff blieb und weiterhin erbrach. In der Luftschifffahrt wurde die Mitnahme von komprimiertem Sauerstoff nach seinen Forschungen bald zur Routine. Bert erkannte die Wichtigkeit einer Höhenakklimatisation, spekulierte über Mechanismen der Adaptation und empfahl Kälteschutz, um den Sauerstoffbedarf nicht zu erhöhen. Die Untersuchungen des „Vaters der Höhenphysiologie“ waren Grundlage für zahlreiche nachfolgende Physiologen (11).

FELDFORSCHUNG FÜR DIE TECHNIK UND RÄTSELHAFTE PNEUMONIEN Diese Physiologen verlegten ihre Tätigkeit zunehmend vom Labor ins Feld und einige von ihnen reisten gezielt in die Berge, um höhenphysiologische Feldforschung zu betreiben. Zwei dieser Expeditionen erforschten die Höhenkrankheit eher für den wirtschaftlichen und technischen, als für den wissenschaftlichen Fortschritt. Baupläne für Gipfelbahnen auf 4000er oder ein Observatorium auf dem Mont Blanc erforderten wissenschaftliche Expertisen über zu erwartende Auswirkungen auf die Menschen in großer Höhe (3). Zwar stellten nach wie vor einige aktive Alpinisten die psychogene Ätiologie der Bergkrankheit in den Vordergrund und setzten Höhenkrankheit gleich Höhenangst. So beklagte sich Paul Bert über die Unergiebigkeit der alpinistischen Literatur, in der Berichte über Heldentaten keinen Platz ließen für die Bergkrankheit, deren Lächerlichkeit von vielen gefürchtet werde (11). Nun ging es aber nicht mehr um einzelne Bergsteiger in der Höhe, sondern um die Gesundheit von Touristen, die gegen Bezahlung hinaufgefahren werden sollten und Berts Experimente und die Erfahrungen mit der Luftschiffahrt hatten potentielle Gefahren demonstriert. Im Sommer 1891 sollten Sondierungsbohrungen auf dem Gipfel des Mont Blanc prüfen, ob dort ein geplantes Observatorium verankert werden könne. Der leitende Ingenieur Xaver Imfeld bat zwei begleitende Ärzte, auf dieser Expedition Untersuchungen zur Bergkrankheit zu machen. Sein Interesse an dieser Fragestellung war hauptsächlich durch seine Bahnprojekte auf den Gornergrat und das Matterhorn begründet. Die Ärzte, Theodor Egli-Sinclair und Ernest Guglieminetti, zweifelten als aktive SAC-Mitglieder an der Existenz der Bergkrankheit, litten jedoch auf der Vallothütte auf 4358 m tagelang unter Kopfschmerz, Übelkeit und Atemnot. Ihre Untersuchungen ergaben aber keine Erkenntnisse. Da der Pathologe François Viault ein Jahr zuvor in Peru demonstriert hatte, dass bei längerem Höhenaufenthalt Hämoglobin und Erythrozyten im Blut zunahmen, bestimmten die Ärzte am Mont Blanc täglich diese Werte. Sie fanden einen Abfall der Hämoglobinwerte während der Krankheitsphase und werteten dies als Beweis für den Sauerstoffmangel als Ursache der Bergkrankheit. Es bestanden berechtigte Zweifel an der Genauigkeit der Untersuchung, da die Blutentnahmen aus den eisigen Finger93


spitzen und das ruhige Sitzen am Mikroskop bei schneller und unregelmäßiger Atmung stark erschwert waren (12). Als dieses Team zu ihrer normalen Praxistätigkeit in die Schweiz zurückkehrte, wurden sie durch den jungen Dorfarzt von Chamonix, Etienne Henri Jacottet abgelöst. Jacottet erlangte nicht als Wissenschaftler, sondern als Patient traurige Berühmtheit. In der dritten Nacht auf der Vallot-Hütte entwickelte er Kopfschmerz, Übelkeit und Fieber, die im Tagesverlauf rasch zunahmen. Bald wurde er somnolent und verstarb, wie der Ingenieur Imfeld festhielt, nachdem sich das hörbare Lungenödem rascher und rascher entwickelt hatte. Der Autopsiebericht beschrieb ein Oedem von Lunge und Hirn und auch deutliche Stauungszeichen von Milz und Leber (13). Der Tod wurde jedoch in der Folge von allen Fachleuten als infektionsbedingt gedeutet. Eine Lungenentzündung bei einem jungen gesunden Mann war eine plausiblere Todesursache, als ein Hirn- und Lungenödem und in der Folge machte sich niemand Gedanken um eine Verbindung zwischen Höhenkrankheit und der „Lobärpneumonie mit kapillärer Bronchitis“. Das Scheitern der Pläne sowohl für das Gipfelobservatorium, als auch für die Matterhornbahn stand somit auch nicht im Zusammenhang mit dem Todesfall während dieser Expedition (3). Der Berner Physiologe Hugo Kronecker erstellte 1894 nach einer komplikationslos verlaufenden Expedition ein medizinisches Gutachten zur Ungefährlichkeit der projektierten Jungfraubahn. Kronecker war der Ansicht, die Luftdruckabnahme in der Höhe führe zu einer Störung des Lungenkreislaufs mit nachfolgender Rechtsherzbelastung, jedoch sah er keinen Zusammenhang mit dem Sauerstoffmangel. Kronecker simulierte den passiven Transport einer Bergbahn und ließ 7 Probanden unterschiedlichen Alters und Geschlechts auf Mauleseln und in Tragsesseln auf das Breithorn transportieren und untersuchte sie dort in Ruhe und unter Belastung. Allen Teilnehmern ging es in Ruhe gut, außer dass sie weder essen noch Wein trinken wollten; bei Anstrengung jedoch ging es den Bauern aus Zermatt deutlich besser, als den Bürgern von Bern. Kronecker erklärte den passiven Transport ohne jegliche körperliche Anstrengung für unbedenklich und kurze Zeit später erteilte der Schweizer Bundesrat die Konzession für das damals heftig umstrittene Projekt (14). Andere höhenphysiologische Untersuchungen dieser Zeit dienten dem Verständnis der „Maschine Mensch“. Von vergleichenden Untersuchungen unter verschiedenen und teilweise extremen Bedingungen versprach man sich Aufschluss über Stoffwechsel, Atmung, Muskelkraft und Ermüdung. Die Bergkrankheit war in den meisten Fällen nicht Gegenstand des Forschungsinteresses, sondern ein hin und wieder auftretendes unangenehmes Übel, dem am Rande einige Überlegungen gewidmet wurden. Der Turiner Physiologe Angelo Mosso hatte bei seinen Experimenten mehrfach fest94


Der Bau der Capanna Regina Margherita ermöglichte ab 1893 Feldforschung unter besseren Bedingungen (Foto Vittorio Sella) stellen müssen, wie schwierig die Untersuchungsbedingungen an abgelegenen Orten waren. Deswegen umwarb und gewann er die italienische Königin Margherita als Schirmherrin für den Bau einer Hütte mit Laboratoriumsräumen auf der Punta Gnifetti im Monte Rosa Massiv auf 4559 Meter. Unmittelbar nach der Einweihung, der nach ihr benannten Hütte am 18. August 1893 setzte dort eine rege Forschungstätigkeit ein. Mosso untersuchte Soldaten, die teilweise in zweitägigem Aufstieg von Ivrea (300 m) auf die 4559 m hoch gelegene Hütte geeilt waren und stellte erstaunlicherweise bei allen eine verminderte Atmung fest. Diese für uns heute paradoxen Resultate überzeugten ihn davon, dass neben dem Sauerstoffmangel in der Höhe auch eine Akapnie und Paralyse des Vagus bestehe. Mosso hatte pathoanatomische Beobachtungen gemacht, die bei Hunden nach Durchtrennung des Vagus oder bei Dekompression eine Stauung im kleinen Kreislauf zeigten. Ein anderes Argument gegen den Sauerstoffmangel als einzige Ursache war die fehlende therapeutische Wirkung der Atmung von zusätzlichem Sauerstoff. Mosso hielt fest, dass er selbst keine Linderung verspürt habe und dass auch Jacottet am Mont Blanc trotz Sauerstoffgabe verstorben sei. Retrospektiv erstaunt dies wenig, da die Sauerstoffgabe maximal für einige Minuten erfolgte. Auch bei Mossos Expedition 1893 kam es vermutlich zu einem Fall von Höhenlungenödem, der jedoch nicht letal endete. Der Soldat Ramella erkrankte nach dem raschen Aufstieg mit Kopfschmerz, Erbrechen und Fieber. Auskultatorisch bestand der Verdacht auf eine Lungenentzündung, die mit Bettruhe, Phenazetin, Cocain und Marsalawein mit Eiweiß behandelt wurde. Obwohl der Abstieg wetterbedingt nicht möglich war, erholte sich 95


der Soldat vollständig von der Erkrankung, deren Ursache seinen behandelnden Ärzten auch nicht klar war (15). Wie bei Jacottet vermuteten einige eher eine infektiöse Ursache, andere, so auch Mosso selber, hielten die Vagusparalyse und damit die Bergkrankheit für die Ursache von Ramellas Krankheit. Zusätzlich postulierte man eine höhenbedingte Herzschwäche (debilitas cordis), wobei man sich wohl vorstellte, der Herzmuskel litte genau wie andere große Muskeln an einer schnelleren Ermüdung bei Sauerstoffmangel. Mosso erläuterte, das Herz ermüde durch vermehrte Pumpleistung und die Akkumulation toxischer Stoffwechselprodukte. Er und auch Kronecker registrierten also verschiedene Hinweise auf eine Stauung im LunAngelo Mosso untersuchte auf der genkreislauf und sahen diese pulmonale Hypertonie als Phänomen der Pathophysiologie der CRM Soldaten des Alpenregiments (Life of Man in the High Alps, 1898) Höhenkrankheit (16).

STOFFWECHSELFORSCHUNG IM HÖHENKLIMA Mehrere schon durch ihren Aufwand noch heute beeindruckende Forschungsaufenthalte auf der Capanna Regina Margherita generierten in den folgenden Jahren Berge von Zahlen, aber nicht sehr viel konkret brauchbare Resultate. Der Berliner Physiologe Nathan Zuntz und einige seiner Schüler, Adolf Loewy, Arnold Durig, Hermann von Schrötter zeichneten sich durch außerordentlich akribische und detaillierte Planung, Durchführung und Dokumentation ihrer Untersuchungen aus. Bis 1914 führten Berliner und Wiener Forscher in wechselnden Gruppierungen mehrere Forschungsreisen durch, bei denen sie selber die Probanden waren, die bis zu sechs Wochen unter standardisierten Bedingungen leben und arbeiten mussten. In umfangreichen Publikationen lässt sich nachlesen, mit welch ungeheurem Aufwand an Material, Logistik und Arbeit Forschung unter schwierigen Bedingungen betrieben wurde. Im Mittelpunkt des Interesses standen die physiologischen Auswirkungen des Höhenklimas und der körperlichen Anstrengung auf den menschlichen Organismus und seinen Stoffwechsel (3). Somit äußerte man sich nur wenig zur Höhenkrankheit, wobei die wenigen Aussagen jedoch inhaltlich klar waren: die Ursache sei der Sauerstoffmangel. Entsprechend galten ein langsamer Aufstieg, ausreichendes Training und mäßige Anstrengung als Prophylaxe, nach Ausbruch der Krankheit helfe Ruhe, Sauerstoff und Abstieg (17). 96


Hin und wieder wurden neben Respiration und Stoffwechsel auch originellere Fragestellungen untersucht. So führte Arnold Durig 1906 die ersten neuropsychologischen Untersuchungen auf der CRM durch und prüfte auch die Alkoholwirkung in der Höhe. Wider Erwarten konnte die weitverbreitete Ansicht, in der Höhe seien Denkleistung und Alkoholwirkung vermindert, nicht dokumentiert werden (18). Immer wieder machten sich Forscher Gedanken darüber, warum in den Bergen schon auf 3000 m die Höhenkrankheit beobachtet wurde, während bei Ballonfahrten und in der Unterdruckkammer häufig erst ab 6500 m Symptome auftraten. Der Wiener Physiologe Hermann von Schrötter vermutete unterhalb dieser Grenze eine „relative Anoxyhämie“, bei der neben N. Zuntz führte Marschversuche mit dem Sauerstoffmangel auch Co-Faktoren wie einer Gasuhr durch, um die Atmung Muskelarbeit, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und in der Höhe zu untersuchen (HöhenElektrizität wirksam sein müssten. Interessan- klima und Bergwanderungen 1906) terweise wiesen nur wenige Autoren darauf hin, dass die Dauer der Höhenexposition ein wesentlicher Grund für die Unterschiede sein könne (19).

KLINIKER AUF EINSAMEM POSTEN Schrötter äußerte 1899 in einer Publikation zur Bergkrankheit den Wunsch, der Höhenkrankheit solle auch von seiten der klinischen Medizin mehr Beachtung geschenkt werden. Diese Nichtbeachtung durch die Kliniker lässt sich wohl am ehesten damit erklären, dass sie diese Patienten nicht sahen, wenn sie krank waren. Der klinische Alltag dieser Zeit war durch häufige, bedrohliche und nicht therapierbare Krankheiten geprägt, und es erstaunt nicht, dass sich die Ärzte nicht für eine Krankheit interessierten, die nur selten und unter vermeidbaren äußeren Umständen auftrat und zudem durch Abstieg behandelbar war. Eine bemerkenswerte Ausnahme waren die Studien von Thomas Holmes Ravenhill, der 1913 seine Beobachtungen publizierte, die er als Minenarzt auf 4720 m Höhe in Nordchile gemacht hatte. Er war also an einem der wenigen Orte, an dem die Höhenkrankheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts klinische Relevanz hatte. Ravenhill hatte 97


während seiner Tätigkeit zahlreiche kranke Neuankömmlinge untersucht und behandelt und erstellte aufgrund seiner Erfahrung eine systematische Einteilung, die der heute gebräuchlichen genau entspricht. Neben Puna vom normalen Typ mit den Kardinalsymptomen frontaler Kopfschmerz und Müdigkeit beschrieb er zwei abweichende Formen, bei denen entweder die kardialen oder die nervlichen Symptome vorherrschen. Ravenhill hatte bei der klinischen Beobachtung festgestellt, dass die Erkrankung mit Latenz auftrat und bei harmloser Ausprägung mit Bettruhe und Aspiringabe nach vier Tagen wieder abklang. Bei der kardialen Form stellte er die Ähnlichkeit mit Herzversagen fest, ohne dass ein solches zuvor bestanden hätte, er auskultierte Rasselgeräusche auf der Lunge und einen doppelten Pulmonalklappenton. Bei der neurologischen Form beschrieb Ravenhill Schwindel, Delirien und Krampfanfälle. Für beide Varianten sah er den sofortigen Abtransport als einzig valide Therapieoption, wobei Sauerstoff als Überbrückung dienen konnte. Aus seiner Darstellung geht klar hervor, dass er neben der Krankheit selber auch die Mechanismen der Akklimatisation als Schutz erkannte (20). Ravenhills bemerkenswert scharfsichtige Darstellung fand von Anfang an wenig Beachtung, sie wurde vermutlich in den folgenden Jahren nur einmal zitiert (3).

AKKLIMATISATION UND KLIMATOLOGIE Das Inferno des ersten Weltkriegs stoppte die Feldforschung und höhenphysiologische Interessen konzentrierten sich jetzt auf die für die Kriegsführung wichtige Flugmedizin. Erst zu Beginn der 20-er Jahre keimte die Forschungstätigkeit mit verlagertem Schwerpunkt wieder auf: die Mechanismen und Möglichkeiten der Akklimatisation und damit auch die Frage, ob die menschliche Physiologie eine Besteigung des Mount Everest zuließ, wurde zur wichtigen Frage. So dokumentierte die Expedition von 1921/22 nach Cerro de Pasco, 4330 m unter der Leitung von Joseph Barcroft wesentliche Mechanismen der Akklimatisation: die Ventilationssteigerung, die Verschiebung der Sauerstoffdissoziationskurve und den Erythrozytenanstieg. Die bekannten Symptome der Höhenkrankheit wurden detailliert aufgelistet und bei erkrankten Personen wurde ein tieferer Sauerstoffdiffusionskoeffizient als bei Gesunden gemessen (21). Die Publikation über eine viermonatige Untersuchung in Chile auf Höhen zwischen 4700 und 6140 m Höhe zeigte, dass immer noch begriffliche Unklarheit über den Unterschied zwischen akutem Sauerstoffmangel und seinen Folgen herrschte. Ancel Keys nahm nämlich 1935 eine Einteilung vor, die Symptome innerhalb von 24 h, nämlich die akute Sauerstoffnot und Bergkrankheit, von später einsetzenden Erkrankungen, nämlich Soroche und der Monge’schen Krankheit abgrenzte (22). Insgesamt gab es bei den Untersuchungen zur Akklimatisation keine neuen Fragestellungen zur Bergkrankheit und dementsprechend auch keine neuen Erkenntnisse. Den erkrankten Expeditionsmitgliedern ging es meist 98


nach kurzer Zeit wieder gut, Todesfälle ereigneten sich keine und somit gab es diesbezüglich auch keine großen Herausforderungen. Bei den Everestexpeditionen der 20-er Jahre drehte sich alles um die Eroberung des höchsten Gipfels. Die Überwindung der Akklimatisationsprobleme und die Frage, ob die Besteigung nun zwingend mit oder auch ohne Sauerstoff erfolgen könne, standen im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Für höhenkranke Bergsteiger gab es in den Elitetruppen keinen Platz und dieses Thema wurde in den Expeditionsberichten nicht behandelt. In Europa war das Interesse der Höhenphysiologen zwischen den Weltkriegen auf die physiologischen Veränderungen in mittlerer Höhe, also bei moderatem Sauerstoffmangel gerichtet. In Zeiten ohne wirksame medikamentöse Therapien, insbesondere ohne Tuberkulostatika, boten die Höhensanatorien häufig die einzige Hoffnung auf Heilung. Zahlreiche Stoffwechsel- und Organuntersuchungen sollten zeigen, welche Veränderungen der Sauerstoffmangel an Organen bewirkte, bevor klinisch sichtbare Symptome auftraten (3). So argumentierte Adolf Loewy, dass nicht der Sauerstoffmangel per se krank mache, sondern seine Wirkung auf einzelne Organsysteme. Den Physiologen interessierte nicht die Bergkrankheit, sondern die chemischen und histologischen Folgen der Luftverdünnung, um dadurch den therapeutischen Nutzen der Höhenexposition zu erklären (23). Ab 1931 stand den Forschern auf dem Jungfraujoch auf 3457 m mit der Hochalpinen Forschungsstation ein gut erreichbares und komfortabel ausgebautes Laboratorium zur Verfügung. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Mit der Forschungsstation auf dem wurde dies auch international genutzt, wobei Jungfraujoch war ab 1931 auch in der deutsche Forschungsschwerpunkt auf flugEuropa ein Höhenlaboratorium mit medizinischen Fragestellungen lag. Während die Forscher aus den Kriegsländern bald ausder Bahn erreichbar. blieben, beschäftigten sich die Schweizer Höhenphysiologen von 1943 bis 1946 intensiv mit klimaphysiologischen Fragestellungen auf dem Jungfraujoch. Dabei untersuchten sie die Hypothese, das Höhenklima setze einen Reiz für das vegetative Nervensystem und bis zu einer Höhe von 4000 m käme es 99


zu einer gleichzeitigen Erhöhung der Sympathikus- und Parasympathikusaktivität (24). Die klimaphysiologischen Forschungen führten zu keinen neuen Erkenntnissen zur Höhenkrankheit. Weder die Untersuchungen über die morphologischen Veränderungen der Nagetiergenitalien bei Luftdruckverminderung, noch über die Thrombosehäufigkeit in Abhängigkeit von der Davoser Wetterlage oder die Schmerzempfindlichkeit und Konsistenz der weiblichen Brust im Vergleich zwischen Lauterbrunnen und dem Jungfraujoch erbrachten bahnbrechende Erkenntnisse (3).

MEDIKAMENTÖSER THERAPIEANSATZ Die Untersuchungen zweier Wiener Internisten von 1924 sind jedoch erwähnenswert. Adlersberg und Porges versuchten, mit der Einnahme von Ammonphosphat die Höhenkrankheit zu verhindern. Sie vermuteten eine Wirkung von Ammonphosphat auf die Ventilation und konnten tatsächlich Partialdruckwerte messen, die für Kohlensäure tiefer und für Sauerstoff höher lagen als zuvor. Ihre theoretische Vorüberlegung basierte auf der Beobachtung, dass Diabetiker mit einer Azidose hyperventilieren und sie vermuteten, das zum sauren Salz Ammonkarbonat reagierende Ammonphosphat müsse analog eine Hyperventilation auslösen. Die Versuche auf dem Jungfraujoch mit je einem Proband pro Gruppe – die zwei Ärzte wechselten sich mit der Einnahme des Salzes bei mehreren Fahrten ab – zeigten keine signifikanten Resultate, wurden aber später von Flugmedizinern wiederholt. Ob den Autoren Whymper‘s Einnahme von Kaliumkarbonat (Pottasche) als Mittel gegen Höhenkrankheit, anlässlich der Besteigung des Chimborazo 1880, bekannt war, erwähnten sie nicht (3,25). Trotz der gut dokumentierten Rolle des Sauerstoffmangels als Ursache der Höhenkrankheit, gab es wie im 19. Jahrhundert immer noch Zweifler. Adolf Friedländer, Professor für Neurologie publizierte 1927 in der Münchner Medizinischen Wochenschrift einen Artikel, indem er festhielt, die Bergkrankheit befalle jene, „die sich an zu hohe Ziele mit untauglichen körperlichen und vor allem unzureichenden seelischen Kräften heranwagen“ (26). Dem Bergkranken haftete immer noch der Makel des Versagers an.

Während des Zweiten Weltkriegs gab es – wie 35 Jahre zuvor – keine Möglichkeiten für ausgedehnte Expeditionen und wiederum verlagerte sich das Interesse auf die kriegswichtige Luftfahrtmedizin. Anpassungsvorgänge an die Höhe wurden detailliert untersucht, da technische Probleme während des Fluges zu einer akuten Hypoxie führen können. Das Auftreten der Höhenkrankheit diente bei Untersuchungen als Indikator, ob eine Akklimatisation abgeschlossen war und somit auch bei akutem Sauerstoffmangel die sogenannte „Zeitreserve“ bis zum Auftreten von Symptomen verlängert werden 100


konnte. Die Forschung diente der Kriegsführung. Die Verbindung von Wissenschaft und Politik führte letztlich zu Dekompressionsversuchen in Konzentrationslagern und damit zum dunkelsten Kapitel einer umfangreichen, auch für die Höhenmedizin wichtigen Forschung (3). Nach dem zweiten Weltkrieg war das Interesse an den Höhenkrankheiten vorerst gering, ihre Häufigkeit und Gefahr wurde unterschätzt. An einem internationalen Kongress hieß es 1966, die Höhe von 2000-5000 m sei die dem trainierten europäischen Alpinisten vertraute Zone, ohne alarmierende Sauerstoffmangelsymptome, Bergkrankheit selten (27). Und immer noch wurden schwer verlaufende Fälle falsch interpretiert: während der Silver Hut Expedition 1960/61 beispielsweise, entwickelte ein Teilnehmer ein Höhenlungenödem, das als Infektion gedeutet wurde (28), genau wie die erwähnten Fälle von HAPE bei Jacottet und Ramella 70 Jahre früher. Es mangelte nicht nur an Beachtung, sondern auch an der Gelegenheit zur klinischen Beobachtung: der Großteil der Alpinisten war vorakklimatisiert und begab sich immer noch relativ langsam in große Höhen, im Hochgebirge waren noch keine Trekkingströme unterwegs.

ENTDECKUNGEN UND WIEDERENTDECKUNGEN In Südamerika gab und gibt es rasch erreichbare Ortschaften mit gut eingerichteten Spitälern in großer Höhe, und in Peru wurde das Höhenlungenödem seit den 30er Jahren mehrfach erkannt und beschrieben. Am umfangreichsten sind die Fallbeschreibungen aus dem Hospital de Chulec in Oroya (3750 m). Leoncio Lizzáraga Morla publizierte in seiner Dissertation 14 Fälle von nichtkardialem Lungenödem, die zwischen 1950 und 1953 in der Klinik aufgetreten waren. Im Gegensatz zu den anekdotischen Fallberichten aus Europa dokumentierte Lizzáraga Morla die Fälle mit Vorgeschichte, Befunden und Verlauf, sowie Röntgenbildern und EKG. Sowohl der Titel Soroche Agudo: Edema agudo del pulmon als auch seine Ausführungen machen deutlich, dass er das Höhenlungenödem als eine Verlaufsform der Höhenkrankheit erkannt hatte und von der kardialen Lungenstauung abgrenzte (29). In den Anales Facultad de Medicina de Lima erschien 1955 nicht nur eine gekürzte Version von Lizzáraga‘s Dissertation, sondern noch eine weitere Fallsammlung aus dem Hospital Americano de Morococha (4500 m) von Arturo Bardalez Vega; er beschrieb Algunos casos de edema pulmonar agudo por soroche grave (30). Wie auch schon zu Ravenhills Zeiten wurde die Krankheit dort beschrieben und verstanden, wo sie regelmäßig auftrat und somit auch eine klinische Relevanz hatte. Die westliche Fachwelt nahm das Krankheitsbild erst zur Kenntnis als es 1960 auch in zwei amerikanischen Fachzeitschriften beschrieben wurde. Hultgren und Spickard publizierten über ihre Erfahrungen im Hospidal de Chulec 101


in Oroya (31) und Charles Houston präsentierte im New England Journal of Medicine den Fall eines Studenten, der in Colorado an einem radiologisch dokumentierten Lungenödem erkrankte. Er hielt fest, das „acute pulmonary edema of high altitude“ brauche weitere Untersuchung (32). Einige Jahre später, 1964, erfuhr auch Ravenhill’s puna of the nervous type eine Wiederentdeckung, als Ray Fitch in den Annals of Internal Medicine den Fall einer Patientin schilderte, die am Mount McKinley nach heftigen Kopfschmerzen bewusstlos wurde und erst nach der Evakuation wieder zu sich kam (33). Während des Grenzkonflikts zwischen Indien und China in der Ladakh-Region sorgte die rasche Truppenverlegung auf Höhen von bis zu 5500 m für zahlreiche Krankheitsund Todesfälle, die Autopsiebefunde zeigten als Korrelat der neurologischen Befunde ein Hirnödem (34). Zum Zeitpunkt der Wiederentdeckungen von Höhenlungen- und Hirnödem sorgten schnellere Transportmöglichkeiten und wachsendes Mobilitätsbedürfnis für zunehmende Krankheits- und Todesfälle und stimulierten so die Forschung. Da nun den lange bekannten Symptomen pathologisch anatomische Befunde zugeordnet werden konnten, entstand auch Interesse an pathophysiologischen Prozessen und möglichen therapeutischen Ansätzen. Somit entwickelte sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts die Höhenmedizin im heutigen Sinne mit der gezielten Erforschung der Höhenkrankheiten. Wir kennen heute die Inzidenz an verschiedenen Orten und unter verschiedenen Bedingungen, die Pathophysiologie ist bekannt bis in Details, über die engagiert disputiert wird, bei der Prophylaxe geht es um Dosisfragen und in der Therapie darum, welches Medikament noch ein bisschen wirksamer ist als das andere. All das hat nichts daran geändert, dass die von alters her bekannten prophylaktischen und therapeutischen Maßnahmen die rationalsten, wirksamsten, günstigsten und damit auch klügsten sind und dass die Höhenkrankheiten immer noch ein vergleichsweise einfaches und harmloses Problem der Medizin sind. Das relativiert das Erstaunen darüber, dass ein Krankheitsbild so lange nicht beachtetet, vollständig erkannt und erforscht wurde.

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LITERATUR (1)

Porter R. The patient’s view. Theory Soc 1985;14:175-198.

(2)

Gilbert D.L. The first documented report of mountain sickness: the China or Headache Mountain Story. Respir Physiol 1983;52:315-326.

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Simons E., Oelz O. Kopfwehberge, AS Verlag, Zürich 2001.

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Elias N. (Ed). A history of the Moghuls of central Asia, being the Tarikh-I-Rashidi of Mirza Muhammad Haidar, Dughlat, London 1898.

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Scheuchzer J.J. Beschreibung der Naturgeschichten des Schweizerlandes. Zürich, 1706-1708.

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Saussure H.B. de. Relation abrégée d’un voyage à la cime du Mont-Blanc, en Aout 1787. Genève 1787.

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Hamel J. Beschreibung zweyer Reisen auf den Mont Blanc unternommen im August 1820. Carl Gerold Verlag, Wien 1821.

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Delaharpe J. Les variations de la pression barométrique ont-elles un effet sensible sur l’homme dans les Alpes? Extrait du Bulletin No 43 de la Société vaudoise des Sciences Naturelles, Lausanne 1858.

(10) Meyer-Ahrens C. Die Bergkrankheit oder der Einfluss des Ersteigens grosser Höhen auf den thierischen Organismus. Brockhaus, Leipzig 1854. (11) Bert P. La Pression barométrique. G. Masson, Paris 1878. (12) Egli-Sinclair T. Über die Bergkrankheit. Jahrb Schweiz Alpenclub 1891-92;27: 308–326. (13) Imfeld X. Das Observatorium auf dem Mont Blanc und die Gipfelsondierung im Sommer 1891. Separatabdruck aus der Neuen Zürcher Zeitung, Zürich 1892. 103


(14) Kronecker H. Über die Bergkrankheit mit Bezug auf die Jungfraubahn. Bern 1894. (15) Mosso A. Life of Man on the High Alps. Fisher Unwin, London 1898. (16) Kuthy D. Über den Einfluss der verdünnten Luft auf die Virulenz des Pneumococcus Fränkel. Fortschritte der Hydrotherapie. Festschrift zum 40-jährigen Doktorjubiläum des Prof. W. Winternitz. Wien 1897. (17) Zuntz N., Loewy A., Müller F., Caspari W. Höhenklima und Bergwanderungen in ihrer Wirkung auf den Menschen. Bong & Co, Berlin 1906. (18) Durig A. Physiologische Ergebnisse der im Jahre 1906 durchgeführten Monte Rosa Expedition. Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 1911;86. (19) Schrötter H. von. Zur Kenntnis der Bergkrankheit. Verlag Wilhelm Braumüller, Wien und Leipzig 1899. (20) Ravenhill T.H. Some experiences of mountain sickness in the Andes. J Trop Med Hyg 1913; 16: 313–320. (21) Barcroft J., Binger C., Bock A., Doggart J., Forbes H., Harrop G. Observations upon the effect of high altitude on the physiological processes of the human body, carried out in the Peruvian Andes, chiefly at Cerro de Pasco. Philos Trans R Soc of Lond, Ser B. 1923;211:351–480. (22) Keys A. Die Wirkung des Höhenklimas und die Akklimatisierungsprozesse in grosser Höhe. Ergebn Med Kinderheilk 1938;54:585–671. (23) Loewy A. Physiologie des Höhenklimas. Monographien aus dem Gesamtgebiet der Physiologie 26. Julius Springer; Berlin 1932. (24) Muralt A. von (Ed.). Klimaphysiologische Untersuchungen in der Schweiz. Schwabe & Co, Basel 1944. (25) Adlersberg D., Porges O. Beiträge zur Pathologie und Therapie der Höhenkrankheit II. Beobachtungen über Hypoxämie am Hochschneeberg und Jungfraujoch und über ihre Beeinflussbarkeit durch die Ammonphosphatacidose. Zeitsch ges exper Med 1925;45:167–207. 104


(26) Friedländer A. Beobachtungen bei Bergfahrten und Bergbesteigungen. Münch Med Wochensch 1927,74:52–54. (27) Gut P. Höhenmedizin am Kilimanjaro. In: Deschwanden(Ed.). Der Mensch im Klima der Alpen. Hans Huber, Bern 1968. (28) West J.B. High Life. A history of high-altitude physiology and medicine. Oxford University Press, New York 1998. (29) Lizárraga Morla L. Soroche agudo del pulmon. Anal Facul Med (Lima)1955;38:244–274. (30) Bardalez Vega A. Algunos casos de edema pulmonar agudo por soroche grave. Anal Facul Med (Lima) 1955; 38 : 232–243. (31) Hultgren H., Spickard, W. Medical experiences in Peru. Stanford Med Bull 1960;18:76–95. (32) Houston Ch. Acute pulmonary edema of high altitude. N Engl J Med 1960;263:478–480. (33) Fitch R. Mountain sickness, a cerebral form. Ann Intern Med 1964;60:871–876. (34) Singh I., Khanna P.K., Srivastava C. et al. Acute mountain sickness. N Engl J Med 1969;280:175–184.

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Ulf Gieseler

D i e D i a g n o s e v o n H ö h e n e rkrankungen Diagnosis of High Altitude Diseases

SUMMARY An early and correct diagnosis of altitude disease is a challenge for any physician at high and extreme altitude. With the infrastructure of a hospital or while performing scientific studies the diagnosis may be easy. Principally it is simple, if appropriate equipment is available. But this is often missing when people climb the mountains of the world. With several cases treated in the field used as examples the paper presented here explains the procedure to make a valid diagnosis within a minimum of time and without technical equipment. Altitude diseases occur in subacute hypobaric hypoxia, if the subject is not acclimatized for the respective altitude. If the problem is not sufficiently cured the outcome may be fatal. The text explains in detail the symptoms of acute mountain sickness, high altitude pulmonary edema, and high altitude cerebral edema. Keywords: hypoxia, high altitude, HAPE, HACE, diagnosis

ZUSAMMENFASSUNG Die schnelle und richtige Diagnose von Höhenerkrankungen stellt beim Aufenthalt in großen und extremen Höhen oft die Herausforderung für einen begleitenden Arzt dar. In einem Spital oder im Rahmen von Studien auf einer gesicherten Unterkunft ist ihre Diagnose nun wahrlich keine große medizinische Leistung, denn ihre Diagnose ist eigentlich sehr simpel bei entsprechender technischer Ausrüstung, die in den Bergen der Welt jedoch immer fehlt. Anhand eigener erlebter Kasuistiken wird dargestellt, wie ihre Diagnose schnell und sicher gestellt werden kann, trotz fehlender technischer Hilfsmittel. Höhenerkrankungen ereignen sich im Rahmen einer subakuten hypobaren Hypoxie, bei 107


nicht an diese Höhe angepassten Individuen und bei nicht adäquater Therapie können sie tödlich verlaufen. Auf die Bedeutung der klinischen Symptomatik von Akuter Bergkrankheit, Höhenlungen- und Hirnödem wird im Folgenden eingegangen. Schlüsselwörter: Hypoxie, Höhenkrankheit, HAPE, HACE, Diagnose

DEFINITION VON HÖHENERKRANKUNGEN Höhenerkrankungen sind akut auftretende Erkrankungen zuvor völlig gesunder Personen, die in direktem Zusammenhang mit der subakuten Hypoxie stehen. Die wichtigsten Erkrankungen sind: ● Akute

Bergkrankheit Höhenlungenödem ● Höhenhirnödem ●

(AMS – Acute Mountain Sickness) (HAPE – High Altitude Pulmonary Edema) (HACE – High Altitude Cerebral Edema)

Allen drei Erkrankungen gemeinsam sind bestimmte Leitsymptome, die typisch sind: ● Kopfschmerzen ( AMS ) ● Leistungsknick ( HAPE ) ● Ataxie ( HACE ) Nach einer Untersuchung der Himalayan Rescue Association von 1997 in Nepal machten diese Krankheiten fast 50 % aller akuten Krankheitsfälle unter mehr als 300 Trekkern aus. Ärzte wie auch Bergführer, die in größeren Höhen unterwegs sind, sollten die Symptome dieser Erkrankungen also genau kennen.

DIE AKUTE BERGKRANKHEIT (AMS) Die Häufigkeit der akuten Bergkrankheit beträgt weltweit 30 – 50 %. Sie ist ganz entscheidend abhängig von der Geschwindigkeit des Aufstieges, der Schlafhöhe, der Dauer einer Vorakklimatisation sowie einer genetischen Disposition. In den Alpen beträgt sie nach Burtscher 9 % (2850 m) 13 % (3050 m) ● 24 % (3650 m) ● 53 % (4600 m) Cab. Margarita ● ●

108


Charakterisiert ist die Akute Bergkrankheit durch die Kombination folgender Symptome: Kopfschmerz ( Leitsymptom ) plus ... Übelkeit / Appetitlosigkeit Müdigkeit / Schwäche ● Schlaflosigkeit ● Häufige nächtliche Apnoephasen ● Belastungsdyspnoe ● Verringerte 24 h Urinmenge < 500 ml ● Ruhepulsanstieg um mehr als 20% ● Periphere Ödeme periorbital, Hand- & Fußrücken ● ●

In Studien hat sich zur Erfassung der Akuten Bergkrankheit der Lake Louise Score durchgesetzt und auch bewährt. In der täglichen Praxis einer Trekkingtour oder Expedition hat er sich allerdings kaum durchgesetzt. AMS Protokoll (Lake Louise AMS Fragebogen) Positive Anamnese für AMS/HAPE/HACE: J/N Aufstiegsprofil: Bisherige Therapie: Zeit Höhe 1. Subjektive Selbsteinschätzung der betroffenen Person Kopfschmerz 0 1 2 3 GI-Trakt 0 1 2 3 Müdigkeit 0

kein gering mäßig massiv / immobilisierend keine Symptome Appetitlosigkeit/leichte Übelkeit mäßige Übelkeit/Erbrechen schwere Übelkeit/Erbrechen keine Müdigkeit/Schwäche 109


Schwäche 1 2 3 Schwindel 0 1 2 3 Schlaf 0 1 2 3

geringe Müdigkeit/Schwäche mäßige Müdigkeit/Schwäche schwere Müdigkeit/Schwäche kein gering mäßig schwer / immobilisierend normal, wie gewöhnlich ungewohnt gestört schwer gestört, häufig wach Insomnia

Symptom-Score (Summe der 5 Werte) Bei > 3 ist von einer AMS auszugehen. Bei alleinigen Kopfschmerzen ist zunächst nicht von einer AMS auszugehen, sondern sind differenzialdiagnostisch andere Ursachen in Betracht zu ziehen: Nackenschmerzen durch Tragen schwerer Lasten (Rucksackgewicht) Sinusitis ● Glaukomanfall ● Hypertonie ● Sonnenstich ● Erhöhtes CO im Zelt 2 ● Mangelnde Flüssigkeitszufuhr (sehr häufig!) ● Belastungsinduzierter Kopfschmerz ● ●

Insgesamt ist die Akute Bergkrankheit zunächst einmal eine harmlose, gut zu beherrschende Krankheit, wirklich schwere Formen sind eher selten nach persönlicher Erfahrung beim Trekking und bei Expeditionen.

DAS HÖHENHIRNÖDEM (HACE) Von allen drei Höhenerkrankungen wird man das Hirnödem in der Regel wohl am seltensten zu sehen bekommen. Seine Häufigkeit wird mit 0,5 bis 1,5 % für Höhen zwischen 4000 – 5000 m beziffert, je nach Literaturstelle. 110


Im Jahre 2008 sah ich bei Touren zwischen 4000 und 7000 m in Südamerika, Nepal, Kaukasus und Indischem Himalaya über mehr als 3 Monate 4 Lungen- und 1 Hirnödem. Die Symptome des Hirnödems sind: Ataxie (Leitsymptom) plus Schwerste, Schmerzmittel unwirksame Kopfschmerzen Übelkeit, Erbrechen ● Schwindelzustände ● Lichtscheu, Sehstörungen ● Vernunftwidriges Handeln, Halluzinationen ● Halbseitenschwäche, Nackensteifigkeit ● Bewusstseinsstörungen, Koma ● ●

Die Differentialdiagnose einer schweren AMS und eines beginnenden Hirnödems kann durchaus einmal schwierig sein. Im Zweifelsfall nimmt man die gravierendere Erkrankung an und beginnt mit der Therapie. Die Differenzialdignose ergibt sich letztlich dann später im Kernspintomogramm durch den Nachweis von Mikroblutungen bzw. Eisenablagerungen im Gehirn, die sich nie bei einer AMS nachweisen lassen. Fallbeispiele eines HACE: Beim Aufstieg vom Hochlager I (5100 m) zu Lager II (5900 m) an der Ostseite des Aconcagua (Polenroute) fiel ein ca. 50jähriger Teilnehmer dadurch auf, dass er immer langsamer wurde und eine zunehmende Ataxie entwickelte. Er reagierte kaum auf Ansprache, war örtlich und zeitlich desorientiert und sprach sehr verlangsamt. Er wusste weder wohin er ging, noch woher er kam. Kopfschmerzen wurden auf intensives Befragen verneint, auch am Morgen vor dem Aufstieg klagte er nicht darüber. Nach Gabe von Fortecortin erfolgte der Abstieg ins Basislager hinunter auf ca. 4300 m, eine Helibergung im Hochlager war nicht machbar. Noch am Abend erfolgte von dort aus die Evakuierung per Heli. Auch Wochen später konnte er sich an nichts mehr erinnern, auch nicht als ihm die Bilder vom Aufstieg gezeigt wurden! Aber auch eine solide Akklimatisation an große Höhen schützt nicht immer absolut zuverlässig vor einer Höhenerkrankung, wie folgendes Beispiel zeigt. Nachdem der Japaner Hirotaka Takeuchi die Südwand der Shisha Pangma durchstiegen hatte und vom Gipfel über den Normalweg ins Basislager abgestiegen war, wollte er den Everest noch von der Nordseite her besteigen. Auf 7600 m fiel er durch starke Ataxie und verwaschene Sprache auf und klagte über rasende Kopfschmerzen, im Zelt war 111


er dann bewusstlos. Die ihn begleitende Gerlinde Kaltenbrunner injizierte ihm 100 mg Dexamethason i.v., was ihm letztlich das Leben rettete. Ein HACE muss also nicht zwingend mit einem Höhenkopfschmerz einhergehen und auch ein akklimatisierter Bergsteiger kann trotzdem an einem Hirnödem erkranken!

DAS HÖHENLUNGENÖDEM (HAPE) Höhenlungenödeme sind Wasseransammlungen in einer oder beiden Lungen, meist auf der rechten Seite basal. Diese Ödeme haben jedoch nichts mit einem kardialen Lungenödem zu tun, wie wir es von der Klinik her kennen, sondern sind Folge der subakuten Hypoxie und der damit einhergehenden Pulmonalen Hypertonie. Die Häufigkeit des Lungenödems hängt ebenfalls wesentlich von der Schnelligkeit des Aufstieges ab.

● ALPEN

● ALPEN

(4559 m) (ohne HAPE Anamnese) ● ALPEN (mit HAPE Anamnese) ● HIMALAYA (- 5400 m) ● HIMALAYA (- 5400 m) ● M.KENYA (5400 m) ● M.MCKINLEY (6200 m) ● M.Rainier (4400 m)

2 - 4 TAGE 22 STD 22 STD 6 TAGE FLUG 2 - 3 Tage 3 - 7 Tage 1 - 2 Tage

< 0,2 11,0 67,0 2,3 15,5 0,4 1,0 0,5

Wie auch die anderen Höhenerkrankungen entwickelt sich das HAPE bei einem zu schnellen Aufstieg nach einer gewissen Latenzzeit. Meist entwickelt es sich in der 2. – 4. Nacht auf einer neuen Höhe. Charakteristisch für das HAPE sind: Plötzlicher Leistungsabfall (Leitsymptom) plus ... ● Tachykardie

Ruhedyspnoe / Tachypnoe Retrosternales Druckgefühl ● Periphere – zentrale Zyanose ● Trockener Husten ● blutig - schaumiger Auswurf ● feinblasige RG‘s / Distanzrasseln ● 24 h Urin < 500 ml ● ●

112


Der Leistungsknick geht dem klinischen Befund mit den pulmonalen Rasselgeräuschen voraus. Typischerweise werden die Bergsteiger immer langsamer und geben ihren Rucksack als Hinweis auf die Schwäche ab. Nicht alle jedoch geben dies zu und versuchen ihre Beschwerden zu kaschieren, was die Diagnose für begleitende Ärzte nicht gerade erleichtert. Der Leistungsknick ist immer ein Frühzeichen eines sich anbahnenden HAPE und sollte nicht übersehen werden. Als klinischen Befund finden wir die charakteristischen Rasselgeräusche über der/den Lungen. Da in der Literatur bei 30 % der Bergsteiger in größeren Höhen RG’s über den Lungen beschrieben werden, sollte man schon sorgfältig auskultieren, ein Entfaltungsknistern über der Lunge hat nun wirklich nichts mit Rasselgeräuschen zu tun! Differenzialdiagnostisch muss immer in erster Linie an ein Interstitielles Ödem gedacht werden, wenn sich einerseits der typische Leistungsknick findet, die Pulsoxymetrie erniedrigte Werte von < 70 % und darunter zeigt, aber Rasselgeräusche fehlen. Der Auskultationsbefund des interstitiellen Ödems ist immer negativ, nur radiologisch würden sich die typischen Infiltrate nachweisen lassen. Weiterhin sollte bei der Differenzialdiagnose immer gedacht werden an: Kardiales Lungenödem bei Angina pectoris - Infarkt Lungenembolie ● Pneumonie / schwere Bronchitis ● ●

Radiologisch findet man die typischen grobfleckigen Infiltrate über einer oder auch beiden Lungen.

HAPE eines 22jährigen Mannes auf 3800 m im Monte Rosa Gebiet. 113


Der Schweregrad des HAPE kann nach Hornbein und Schoene anhand von Herz- und Atemfrequenz abgeschätzt werden. Grad

Klinik

HF/min

AF/ min

1. Mild

Geringe Dyspnoe bei moderater Belastung

< 110

< 20

2. Moderat

Ruhedyspnoe, Schwäche, keine Belastbarkeit bei geringer Belastung, Kopfschmerz, Husten, Müdigkeit

110 – 120

20 – 30

3. Schwer

Schwere Dyspnoe, Kopfschmerz, Schwäche, Übelkeit in Ruhe, Zyanose, produktiver Husten, keuchende Atmung

< 121 - 140

< 31 - 40

> 140

> 40

4. Bedrohlich Stupor / Koma, schwere Zyanose, kein Gehen/Stehen, schwerste Dyspnoe, Distanzrasseln

Zusammenfassend lässt sich für die Diagnose der Höhenerkrankungen sagen, wesentlich ist:

die genaue Anamnese, ein sorgfältiger Auskultationsbefund des kardio - pulmonalen Systems, ein neurologischer Check, die Pulsoxymetrie ist ein Hilfsinstrument, die Diagnose begründet sich niemals allein auf den gemessenen Wert!

LITERATUR: (1)

Küpper T., Ebel K., Gieseler U. Moderne Berg- und Höhenmedizin 2009, Gentner Verlag

(2)

Hornbein, Th., Schoene, R. High Altitude 2001 an exploration of human adaption. Lung Biology in Health and Disease, Informa-Healthcare 2001, Vol. 161. 114


Kai Schommer, Peter Bär tsch

P r o p h y l a x e u n d T h e r a p i e d e r Höhenkrankheiten High Altitude Illness: Prophylaxis and Therapy

SUMMARY With increasing numbers of people traveling to high altitude, the high-altitude related illnesses, i.e. acute mountain sickness, high-altitude pulmonary edema and high-altitude cerebral edema, become more frequent and therefore more important for public health. The improved knowledge about the underlying mechanisms of these diseases helps to develop better strategies for prevention and therapy for these illnesses. This review summarizes the evidence-based recommendations for prevention and therapy of high-altitude illnesses and also evaluates critically the evidence for non-established methods. Keywords: high-altitude illness, acute mountain sickness, high-altitude pulmonary edema, high-altitude cerebral edema

ZUSAMMENFASSUNG Mit der zunehmenden Anzahl an Freizeitaktivitäten in der Höhe werden die höhenassoziierten Krankheitsbilder – akute Bergkrankheit, Höhenlungenödem und Höhenhirnödem – vermehrt wahrgenommen. Daher hat deren Therapie und Prophylaxe an Interesse gewonnen. Das zunehmend bessere Verständnis der Pathophysiologie dieser Erkrankungen hilft, Strategien in Prävention und Behandlung zu entwickeln. Diese Arbeit fasst die Evidenz-basierten aktuellen Empfehlungen in Behandlung und Prävention der Höhenkrankheiten zusammen und gibt kritische Stellungnahmen zu den nicht-etablierten Methoden. Schlüsselwörter: Höhenkrankheit, akute Bergkrankheit, Höhenlungenödem, Höhenhirnödem 115


EINLEITUNG Mit höhenassoziierten Erkrankungen – akute Bergkrankheit (ABK; acute mountain sickness, AMS), Höhenlungenödem (HLÖ; high altitude pulmonary edema, HAPE) und Höhenhirnödem (HHÖ; high altitude cerebral edema, HACE) (1) ist in der Regel bei kardiopulmonal gesunden Personen in den ersten Tagen eines Aufenthaltes in Höhen ab 2500 – 3500 m zu rechnen. Risikofaktoren für das Auftreten sind die individuelle Prädisposition, die nur durch vorhergehende Erfahrungen in der Höhe festgelegt werden kann, die Aufstiegsgeschwindigkeit und die mangelnde Akklimatisation (2). Dies veranschaulicht Abbildung 1 (nach [2]). Keinen Einfluss hingegen haben in

Determinanten der ABK in 4559m

Prävalenz der ABK [%]

70 60

nicht anfällig 59%

anfällig

50 40

20 10

31%

30%

30 12%

32%

13%

12%

4%

0 Aufstieg Vorakklimatisation

langsam

langsam

schnell

schnell

ja

nein

ja

nein

Abbildung 1: Prävalenz der ABK in 4559 m Höhe in Abhängigkeit von Aufstiegsgeschwindigkeit, Vorakklimatisation und Anfälligkeit bei 827 Bergsteigern. Langsamer Aufstieg wurde definiert als > 3 Tage ab einer Höhe von 2000 m und Vorakklimatisation als > 4 Tage über 3000 m in den letzten 2 Monaten. Als nicht anfällig für ABK wurden Bergsteiger klassiert, die selten oder nie Kopfschmerzen bei Höhenaufenthalten über 3000 m und einen Anamnesescore < 4 haben. einer Bergsteigerpopulation das Geschlecht, der Body Mass Index und der Grad der körperlichen Fitness. Hieraus ergibt sich, dass die beste nicht-medikamentöse Prävention aller höhenassoziierten Erkrankungen aus einem langsamen Aufstieg und einer ausreichenden Vorakklimatisation besteht. Die Vorakklimatisation kann durch häufiges Bersteigen oder auch durch wiederholte Expositionen in meist normobarer Hypoxie im Tiefland im Vorfeld eines Gebirgsaufenthaltes erreicht werden. Wenn bei bekannter Anfälligkeit ein rascher Aufstieg unumgänglich und eine Vorakklimatisation nicht 116


möglich sind, stehen zur Prävention der einzelnen Krankheitsbilder auch verschiedene Medikamente zur Verfügung. Diese sollen ebenso wie die medikamentöse Therapie der höhenassoziierten Erkrankungen im folgenden nach aktueller Studienlage aufgezeigt werden. Die nicht-medikamentöse Therapie aller Höhenkrankheiten besteht im Abstieg und der supportiven Gabe von Sauerstoff. Durch portable Überdrucksäcke kann Zeit gewonnen werden, wenn aus logistischen Gründen ein sofortiger Abstieg nicht möglich ist. Zur HHÖ-Prävention existieren keine Studien. Da davon ausgegangen werden kann, dass ein HHÖ die schwerste Ausprägung der ABK darstellt, dürfte eine ABKPrävention immer auch eine HHÖ-Prävention beinhalten. Überblick über Prophylaxe und Therapie von ABK und HHÖ gibt Tabelle 1, gleiches wird in Tabelle 2 für das HLÖ zusammengefasst. 1. Prophylaxe

nicht-medikamentös

Akute Bergkrankheit / Höhenhirnödem langsamer Aufstieg (bis 500 m pro Tag, bei bekannter Anfälligkeit 300 – 350 m) Schlafen in normobarer Hypoxie (14d, FiO2 = 0.12, mind. 8h /Nacht)

Wirkstoff medikamentös wirksam 1. Azetazolamid

2. Therapie

Dosis

Darreichung

wann

125-250mg po Tag 1 vor Aufstieg bis Erreichen der Maximalhöhe, bei alle 12h Verbleib auf einer Höhe 3 Tage weiter 2. Dexamethason 2mg alle 6h o. po, im, iv Tag 1 vor bis Tag 3 in der Höhe, max. 5-6 Tage! cave 4mg alle 12h Nebennierenrindeninsuffizienz nicht wirksam Gingko Biloba, Leukotrien-Antagonisten nicht zu empfehlen Antioxidantien, Theophyllin ABK -leichte bei leichten ABK-Symptomen Ruhetag, bei schweren Symptomen Abstieg; bei klinischem V.a. beginnendes oder Symptome bei manifestem Höhenhirnödem sofortiger Abstieg Wirkstoff

Kopfschmerz z. B. Ibuprofen Übelkeit Metoclopramid Domperidon Azetazolamid

Dosis

Darreichung

wann

400mg 10mg 10mg 250mg alle 6-8h

po po po, sl po

ABK - schwere Symptome

Dexamethason

4mg

po, im, iv

bei Bedarf, max. 4x/d bei Bedarf, max. 4x/d bei Bedarf, max. 8x/d nur bei leichten Symptomen nach Ruhetag, wenn beträchtlicher weiterer Aufstieg geplant ist alle 6h

HHÖ

Dexamethason + Sauerstoff (2 – 4 l/min)

4-8mg

iv, im

alle 6h

Tabelle 1: Evidenzbasierte Empfehlungen zu Prophylaxe und Therapie der akuten Bergkrankheit (ABK) und des Höhenhirnödems (HHÖ); Abkürzungen: po = per os; im = intramuskulär; iv = intravenös; sl = sublingual; 1. Prophylaxe

2. Therapie

Höhenlungenödem nicht-medikamentös bei bekannter HLÖ-Anfälligkeit Erhöhung der Schlafhöhe um max. 300-350 m pro Tag Wirkstoff Dosis Darreichung Bemerkung medikamentös wirksam 1. Nifedipin 20-30mg alle 12h po ! Retardpräparate 2. Tadalafil 10mg alle 12h po ! cave – ABK - Symptome 3. Sildenafil 50mg alle 10h po ! cave – ABK - Symptome 4. Dexamethason 8mg all 12h pi ! cave – Nebennierenrindeninsuffizienz max. 5- 6 Tage nicht zu empfehlen Salmeterol 125µg alle 12h pi immer Sauerstoffgabe (2-4l/min), Abstieg; Medikamente sofort ab Verdachtsdiagnose Wirkstoff Dosis Darreichung Bemerkung medikamentös 1. Wahl Nifedipin 20-30mg alle 12h po oder Sildenafil 50mg alle 10h po Dosis nicht geprüft – Vorschlag: wie bei Prophylaxe oder Tadalafil 10mg alle 12h po Dosis nicht geprüft – Vorschlag: wie bei Prophylaxe bei gleichzeitigem zusätzlich 4-8mg alle 6h HHÖ Dexamethason

Tabelle 2: Evidenzbasierte Empfehlungen zu Prophylaxe und Therapie des Höhenlungenödems (HLÖ); Abkürzungen: po = per os; im = intramuskulär; iv = intravenös; sl = sublingual; pi = per inhalationem 117


AKUTE BERGKRANKHEIT – PROPHYLAXE Nicht-medikamentös: Für Akklimatisationsprogramme in normobarer Hypoxie gibt es zahlreiche Konzepte, die von spezialisierten Fitnessstudios angeboten werden. Entscheidend für eine ausreichende Vorakklimatisation sind hierbei die Dauer und der Grad der Hypoxie. Bislang konnte nur für Schlafen in simulierter Höhe unter Anwendung spezieller Zelte gezeigt werden, dass das Auftreten und der Schweregrad der akuten Bergkrankheit bei akuter Exposition in einer normobaren Hypoxiekammer bei einem FiO2 = 0.12 (~ 4500 m) gesenkt werden kann (3). Hierfür ist eine Schlafdauer von mindestens 8 Stunden täglich bei einem FiO2 = 0.15 (~ 2600 m) in 14 aufeinander folgenden Nächten notwendig. Ob ein vergleichbarer Effekt auch durch Trainingsprogramme in normobarer Hypoxie erreicht werden kann und wie ein solches Programm gestaltet werden sollte, wurde bisher wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Zwar wird durch körperliche Belastung in Hypoxie der Grad der Hypoxämie verstärkt, doch reicht die Dauer der Hypoxie zum Ingangsetzen von Akklimatisationsvorgängen wahrscheinlich nicht aus, wenn dieses Training vor einem Hochgebirgsaufenthalt in den normalen Alltag integriert werden soll. Für ein 60-minütiges Fahrradergometer - Training in normobarer Hypoxie bei 60% VO2max 3 mal pro Woche über 3 Wochen, beginnend bei 2500 m und wöchentlich um 500 m gesteigert, gefolgt von 4 passiven Hypoxieexpositionen (~ 4500 m, 90 min) in Woche 4 konnte nach raschem Aufstieg bis 4559 m in einer placebo-kontrollierten Studie lediglich eine Reduktion der ABK nach der ersten Nacht auf 3661 m gezeigt werden (4). Auf 4559 m war die ABK-Inzidenz der Kontroll- und Interventionsgruppe aber gleich. Da der Schweregrad der ABK auf Höhen um 3500 m sehr mild ist, überwiegt der Aufwand eines solchen Vorbereitungsprogrammes bei weitem den Nutzen, so dass hierfür aktuell keine Empfehlung ausgesprochen werden kann. Gut belegt wirksame Medikamente: Darunter fallen Azetazolamid und Dexamethason respektive Glucocorticoide im Allgemeinen. Azetazolamid wirkt vor allem über die Hemmung der Carboanhydrase in der Niere, wodurch die renale Bicarbonatexkretion gesteigert wird und eine leichte Azidose resultiert (5). Dies führt über eine Steigerung der Ventilation zu einer Erhöhung des Sauerstoffpartialdruckes und der Sauerstoffsättigung (SaO2) im Blut. Daneben reduziert es deutlich die in der Höhe vorhandene periodische Atmung, was während des Schlafes zu einem konstant höheren SaO2 führt. Azetazolamid sollte in einer Dosis von 250 mg 2x/Tag beginnend am Tag 1 vor dem Höhenaufenthalt eingenommen werden und z. B. während eines Trekkings bis zum Erreichen der Maximalhöhe eingenommen werden, sofern anschließend der Abstieg erfolgt. Beim Verbleib auf einer bestimmten Höhe sollte es über drei Tage weiter genommen werden. Neuere Daten lassen vermu118


ten, dass wahrscheinlich auch 2 x 125 mg zur Prophylaxe der ABK ausreichend sind (6). Bekannte Nebenwirkungen sind Parästhesien und ein veränderter Geschmack von kohlensäurehaltigen Getränken. Auch Steroide sind sehr gut wirksam. Die empfohlene Dosis liegt bei 3 x 2-4 mg Dexamethason (oder Äquivalentdosen für andere Glucocorticoide, zum Beispiel 3 x 25 mg Prednison) (7), beginnend am Tag vor dem Aufstieg. Beide Medikamente zusammen bewirken möglicherweise die beste ABK-Prophylaxe (8). Der exakte Wirkmechanismus für Glucocorticoide ist nicht bekannt. Wegen der Gefahr der medikamentös-induzierten Nebennierenrindeninsuffizienz bei längerdauernder Einnahme und der Erhöhung des Nebenwirkungsprofils sollten Glucocorticoide in der erwähnten Dosis über maximal 5-6 Tage verabreicht werden. Bei einer länger dauernden Therapie ist ein Ausschleichen der Glucocorticoide erforderlich. Aufgrund des deutlich höheren Nebenwirkungsspektrums sollten sie nur dann angewandt werden, wenn Azetazolamid zuvor nicht gewirkt hat oder eine Unverträglichkeit oder Allergie für dieses Medikament besteht. Ungenügend belegt oder wenig wirksame Medikamente: Dazu zählen aufgrund der zum Teil widersprüchlichen Datenlage Theophyllin, Gingko Biloba, Leukotrien-Blocker und Antioxidantien. Für Theophyllin werden als potentielle Wirkmechanismen die Reduktion der Hirndurchblutung, die Senkung der Gefäßpermeabilität, eine Steigerung der Ventilation und eine Senkung des pulmonal-arteriellen Drucks vermutet. Eine Besserung der periodischen Atmung während des Schlafes konnte unter 2 x 250 mg Theophyllin auf 3454 m gezeigt werden (9) – diese war jedoch 2 x 250 mg Azetazolamid unterlegen. Eine nicht signifikante Reduktion des Lake Louise Scores (LL Score) fand sich unter Theophyllin (slow release, 2 x 375 mg/d) vs. Placebo nach 420 min in einer Unterdruckkammer (FiO2 ~ 4500 m) (10). In einer placebo-kontrollierten Studie (n = 21) (10) konnte nach Einnahme von 375 mg Theophyllin slow release 2x/d mit Beginn 3 Tage vor der Höhe nach passivem Transport auf 3454 m eine Reduktion des AMS-C Scores von 2.3 in der Placebo-Gruppe vs. 0.6 in der Verum-Gruppe (p = 0.03) erreicht werden. Bei 20% der Probanden wurde allerdings eine Dosisreduktion wegen Tachykardie, Schlafstörung und Tremor notwendig. In einer kürzlich erschienenen Arbeit (11) wurde für 300 mg Theophyllin/d sowohl eine Reduktion der periodischen Atmung als auch eine kleine, aber statistisch signifikante Abnahme des LL Score (1.5 ± 0.5 vs. 2.3 ± 2.4; p < 0.001) nach raschem Aufstieg auf 4559 m gezeigt. Da die präventiven Effekte von Theophyllin gering sind und da Azetazolamid im direkten Vergleich deutlich besser wirksam ist und weniger Nebenwirkungen hat, können wir Theophyllin nicht zur Prophylaxe der ABK oder der periodischen Atmung in der Höhe empfehlen. Wegen seiner gefäßdilatierenden und somit den zerebralen Blutfluss erhöhenden ebenso wie seiner antioxidativen Wirkung wurden einige größere, gut kontrollierte Studien mit Gingko biloba ohne nachweisbare Effekte 119


auf die ABK durchgeführt – dagegen stehen kleinere Studien, die kontroverse Resultate lieferten. Dies kann daran liegen, dass diese Faktoren in der Pathophysiologie der ABK nicht wesentlich bedeutsam sind, oder auch mit der stark schwankenden und zu niedrigen Wirkstoffkonzentration der im Handel angebotenen Präparate zusammenhängen (12). Wenn wie vermutet Sauerstoffradikale in der ABK-Pathophysiologie eine Rolle spielen, könnte der Einsatz von Antioxidantien wie L-Ascorbinsäure, dl-α-Tocopherolazetat und α-Liponsäure erfolgversprechend sein – die Datenlage hierzu ist mit nur einer placebo-kontrollierten Studie mit insgesamt 18 Probanden in einem low-risksetting (10-tägiges Trekking zum Mt. Everest base camp) (13) ungenügend. Leukotrien-Antagonisten, die wegen der anti-inflammatorischen Wirkung eingesetzt wurden, waren in mehreren kleinen kürzlich publizierten Studien nicht wirksam (14;15). Zwar wurden erhöhte Leukotrien-Metabolite im Urin nach Höhenexposition beobachtet (16), Messungen in einer prospektiven Untersuchung (17) und die interventionellen Studien mit Leukotrien-Antagonisten schließen jedoch eine primäre Rolle der Leukotriene in der Pathophysiologie der ABK weitgehend aus (18).

AKUTE BERGKRANKHEIT – THERAPIE Milde Symptome der ABK werden symptomatisch mit nicht-steroidalen Antirheumatika (z. B. 400 mg Ibuprofen) oder Paracetamol bei Kopfschmerz oder mit sublingual applizierten Antiemetika (z. B. Metoclopramid) bei Übelkeit behandelt. Acetazolamid ist in der Therapie der ABK-Therapie wenig belegt. Bei mittelschweren Symptomen sollte immer ein Ruhetag bis zur Beschwerdefreiheit eingelegt werden Wenn danach ein weiterer Aufstieg in beträchtlich größere Höhen vorgesehen ist, wie dies beim Trekking der Fall sein kann, kann zusätzlich eine Prophylaxe mit 2-3 x 250 mg Azetazolamid eingeleitet werden. Schwere Symptome werden mit 4 x 4 mg Dexamethason (iv, im oder po) behandelt. Das Eintreten der Beschwerdefreiheit sollte nicht zum weiteren Aufsteigen verleiten, sondern immer zum Abstieg genutzt werden.

HÖHENHIRNÖDEM – THERAPIE Das HHÖ wird mit 4-8 x 4 mg Dexamethason (iv oder im), zusätzlicher Gabe von Sauerstoff und raschem Abtransport oder falls möglich begleitetem Abstieg bis auf Höhen, in denen die neurologische Symptomatik deutlich gebessert ist, behandelt. Bessern sich die Symptome dennoch nicht, muss so tief wie möglich abgestiegen werden. Wenn das HHÖ durch eine schwere Hypoxämie bei Lungenödem ausgelöst wurde, muss dieses mitbehandelt werden. 120


HÖHENLUNGENÖDEM – PROPHYLAXE Bei HLÖ-Anfälligen wird oberhalb von 2000 m eine Erhöhung der täglichen Schlafhöhe von 300 – 350 m als wichtige Präventivmaßnahme empfohlen. Ist dies nicht möglich, sind aufgrund der in der Entstehung des HLÖ entscheidenden überschießenden pulmonal-arteriellen (PA) Vasokonstriktion alle Medikamente in der Prophylaxe wie auch in der Therapie wirksam, die den PA-Druck senken. Am längsten etabliert ist der Calciumantagonist Nifedipin (19). Daneben sind auch Phosphodiesterase-5-Inhibitoren wie Tadalafil gut belegt – allerdings kann unter dieser Therapie das Auftreten von schweren Symptomen der ABK begünstigt werden (20). Auch Dexamethason (2 x 8 mg) senkt den PA-Druck in Hypoxie und kann präventiv eingenommen das Auftreten eines HLÖ verhindern. Wie Dexamethason den PA-Druck senkt, ist nicht geklärt. ß-Sympathomimetika wie Salmeterol verbessern die in Hypoxie gestörte Natrium-Rückresorption durch das Alveolarepithel (21) und führen dadurch zur gesteigerten Wasserresorption aus den Alveolen. Sie senken die HLÖ-Inzidenz bei HLÖ-Anfälligen (22). Allerdings ist inhalativ eine sehr hohe Dosis erforderlich, und gegenüber Nifedipin ist der Effekt deutlich schlechter, so dass für Salmeterol keine klare Indikation in der HLÖ-Prävention besteht.

HÖHENLUNGENÖDEM – THERAPIE Nifedipin 20 mg alle 6 Stunden ist die medikamentöse Therapie der Wahl. Aufgrund der Gefahr des raschen Abfalls des Blutdrucks bei der Gabe von unretardierten Nifedipin-Präparaten, sollte ausschließlich Retard-Nifedipin zum Einsatz kommen. Alternativ können auch PDE-5-Inhibitoren gegeben werden, z. B. Tadalafil (10 mg alle 12 h) oder Sildenafil (50 mg alle 8 h). Hierzu liegen jedoch keine Studien vor, die Empfehlungen richten sich nach der Dosis, die sich in der Prävention bewährt hat, und nach Erfahrungen, die bei Einzelfällen gewonnen wurden. Zusätzlich sollte, falls immer möglich, die Sauerstoffzufuhr verbessert werden. Dies kann über Flaschensauerstoff via Nasensonde (2 – 4 l/min) oder auch über den Einsatz eines Überdrucksacks erreicht werden. Auch hier sollte baldmöglichst abgestiegen werden. Der Einsatz von Dexamethason ist in der HLÖ-Behandlung nur dann sinnvoll und indiziert, wenn ein HHÖ droht oder schwere Symptome einer ABK vorliegen. In der Therapie wirken Glucocorticoide möglicherweise nicht oder zu langsam. Diese Beuteilung beruht auf zwei Fallberichten in der Literatur, die das Auftreten eines HLÖ beschreiben, obwohl zuvor Dexamethason gegen die ABK verabreicht wurde (23;24). Möglicherweise beruht die Wirkung von Dexamethason auf vermehrter Expression der induzierbaren NO-Synthetase oder von Proteinkomponenten des epithelialen Natriumtransporters (ENaC), was im Tierexperiment erst 24 - 48 Stunden nach Medikamentenapplikation nachgewiesen werden kann. 121


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M a r k u s Ta nnheimer, Nadine Alber tini, Hans-Volkhar t Ulmer, A l f r e d Thomas, Michael Engelhardt , Roland Schmidt

Te s t e n d e s i n d i v i d u e l l e n H ö h e nkrankheitsrisikos i n g r ö ß e r e r H ö he

Testing the Individual Risk of Acute Mountain Sickness at High Altitudes

SUMMARY The assessment of an individual’s degree of acclimatization to altitude is difficult. This study describes a new and simple test that allows for the determination of an individual’s risk for high-altitude illness at higher altitudes. The prediction is based on the lowest oxygen saturation (SaO2) found during an uphill run at high altitude (3371 m), combined with the time needed to complete the run. The test results were compared against the severity of high-altitude symptomatology on the summit of Mont Blanc (4808 m). The main outcome was the significant correlation between time as well as SaO2 and the severity of high-altitude symptomatology on the summit of Mont Blanc. The newly developed Performance Test allows, at a “safe” altitude, the prediction of an individual’s risk of developing high altitude illness if they continue to ascend. It allows the determination of the best acclimatized subjects within a group for example prior to a rescue mission at greater altitude. Keywords: acute mountain sickness, pulse oximetry, high-altitude pulmonary edema, oxygen saturation, high altitude medicine

ZUSAMMENFASSUNG Die Beurteilung des individuellen Akklimatisationszustandes ist schwierig. Diese Studie stellt ein neues und einfaches Testverfahren vor, welches die Beurteilung des individuellen Risikos in größerer Höhe höhenkrank zu werden ermöglicht. Diese Vorhersage 125


basiert auf der tiefsten Sauerstoffsättigung (SaO2), welche bei einem Bergaufsprint in einer Höhenexposition von 3371 m gemessen wurde und der dafür benötigten Zeit. Dieses Testergebnis wurde der Ausprägung der Höhensymptomatik auf dem Gipfel des Mont Blanc (4808 m) gegenübergestellt. Es zeigt sich eine signifikante Korrelation zwischen der bei dem Test erzielten Zeit sowie der SaO2 und dem Schweregrad der Höhenkrankheit auf dem Gipfel des Mont Blanc. Der neu entwickelte Leistungstest erlaubt in noch „sicherer“ Höhe die Vorhersage des individuellen Risikos bei einem weiteren Aufstieg höhenkrank zu werden. Er ermöglicht innerhalb einer Gruppe die bereits am besten akklimatisierten Personen zu erkennen, z. B. im Vorfeld eines geplanten Rettungseinsatzes in der Höhe. Schlüsselwörter: Akute Bergkrankheit, Pulsoxymetrie, Höhenlungenödem, Sauerstoffsättigung, Höhenmedizin

EINLEITUNG Die Höhenkrankheit (acute mountain sickness: AMS) tritt vornehmlich bei Aufenthalten in einer Höhe über 2500 m (1) auf, es sind sogar Fälle des akut lebensbedrohlichen Höhenlungenödems (high altitude pulmonary edema: HAPE) bereits in einer Höhe von 2500 m beschrieben (2, 3). Wegen der Latenz von 12 Stunden bis zu 3 Tagen ist die Früherkennung der AMS schwierig und gefährdet Bergsteiger bei weiterem Aufstieg. Die objektive Beurteilung, ob eine spezielle Person gefährdet ist bei einem weiteren Aufstieg an AMS zu erkranken, ist problematisch. Dies gilt insbesondere wenn schnell aufgestiegen und in der Höhe verblieben werden muss (z. B. Flughäfen in Hochlagen, Rettungsaktionen oder militärische Einsätze in der Höhe). Ein einfaches Testverfahren wäre daher wünschenswert, um in noch „sicherer“ Höhe entscheiden zu können, ob eine bestimmte Person bereits in größerer Höhe eingesetzt werden kann oder ob eine weitere Akklimatisationsphase eingelegt werden muss oder sogar ein Abstieg erforderlich ist. Pulsoxymetrische Bestimmungen der SaO2 wurden von mehreren Autoren zur Beurteilung der Höhenakklimatisation eingesetzt (4-6). Unsere eigenen Untersuchungen zeigten einen erheblichen Abfall der SaO2 unter körperlicher Belastung (6). Roach konnte zeigen, dass körperliche Betätigung AMS hervorruft (7). Bezugnehmend auf diese Beobachtungen denken wir, dass ein Testverfahren zur Beurteilung des individuellen Akklimatisationsgrades den gesamten Organismus analog einer kardiologischen Stufenergometrie belasten und beides kombinieren muss – körperliche Belastung und physiologisches Monitoring – um möglichst sensitiv bei der Aufdeckung einer ungenügenden Akklimatisation zu sein. Das Ziel dieser Studie war es, ein Testverfahren zu entwickeln, welches in „sicherer“ Höhe die Beurteilung des individuellen Akklimatisationsgrades ermöglicht, und daraus 126


abgeleitet eine objektive Entscheidung erlaubt, ob eine bestimmte Person weiter aufsteigen darf oder nicht.

MATERIAL UND METHODE Personen Um eine möglichst homogene Gruppe mit gleichem Akklimatisationszustand, Geschlecht und körperlicher Fitness untersuchen zu können, wurde der Heeresbergführerlehrgang der Bundeswehr ausgewählt. Neben deutschen Gebirgsjägern und Kommandosoldaten waren Soldaten aus Großbritannien, den USA und den Niederlanden unter den 36 männlichen Lehrgangsteilnehmern (Alter 28,3 ± 5,4 Jahre). Alle waren Nichtraucher und ohne relevante Erkrankungen. Nach einer medizinischen Eignungsfeststellung musste sich jeder Teilnehmer in einem einwöchigen fordernden Eingangstest (Berglauf auf Zeit, Klettertouren, Skifahren) für diesen Lehrgang qualifizieren. Anschließend folgte ein fünfwöchiger Kletterlehrgang in 1500 m, ein siebentägiger Hochgebirgsinfanterielehrgang in 1800 m bis 2500 m Höhe sowie eine elftägige Eisund Gletscherausbildung in den Ötztaler Alpen (Übernachtungshöhe 1925 m; tagsüber bis 3300 m). Nach drei Tagen daheim (Höhe unter 950 m) wurde die Turiner Hütte (3371 m) in den Westalpen als Ausbildungsstützpunkt aufgesucht. Der Aufstieg dorthin erfolgte per Seilbahn. Während dieses Ausbildungsabschnitts betrug die Schlafhöhe immer 3371 m, tagsüber wurden Höhen bis 4187 m erreicht (siehe Abb. 1). Am siebten Tag des Aufenthalts wurde dann der Mont Blanc (4808 m) bestiegen. Höhenprofil

Höhe [m] 5000 4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0

Mont Blanc

Ötztaler Alpen Turiner Hütte

6

16

26

Tage im August

Abbildung 1: Höhenprofil während des Heeresbergführerlehrgangs, Ausbildungsabschnitt Ötztaler Alpen und Turiner Hütte mit Besteigung des Mont Blanc (4808 m). Markierung: Zeitpunkt des Leistungstests 127


Der Leistungstest Der neu entwickelte Leistungstest wurde am Abend des Ankunftstages (Umgebungsluftdruck: 680 mbar) (Abb. 1) im Hüttenbereich durchgeführt. Hier befindet sich eine überdachte Treppe von 46 m Höhendifferenz und 90 m Länge (Abb. 2), so dass die Testdurchführung wetterunabhängig durchgeführt werden kann. Aufgabe war es, diese Treppe möglichst schnell hochzurennen, wobei die dafür benötigte Zeit gestoppt und die arterielle Sauerstoffsättigung (SaO2) bestimmt wurde. Hierfür wurde dasselbe Pulsoxymeter (N-20 von Nellcor®) wie für die Messungen auf dem Mont Blanc benutzt. Nach Anlegen des Fingersensors im Zielbereich (Treppenende), wurde in stehender Position abgewartet, bis sich SaO2 und die Pulsfrequenz stabilisiert hatten. Diese Werte (SaO2 Beginn und Puls Beginn) wurden in vorgefertigten Listen notiert. Begonnen wurde dann mit einem langsamen Abstieg zum Start der Teststrecke am Fuß der Treppe. Den dortigen Sättigungswert (SaO2 Start) mussten sich die Probanden merken. Unmittelbar danach erfolgte der Testlauf, ein maximal schneller Bergaufsprint (Abb. 2). Die dafür benötigte Zeit wurde mit einer Handstoppuhr gemessen. Der Untersucher im Ziel notierte den tiefsten Sättigungs- und den höchsten Pulsfrequenzwert, welcher nach Ankunft innerhalb der folgenden 2 min vom Pulsoxymeter angezeigt wurde (SaO2 Leistung, Puls Leistung). Der Proband verharrte dabei in stehender Position.

Abbildung 2: Überdachte Teststrecke, der Proband befindet sich kurz vor dem Ziel 128


In einer Vorstudie konnten wir zeigen, dass die tiefste Sauerstoffsättigung meist 45 sec bis 75 sec nach Ankunft im Ziel beobachtet wird. So fiel diese auch in der Regel nach Zielankunft noch weiter ab. Zielgrößen waren die benötigte Zeit und die niedrigste SaO2 Leistung, welche nach Absolvierung der Teststrecke in den folgenden 2 min auftrat. Die simultan gemessene maximale Pulsfrequenz diente als Parameter für die jeweilige Intensität.

Theorie des Leistungstests Der grundsätzliche Unterschied zu einem Test in Meereshöhe besteht darin, dass der eigentliche Stress für den Organismus nicht der Leistungstest an sich, sondern die permanente hypobare Höhenhypoxie darstellt. Der Organismus wird bei dem Test einer kurzzeitigen Zusatzbelastung oberhalb der anaeroben Schwelle ausgesetzt, welche die Hypoxämie weiter verschärft, vergleichbar einem Zwischensprint bei einem Marathon. Allerdings ist eine schnelle, laktatabhängige Energiebereitstellung in der Höhe nur ungenügend möglich (8, 9). Das von den verfügbaren Energiereserven abhängige Testergebnis erlaubt Rückschlüsse auf die aktuelle physische Verfassung, insbesondere die Adaptation an die Hypoxie. Aus diesem Grund denken wir, dass es legitim ist, aus dem Testergebnis den individuellen Akklimatisationszustand und damit die Verträglichkeit größerer Höhe abzuleiten. So kann der individuelle Akklimatisationsgrad beurteilt und die Höhenleistungsfähigkeit in der nahen Zukunft vorhergesagt werden. Die Idee der Bildung einer Rangsumme aus SaO2 Leistung und der benötigten Zeit (für den Testlauf) basiert auf der Annahme, dass sich beide gegenläufig verhalten. Eine schnelle Zeit führt möglicherweise zu einer niedrigeren Sättigung und umgekehrt. Die einfache Addition der Ränge (schnellste Zeit: Rang 1; höchste Sättigung: Rang 1) innerhalb der Gruppe berücksichtigt beides. Allerdings können wir mit der Fallzahl von 36 nicht überprüfen, ob die einfache Addition ausreicht oder ob andere arithmetische Methoden mit unterschiedlicher Gewichtung von Sättigung und Zeit noch aussagekräftiger wären.

Messung auf dem Mont Blanc (4808 m) Auf dem Gipfel des Mont Blanc (4808 m; Umgebungsluftdruck 578 mbar) wurde die Ausprägung der Höhensymptomatik mit einem Höhenkrankheitsfragebogen quantifiziert. Wir benutzten den in der Bundeswehr üblichen Höhensymptomatik-Test (Abb. 3), der bereits früher beschrieben wurde (6, 10). Dieser Fragebogentest ist dem Lake Louise Score (11, 12) sehr ähnlich und fragt 10 Symptome mit jeweils 4 möglichen Schweregraden (0 = nicht vorhanden, 1 = gering, 2 = mittel, 3 = stark) ab. Die Summe dieser Schweregrade wird als Individual Score (I.S.) bezeichnet und quantifiziert das 129


Ausmaß der Höhensymptomatik (I.S.Mt.Blanc). Ein I.S. größer als 15 bedeutet ein hohes HAPE- oder HACE-Risiko (10). Parallel zum Fragebogentest wurde die Sauerstoffsättigung (SaO2 Mt.Blanc) mit dem Pulsoxymeter N-20 von Nellcor® am Zeigefinger gemessen. Um die Finger warm zu halten und um Lichtinterferenzen zu vermeiden, wurde die entsprechende Hand unter dem Anorak gehalten. Der Untersucher achtete darauf, dass nicht hyperventiliert wurde. Diese Messungen erfolgten im Dauermodus des Pulsoxymeters. Der pulssynchrone Piepton war ausgeschaltet und die Anzeige war für den Probanden nicht einsehbar, um eine Beeinflussung zu minimieren. Person: Ort: SaO2: Puls:

% ; Druck: / min

mbar;

Höhe: Datum:

m / ft

Nicht 0

gering 1

Ich fühle mich schwach / müde:

0

1

2

3

Ich konnte nicht gut schlafen:

0

1

2

3

4.

Ich habe Kopfschmerzen:

0

1

2

3

5.

Kurzatmigkeit / Atemnot:

0

1

2

3

6.

unregelmäßige Atmung: (periodische Atmung)

0

1

2

3

7.

Ich fühle mich psychisch verändert: 0 1 (gereizt, nervös, unsicher, umständlich, euphorisch, ...)

2

3

1.

Ich fühle mich krank:

2. 3.

8. Ruhepuls:

≤79 . 0

80-99 . 1

9. Appetit:

gut . 0

kein .1

10. Urin: häufig/hell . 0;

1;

100-119 . 2 Übelkeit . 2 2;

mittel

2

schwer

3

>120 . 3 Erbrechen . 3

selten/konzentriert . 3

Sonstiges:

Abbildung 3: Höhensymptomatik-Test der Bundeswehr Grundsätzlich sind pulsoxymetrische Messungen in der Höhe nicht so einfach durchführbar wie in Meereshöhe. Die höheninduzierte periodische Atmung ist der Grund für die typischen zyklischen Schwankungen der SaO2, welche die Berechnung eines Mittelwertes der über die Messperiode angezeigten SaO2-Werte erforderlich macht (13, 14). Jede Messung erfolgte über einen etwa zweiminütigen Zeitraum (3-5 Zyklen), wobei der Untersucher unter Beachtung des Minimal- und Maximalwerts den repräsentativen Wert dieser Messperiode festlegte und notierte. Daher erfordern solche Messungen in 130


der Höhe einen erfahrenen Untersucher sowie eine relativ lange Zeitdauer (Einzelmessung 120 bis 150 Sekunden). Werden pulsoxymetrische Messungen allerdings in dieser Art und Weise durchgeführt besteht eine reproduzierbare signifikante Korrelation zum Schweregrad der Höhenkrankheit (4, 6, 15). Statistik Alle Ergebnisse sind als Median (Minimum - Maximum) dargestellt. Zur Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Zeit Leistung, SaO2 Leistung und I.S.Mt.Blanc wurden Verfahren der statistischen Analyse nicht-parametrischer Daten mit Hilfe des Spearmen-RangKorrelations-Koeffizienten unter Verwendung von Stat View® angewendet. Wir akzeptierten einen p-Wert kleiner als 0,05 als Indikator statistischer Signifikanz.

ERGEBNISSE Das wichtigste Ergebnis dieser Studie ist die signifikante Korrelation zwischen der erzielten Zeit (r = 0,48; p = 0,006) (Abb. 4) sowie SaO2 Leistung (r = -0,3; p = 0,04) (Abb. 5) und der Ausprägung der Höhensymptomatik auf dem Gipfel des Mont Blanc. Vergibt man innerhalb des untersuchten Kollektivs Ränge für Zeit (schnellste Zeit = Rang 1) und SaO2 Leistung (höchster Sättigungswert = Rang 1) und bildet hieraus die Rangsumme, so korreliert diese hochsignifikant (r = 0,56; p = 0,001) mit I.S.Mt.Blanc (Abb. 6). Außerdem besteht eine signifikante Korrelation (r = 0,33; p = 0,05) zwischen SaO2 Leistung und SaO2 (Abb. 7). Mt.Blanc Leistungstest Beim Leistungstest (Tab. 1) fallen die Werte für SaO2 Leistung erwartungsgemäß bei allen Probanden unter den Ausgangswert SaO2 Beginn (Abb. 8). Teilweise ist der Abfall erheblich, im Median liegt er bei 11 %-Punkten (4 % - 29 %). Im Vergleich zur SaO2 zeigt SaO2 Start keinen signifikanten Zusammenhang. 17 Probanden hatten einen Beginn niedrigeren, 14 einen höheren und 5 einen identischen SaO2 Start-Wert (delta: Median 0 (-5 bis +8). Auffällig ist, dass die Person (Nr. 9) mit dem höchsten Abfall von SaO2 (-29 %-Punkte) auch den höchsten Abfall von SaO2 Beginn hatte (-8 %-Punkte). Leistung Diese Person ist eine der drei Personen mit der am stärksten ausgeprägten Höhensymptomatik auf dem Gipfel des Mont Blanc. Hingegen zeigten die beiden Personen (Nr. 27, 35) mit dem geringsten Abfall von SaO2 Leistung (-4 % und -5 %-Punkte) sogar einen Anstieg von SaO2 Start (jeweils 3 %-Punkte). Beide wiesen auf dem Gipfel des Mont Blanc nur eine unbedeutende Höhensymptomatik I.S.Mt.Blanc von 1 bzw. 2 auf. Innerhalb der gesamten Gruppe vergrößerte sich die Spanne zwischen beobachtetem Minimal- und Maximalwert mit zunehmender Belastung: delta SaO2 Beginn: 9 %-Punkte (88 % - 97 %), delta SaO2 Start: 11 %-Punkte (85 % - 96 %) und delta SaO2 Leistung: 26 %-Punkte (64 % - 90 %). 131


Höhensymptomatik [I.S.] Mont Blanc

10 9 8 7

r = 0,48 p = 0,006

6 5 4 3 2 1

Zeit [sec]

0 30

50

70

90

Abbildung 4: Zusammenhang zwischen Höhensymptomatik (I.S.: Individual Score = Summe des Fragebogentests) auf dem Gipfel des Mont Blanc und der für den Testlauf benötigten Zeit.

10

Höhensymptomatik [I.S.] Mont Blanc

9 8 7

r = -0,33 p = 0,044

6 5 4 3 2 1

SaO2 Leistung

0 60

70

80

90

Abbildung 5: Zusammenhang zwischen Höhensymptomatik (I.S.: Individual Score = Summe des Fragebogentests) auf dem Gipfel des Mont Blanc und der niedrigsten SaO2 (SaO2 Leistung) beim Testlauf. 132


10

Höhensymptomatik [I.S.] Mont Blanc

9 8 7

r = 0,56 p = 0,001

6 5 4 3 2 1

Rangsumme [Zeit + SaO2]

0 0

20

40

60

80

Abbildung 6: Zusammenhang zwischen Höhensymptomatik (I.S.: Individual Score = Summe des Fragebogentests) auf dem Gipfel des Mont Blanc und der Rangsumme aus Zeit und SaO2 Leistung beim Testlauf. Markiert (gepunktetes Oval) sind diejenigen Personen, die für einen Einsatz in größerer Höhe geeignet wären.

Ruhe-SaO2 Mt.Blanc [%]

95 90 85 80

r = 0,33 p = 0,05

75 70 65 60 55

SaO2 Leistung [%]

50 60

70

80

90

100

Abbildung 7: Zusammenhang zwischen Ruhesättigung SaO2 Mt.Blanc auf dem Gipfel des Mont Blanc und SaO2 Leistung beim Testlauf. 133


Der Median von Puls Leistung war 167 /min (109 /min – 183 /min), vier Personen hatten eine Pulsfrequenz kleiner als 140 /min. Der mediane Anstieg von Puls Leistung im Vergleich zu Puls Beginn beträgt 91,5 /min (23 /min – 116 /min) (Tab. 2). Mont Blanc Die SaO2 Mt.Blanc lag im Median bei 79 % (61 % - 90 %). Auffällig war die breite Spanne zwischen beobachteten Minimal- und Maximalwerten von 29 % innerhalb der Gruppe. So wiesen zwei Probanden Werte von 90 % und sieben weitere Probanden Werte ≥ 85 % auf. Bei sechs Probanden lagen die Werte unter 70 % (Tab. 2). Insgesamt war die Ausprägung der Höhensymptomatik auf dem Gipfel des Mont Blanc relativ gering: Median 3 (0 - 9). Drei Probanden (Nr. 4, 9, 26) wiesen eine mittelschwere Höhensymptomatik mit I.S.Mt.Blanc von ≥ 8 auf. Ein Proband (Nr. 14) konnte höhenkrankheitsbedingt nicht mit auf den Gipfel des Mont Blanc aufsteigen. Für die statistische Berechnung mittels Spearman-Rang-Korrelations-Koeffizient wurde ihm daher der höchste Rang (Rang 36) gegeben, sowie fiktive Werte (SaO2 Mt.Blanc: 60 %; I.S.Mt.Blanc: 15) herangezogen. Für die Median-Berechnung wurden diese Werte nicht berücksichtigt (Tab. 2).

100

SaO2 [%]

90

80

70

LEISTUNGSTEST: SaO2-Verlauf

60 B e g in n

S ta rt

L e is tu n g

Abbildung 8: Verlauf der SaO2 während des Leistungstests: 36 Messungen (Median, MinMax). Ruhemessung oben (Beginn); Messung bei Erreichen des Starts (Fuß der Treppe); tiefster Wert nach Erreichen des Ziels (Leistung). Bemerkenswert ist der Anstieg der Sättigung durch moderate körperliche Betätigung Median SaO2 Beginn: 92; Median SaO2 Start: 93 134


Tabelle 1: Pulsfrequenz und SaO2 beim Leistungstest. Gelb markiert die Person mit dem grĂśĂ&#x;ten Abfall von SaO2 Start und SaO2 Leistung LEISTUNGSTEST Proband Nr.:

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

Treppe oben Beginn Beginn Puls SaO2 [/min] [%] 88 72 63 66 60 84 109 60 78 72 95 72 60 62 99 67 71 84 62 85 70 70 65 77 78 58 70 60 61 90 63 76 60 75 64 91

96 93 92 92 93 95 96 92 93 93 92 95 91 92 89 95 89 95 92 91 92 92 97 91 95 93 90 92 90 94 92 93 92 92 90 88

unten Start SaO2 [%]

Testlauf Leistung Leistung SaO2 Puls [%] [/min]

94 91 94 94 89 95 92 95 85 89 96 94 95 89 90 94 90 95 93 96 89 89 95 91 89 94 93 92 93 96 95 91 92 94 93 90

90 82 83 83 84 84 84 73 64 88 73 88 85 77 78 81 79 87 78 77 69 77 84 77 84 88 86 76 78 85 86 78 86 86 85 75

135

166 176 166 168 160 109 170 155 164 183 175 163 170 178 122 173 180 175 140 170 165 158 178 175 170 167 154 145 135 143 131 182 174 167 155 177

delta SaO2 Beginn Beginn zu zu Start Leistung 2 2 -2 -2 4 0 4 -3 8 4 -4 1 -4 3 -1 1 -1 0 -1 -5 3 3 2 0 6 -1 -3 0 -3 -2 -3 2 0 -2 -3 -2

6 11 9 9 9 11 12 19 29 5 19 7 6 15 11 14 10 8 14 14 23 15 13 14 11 5 4 16 12 9 6 15 6 6 5 13


Tabelle 2: Ergebnisse aller Lehrgangsteilnehmer sowie die jeweiligen Ränge innerhalb der Gruppe. Rangsumme ist die Addition des Ranges Zeit sowie des Ranges SaO2. Proband Nr. 14 erreichte hÜhenkrankheitsbedingt den Gipfel des Mont Blanc nicht, daher die Vergabe von fiktiven Werten (jeweils Rang 36)

Proband

Leistungstest

Nr.:

Zeit

SaO2

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

61 70 73 97 75 74 54 62 72 63 38 57 54 75 54 70 54 55 72 55 60 71 72 55 60 76 47 70 61 43 65 74 48 52 49 46

90 82 83 83 84 84 84 73 64 88 73 88 85 77 78 81 79 87 78 77 69 77 84 77 84 88 86 76 78 85 86 78 86 86 85 75

Rang der

Rang Zeit SaO2

18 23 30 36 33 31 8 20 27 21 1 15 8 33 8 23 8 12 27 12 16 26 27 12 16 35 4 23 18 2 22 31 5 7 6 3

1 20 18 18 13 13 13 33 36 2 33 2 10 27 23 21 22 5 23 27 35 27 13 27 13 2 6 31 23 10 6 23 6 6 10 32

Rang- Rangsumme summe

19 43 48 54 46 44 21 53 63 23 34 17 18 60 31 44 30 17 50 39 51 53 40 39 29 37 10 54 41 12 28 54 11 13 16 35

9 23 27 32 26 24 10 30 36 11 16 6 8 35 15 24 14 6 28 19 29 30 21 19 13 18 1 32 22 3 12 32 2 4 5 17

136

Mt Blanc 4808 m

Rang

SaO2

Puls

I.S.

I.S. SaO2

72 73 79 84 86 87 71 72 62 65 65 73 84 60 67 90 73 85 89 73 81 79 82 69 88 81 87 75 61 78 75 79 90 80 85 80

80 85 94 128 85 79 80 107 99 110 105 94 90 fiktiv 109 100 105 106 75 105 95 80 89 90 102 110 95 90 97 90 109 95 90 102 96 102

3 6 5 9 2 0 1 7 8 5 3 1 3 15 4 5 1 2 2 4 3 6 4 3 6 8 1 4 4 2 3 3 2 4 2 2

13 29 26 35 6 1 2 32 33 26 13 2 13 36 20 26 2 6 6 20 13 29 20 13 29 33 2 20 20 6 13 13 6 20 6 6

27 23 17 10 7 5 29 27 34 32 32 23 10 36 31 1 23 8 3 23 13 17 12 30 4 13 5 21 35 20 21 17 1 15 8 15


Grenzwerte Sollen alle Personen (Nr. 4, 9, 26), welche auf dem Gipfel des Mont Blanc eine mittlere bis schwere Höhensymptomatik (I.S.Mt.Blanc > 7) (10) aufwiesen erkannt werden, ergeben sich für diesen Test bei Durchführung auf der Turiner Hütte folgende Grenzwerte: Laufzeit über 75 Sekunden bzw. Sättigung kleiner 65 % Mit diesen Grenzwerten ist die Sensitivität des Leistungstest 1 und die Spezifität 0,97. Der Proband (Nr. 14), welcher höhenkrankheitsbedingt nicht in der Lage war den Mont Blanc zu besteigen, wäre ebenfalls erkannt worden. Nur ein Proband (Nr. 5) wäre falsch positiv getestet worden. Seine benötigte Zeit betrug 75 Sekunden, die SaO2 Leistung war 84 %, aber sein I.S.Mt.Blanc war mit 2 vernachlässigbar niedrig.

DISKUSSION Leistungstest Durch den Wettkampfcharakter des Leistungstests wird eine gut standardisierte Testsituation geschaffen und eine hohe Motivation der Teilnehmer gesichert. Der Maximalpuls nimmt mit zunehmender Höhe ab (16). Der gemessene Puls Leistung im Median von 167 /min (109 /min – 183 /min) entspricht dem erwarteten Maximalpuls in dieser Höhe und belegt die maximale Intensität bei diesem Test (8). Die vier Puls Leistung, welche unterhalb 140 /min lagen, bedürfen der Diskussion. Die Pulsbestimmung mittels Pulsoxy-metrie ist abhängig vom pulssynchronen Einstrom oxygenierten Blutes in die Fingerkuppe. Kann dieser Einstrom nicht erkannt werden, z. B. wegen Bewegungsartefakten, wird die Pulsfrequenz fälschlich zu niedrig bestimmt. Die korrekte Messung der SaO2 ist dabei dennoch gesichert, denn diese basiert auf der Lichtabsorption des Gewebes (17, 18). Möglicherweise ist Proband Nr. 6, welcher den geringsten Puls Leistung von 109 /min aufwies, nicht mit maximaler Intensität gelaufen, denn seine Zeit ist mit 74 Sekunden langsam und die SaO2 Leistung mit 84 % relativ hoch. Ähnlich liegt der Fall bei Proband Nr. 31 (Puls Leistung: 131 /min; 65 Sekunden, SaO2 Leistung: 86 %). Bei Proband Nr. 15 mit dem zweitniedrigsten Puls Leistung (122 /min) ist hingegen eine Fehlmessung am wahrscheinlichsten, denn mit 54 sec war die Laufzeit schnell und die SaO2 Leistung zeigte mit 78 % einen entsprechenden Sättigungsabfall von 11 %-Punkten (delta SaO2 Start – SaO2 Leistung); das gleiche ist am wahrscheinlichsten bei Proband Nr. 29 (Puls Leistung: 135 /min, 61 Sekunden, SaO2 Leistung: 78 %, delta: 15 %-Punkte). Wir können dies aber ohne zusätzliche Messung der Herzfrequenz nicht beweisen. Anhand der vorgelegten Ergebnisse scheint SaO2 Start keine weitere diagnostische Relevanz zu besitzen, denn sie verhielt sich unterschiedlich. Roach et al.(7) zeigten, dass eine Intensität von 50 % des höhenkorrigierten maximalen Leistungsvermögens die SaO2 signifikant um mehr als 5 %-Punkte senkt. Saito et al. (19) zeigten, dass Arbeit geringer Intensität (10 Kniebeugen) einen akuten Abfall der SaO2 bewirkt; dieser Effekt 137


war nicht mehr nachweisbar, als sich die Trekker an die Höhe akklimatisiert hatten. Er schloss daraus, dass dieser simple Test ein einfach anzuwendendes Verfahren zur Beurteilung der Höhenakklimatisation bei gesunden Personen sein könnte. In unserem Fall ist die Intensität des langsamen Treppabsteigens sicherlich geringer als 50 % des höhenkorrigierten maximalen Leistungsvermögens (Roach), aber mit der Intensität in Saitos Studie vergleichbar (7, 19). Allerdings ist die identische oder sogar höhere SaO2 (Vergleich SaO2 Start zu SaO2 Beginn) in 19 Fällen (53 %) bemerkenswert (Abb. 8, Tab. 1). Der relativ gute Akklimatisationszustand der Probanden nach der Eis- und Gletscherausbildung ist eine mögliche Erklärung dafür. Der vermutete hohe Anteil an Vagotonie in dieser Gruppe von Ausdauersportlern spielt möglicherweise eine weitere wichtige Rolle. Anscheinend erhöht bei einzelnen Personen eine moderate Belastung den Atemantrieb bzw. hemmt im Umkehrschluss Passivität diesen. Bekannt ist in diesem Zusammenhang der erhebliche Sättigungsabfall im Schlaf (6). Die individuell unterschiedlich lebhafte Hypoxic Ventilatory Response spielt hierbei eine bedeutende Rolle (8, 20, 21), sie ist in dem untersuchten Kollektiv jedoch nicht bestimmt worden. Die Zunahme der SaO2 (im Einzelfall bis zu 8 %-Punkte) durch moderate körperliche Betätigung ist enorm und in dieser Dimension nicht erwartet worden (Tab. 1, Abb. 8). Diese Erkenntnis hat Auswirkungen auf SaO2-Messungen in Ruhe bzw. auf deren Interpretation. Bei Ruhemessungen, die dem klinischen Bild nicht entsprechende niedrige Sättigungswerte geben ist es sinnvoll, eine Kontrollmessung nach kurzer, moderater, körperlicher Betätigung (z. B. Herumlaufen) durchzuführen. Zusammenfassend scheint die SaO2-Messung unter Belastung sensitiver zur Beurteilung des individuellen Akklimatisationszustandes zu sein als die Messung in Ruhe. Während die gruppeninterne Differenz (Maximalwert – Minimalwert) der SaO2 in Ruhe (SaO2 Beginn: 9 %-Punkte) und bei niedriger Intensität (SaO2 Start: 11 %-Punkte) noch relativ gering ist, steigt sie bei hoher Intensität (SaO2 Leistung: 26 %-Punkte) deutlich an. Offensichtlich wirkt sich der individuell unterschiedliche Grad der Akklimatisation unter maximaler Belastung viel deutlicher aus als in Ruhe. So lässt sich die mit zunehmender Intensität zunehmende inter-individuelle Spanne innerhalb der Gruppe zwischen den Minimal- und Maximalwerten der SaO2 erklären. Mont Blanc Unsere Ergebnisse, insbesondere die erhebliche Zunahme der inter-individuellen Spanne der SaO2 Mt.Blanc von 29 %-Punkten (Min 61 % - Max 90 %), verdeutlichen wie individuell unterschiedlich die benötigte Akklimatisationszeit ist. Deshalb wird ein Testverfahren benötigt, welches den individuellen Akklimatisationsgrad prüft – besonders wenn in der Höhe verblieben wird. Wir hatten keinen so deutlichen Zusammenhang zwischen dem Ergebnis des Leistungstest und der SaO2 Mt.Blanc erwartet. Auf dem Gipfel spiegelt die insgesamt relativ gering ausgeprägte Höhensymptomatik auf der einen 138


Seite den relativ guten Akklimatisationsgrad aller Probanden wieder. Beleg dafür ist neben der schnellen Zeit für den Aufstieg (unter 6 Stunden ab der Turiner Hütte) die Tatsache, dass alle bis auf eine Person den Gipfel erreichten. Auf der anderen Seite ist die geringe Höhensymptomatik aber auch durch die kurze Verweilzeit auf dem Gipfel (1 Stunde) und die Latenz der Höhenkrankheit (22) bedingt. Hinzu kommt, dass einzelne Punkte des Fragebogentests, wie z.B. die Frage nach der Qualität des Schlafs nicht zum I.S.Mt.Blanc zählten, da niemand übernachtete. Im Median lag die SaO2 Mt.Blanc bei 79 % (61 % - 90 %) und der Ruhepuls bei 95 /min (75 /min – 128 /min). Dies belegt jedoch, dass noch keine vollständige Akklimatisation an diese Höhe vorlag. Für die neun Personen mit einer hohen SaO2 Mt.Blanc (> 85 %) wäre ein längerer Aufenthalt möglich gewesen, im Fall der sechs Personen mit niedriger SaO2 Mt.Blanc (< 70 %) war der Abstieg wegen der Gefahr, eine schwere Form der Höhenkrankheit (z.B. HAPE) zu entwickeln (23) absolut notwendig. Zum Vergleich: Während der deutsch-pakistanischen Forschungsexpedition zum Broad Peak in entsprechender Höhe (4850 m) betrug die mediane SaO2 bei Ankunft 86 % (77 % - 89 %) und nach einer weiteren Akklimatisierungsperiode 89 % (82 % - 93 %) (6). Die Zeitdauer für den Anmarsch in das Basislager betrug 20 Tage. Im Gegensatz dazu ist das zivile Bergsteigen in den Alpen durch einen raschen Aufstieg zum Gipfel, einer kurzen Verweilzeit dort und einem folgenden schnellen Abstieg charakteristisiert. In den meisten Fällen ist der Bergsteiger der hypobaren Hypoxie nicht lange genug ausgesetzt, um an der Höhenkrankheit wegen deren Latenz zu erkranken. Insofern ist es vertretbar, dass die meisten Bergsteiger einen Berg wie den Mont Blanc rasch vom Tal aus innerhalb von 2 bis 3 Tagen besteigen. Von einer Akklimatisation an die Höhe kann dann allerdings keine Rede sein (22, 24). Grundsätzlich verschieden hierzu ist es, wenn in der Höhe verblieben wird. Der neu entwickelte Leistungstest dient diesem Zweck, indem er die Identifikation derjenigen Personen ermöglicht, welche ein erhöhtes Risiko aufweisen, bei einem weiteren Aufstieg höhenkrank zu werden. Grenzwerte Um alle Personen mit mittlerer bis schwerer Höhensymptomatik (I.S.Mt.Blanc > 7) (10) sowie die Person, welche höhenkrankheitsbedingt den Gipfel nicht erreichte, zu erfassen, schlagen wir für den Leistungstest am Standort Turiner Hütte folgende Grenzwerte vor: Laufzeit über 75 Sekunden bzw. eine Sättigung kleiner 65 %. Damit wäre ein Proband (Nr. 5) falsch positiv bestimmt worden (Laufzeit: 75 Sekunden, SaO2 Leistung: 84 %), denn sein I.S.Mt.Blanc von 2 war vernachlässigbar. Betrachtet man seinen hohen Sättigungswert, wäre er möglicherweise in der Lage gewesen 1 Sekunde schneller zu laufen. Auf der anderen Seite bestand besonders für Teilnehmer befreundeter Streitkräfte ein großer psychischer Leistungsdruck, welcher unter Umständen zu einer subjektiven Unterbewertung der Höhensymptomatik führte. Tatsache ist, dass er diesen 139


Lehrgangsteil wegen ungenügender Leistungsfähigkeit nicht bestanden hat, jedoch zuvor in deutlich geringerer Höhe hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit nie auffällig gewesen war. Dies macht AMS als Ursache für seinen offensichtlichen Leistungsabfall wahrscheinlich. Wegen der geringen Anzahl von 36 Fällen dienen diese Grenzwerte derzeit nur als Orientierungshilfe. Unter Umständen wäre ein kombinierter Grenzwert mit fließenden Übergängen sinnvoller. Eine langsame Zeit könnte beispielsweise durch eine höhere Sättigung kompensiert werden und auch umgekehrt. Für diese kombinierte Betrachtung beider Zielgrößen spricht die hochsignifikante Korrelation deren Rangsumme zur Ausprägung der Höhenkrankheit auf dem Gipfel des Mont Blanc.

SCHLUSSFOLGERUNG Der vorgestellte Leistungstest erlaubt vor Ort in noch „sicherer“ Höhe eine zuverlässige Abschätzung des individuellen Akklimatisationszustandes und damit eine Risikobeurteilung für das Auftreten von AMS in größerer Höhe. Derzeit eignet er sich besonders zur Identifikation bereits gut akklimatisierter Personen z. B. für eine Rettungsaktion in größerer Höhe. Geeignete Personen können anhand des Testergebnisses (Abb. 6) aus einer größeren Gruppe ausgewählt werden. Darüber hinaus kann nach „Kalibrierung“ eines entsprechenden Anstiegs, um Referenzwerte zu erhalten, der Leitungstest überall in großer Höhe durchgeführt werden. Je häufiger er an einem Ort durchgeführt wird, je mehr Messungen mit dem jeweiligen Feedback aus größerer Höhe vorliegen, desto einfacher ist die Beurteilung und Interpretation. Idealerweise sollten Grenzwerte mit dazugehöriger Verhaltensempfehlung (weiterer Aufstieg möglich; weitere Akklimatisation auf gleicher Höhe nötig; Abstieg erforderlich) definiert werden. Ist dies der Fall, kann der Leistungstest auch von nicht-ärztlichem Personal durchgeführt werden. Allerdings erfordert die Einbeziehung von Fragebogenergebnis, Ruhe-SaO2, Ruhepuls und Berücksichtigung des körperlichen Untersuchungsbefundes einen höhenmedizinisch erfahrenen Arzt.

Danksagung Die Autoren möchten den Teilnehmern des Heeresbergführerlehrgangs der Bundeswehr und besonders dem Lehrgangsleiter OTL Lösl sowie StFw Schilling für Ihre Unterstützung danken.

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Robb Waanders

S t r e s s u n d d i e A k u t e B e r g - u n d Höhenkrankheit: Ein Modell Stress and Acute Mountain Sickness: A Neuro-Psycho-Somatic Model

SUMMARY The concept of stress has been introduced in psychology and psychosomatic medicine in order to describe the response of biological systems to different types of strain and pressure. Physical stress reactions usually are short-lived and not necessarily detrimental to health conditions. Mild oxygen deprivation (hypoxemia-hypoxia) is a vital physical stressor which triggers an alarm reaction. The adrenal hypothalamus-medulla system is being activated along the fight-or-flight stress axis. Research has shown that the right cerebral hemisphere is predominant in orchestrating the primary alarm reaction. Protective and coping mechanisms are aimed at ensuring adequate oxygen and energy supply to the brain, not unusually at the cost of other organ systems. The symptoms of acute mountain sickness (AMS) are to be considered as the neuro-psycho-somatic stress response to oxygen deprivation. Therefore, individual vulnerability to hypoxemic-hypoxic stress, and by that to AMS, coincides with personality factors of the neurotic loss-of-control dimension. This article presents a neuropsychosomatic stress-model based on those findings. Keywords: hypoxemia, mild AMS, stress, vegetative nervous system, neurotic trait, brain model

ZUSAMMENFASSUNG Der Begriff Stress wurde in die Psychologie eingeführt, um die Reaktionen von biologischen Systemen auf Belastung zu beschreiben. Die Stressreaktionen des Körpers sind gewöhnlich von kurzer Dauer und an sich nicht gesundheitsschädigend. Milder 145


Sauerstoffmangel stellt einen physischen Stressor von existenzieller Bedeutung dar, der eine Alarmreaktion auslöst. Entlang der Fight-or-Flight-Stressachse wird das Hypothalamus-Medulla-System aktiviert. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die rechte Hirnhälfte dominant ist beim Orchestrieren der primären Alarmreaktion. Ziel der Schutz- und Bewältigungsmaßnahmen ist die optimale Sauerstoffversorgung des Gehirns. Dies geht häufig auf Kosten anderer Organsysteme; die Symptome der akuten Berg- und Höhenkrankheit (AMS) sind dementsprechend als Stress zu verstehen. Dabei korreliert die individuelle AMS-, d. h. STRESS-Vulnerabiltität in beträchtlichem Ausmaß mit Persönlichkeitsfaktoren der Neurotizismus-Kontrollverlust-Dimension. Es wird ein Neuropsychosomatisches Stressmodell präsentiert, das diese Erkenntnisse berücksichtigt. Schlüsselwörter: Hypoxämie, akute Berg- und Höhenkrankheit, Stress, vegetatives Nervensystem, Neurotizismus, Hirnmodell

EINFÜHRUNG Stress ist das Bestreben, nach oder während einer Belastung wieder in Balance zu kommen. In bestimmten Belastungssituationen auftretende bzw. von Stressfaktoren ausgelöste Veränderungen im Organismus werden nicht „passiv“ goutiert, sondern mit Prozessen beantwortet, die darauf abzielen, die (neuropsychosomatische) Ausgangslage wieder zu erreichen oder eine stärkere Abweichung von der Ausgangslage zu verhindern. Diese Prozesse umfassen sowohl biologisch-physiologische Anpassungsmechanismen als auch psychische Vorgänge, die als Stressverarbeitungs- oder Stressbewältigungsmaßnahmen (engl. „coping“) bezeichnet werden. Die von einer Person in einer bestimmten Situation eingesetzten Stressbewältigungsmaßnahmen sind dabei als habituelle Personenmerkmale aufzufassen, d. h. sie bleiben über Zeit relativ stabil. Die Annahme der Zeitkonstanz impliziert eine hinreichende Wiederholungszuverlässigkeit über einen längeren Zeitraum. Unter Stressbewältigungsmaßnahmen werden Vorgänge und Prozesse verstanden, die planmäßig oder unwillkürlich, bewusst und/oder unbewusst beim Auftreten von Stress in Gang gesetzt werden, um diesen Zustand zu vermindern. Auslöser von Stress, Stressoren, können physikalischer Natur sein (Kälte, Hitze, Lärm) oder toxische Substanzen (z. B. Zigarettenrauch, Medikamente, Drogen, Pestizide). Psychische Faktoren, etwa bestimmte Einstellungen, Erwartungshaltungen, Ängste und Befürchtungen können auf der emotionalen Ebene Stressoren sein. Somatische Stressparameter betreffen vor allem vegetative Veränderungen im Sinne erhöhter Sympathikusaktivität, sowie endokrine Prozesse im Rahmen einer Aktivierung von Nebennierenmark- und Nebennierenrindenhormonen (Adrenalin, Noradrenalin, Kortikosteroide). 146


Verschiedene Stresstheorien haben versucht, den Zusammenhang zwischen Stressor und Stressreaktion darzustellen. Die Modelle sind mit wachsendem Erkenntnisstand zunehmend komplexer geworden. Nach dem Notfallreaktion-Modell von Walter Bradford Cannon (1914, 1932) reagiert der Organismus unter bestimmten Umständen blitzartig durch die Herstellung einer „Flucht- oder Kampfbereitschaft“. Die Ursprünge des Stressbegriffs gehen primär auf die physiologischen Untersuchungsreihen von Hans Selye (Allgemeines Anpassungssyndrom) zurück. 1936 hatte er den Begriff Stress aus der Physik entlehnt, um damit die „unspezifische Alarm- oder Anpassungsreaktion des Körpers auf jegliche Reizung“ zu benennen. Umstände, Anforderungen und bedrohliche Faktoren wurden von Selye seit Anfang der 1950er Jahre Stressoren genannt, die Gesamtheit an Verteidigungsreaktionen betrachtete er als Stress. Nachgewiesen wurde, dass auf jede Anspannungsphase eine Entspannungsphase folgen muss, da nur bei ausreichender Erholung ein gleichbleibendes Niveau zwischen Ruhe und Erregung gehalten werden kann. Folgen in kurzen Abständen weitere Stressoren, wächst das Erregungsniveau weiter an. Janke (1) definiert Stress als einen Zustand, der als eine Abweichung von dem - zu einem bestimmten Zeitpunkt oder Zeitabschnitt - normalerweise gegebenen Erregungsniveau zu kennzeichnen ist. Das Stressmodell von Henry und Stephens (2) unterscheidet spezifische neuro-physiologische Reaktionen je nach Stresssituation: eine bedrohliche Situation führt entlang der Fight-or-Flight-Stressachse zu einer Aktivitätssteigerung (Arousal) im adrenergen Sympathikus-Medulla-System und somit zur Zunahme der Hormone Adrenalin und Noradrenalin. Ärger (Kampf) führt zu einem Anstieg von Noradrenalin und Testosteron. Kontrollverlust (Niederlage, Unterordnung) dagegen führt entlang einer zweiten Stressachse zur Aktivierung des Hypophyse-Cortex-Systems, d. h. zu Cortisolanstieg und Testosteronabfall. Daraus resultieren Hemmung und Depression. Stressoren lassen sich in drei Kategorien einteilen: physisch (Kat. I), emotional (Kat. II) und kognitiv (Kat. III). Akuter Sauerstoffmangel (HYPOX) stellt eine ernsthafte Bedrohung für den Organismus dar. HYPOX ist ein vitaler Stressor der Kat. I, er führt automatisch zu einer Reihe von Maßnahmen und löst eine akute Belastungs- bzw. Stressreaktion aus. Ziel der Anpassungs- und Kompensationsmaßnahmen ist die Wiederherstellung einer ausreichenden Sauerstoff- und Energieversorgung und zwar primär des Gehirns. Dieses Ziel wird mittels zerebraler Autoregulation „intentionsfrei“ angestrebt, geht aber, wie uns die Selfish Brain Theory klarmacht, meistens auf Kosten anderer Organsysteme (3). In Übereinstimmung mit den drei Stressorkategorien sind unterschiedliche Hirnregionen in die Bekämpfung eines bestimmten Stressors involviert. Während ein Stressor der Kategorie II zu einer Aktivierung von Amygdala und Hippocampus führt, löst ein Stressor-I wie HYPOX eine akute, strikt unkonditionierte Reaktion im Thalamus-Hypothalamus aus. In der Folge kommt es zu erhöhter Sympa147


thikusaktivität, sowie zu endokrinen Veränderungen im Rahmen einer Aktivierung von Nebennierenmark- und Nebennierenrindenhormonen.

FUNKTIONELLE ASYMMETRIE Die rechte Hirnhälfte (RCH) ist gewöhnlich ein wenig größer und schwerer als die linke Hemisphäre (LCH) und hat mehr weiße Substanz als die LCH. Weiters weisen die Temporallappen eine ausgeprägte Asymmetrie auf. Diese Asymmetrie entspricht der funktionellen Asymmetrie des Thalamus im Diencephalon. Die Valenz-Hypothese stellt fest, dass die LCH dominant für positive und die RCH dominant für negativ getönte Emotionen, Empfindungen und Körperzustände ist. Dies gilt sowohl für die Wahrnehmung, als auch für den Ausdruck. Dabei betrifft die Überlegenheit der RCH eher basale Aspekte wie die autonomen Reaktionen (z. B. Blutdruck) auf emotionale Stimuli und Stressoren. Untersuchungen von Otto et al. (4, 5; in 6) belegen eindeutig die Aktivierung der RCH durch aversive Bedingungen wie Depression oder Schmerzen. Patienten mit rechtshirnigen Läsionen tolerieren Schmerzen länger als Kontrollpersonen im Vergleich mit linkshirnig geschädigten Patienten. Der rechte Thalamus wird durch negative Erlebnisse intensiver aktiviert als der linke Thalamus. Die Amygdala, eine limbische Struktur im anterioren Teil des Temporallappens und das Zentrum der „angeborenen“ affektiven Funktionen, zeigt eine vergleichbare Asymmetrie. Stressfaktoren führen durchwegs zu einer deutlich stärkeren Aktivierung (bzw. Überreaktion) der rechten Amygdala (7). HYPOX gilt als starker Stressor. Im Rahmen von Projekt Silberpyramide (8) wurde überprüft, ob sich das EEG unter Hypoxie als prädiktiver Marker für das Auftreten von AMS eignet. Mit jeweils 24 Elektroden, angeordnet nach dem internationalen „10-20“-System, wurden 32 Personen auf 3450 m und 5050 m Höhe untersucht (9). Diejenigen (n=12), die auf 5050 m Symptome der AMS entwickelten, reagierten unter subakut hypoxämischen Bedingungen in 3450 m mit einem signifikanten Anstieg der Delta-Aktivität (T4-Elektrode) in der rechtstemporalen Region, während bei den anderen Personen (non-AMS) eine Abnahme der rechtstemporalen Delta-Aktivität im Powerspektrum verzeichnet wurde. Zusätzlich kam es bei den AMS-vulnerablen Personen zu einem signifikanten Anstieg des Blutflusses in der rechten A. cerebri medialis von 51 cm/s in Baselinehöhe (100 m) auf 58 cm/s in 3450 m und 71 cm/s in 5050 m Meereshöhe (10). Die linksseitigen Flusswerte stiegen nicht an. Eine Quantifizierung der regionalen Sauerstoffsättigung (rSO2) mittels transkranieller Nahinfrarot-Spektroskopie zeigte neben der zu erwartenden generellen Reduktion der cerebralen Sättigung eine Umkehrung des unter Normoxie bestehenden LCH>RCH-Musters: unter HYPOX wurde initial eine höhere Sauerstoffsättigung in den Gefäßen der rechten Hemisphäre gemessen (11). Nachdem sich die Personen an die Höhe angepasst hatten – meistens 148


nach 24 bis 48 Stunden – normalisierte sich das Muster wieder und zeigte die LCH die bessere Sauerstoffsättigung.

INDIVIDUELLE AMS-VULNERABILITÄT Die cerebrale Antwort auf Hypoxämie beneuropsychosomatic stress model steht aus einer Aktivierung der RCH. Der R. Waanders 2009 zentrale Mechanismus umfasst neben dem STRESSOR anterioren Temporallappen die tiefen, lim▼ bischen Strukturen des Thalamus-Hypomechanism coping mechanism genetics thalamus, des Corpus amygdaloideum early experience mild to mod. ◄ neurotic trait ► severe (Mandelkern) und des Hippocampus. Die anticipatory anticipatory Aktivierung der rechtshirnigen Strukturen anxiety anxiety ▼ ▼ der Fight-or-Flight-Stressachse hat eine threat to STRESSOR loss of vegetative bzw. neuropsychosomatische control SENSING control ▼▼▼ ▼▼▼ Symptomatik zur Folge (Abb. 1). In der REACTION Fight-or-Flight Depression Höhe ist uns diese Symptomatik unter dem short-term sustained defense withdrawal Namen Acute Mountain Sickness, Höhenresponse behaviour ▼ ▼ bzw. Bergkrankheit bekannt. Menschen unright HEMISPHERE left terscheiden sich dabei in ihrer Vulnerabilität ▼▼▼ ▼▼▼ arousal inhibition für den Stressor HYPOX, die individuelle stress-axis stress-axis ▼▼▼ ▼▼▼ AMS-Anfälligkeit ist nicht ausschließlich activation of: ▼ physiologischer Natur. Neuropsychologiamygdala activation of: thalamus SUBCORT. amygdala sche Faktoren, die sich auf die emotionale, hypothalamus BRAIN hippocampus form. reticul. STRUCTURE septum affektive Struktur einer Person beziehen, hypophysis vegetative spielen eine große, wenn nicht dominante ▼▼▼ nervous▼ system Rolle bei der Entstehung von AMS. An ers▼▼▼ ▼ ter Stelle steht die sogenannte Angst-VeranAUTONOMIC sympathetic ↑ sympathetic ↔ parasymp. ↔ NERVOUS SYST. parasymp. ↑ lagung oder „Ängstlichkeit als Eigenschaft“ ▼▼▼ ▼▼▼ adrenalin ↑ ACTH ↑ (engl. Trait-Anxiety; ANXT). Menschen cortisol ↔ HORMONES cortisol ↑ mit ausgeprägtem ANXT-Faktor reagieren serotonin ↑ serotonin ↓ testoster. ↑ testoster. ↓ früher und insgesamt intensiver auf den noradren. ↑ catecholam. ↔ ▼▼▼ ▼▼▼ Stressor HYPOX als Personen mit geringer frontotemp. LOBE frontal rCBF ↑ BLOOD FLOW rCBF ↓ Angst-Veranlagung (12, 13, 14). Diese Er▼ ▼ kenntnis führt zu folgender Hypothese: Je alpha ↔ EEG alpha ↓ größer der individuelle ANXT-Faktor ist, theta ↑ delta ↑ desto stärker fällt die RCH-Aktivierung der Fight-or-Flight-Stressachse und somit die Abb. 1: Neuropsychosomatisches StressAMS-Symptomatik unter HYPOX aus. modell nach R. Waanders 149


METHODE In Nepal wurden 14 Europäer (8) während der Besteigung des Imja Tse (6189 m, Khumbu-Region) bzw. ebenfalls 14 Probanden (15) während der Besteigung des Chulu West Peaks (6419 m, Damodar Himal) auf ihre Akklimatisation hin untersucht. Nach dem Überschreiten der Schwellenhöhe (2500 m) fand zweimal täglich eine Evaluation der Höhenanpassung mittels AMS-Score nach Lake Louise (1993) statt, sowie eine Messung der Herzfrequenz (HR) und der peripheren Sauerstoffsättigung (SpO2) per Pulsoxymeter. Bei Bedarf konnte eine umfassendere ärztliche Untersuchung durchgeführt werden. Im Vorfeld wurde unter Berücksichtigung des Geschlechts der individuelle ANXT-Faktor (engl. Trait-Anxiety) der Teilnehmer mittels STAI (Summen-Rohwert und Prozentrang im State-Trait-Angstinventar; 16) bestimmt. Zusätzlich war ein ausführlicher Anamnesebogen bzgl. den alpinistischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, sowie eventuell (vor)bestehende gesundheitliche Beschwerden oder Krankheiten auszufüllen und mit Unterschrift zu bestätigen. Alle Probanden wurden über die wissenschaftlichen Ziele aufgeklärt und gaben eine schriftliche Einverständniserklärung (informed consent) ab.

ERGEBNISSE Die Imja Tse-Gruppe besteht aus 4 Frauen und 10 Männern aus Österreich und Deutschland. Der mediane ANXT-Rohwert nach Spielberger beträgt 32 (PR 50,5), der arithmetische ANXT-Mittelwert der 14 Probanden liegt bei 33,63 ± 7,26 (PR 47,88; Tab. 1a) bei einem Minimum von 24 (PR 6) und einem Maximumwert von 49 (PR 92). Für das Imja-Team beträgt die Korrelation zwischen dem ANXT-Rohwert und dem durchschnittlichen AMS-Abendscore 0,74 (p < 0,01; Abb. 2), die Korrelation mit den AMSFrühwerten 0,13 (Tab. 1b). In der Chulu West-Gruppe befinden sich 6 Frauen und 8 Männer aus Österreich und Deutschland. Der mediane ANXT-Rohwert beträgt 28 (PR 24), der arithmetische ANXT-Mittelwert der 14 Probanden liegt bei 29,36 ± 7,73 (PR 30,21; Tab. 1a) bei einem Minimum von 21 (PR 1) und einem Maximum-Rohwert von 46 (PR 87). Im Chulu-Team beträgt die Korrelation zwischen dem ANXT-Rohwert und dem durchschnittlichen AMS-Abendscore 0,72 (Tab. 1b), während die Korrelation mit dem AMSSumscore 0,79 beträgt. Zwischen dem ANXT-Prozentrang und dem AMS-Score r = 0,82 (t = 5 und überschreitet den kritischen t-Wert (4,318) für p < 0,001 bei v = 14 - 2 = 12 Freiheitsgraden; Abb. 3). Dieser hoch signifikante Korrelationskoeffizient indiziert einen direkten Zusammenhang zwischen den beiden Variablen ANXT und AMS. Die Werte der Herzfrequenz (HR) und der peripheren Sauerstoffsättigung (SpO2) korrelieren im Imja-Team kaum und in der Chulu-Gruppe schwach mit den ANXT-Werten oder den AMS-Scores (Tab. 1c). So beträgt die Korrelation im Chulu West-Team zwi150


schen HR und ANXT -0,27, zwischen SpO2 und ANXT -0,40. Ähnlich verhalten sich die Korrelationen zwischen HR und AMS (0,24) bzw. zwischen SpO2 und AMS (-0,52). Tab. 1a Tab. 1a Imja ANXT- ANXT- ANXT- Chulu ANXT- ANXT- ANXTTse TͲWert West Rohwert TͲWert Rohwert PR PR MED

32,00

50,50

49,50

MED

28,00

24,00

43,00

MW

33,63

47,88

49,19

MW

29,36

30,21

42,43

SD

7,26

26,56

8,29

SD

7,73

28,69

10,32

MIN

24

6

35

MIN

21

1

28

MAX

49

92

64

MAX

46

87

62

Tab. 1b Imja Tse

AMS-

AMS-

AMS-

Abend

Früh

MED

0,19

0,29

0,24

MW

0,24

0,35

0,30

SD

0,22

0,27

MIN

0

MAX

0,67

Korr.

0,74*

Tab. 1c

AMS-

Früh

Gesamt

MED

0,38

0,64

0,50

MW

0,54

0,96

0,70

0,20

SD

0,58

0,76

0,57

0

0

MIN

0

0,27

0,17

0,88

0,78

MAX

2,29

2,64

2,15

0,72*

0,69*

0,79*

0,13*

HR

SpO2 Abend

MED

78,55

88,20

MW

81,25

88,41

SD

8,73

2,39

MIN

64,3

83,7

MAX

95,7

91,8

-0,14* 0,20Ɔ

-0,04* -0,21Ɔ

AMS-

AMS-

Abend

Abend

Imja Tse

Korr. Korr.

Tab. 1b Chulu West

0,49

¨

Korr.

Tab. 1c

Chulu West

HR Gesamt

SpO2

81,00

91,00

MW

82,04

89,89

SD

10,10

7,25

MIN

62

73

MAX

110

99

-0,27* 0,24Ƈ

-0,40* -0,52Ƈ

Gesamt

MED

Korr. Korr.

0,82* (PR)

* Korrelation des Parameters mit dem ANXT-Rohwert � Werte beruhen auf den arithmetischen AMSͲSumscores: (Abend+Früh)/2 � Korrelation des Parameters am Abend mit dem AbendͲAMSͲScore (n=14; 19 Messungen) � Korrelation des Parameters mit dem GesamtͲAMSͲScore (n=13; 3 Messungen)

Tab. 1: Korrelationen des ANXT-Faktors mit dem LLS-AMS-Score, der HR und der SpO2 im Imja Team (n=14) und Chulu West Team (n=14) 151


DISKUSSION Bereits in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts nahmen bestimmte Autoren an, dass AMS die natürliche Antwort des Körpers auf Vorgänge im ZNS darstellt. Slater und Roth machten Stress für die Symptome der AMS verantwortlich (17): „The principal symptoms of AMS are generally indistinguishable from the normal responses to mental or physical stress, which, in turn, are variably dependent on many (psychological) factors such as motivation, expectation and personality“. Heath und Williams (1977) kamen zum Schluss, dass diese „psychologischen Aspekte” zweifelsohne an der Entwicklung von AMS beteiligt sind, konnten sich aber nicht vorstellen, dass man auf der Basis von Persönlichkeitsaspekten das Verhalten und die Reaktionen von Menschen in der Höhe vorhersagen kann. Olive und Waterhouse (1979) untersuchten die 17 Teilnehmer einer Britischen Himalaja-Expedition mit drei standardisierten Persönlichkeitsbögen. Sie konnten keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen den Werten in den Tests und einer Liste von selektierten klinischen Symptomen wie Kopfweh, Übelkeit oder Cheyne-Stokes-Atmung feststellen. Jedoch hatten individuelle Persönlichkeitsfaktoren Einfluss auf die Selbsteinschätzung der Schwere einer AMS. Personen mit einer diagnostizierten AMS zeigten des Weiteren höhere Werte auf dem Neurotizismus-Faktor (N-Skala) nach H. J. Eysenck. Dieser Faktor steht für „Stabilität bis Instabilität“, die N-Persönlichkeitsdimension ist sehr eng mit dem angeborenen Grad der „Labilität des

AMS-Score Imja-Team (PSP-2002) 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0

r = 0,74 20

25

30

35

40

45

50

ANXT (Rohwert) Abb. 2: Korrelation ANXT-Faktor und LLS-AMS-Score im Imja Tse Team (r = 0,74; p < 0,01). Die Y-Achse repräsentiert das durchschnittliche Ergebnis des Abendprotokolls (Foto: R. Waanders) 152


autonomen Nervensystems“ verbunden. Die N-Skala repräsentiert dabei ebenfalls eine „negativ gefärbte emotionale Grundhaltung“, sie zeigt eine signifikante Korrelation mit dem individuellen Angstwert (18). Einen mehr oder weniger klaren Zusammenhang zwischen „negativen Affekten“ und dem Auftreten von AMS wurde seit dem Anfang der 1990er Jahre immer wieder nachgewiesen. So berichten Shukitt-Hale et al. (1991) über den Einfluss von Stimmungslabilität und Crowley et al. (19) von negativen Stimmungen auf das Entstehen der Höhenkrankheit. Verschiedene französische Forscher gehen noch einen Schritt weiter. Sie stellen fest, dass „individuals susceptible to AMS are significantly more anxious than those who were not susceptible“ und kommen zum Schluss, dass Angst – gemessen mit Spielbergers State-Trait-Anxiety Inventar - ein guter psychologischer Prädiktor bzgl. dem Auftreten von AMS ist (12, 13, 20). In einer Unterdruckkammer-Studie gelingt Hildebrandt et al. (14) der Nachweis, dass Personen mit größerer Ängstlichkeit unter HYPOX die Symptome der AMS verstärkt erleben. Nach nur vier Stunden in der hypobaren Kammer beträgt die Korrelation zwischen dem Lake-Louise AMS-Score LLS und dem individuellen ANXT-Faktor im Spielberger State-Trait-Anxiety Inventar 0,61 (p < 0,01). In den beiden hier präsentierten Studien Imja Tse (2003) und Chulu West (2008) konnten unter Feldbedingungen signifikante Korrelationen zwischen 0,74 (ANXT mit LLS am Abend) und 0,82 (Prozentrang ANXT mit dem LLS am Chulu) berechnet werden,

AMS-Score (CHULU WEST-2008) 2,5

2

1,5

1

0,5

r = 0,82

0 0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

50

55

60

65

70

75

80

85

90

95

ANXT (PR)

Abb. 3: Korrelation ANXT-Faktor (Prozentrang) und LLS-AMS-Score im Chulu West Team (r = 0,82, t = 5, p < 0,001). Die Y-Achse repräsentiert das durchschnittliche Ergebnis des Abend- und Frühprotokolls (Foto: D. Neumann) 153


während die Korrelationen des ANXT-Faktors mit den Parametern Herzfrequenz und SpO2 deutlich geringer ausfielen oder im Falle der HR kaum existierten. Die gesamte Datenlage spricht somit für einen klaren und höchst signifikanten Einfluss der psychophysiologischen Größe „Angst“ auf die Entwicklung und Intensität von Symptomen der AMS. Eine Erklärung für den „zwingenden“ Zusammenhang zwischen AMS und der Persönlichkeitsdimension Angst bietet uns das Neuropsychosomatische Stressmodell in Abbildung 1. Der Stressor HYPOX aktiviert eine Reihe von Bewältigungsmaßnahmen: subakute Hypoxie führt bei entsprechend vulnerablen Personen, noch bevor etwaige Symptome der AMS erkennbar werden, zu einer Steigerung des Blutflusses in der rechten A. cerebri Medialis (10), sowie zu einem signifikanten Anstieg der Delta-Aktivität (T4-Elektrode) in der rechtstemporalen Region (9, 21). HYPOX stellt eine potentiell bedrohliche Situation für das „Selfish Brain“ dar und führt entlang der Fight-or-FlightStressachse zu einer Aktivitätssteigerung (Arousal) im adrenergen und serotinergen Sympathikus-Medulla-System. Das Gehirn stellt somit seine eigene optimale Sauerstoff- und Energieversorgung auf Kosten der inneren Organsysteme in den Vordergrund (3). Innerhalb des Modells der Stress-Bewältigungsmodi wird Arousal (Vigilanz) als eine Klasse von Bewältigungsstrategien definiert, die mit dem Ziel eingesetzt werden, in bedrohlichen Situationen Unsicherheit (loss of control) zu reduzieren oder deren weiteren Anstieg zu begrenzen. Der Stressor HYPOX löst, in Abhängigkeit der vorbestehenden individuellen „Arousal-Einstellung“ des Gehirns, welche dem Ausmaß des ANXT-Faktors entspricht, eine entsprechend starke Coping-Maßnahme aus mit dem Ziel, seine Sauerstoffversorgung zu gewährleisten. Die Symptome der akuten Berg- und Höhenkrankheit sind das Resultat, oder anders gesagt: AMS ist eine Form von Stress, ist die Folge eines „Selfish Brain“, das mittels CO2PING-Maßnahmen die potentiell schädlichen Auswirkungen einer Hypoxie (cerebrale Ödembildung; Hirnorganisches Psychosyndrom; Neurologische Defizite) zu verhindern versucht. Die Intensität dieses CO2PINGS ist dabei in recht hohem Ausmaße an unsere neurotische Persönlichkeitsdimension gekoppelt: Je größer der individuelle ANXT-Faktor, umso ausgeprägter fällt die RCH-Aktivierung der Fight-or-Flight-Stressachse und somit die AMS-Symptomatik aus.

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Wolfgang Domej, Günther Sc hwaberger, Clemens Pietsch

H ö h e n t a u g l i c h k e i t bei r e sp i r a t o r i s c h e n Vo r e r krankungen

Altitude Tolerance in Pre-Existing Pulmonary Diseases

SUMMARY High-altitude medicine becomes clinically relevant mainly when we want to know exactly what patients can expect at high altitudes. Nowadays, when there is a demand for calculation of health risks in all areas of life, we must also be able to predict hypoxia and altitude tolerance, especially in patients with chronic respiratory diseases. This applies to both travel and high-altitude medicine. As a rule, an individual prediction of altitude tolerance, i.e. respiratory function at a specified altitude can be made with pulmonary function tests combined with hypoxic provocation tests under normobaric and hypobaric conditions. At high altitudes, however, there will always be some residual risks due to unforeseen individual and climatic factors. Keywords: Pre-existing pulmonary disease, hypoxia tolerance, tolerance of high-altitude

ZUSAMMENFASSUNG Alpinmedizin erhält spätestens dann klinische Relevanz, wenn wir genau wissen wollen, was Patienten erwartet, wenn sie beispielsweise in große Höhen vordringen möchten. Eine Prädiktion der Hypoxie- und Höhentauglichkeit, insbesondere bei Patienten mit chronisch respiratorischen Vorerkrankungen, ist in Zeiten, in denen kalkulative Forderungen des gesundheitlichen Risikos in sämtlichen Lebensbereichen gestellt werden, unumgänglich geworden. Dies gilt für die Höhenmedizin gleichermaßen wie für die Reisemedizin. Mit den heutigen Möglichkeiten individueller Abschätzung der respiratorischen Funktion auf einer bestimmten Höhe durch lungenfunktionelle Voruntersuchungen in Kombination mit hypoxischen Provokationsmethoden unter normobaren oder hypobaren Bedingungen kann in der Regel der Forderung nach individueller Prä157


diktion der Höhentauglichkeit entsprochen werden. Dennoch bleibt für große Höhen auf Grund unvorhergesehener individueller sowie klimatischer Faktoren ein Restrisiko bestehen. Schlüsselwörter: Präexistente pulmonale Erkrankungen, Hypoxietoleranz, Höhentoleranz

EINLEITUNG Die Frage nach der Höhenverträglichkeit ist wahrscheinlich so alt wie der Höhentourismus selbst. Wurde früher die Hypoxie- und Höhentauglichkeit rein empirisch beantwortet, so geht heute der Trend in Richtung immer genauerer Vorhersagen. Gefragt sind zuverlässige Prädiktoren der Höhentauglichkeit bei Gesunden wie auch Patienten, beispielsweise einer Vorausabschätzung der respiratorischen Funktion nach Resektion eines Lungenlappens unter Zuhilfenahme verschiedener prädiktorischer Parameter. Das Risiko höhenatmosphärischer Bedingungen soll auch bei Menschen mit chronischen Erkrankungen kalkulierbar werden. Höhenklimatische Bedingungen sind jedoch häufig inkonstant, zudem ist der Mensch selbst nicht immer in seinem Verhalten einschätzbar. Die Höhentauglichkeit respiratorischer Patienten kann daher auch heute nur durch ein Puzzle funktionsanalytischer Untersuchungen mit Graduierung der respiratorischen Funktionseinschränkung einigermaßen abgeschätzt werden. Eine der wichtigsten Eigenschaften im Zusammenhang mit der respiratorischen Höhenanpassung ist eine adäquate Steigerung des Atemminutenvolumens (V’E) zur Kompensation des verminderten inspiratorischen (piO2) bzw. des alveolären Sauerstoffpartialdruckes (PAO2). Probleme sind daher bei all jenen Personen mit respiratorischen Erkrankungen zu erwarten, die bereits auf Normalhöhe eine Ruhehypoxämie aufweisen bzw. zu keiner weiteren Steigerung ihrer Ventilation fähig sind. Die Steigerung der Ventilation (V’E) beim Gesunden reicht bis etwa 6.300 m und nimmt dann Richtung extremer Höhen kontinuierlich ab, obwohl bzw. weil die Atemfrequenz noch weiter zunimmt (1). Daraus kann man erkennen, dass sich das Atemzugvolumen (AZV, VT) progressiv verkleinert. Gleichzeitig erfolgt die Atmung auch beim Gesunden auf einem erhöhten inspiratorischen Niveau ähnlich wie beim Lungenemphysem. Der Effizienzgrad der Atmung nimmt daher mit zunehmender Höhe ab. Der sich rasant entwickelnde Höhentourismus, die oftmals fernen Destinationen weit außerhalb medizinischer Infrastruktur, die Begehrlichkeiten nach außergewöhnlichen Zielen und die heute touristischen Reisemöglichkeiten zu hochgelegenen Kulturstätten bringen es mit sich, dass alpinmedizinische Beratung und Empfehlungen zur Risikominimierung in großen Höhen immer mehr an Bedeutung gewinnen (2, 3). Für eine ganze Reihe respiratorischer Erkrankungen ist die Höhen- und Hypoxietole158


ranz von großer Bedeutung, zumal die mit der Sauerstoffaufnahme verbundene Leistungsfähigkeit in großen Höhen nicht durch die Herz-Kreislauffunktion, sondern allein durch die respiratorische Funktion limitiert wird. Die V’O2max als Maßstab aerober Leistungsfähigkeit nimmt beim Gesunden ab 1.500 m um etwa 10% pro weiterer 1.000 m ab. Menschen mit hypoxämischen, respiratorisch bedingten Erkrankungen haben daher in der Höhe per se bezogen auf die Leistungsfähigkeit schlechtere Karten. Aber es geht darüber hinaus auch um prädiktive Aussagen einer graduellen Verschlechterung der respiratorischen Funktion durch körperliche Belastung unter entsprechenden höhenatmosphärischen Bedingungen. In diesem Zusammenhang ergibt sich natürlich die Frage, in welchem Ausmaß und wie lange bei präexistenten respiratorischen Erkrankungen die notwendige Ventilationssteigerung in der Höhe aufrecht erhalten werden kann. Im Vorfeld eines geplanten aktiven oder passiven Aufstieges in große Höhen bzw. Höhenaufenthaltes sollte der Grad und die Variabilität (stabiles/instabiles Krankheitsbild) der respiratorischen Funktionseinschränkung, das Erkrankungsstadium und etwaige zusätzliche Morbiditäten auf Normalhöhe evaluiert werden (Abb. 1). Respiratorische Erkrankungen mit assoziierter Hypoxämie bereits auf Meeresspiegelniveau werden sich mit größter Wahrscheinlichkeit in der Höhe verschlechtern. Chronisch-respiratorisch Kranke, deren arterieller Sauerstoffpartialdruck (paO2) auf Normalhöhe vorweg bereits im Bereiche des steilen Abschnittes der Sauerstoffdissoziationskurve (ODC) liegt, sind durch die größere O2-Desaturation des Hämoglobins in der Höhe besonders von der Hypoxie betroffen (Abb. 1).

Abb. 1. Für eine alpinmedizinische Beratung relevante Fragen 159


Darüber hinaus sollten die Ziele (welche Höhe, Kurz- oder Langzeitaufenthalt, aktiver oder passiver Höhenaufstieg, medizinische Notfallversorgung etc.) genau definiert werden. Auch die Alpinerfahrung des Einzelnen, Selbsthilfemöglichkeiten bei Erkrankungsexazerbation und Höhenunverträglichkeitsreaktionen in der Vergangenheit (Akute Bergkrankheit/AMS, Höhenlungenödem/HAPE) sollten erhoben werden (Abb. 1). Die Hypoxietoleranz kann insbesondere bei akuten respiratorischen Ereignissen deutlich herabgesetzt sein. Dies wird am Bespiel eines 40-jährigen Ausdauersportlers (Radfahrer, Bergsteiger, Schitourengeher) deutlich, der sich vor der geplanten Besteigung des Monte Rosa (4.553 m) einen respiratorischen Infekt (Rhinosinusitis) mit nasaler Kongestion zugezogen hatte. Trotz deutlicher katarrhalischer Symptome und subfebriler Temperaturen ließ er sich von der geplanten Bergtour nicht abhalten. Nach raschem Aufstieg unter Benützung einer Aufstiegshilfe und unruhigem Nachtschlaf auf 3.647 m fühlte er sich am nächsten Morgen außergewöhnlich unwohl und schwach. Nach Fortsetzung des für ihn extrem mühsamen Aufstieges kam es nach etwa einer Stunde in 4.000 m Höhe zu massiven respiratorischen Problemen verbunden mit feuchten RGs und schwerer Ruhedyspnoe und schließlich zum Aus. Mit Kameradenhilfe gelang der unmittelbare selbständige Abstieg und per Seilbahn konnte der Talort relativ rasch wieder erreicht werden (4).

Abb. 2. Kurzfristig verminderte Hypoxietoleranz bei akuter Sinusitis mit konsekutivem Höhenlungenödem (4) 160


8 Stunden nach diesem Ereignis zeigte das Thorax-Röntgen ein rechtsseitiges, schlaflageabhängiges HAPE, nach weiteren 2 Tagen Schonung eine völlige Klärung der Thoraxpathologie (Abb. 2). Dieses Beispiel zeigt, dass selbst nach banalen Infekten bei ansonst völlig Gesunden die Hypoxietoleranz signifikant und nachhaltig herabgesetzt sein kann und es infolgedessen rasch zu einer äußerst kritischen Situation kommen kann, von der Störung der Gruppendynamik einmal ganz abgesehen. Andererseits kann die Hypoxietoleranz bei chronisch-respiratorischen Erkrankungen infolge eines sich über längere Zeit entwickelnden Adaptationsprozesses deutlich erhöht sein, was nachfolgendes Beispiel dokumentiert: Ein 74-jähriger Exraucher (80 packs/year) wollte trotz rechtsseitiger Pneumonektomie, Perikardektomie und Rekurrensparese (wegen eines Plattenepithelkarzinoms) eine 2-stündige Flugreise antreten, wobei ihm vorweg die Gabe von supplementärem Sauerstoff seitens der Fluggesellschaft vorgeschlagen wurde, die er allerdings vor den anderen Flugreisenden als unangenehm und unangemessen empfand. Zu Hause hatte der Patient noch keine Sauerstofflangzeittherapie (LTOT), obwohl eine respiratorische Partialinsuffizienz in Ruhe vorlag. Die arteriellen Ruheblutgase waren knapp innerhalb der Richtlinien der entsprechenden Fluggesellschaft; diese empfahl jedoch auf Grund des Gesamtstatus des Patienten das Mitführen von supplementärem Sauerstoff. Auf Grund des psychologischen Druckes des Patienten wurde seinem Wunsche letztlich seitens seiner Ärzte entsprochen und die Tauglichkeit für einen

Abb. 3. Pneumonektomie und 2-stündiger Linienflug: hohe Hypoxietoleranz infolge chronischer Hypoxieanpassung über Jahre bei restriktive Ventilationsstörung und respiratorischer Partialinsuffizienz in Ruhe 161


2-stündigen Flug ohne O2-Applikation unter Bedenken bestätigt; Sowohl der Hin- als auch Rückflug verliefen jedoch völlig unproblematisch. Der Patient tolerierte mit nur einer Lunge den Kabinendruck von maximal 2.400 m ohne jegliche respiratorische Probleme und war anschließend seinen betreuenden Ärzten ungemein dankbar (Abb. 3). Im Falle einer Komplikation an Bord der Maschine wäre die rechtliche Situation und der Ausgang eines Rechtsstreites allerdings von ungewissem Ausgang gewesen. Bis in geographische Höhen von 2.400 m (8.000 ft.) geht die Höhentauglichkeit im Großen und Ganzen mit der Flugtauglichkeit in druckkompensierten Luftfahrzeugen Hand in Hand, das bedeutet, dass selbst bei Flughöhen >10.000 m der Kabineninnendruck nicht unter den in 2.400 m Höhe vorherrschenden atmosphärischen Druck absinken darf (5). In diesem Zusammenhang ist es auch verständlich, dass diverse Fachgesellschaften sowie Fluggesellschaften Empfehlungen bezüglich respiratorischer Mindesterfordernisse auf Flugreisen veröffentlicht haben, die allerdings nur minimal voneinander abweichen.

OBSTRUKTIVE LUNGENERKRANKUNGEN A) COPD Auf Grund hoher COPD-Prävalenz treten auch viele Patienten großteils im Rahmen passiver Höhenaufstiege (Seilbahn, Eisenbahn, Bus, Auto, Flugzeug) mit den höhenatmosphärischen Bedingungen großer Höhen (2.500 - 3.500 m) in Kontakt (6, 7, 8, 9, 10). Wegen verschiedener physiologischer Probleme und funktioneller Einschränkungen von COPD-Patienten wie beispielsweise eingeschränkter Kraftentwicklung der respiratorischen Muskulatur, verminderter Gasaustauschfläche infolge eines sekundären Lungenemphysems, erhöhter Atemwegswiderstände bzw. sekundär pulmonalarterieller Druckerhöhung, die alle einer erhöhten Anforderung an die respiratorische Funktion entgegen stehen können, wäre bei dieser Patientengruppe vor einem Aufenthalt in großer Höhe ein entsprechendes Voruntersuchungsprogramm sehr zu empfehlen (11, 12, 13, 14, 15). Untersuchungen zu obstruktiven Erkrankungen (Asthma bronchiale und COPD) unter reellem Höheneinfluss betreffen überwiegend asthmatische Kinder in mittlerer Höhe. Es ist studienmäßig belegt, dass ein Langzeitaufenthalt in der Höhe von COPD-Patienten mit erhöhter Mortalität und höherer Inzidenz für Cor pulmonale verbunden ist. So soll die COPD-Mortalität um den Faktor 1:100.000 für jeweils 100 m dauerhafte Aufenthaltshöhe ansteigen und Patienten in bereits jüngeren Jahren und nach kürzerer Erkrankungsdauer versterben als vergleichsweise auf Meeresspiegelhöhe (16, 17). Ein Langzeitaufenthalt bzw. permanenter Aufenthalt von COPD-Patienten in großen Höhen dürfte wegen des potentiellen Risikos nicht unproblematisch sein. 162


In Bezug auf eine kurzzeitige Höhenexposition stellt sich bei COPD die Frage, ob Patienten gegebenenfalls unter höhenhypoxischen Bedingungen einen adäquaten arteriellen Sauerstoffpartialdruck aufrecht erhalten können oder ob sie dazu supplementären Sauerstoff benötigen. Zu dieser Frage findet sich eine einzige Studie, bei der 8 COPDPatienten (durchschnittlicher FEV1 1.27 l auf 1.900 m) untersucht wurden. Der paO2 fiel 3 Stunden nach Ankunft in der Höhe von 66 mmHg auf Meeresspiegelniveau auf 54 mmHg. Es ist bemerkenswert, dass bis dato in keiner weiteren Studie die Höhenverträglichkeit von COPD-Patienten im Rahmen kurzzeitiger Höhenaufenthalte untersucht wurde. Davon abgesehen, gibt es jedoch reichlich Literatur zum Thema COPD und Hypoxämie im Flugreiseverkehr. Ein paO2von 50 mmHg ist dabei jener Schwellenwert, der auch im kommerziellen Flugtourismus nach den Richtlinien der American Thoracic Society bei einem Kabinendruckäquivalent von 2.348 m (8.000 ft.) nicht unterschritten werden darf (18, 19). Die Aerospace Medical Association (20) definiert diese Schwelle mit 55 mmHg, wobei auch dabei keine Begründung dieser willkürlich gewählten Grenze angeführt wird. Allerdings sind nach diesen Vorgaben zumindest Werte der Sauerstoffsättigung des Hämoglobins (SaO2) gewährleistet, die über dem steilen Abschnitt der Sauerstoffdissoziationskurve liegen (Abb. 1). Bei einem paO2 < 50 mmHg während eines Fluges ist demnach supplementärer Sauerstoff indiziert, logischerweise auch bei terrestrischen Reisen in große Höhen. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage nach einer möglichen Prädiktion des paO2 in der Höhe. Gong und Mitarbeiter waren die ersten, die sich mit diesem Problem auseinandersetzten. Sie verwendeten eine standardisierte Höhensimulations-Testung (HAST) mit fallenden FiO2-Anteilen der Atemluft entsprechend einer bestimmten Höhe zur groben arteriellen paO2-Prädiktion von COPD-Patienten (Tab. 2) (10). Gong kam dabei zum Schluss, dass mit 90%-iger Wahrscheinlichkeit bei COPD-Patienten, die auf Meeresspiegelniveau einen paO2 zwischen 68 und 72 mmHg aufweisen, in 2.348 m Höhe ein paO2 ≥ 55 mmHg erwartet werden kann; damit würden solche Patienten gerade noch nicht unter die Grenze der empfohlenen Verabreichung von supplementärem Sauerstoff fallen. Aerospace Medical Association setzt einen Meeresspiegel-paO2 von 73 mmHg fest, bei dem sicheres Fliegen bis zu einem maximal erlaubten Druckhöhenäquivalent von 2.348 m gewährleistet sei (20). Immerhin fand Christensen bei 15 COPD Patienten mit einem durchschnittlichen paO2-Ausgangswert von 70 mmHg bei 33% der Patienten einen Abfall auf ≤ 50 mmHg in 2.348 m sowie bei ≤ 66% in 3.048 m Höhe (12). Einige Untersucher versuchten die Präzision der Prädiktion durch Aufnahme des FEV1 als dynamischen Lungenfunktionsparameter noch weiter zu erhöhen (6) (Abb. 4). Diese Prädiktionen beziehen sich auf COPD-Patienten mit niedrigen Krankheitsstadien und gelten nicht für hyperkapnische Patienten, für die im Zusammenhang mit Höhenexposition keinerlei Erfahrungen vorliegen. 163


Abb. 4. Vorausberechnung des paO2 bei COPD-Patienten in der Höhe (5, 6, 12) SL Sealevel: Alt altitude Eine Höhenexposition kann auch eine bestehende Bronchialobstruktion respektive den Atemwegswiderstand beeinflussen. Rein theoretisch verbessert sich die Konvektion der Atemluft in den Atemwegen mit abnehmender Luftdichte in der Höhe. In einem hypobaren Kammerversuch mit 10 COPD-Patienten (Ø FEV1/FVC 50%) und einem Druckäquivalent von 5.488 m ergab sich ein durchschnittlicher Abfall der forcierten Vitalkapazität (FVC) von 2.97 auf 2.72 L, während sich der FEV1/FVC von 50 auf 57% verbesserte; zudem erhöhte sich die maximale willkürliche Ventilation (MVV) von 60 auf 73 L min-1 und der exspiratorische Spitzenfluss (PEFR) stieg von 1.45 auf 1.55 L sec-1 (21). Dillard und Mitarbeiter fanden dagegen bei 18 COPD-Patienten mit einer Einsekundenkapazität ≤ 30% keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf Vitalkapazität, FEV1, MVV oder PEFR in 2.348 m (8.000 ft.) (6). Etliche Studien weisen in die Richtung, dass eine Hypoxämie die Bronchialobstruktion bei manchen COPD-Patienten verschlechtern kann (22). Auch die Lufttemperatur sowie Luftbewegung nehmen Einfluss auf den Atemwegswiderstand von COPD-Patienten. So fiel der FEV1 bei 20 COPD-Patienten, die einer Temperatur von -17° ausgesetzt wurden, um knapp 10% (23). Im Rahmen der Gasausdehnung unter hypobaren Bedingungen besteht zwar die theoretische Möglichkeit, dass große Emphysemblasen ihr Volumen expandieren und ggf. rupturieren. Diesbezüglich gibt es in der alpinmedizinischer Literatur allerdings keinerlei Hinweise, so dass man unter einem langsamen Luftdruckabfall sowie vorausgesetzter Belüftung der Bullae die Entstehung eines Pneumothorax nahezu ausschließen kann. Im Rahmen einer Kammerstudie wurden von Tomashefski und Mitarbeitern 6 164


COPD-Patienten mit beträchtlicher Überblähung unter einer Steigrate von 300 m min-1 auf 5.490 m Höhe gebracht; danach ließ sich radiologisch weder eine Vergrößerung der Emphysemblasen noch ein Pneumothorax nachweisen (24). Patienten mit Lungenemphysem können weitgehend risikolos in große Höhen vordringen, soweit es der Gasaustausch ihrer Lunge erlaubt. Für Patienten mit präexistentem Pneumothorax stellt sich die Situation allerdings anders dar. In Bezug auf Flugreisen empfiehlt die Aerospace Medical Association, dass Patienten nach thoraxchirurgischen Eingriffen bzw. Pneumothorax erst 2 - 3 Wochen nach erfolgreicher Thoraxsaugdrainage und Konsolidierung flugtauglich sind (20). Dies bestätigt auch eine Untersuchung von Cheatham, der 12 Patienten nach traumatischem Pneumothorax untersuchte, wobei zehn zwei Wochen nach radiologischer Wiederausdehnung der Lunge ohne Probleme eine Flugreise absolvierten und zwei, die vor dieser Zeitspanne bereits geflogen waren, ein PneumothoraxRezidiv erlitten (25). Patienten mit schwerer COPD und Ruhehypoxämie entwickeln auch häufig eine pulmonale Hypertonie (26). Im Zusammenhang mit großer Höhe besteht in dieser Konstellation bei COPD-Patienten ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines HAPE bzw. einer Rechtsherzdekompensation, da Kälte additiv zur hypoxischen Vasokonstriktion in der Höhe den pulmonalarteriellen Blutdruck steigert. Da eine COPD jedoch letztlich eine systemische Erkrankung darstellt, ergibt sich die Frage, ob Patienten mit mittelschwerer bis schwerer COPD überhaupt die für die Höhe notwendige Atemarbeit zur Ventilationssteigerung aufbringen können. Auch dazu gibt es keine richtungsweisenden Daten. In einer Untersuchung von Mador et al. wurden 12 COPD-Patienten (FEV1: Ø 1.8 L) bei 60 - 70% ihrer VO2max bis zur Ausbelastung gefordert; dabei fand sich keinerlei Schwäche des Zwerchfells als wichtigstem Respirationsmuskel; allerdings war diese Belastung nur von sehr kurzer Dauer. Man kann davon ausgehen, dass COPD-Patienten die erhöhte respiratorische Belastung durchaus auf Kosten der Durchblutung nicht-respiratorischer Muskulatur bewältigen können (27). In der Luftfahrt wird COPD-Patienten, die einen FEV1 < 1.5 L aufweisen, eine Voruntersuchung bezüglich Sauerstoffsupplementation in der Höhe vorgeschlagen. Ausgehend vom paO2 auf Meeresspiegelniveau ist hier die Gleichung nach Dillard zu empfehlen (Abb. 4), die auch den aktuellen FEV1 des Patienten mitberücksichtigt (6). Patienten mit einem vorhergesagten paO2 < 50 - 55 mmHg wird bei Reisen in große Höhen auf jeden Fall supplementärer Sauerstoff empfohlen; eine andere Möglichkeit wäre, den Patienten in einer hypobaren Kammer der Hypoxie auszusetzen. Diese Unterdruckkammertechnik ist jedoch kostspielig und nur selten verfügbar. Besondere Vorsicht sollte man walten lassen, wenn COPD-Patienten in Höhen > 3.000 m reisen möchten, da dafür zur Zeit noch keine Daten zur Verfügung stehen; COPD-Patienten mit zusätzlich prä-existenter pulmonaler Hypertonie sollte überhaupt vor großen Höhen abgeraten werden, da sie Gefahr laufen, ein HAPE oder eine akute Rechtsherzinsuffi165


zienz zu erleiden. In unvermeidlichen Fällen sollten derartige Patienten jedenfalls mit supplementärem Sauerstoff sowie Kalziumkanalblockern (Nifedipin SR 20 mg, 2x1) für die Gesamtdauer ihres Höhenaufenthaltes versorgt sein; Nifedipin hemmt bekannterweise die hypoxische pulmonale Vasokonstriktion (HPV) sowohl in Ruhe als auch bei Belastung (28). Von besonderer Bedeutung ist darüber hinaus, dass alle COPDPatienten, die in große Höhen reisen, ihre Basismedikation unverändert beibehalten und eine Notfallmedikation einschließlich peroraler Kortikosteroide für den Fall einer akuten Exazerbation mitführen. Darüber hinaus sollten etwaige Co-Morbiditäten (KHK, art. Hypertonus), die zusätzlich zu Komplikationen in der Höhe Anlass geben könnten, bzgl. der additiven Wirkung auf das Risiko in der Höhe nicht außer Acht gelassen werden.

B) ASTHMA BRONCHIALE Bereits während des letzten Jahrhunderts wurde die Erfahrung umgesetzt, dass Asthmatiker in mittlerer Höhe eine Verbesserung ihrer respiratorischen Symptomatik erfahren (29). Asthmakliniken beispielsweise in Davos lösten die ehemaligen Tuberkulosesanatorien ab. In der Folge wurde auch über eine inverse Korrelation zwischen der Entwicklung einer Asthmaerkrankung sowie der individuellen Wohnhöhe berichtet (30). Eine geringere Asthmaprävalenz, weniger Schulfehltage sowie geringere nächtliche Asthmasymptome bei Kindern in einem Lebensraum zwischen 800 - 1.200 m Seehöhe sind ebenfalls dokumentiert (31). Möglicherweise anders steht es mit Kurzzeitaufenthalten von Asthmatikern in großen Höhen. Bei 203 asthmatischen Kurzzeit-Abenteuerreisenden (davon bei 75% Höhentrekking inkludiert) wurde von 20% eine Verschlechterung der Asthmasymptome registriert; 32 Patienten berichteten überhaupt über die schlimmste Asthmaattacke, die sie je erlebt hätten (32). Es kann jedoch retrospektiv nicht mehr entschieden werden, ob die Verschlechterung per se durch die große Höhe oder vielleicht doch beim Transit durch luftverschmutzte Ballungszentren entlang ihrer Reiseroute ausgelöst wurde. Es dürfte zumindest einen Unterschied machen, ob sich ein Asthmatiker kurzzeitig oder längerfristig in großer Höhe aufhält. Maßgebende Faktoren für eine Kontrolle der Erkrankung unter Höhenbedingungen sind jedoch unbestritten die verminderte Allergenbelastung, die Höhenhypoxie, die hyperventilationsbedingte Hypokapnie sowie abnehmende Luftdichte und -temperatur. Die mit der Höhe abnehmende Luftfeuchtigkeit (-25%/1.000 m) bedeutet gleichzeitig auch eine mit der Höhe abnehmende Belastung durch Hausstaubmilben und deren Exkremente (33). Aber auch Belastungen durch Schimmelpilzsporen und Pollen nehmen mit zunehmender Höhe ab, wobei es allerdings auf der Erde keinen Punkt gibt, der auch tatsächlich frei von inhalativen Allergen wäre. Infolge Windverfrachtungen können sogar an den Polen geringe Konzentrationen von Pilzsporen, Pollen und Feinstaub gefunden werden. Im Rahmen 166


eines längerdauernden Aufenthaltes führt die Allergenreduktion in der Höhe zu einer Verminderung der bronchialen Hyperreaktivität (BHR) (34) und des Gesamt-IgE-Spiegels im Blut. Eosinophilenzahlen sowie aktivierte T-Lymphozyten zeigen zudem signifikante Abfälle (35) bei gleichzeitiger Verbesserung des FEV1, Verminderung des Residualvolumens (RV), des Air trappings sowie der PEF-Variabilität. Der Einfluss der Hypoxie selbst auf die bronchiale Hyperreaktivität (BRH) ist nicht geklärt; es gibt dazu kontroversielle Ergebnisse und des Weiteren Hinweise darauf, dass Hypoxie in vitro die Bronchodilatatorenantwort (BDR) einschränkt (36). Auch die hyperventilationsbedingte Hypokapnie in der Höhe kann unter Umständen für Asthmatiker zum Problem werden, da sich dadurch der Atemwegswiderstand erhöht. Newhouse wies jedoch das Gegenteil nach, indem er das Atemminutenvolumen 5 gesunder Männer auf 30 l min-1 steigerte und den paCO2 bis auf 20 - 25 mmHg absenkte, stieg der mittlere inspiratorische Fluss um 133% und die Atemarbeit um 68% im Vergleich zu normo- bis leicht hyperkapnischer Ventilation (paCO2 von 45 - 50 mmHg) (37). Auch Kaltlufthyperventilation kann die Asthmasymptomatik verschlechtern. Kaltluftprovokation ist ein diagnostisches Werkzeug vor allem zur unspezifischen bronchialen Provokation bei Kindern. Es ist auch bekannt, dass vor allem Freiluftsportarten und dabei vor allem wettkampfmäßig betriebene Wintersportarten wie Langlauf- oder Tourenschibewerbe mit einer hohen Asthmainzidenz einhergehen (38). So ergab sich nach einem Schitourenrennen bei mehr als 50% aller Schibergsteiger eine belastungsinduzierte Bronchialobstruktion (EIB), wovon sich 73% der Betroffenen dieses Problems überhaupt nicht bewusst waren (39). Kaltlufthyperventilation und die Abnahme der Hauttemperatur erhöhen die bronchiale Reaktivität (BHR) (40), die durch die Verabreichung von Natriumcromoglycat (41), Azetazolamid (42) und Nifedipin (43) weitgehend abgeschwächt werden kann. In Hinblick auf eine Besserung des Atemflusses bei Asthmatikern in der Höhe ist die abnehmende Luftdichte ein interessanter Diskussionspunkt, wobei allerdings zu diesem Thema keine systematischen Untersuchungen existieren. Helium-O2-Gemische (Heliox) mit niedriger Dichte sind bei intensivmedizinisch betreuten Asthmatikern eine durchaus sinnvolle Maßnahme zur Verbesserung erhöhter Atemwegswiderstände (44). Daraus lässt sich der Schluss ableiten, dass Asthmatiker auch von einer kurzfristigen Höhenexposition und der dort herrschenden geringeren Luftdichte profitieren könnten. Theoretisch müsste ein Asthmatiker allerdings dazu in große und extreme Höhen gelangen, um über die weniger dichte Atemluft einen ventilatorischen Benefit zu erzielen, der dann möglicherweise durch andere klimatische Faktoren wieder aufgehoben wird (Temperaturabfall, Hypoxie, Hypokapnie). Der Faktor der bronchialen Reaktivität/ Hyperreaktivität (BHR) in der Höhe unterliegt somit einem Summationseffekt unterschiedlicher klimatisch-atmosphärisch bedingter Faktoren, wobei der Nettoeffekt auf den Atemwegswiderstand und die bronchiale Reaktivität nicht mit absoluter Sicherheit 167


vorhergesagt werden können (Tab. 1). Die meisten Asthmapatienten dürften wohl von einem Höhenaufenthalt in mittlerer Höhe profitieren, wie beispielsweise eine Studie mit 10 Asthmatikern (mildes persistierendes Asthma bronchiale) auf Meeresspiegelniveau und in 4.559 m Höhe im Himalaja belegt. Dabei verringerte sich die bronchiale Reaktivität (BHR) auf Inhalation eines hypotonen Aerosols gemessen am FEV1 auf Meeresspiegelniveau um 22% gegenüber 7% in der Höhe (45). Möglicherweise spielen auch höhere Kortisol- und Katecholaminspiegel in der Höhe eine zusätzliche protektive Rolle. Zusammenfassend können Asthmatiker mit intermittierendem sowie mild persistierendem Asthma durchaus Höhen bis 5.000 m ohne wesentliche Nebenwirkungen bzw. Gesundheitsrisiko erreichen, soferne sie sich in einer stabilen Krankheitsphase befinden. In diesem Zusammenhang finden sich kaum Hinweise aus der Alpinmedizin auf schwere Asthmaexazerbationen unter Höheneinfluss. Asthmapatienten sollten auch mit ihrer Notfallmedikation (hochdosierte Kortikosteroide) für den Fall einer unerwarteten Exazerbation vertraut sein, insbesondere wenn sie in abgelegenen Gebieten fernab jeglicher medizinischer Infrastruktur unterwegs sein möchten. Es macht auch Sinn, ein Peakflowmeter mitzuführen, um zumindest einmal täglich zu einer vorgegebenen Zeit den Atemfluss zu messen, und es erscheint vernünftig, dass Asthmatiker mit instabilem Krankheitsverlauf und höherem Schweregrad auf Alpinsportarten, die nicht jederzeit sofort abgebrochen werden können, sowie auf große und extreme Höhen verzichten; sie sollten auch vor Reisen zu hochgelegenen Destinationen gewarnt werden! Tab. 1. Einflussfaktoren auf die bronchiale Hyperreaktivität (BHR) in der Höhe

Einflussfaktoren

BHR

x

Mehrwöchiger Aufenthalt, Höhenklimatherapie

x

Akute Hypoxie: BDR RAW (Atemwegswiderstand)?

x

Hypokapnie: RAW

x

Kaltluft: („Schiasthma“)

x

Luftdichte: Benefit? Studien?

?

x

Allergenbelastung: PO FU HDM

x x

Katecholamine, Kortisol Ozon (O3)

A

BDR Bronchodilatatorenantwort; BHR bronchiale Hyperreaktivität; RAW Atemwegswiderstand; PO Pollen; FU Pilzsporen; HDM Hausstaubmilbe

PULMONALE GEFÄSSERKRANKUNGEN Bezüglich präexistenter primärer und sekundärer Formen der pulmonalarteriellen Hypertonie gibt es im Zusammenhang mit einem Aufenthalt in großer Höhe zur Zeit keine 168


systematischen Untersuchungen. Kasuistischen Berichten zufolge erhöht eine präexistente pulmonale Druckerhöhung das Risiko für die Entwicklung eines Höhenlungenödems (HAPE). So berichtete Hackett über 4 Fälle mit kongenitalem Fehlen der rechten Pulmonalarterie und dem Auftreten eines HAPE bereits in 2.750 m Höhe (46). Bei einem 10 Jahre alten Mädchen mit fehlender rechter Pulmonalarterie wurde auch in weit niedrigerer Höhe (> 1.500 m) über wiederholte HAPE-Ereignisse berichtet (47). Aber auch Patienten mit anderen Ursachen einer pulmonalen Hypertonie weisen unter höhenatmosphärischen Bedingungen ein erhöhtes HAPE-Risiko auf. So wird über Fälle von pulmonalem Embolismus (CTEPH) (48), Appetitzügler induzierter pulmonalarterieller Hypertonie (49) und Down-Syndrom (50) berichtet. Patienten mit präexistenter präkapillärer pulmonalarterieller Druckerhöhung tragen somit ein erhöhtes Risiko, mitunter bereits in Höhen weit unter 3.000 m ein HAPE zu entwickeln. Es gibt jedoch keine verbindlichen Empfehlungen, ab welcher Höhe einer präexistenten pulmonalen Druckerhöhung es unter höhenatmosphärischen Bedingungen gefährlich wird. Auf Grund der wenigen meist kasuistischen Daten ist es heute nicht möglich einen Schwellenwert zu definieren, ab dem das Risiko für ein HAPE evident ist, da zudem Faktoren wie Aufstiegsgeschwindigkeit, Hypoxiesensitivität, Temperatur, körperliche Belastung und absolute Höhe den weiteren Anstieg einer präexistenten pulmonalen Druckerhöhung mitbestimmen. Die sicherste ärztliche Empfehlung bei Patienten mit vorbestehender pulmonaler Hypertonie wäre somit von einem Höhenaufenthalt überhaupt abzuraten. Soferne das nicht zielführend ist, sollte zu jedem Zeitpunkt des Höhenaufenthaltes supplementärer Sauerstoff bereits ab etwa 2.000 m Höhe zur Anwendung kommen, auch wenn auf Normalhöhe bzw. Meeresspiegelniveau noch keine Hypoxämie zu registrieren ist. Erste klinische Anzeichen eines sich anbahnenden HAPE sollten vorab mit dem Patienten besprochen werden, der zudem auf keinen Fall seine antihypertensive Medikation verändern oder gar absetzen sollte. Für nicht vorbehandelte Patienten empfiehlt sich zumindest für die Dauer des Höhenaufenthaltes eine Prophylaxe mit Nifedipin in Retardform (2 x 20 mg/Tag). Auch Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (Sildenafil, Tadalafil) sowie Dexamethason können einen erhöhten Pulmonalisdruck abfedern und das Risiko eines HAPE minimieren (51).

INTERSTITIELLE LUNGENERKRANKUNGEN (ILD) Die Datenlage zu dieser Krankheitsgruppe im Zusammenhang mit einem Höhenaufenthalt ist äußerst spärlich. Unter den Bedingungen simulierter Höhe (2.438 m) fand Christensen bei 17 Patienten mit restriktiven Lungenerkrankungen unterschiedlicher Genese einen durchschnittlichen Abfall des paO2 von 78 mmHg am Meeresspiegel auf 50 mmHg in Ruhe sowie auf 38 mmHg unter zusätzlicher Belastung von 20 Watt; unter 2 L min-1 Sauerstoff in Ruhe und 4 L min-1 unter Belastung konnte ein paO2 von 50 169


mmHg aufrecht erhalten werden. Für diese Patientengruppe entwickelte Christensen eine nicht validierte Regressionsformel, in die auch der paO2 am Meeresspiegel (SL) sowie die totale Lungenkapazität (TLC%Ref.) einbezogen werden (52). Diese Prädiktion bezieht sich auf die Höhe von 2.438 m (8.000 ft.), nimmt also in erster Linie Bezug auf die respiratorische Flugtauglichkeit: paO2 pred = 0,74 + (0,39 x paO2 SL) + (0,033 x TLC) Auch für diese Patientengruppe gilt als noch tolerable Untergrenze ein paO2 von 50-55 mmHg; darunter sollte ein Patient auf jeden Fall supplementären Sauerstoff erhalten. Patienten mit großem Risiko für eine hochgradige Hypoxämie unter Höhenbedingungen sollten vorweg unter hypobaren Bedingungen oder hypoxischen Gasgemischen (HAST) untersucht werden. Patienten mit sekundärer pulmonaler Hypertonie sollten Aufenthalte in großen Höhen möglichst meiden; falls unvermeidlich, dann sollten diese nur mit supplementärem Sauerstoff und Nifedipin aufgesucht werden.

STÖRUNGEN DES ATEMANTRIEBES (HYPOVENTILATION) Es gibt eine Reihe von Atemantriebsstörungen unterschiedlicher Genese, welche die Atemantwort auf Hypoxie beeinträchtigen können. Dazu zählen sowohl Formen des Schlaf-Apnoe-Syndroms wie auch die Hypoventilation im Rahmen des Pickwick-Syndroms, Störungen der zentralen Atmungsregulation und neuromuskuläre Störungen einschließlich Schädigungen des Glomus caroticum (Tab. 2). Patienten mit Obesitas-assoziierter Hypoventilation zeigen in der Höhe ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer pulmonalarteriellen Hypertonie (PAH) und darüber hinaus einer Rechtsherzdekompensation. Damit besteht bei dieser Patientengruppe automatisch auch ein erhöhtes Risiko für ein HAPE. Mitunter kann sich eine akute Rechtsherzinsuffienz bereits unter der höchstzugelassenen hypobaren Hypoxie eines Reisejets ereignen (53). Patienten mit Obesitas-assoziierter Hypoventilation entwickeln jedoch auch wesentlich früher und häufiger Symptome der akuten Bergkrankheit (AMS) (54), wobei vor allem ein hoher Body-Mass-Index in Verbindung mit nächtlicher Hypoxämie einen Risikofaktor darstellt. In einer hypobaren Kammer mit 10 normalgewichtigen und 9 adipösen Probanden zeigte sich in einer simulierten Höhe von 3.658 m, dass der Lake Louise AMS-Score bei den Übergewichtigen deutlich schneller ansteigt als bei Normalgewichtigen (54). Nach 24 Stunden zeigten 78% der Adipösen einen AMS-Score ≥ 4, während nur 40% der Normalgewichtigen diesen Score erreichten. Für diese Patientengruppe besteht somit eine gegenüber der normalgewichtigen Bevölkerung eindeutig erhöhte AMS-Prävalenz. Es gibt auch Hinweise dafür, dass extrem Übergewichtige, unabhängig von der damit oftmals verbundenen Hypoventilation, bei 170


längerdauernden Höhenaufenthalten ein allgemein höheres Komplikationsrisiko haben. In einer Studie mit 20 in einer Höhe von 2.240 m lebenden adipösen Studienteilnehmern mit einem Durchschnittsgewicht von 93 kg wurde bei 80% eine pulmonalarterielle Hypertonie nachgewiesen (55). Wegen der großen Gefahr einer akuten Rechtsherzdekompensation sollte Patienten mit extremer Fettleibigkeit und Hypoventilation von Aufenthalten in großen Höhen abgeraten werden. Bei unvermeidbaren Reisen in große Höhen sollte auf jeden Fall supplementärer Sauerstoff zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Anwendung kommen und eine AMS-Prophylaxe mit Azetazolamid durchgeführt werden. Darüberhinaus sollten Betroffene mit nächtlicher CPAP-Behandlung (Continuous Positive Airway Pressure) unbedingt ihre CPAP-Ausrüstung bei Reisen in große Höhen mitführen, damit vor allem längerdauernde, nächtliche O2-Desaturationen minimiert werden. Soferne das CPAP-Gerät die Druckkompensation unter vermindertem Umgebungsdruck nicht automatisch durchführen kann, sollte die CPAP-Einstellung händisch auf höhere Werte eingestellt werden (56). Bezüglich des obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndroms ist auf Grund der hohen Prävalenz in der Normalbevölkerung auch in großen Höhen mit einer großen Anzahl von Patienten zu rechnen. Schlafuntersuchungen bei 6 gesunden Probanden im Aufstieg zum Aconcagua zeigten in 4.200 m einen deutlichen Anstieg obstruktiver Apnoen und Hypopnoen im Vergleich zum Ausgangspunkt (57), was im Rahmen unvollständiger Akklimatisation durchaus im physiologischen Rahmen erscheint. Wegen der geringen Fallzahl dieser Beobachtung ist es jedoch mehr als fraglich, ob dieses Ergebnis auch auf Patienten mit präexistentem OSAS übertragen werden kann. Darüber hinaus wurde bei einer weiteren Studie sogar über eine Abnahme des Apnoe-Index während des REMSchlafes und Aufstieges auf 5.050 m Höhe berichtet (58). Es ist anzunehmen, dass die signifikanten nächtlichen O2-Desaturationen auf Normalhöhe bei OSAS-Patienten in großer Höhe noch wesentlich deutlicher ausfallen; validierte erhobene Daten existieren allerdings zum Zeitpunkt noch nicht. Darüber hinaus haben OSAS-Patienten mit Hypoxämie auch während des Tages ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer PAH (59), was konkordant das Risiko für die Entwicklung eines HAPE erhöht. Bezüglich des zentralen Schlaf-Apnoe-Syndroms (ZSAS), das häufig mit schwerer Kardiomyopathie bzw. Herzinsuffizienz vergesellschaftet ist, gibt es in diesem Zusammenhang ebenfalls keinerlei Untersuchungen. Nach unserem pathophysiologischen Verständnis dürfte sich eine derartige Störung in großer Höhe ebenfalls verschlechtern. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass periodische Atemmuster (Cheyne-Stoke) einschließlich des ZSAS häufig auch bei gesunden nicht höhenakklimatisierten Höhenbergsteigern beobachtet werden (60), die jedoch nach erfolgter Akklimatisation weitgehend verschwinden. Auf jeden Fall sollten Patienten mit OSAS bzw. ZSAS bei Reisen in große Höhen auf ihre CPAP-Ausrüstung vertrauen. Denjenigen mit überwiegendem ZSAS-Anteil sollte Azetazolamid verordnet werden, um die nächtliche Schlafatmung 171


in der Höhe zu verbessern. Auf den engen Zusammenhang zwischen ZSAS und Herzinsuffzienz sollte stets geachtet werden. Bereits auf Meeresspiegelniveau sollten O2-pflichtige Patienten während des Nachtschlafes die O2-Supplementation auf jeden Fall in der Höhe beibehalten. Im Zusammenhang mit Störungen der Atemregulation bestehen ebenfalls kaum verbindliche Empfehlungen. So gibt es eine Untersuchung eines aus 4 Patienten bestehenden Kollektivs bezüglich beeinträchtiger Ventilationsantwort nach Endarteriektomie der A. carotis (CEA), wobei es infolge artefizieller Denervierung des Glomus caroticum zu unerwünschter Beeinträchtigung der postoperativen hypoxischen Atemantwort kam (61). Ein ähnlicher Effekt wurde durch die beidseitge Resektion des Glomus caroticum wegen therapierefraktärem Asthma bronchiale erzielt, eine Therapie, die heute vollständig verlassen wurde (62); Jahre nach der Resektion zeigten diese Patienten keine adäquate Ventilationssteigerung auf Hypoxiereize mehr. Patienten mit der seltenen Konstellation einer beidseitigen Resektion des Glomus caroticum sollten daher von Reisen in große Höhen grundsätzlich Abstand nehmen; bei Unvermeidbarkeit eines Höhenaufenthaltes und HVR-Hemmung sollte auf jeden Fall supplementärer Sauerstoff zur Verfügung stehen! Bei beeinträchtigter HVR kann auch der Versuch unternommen werden, die zentrale Chemorezeptorenempfindlichkeit durch Azetazolamid (63), Theophyllin und evtl. Progesteron zu steigern. Im Zusammenhang mit einer beeinträchtigten HVR wäre die Durchführung eines HAST vor Reiseantritt eine sehr sinnvolle Maßnahme. Tab. 2. Allgemeine Beeinträchtigung der hypoxischen Ventilationssteigerung (HVR) Erkrankungen

Risiko

x Kyphoskoliose

PAH/RHI/HAPE

x Zwerchfellparese, uni-/bilateral*

*

x Obesitas-Hypoventilations-Syndrom (Pickwick-Syndrom) x ZSAS (+ Herzinsuffizienz/CMP)

AMS/PAH/RHI/HAPE Höhenaufenthalt abraten! Zunahme mit Höhe

x OSAS

AMS/PAH/HAPE

x Carotisendarteriektomie (CEA), bilaterale GC-Resektion*

*

x Medikamentöse Beeinträchtigung der Ventilationsantwort ( (Hypnotika, Tranquilizer, Opiate, Codeine, Anästhetika) x Neuromuskuläre Erkrankungen (ALS, GBS, MP )

Höhenaufenthalt abraten!

Höhenaufenthalt abraten!

Ausgeprägte Hypoxämie AMS/HAPE

PAH pulmonalarterielle Hypertonie; RHI Rechtsherzinsuffizienz; HAPE Höhenlungenödem; AMS akute Bergkrankheit; ZSAS zentrales Schlaf-Apnoe-Syndrom; CMP Kardiomyopathie; OSAS obstruktives Schlaf-ApnoeSyndrom; GC Glomus caroticum; ALS amyotrophe Lateralsklerose; GBS Guillain-Barre-Syndrom; MP Morbus Parkinson

Noch seltener stellt sich wahrscheinlich die Frage einer möglichen Hypoxieexposition bei Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen, wie beispielsweise verschiedenen 172


Formen der Muskeldystrophien, aber auch bei Zwerchfellparese (traumatisch, neoplastisch), Kyphoskoliose, amyotropher Lateralsklerose (ALS), Guillain-Barre-Syndrom (64) oder bei der doch relativ häufigen Parkinson’schen Erkrankung (65) (Tab. 2). Alle diese Erkrankungen können sich sehr nachteilig auf die Lungenfunktion auswirken, indem sie für Hypoxämie, Hypoventilation oder gestörten Nachtschlaf verantwortlich sind, wobei es bei keiner einzigen der angeführten Entitäten Untersuchungen in großer Höhe gibt. Diese Patientengruppe sollte daher vor einer Reise in hochgelegene Gebiete hinsichtlich eines möglichen Schlaf-Apnoe-Syndromes einer Polysomnographie zugeführt werden. Insbesondere kyphoskoliotische Patienten sollten auch hinsichtlich einer präexistenten PAH abgeklärt werden. Soferne eine solche nachgewiesen wird, ist auch für supplementären Sauerstoff sowie prophylaktische Nifedipin-Gabe für die Dauer des Höhenaufenthaltes zu sorgen. Die O2-Gabe sollte bei chronischer Hypoventilation allerdings kontrolliert und mit größter Vorsicht erfolgen, da sich eine vorbestehende Hyperkapnie darunter verschlechtern kann. Patienten mit beidseitiger Zwerchfelllähmung sollten dringlich von Reisen in große Höhen abgeraten werden. Tab. 3. Funktionsuntersuchungen im Vorfeld eines Aufenthaltes in großen Höhen x Standardisierte Prüfung der Hypoxietoleranz unter normobaren/hypobaren Bedingungen (HAST) x Schlaf-Apnoe-Screening (Polysomnographie) Maximale Minutenventilation (MVV) Lungenfunktionsmessung nach Kaltluftprovokation (FEV1%VC) Messung in- und exspirator. Atemmuskelkraft (pE max, pI max) Messung der Blutgase in Ruhe und Diffusionskapazität (DLCO) Prädiktion des paO2 in der Höhe (n. Dillard oder Christensen) Echokardiographie zum Ausschluss einer PAH Bestimmung der PAP-Verdoppelungsschwelle Atemwegsresistance unter standardisierter Rucksacklast (+20% Körpergewicht) x Bestimmung der Ventilationsreserve (MVV-V’E75% max) x x x x x x x x

PAP pulmonalarterieller Druck; DLCO Diffusionskapazität für CO

Patienten mit bekannten präexistenten respiratorischen Erkrankungen sollten auf jeden Fall hinsichtlich ihres Gesundheitsrisikos in der Höhe in einem dafür qualifizierten Funktionslabor untersucht werden. Tabelle 3 gibt einen Vorschlag für ein sinnvolles funktionelles Untersuchungsprogramm im Vorfeld einer beabsichtigten höhenbergsteigerischen Unternehmung bzw. einer Reise mit Destinationen in großen Höhen.

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Thomas Valentin, Mar tin Hoenigl

I n f e k t i o n s k r a n k h eiten i n d e r A l p i n - u n d H ö h enmedizin

Infectious Diseases in High Altitude and Mountain Medicine

SUMMARY Infectious diseases are relatively rare at high altitude, but they can be more severe and may lead to life-threatening complications. Additional factors such as hypoxia, cold, physical exercise, reduced hygiene and lack of adequate medical care must be considered. Some infectious diseases show associations with altitude (e.g. malaria, schistosomiasis, tuberculosis, RSV, leishmaniasis, tick-borne infections) regarding their incidence and severity. The spectrum of infectious agents varies between tourists and natives. Some infectious diseases such as typhoid fever and malaria can be difficult to distinguish from altitude-related illness (altitude sickness, high altitude cerebral edema). In severe cases or if distinct entities (e.g. rabies, tropical malaria, typhoid fever) are suspected, descent is mandatory. It is essential to obtain medical advice regarding vaccination, malaria prophylaxis and information about local epidemiology in time. Keywords: infectious disease, high altitude, mountaineering

ZUSAMMENFASSUNG Fast alle Infektionskrankheiten sind in der Höhe seltener als im Tal, können aber schwerer verlaufen und mitunter zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Zusätzliche Faktoren wie Hypoxie, Kälte, körperliche Belastung, verminderte Hygiene und Mangel an medizinischer Versorgung spielen hierbei eine Rolle. Einige Infektionskrankheiten wie Malaria, Bilharziose, Tuberkulose, RSV, Leishmaniose oder von Zecken übertragene Infektionen zeigen in ihrer Häufigkeit oder Ausprägung einen Zusammenhang mit der Höhe. Das Spektrum der Erreger unterscheidet sich bei Einheimischen und Touristen. Manche Infektionen wie Typhus oder Malaria sind im Initialstadium mitunter schwie181


rig von höhenassoziierten Erkrankungen (z. B. akute Höhenkrankheit oder Höhenhirnödem) zu unterscheiden. In schweren Fällen und bei gewissen Infektionen (Verdacht auf Tollwut-Infektion, persistierende Diarrhoe, Malaria tropica, Typhus) ist der vorzeitige Abstieg unumgänglich. Zeitgerechte reisemedizinische Vorkehrungen sind essentiell. Diese umfassen Impfungen, eine Reiseapotheke, Malaria-Prophylaxe und eingehende Informationen über die lokale Epidemiologie. Schlüsselwörter: Infektionskrankheiten, Höhe, Alpinsport

EINLEITUNG Infektionen spielen in der Alpin- und Höhenmedizin bezüglich ihrer Häufigkeit scheinbar eine untergeordnete Rolle. Die Ursache der niedrigeren Inzidenz vieler Infektionen in der Höhe liegt am verminderten Nährstoffangebot für Bakterien und Pilze, an kälterer Temperatur und an geringerer Vektordichte. Auch Zwischenwirte haben einen Einfluss auf das Vorkommen von Erregern. So leben Hochland-Populationen der Zwergschlammschnecke (Lymnaea truncatula), die ein Zwischenwirt für den großen Leberegel (Fasciola hepatica) sind, signifikant länger als Tal-Populationen und stellen damit bessere Wirte dar (1). Andererseits kommen Mücken als Übertrager von Erregern mit zunehmender Höhe seltener vor. Infektionskrankheiten können im Zusammenhang mit Alpin- und Höhenmedizin schwerer verlaufen. Unterschieden werden muss dabei zwischen Expeditionsmedizin und Höhenmedizin, da das Spektrum der Infektionskrankheiten sich teilweise ändert, je nachdem, ob es sich um Personen mit permanentem Aufenthalt in mittleren oder großen Höhen handelt, oder um Bergsteiger, die unter anderen Bedingungen und über einen kürzeren Zeitraum den Bei klinischer Verschlechterung oder fehlendem Ansprechen von Antibiotika: Abstieg Hände regelmäßig reinigen Kleidung und Repellentien zur Verhinderung von Insektenstichen oder -bissen Aufbereitetes Wasser verwenden In der Kälte Atemwege schützen (z.B. Schal) Sonnenschutz Adäquate Hydrierung aufrechterhalten Entsprechende Impfungen und Malaria-Maßnahmen Versicherung überprüfen für etwaige Evakuierung

Tabelle 1: Allgemeine Empfehlungen zur Prophylaxe von Maßnahmen bei Infektionen in der Höhe. Modifiziert nach (16) 182


entsprechenden Umwelteinflüssen, eventuell auch extremen Höhen, ausgesetzt sind. Einige Umweltfaktoren wie Kälte, Hypoxie, engere Schlafgelegenheiten, schlechteres Abwassermanagement (insbesondere in Basislagern) und verminderte Körperhygiene begünstigen die Entwicklung von Infektionskrankheiten bei Bergsteigern. Außerdem steht nicht immer eine rasche medizinische Versorgung zur Verfügung, weswegen Infektionskrankheiten häufiger komplikationsbehaftet sind. Allgemeine Maßnahmen zur Prophylaxe von Infektionen sollten befolgt werden (Tabelle 1).

SPEKTRUM Grundsätzlich entspricht das Erregerspektrum in der Höhe jenem in umliegenden Talgebieten, dennoch werden die meisten Infektionen mit zunehmender Höhe seltener. Somit sind praktisch alle Erkrankungen möglich, die es in der jeweiligen Region gibt. Insbesondere bei der Vorbereitung auf eine Reise bezüglich Impfungen und MalariaMaßnahmen sollte das Spektrum des umliegenden Gebietes in Betracht gezogen werden, auch wenn letztendlich Höhen angestrebt werden, in denen es z. B. keine Malaria (üblicherweise 2000 m) mehr gibt. Eine vorbereitende reisemedizinische Beratung in Anspruch zu nehmen, ist anzuraten.

IMMUNOLOGIE In extremen Höhen stellen multiple Stressoren wie erhöhte UV-Strahlung, erniedrigter Luftdruck und Hypoxie sowohl das menschliche Immunsystem als auch mikrobielle Pathogene vor große Herausforderungen. Die Funktion der T-Lymphozyten ist in großen Höhen leicht reduziert. Insbesondere wurde in großen Höhen eine Beeinträchtigung der Balance der T-Helfer Zellen TH1/TH2 gezeigt, welche langfristig zu erhöhter Infektanfälligkeit führen könnte (2). Ebenso wurden bei Bergsteigern immunologisch bedingte Veränderungen der intestinalen Mikroflora und damit eine mögliche vermehrte Infektanfälligkeit gegenüber Pathogenen des Gastrointestinaltrakts nachgewiesen (3). Andere Studien zeigten Änderungen des menschlichen Immunsystems nach vermehrter UV-Exposition, bedingt durch die Produktion von immunmodulierenden Faktoren (4). Bei Bergsteigern in extremen Höhen wurde das rasche Auftreten sowie die rasche Reversibilität von Granulozytosen und die verminderte Produktion von Superoxid-Anionen beschrieben (5). Des Weiteren führt hypobare Hypoxie zu einem CRP-Anstieg als Zeichen einer inflammatorischen Reaktion (6). Neuere Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Hypoxie und Immunantwort betreffen den hypoxia inducible factor 1α (HIF-1α), welcher in hypoxischer Umgebung Makrophagen stimuliert. Dies spielt innerhalb des Organismus im inflammierten Gewebe eine große Rolle, da dort hypoxische Bedingungen vorherrschen (7). 183


INFEKTIÖSE DIARRHOE Die Entwicklung einer akuten Durchfallerkrankung kann in der Höhe zu bedrohlichen Komplikationen wie Exsikkose und Elektrolytentgleisung führen. Aufgrund des relativen Wassermangels ist eine adäquate orale Rehydrierung nicht immer möglich. Es wurden Raten bis 10% der Helikopter-Evakuierungen aus dem Himalaya-Gebiet auf die Komplikationen infektiöser Diarrhoe zurückgeführt (8). Das Spektrum der Erreger entspricht jenem im Tal, also Bakterien (enterotoxische E. coli, Salmonella, Shigella, Campylobacter), Viren (inklusive Hepatitis A und E), Protozoen (Giardia, Entamoeba) und Parasiten. Die Verschiebung der intestinalen Mikroflora zugunsten potentiell pathogener Enterobakterien gegenüber Bifidobakterien, die als Infektionsbarriere gelten, könnte ein Gesundheitsrisiko für Bergsteiger in großen Höhen darstellen (3). In einer Studie berichteten 30% von 113 Bergsteigern, am Weg zum Mount Everest Base Camp Diarrhoe entwickelt zu haben, 26% der Befragten nahmen Antibiotika ein (9). Im Vergleich dazu nahmen etwa gleich viele (24%) Azetazolamid. In einer Kohorte von 21.457 französischen Touristen in Nepal 2001 suchten 276 einen Arzt auf, der häufigste Konsultationsgrund war Diarrhoe (26,8%), der zweithäufigste die akute Höhenkrankheit (15,6%) (10). Die Durchfallerkrankungen stellen somit eine der wichtigsten infektiösen Entitäten bei Expeditionen oder längeren Trekkingtouren (11) insbesondere in Asien, Südamerika und Afrika dar. Die Campylobacter-Enteritis kann als seltene Komplikation zu einem Guillain-BarréSyndrom führen und ein Fall wurde bereits als Höhenhirnödem fehldiagnostiziert und ausgeflogen (12). Die empirische Therapie der akuten Diarrhoe am Berg ist mit einem Fluorchinolon in den meisten Fällen adäquat. Alternativen stellen Azithromycin (v. a. wegen der steigenden Campylobacter-Resistenz gegenüber Gyrasehemmern) oder Rifaximin dar, letzteres ist jedoch bei blutiger Diarrhoe oder begleitendem Fieber nicht indiziert, da es praktisch nicht resorbiert wird (13). Während des Everest Marathon 1999 waren Flourchinolone die einzige Substanzgruppe, deren Bedarf im Rahmen der Planung deutlich unterschätzt wurde (14). Am wichtigsten ist dennoch die orale Rehydrierung und bei Symptompersistenz der Abstieg (15).

SALMONELLA TYPHI Typhus wird ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen und beginnt mit langsamem Fieberanstieg bis zur Kontinua ohne Schüttelfrost. Diarrhoe setzt üblicherweise erst ab der zweiten Woche ein. Klinische Hinweise unter Expeditionsbedingungen umfassen die relative Bradycardie, Typhuszunge und Roseolen (Abb. 1). Häufig kommt es im Frühstadium zu neurologischen Manifestationen, die bereits als akute Höhenkrankheit interpretiert und ausgeflogen wurden (16). Vor Reisen in Endemiegebiete sollte daher eine Impfung erfolgen, v. a. im Himalaya oder den Anden. Die Typhus-Impfung 184


Abb. 1: Roseolen bei Typhus abdominalis (Ägypten). schützt allerdings nur mäßig gut und bewahrt auch nicht vor Paratyphus. Bei Verdacht auf Typhus sollte der Abstieg erfolgen. Ciprofloxacin ist die Therapie der Wahl, über steigende Resistenzen wird jedoch v. a. aus Indien berichtet.

BILHARZIOSE Die Erkrankung durch Schistosomen (Trematoden) hat eine lange Inkubationszeit (2 - 7 Wochen zum Allgemeinstadium, 4 - 12 Wochen zum Organstadium). Die an Ufern von stehenden Gewässern bzw. Flussanteilen vorkommenden Zerkarien dringen über die Haut ein. In weiterer Folge kommt es zum Befall im Pfortaderkreislauf (in weiterer Folge zu portaler Hypertension) und dann, je nach Schistosoma-Art, zur Ausscheidung der Eier über die Blase oder das Rectum (Hämaturie oder Hämatochezie). Die Eier befallen wiederum Schnecken und der Kreislauf beginnt von neuem. Dieser Zyklus ist also vom Vorhandensein von Süßwasserschnecken abhängig. Sowohl die Anzahl passender Gewässer als auch die Schneckenpopulation nehmen mit zunehmender Höhe ab. Darum sinkt mit steigender Höhe das Risiko einer Infektion nahezu linear. Dies konnte 185


sowohl in Uganda (17) als auch in Kenia (18) gezeigt werden (Tabelle 2). Die Bilharziose betrifft in erster Linie Einheimische und Reiserückkehrer. Therapie der Wahl ist Praziquantel. Seehöhe 1400 m - 1500 m 1500 m - 1600 m 1600 m - 1700 m <1925 m 1925 m - 2075 m 2075 m - 2300 m

% infiziert 86,2% 65,9% 54,5% 64,5% 29,3% 18,0%

Studie Uganda 2008 (17) Kenia 2002 (18)

Tabelle 2: Schistosoma-infizierte Patienten in Uganda und Kenia abhängig von der Seehöhe. Modifiziert nach (17) und (18)

MALARIA Die Malaria ist eine sehr häufige Infektionskrankheit, im Jahr 2006 gab es 247 Millionen Erkrankungen und ca. eine Million Todesfälle weltweit (19). Der potentiell lebensbedrohliche Verlauf der Malaria tropica unterstreicht die Notwendigkeit entsprechender Präventivmaßnahmen bei Reisen in Endemiegebiete. Pro Jahr wird Malaria bei 10.000 bis 30.000 Reiserückkehrern weltweit diagnostiziert (20). Die variable Klinik kann die Diagnose unter Expeditionsbedingungen erschweren. Am Beginn stehen meist Fieber (Abbildung 2), Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen, Husten, manchmal

Abb. 2: Fieberkurve bei Malaria tropica (Ghana). Diarrhoe oder Erbrechen. Die Komplikationen der Malaria tropica umfassen Verwirrung, Bewusstseinstrübung, Koma, Nierenversagen, Lungenödem, ARDS und Schock. Die Ursache ist eine Mikrozirkulationsstörung der entsprechenden Organe. Die Überträger der Plasmodien (Abbildung 3) sind weibliche Anopheles-Mücken. Diese benötigen zu ihrer Vermehrung ruhige, saubere Gewässer. Über 2000 m und unter 16° C findet praktisch keine Vermehrung statt. Mehrere Studien konnten zeigen, 186


Abb. 3: Intraerythrozytäre Ringform bei Malaria (Ghana). dass bei Einheimischen sowohl Parasitämie als auch Anämie mit zunehmender Höhe linear abnehmen (Tabelle 3) (21, 22). Die Prophylaxe bzw. Therapie richtet sich nach der jeweiligen Region und dem dortigen Resistenzverhalten. Höhe 400 - 650 m 900 - 1000 m 1440 m 1510 m 1600 m 1660 m 1960 m 2040 m

Parasitämie-Prävalenz 83,6% 51,3% 22% 31% 25% 18% 1% 3%

N 55 76 200 219 202 300 201 192

Studie Kamerun 2007 (22)

Kenia 2004 (21)

Tabelle 3: Malaria-Parasitämie in Abhängigkeit der Höhe. Modifiziert nach (21) und (22)

TUBERKULOSE Die Höhenassoziation der Tuberkulose betrifft nahezu ausschließlich Einheimische. Eine Studie aus Peru untersuchte die Prävalenz von Tuberkulin-Hauttest-positiven Einwohnern und korrelierte sie zu deren Lebensraum (23). Dabei stellte sich heraus, dass die Höhe per se nicht protektiv erschien, aber die Rate bei Personen, die in ländlicher Umgebung in der Höhe lebten, deutlich geringer war (Tabelle 4). Stadtgebiet Ländliches Gebiet

Hochland 23 - 24% 6 - 7%

Nicht-Hochland 22 - 26% 23 - 24%

Tabelle 4: Probanden (N = 3629) mit positivem Tuberkulin-Hauttest aus neun Regionen in Peru. Modifiziert nach (23). 187


RESPIRATORISCHE INFEKTIONEN Das RSV (respiratorisches Syncytialvirus) verursacht obere und untere Atemwegsinfektionen. Im Rattenmodell mit dem Sendai-Virus (entspricht dem menschlichen RSV) konnte gezeigt werden, dass die Kombination von vorangegangener Infektion und Hypoxie zu einer interstitiellen Inflammation des Lungengewebes führt (24). Das Lungengewicht der Ratten bezogen auf das Gesamtkörpergewicht stieg bei einer Virusinfektion an, bei nicht-infizierten Ratten durch Hypoxie ebenso, den höchsten Anstieg verzeichnete man jedoch in der Kombination vorangegangene Infektion plus moderate Hypoxie, woraus geschlossen werden kann, dass die virale Infektion der unteren Atemwege zu Hypoxie-assoziiertem Lungenödem prädisponieren könnte. Auch zeigte eine Studie aus Colorado, dass mit zunehmender Höhe die Anzahl an Hospitalisationen wegen RSV als Surrogatparameter für den Schweregrad der Infektion bei Kindern zunahm (25). In Entwicklungsländern geht die Hypoxämie bei Kindern im Rahmen einer akuten Atemwegsinfektion mit erhöhter Mortalität einher und wird mit zunehmender Höhe häufiger beobachtet (26). Auch die Kälte per se scheint einen Einfluss auf die Entwicklung und den Schweregrad von respiratorischen Infektionen zu haben (27).

TOLLWUT Die Tollwut ist eine virale Erkrankung, die in nahezu 100% der symptomatischen Fälle zum Tode führt. Bei längeren Trekking-Touren in abgeschiedene Endemiegebiete besteht ein erhöhtes Risiko, da einerseits der Weg zu adäquater medizinischer Versorgung sehr weit sein kann und andererseits suspekte Tiere in schwierigem Gelände nicht immer umgangen werden können. Darum sollte vor entsprechenden Touren die Tollwut-Impfung verabreicht werden. Im Falle eines Tierbisses ist die Toleranzschwelle für den Abstieg sehr niedrig zu halten. Während des Everest-Marathons 1999 musste ein Patient nach einem Tierbiss ausgeflogen werden, aufgrund günstiger Wetterverhältnisse war dies auch innerhalb von 24 Stunden möglich (14). Eine rasche adäquate Wundversorgung und Nachimpfungen sind essentiell (13,28).

LEISHMANIOSE Durch Leishmanien verursachte Infektionserkrankungen umfassen die viszerale Leishmaniose (Kala-Azar), die kutane Leishmaniose (Orientbeule), sowie die mukokutane und die kutane Leishmaniose Amerikas. Insbesondere für die Leishmaniosen Amerikas wurden neben feuchtem Klima und dichtem Wald auch zunehmende Höhen als Risikofaktor beschrieben (29). In einer Studie, welche die Epidemiologie der Amerikanischen kutanen Leishmaniose in drei verschiedenen Dörfern Venezuelas verglich, 188


wurde gezeigt, dass Bewohner jenes Dorfes, welches am höchsten gelegen war (800 m) im Vergleich zu den zwei anderen überprüften Dörfern (beide unter 300 m) signifikant häufiger positiv auf Leishmanien getestet wurden (800 vs. unter 400 Fälle / 10.000 Einwohner über eine Studiendauer von 7 Jahren) (30). Die Leishmaniose ist vorwiegend eine Erkrankung von Einheimischen.

HAUTINFEKTIONEN Karbunkel, Furunkel (Abbildung 4), Pyoderma, Wundinfektionen, Hautinfektionen, Scabies und Läuse werden bei Bergsteigern häufig beobachtet (10). Für 6,4% aller

Abb. 4: Hautinfektion durch Streptococcus pyogenes (Thailand). Arztbesuche französischer Touristen in Nepal im Jahr 2001 waren bakterielle (3,6%) sowie fungale (2,8%) Hautinfektionen ursächlich (10). Prädisponierende Faktoren sind häufig Hygienemängel, Verletzungen (Abbildung 5), Erfrierungen sowie die vermehrte Exposition gegenüber Feuchtigkeit.

Abb. 5: Fingerverletzung am Klettersteig (Österreich). 189


In extremen Höhen heilen Wunden trotz antiinfektiver Therapie sehr langsam oder überhaupt erst nach Abstieg in große oder mittlere Höhen, dadurch steigt das Infektionsrisiko und es können sich ein Erysipel und eine Lymphangitis entwickeln (31). Sauerstoff hat eine zentrale Rolle sowohl in der Wundheilung als auch im speziellen in der Prävention von Wundinfektionen, jedoch ist die Rolle des Sauerstoffs in diesem Zusammenhang noch nicht völlig geklärt, da je nach Phase sowohl mäßige Hypoxie, als auch Normoxie oder Hyperoxie einen Einfluss auf die Wundheilung haben (32). Hypoxie und Kälte zusammen führen jedenfalls zu verzögerter Wundheilung und erhöhter Infektanfälligkeit (32,33). Das Problem der Hautinfektionen trifft Höhenbewohner ungleich häufiger als Höhentouristen; ebenfalls häufiger sind bei Einheimischen sekundäre Osteomyelitis und Sepsis nach nicht ausreichend versorgten Hautinfektionen.

INFEKTIONEN DES UROGENITALTRAKTS Harnwegsinfekte, urogenitale Pilzinfektionen und sexuell übertragene Infektionen sind unabhängig von der Höhe häufig. Das Erregerspektrum für sexuell übertragbare Erkrankungen und Pilzinfektionen ist in der Höhe dasselbe wie auf Meereshöhe und umfasst unter anderem Neisseria gonorrhoeae, Chlamydien, Trichomonaden, Candida, HSV Typ 1 und 2 und HIV. Prädisponierende Faktoren sind die häufig verminderte persönliche Hygiene, gesteigerte sexuelle Aktivität, neue Sexualpartner und antibiotische Therapie (16). Auch Infektionen des Urogenitaltraktes haben in der Höhe dasselbe Erregerspektrum wie auf Meereshöhe, werden bei Bergsteigern üblicherweise empirisch antibiotisch therapiert und erzwingen nur in seltenen Fällen den vorzeitigen Abstieg (16). Harnwegsinfekte waren ursächlich für 1,8% aller Arztbesuche französischer Touristen in Nepal im Jahr 2001. Sexuell übertragene Erkrankungen hingegen wurden 2001 nicht mehr diagnostiziert, nachdem sie 1984 noch in 4,2% der französischen Nepal-Touristen diagnostiziert wurden (10).

ZECKEN-ASSOZIIERTE INFEKTIONEN Schildzecken (Ixodes ricinus) assoziierte Infektionserkrankungen umfassen Borreliose, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Babesiose, Humane granulozytäre Anaplasmose (früher Ehrlichiose), Rickettsiosen (Abbildung 6), Q-Fieber, Tularämie, und Krim-Kongo Hämorrhagisches Fieber. In einer prospektiven Studie mit 334 Probanden, welche mindestens 7 Tage am „Appalachian Trail“ (maximale Höhe 2034 m) wanderten, wurden 24% (n = 68) von Zecken gestochen, 3% (n = 10) entwickelten Zecken-assoziierte Infektionen. Weitaus 190


Abb. 6: Eschar durch Rickettsien nach Zeckenstich (Südafrika). am häufigsten war die Borreliose (n = 9), ein Wanderer erkrankte an granulozytärer Anaplasmose; ein weiterer Wanderer erkrankte am Rocky Mountain Fleckfieber, einer Rickettsiose, die von Läusen übertragen wird (11). Im Zeitalter der globalen Erwärmung werden Zecken-assozierte Infektionen zunehmend auch in höheren Lagen ein Problem (34). Im Rahmen des Everest-Marathons 1999, welcher im Everest Basecamp auf 5184 m begann und auf 3446 m endete, mussten bei zwei Teilnehmern Zecken in Lokalanästhesie entfernt werden. Auf welcher Höhe diese Zecken akquiriert wurden, bleibt jedoch unklar (14). In der Tschechischen Republik wurde Ixodes ricinus bis zu einer Höhe von 1260 m gefunden, wobei sowohl die Zeckendichte, als auch die Stichfreudigkeit mit der Höhe rasant abnahm (35). Ähnliche Höhen wie in der Tschechischen Republik wurden aus der Schweiz berichtet. Dort kam es mit zunehmender Höhe bis 1020 m jedoch zu einer Zunahme der Zeckendichte, wohingegen die Häufigkeit von Borrelien-befallenen Zecken mit der Höhe deutlich abnahm (36,37). In Italien konnten Zecken sogar bis zu einer Höhe von 2000 m gefunden werden (38). Die maximale Höhe, in welcher FSME in der Tschechischen Republik bzw. Tschechoslowakei über die letzten 30 Jahren akquiriert wurde, zeigte einen jährlichen Anstieg von durchschnittlich 5,4 (± 1,7) Höhenmetern (39). Das FSME-Virus wurde in der Tschechischen Republik auf einer 191


maximalen Höhe von 1140 m aus Zecken isoliert, Borrelien bis zu einer Höhe von 1270 m (35,40). In Österreich, im speziellen in der Steiermark, wurde Ixodes ricinus bis zu einer Höhe von 1350 m (auf dem Gaberl) gefunden. Die Borrelien-Infektionsrate bei Zecken, die auf dieser Höhe gefunden wurde, lag bei 6,4%. Sowohl die Zeckendichte als auch die Durchseuchung der Zecken nahm in dieser Studie mit der Höhe deutlich ab (41).

OROYA-FIEBER Bartonella bacilliformis wird von einer Sandfliege übertragen und verursacht beim Menschen in der Akutphase die Carrión-Krankheit (oder Oroya-Fieber). Endemisch kommt dieser Erreger ausschließlich in den kolumbianischen, ecuadorianischen und peruanischen Anden auf einer Meereshöhe von 600 - 2500 m vor. Die Carrión-Krankheit geht mit hämolytischer Anämie, Hepatosplenomegalie, Lymphadenopathie und hohem Fieber einher und hat unbehandelt eine Letalität von 40-90%. Die chronische Phase ist charakterisiert durch ein Exanthem der Haut, die Verruga Peruana (42). Therapie der Wahl ist Ciprofloxacin.

SONSTIGE INFEKTIONEN Varizella Zoster Virus (Abbildung 7) ist häufig bei Nepalesischen Kindern und kann daher auch eine Gefahr für Touristen und Bergsteiger mit fehlender Immunität darstellen (16).

Abb. 7: Varizellen-Bläschen (Österreich). 192


Beschrieben wurde auch ein Fall von Höhenkrankheit nach Zahnwurzelinfektion (43). Zahlreiche andere reiseassoziierte Infektionserkrankungen (Dengue, Chikungunya, Meningokokken, Influenza, etc.) sind - je nach Region, Höhe und Vektoren - auch in der Höhe möglich. In erster Linie darf jedoch eine Akquisition dieser Infektionskrankheiten am Weg zum Berg nicht außer acht gelassen werden.

VORBEREITUNGEN Eine eingehende Vorbereitung auf die bereisten Gebiete und entsprechende Vorkehrungen (Mückenschutz, Repellentien, Reiseapotheke, Malaria-Prophylaxe, Impfungen) sind wichtig und sollten frühzeitig organisiert werden. Bezüglich der Medikamente sollten auch mögliche Interaktionen zwischen Substanzen für die Prävention und Therapie höhenassoziierter Erkrankungen und Malariamedikamenten oder Antibiotika in Betracht gezogen werden. So sollte Salmeterol nicht in Verbindung mit Chloroquin oder Clarythromycin eingenommen werden, da QT-Verlängerungen auftreten können. Azetazolamid kann die Serumspiegel von Chinin (Therapie der komplizierten Malaria tropica) erhöhen und zu vermehrter Toxizität führen (44). Internetressourcen World Health Organisation International Travel and Health

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Her wig Köppel, Manfred Wonisch

D i e p e r i p h e r e a r t e r i e l l e Ve r s chlusskrankheit – d a s A u s f ü r d e n A l p i nsport?

Peripheral Arterial Disease – the End of Alpine Sports?

SUMMARY The peripheral arterial disease (PAD) is a disease which is common among older people, mainly based on atherosclerotic lesions of the peripheral arteries. Due to the symptoms of intermittent claudication, which means pain in the muscles of thigh, calf or foot when walking, patients have to rest for a while, until there is relief of this ischemia-induced pain. In fact, this pain often leads to cessation of alpine sports, especially because at high altitude symptoms are aggravated due to lower oxygen saturation of the air. However, using all therapeutic options, including exercise, symptoms can be alleviated and patients can exhibit alpine sports joyfully again. Keywords: peripheral arterial disease (PAD), alpine sports, life-style

ZUSAMMENFASSUNG Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) ist eine in zunehmendem Alter immer häufiger werdende Erkrankung, in erster Linie beruhend auf einer atherosklerotischen Gefäßschädigung, aufgrund derer es zu Obstruktionen in den Gefäßstrombahnen der Extremitäten kommt. Durch die klinische Symptomatik der Claudicatio intermittens, bei der die Patienten nach kurzen Wegstrecken aufgrund von Schmerzen im Bereich der Oberschenkel-, Waden- oder Fußmuskeln rasten müssen, sind die betroffenen Patienten bei der Ausübung des Alpinsports natürlich besonders limitiert, insbesonders, da es in der Höhenlage durch eine niedrigere Sauerstoffsättigung zu einer Aggravierung der Beschwerdesymptomatik kommt. Durch verschiedene Therapiemaßnahmen, einschließlich des Gehtrainings und physikalischer Trainingsmaßnahmen, 199


kann die Beschwerdesymptomatik jedoch oftmals soweit reduziert werden, dass ein weiteres Ausüben des Alpinsports wieder freudvoll möglich ist. Schlüsselwörter: periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), Alpinsport, Lebensstil

EINLEITUNG Bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) handelt es sich in den meisten Fällen um atherosklerotisch bedingte Schäden der Gefäßwand peripherer Arterien, welche zu einer Obstruktion der entsprechenden Strombahn und damit zu einer Minderdurchblutung der distal gelegenen Areale führt. Weitere Ursachen, wie entzündliche Gefäßerkrankungen, die fibromuskuläre Dysplasie, Strahlenfibrose oder zystische Adventitiadegeneration sind dagegen seltene Ursachen einer entsprechenden klinischen Symptomatik. Das Kardinalsymptom der pAVK ist die Claudicatio intermittens, bei der es nach unterschiedlich langen schmerzfreien Gehstrecken zu Schmerzen der Oberschenkel-, Waden- oder Fußmuskeln kommt, welche den Patienten zum Abbruch der Belastung zwingen. Sind diese Schmerzen für den Lebensstil des Patienten nicht beeinträchtigend spricht man vom Stadium II a, bei Lebensstillimitierung vom Stadium II b. Alpinsportler werden selbstverständlich durch eine derartige Symptomatik sehr stark beeinträchtigt sein und einen starken Leidensdruck entwickeln. Fortgeschrittene Symptome sind der ischämische Ruheschmerz (Stadium III) bzw. die trophischen Läsionen der Extremitäten (Stadium IV) aufgrund der Unterversorgung mit Sauerstoff. Im Stadium III und IV spricht man auch von einer chronisch kritischen Extremitätenischämie. Da es sich bei der pAVK in erster Linie um eine atherosklerotisch bedingte Gefäßschädigung handelt, sind die Risikofaktoren für eine pAVK weitgehend identisch mit den Risikofaktoren für andere atherosklerotisch bedingte Erkrankungen wie KHK, Myokardinfarkt oder Insult. Dazu zählen bekannterweise die arterielle Hypertonie, die Hyperlipidämie, der Diabetes mellitus und der Nikotinabusus; von untergeordneter Bedeutung auch die Hyperurikämie bzw. die Hyperfibinogenämie. Der wichtigste isolierte Risikofaktor für die pAVK ist der arterielle Hypertonus. Nault et al konnten zeigen, dass unter adrenerger Stimulation, beispielsweise durch eine akute Höhenexposition, der Blutdruck in den unteren Extremitäten deutlich stärker zunimmt als an den oberen Extremitäten (1). Dies ist auch eine mögliche plausible Erklärung, warum die pAVK an den unteren Extremitäten sehr viel häufiger auftritt, als an den oberen. Männer haben ein höheres Risiko als Frauen; das Risiko eine pAVK zu entwickeln steigt mit zunehmendem Lebensalter. Wenn die pAVK durch ihre Symptomatik für die betroffenen Patienten auch äußerst limitierend ist, Todesursachen bei diesen Patienten sind meist Myokardinfarkte oder Schlaganfälle. Criqui et al konnten zeigen, dass mit zunehmendem 200


Schweregrad der pAVK die Überlebensrate deutlich absinkt (2). Für Alpinsportler mit Diabetes mellitus ist nicht nur die Claudicatio intermittens limitierend. Da diese Patienten oft aufgrund des häufig peripheren Befalls an Ulzerationen im Bereich der Zehen und Fersen leiden, sind für diese Patientengruppe die trophischen Läsionen der unteren Extremitäten oftmals verantwortlich, dass sie den Alpinsport nicht mehr ausüben können.

PAVK UND HÖHE Das Kardinalsymptom der pAVK ist wie erwähnt die Claudicatio intermittens, welche den Patienten durch den ischämisch-bedingten Schmerz der Oberschenkel-, Wadenoder Fußmuskulatur zum Abbruch der Belastung zwingt. Ist bei diesen Patienten in Ruhe die Sauerstoffversorgung der Muskulatur ausreichend, kommt es unter Belastung zu einem zunehmenden Sauerstoffdefizit und damit zur Auslösung des ischämischen Schmerzes, ähnlich der Angina pectoris bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung. In Höhenlagen ist für diese Patienten die Beschwerdesymptomatik aggraviert, da es durch die höhenbedingte Hypoxie zu einer adrenergen Stimulation und damit zu einer Vasokonstriktion der Gefäße kommt. Nault et al konnten in ihrer Studie klar nachweisen, dass diese Vasokonstriktion an den unteren Extremitäten deutlich stärker ausgeprägt ist als an den oberen (1). In dieser am Kilimandscharo in 4.100 m Höhe durchgeführten Studie konnten sie zeigen, dass der „ankle brachial index“ (ABI) als wichtigster Hinweis auf eine pAVK in der Höhenlage deutlich höher ist, als auf Meeresebene. Dies hängt in erster Linie mit der Verteilung der entsprechenden alpha-1-adrenergen Rezeptoren zusammen. Dies ist auch eine Erklärung dafür, warum die pAVK an den unteren Extremitäten wesentlich häufiger auftritt als an den oberen; insbesonders wenn man berücksichtigt, dass der arterielle Hypertonus der wichtigste isolierte Risikofaktor der pAVK ist (3). Die Regulierung des Gefäßtonus kann dabei insgesamt eine große Rolle spielen, und eine Studie von Schneider et al konnte demonstrieren, dass es eine genetisch bedingte verbesserte Regulierung des Gefäßtonus und damit der Blutflussgeschwindigkeit in Höhe bei Einheimischen der Himalaya-Region gibt (4). In 5.500 m war die Blutflussgeschwindigkeit an den unteren Extremitäten bei den Einheimischen deutlich besser als bei einem Kontrollkollektiv.

THERAPIE DER PAVK Lebensstilmodifikation: Aus der Tatsache, dass es sich bei der pAVK um eine Folge atherosklerotischer Gefäßschädigungen handelt, ergibt sich, dass ein wichtiger Teil der Therapie im Ausschalten der Risikofaktoren, die zur Atherosklerose geführt haben, besteht. Die Einstellung eines bestehenden arteriellen Hypertonus, die Kontrolle des 201


Cholesterins mit Erhöhung des HDL und Senkung des LDL, eine strikte Nikotinkarenz, Vermeiden von Übergewicht und eine ideale Blutzuckereinstellung bei Patienten mit Diabetes mellitus, ist unabdingbar. Dies bedeutet in erster Linie eine Lebensstilmodifikation mit Einhalten einer cholesterinarmen, kalorienreduzierten Diät, mäßigem Kochsalzkonsum, Zigarettenverzicht und vor allem körperlichem Training als wichtigster Maßnahme. Pharmkologische Therapie: eine weitere wesentliche Therapiesäule ist die pharmakologische Therapie. Diese umfasst die Acetylsalizylsäure, als wichtigstem und billigstem Medikament, weiters, besonders nach endovaskulären Rekanalisationen Clopidogrel (Plavix) als weiteren Thrombozytenaggregationshemmer, Statine zur Blutfettsenkung, Antihypertensiva zur Regulierung des Blutdrucks. Rheologika wie Dusodril, Trental u. a. haben eine eher untergeordnete Rolle, bei der chronisch kritischen Extremitätenischämie kommen jedoch parenteral zu verabreichende Substanzen wie Prostaglandine (Iloprost) zum Einsatz. Endovaskuläre Rekanalisation: häufig können Läsionen im Bereich der Arterien der unteren Extremität mittels endovaskulär rekankalisierender Maßnahmen wie die perkutane transluminale Angioplastie mit und ohne Stentimplantation, oder die intraarterielle Thrombolyse, oder die Aspirationsembolektomie erfolgreich zur Rekanalisation und Wiederherstellung der Perfusion eingesetzt werden. Im Vergleich zu den chirurgischen Therapien sind diese insgesamt wesentlich schonender. Chirurgische Maßnahmen: chirurgische Therapien wie die femoro-popliteale Bypassoperation, oder auch cruro-pedale oder pedo-pedale Bypässe, Gefäßinterponate, Thrombendarteriektomien, Embolektomien mittels Fogarty-Katheter oder Amputationen sind die ultima ratio der möglichen Therapien, aus dem möglichen Spektrum jedoch nicht wegzudenken. Physikalische Therapiemaßnahmen: auf eine mögliche Therapieform möchte ich jedoch noch gesondert hinweisen, weil es sich um die schonendste, billigste und auch potenziell erfolgversprechendste Therapieform handelt: es braucht nur die notwendige Konsequenz sie auch durchzuführen: ausreichendes Gehtraining und körperliche Bewegung stellt mit Sicherheit in jedem klinischen Stadium die wichtigste Therapieoption dar. Durch die Belastung an der Schmerzschwelle werden nämlich Zytokine wie beispielsweise der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor (VEGF) freigestzt, welche zu einer verstärkten Gefäßneubildung und Kollateralisierung führen, dadurch können die ursprünglich obstruierten Gefäßabschnitte partiell ersetzt werden. Dies kann noch unterstützt werden durch weitere physikalische Maßnahmen wie den sog. Ratschow’schen Gefäßübungen oder Kniebeugen und Zehenständen, welche alle den selben Effekt erzielen. Durch die simulierte Ischämie kommt es zur Gefäßneubildung. Es konnte sogar gezeigt werden, dass durch Übungen mit den Händen etwa am Pedalergometer eine symptomatische PAVK der Beine gebessert werden kann. 202


FAZIT Eine bestehende pAVK mit entsprechender klinsicher Symptomatik muss also keineswegs das Aus für den Alpinsport bedeuten, im Gegenteil: der Alpinsport sollte gezielt als „Medikament“ eingesetzt werden, es bedarf lediglich einiger Maßnahmen, die es zu beachten gilt. Die Höhe sollte zu Beginn des Trainings nicht zu hoch angesetzt werden, und die Gehgeschwindigkeit sollte ebenfalls moderat gewählt werden. Weiters ist auf ein gutes Schuhwerk mit weicher Dämpfung zu achten und besonders bei Diabetikern sollte eine mögliche Blasenbildung oder Verletzung der Haut durch gute Socken vermieden werden. Trockenhalten der Füße und das Vermeiden von extremen Temperaturen sollte ebenfalls gewährleistet sein. In jedem Fall sollte sich kein begeisterter Alpinsportler durch eine evtl. bestehende pAVK von seinem Sport abhalten lassen und die vielen positiven Effekte auf den Blutdruck, Blutfette, Körpergewicht, Blutzucker und besonders die Psyche für sich nutzen.

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Herber t Juch, Mar tin Gauster

Te r a t o g e n e s R i s i k o v o n H ö h enaufenthalten i n d e r S c h w a n g e r schaft Teratogenic Risk of High Altitude during Pregnancy

SUMMARY Early human development is an amazingly complex and perfectly regulated process. Essential nutrition- and oxygen-supply is provided by the placenta. High altitude is associated with a reduced oxygen partial pressure in maternal arterial blood and subsequently in the placenta. Hypoxia in the embryo and foetus has been shown to cause congenital anomalies and pregnancy complications, thus acting as a teratogen. In this article we present a short introduction into teratologic risk assessment and the principles of teratology, and summarize the current knowledge on the effect of high altitude on human pregnancy. Therefore we analyse the available data on placenta- and embryo-development under hypoxic conditions in animals and humans to provide a background (biologic plausibility!) for the evaluation of (rare) epidemiologic data on pregnancy at high altitude. Furthermore we discuss a possible evolutionary adaptation of human reproduction to high altitude. Studies on pregnancy outcome at high altitude in women from native altitude populations e.g. the Tibetans suggest pregnancy – protective characteristics to have evolved over thousands of years in these populations. This leads to a significantly reduced risk for adverse pregnancy outcome, compared to women with short altitude residency. Finally we try to deduce general recommendations on pregnancy at high altitude for (European) women, considering gestational age and additional factors possibly modifying the teratogenic risk of this exposure. Keywords: teratogenic risk, placenta, embryo, pregnancy, altitude, hypoxia

ZUSAMMENFASSUNG Die frühe menschliche Entwicklung im Mutterleib ist ein faszinierender, perfekt regulierter Prozess. Die Nährstoff- und Sauerstoffversorgung erfolgt über die Plazenta. Der Aufenthalt in großen Höhen führt über eine reduzierte Sauerstoffsättigung des mütter205


lichen arteriellen Blutes zu einem verminderten Sauerstoffpartialdruck in der Plazenta. Studien haben gezeigt, dass embryonale und fetale Hypoxie die vorgeburtliche Entwicklung negativ beeinflussen können (Missbildungen beim Kind) und Schwangerschaftskomplikationen, mit gesundheitlichen Folgen für Mutter und Kind, begünstigen. Diese Übersichtsarbeit gibt eine kurze Einführung in die Teratologie als Lehre von den angeborenen Anomalien und die teratologische Risikoabschätzung, und fasst das derzeitige Verständnis über negative hypoxische Einflüsse auf die Schwangerschaft zusammen. Dabei werden die Daten zum Hypoxieeinfluss auf die Plazenta- und die Embryonalentwicklung beleuchtet, um die biologische Plausibilität von hypoxisch bedingten teratogenen Effekten zu klären. Weiters werden epidemiologische Studien zu Schwangerschaftsverläufen in großer Höhe diskutiert, wobei auf eine evolutionäre Adaptation der menschlichen Fortpflanzung an Höhe eingegangen wird. Untersuchungen belegen ein signifikant geringeres höhenbedingtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen und Missbildungen bei Frauen aus traditionell höhenbewohnenden Ethnien beispielsweise bei Tibeterinnen. Eine jahrtausendelange natürliche Selektion hat offenbar die Entwicklung vererbbarer schwangerschaftsprotektiver Eigenschaften in Höhenregionen gefördert. Zuletzt versuchen wir Empfehlungen für (europäische) Frauen zu „Schwangerschaft und Höhe“ abzuleiten, wobei die Bedeutung des Gestationsalters, sowie weitere risikorelevante Einflüsse berücksichtigt werden. Schlüsselwörter: Teratogenes Risiko, Plazenta, Embryo, Schwangerschaft, Höhe, Hypoxie

EINLEITUNG Teratogenes Risiko beim Menschen Angeborene Anomalien bei Kindern haben die Heilkunde von Anfang an beschäftigt, sie waren und sind Ursache großen menschlichen Leids. Angeborene Anomalien gehören, quer durch die Kulturen, zu einer Gruppe von Gesundheitsproblemen, die nach wie vor von den Betroffenen als stigmatisierend empfunden werden (1). Missbildungen oder „Geburtsfehler“ wurden und werden häufig mit Sünde und Bestrafung assoziiert. Erkrankungen mit besonderer Stigmatisierung: ● Fehlbildungen ● geistige Behinderung ● psychiatrische Erkrankung ● Erbkrankheiten ● Krebs Tabelle 1 206


Im Unterschied zu früheren mystisch-abergläubischen Deutungen und Beschuldigungen im Kontext mit angeborenen Anomalien, haben wir auch in diesem Bereich, dem empirisch-naturwissenschaftlichen Zugang der Medizin zur Thematik „Fehlbildungen“ viele Erkenntnisse über Häufigkeit und eigentliche Ursachen angeborener Anomalien zu verdanken. Basisrisiko Jede „gesunde“ schwangere Frau trägt ein Risiko für angeborene Gesundheitsprobleme bei ihrem Baby von mindestens 3 - 6% (abhängig von der Genauigkeit der Untersuchungen beim Baby im 1. Lebensjahr – bei sehr genauer Untersuchung der Kinder finden sich etwa bei einem von 16 Kindern angeborene Gesundheitsprobleme!). Darüber hinaus trägt jede Schwangere in der 4. Schwangerschaftswoche (gerechnet vom 1. Tag der letzten Regelblutung) mindestens ein 15% Abortrisiko. Es gibt also keine Schwangerschaft ohne Risiko für Fehlgeburten oder angeborene Anomalien. Häufige angeborene Anomalien beim Menschen Tabelle 2 zeigt eine Übersicht über die häufigsten angeborenen Anomalien beim Menschen, die Summe der Häufigkeiten ergibt mehr als 3%, da immer wieder Kombinationen von Anomalien auftreten. Die Anzahl an möglichen Anomalien, wenn sehr seltene berücksichtigt werden, ist riesengroß – alleine die Datenbank OMIM (online Mendelian Inheritance in Man), die alle monogen (durch die Veränderung eines einzelnen Gens) vererbten Anomalien erfasst, zählt über 19.000 Einträge. Häufige Angeborene Anomalien beim Menschen (Inzidenz): ● Herzfehler 35‰ ● Angeborene Hüftgelenksprobleme 14‰ ● Leistenbruch 11‰ ● Micro/Hydrocephalus (Kopfgrößen- Anomalien) 10‰ ● Geistige Entwicklungsstörung 10‰ ● Urogenitale Anomalien 10‰ ● Lippen Kiefer Gaumenspalte 5‰ ● FASD (alkoholbedingte Anomalien) 4.5‰ ● Neuralrohrdefekte (offener Rücken ect.) 1,5‰ Tabelle 2 Ursachen angeborener Anomalien Die rasanten Fortschritte der Humangenetik haben in den letzten Jahrzehnten dazu beigetragen, dass heute etwa 25% der angeborenen Anomalien über rein genetische Mechanismen erklärbar sind. Eine große Anzahl monogener Erbkrankheiten wurde 207


charakterisiert (siehe OMIM), darüber hinaus eine ebenfalls umfangreiche Menge an zahlenmäßigen und strukturellen Chromosomenveränderungen. Seit der Thalidomid-Katastrophe in den 1960-er Jahren, wo durch ein als harmlos eingestuftes Schlafmittel („Contergan“) schwerste angeborene Anomalien beim Menschen verursacht wurden, ist klar, auch exogene Einflüsse können die intrauterine Entwicklung des Menschen gravierend beeinträchtigen – diese Einflüsse werden als teratogene Faktoren oder „Teratogene“ bezeichnet. Heute weiß man, dass diverse mütterliche Erkrankungen, bestimmte Infektionen, bestimmte Medikamente, Alkohol, Drogen, Mangelernährung, Folsäuremangel, Iodmangel, Umweltgifte, anatomische Ursachen (Gebärmutteranomalien) und Unfälle (schwere Traumata) für etwa 10% der angeborenen Anomalien verantwortlich sind. Bei etwa zwei Drittel aller angeborenen Anomalien lässt sich keine eindeutige Ursache festmachen. Als kausal werden Kombinationen von exogenen und genetischen Ursachen postuliert – man spricht von multifaktoriell bedingten Anomalien (viele Herzfehler, Neuralrohrdefekte, va. geistige Entwicklungsstörungen, usw.) Durch hohen sozialen Standard, optimale Betreuung der Schwangeren, (Vorsorgeuntersuchungen, hoch entwickelte Geburtshilfe) sowie Schutzvorschriften (z. B. im Arbeitsrecht), lassen sich einige der bekannten exogenen Ursachen für angeborene Anomalien, und damit viel menschliches Leid, aber auch hohe Kosten für das Gesundheitssystem, vermeiden. Folgen einer Teratogenexposition Das Einwirken eines teratogenen Faktors auf eine Schwangere kann die in Tabelle 3 zusammengefassten Konsequenzen haben. Mögliche Entwicklungsverläufe nach potenziell schädigenden Einwirkungen in der Schwangerschaft: ● Normale Entwicklung (häufigster Fall) ● Intrauteriner Fruchttod, Abort, Frühgeburt ● Morphologische Organanomalien (z. B. offener Rücken, Herzfehler etc.) ● Funktionelle Einschränkungen (geistige Entwicklungsverzögerung) ● Wachstumsretardierung (Intra-Uterine-Growth-Retardation IUGR) ● Tumore (z. B. Leukämien nach ionisiernder Strahlung) Tabelle 3 Welchen weiteren Verlauf die Schwangerschaft nimmt, hängt neben der individuellen genetischen Konstitution von Mutter und Embryo/Fetus, maßgeblich vom Zeitpunkt des Einwirkens eines Faktors in der Schwangerschaft, sowie der „Dosis“ des Faktors ab. Nach Teratogenexposition kann daher auch von Experten keine genaue Vorhersage der Gesundheit des Kindes gemacht werden – es besteht lediglich die Möglichkeit abzu208


schätzen, inwiefern sich im individuellen Fall das Basisrisiko für angeborene Anomalien (siehe oben) erhöht hat. Erfassung teratologischer Risiken Das direkte experimentelle Untersuchen teratogener Einflüsse am Menschen ist unmöglich. Ebenso z. B. klassische Arzneimittelstudien an Schwangeren. Sobald ein Einfluss als möglicherweise fruchtschädigend erkannt wird, werden Schwangere davor nach Möglichkeit geschützt. Die Suche nach möglichen Teratogenen bedient sich daher in erster Linie retrospektiver epidemiologischer Untersuchungen, um verdächtige Faktoren zu erkennen, sowie diverser Tiermodelle, Organ- und Gewebekulturen, um die biologische Plausibilität der epidemiologischen Daten zu ergründen. Manche Situationen ermöglichen es auch, bei unabsichtlichen oder unvermeidbaren (Teratogen) Expositionen, nach genauer individueller teratologischer Risikobeurteilung, prospektive Studien durchzuführen. Diesbezüglich sei besonders auf das Europäische Netzwerk der Teratologie-Informations-Services (ENTIS: www.entis-org.com) hingewiesen, das neben dem Anbieten von kompetenter Teratologie-Information, wertvolle prospektive Daten auf Basis der dortigen Anfragen sammelt und in Studien auswertet.

HÖHE UND TERATOGENES RISIKO Der Aufenthalt in großer Höhe führt, bedingt durch den abnehmenden Luftdruck, zu einer abnehmenden Sauerstoffsättigung des Blutes und damit zur Hypoxie im Gewebe. Mütterliche Hypoxie führt über eine Hypoxie der Plazenta auch zur Hypoxie im sich entwickelnden Embryo bzw. Fetus. Die humane intrauterine Entwicklung ist ein hochkomplexer, feinregulierter, energieaufwändiger Vorgang, so dass die Frage nach der Hypoxietoleranz – und einem möglichen Risiko für Entwicklungsstörungen durch eingeschränkte Sauerstoffversorgung – durchaus berechtigt ist. Schon Anfang der 1950-er Jahre wurde bei Hypoxiestudien an schwangeren Ratten festgestellt, dass eine simulierte Seehöhe von >7500 m während der Phase der Organogenese einerseits zu vermehrtem Absterben der Embryonen, aber auch andererseits zu angeborenen Anomalien wie Gaumenspalten, Hirnfehlbildungen und Hodenentwicklungsstörungen führte (2). Plazenta und Hypoxie Die humane Plazenta Die humane Plazenta stellt ein temporäres Organ dar, das für die Dauer einer Schwangerschaft angelegt wird und als Schnittstelle zwischen mütterlicher und fetaler Blutzirkulation zahlreiche Aufgaben erfüllt. An dieser Schnittstelle wird nicht nur der Transport von Nährstoffen und Stoffwechselprodukten zwischen beiden Blutzirkulationen 209


genau reguliert („Plazentaschranke“), sondern werden auch entscheidende Hormone (z. B. humanes Choriongonadotropin, hCG) gebildet. Nicht zuletzt findet hier auch der Gasaustausch (O2/CO2) zwischen mütterlicher und fetaler Blutzirkulation statt (siehe Abbildung 1).

Blutfluss in der humanen Plazenta, schematisch:

Nabelstrang mit kindlichen Nabelschnurgefäßen (2 Arterien, 1 Vene)

Amnionhöhle mit Fruchtwasser

Aufzweigung der Nabelstranggefäße in der Plazenta

IVR IVR

IVR

Plazentazottenbäumchen mit Aufzweigungen der Nabelstranggefäße bis zum Kapillargebiet, zwischen den Zotten: intervillöser Raum (IVR) Gebärmutterschleimhaut mit mütterlichen Blutgefäßen Spiralarterien bringen mütterliches Blut in den IVR ; die „Plazentaschranke“ trennt kindliches und mütterliches Blut

Abbildung 1

Entwicklung der humanen Plazenta Die Entwicklung der Plazenta beginnt mit dem Zeitpunkt der Implantation der Blastozyste in die Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) etwa am Tag 6/7 nach Befruchtung. In diesem Stadium haben sich bereits zwei unterschiedliche Zellmassen gebildet: 210


der Embryoblast, aus dem sich der embryonale Körper bildet und der Trophoblast, der den Kontakt zum mütterlichen Gewebe herstellt und für das Eindringen des Keims in das Endometrium verantwortlich zeichnet. In dieser Phase wird der Keim noch histiotroph, d. h. von angrenzenden Bindegewebszellen des Endometriums (Deziduazellen) und Sekreten der Schleimhautdrüsen versorgt. Zwischen 8. und 11. Tag bilden sich in der eingepflanzten Trophoblast-Zellmasse schließlich zahlreiche Lakunen, die sich zum sogenannten intervillösen Raum vereinigen. Dieser ist anfangs jedoch noch nicht durchblutet, sondern wird erst, wenn Trophoblasten den Kontakt zu kleinen Blutgefäßen des Endometriums herstellen, mit mütterlichem Blut gefüllt. Nun bilden sich Plazentazotten (Villi), die in den intervillösen Raum reichen und vom maternalen Blut umspült werden. Mit der Entwicklung der Zotten kommt es zu einer massiven Oberflächenvergrößerung der feto-maternalen Kontaktzone. Ab der 3. SSW bilden sich im Bindegewebe der Zotten schließlich Blutgefäße, die ab der 4. SSW an das bereits bestehende embryonale Blutgefäßsystem angeschlossen werden. Ab der 10. SSW beginnen speziell differenzierte (invasive, „extravillöse“) Trophoblasten mit dem Umbau der Spiralarterien des Endometriums, sodass diese direkt in den intervillösen Raum der Plazenta münden. Dabei wird das Endothel der Spiralarterien durch Trophoblasten ersetzt und glatte Gefäßmuskulatur abgebaut. Der Umbau führt zu unelastischen, weitgestellten Gefäßen, die ihre Sensitivität auf vasomotorische Einflüsse verlieren und den intervillösen Raum ausreichend durchbluten. Damit verbunden ist auch ein massiver Anstieg des lokalen/intervillösen pO2, der von < 20 mmHg vor der 8. SSW auf etwa 60 mmHg nach der 12. SSW zunimmt (3). Einfluss von Sauerstoff auf die Entwicklung der Plazenta Dass der paO2 die Entwicklung der humanen Plazenta beeinflusst, wurde durch zahlreiche Studien belegt. Verminderter paO2 vermindert beispielsweise die Differenzierung von Trophoblasten zum invasiven, extravillösen Typ, der wie oben beschrieben, mütterliche Spiralarterien umbaut. Demnach kann angenommen werden, dass verminderter paO2 in der Plazenta zu einem eingeschränkten Umbau der Spiralarterien führt, es dadurch zu einer verminderten Durchblutung des intervillösen Raums kommt und so letztendlich auch der Transport von Nährstoffen zum Feten eingeschränkt ist. Dies wurde nicht nur in vitro an isolierten Trophoblasten demonstriert, sondern konnte auch im humanen Gewebe nachgewiesen werden. Eine Studie an Plazenten von Schwangerschaften in unterschiedlichen Höhen zeigte, dass die terminalen Enden von Spiralarterien in Plazenten von Schwangerschaften in 3100 m Seehöhe weniger stark durch Trophoblasten umgebaut wurden als in 1600 m (5). Eine eingeschränkte Durchblutung des intervillösen Raums versucht die Plazenta zum Teil mit erhöhter Gefäßbildung in den Zotten zu kompensieren (6, 7). Dennoch, erhöhte Werte an fetalem Hämatokrit und fetalem Hämoglobin, sowie das Auftreten von neona211


taler Hyperbilirubinämie, als Folge von Schwangerschaften in großer Höhe, deuten auf fetale Hypoxie und eine dadurch vermittelte erhöhte Erythropoese hin (8, 9). Weiters zeigte eine aktuelle Studie an Plazenten aus Schwangerschaften in unterschiedlichen Höhen (Meeresspiegel, 1600 m und 3100 m) einen signifikanten Einfluss der Höhe auf das durchschnittliche Gewicht der Plazenta am Geburtstermin. Demnach betrug das durchschnittliche Gewicht einer humanen Plazenta auf Meeresspiegel etwa 700 g, verringerte sich bei 1600 m auf etwa 590 g und fiel bei 3100 m gar auf durchschnittliche 500 g (10). Das Geburtsgewicht der Kinder folgte demselben Trend und nahm mit Zunahme an Höhe ab. Ähnliche Studien bestätigten diese Beobachtungen und postulieren, dass das Geburtsgewicht durchschnittlich etwa um ~100 g pro 1000 m Höhe abnimmt (11, 12). Dieser Effekt mag wohl eine Adaption an die eingeschränkte intervillöse Durchblutung darstellen, da dadurch auch weniger Wachstumsfaktoren und Nährstoffe über die Plazenta transportiert werden. Schwangerschaften in großer Höhe sind auch häufiger von ernsten Schwangerschaftspathologien wie etwa der Präeklampsie (EPH-Gestose) begleitet. Die Präeklampsie wird – nicht nur bei Schwangerschaften in großen Höhen, sondern auch auf Meeresspiegel – als eine mögliche Ursache für verringertes Geburtsgewicht (small for gestational age, SGA) angesehen. Studien in Bolivien zeigten beispielsweise, dass etwa die Hälfte aller Fälle an verringertem Geburtsgewicht durch Präeklampsie mitbegründet ist (13). Embryo und Hypoxie Tierexperimentelle Daten Experimentelle Studien zeigten mehrfach, dass Phasen ausgeprägter Hypoxie im ersten Schwangerschaftsdrittel zu typischen Fehlbildungsmustern führen können, wobei besonders Reduktions-Defekte an Gliedmaßen – von fehlenden Nägeln bis zum Fehlen der gesamten Hände oder Füße –, aber auch Gewebeuntergänge (Nekrosen) im Großhirn, im Hirnstamm und in Netzhaut und Linse des Auges beobachtet wurden. Während der genaue Bedarf an Sauerstoff zu verschiedenen Zeiten der Säugetierentwicklung noch weitgehend ungeklärt ist, scheint der frühe Keimling sich physiologisch unter relativ hypoxischen Bedingungen zu entwickeln. Wie bereits erörtert, beginnt erst in der 10. - 12. Entwicklungswoche ein relevanter Blutstrom im intervillösen Raum der Plazenta, und damit die effektive Durchblutung und O2-Versorgung der Plazenta von mütterlicher Seite, während der embryonale Kreislauf viel früher einsetzt und eines der ersten funktionell aktiven Organsysteme darstellt. So beginnt bereits in der 4. Woche ein nachweisbarer Herzschlag und ein paar Tage später ist eine funktionierende Zirkulation zu beobachten- wohl um den rasch wachsenden Embryo ausreichend mit Nährstoffen (und Sauerstoff?) zu versorgen. Studien am Mausembryo haben gezeigt, dass nach der Einnistung in der Gebärmutter hauptsächlich anaerobe Energiegewinnung über die Glykolyse betrieben wird. Bei 212


Nagetieren scheint der Sauerstoffbedarf am Beginn der Organentstehung tatsächlich gering zu sein, es gibt sogar Hinweise, dass zuviel Sauerstoff in dieser Entwicklungsphase negative Auswirkungen haben kann (14, 15). Spezifische Hypoxienachweismethoden zeigen, dass während der normalen Embryonalentwicklung bei Maus und Ratte, abwechselnd bestimmte Gewebsareale hypoxisch sind (Sauerstoffpartialdruck < 10 mmHg, vgl. mit 20 - 40 mmHg als „normalem“ pO2 im Gewebe) (16, 17). Diese Ergebnisse werden dzt. dahingehend interpretiert, dass der Sauerstoffpartialdruck nicht primär bei der frühen Energiegewinnung, sondern vielmehr bei der Regulation der Herzentwicklung und der Gefäßentstehung eine wichtige Rolle spielt – in hypoxischen Regionen werden diesbezüglich bedeutende Faktoren wie Hypoxia Inducible Factor (HIF-1α) sowie Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) produziert. Eine feinjustierte, balancierte Sauerstoffverteilung im Embryo scheint also für die physiologische Entwicklung bedeutsam. Im Tierversuch gibt es verschiedene Möglichkeiten, eine embryonale Entwicklung unter hypoxischen Bedingungen zu untersuchen. Versuche an Ratten in Hypoxie-Kammern waren, nach dem luftdichten Beschichten von Hühnereiern, erste experimentelle Ansätze, die Fehlentwicklungen unter Hypoxie erkennen ließen. Weiters wurden induzierte maternale Anämie (Blutverlust) sowie selektives Abklemmen der Gebärmutter-Arterien in der Ratte eingesetzt, um die Hypoxietoleranz der Keimlinge zu verschiedenen Gestationszeiten zu untersuchen (18, 19). Dabei zeigte sich eine verstärkte Empfindlichkeit gegenüber Hypoxie gegen Mitte der Schwangerschaft, wobei diverse Anomalien bei den Nachkommen, schwerpunktmäßig Extremitätendefekte, Gaumenspalten, und Nekrosen im Zentralnervensystem beobachtet werden konnten. Diese Beobachtungen sind kongruent mit Ergebnissen aus Hypoxieuntersuchungen am Hühnerembryo, wo ein „Ödem-Syndrom“ mit Blutungen aus fragilen Gefäßen, nach vorübergehender Pulsverlangsamung und Gefäßerweiterung im Embryo beschrieben wurde (20). Humanembryologische Daten Verschiedene gefäßverengende Medikamente und Drogen (Misoprostol, Kokain, Serotonin, Epinephrin, Nikotin) zeigen im Tierversuch dosisabhängig ähnliche Schädigungsmuster bei den Nachkommen wie sie in Hypoxieexperimenten nachweisbar sind. Ähnliches lässt sich mit Substanzen zeigen, die den embryonalen Herzrhythmus beeinträchtigen, und so zu embryonalen Kreislaufschwierigkeiten führen (Phenytoin, evtl. Erythromycin). Letztere Beobachtungen konnten auch beim Menschen gemacht werden – bei fehlgeschlagenen Abortversuchen mit Misoprostol sowie bei Kindern von Kokain-Konsumentinnen zeigt sich ein erhöhtes Risiko für typische Extremitätendefekte sowie ZNS-Defekte (17). Weitere Hinweise auf Ähnlichkeiten zwischen experimentellen hypoxisch bedingten Anomalien im Tierversuch und möglichen hypo213


xiebedingten Entwicklungsschäden beim Menschen ergeben sich aus der Analyse von Feten mit angeborenen Hämoglobinsynthesestörungen, welche das embryonal und fetal gebildete Hämoglobin betreffen. So zeigen Feten mit α-Thalassämie unter anderem ein stark erhöhtes Risiko für das Auftreten von hypoxietypischen terminalen Extremitätendefekten (21). Zusammengefasst erhöht sich also durch (ausgeprägte) pränatale Hypoxie sowohl im Tierversuch, als auch beim Menschen, das Risiko für angeborene Anomalien – wobei die Schädigungen ein relativ spezifisches Muster zeigen. Möglicherweise erhöht sich beim Menschen auch das Risiko für angeborene Herzfehler durch signifikante Hypoxien während des ersten Schwangerschaftstrimenons (22) – dieses Risiko könnte auf Basis der Tierversuche, aufgrund der komplizierten Diagnose solcher Defekte in Maus oder Ratte, eventuell unterbewertet sein. Epidemiologische Daten Niedriges Geburtsgewicht, Präeklampsie, Intrauterine Wachstumsretardierung, angeborene Anomalien und Höhe In hochgelegenen besiedelten Regionen der Welt können weitere Erkenntnisse zu Schwangerschaftsverlauf und Schwangerschafts-„Outcome“ beim Menschen gewonnen werden. Analysen von Geburtsregistern und Statistiken der Frauenkliniken in Gegenden wie den Rocky Mountains, in Tibet oder in hochgelegenen Gebieten der südamerikanischen Anden, ergeben klare Hinweise auf einen Einfluss von höhenbedingter Hypoxie auf die Schwangerschaft – auch die Daten aus der Plazentaforschung deuten, wie erwähnt, in diese Richtung. So wird zum Beispiel eine klare Reduktion des Geburtsgewichts über 2500 m Seehöhe von ~100g/1000 m ebenso beobachtet, wie ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen wie Präeklampsie, Intrauterine Wachstumsretardierung (IUGR) oder Fehl- und Totgeburten (23). Auch die Säuglingssterblichkeit ist über 2500 m erhöht. Obwohl schwierig zu erheben, konnte die „Latin American Collaborative Study of Congenital Malformations“ (ECLAMC) ein höhen(hypoxie)bedingt vermehrtes Risiko für bestimmte angeborene Anomalien wie Lippenspalten, Ohranomalien, „KiemenbogenAnomalien“ (Anomalien im Kopf-Halsbereich, deren Ursprung sich auf die embryonal vorhandenen „Kiemenbögen“ zurückführen lässt), Analfehlbildungen und Extremitätenanomalien (durch „amnionbandbedingte Abschnürungen“) kalkulieren (24). Gleichzeitig wurde eine Reduktion des Risikos für andere Anomalien wie Neuralrohrdefekte (offener Rücken u. dgl.) errechnet. Mögliche Störfaktoren in dieser Studie gibt es viele – die Häufigkeiten von angeborenen Anomalien variieren z. B. abhängig von der sozialen Schichte ebenso wie in Abhängigkeit vom genetischen Hintergrund verschiedener Ethnien und deren Umgang mit bekannt teratogenen Einflüssen wie Alkohol oder Tabakrauch. Manche Einflüsse, wie ethnischer Hintergrund und Gesundheitsversorgung 214


wurden daher statistisch nach Möglichkeit berücksichtigt. Zusammengefasst scheint sich Höhe negativ auf den Reproduktionserfolg des Menschen auszuwirken. Evolutionäre Anpassung an Schwangerschaft in großer Höhe Da Hochlandregionen der Erde schon seit Jahrtausenden, teilweise seit >1 Million Jahre vom Menschen besiedelt werden (25), stellt sich die Frage nach einer evolutionären Anpassung, insbesondere schwangerschaftsrelevanter Merkmale an die höhenbedingte Hypoxie. Tatsächlich zeigen verschiedene Studien, dass Schwangere mit traditionell höhenbewohnenden Vorfahren, bzw. deren Kinder, signifikant geringere Risiken für Schwangerschaftsprobleme bzw. neonatale Komplikationen haben, verglichen mit Frauen, deren Vorfahren erst vor wenigen Generationen in die Hochgebiete kamen. Dies kann z.B. beim Vergleich von Schwangerschaftsverläufen und Säuglingsgesundheit zwischen Tibeterinnen und zugewanderten Han-Chinesinnen in Lhasa deutlich beobachtet werden. Obwohl bei den Han-Chinesinnen natürlich eine physiologische Akklimatisation an die Höhe stattgefunden hat, haben sie ein etwa doppelt so hohes Risiko für Präeklampsie, ihre Neugeborenen sind > 2x so oft „small for date“ mit einem Geburtsgewicht unter 2500 g und zeigen häufiger diverse Komplikationen im 1. Lebensjahr – mitbedingt durch das geringere Geburtsgewicht (26). Diese Erkenntnisse bestätigen eine der Grundregeln der Teratologie, wonach die Empfindlichkeit des Embryos gegenüber einem exogenen schädigenden Faktor vom Genotyp (der Mutter und des Kindes) abhängig ist. Wie CG Julian et al. in ihrer Übersichtsarbeit darstellen, ermöglichen moderne genetische und statistische Werkzeuge mit der nötigen Genauigkeit die genetische Herkunft von Personen festzustellen und eröffnen somit die Möglichkeit, beobachtete vorteilhafte Merkmale, besonders der traditionellen indigenen Höhenbewohnerinnen, bestimmten Genorten zuzuordnen. Im Hintergrund steht das Konzept, dass höhenbedingte Hypoxie über zehntausende bis hunderttausende von Jahren auch zu einer genetischen Selektion vorteilhafter Merkmale geführt haben sollte, wobei insbesondere die reproduktive Fitness ein starkes Kriterium gewesen sein müsste. Aus embryologisch-teratologischer Sicht ebenfalls spannend wird auch die Frage werden, inwiefern epigenetisch weitergegebene Merkmale ebenfalls für die tatsächlich zu beobachtenden Vorteile traditioneller Höhenbewohnerinnen verantwortlich sind. Welche messbaren physiologischen Faktoren es nun jedoch wirklich sind, die schwangerschaftsprotektiv wirken, ist noch nicht vollständig geklärt. Einiges spricht derzeit für die Hypothese, eine prinzipiell verstärkte Durchblutung der Beckenorgane, und eine verbesserte Fähigkeit, v. a. die Durchmesser der Gebärmuttergefäße und damit die Gebärmutterdurchblutung in der Schwangerschaft deutlich stärker zu steigern, wäre für den Schutz des Ungeborenen vor negativen Einflüssen in großer Höhe verantwortlich (27). Weiters könnte eine verbesserte Fähigkeit von embryonaler und fetaler Seite her, 215


die Plazenta an die hypoxischen Verhältnisse anzupassen, oder eine verminderte Empfindlichkeit der frühen Organogenese auf Sauerstoffmangel (angepasste HIF-1α- und VEGF- Produktion?) im Embryo/Fetus selbst eine Rolle spielen. Insgesamt scheint es wahrscheinlich, dass für die evolutionäre Anpassung der Schwangerschaft an Höhen über 2500 m nicht ein Gen allein verantwortlich sein kann, sondern es sich um eine Veränderung mehrerer oder sogar vieler Gene und eventuell epigenetischer Merkmale handeln müsste, die mit einer Verbesserung der „Reproduktiven Fitness“ in großer Höhe einhergehen.

SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR DIE PRAXIS AUS TERATOLOGISCHER SICHT Die wissenschaftliche Literatur zum Thema Schwangerschaft und Höhe zeigt, dass sich höhenbedingte Hypoxie in der Schwangerschaft prinzipiell nachteilig auf Mutter und Kind auswirken. Experimentelle Daten zeigen ein reproduzierbares Schädigungsmuster, und bestätigen damit die biologische Plausibilität epidemiologischer Studien über Schwangerschaftsverlauf und Säuglingsgesundheit in Höhenregionen über 2500 m. Welche praktischen Konsequenzen können nun aber aus der beschriebenen Datenlage gezogen werden? Müssen sich europäische Touristinnen und Bergsteigerinnen vor Schwangerschaftskomplikationen oder angeborenen Anomalien bei ihren Kindern fürchten, wenn sie beispielsweise in der (ihnen evtl. noch unbewussten) Frühschwangerschaft auf einer Trekkingtour in Tibet unterwegs waren? Wie könnte diesbezüglich eine teratologische Beratung grundsätzlich aussehen? Höhenaufenthalte im ersten Schwangerschaftstrimenon Da etwa 50% der Schwangerschaften ungeplant sind, wird es angesichts des (Hoch)Alpintourismus nicht ganz so selten zu einer Hypoxieexposition früher humaner Keimlinge kommen. Da es bis dato keine prospektiven systematischen Untersuchungen über das Fehlbildungsrisiko bei europäischen (Hoch)Alpintouristinnen nach Hypoxieexposition im ersten Schwangerschaftstrimenon gibt, kann dafür jedoch kein exaktes Risiko angegeben werden. Wenn wir zum Beispiel, bei aller Vorsicht, auf Basis der ECLAMC Daten annehmen, das relative Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten würde sich bei Hypoxieexposition um 50% erhöhen, würde das bei einer absoluten Häufigkeit für diese Veränderung von etwa 5/1000 Neugeborenen bedeuten, es wäre nach „Höhenexposition“ bei 7,5/1000 Neugeborene und damit absolut um 0.25% höher geworden. Diese Risikoerhöhung müsste dann vor dem Hintergrund eines 3 - 6% Basisrisikos bewertet werden, welches ohnehin nicht verhindert werden kann. So gesehen würde es sich also um eine ziemlich unbedeutende Veränderung des vorhandenen Gesamtrisikos handeln. Ebenso müsste auch eine eventuell erhöhte Abortrate vor einem Basisrisiko von ~15% (in der 4. SSW) 216


betrachtet werden. Obwohl eine exakte Risikoabschätzung nicht möglich ist, lässt sich annehmen, dass eine allgemeine absolute Risikoerhöhung eher gering sein wird. Eine Höhenexposition im ersten Schwangerschafts-Trimenon stellt daher aus teratologischer Sicht keinesfalls eine Indikation für einen Abbruch einer gewollten Schwangerschaft wegen erhöhtem Fehlbildungsrisiko dar und rechtfertigt keine invasive pränatale Diagnostik. Bei großer Sorge kann eine fetale Ultraschalluntersuchung in der 18. - 20. SSW zu Bestätigung einer normalen Entwicklung angeboten werden. Die vorhandenen experimentellen Daten bezüglich hypoxischer Einflüsse und Gestationsalter legen weiters nahe, dass wahrscheinlich vor der 4. Entwicklungswoche eher nicht mit einem Einfluss von Hypoxie auf die embryonale Entwicklung zu rechnen ist. Dieser Zeitpunkt entspricht etwa 2 Wochen nach Ausbleiben der erwarteten Regelblutung (6. SSW). Daten aus der Plazentaforschung lassen allerdings vermuten, dass eventuell über eine hypoxisch bedingte Veränderung des Spiralarterienumbaus im ersten Trimenon eine Veränderung des Präeklampsierisikos möglich wäre. Höhenaufenthalte im zweiten und dritten Schwangerschaftstrimenon Eine zufällige Höhenexposition in der Phase der Schwangerschaft, in der die Kapazität der Gebärmutter-Durchblutung bedeutend wird (2. aber v. a. 3. Schwangerschaftsdrittel) und sich für Frauen ohne Vorfahren aus traditionell höhenangepassten Ethnien, die Risiken für Frühgeburtlichkeit und Schwangerschaftserkrankungen erhöhen würden, ist eigentlich nicht mehr zu erwarten. Solche Expositionen und daraus resultierende Risiken können in diesem Stadium der Schwangerschaft normalerweise bewusst vermieden werden. Körperliche Anstrengung in der Höhe Ein zusätzlicher Aspekt bei der Beurteilung des teratologischen Risikos von Höhenaufenthalten ist natürlich die etwaige körperliche Anstrengung zusätzlich zur höhenbedingten Hypoxie. Epidemiologische Daten zum Einfluss körperlicher Anstrengung in der Frühschwangerschaft (28) suggerieren eine „dosisabhängige“ Steigerung des Abortrisikos. Extrembergsteigen im ersten Schwangerschaftsdrittel könnte daher über die körperliche Anstrengung einerseits und die höhenbedingte Hypoxie andererseits, das Abortrisiko negativ beeinflussen. Ebenso könnte sich theoretisch auch das Risiko für hypoxiebedingte angeborene Anomalien durch extreme Anstrengung am Berg etwas stärker erhöhen als durch die rein höhenbedingte Belastung. Individuelle Risikobeurteilung / Zusätzliche Einflüsse Die konkrete teratologische Risikobeurteilung ist immer eine individuelle Angelegenheit. Allgemeine Erkenntnisse und teratologische Grundprinzipien sind vor dem individuellen Hintergrund der Ratsuchenden zu interpretieren. Für das teratogene Risiko von Höhenaufenthalten sind, im Sinne der Grundregel von der 217


Dosisabhängigkeit teratogener Effekte, selbstverständlich Aufenthalte in 2500 m von solchen in 5000 m zu unterscheiden und die zusätzliche individuelle körperliche Belastung zu berücksichtigen. Die allgemeine körperliche Fitness, eventuelle Herz-, Lungenoder hämatologische Erkrankungen sind ebenso zu berücksichtigen, wie Unfallrisiken und – in vielen hochgelegenen Gebieten – mangelhafte Hygienebedingungen. Bei bekannter Schwangerschaft ist daher, nach „Nutzen-Risiko-Vergleich“, von Höhenaufenthalten >2500 m eher abzuraten, wenngleich im ersten Drittel der Schwangerschaft, abhängig vom körperlichen Zustand, eine rein höhenbedingte Risikoerhöhung für Mutter und Kind eher gering sein dürfte. Im 2. und 3. Schwangerschaftstrimenon sind Höhenaufenthalte, nicht zuletzt auch wegen der mangelnden medizinischen Versorgung bei gynäkologischen Notfällen, nach Möglichkeit zu vermeiden, um unnötigen Komplikationen und damit ernsthaften Risiken für irreversible Gesundheitsschäden bei Mutter und Kind vorzubeugen.

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T h o mas KĂźpper, Ulrich Schwar z, Volker SchĂśffl

E p i d e m i o l o g i e u n d R i s i k o a n a l y se beim Eisklettern

Epidemiology and Risk Analysis in Ice Climbing

SUMMARY Background: Ice-climbing is widely considered to be a hazardous sport with a high risk of injury. To date, there has been no scientific analysis to characterize and reveal the prevalence of injury in this sport. The purpose of this study was to quantify and rate ice-climbing injuries. Methods: Eightyeight ice-climbers (water ice) (13 female, 75 male, mean age 34.6 years) from nine countries completed a comprehensive questionnaire on ice-climbing accidents and injuries, climbing frequency and risk taking behaviour. Ice-climbing hours were quantified and injuries rated according to the NACA (National Advisory Committee for Aeronautics) score. To enable comparison to other sports, the injury risk was calculated per 1000 hours of participation in a given sport. Results: Seventeen athletes (19%) reported a total of 35 overuse syndromes resulting from ice-climbing. Ninetyfive injuries were retrospectively reported for a consecutive 3-year period. The incidence and respective grading of the acute injuries were: 67 for NACA 1, 24 for NACA 2, and 4 for NACA 3. Most acute injuries were open wounds (55.2%) and haematomas (21.9%). These injuries occurred 61.3% of the time while lead climbing, 23.8% while following and the rest during belaying, approach or return. The incidence of overuse injury syndromes was 0.77/1000 hours of sports participation. The injury incidence was 4.07/1000hr for NACA 1-3 with 2.87/1000hr in NACA 1, and none in NACA 4-7. Body mass index (BMI) correlated significantly (p < 0.05) with an increased risk of injury. Overuse syndromes correlated significantly with training hours (p < 0.01), ice-climbing level (p < 0.01) and the risk willingness while lead climbing on ice (p < 0.01). 221


Conclusion: Contrary to the popular perception, our study demonstrated that ice-climbing is not a sport with a high risk of injury. All NACA I injuries are of minor medical relevance and would normally not need special treatment or a doctor’s attendance. The results of injury risk per 1000 hours of participation in ice-climbing were comparable to that of indoor competition climbing and to other outdoor sports (hiking, mountain biking, kayaking). The injury risk was also much less than a standard sport such as soccer. Keywords: ice climbing, accidents, injuries, overuse syndroms, risk analysis

ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Eisklettern gilt als „Risikosport”, obwohl es keinerlei belastbare Daten über die Unfallhäufigkeit und die Verletzungsmuster gibt. Bei der Spontaneinschätzung des Risikos wird übersehen, dass sich ein solches nur dann real manifestieren kann, wenn das Risikomanagement inadäquat ist. Methoden: In einer retrospektiven Studie an 88 Eiskletterern wurde untersucht, wie das Unfallrisiko in der Realität ist und wie das Verletzungsmuster verteilt ist. Dabei wurde nach akuten (unfallbedingten) Verletzungen und Überlastungsschäden differenziert. Die Verletzungsschwere wurde gemäß des NACA-Scores skaliert. Daten zum Umfang der Sportausübung erlaubten die Relation „Unfälle pro 1000 Sportstunden“ zu errechnen. Ergebnisse: 19% der Sportler berichteten von insgesamt 35 Überlastungsschäden durch Eisklettern. Insgesamt wurden 95 akute Verletzungen im zurückliegenden 3-Jahreszeitraum registriert, 67 von ihnen der NACA-Klasse 1, 24 der Klasse 2 und 4 der Klasse 3 (Klassen 4-7 waren nicht vertreten). In den meisten Fällen handelte es sich um Bagatellwunden (55,2%) oder Hämatome (21,9%). Der Verletzungsindex betrug für alle Verletzungen 4,07/1000 Std. und 2,87/1000 Std. für NACA 1-Verletzungen Schlussfolgerung: Im Gegensatz zu einer populären Darstellung ist Eisklettern nicht mit einer hohen Unfallrate verbunden. Diese liegt vielmehr im Bereich anderer Outdoor-Sportarten wie Wandern, Nordic Walking, Moutainbiken oder Kayaken und deutlich niedriger als beim Fußball. Hinzu kommt, dass fast alle Verletzungen geringfügiger Natur sind und keinerlei ärztlicher Versorgung bedürfen. Schlüsselwörter: Eisklettern, Unfälle, Verletzungen, Überlastungsschäden, Risikoanalyse

EINLEITUNG In den letzten beiden Jahrzehnten erfreut sich das Eisklettern zunehmender Popularität. Prinzipiell eignet sich jede gefrorene Fläche für diesen Sport, seien es gefrore222


ne Wasserfälle, mit Eis überzogene Felsen oder steile Passagen von Gletschern oder Eiswänden im Hochgebirge, seltener in den letzten Jahren auch künstliche Eiskletteranlagen. Aufgrund des Entstehens der Eisschicht und der daraus resultierenden Materialeigenschaften kann man prinzipiell zwei Formen unterscheiden, die sich hinsichtlich Technik, Taktik, Ausrüstung und Umgebung etwas voneinander unterscheiden. Das Eis alpiner Wände entsteht durch gefrorenen Niederschlag, der sich im Laufe der Zeit verfestigt. Daher sind seine Eigenschaften hochgradig variabel von weich/zäh-elastisch bis zu glashart und spröde. Die Einschätzung der herrschenden Bedingungen setzt eine große Erfahrung voraus. Derartige Touren werden meist in Zusammenhang mit der Besteigung höherer Gipfel unternommen. Dagegen entsteht das Eis der übrigen genannten Klettergelegenheiten durch Frieren flüssigen Wassers. Dieses Eis ist meist wesentlich härter, spröder und meist viel steiler. Allerdings ist die Länge dieser Routen auch oft wesentlich kürzer als im hochalpinen Eis. Die ersten Anfänge eisspezifischer Ausrüstung lassen sich weit zurück verfolgen. Genagelte Schuhe als Vorläufer der Steigeisen werden bereits von Flavius Josephus (37 – 100 A. D.) als Ausrüstungsteil der Römischen Soldaten beschrieben („caligae“, [1]). Die Steigeisen hatten zunächst 2-4 Zacken, zum Zeitpunkt der Erstdurchsteigung der Eiger-Nordwand derer 12 [2] und moderne alpine Eisen 12. Modernste Sportklettereisen haben nur eine sehr scharfe Frontalzacke und manchmal eine Fersenzacke [3]. Eine ähnlich lange Entwicklung ist bei den Handgeräten feststellbar, die aus dem Gletscherstock, der von Josias Simmler im 16. Jahrhundert beschrieben wurde, später zu Zeiten der Montblanc-Besteigung durch Balmat und Kameraden 1786 zum „klassischen“ Pickel und in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts zur heute üblichen großen Zahl spezialisierter Geräte weiter entwickelt wurde [4]. Durch Spezialisierung der Ausrüstung konnten hier in den letzten Jahren enorme Steigerungen in der Schwierigkeit der Routen erreicht werden. Diese wird international nach der UIAA Skala bewertet (WI-Skala, Schwierigkeiten 1-7, [5]). Ist zwischenzeitlich Felsgelände zu bewältigen, wird die Route nach der Mixed-Skala bewertet (Mixed 1-13, [3]). Die angegebenen Bewertungen werden hinsichtlich der Gefahr noch weiter differenziert. Dabei bezeichnet Grad I eine risikoarme Route, während Grad VII eine extrem gefährliche Route kennzeichnet, auf der Unfälle wahrscheinlich fatale Folgen haben werden [3]. Bis zur Entwicklung belastbarer Sicherungssysteme war es jedoch ein weiter Weg, auch wenn der erste Eishaken von Willo Welzenbach anlässlich der Erstbegehung der Wiesbachhorn-Nordwand im frühen 20. Jahrhundert bereits verwendet wurde. Sicherlich auch durch entsprechende Pressedarstellungen hat das Eisklettern den Nimbus des Spektakulären erhalten. Leider war hiermit auch die Entwicklung verknüpft, daß dieser Sport zwangsläufig gefährlich sein muss. Dies wirkt bis heute mit ganz erheblichen Konsequenzen nach, insbesondere bei der Einschätzung des zu versichernden 223


Risikos durch die Versicherungsgesellschaften. Dabei wurde und werden mindestens zwei Punkte völlig missachtet: 1. ist die Realisation eines potentiellen Risikos unmittelbar davon abhängig, ob ein adäquates Risikomanagement stattfindet und 2. liegen bislang keine belastbaren Daten darüber vor, wie hoch das reale Risiko beim Eisklettern ist. Wir führten daher eine Studie durch, die es erlaubt, in üblicher Form das Risiko pro 1000 Stunden Sportausübung zu quantifizieren und damit mit anderen Sportarten, für die derartige Daten bereits vorliegen, qualifiziert vergleichbar zu machen, so beispielsweise für das Felsklettern [8-17], Hallenklettern [18-20] oder Kletterwettkämpfe [6]. Bisherige Studien über das Eisklettern weisen einen erheblichen Bias zugunsten schwerer Verletzungen auf, weil sie ausschließlich auf der Datenbasis der alpinen Rettungsdienste [22-26] oder der Unfallanalyse der bei den alpinen Verbänden gemeldeten Unfälle basieren [22-26]. Damit werden bei der Analyse zwangsläufig all’ die leichteren Fälle unterschlagen, bei denen sich die Betroffenen – offensichtlich ohne wesentliche Probleme – selbst helfen konnten. Eine Quantifizierung eines Risikos ist aber nur dann seriös möglich, wenn nach Verletzungsschwere unterschieden wird und die Zwischenfälle zudem noch auf eine normierte Zahl aktiver Stunden bezogen wird. Für derartige Vergleiche mit anderen Sportarten hat sich der Bezug auf 1000 Sportstunden durchgesetzt [28-41]. Bislang liegt ein derartiger zweidimensionaler Vergleich (Verletzungsschwere und Aktivitätsdauer) für das Eisklettern nicht vor. Somit ist bislang die „wahre“ Risikohöhe des Eiskletterns nicht seriös einschätzbar.

METHODEN Es wurde ein detaillierter Fragebogen zu Eiskletterunfällen, Verletzungen, Häufigkeit der Sportausübung und dem Risikoverhalten entwickelt. Er stand den Teilnehmern in Deutsch und Englisch zur Verfügung. Die Pilot-Version wurde nach einer Pilotstudie an 10 Probanden leicht modifiziert und dann 200 gedruckte Exemplare deutschlandweit in Kletterhallen, Eisklettergebieten, (Kletter-) Sportgeschäften und Bergführerbüros verteilt, um so ein möglichst breites Spektrum an Eiskletterern zu erreichen. Zusätzlich wurden 20 Bögen mittels E-Mail bekannten Eiskletterern in Europa, Kanada und den USA zugeleitet. Außerdem wurde der Fragebogen auf deutschsprachige Internetseiten gestellt (www.climbing.de und www.bergsteigen.at). Diese Phase der Datenerfassung betrug 4 Monate. 90 Fragebögen wurden eingereicht, von denen 2 wegen unvollständiger Daten von der Auswertung ausgeschlossen wurden. Die übrigen 88 (13 Frauen, 75 Männer, mittleres Alter 34,6 Jahre) aus 9 Ländern wurden in die Auswertung eingeschleust, wobei 50 Teilnehmer zur Aufklärung von Unklarheiten telefonisch kontaktiert wurden. Die aktive Sportzeit wurde abgeschätzt, indem ein Klettertag mit 6 Stunden angenom224


men wurde. Die Leistungsgrenze der Teilnehmer im Felsklettern wurde mittels der UIAA-Skala dokumentiert (ggfs. nach Umsetzung aus der französischen oder der Yosemite-Skala) und dann in eine metrische Skala überführt [7]. Die Probanden wurden nach ihrem Eiskletterkönnen in zwei Teilkollektive unterschieden: < = WI 5 bzw. > WI 5. Die Verletzungen wurden nach dem NACA-Score klassifiziert (National Advisory Committee for Aeronautics) [8] (Tabelle 1). Dieser ist in Mitteleuropa einer der meist benutzten Scoresysteme, integraler Bestandteil des deutschen Notfallprotokolls [9] und wird international zur Klassifikation bei alpinen Traumastudien empfohlen [10]. Zum Vergleich mit anderen Sportarten wurde das Verletzungsrisiko pro 1000 Stunden Eisklettern ermittelt. Dazu wurden die Sportstunden (Eisklettern) der letzten drei Jahre zugrunde gelegt. Tabelle 1: Der National Advisory Committee for Aeronautics (NACA) – Score zur Schweregradbeurteilung verletzter Patienten [8] NACA 1

Geringfügige Störung. Keine ärztliche Intervention

NACA 2

Leichte bis mäßig schwere Störung. Ambulante ärztliche Maßnahme

NACA 3

Mäßige bis schwere aber nicht lebensbedrohliche Störung. Stationäre Behandlung erforderlich

NACA 4

Schwere Störung, Entwicklung einer Lebensbedrohung kann nicht ausgeschlossen werden

NACA 5

Akute Lebensgefahr

NACA 6

Atem- und/oder Kreislaufstillstand bzw. Reanimation

NACA 7

Tod

Zur statistischen Auswertung wurden Microsoft Excel XP®, Microsoft Access® und EPI INFO™ (Version 3.3.2) benutzt. Alle Ergebnisse werden als Mittelwert zzgl. Standardabweichung angegeben. Gruppenunterschiede wurden mit dem Chi2-Test überprüft. P < 5% wurde als signifikant, (*), < 1% als hoch signifikant (**) definiert.

ERGEBNISSE 1. Untersuchungskollektiv Insgesamt lagen die kompletten Fragebögen von 13 weiblichen und 75 männlichen Kletterern vor (Alter 34,6 ± 8,8 Jahre; 9 Länder: Deutschland, Österreich, Schweiz, UK, USA, Ungarn, Niederlande, Italien und Tschechien). Der Body-Mass-Index (BMI) betrug 22,81 ± 2,12. 34% hatten einen Hochschulabschluss (übrige Berufe siehe Abb.2). Die Eisklettererfahrung betrug 10,98 ± 8,47 Jahre, wobei 55% hauptsächlich im Was225


sereis kletterten, 17% überwiegend in kombiniertem Gelände, 9% bevorzugt in der alpinen Eisregion und 6% überwiegend an künstlichen Eisstrukturen. 33% der Beteiligten konnten Erstbegehungen im Eis aufweisen. Der Sport wurde in 12 verschiedenen Ländern Europas und Nordamerikas und dort in 116 verschiedenen Regionen ausgeführt. Nahezu alle waren auch in anderen Bergsportdisziplinen aktive Eiskletterer (99% alpines Bergsteigen, 98% Sportklettern, 82% kombiniertes alpines Gelände). Etwa jeder fünfte nahm auch an Eiskletterwettbewerben teil (21%). Im Mittel wurde 7,43 ± 5,66 Stunden pro Woche trainiert. Im Mittel betrug die Leistungsgrenze im Vorstieg WI 5+ für gefrorene Wasserfälle, M 9- für mixed climbing, 6,7 metrisch, also 7- UIAA, für alpines Bergsteigen und 7,7 metrisch, also 8- UIAA, beim Sportklettern. 2. Epidemiologie der Verletzungen Im Geschlechtervergleich verletzten sich weibliche Eiskletterer häufiger als ihre männlichen Kameraden (76,9% vs. 58,7% n.s.). Kletterer, die selbst Kinder haben, sind offensichtlich vorsichtiger, wenn man dies anhand der Verletzungshäufigkeit beurteilt (58,3% vs. 62,5% n.s.). Jüngere Kletterer (< 30 J.) wiesen eine höhere Verletzungsrate auf als ältere (> 50 J.). Eine Eisklettererfahrung von > 10 J. mindert das Verletzungsrisiko (Details hierzu sowie zu weiteren Kollektivparametern in Tabelle 2 und Abbildung 1). Tabelle 2: Verletzungsverteilung, Altersverteilung und Eisklettererfahrung Verletzungsverteilung in den verschiedenen Altersgruppen

Verletzungsverteilung bezogen auf die Erfahrung im Eisklettern

Verletzungen

Verletzungen

Alter [Jahre]

n

%

Eisklettererfahrung [Jahre]

< 30

17

68,0%

£5

22

68,8%

30 - 40

24

61,5%

6 - 10

13

72,2%

40 - 50

11

61,1%

11 - 20

12

50%

> 50

2

40,0%

> 20

7

50%

Alle Altersgruppen

54

61,4%

54

61,4%

226

n

%


Abbildung 1: Berufe und Verletzungen oben: Anteil der Berufsgruppen am Gesamtkollektiv, unten: Anteil derer, die in der jeweiligen Berufsgruppe jemals eine Verletzung oder einen Überlastungsschaden erlitten haben (incl. Bagatellunfälle, Angaben in %) Uni: Beruf mit Universitätsabschluss; NUArb: Arbeitnehmer mit nichtuniversitärem qualifiziertem Abschluss; TAs: Technische Assistenzberufe; Professionals: Bergführer und professionelle Kletterer; Studenten: Studenten aller Fachrichtungen; SPRF: Soldaten, Polizei, Rettungsdienstangehörige, Feuerwehr (Ärzte von Militär und Rettungsdienst wurden in der Kategorie „Uni“ geführt) Die Verletzungsrate, also die Zahl der Verletzungen dividiert durch die Anzahl der Kletterer des jeweiligen (Teil-) Kollektivs, war in der Gruppe der Hochschulabsolventen am höchsten (1,54), gefolgt von Studenten (1,38), Polizisten, Soldaten, Feuerwehrleuten (1,25), professionellen Kletterern und Bergführern (1,18), technischen Assistenzberu227


fen (1,05) und erfahrenen Arbeitern (0,29). Für das Gesamtkollektiv betrug die Rate 1,23. Sie war nicht direkt mit der Zahl der Jahre aktiven Eiskletterns korreliert, sondern am höchsten bei Kletterern mit 6-10 Jahren Erfahrung (1.44), gefolgt von solchen mit > 20 Jahren (1,36), mit < 5 Jahren (1,06) und schließlich der Gruppe mit 11-20 Jahren Eisklettern (0,67). In den Schwierigkeitsgraden bis einschließlich WI-5 traten mehr Verletzungen auf als bei größeren Schwierigkeiten (63,4% vs. 52,9% n.s.). Alle anderen untersuchten Parameter (Alter, Leistungsgrenze im Wassereis oder Fels, Erstbegehungen, die Bereitschaft zum Vorstieg) hatten keinen signifikanten Einfluss auf das Auftreten von Verletzungen. Allerdings war ein hoher BMI mit einer geringeren Verletzungswahrscheinlichkeit korreliert (p = 0.017). 3. Subjektive Risikowahrnehmung In der Befragung nach der subjektiven Einschätzung gaben 82% an, dass beim Eisklettern im Vergleich zum Felsklettern kein höheres Risiko für Überlastungsschäden bestehen würde. Dagegen schätzten mehr als die Hälfte der Befragten (62%) das akute Verletzungsrisiko beim Eisklettern höher als beim Felsklettern ein. Die häufigsten angegebenen Verletzungen waren (in absteigender Reihenfolge): Eis- / Steinschlag, Lawinen, fragwürdige Sicherungspunkte und potentiell höheres Sturzrisiko mit Verletzungen durch die eigene Ausrüstung (Steigeisen, Eisbeile usw.). 65% der Befragten benutzten die Eisbeile mit Handschlaufe (42% immer und die übrigen zumindest zeitweise). 4. Überlastungsschäden 17 Sportler (19.3%) berichteten über insgesamt 35 Überlastungsschäden, die sie auf das Eisklettern zurück führten. 18 (51%) dieser Verletzungen traten während des Zeitraums der Studie auf (2003 – 2006). 94,4% davon betrafen die obere Extremität (15 [83,3%] NACA 1 und 3 [16,7%] NACA 2). Zeitweilig arbeitsunfähig durch die Beschwerden war lediglich ein einziger Kletterer. Dauerhafte Beschwerden wurden von keinem der Befragten berichtet. Ein Betroffener musste stationär behandelt werden, 3 wurden ärztlich (ambulant) behandelt und 5 mittels Physiotherapie. In 72,2% der Fälle wurde eine schlechte Klettertechnik als Hauptursache für die Beschwerden angesehen. Folgende Überlastungsschäden wurden berichtet: Muskelschmerzen im Arm (5), in der Schulter (1), in der Wade (1), Tendinitis im Arm (3), an den Fingern (4), und an der Schulter (4). Die Korrelation zwischen Trainingszeit und dem Risiko für Überlastungsschäden war hoch signifikant (p < 0,01). Dagegen korrelierte der BMI nicht mit Überlastungsschäden. In wie weit die Person bereit war, das Risiko des Vorstiegs einzugehen (Selbsteinschätzung, Skala 1-4), korrelierte hochgradig mit der Wahrscheinlichkeit eines Überlastungsproblems (p < 0.01). 228


5. Akute Verletzungen beim Eisklettern 54 Sportler (61,4%) berichteten von einer oder mehrerer Verletzungen beim Eisklettern, 34 (38,6%) hatten nie eine Verletzung erlitten. Insgesamt wurden im Beobachtungszeitraum (2003 – 2006) 95 Verletzungen dokumentiert, wobei 67 der NACA-Klasse 1, 24 NACA 2 und 4 NACA 3 zuzuordnen waren. In den meisten Fällen handelte es sich um offene Wunden (55,2%) oder Haematome (21,9%, siehe auch Tabelle 3). Tabelle 3: Akute Verletzungen beim Eisklettern Verletzung

n

%

Erfrierung

9

8,8

Offene Wunden

53

52

Frakturen

2

1,9

Hämatome

21

20,6

Andere Verletzungen

17

16,7

Total

102 (bei 95 Unfällen)

100

Bei der Kategorie „andere Verletzungen” handelte es sich um Augenverletzungen (3), Prellungen (1), Meniskusverletzungen (1), Fingerquetschungen (3), multiple Quetschungen (2), Rippenprellung (1), Hautverletzung durch Steigeisenzacken (1), Muskelriss (1), Knöchelverstauchung (1) und Zahnfrakturen (3). Details sind in Tabelle 4 aufgeführt. Tabelle 4: Verteilung der akuten Verletzungen Betroffener Körperteil Kopf Finger Bein Fuß Arm Schulter Brust Rücken Genick Perianal Andere Total

n 49 16 15 6 6 3 3 2 1 1 18 120 229

% 40,9 13,3 12,5 5 5 2,5 2,5 1,7 0,8 0,8 15 100


Die meisten der akuten Verletzungen (61,3%) traten beim Vorstieg auf und nur 23,8% beim Nachstieg. Übrige Situationen stellten die Ausnahme dar (6,3% beim Sichern, 3,8% beim Abstieg und 2,5% beim Zustieg, sonstige: 2,5%). Die mit Abstand meisten akuten Verletzungen traten beim Wasserfallklettern auf (73,4%), einzelne in alpinen Eiswänden (11,4%) und an künstlichen Eisklettereinrichtungen (2,5%) (12,7% an sonstigen Orten). Verletzungen, die mit dem Sturz des Kletterers in unmittelbarem Zusammenhang standen, machten 10,5% der Ereignisse aus. In den meisten Fällen trugen die Verletzten einen Helm (75,8%). Obwohl bei gut einem Viertel aller Verletzungen ein Arzt aufgesucht wurde (27,3%), mussten nur wenige stationär behandelt werden (5,7%). Ein Dauerschaden bestand in 22,7% der Fälle: Dysaesthesie (2), Knorpelschaden (1), Hautnarben (6) und Zahnschäden (2). Das Hauptziel der Betroffenen war Wasserfallklettern (73%), nur wenige hatten Trainingsunfälle (16,4%) und nur ein einziger einen Unfall während eines Wettkampfes (1,4%). Hinsichtlich Details siehe Tabelle 5. Tabelle 5: Ursachen akuter Verletzungen Ursache Eisschlag Technische Defizite Kälte Steinschlag Sicherungsfehler Materialfehler Andere Total

n 48 24 5 3 2 1 8 91

% 52,7 26,4 5,5 3,3 2,2 1,1 8,8 100

Nach Meinung der Betroffenen wäre die Verletzung in 65,9% vermeidbar gewesen. Hierzu wurde in 44,4% eine bessere Klettertechnik als notwendig erachtet, in 31,5% eine bessere Taktik, während in nur 24,1% eine nicht adäquate Ausrüstung für das Ereignis verantwortlich gemacht wurde. Bezogen auf 1000 Sportstunden war die Inzidenz von Überlastungsschäden geringer als die der akuten Verletzungen. In beiden Gruppen dominierte das NACA-Stadium 1 (Tabelle 6). Tabelle 6: Inzidenz von Überlastungsschäden und akuten Verletzungen pro 1000 Stunden Eisklettern Klassifikation Überlastungsschaden Total NACA 1 NACA 2 NACA 3

0.77 0.64 0.13 0

Verletzung 4.07 2.87 1.03 0.17

230

Gesamtrisiko und Summe 4,84 3,51 1,16 0,17


DISKUSSION Bei der hier vorgelegten Studie handelt es sich um die erste, die Eiskletterverletzungen evaluiert. Im Kollektiv überwogen männliche Sportler mit 85%, was mit den Angaben von Gerdes et al. [11] und Bowie et al. [12] praktisch identisch ist. Im Gegensatz zu Bowie et al. [12] traten in unserer Studie mehr Verletzungen bei Frauen auf (76% aller Verletzungen). Bei der Betrachtung der Berufsausbildung fiel die höhere Verletzungsrate der Akademiker auf, was mit einem schlechteren Trainingszustand oder der allgemein geringeren Fähigkeit zu manueller Geschicklichkeit in Zusammenhang stehen könnte. Die relativ hohe Rate akuter Verletzungen bei professionellen Kletterern oder Bergführern war bemerkenswert und in dem Ausmaß nicht erwartet worden. Bei der Detailanalyse der Verletzungen fällt auf, dass für keine einzige Verletzung die Handschlaufen der Eisgeräte verantwortlich zu machen war. Offensichtlich entbehrt das häufig gehörte Argument der Aktiven, dass durch Benutzung der Handschlaufen das Risiko der Verletzung durch die eigenen Eisgeräte im Falle eines Sturzes steige, der Grundlage. Dagegen sind klettertechnische Defizite in mehr als einem Viertel der Fälle zumindest wesentlich teilursächlich verantwortlich, was eine Mahnung zu adäquater Ausbildung und gutem Training darstellt. Hier ist sicher von Nachteil, dass Eisklettern im Gegensatz zum Felsklettern nur saisonal durchgeführt werden kann, in vielen Fällen auch nur eine Woche pro Jahr, was zu einem signifikanten Trainingsmangel führt. Hinzu kommt, dass einige sehr erfahrene und leistungsstarke Felskletterer hohe mentale Stabilität besitzen, was dazu führt, dass sie oberhalb ihrer technischen Limits als Vorsteiger im Eis unterwegs sind. 1. Verletzungsrisiko Die Gesamtrate an Verletzungen liegt im Bereich anderer Outdoor-Sportarten (Tabelle 1) [10, 19-21, 28, 32]. Was wohl am meisten unerwartet war, und damit besonders herausgestellt werden muss, ist dass die meisten Verletzungen geringer Natur sind (zumeist NACA 1). Auch war die Verletzungsrate nicht direkt mit den Jahren der Sportausübung korreliert, was unterstellt, dass erfahrene Kletterer ein etwa gleich großes Risiko haben wie weniger erfahrene. Allerdings sollte bedacht werden, dass die Kollektivgröße limitiert ist, was allerdings auch die Realität wider spiegelt, in der die Zahl derer, die regelmäßig Eis klettern, begrenzt ist. Obwohl diese Sportart sich zunehmender Popularität erfreut, gibt es kaum Daten über auftretende Verletzungen. Eine Recherche in PubMed (durchgeführt am 11.09.2007) ergab lediglich einen einzigen Beitrag – und diesen nicht als Studie sondern im Prosastil [13]. In einem nicht peer-reviewed Journal („Bergundsteigen”) fanden wir einen Artikel zum Thema: Mosimann [14] untersuchte 46 verletzte Eiskletterer, die im Verlauf von 6 Jahren von der Schweizer Bergrettung geborgen wurden, und skalierte die Verletzungen ebenfalls nach dem NACA Score. 31% waren unverletzt (NACA 0) und 231


13% (6) waren tödlich verletzt (NACA 7). 42% wiesen Verletzungen gemäß NACA 2-3 auf, 8% gemäß NACA 4 und 6% NACA 5. Als häufigste Ursache wurde Sturz angegeben (55%). Allerdings wurde kein einziger tödlicher Unfall durch einen Sturz verursacht. Das relative Todesrisiko, das der Autor als prozentuellen Anteil Toter aller bekannten Notfälle definierte, betrug 13%. Daraus schließt der Autor, dass das Todesrisiko beim Eisklettern höher als beim Felsklettern mit 8%, dem Skitourengehen mit 7,5% und dem Felsklettern mit 4% sei, wobei er allerdings keinerlei Referenz für diese Angaben gemacht hat. 2. Tödliche Unfälle Unsere Studie kann keine Aussage über das Todesrisiko machen, weil sie retrospektiv angelegt ist und kein tödlicher Unfall berichtet wurde. Allerdings kann das Gesamtrisiko aufgrund der gut dokumentierten Daten aus Nordamerika abgeschätzt werden. Der Canadian [15] und der American Alpine Club [16] haben seit 1951 alle Bergunfälle statistisch aufgearbeitet. In den USA wurden bis 2005 insgesamt 6111 Notfälle mit 11.089 Alpinisten dokumentiert [16]. Von diesen waren 5931 (53%) unverletzt (NACA 0), während 1373 (12%) Tote zu beklagen waren (NACA 7) [16]. 254 (4%) der Unfälle geschahen im Eis, wobei allerdings keine nähere Differenzierung vorgenommen wurde. Wenn man davon ausgeht, dass alle dieser 4% der Unfälle beim Eisklettern passiert sind (worst case-Szenario), dann kann davon ausgegangen werden, daß ebenfalls etwa 4% aller Toten bei dieser Sportart zu beklagen sind. Dies würde bedeuten, dass in 54 Jahren 55 tödliche Unfälle beim Eisklettern passiert sind, also etwa einer pro Jahr in den gesamten USA. In der gleichen Größenordnung liegen die Abschätzungen, die man nach kanadischen Daten vornehmen kann: bei 958 Unfällen mit 2003 Bergsteigern waren 715 (36%) verletzt und 295 (15%) tot [15]. 163 (17%) der kanadischen Unfälle passierten im Eisgelände, wobei in 30 Jahren 92 Personen verletzt wurden und 30 starben – wiederum im Mittel eine Person pro Jahr in ganz Kanada. Der Deutsche Alpenverein führt Statistik über die Unfälle seiner Mitglieder. Im Zeitraum 2004-2005 wurden 150 Kletterunfälle registriert, was 12% aller Bergsportunfälle entsprach (n = 1270) [17]. Alpines kombiniertes Gelände machte einen Anteil von 8% aus, Wasserfallklettern von 6%. Es ist nicht möglich, aus diesen Zahlen das Risiko tödlicher Unfälle genau zu ermitteln, weil die Gesamtzahl der Aktiven unbekannt ist. Die größten Eiskletter-Länder, die Schweiz und Kanada, berichten über einen Toten pro Jahr [14], [15]. Weitere prospektive Untersuchungen sind notwendig, um die Mortalität beim Wasserfallklettern aufzuklären. 3. Überlastungsschäden Beim Eisklettern treten 94% der Überlastungsschäden an den oberen Extremitäten auf, was ähnlich der Verteilung beim Felsklettern ist [14, 47-51]. In den meisten Fällen sind 232


diese Probleme weniger gravierend und bestehen aus Schmerzen wie bei Zerrungen oder bei Tendinitis. Es war überraschend, dass 4 Kletterer eine Tendinitis der Finger angaben, ist doch die häufigste Handposition die geschlossene Faust um den dicken Griff des Eisgerätes, was keinerlei „Aufstellen“ der Finger erforderlich macht. Letzteres ist hauptverantwortlich für die Tendosynovitis der Fingerflexoren bei Felskletterern [49, 52-56]. Möglicherweise verursachen die Eiskletterer den Initialschaden dieses Problems zuvor beim Hallenklettern, was dann im Gefolge zu einer Verschlimmerung durch den Einsatz des Eisgerätes führt, da nun Druck auf die entzündeten Bereiche ausgeübt wird. Da die meisten Eiskletterer ebenfalls Felskletterer sind, ist die Differenzierung der Ursache außerordentlich problematisch. 4. Das Verletzungsrisiko im Vergleich zum Felsklettern Beim Vergleich zum Felsklettern muss berücksichtigt werden, dass die Rahmenbedingungen des Felskletterns im Gelände außerordentlich vielfältig sind und es daher außerordentlich schwierig ist, exakte wissenschaftliche Studien zum Verletzungsrisiko beim Outdoor-Klettern durchzuführen. Risiken und Vorsichtsmaßnahmen sind unterschiedlich und abhängig von der Art des individuellen Felskletterns [18]. Bowie at al. [12] berichten von einem Verletzungsrisiko von 0,2-0,4% pro Klettertag im Yosemite National Park, entsprechend 37,5 Verletzungen pro 1000 Stunden Sportausübung (unter der Annahme, dass ein Klettertag in diesem Gelände 8 Stunden lang ist). Schussmann et al. [19] berichten von einer Rate von 0,56 Verletzungen pro 1000 Stunden Bergsteigen (Teton National Park, USA). Weitere Studien liegen nicht vor. Für Indoor-Klettern (Kletterhallen) wurde ein geringeres Verletzungsrisiko beobachtet. Limb [20] berichtet unter der Annahme von 2 Stunden Sport pro Kletterhallenbesuch von 0,027 und Schöffl et al. [21] von 0,079 Verletzungen pro 1000 Sportstunden. Bei Indoor-Wettkämpfen liegt die Rate bei 3,1 / 1000 Stunden [6]. 5. Vergleich des Verletzungsrisikos mit anderen Sportarten Beim Vergleich ist die gleiche Bezugsgröße (1000 Sportstunden) von Wichtigkeit. Gabbet et al. [22] dokumentierten ein hohes Verletzungsrisiko bei Rugby-Spielern (283 / 1000 Std.), Gissane et al. [23], ebenso bei Rugby-Spielern, etwa 150 Verletzungen pro 1000 Stunden im Sommer und 52 im Winter. Hohe Verletzungsraten werden ebenfalls vom Eishockey (83/1000h [24]), Handball (50/1000h [25]) und Fußball (Wettkampf 31,6, Training 3-5 [26], Tabelle 7) berichtet. Alle diese Volkssportarten weisen also ein wesentlich höheres Verletzungsrisiko auf als Eisklettern (in unserer Studie 4,07/1000h, Abbildung 3, Tabelle 7). Andere Sportarten weisen niedrigere Verletzungsraten auf, so das Kite-Surfen (7/1000 h, [27]), aber hier findet sich ein deutlich größerer Anteil schwerer Verletzungen mit immerhin 235 signifikanten Unfällen in nur 6 Monaten (prospektive Studie, 124 Verletzungen, davon 11 schwer und ein Todesfall). Andere 233


verbreitete Sportarten wie Reiten, Skifahren oder Radfahren (insbesondere Rennen) weisen ebenso das Risiko schwerer oder fataler Unfälle nach der Definition von Kajtna und Tusak [28] auf. Trotzdem werden sie im allgemeinen Meinungsbild als „normale Sportaktivität” angesehen. Nach wie vor gibt es kein einheitliches Scoringsystem, um diese relativen Verletzungsrisiken miteinander vergleichen zu können, vor allem weil die Definition von „Verletzung“ und die Einstufung der Verletzungsschwere erheblich variiert. Ein allgemeiner Score wie der NACA Score hat hier besondere Vorteile und sollte für zukünftige Studien benutzt werden. Tabelle 7: Verletzungshäufigkeit versch. Sportarten pro 1000 Stunden Sportausübung Sportart Rugby Amateure Wettkampf Rugby Profi Wettkampf Sommer / Winter Eishockey – Profis Rugby Jugend Handball Frauen Wettkampf Felsklettern Yosemite N.P. Männerfußball Spiel/ Training UEFA Champions League Motrorradrennen Profis – Straße, Cross, Trial American Football Deutsche Bundesliga Handball Männer Wettkampf/Training Basketball Profis und Amateure, Männer und Frauen Männerfußball Profis Gesamtverletzungsrisiko Yachtsegeln – Profis – Wettkampf und Training Polo Wettkampf Kitesurfen Eisklettern Frauenfußball Bundesliga Indoorklettern – Weltcup Triathlon Boxen – Amateure und Profis Eisklettern Mountainbike Skifahren/Snowboard Nordic Walking Eisklettern Alpinklettern Grand Teton N.P. Wellenreiten Eisklettern Hallenklettern

Verletzungen pro 1000 Std. 283

Quelle

150 / 52 83 57 50 37,5

[23] [24] [29] [25] [12]

31,6 / 3-5

[26]

22,4

[30]

15,7

[31]

14,3 / 0,6

[32]

9,8

[33]

9,4

[26]

8,8 7,8 7 4,9 3,1 / 1,4 3,1 2,5 2 1,2 1 1 0,9 0,77 0,56 0,41 0,13 0,08

[34] [35] Nickel 2004 aktuelle Arbeit (alle Verletzungen) [36] [37] [38] [39] aktuelle Arbeit (Verletzungen NACA >1) [40] [41] [42] aktuelle Arbeit, nur Überlastungsschäden [43] [44] aktuelle Arbeit (Überlastungsschäden NACA >1) [45]

234

[22]


SCHLUSSFOLGERUNGEN: IST EISKLETTERN EIN RISIKOSPORT? Zahlreiche Sportarten werden allgemein als sicher betrachtet, vor allem, wenn sie von einer breiten Bevölkerung ausgeübt werden [46]. Eisklettern wird dagegen vor allem von den Medien als etwas Spektakuläres dargestellt und gilt daher als mit hohem Risiko behaftet. Bei der Analyse ist unstrittig, dass Eiskletterer mit einer Vielzahl möglicher Gefahren konfrontiert sind, so haben Teile der Ausrüstung waffenähnliches Design, Eisformationen sind sehr variabel und manchmal schwer einzuschätzen, die Sicherungspunkte sind nicht immer verlässlich, die Wetterbedingungen mögen extrem sein, es kann Lawinenrisiko oder solches für Stein- oder Eisschlag bestehen. Zu alle dem kommen oft problematische Zustiege und ein hoher Grad an mentalem Stress. Allerdings werden alle diese Faktoren bereits bei der Tourenplanung ins Kalkül gezogen. Eiskletterer unterscheiden sich diesbezüglich nicht von irgendeinem anderen Sportler: Sie wollen nicht verletzt werden, sondern einfach ihr Hobby genießen. Bei der voreiligen Wertung von Risiken wird grundsätzlich außer Acht gelassen, dass potentielle Risiken sich nur bei inadäquatem Risikomanagement real manifestieren. Die geringe Rate tatsächlicher Verletzungen beim Eisklettern spricht dafür, dass die Aktiven in den meisten Fällen über ein angemessenes Risikomanagement verfügen. In Meyers Encyclopädie [47] wird „Extremsport” als die Durchführung außergewöhnlicher Sportarten mit hoher mentaler und körperlicher Belastung definiert. Wenn dieser Sport ein subjektives oder objektives Risiko beinhaltet, kann von einer (Hoch-) Risikosportart gesprochen werden. Diese Definition schließt allerdings keinerlei reales Risiko für den Sportler ein. Kajtna und Tusak [28] definieren “Risikosport” als Sport, bei dem eine schwere oder auch tödliche Verletzung nicht ausgeschlossen werden kann. Dies würde die meisten Sportarten zu Risikosportarten machen, einschließlich Radfahren, Skifahren, Reiten u.v.a. Versicherer würden die Definition sicher anders vornehmen: Hier zählt nur, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Schadensfall der Summe X zu begleichen ist. Es ist eine besondere wissenschaftliche Aufgabe, das Verletzungsrisiko von Sportarten einschließlich der Verletzungsschwere und des Todesfallrisikos seriös zu untersuchen. Dazu müssen Standards entwickelt und Scoring-Systeme etabliert werden. Das Verletzungsrisiko bezogen auf 1000 Sportstunden ist ein etablierter Parameter zur Erfassung des relativen Risikos. Für zukünftige Studien ist es besonders wichtig, dass wie in der vorliegenden Studie durch Einschluss des NACA-Scores [8] zusätzlich eine Aussage über die Verletzungsschwere gemacht wird. In unserer Studie zeigte sich für das Eisklettern ein im Vergleich zu anderen Sportarten geringes Verletzungsrisiko. Bei Anwendung der oben aufgeführten Definition müsste man Eisklettern trotzdem als Risikosportart einstufen, denn schwere und auch im Einzelfall tödliche Unfälle sind potentiell möglich. Dagegen ist das reale Risiko gering 235


und außerdem die Verletzungsschwere minimal. Es wäre also nicht vertretbar, von einer Risikosportart in dem Sinne zu sprechen, dass die Aktiven automatisch einer großen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind. Einschränkend muss gesagt werden, dass die Kollektivgröße der vorliegenden Studie mit 88 Personen über 3 Jahre begrenzt ist und dass es sich um eine retrospektive Studie handelt. Mittels einer prospektiven Studie und größerem Kollektiv sollte es möglich sein, die hier gezogenen Schlussfolgerungen zu untermauern und möglicherweise auch belastbare Daten zum Todesrisiko zu erhalten.

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GĂźnther Sumann, Her mann Br ugger

N eu e s a u s d e r L a w i n e nmedizin – Ăœb e r b l i c k u n d a k t u e l l e Themen

Avalanche Medicine - Overview and Current Issues

SUMMARY The calculation of the survival function during avalanche burial fifteen years ago was the beginning of scientific work in avalanche medicine. From this survival function we know that survival from total body burial under an avalanche longer than 35 min is only possible with the presence of an air pocket and open airways, and that most avalanche victims die from asphyxia. Following these findings intense efforts were attempted in proper training of mountaineers and rescue personell, and the utmost importance of an immediate extrication by companions for survival of buried people was stressed. Investigations were performed to understand more about the physiology of breathing in air pockets. Additionally to those devices aiming at a rapid extrication of buried people, safety devices were introduced to prevent a total burial of head and thorax and to allow a longer survival when buried under snow. The similar occurrance of hypoxia, hypercapnia and hypothermia (Triple-H-Syndrome) is characteristic for avalanche victims. The speed of cooling may differ quite strongly and is expected to have an influence on the prognosis of the avalanche victims. During the last years more attention was directed on the probability of trauma in avalanche accidents. It was found that in some regions major trauma was more likely to occur in avalanche fatalities than expected. In British Columbia and Alberta the risk of lethal trauma was found to be 24%, mainly accounted to head and thoracic trauma. This may be explained by the much greater access to forested ski terrain than in Europe. New modifications of safety equipment and 241


the recommendation to wear helmets should be stressed as well as the supplementation of trauma care issues to the treatment algorithms of avalanche victims. Major technical improvements were done on safety devices like the development of digital 3-antenna avalanche beacons. This technology makes a pronounced improvement possible in the speed of avalanche search. A clear reduction of mortality in avalanche accidents was proved for the use of avalanche airbag systems and avalanche beacons. Despite of all advantages in safety equipment and emergency treatment one should never forget, that risk adjusted awareness and behaviour are the most important factors to prevent fatalities from avalanche burial. Keywords: avalanche medicine, avalanche burial, hypothermia, trauma, avalanche safety equipment.

ZUSAMMENFASSUNG Mit der Berechnung der Überlebensfunktion bei Lawinenverschüttung vor fünfzehn Jahren begann die wissenschaftliche Befassung mit dem Gebiet der Lawinenmedizin. Aus dieser Überlebensfunktion wurde klar, dass ein Überleben bei Ganzkörperverschüttung länger als 35 min nur mit Atemhöhle und freien Atemwegen möglich ist und die meisten Lawinenopfer an Asphyxie versterben. Eine wichtige Konsequenz daraus waren intensive Bemühungen zur Ausbildung von Bergsportlern und Rettungskräften und die Betonung der überlebensentscheidenden Bedeutung der Kameradenrettung. Man beschäftigte sich intensiv mit der Physiologie der Atemhöhle, und es wurden zusätzlich zu den Geräten, die ein schnelles Auffinden der Verschütteten ermöglichen, Notfallausrüstungen entwickelt, die darauf abzielten, eine Verschüttung von Kopf und Thorax zu vermeiden, bzw. ein Überleben bei Verschüttung zu vermeiden. Das gemeinsame Auftreten von Hypoxie, Hyperkapnie und Hypothermie (Triple-H-Syndrom) ist typisch für Lawinenopfer. Die stark unterschiedliche Abkühlungsgeschwindigkeit hat einen großen Einfluss auf den Verlauf und die Prognose eines Lawinenopfers. In den letzten Jahren wurde die Häufigkeit von schweren Verletzungen beim Lawinenabgang studiert. Dabei konnte man herausfinden, dass in manchen Regionen die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Traumas bei Lawinenverschüttung wesentlich höher ist als bisher angenommen. Besonders in den bewaldeten Heliski-Gebieten wie in British Columbia und Alberta wurde in 24% der Lawinen-Todesfälle ein Trauma als Todesursache identifiziert, besonders imponieren schwere Thorax- und Schädelhirntraumata. Eine entsprechende Anpassung der Notfallausrüstung wie zum Beispiel das Tragen von Helmen und eine Erweiterung der Behandlungsalgorithmen mit Elementen der Traumaversorgung sind zu empfehlen. Die technische Weiterentwicklung der Lawinennotfallausrüstung hat einige wesentliche Verbesserungen gebracht. Die digitale 3-Antennen-Technologie der LVS-Geräte ermöglicht eine deutliche Verbesserung in der Verschüttetensuche. 242


Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass Lawinenairbagsysteme und LVS-Geräte die Überlebenswahrscheinlichkeit bei Lawinenabgang drastisch verbessern können. Trotz aller Fortschritte in Ausrüstung und Behandlung von Lawinenverschüttungen bleiben vor allem ein angepasstes Risikobewusstsein- und Verhalten entscheidend, um Todesfälle durch Lawinenabgänge zu vermeiden. Schlüsselwörter: Lawinenmedizin, Lawinenverschüttung, Hypothermie, Trauma, Notfallausrüstung

EINLEITUNG Lawinenverschüttungen sind verglichen an der Zahl anderer Alpinnotfälle seltene Ereignisse. Allerdings sind Lawineneinsätze von hohem logistischem Aufwand gekennzeichnet. Eine sehr große Zahl an Rettungspersonal und Suchhunden und ein enormer Aufwand an technischem Material und Hubschrauberflügen sind üblich. Häufig muss stundenlang nach den Verschütteten gesucht werden, in manchen Fällen ist nicht einmal sicher bekannt, ob und wie viele Personen betroffen sind. Die Letalität bei Ganzkörperverschüttung (Verschüttung von Kopf und Thorax) ist zwar mit 52,4% sehr hoch und zwei Drittel der Betroffenen versterben schon innerhalb der ersten 35 Minuten (1). Jedoch gibt es immer wieder Fälle, bei denen Verschüttete nach vielen Stunden lebend gefunden werden können. Dadurch lastet neben der physisch extrem anspruchsvollen Arbeit am Lawinenkegel ein sehr hoher emotioneller Druck auf den Such- und Rettungsmannschaften. Notärzte müssen am Lawinenkegel schwerwiegende Therapieentscheidungen treffen, oft sind Todesfeststellungen vor Ort unter ungünstigsten Umgebungsbedingungen notwendig. Bis vor knapp fünfzehn Jahren mangelte es diesbezüglich an hilfreichen Empfehlungen oder Therapiealgorithmen, und es bestand im Einzelfall große Entscheidungsunsicherheit bei den Bergrettungsärzten. Das vorhandene Wissen stützte sich großteils auf Empirie und anekdotische Überlieferung. Erst Anfang der 90er Jahre wurde die Lawinenmedizin Gegenstand systematischen wissenschaftlichen Interesses. Aus der bahnbrechenden Arbeit von Falk und Brugger im Jahr 1994 wurde der Verlauf der Überlebenskurve bei Ganzkörperverschüttung bekannt (2). Aus diesem Wissen über den Ablauf der Verschüttungsdauer folgten wichtige Erkenntnisse für die Einsatzlogistik, und es wurden von der Internationalen Kommission für Alpine Notfallmedizin (IKAR MEDCOM) Therapiealgorithmen für Lawinennotfälle herausgegeben (3,1).

HÄUFIGKEIT TÖDLICHER LAWINENEREIGNISSE Die Zahl an registrierten Todesfällen durch Lawinenereignisse in Europa und Nordamerika lagen laut Aufzeichnungen der IKAR in den Jahren 2004-2008 zwischen 120 243


und 192 pro Jahr. Dabei lagen die Todesfälle aus den USA und Canada zwischen 29 und 54/Jahr (4). Allein in Österreich wurden in den vergangenen 20 Jahren 490 Lawinentote gezählt mit jährlichen Mortalitätszahlen zwischen 8 (2003/04) und 53 (1998/99) (5). (Abb. 1) In den Jahren 1984-2005 wurden in British Columbia und Alberta 204 Todes-

Abb. 1: Anzahl der Lawinentoten in Österreich 1988-2008. Quelle: Nairz P. Schnee und Lawinen 2007-2008. Lawinenwarndienst Amt der Tiroler Landesregierung. Raggl digital graphic + print GmbH Innsbruck 2008:168. Mit freundlicher Genehmigung durch Mag. Rudi Mair, Lawinenwarndienst Tirol. fälle registriert (6). In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Zahl der durch Sport ausgelösten Lawinenunfälle deutlich erhöht, während die so genannten Katastrophenlawinen mit Verschüttung von Siedlungen und Verkehrswegen durch die Errichtung von Lawinenschutzbauten abgenommen haben (7). Inzwischen hat sich in manchen Regionen der Alpen das Schibergsteigen zu einem Massensport entwickelt, während vor ca. 20-30 Jahren Schitourengeher noch eher als Individualisten betrachtet werden konnten. Es ist wohl anzunehmen, dass der Anstieg von Touristenlawinen eher auf die größere Anzahl an Bergsteigern zurückzuführen ist als auf eine allgemein gesteigerte Risikobereitschaft. In erster Linie hängen die Lawinenunfallzahlen von den saisonal variablen Schneemengen und dem Schneedeckenaufbau ab. Dabei sind die schneearmen Winter häufig gefährlicher, bedingt durch ein meist labiles Schneeprofil. 244


KAMERADENRETTUNG Auf Basis der Überlebenskurve bei Ganzkörperverschüttung wurde die Wichtigkeit der Kameradenrettung als die für das Überleben entscheidende Maßnahme erkannt, wusste man jetzt schließlich, dass mehr als 90% der Verschütteten die ersten fünfzehn Minuten überleben, jedoch danach die Überlebenskurve dramatisch abfällt. In den folgenden Jahren wurde großer Wert auf ein breites Schulungsangebot in Erster Hilfe beim Lawinennotfall und Kameradenrettung gelegt. Alpine Vereine, Herstellerfirmen von Lawinennotfallausrüstung und Bergrettungsorganisationen boten zahlreiche Kurse und Lehrunterlagen für Laien und Tourengeher an, in denen neben Lawinenkunde und Prävention das richtige Verhalten im Fall eines Lawinennotfalls trainiert wurde (8). Daneben wurde viel Entwicklungsarbeit in die Verbesserung der elektronischen Lawinenverschüttetensuchgeräte gesteckt, und es wurden in den letzten Jahren mit den digitalen Dreiantennengeräten wesentlich effizientere Geräte auf den Markt gebracht. Die Etablierung eines flächendeckenden, effizienten Flugrettungsnetzes in den Alpen war weitgehend abgeschlossen. Mitte des letzten Jahrzehnts erfolgte zusätzlich der Ausbau des GSM-Mobiltelefonnetzes, und bald wurde das Mittragen eines Mobiltelefons beim Bergsteigen als wesentlicher Teil des Sicherheitsnetzes für Alpinisten allgemein üblich. Schließlich waren wir als Notärzte im Flugrettungsdienst immer öfter in der Lage, bei Lawineneinsätzen Überlebende nach Ganzkörperverschüttung zu sehen, die während oder unmittelbar vor unserer Landung am Notfallort ausgegraben wurden. Viele der Verschütteten in derartigen Fällen waren schon nach ungefähr zehn Minuten bewusstlos und wurden schwer hypoxisch aufgefunden als klarer Hinweis darauf, dass sie ohne Atemhöhle und unfähig zu atmen verschüttet waren und nur der schnellen Kameradenrettung ihr Leben verdankten.

ATEMHÖHLE Eine wesentliche Erkenntnis aus der Überlebenskurve bei Lawinenverschüttung besteht darin, dass das Vorhandensein freier Atemwege und einer Atemhöhle von zentraler Bedeutung ist, und ein Überleben ohne freie Atemwege nicht länger als 35 Minuten möglich ist (1). In den Jahren ab 2000 wurde das wissenschaftliche Augenmerk auf die Atemhöhle und die physiologischen Veränderungen bei Lawinenverschüttung mit Atemhöhle gelegt. Es wurden Feldversuche zur Messung von Atemgasveränderungen bei Atmung in eine Schneeatemhöhle durchgeführt und mit der AvalungTM-Rettungsweste ein Ausrüstungsgegenstand vorgestellt, der im Falle einer Lawinenverschüttung eine künstliche Atemhöhle bildet und die Trennung von Inspirations- und Exspirationsluft gewährleistet. In den USA wurden in mehreren Experimenten freiwillige Probanden im Schnee eingegraben und dabei die AvalungTM getestet und Atemgasveränderungen unter Ableitung 245


des abgeatmeten Kohlendioxids mit und ohne Atemhöhle verglichen (9,10,11). Dabei konnte klar gezeigt werden, dass die Trennung von Inspirations- und Exspirationsluft zu einer deutlichen Verbesserung der Oxygenierung führt und ein wesentliches längeres Atmen bei Verschüttung im Schnee ermöglicht. Der zugrunde liegende physiologische Mechanismus der Verdrängungsasphyxie kann aus der Alveolargasformel abgeleitet werden. Der hohe Kohlendioxidanteil im Alveolargasgemisch führt zu einer Verdrängung des Sauerstoffs und dadurch zu einer Hypoxie. In eigenen Untersuchungen anhand eines experimentellen Atemhöhlenmodells konnten wir ebenfalls die Atemgasveränderungen bei Atmung in eine Schneeatemhöhle messen und dabei feststellen, dass es zu einem beträchtlichen Anstieg der Kohlendioxidfraktion in der Einatemluft kommt. Außerdem gelang uns der Nachweis einer deutlichen Abhängigkeit der Geschwindigkeit der Gasveränderungen von der Schneequalität (12,13).

TEMPERATUR UND HYPOTHERMIE Eine entscheidende Rolle für den Zustand eines Lawinenverschütteten mit Atemhöhle spielt neben den Atemgasveränderungen die Körpertemperatur. Der Zusammenhang von Hypothermie, Hypoxie und Hyperkapnie wird als Triple-H-Syndrom bezeichnet (12). Als Hypothermie wird ein Abfall der Körperkerntemperatur auf unter 35°C bezeichnet. Man geht davon aus, dass die mittlere Abkühlungsgeschwindigkeit bei Lawinenverschüttung bei 3°C/h liegt, dabei wurden Abkühlungsraten bis zu 8°C/h berichtet (14). Ab der kritischen Körperkerntemperatur (KKT) von 32°C treten gehäuft Herzrhythmusstörungen auf, und die Hypothermie wird zunehmend gefährlich (15). Bei einer durchschnittlichen Abkühlungsrate von 3°C/h wird diese KKT nach ungefähr 90 min erreicht. Das deckt sich mit dem weiteren Abfall der Überlebenskurve bei Ganzkörperverschüttung bei 90 min. Offensichtlich dürfte die Abkühlungsgeschwindigkeit von Fall zu Fall stark variieren und unter anderem wesentlich von der Bekleidung des Verschütteten abhängen. Kürzlich wurde ein Einzelfall berichtet, bei dem eine Abkühlungsgeschwindigkeit von 9°C/h festgestellt wurde (16). In diesem Fall war der Betroffene während der Verschüttung im Aufstieg, verschwitzt und bei frühlingshaften Temperaturen nur leicht bekleidet, darum scheint die schnelle Abkühlung plausibel und gut nachvollziehbar. Hypoxie führt zu einer schnelleren Abkühlung durch Herabsetzen der metabolischen Rate um 7%/°C (17). Auch eine Hyperkapnie per se beschleunigt die Abkühlung. Das geschieht über mehrere Mechanismen. Neben einem gesteigerten Wärmeverlust durch Hyperventilation und Vasodilatation bei Hyperkapnie kommt es zu einem Herabsetzen der Schwelle für Muskelzittern (18). Auch bei den Vergrabungstests von Grissom und Radwin konnte ein Unterschied in der Abkühlungsgeschwindigkeit abhängig vom inspiratorischen Kohlendioxid festgestellt werden. In der Hyperkapnie-Gruppe 246


(FiCO2 7% ± 1,4) war die Kerntemperaturabnahme mit 1,2°C/h deutlich schneller gegenüber der normokapnischen Gruppe (FiCO2 0,4% ± 0,4) mit 0,7°C/h (19). Ob sich diese beschleunigte Abkühlung auf die Prognose günstig auswirkt, ist unbekannt. Sollte die Abkühlung schneller erfolgen, als sich eine schwere Hypoxie ausprägen kann, könnte man einen protektiven Effekt für das ZNS annehmen. Allerdings könnte eine zu schnelle Abkühlung durch Unterschreiten der reversiblen KKT den Verschütteten zusätzlich gefährden. Zum ausreichenden Verständnis dieser Vorgänge und Zusammenhänge bedürfen wir weiterer Untersuchungen und Ergebnisse. Zur Messung der Körperkerntemperatur unter kalten, präklinischen Bedingungen eignen sich Tympanonthermometer, die mit einer Thermistorsonde (Thermistor ist ein temperaturabhängiger Halbleiterwiderstand) die epitympanale Temperatur ableiten. Allerdings kann der lokale Kontakt des äußeren Ohres mit Schnee oder eine Verlegung des äußeren Gehörgangs durch Schnee oder Cerumen falsch niedrige Werte ergeben (20). Ösophageale Temperaturmessungen werden generell zur Beurteilung der Körperkerntemperatur als am zuverlässigsten angesehen, allerdings ist unter schwierigen Bedingungen auf der Lawine eine zuverlässige Positionierung im mittleren bis unteren Ösophagusdrittel schwierig.

TRAUMA BEI LAWINENVERSCHÜTTUNG Noch vor ungefähr drei Jahrzehnten wurde anekdotisch angenommen und auch gelehrt, dass schon mit Stillstand der Lawine etwa 20% der Verschütteten an tödlichen Verletzungen verstorben seien. Diese Annahmen stützten sich jedoch auf keinerlei Daten. Später wurde durch die Kenntnis und das Verständnis der Überlebenskurve bei Lawinenverschüttung die Asphyxie als hauptsächliche Todesursache bei Ganzkörperschüttung betrachtet. Dementsprechend wurde das Hauptaugenmerk in der Lawinenrettung und in der Entwicklung von Lawinennotfallausrüstung auf die Vermeidung von Asphyxie und Hypothermie gelegt. In einer Analyse von 105 Lawinenopfern in Innsbruck starben 36 Patienten, davon 33 an Asphyxie. Nur bei 2 Verunglückten (5,6%) konnte ein letales Trauma als Todesursache postuliert werden (21). In beiden Fällen wurde in der Obduktion ein HWS-Trauma gefunden. In Utah, USA, wurden 56 Lawinentote analysiert. Auch davon starben die allermeisten Betroffenen an Asphyxie, ein letales Trauma wurde nur in 5,4% der Fälle festgestellt (22). Dagegen wurde in einer aktuellen Studie aus Canada eine wesentlich größere Häufigkeit an tödlichem Trauma bei Lawinenverschüttungen festgestellt: Eine Analyse aller 204 Lawinentoten in Alberta und British Columbia in den Jahren 1984-2005 ergab Verletzungen als Todesursache in einer Häufigkeit von 24% der Verunglückten (6). Der große Unterschied in der Traumahäufigkeit zu den anderen Studien in Europa aber auch den USA ist bemerkenswert. Auffallend ist auch, dass die mediane Verschüttungszeit 247


Abb. 2: Auffinden und Freilegen eines Lawinenverschütteten der tödlich Verletzten mit 25 min wesentlich geringer ist im Vergleich zu 45 min bei den Erstickungstoten. Zum Unterschied war die mediane Verschüttungszeit aller Lawinentoten in der Schweiz mit 120 min wesentlich länger (23). Die Daten aus Canada stammen großteils aus Heliski-Gebieten. Im Vergleich zu Europa kommt es in Canada beim Variantenschifahren viel häufiger zu Lawinenabgängen in bewaldetem Gebiet (24). Dabei werden die betroffenen Schifahrer häufig gegen Bäume geschleudert und erleiden dadurch schwere und letale Thorax-(46%) und Kopfverletzungen (42%). In einer Untersuchung in Utah im Zeitraum 1992-1999 wurden bei den Lawinentoten in 61% Schädel-Hirn-Verletzungen gefunden (25). Beim Heliskiing sind alle Kunden mit LVS-Geräten ausgestattet und werden immer von sehr gut ausgebildeten Skiguides begleitet. Dadurch werden die Verschütteten bei Lawinenabgängen in den allermeisten Fällen sehr schnell gefunden und ausgegraben. Die deutlich niedrigere Verschüttungszeit der Trauma-Toten von 25 min könnte damit erklärbar sein, dass diese Zeitspanne häufig nicht ausreicht, um zu ersticken (26). Bei längerer Verschüttungszeit ist eine Asphyxie als Todesursache sehr wahrscheinlich, auch wenn zusätzlich ein schweres Trauma vorliegt. Das deckt sich mit den Beobachtungen von Boyd et al., dass die Fälle von Asphyxie häufig mit schweren Verletzungen kombiniert waren und mit 150 cm eine deutlich größere Verschüttungstiefe aufwiesen als die traumatisch bedingten Todesfälle mit 90 cm Tiefe. 248


In hindernisfreien Gleitbahnen von Lawinen ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Schneedruck alleine zu tödlichen Thorax- oder Schädelhirntraumen führen kann. In diesen Fällen ist der Tod durch Asphyxie am wahrscheinlichsten, was auch den Überlebenszeitanalysen von Falk und Brugger aus Schweizer Daten entspricht (1-3). Die Ergebnisse aus Datenanalysen zur Untersuchung der Todesursache nach Lawinenabgängen sind nur dann als zuverlässig zu bewerten, wenn den Diagnosen Obduktionen oder zumindest eine systematische externe Leichenbeschau oder umfassende radiologische Untersuchungen zugrunde liegen und auch ein repräsentatives Datenkollektiv vorliegt (27). Für die meisten der vorliegenden Arbeiten aus den 70er und 80er Jahren (28,29,30,31) treffen diese strengen Kriterien nicht zu. Lediglich 3 teils rezente Studien erfüllen diese Anforderungen. Die Arbeit von McIntosh (22) umfasst alle Lawinenereignisse in Utah von 1989-2006. In allen Fällen wurden eine Obduktion (50%) oder eine systematische Leichenbeschau (50%) durchgeführt. Hohlrieder analysierte ein repräsentatives Kollektiv aller Verunglückten, die im Zeitraum 1996-2005 nach Innsbruck gebracht wurden. Bei 30 von 36 Todesfällen wurde eine Obduktion durchgeführt, in 6 Fällen eine ausführliche externe Leichenbeschau (21). (Tabelle 1) Externe Totenbeschau

Autopsie

Beide Methoden

Trauma

Asphyxie

Hypothermie Subtotal

Trauma

Asphyxie

Hypothermie Subtotal

Trauma

Asphyxie

Hypothermie Total

McIntosh 2007 (22)

1 (3.6%)

27 (96.4%)

0 (0%)

28 (100%) (50%)

2 (7.1%)

26 (92.9%)

0 (0%)

28 (100%) (50%)

3 (5.4%)

53 (94.6%)

0 (0%)

56 (100%) (100%)

Hohlrieder 2007 (21)

0 (0%)

6 (100%)

0 (0%)

6 (100%) (16.7%)

2 (6.7%)

27 (90%)

1 (3.3%)

30 (100%) (83.3%)

2 (5.5%)

33 (91.7%)

1 (2.8%)

36 (100%) (100%)

Boyd 2009 (6)

23 (26%)

62 (71%)

2 (2%)

87 (100%) (42.6%)

25 (21%)

92 (79%)

0 (0%)

117 (100%) (57.4%)

48 (24%)

154 (75%)

2 (1%)

204 (100%) (100%)

Total

24 (19.8%)

95 (78.5%)

2 (1.7%)

121 (100%) (40.9%)

29 (16.6%)

145 (82.8%)

1 (0.6%)

175 (100%) (59.1%)

53 (17.9%)

240 (81.1%)

3 (1.0%)

296 (100%) (100%)

Tabelle 1: Todesursachen bei Lawinenabgängen abhänig von der Methode der Totenbeschau nach McIntosh et al. (22), Hohlrieder et al. (21), Boyd et al (6).

SICHERHEITSAUSRÜSTUNG UND ÜBERLEBEN Die bisher erhältliche Lawinennotfallausrüstung wurde je nach Wirkmechanismus in drei Gruppen eingeteilt: - Vermeidung einer Verschüttung oder Reduktion der Verschüttungstiefe, z. B. ABSLawinenairbag, Snowpulse „Life Bag“; - Verringerung der Verschüttungszeit, z. B. Lawinenverschütteten-Suchgeräten (LVS), Avalanche Ball; - Verlängerung der Überlebenszeit bei Ganzkörperschüttung, z. B. AvalungTM (32). Mit dem Snowpulse „Life Bag“ wird erstmals ein Produkt angeboten, das mehrere Funktionen erfüllen könnte. Neben dem Airbagprinzip zur Vermeidung der Verschüttungstiefe wäre es möglich, dass der Airbag Kopf und Hals vor Gewalteinwirkungen schützt und unter Umständen auch die Bildung einer Atemhöhle begünstigt könnte. 249


Allerdings wurden diesbezüglich keine Tests durchgeführt, und es kann sich dabei lediglich um Mutmaßungen handeln. Auf die Verwendung von Ausrüstungsgegenständen, die vor schweren Verletzungen schützen, sollte besonders dort geachtet werden, wo dicht bewaldete Hänge befahren werden. In einem persönlich berichteten Fall aus Canada wurde der massive Aufprall eines Skiguides gegen einen Baum durch einen aufgeblasenen Airbag-Rucksack abgebremst, was ihn aller Wahrscheinlichkeit nach vor tödlichen Verletzungen bewahrt hat. In Kenntnis der hohen Traumarate in Canada tragen dort Heliskiing-Kunden generell Helme beim Schifahren. Die Verwendung von Schihelmen beim Variantenschifahren, Snowboarden oder Schitourengehen wird auch in den Alpen immer mehr akzeptiert und sollte generell empfohlen werden. Entscheidend für die Bewertung von Lawinennotfallausrüstungen sollte der Einfluss auf das Überleben bei Lawinenverschüttung sein. Mithilfe von LVS können die Such- und Verschüttungszeiten deutlich verkürzt werden. In einer Untersuchung von Schweizer Lawinenunfalldaten der Jahre 1981-1994 ergab die Verwendung von LVS eine massive Verkürzung der medianen Verschüttungszeit von 120 min auf 35 min. Allerdings hat sich dieses Ergebnis mit einer Reduktion von 75,9% auf 66,2% (p=0,054) nur grenzwertig auf die Mortalität ausgewirkt (33). Das wurde so interpretiert, dass sich der Zeitgewinn lediglich in der flachen Plateauphase der Überlebensfunktion auswirkt, in der es über 90 min keine relevante Änderung der Überlebenschance von Verschütteten gibt. In einer Auswertung von Lawinenunfalldaten der Jahre 1994-2003 aus Österreich wurde ein vergleichbarer Einfluss der Verwendung von LVS auf die Verschüttungszeit errechnet: Reduktion von 102 auf 20 min. In dieser Studie gelang allerdings auch der Nachweis einer deutlichen Reduktion der Mortalität im Zusammenhang mit LVS-Suche bei Unfällen im abgelegen freien Schiraum von 78,9% auf 50,4% (p < 0,001). Im organisierten Schiraum oder in unmittelbarer Nähe konnte keine Verbesserung der Mortalität nachgewiesen werden (34). Trotz LVS hat kein Betroffener bei einer Verschüttungstiefe von mehr als 1,5 m überlebt. Dieses Ergebnis trägt den langen Ausgrabungszeiten bei größerer Verschüttungstiefe Rechnung. Die Gesamtmortalität bei Ganzkörperverschüttung lag in beiden Untersuchungen über 50%. Es lag also nahe, den wirksamsten Ansatz in der Vermeidung einer Ganzkörperverschüttung zu sehen. Nach Einführung der ABS-Lawinenairbagrucksäcke wurden zahlreiche anekdotische Fälle berichtet, bei denen Betroffene durch die Airbags an der Oberfläche blieben und schadenfrei überlebten, während teilweise aus derselben Gruppe andere Tourengeher komplett verschüttet wurden und starben. Im vorletzten Jahr gelang der Nachweis einer klaren Senkung der Mortalität bei Lawinenverschüttung sowohl für die Verwendung von Airbagsystemen als auch von LVS. Für diese retrospektive Analyse wurden Daten 250


von 1504 Lawinenverschüttungen in Österreich und der Schweiz aus den Jahren 19902004 herangezogen. Lawinenopfer, die mit Airbag ausgestattet waren, wiesen dabei ein deutlich niedrigeres Risiko auf zu versterben im Vergleich zu denen ohne Airbag: 2,9% Mortalität vs. 18,9%; odds ratio 0,009; 95% Konfidenzintervall 0,01-0,75 (p = 0,026). Damit konnte erstmals klar nachgewiesen werden, dass Airbagrucksäcke das Risiko, bei einem Lawinenabgang zu sterben, deutlich reduzieren. Daneben konnte auch eine deutliche Risikoreduktion bei der Verwendung von LVS nachgewiesen werden: 55,2% Mortalität vs. 70,6%; odds ratio 0,26; 95% Konfidenzintervall 0,14-0,48 (p < 0,001) (35). Es wäre wünschenswert, wenn diese klaren Ergebnisse in dem Sinne umgesetzt werden könnten, dass Rettungsmannschaften zur Erhöhung ihrer eigenen Sicherheit bei alpinen Rettungseinsätzen im Winter mit den beschriebenen Ausrüstungsgegenständen ausgestattet werden könnten.

LVS-GERÄTE UND NEUE SUCHSTRATEGIEN In der technischen Weiterentwicklung der elektronischen LVS-Geräte sind in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht worden. Durch die Einführung von digitalen 3-Antennen-Geräten wurde die Performance der Geräte wesentlich erhöht. Die Reichweiten der Geräte wurden deutlich größer, die Genauigkeit der Richtungsanzeigen zum Verschütteten und die Suchgeschwindigkeit sind bei entsprechender Einschulung des Anwenders in die Funktionsweise der Geräte im Vergleich zu den analogen 1- oder 2-Antennen-Geräten früherer Generationen klar verbessert worden (36). Es wurden elektronische Lawinensonden mit einer Empfangsfunktion für LVS-Signale an der Sondenspitze zur genaueren Lokalisation der Verschütteten in der Tiefe vorgestellt. Es wurden digitale Trainingssysteme entwickelt, mit denen Sender im Schnee ferngesteuert werden können und damit die LVS-Suche effizient trainiert werden kann. Die Funktionen der neuen Digitalgeräte erleichtern die LVS-Suche bei Mehrfachverschüttungen. Nach Lokalisierung eines Verschütteten kann dieser digital markiert und dessen Signal weggefiltert werden. Dadurch fallen die erschwerenden Überlagerungen durch Mehrfachsignale weg. Zusätzlich wurden die Erfassung von Lebensfunktionen der Verschütteten und die Übertragung dieser Signale an die Geräte der Suchmannschaften möglich. Das sollte einen einschneidenden Einfluss auf die Suchstrategie bei Mehrfachverschüttungen bewirken, weil man damit lebende von toten Verschütteten unterscheiden und dadurch selektiv die Reihenfolge des Ausgrabens gewichten könnte. Die Implikation der Übertragung von Lebensdaten hat heftige Diskussionen über die ethische Vertretbarkeit dieser Vorgangsweise ausgelöst. Immerhin ist eine ausgewogene und objektive Triage nur dann möglich, wenn alle Verschütteten mit den betreffenden Geräten ausgestattet sind, welche diese Funktion aufweisen. Träger anderer Geräte könnten auf diese Weise einen entscheidenden Überlebensnachteil erfahren. 251


Eine wesentliche Neuerung der vergangenen Jahre in der Suchstrategie ist die LVSSuche mit 3-Antennen-Empfängern vom Hubschrauber aus. Durch die neue digitale Technologie wurde die Genauigkeit der Richtungserkennung derartig optimiert, dass man vom Hubschrauber aus in kurzer Zeit sehr effizient große Lawinenfelder absuchen kann. Mit einer Genauigkeit von 1-2 m werden die Fundstellen aus der Luft mit abgeworfenen Bojen markiert. Damit werden die Rettungskräfte am Boden zur Fundstelle dirigiert und setzen mit der Feinsuche fort. (Abb. 3)

Abb. 3: LVS-Suche vom Hubschrauber aus mit digitaler 3-Antennen-Sonde. Quelle: Joe Redolfi, Christophorus Flugrettungsverein

NOTFALLMEDIZINISCHE THERAPIE BEI LAWINENVERSCHÜTTUNG Bei einer Verschüttungsdauer unter 35 min verlaufen die Bergung und notfallmedizinische Therapie zeitkritisch. In dieser Frühphase der Verschüttung (Asphyxiephase) ist die Gefahr einer irreversiblen Asphyxie groß (2). Aber auch ein schweres Trauma kann für den kritischen Zustand eines Patienten verantwortlich sein. Der Patient soll vor weiterem Auskühlen geschützt und in ein Zielkrankenhaus mit Intensivstation geflogen werden (1). Bei Herzkreislaufstillstand ist nach den allgemein gültigen internationalen CPR-Richtlinien vorzugehen (37). 252


Eine Verschüttungsdauer von mehr als 35 min können Ganzkörperverschüttete nur bei Vorliegen einer Atemhöhle und bei freien Atemwegen überleben. In dieser Phase können die Betroffenen eine ausgeprägte Hypothermie aufweisen. Bei der Bergung ist mehr Augenmerk auf ein möglichst schonendes als auf schnelles Vorgehen zu legen. Eine kontinuierliche EKG-Überwachung soll durchgeführt werden wie auch eine Messung der Körperkerntemperatur. Besonders wichtig sind der Schutz vor weiterer Auskühlung und ein schonender und direkter Flugtransport in ein Zentralkrankenhaus mit Hypothermie-Erfahrung. Als Leitlinie für die präklinische Therapie dient der IKARTriagealgorithmus (1). Unbedingt zu betonen ist, dass pulslose oder kreislaufinstabile Patienten unbedingt, und falls nötig, unter kontinuierlicher CPR direkt in eine Klinik mit Herzlungenmaschine oder Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) geflogen werden müssen, wenn die Atemwege frei sind. Eine Todesfeststellung darf nur bei Vorliegen von offensichtlich tödlichen Verletzungen oder verlegten Atemwegen erfolgen. Sonst gilt unverändert: „No hypothermic avalanche victim with an air pocket is dead until rewarmed and dead” (3). Im Jahr 2010 ist wieder mit einem Update der ILLCOR-Guidelines zur CPR zu rechnen. In diesen neu überarbeiteten Reanimationsrichtlinien wird sich voraussichtlich erstmals ein Abschnitt mit der Therapie von Lawinenverschütteten beschäftigen. Es ist zu erwarten, dass darin das Vorhandensein einer Atemhöhle restriktiver als bisher definiert wird und man künftig nur mehr von „freien Atemwegen“ oder „verlegten Atemwegen“ als Entscheidungskriterium für den Triagealgorithmus bei Lawinenverschüttung sprechen wird. Aus den hohen Trauma-Zahlen Canadas ergibt sich die Notwendigkeit, dass für die betreffenden Gebiete die Behandlungsalgorithmen überarbeitet werden und wesentliche Aspekte der Traumaversorgung implementiert werden sollten.

ZUSAMMENFASSENDE BETRACHTUNGEN Seit dem Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Gebiet der Lawinenmedizin Anfang des letzten Jahrzehnts konnten wir sehr viel dazu lernen. Am Anfang standen die Erkenntnisse aus der Überlebensfunktion, welche uns die Festlegung von Behandlungsalgorithmen, Einsatzprotokollen und Ausbildungsschwerpunkten ermöglichten. Wir haben die Bedeutung der Atemhöhle erkannt, deren Physiologie studiert und beschäftigen uns seither mit der Frage, wie man den Erstickungstod bei Lawinenverschüttung verhindern oder zumindest verzögern kann. Die Zusammenhänge von Hypothermie und Atemgasveränderungen stellen uns noch immer vor offene Fragen und geben uns neue Aufgaben auf. Wir konnten erkennen, dass unter speziellen Geländebedingungen beim Lawinenabgang schwere Verletzungen drohen. Diese Er253


kenntnis müssen wir in Zukunft in unsere Behandlungsalgorithmen einbeziehen, aber auch die Ausrüstung sollte danach gestaltet werden. Sowohl eine gezielte Ausbildung der Schneesportler, Bergsteiger und Rettungsmannschaften, entsprechend unseren Erkenntnissen, als auch die Ausrüstungsindustrie sollten uns weiterhin helfen, die Mortalität von Lawinenunfällen zu senken. Zur Zeit werden von findigen Köpfen völlig neue Ansätze zur Entwicklung von effizienten Notfallausrüstungen verfolgt, die vielversprechend sind, jedoch noch nicht publiziert werden können. Bei allen Bemühungen und Erfolgen der Lawinenmedizin wird es am Schluss wohl immer in allererster Linie auf ein gesundes Risikobewusstsein und vernünftiges und angepasstes Verhalten der Wintersportler ankommen, um Lawinenverschüttungen zu vermeiden. Schließlich ist es nicht anzunehmen, dass wir jemals in der Lage sein werden zu verhindern, dass Lawinenunfälle mit einem hohen Risiko und einer hohen Mortalität verbunden sind.

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Andreas Wer ner, Hanns-Chris tian Gunga

W ä r m e h a u s h a l t s - u n d Te m p e r aturregulation des M e n s c h e n i n e x t r e m e n U m w e l t en und Physiologie u n d P a t h o p h y s i o l o g i e d e s Individuums

Regulation of Heat Balance and Body Temperature of Humans in Extreme Environments, and the Physiology and Pathophysiology of the Individual

SUMMARY Heat stress is a significant factor for many activities; the losses originating from it have a high value for all non-military and military organisations. By applications in regions with a strong climatic load (hot/dry, warm/humid) the heat load is an important factor regarding endurance ability and care. The heatstroke is to be equated to a serious wound and can prevent the use of a person for a long period. By the planning of applications a special job comes up concerning clarification of relations, because not only the clinical side (treatment of heat illness), but knowledge of the climatic relations must be considered. Personal losses through heat result from a combination of different conditions (work, clothes, environment, liquid balance etc.) which cannot lead individually, but in the summation to the heat illness. This external influence is complemented with the multiple variables of the individual heat tolerance and the achievement state. The risk of a heat illness can vary depending on the respective situation very strongly. Heavy, impervious protective clothes show an important factor with the origin of a heat load. Studies to the heat load were carried out mostly in healthy, young men of the military in labs, more seldom in young children, women and/or older populations. Furthermore, not only laboratory studies are needed, but those studies have also to be performed in the field. All these studies might be useful to elaborate more precisely a heat strain index 259


for different ages and gender under various environmental and physical conditions. Easy preventive strategies can eliminate not all hazards through heat, but reduce the negative influence. The physical condition (fitness) can be improved by adequate training (heart circulation function, sweat delivery) to work in hot surroundings decisively. Full mental ability and physical working achievement can be guaranteed by sufficient admission of liquid and electrolytes, the absorption of nutrients in the right composition must attract attention also. The investigation of the complexity of the heat load shows an important job therefore and is very necessary within the scope of the progressive climate change. Keywords: climate change, thermoregulation, double sensor, heat stress, thermal load

ZUSAMMENFASSUNG Hitzestress ist ein signifikanter Faktor für viele Aktivitäten, die dadurch entstehenden Verluste haben für alle nicht-militärischen und militärischen Organisationen einen hohen Stellenwert. Durch Einsätze in Regionen mit starker klimatischer Belastung (heiß/ trocken, warm/feucht) ist die Hitzebelastung ein wichtiger Faktor bei der Durchhaltefähigkeit und Fürsorge. Der Hitzschlag ist einer ernsthaften Verwundung gleichzusetzen und kann die Verwendung einer Person für einen langen Zeitraum unterbinden. Bei Kontingentplanungen kommt dem medizinischen Dienst eine besondere Aufgabe zu, denn nicht nur die klinische Seite (Behandlung Hitzeerkrankter), sondern Erkenntnisse der klimatischen Verhältnisse müssen aufgeklärt werden. Personalverluste durch Hitze resultieren aus einem Zusammentreffen von verschiedenen Bedingungen (Arbeit, Kleidung, Umwelt, Flüssigkeitsbilanz), die einzeln zum Teil nicht gefährlich, aber in der Summation zur Hitzeerkrankung führen können. Diese äußeren Einflüsse werden durch die multiplen Variablen der individuellen Hitzetoleranz und des Leistungszustandes ergänzt. Das Risiko einer Hitzeerkrankung kann abhängig von der jeweiligen militärischen Situation und dem Auftrag (Heer, Luftwaffe, Marine) sehr stark variieren. Schwere, undurchlässige Schutzkleidung stellt einen wichtigen Faktor bei der Entstehung einer Hitzebelastung dar. Einfache präventive Strategien können nicht alle Belastungen durch Hitze eliminieren, aber die negativen Einflüsse reduzieren. Durch adäquates Training (Herzkreislauffunktion, Schweißabgabe) kann die physische Voraussetzung (Fitness), in heißen Umgebungen zu arbeiten, entscheidend verbessert werden. Volle geistige Fähigkeit und physische Arbeitsleistung kann durch ausreichende Aufnahme von Flüssigkeit und Elektrolyten gewährleistet werden, die Nahrungsaufnahme in der richtigen Zusammensetzung muss dargestellt sein. Studien zur Hitzebelastung wurden zumeist an gesunden, jungen Männern des Militärs in Laboren durchgeführt, kaum jedoch an Kindern, Heranwachsenden, Frauen und/oder 260


älteren Personen. Ferner sind nicht nur Laboruntersuchungen notwendig, sondern auch Studien unter realen Feldbedingungen. Diese könnten dazu dienen, bessere Modelle zur „Berechnung“ der Hitzebelastung zu entwickeln. Relativ einfache präventive Maßnahmen können erhebliche positive Effekte bei der Abwendung der Hitzeerkrankung und der Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit des Soldaten und der Truppe erreichen. Die Erforschung der Komplexität der Hitzebelastung stellt somit eine wichtige Aufgabe dar und ist notwendig. Schlüsselwörter: Klimawandel, Thermoregulation, DoppelSensor, Hitzebelastung

EINLEITUNG War in den 1970er Jahren die Rede davon, dass es zu einer neuen kleinen Eiszeit kommen könnte, wurde in den letzten Jahrzehnten eine globale Erwärmung der Erdatmosphäre um ca. 0.7° C bis 1° C festgestellt (8, 14, 27), eine weitere Erwärmung wird vorhergesagt. In welche Richtung auch immer sich die klimatischen Verhältnisse ändern, die Einflüsse auf den Menschen sind immens, nicht zuletzt im Hinblick auf die fortschreitende Urbanisierung und damit Isolierung von Oberflächen (4, 17, 20). Ins öffentliche Bewusstsein gerät der Klimawandel durch klimatische Extremereignisse immer mehr in den Fokus und hat ebenso politische Dimensionen erreicht, sei es ganz allgemein in den Medien oder in der medizinischen Fachliteratur (6, 38). Eine Hitzewelle wird definiert, wenn an drei Tagen hintereinander tagsüber Außentemperaturen in den innerstädtischen Ballungsgebieten von 35° C und darüber gemessen werden, die nachts nicht mehr unter 28° C abfallen (26). Raumtemperaturen über 28° C liegen außerhalb des Behaglichkeitsbereichs des Menschen und müssen als extrem belastend angesehen werden und je höher desto stärker. Eine erforderliche erholsame Abkühlung - besonders in urbanen Wohnbereichen - ist dann nicht mehr möglich. Besonders in höher gelegenen Wohngeschossen von Hochhäusern treten solche Verhältnisse bevorzugt auf, was zu erhöhter Morbidität und Mortalität führen kann (5, 9). Die Definition der Hitzewelle wird allerdings nicht einheitlich gehandhabt, die Luftfeuchtigkeit wird beispielsweise in unterschiedlichem Maß oder meist gar nicht berücksichtigt. Die Thermoregulation des Organismus wird dadurch ständig gefordert und belastet nicht nur das Herz-Kreislauf-System, sondern auch andere physiologische Parameter (bspw. Mineral- und Säure-Base-Haushalt) (15). In Klimabeschreibungen werden mit den Temperaturangaben stets die Außentemperaturen gemeint. Die meteorologischen Messwerte berücksichtigen nicht die Wohn- und Aufenthaltsräume. Vor allem in den Industrienationen verbringen aber die Mehrzahl der Menschen bis zu 90% ihrer Lebenszeit in geschlossenen Räumen. Normalerweise passt sich der Organismus an die Außentemperaturen an und kann sich an die jeweilige Umgebungstemperatur akklimatisieren (13). Da jedoch die Lebensräume in einem sehr 261


engen Bereich (um 21°C ± 1°C) klimatisiert werden, wird auch die Adaptationsbreite für den Organismus sehr schmal (37). Auch in diesem physiologischen Bereich ökonomisiert der Organismus soweit es die Beanspruchung erforderlich macht. Der Regulationsmechanismus zur Aufrechterhaltung der Körperkerntemperatur wird nicht mehr in dem Maße gefordert, wie es bei einer normalen Exposition in der Natur (Außenwelt) erforderlich wäre (Abb. 1). Vergleichbar ist dies mit der Ruhigstellung einer Extremität nach einer Fraktur, wodurch die Muskulatur funktionell abgebaut wird, ähnlich verhält es sich auch mit der Temperaturregulation. Das Außenklima sagt also nur indirekt etwas über das - korrekterweise - als Expositionsklima bezeichnete, den Menschen umgebende Klima aus. Das akut eintretende Expositionsklima kann durch Verhalten (Kleidung) und durch technische Maßnahmen, beispielsweise: Klimaanalagen, Heizungen den Bedürfnissen angepasst werden (19). Erst wenn das Außenklima auf das Expositionsklima durchschlägt und - unter extremen Bedingungen - den Wirkungskreis des Menschen stark einengt, gewinnt dies physiologisch an Bedeutung (39). Der Mensch breitet sich immer weiter in unterschiedliche Bereiche der Erde bis hin

Abb. 1: Adaptationsvorgänge des menschlichen Körpers bei unterschiedlichen Barrieren 262


ins Weltall und in große Wassertiefen aus, es werden „extremere Umwelten“ erreicht. Im Weltall ist der natürliche Luftstrom am Menschen durch die Schwerelosigkeit nicht mehr vorhanden, so dass sich die Temperaturregulation verändert. In Bergwerken mit hohen Gesteinstemperaturen (1500 m ~ bis zu 70° C) kann die Hitze am Arbeitsplatz zu einer Belastungsgröße werden, die eine normale Arbeit extrem beeinflusst. Da mit zunehmender Arbeitsschwere die Menge der abzugebenden Körperwärme größer wird und mit steigenden Klimawerten die Wärmeabgabe für den Körper erschwert wird, kommt es oberhalb bestimmter Grenzen notwendigerweise zu einer Konkurrenz dieser beiden Größen, die sich nicht nur in subjektiv unbehaglichen thermischen Empfindungen, sondern auch in Leistungsminderungen, manchmal sogar in einer Gefährdung des Gesundheitszustandes, äußert. Hitzestress ist ein bedeutender Faktor für viele Tätigkeiten. Durch Arbeitsfelder in Gebieten mit starken klimatischen Belastungen (heiß/trocken, warm/feucht) ist der Hitzestress ein wichtiger Risikofaktor. Die Ausfälle, die daraus entstehen, sollten einen hohen Stellenwert für alle Arbeitgeber, aber ebenso für medizinische Organisationen darstellen. Der Hitzschlag ist einer ernsten Verletzung gleichzusetzen und kann einen Menschen lange Zeit auch im Nachhinein belasten und bleibende Schäden verursachen (v. a. neurologische Schäden). Aus einem Zusammentreffen von verschiedenen Bedingungen (Hitzebelastung, Flüssigkeitsverlust, Leistungsminderung, Kleidung, Arbeit und Umgebung), die einzeln betrachtet möglicherweise ungefährlich sind, entwickeln sich aber in der Summation dann schnell Veränderungen bis zur Hitzekrankheit. Zudem wird durch die individuelle Hitzetoleranz und des individuellen Leistungszustandes eine „per se“ Aussage ungenau.

THERMOPHYSIOLOGISCHE GRUNDLAGEN Der Mensch gehört zu den endothermen Organismen, die im Gegensatz zu wechselwarmen Lebewesen nicht von der Umgebungstemperatur abhängig sind. Diese Organismen haben einen hohen Energieumsatz und können ihre Körpertemperatur innerhalb eines weiten Bereichs unterschiedlicher Umgebungstemperaturen konstant halten. Wie die meisten Vögel und Säugetiere benötigt der Mensch im Körperkern eine relativ konstant hohe Körpertemperatur zwischen 36,4 und 37,4° C (Normaltemperatur). Abweichungen können nur in einem sehr geringen Schwankungsbereich toleriert werden. Wärmeverluste in kalter Umgebung können durch willkürliche Muskeltätigkeit oder durch Kältezittern ausgeglichen werden, Neugeborene haben zitterfreie Wärmebildung durch das braune Fettgewebe. Unter Ruhebedingungen bei moderater Außentemperatur überwiegen die Wärmeverluste durch Strahlung. In warmer Umgebung oder bei starker Wärmebildung (körperliche Arbeit) muss der Körper überschüssige Wärme an die Umgebung abführen, der Organismus ist auf die Verdunstung von Schweiß angewie263


sen. Zudem wird der sogenannte Körperkern nach außen, also auf die Haut, vergrößert (Abb. 2). Es wird eine thermische Neutralzone (25-30° C) von einer Indifferenztemperatur unterschieden. Die Neutralzone ist ein Bereich der Umgebungstemperatur, in dem durch Anpassung der Hautdurchblutung eine ausgeglichene Wärmebilanz erzielt werden kann. Weitere Parameter wie Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit und Strahlungstemperaturen wie auch die Art der Bekleidung beeinflussen zusätzlich das „Mikroklima“ in unmittelbarer Nähe der Haut. Die Indifferenztemperatur ist der Bereich, der als behaglich empfunden wird, und entspricht für den gesunden, unbekleideten, liegenden und ruhenden Erwachsenen, unter Grundumsatzbedingungen, bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50% und nahezu unbewegter Luft (Windgeschwindigkeit 0,1 m/s) eine Lufttemperatur von 27–31° C und liegt damit an der oberen Grenze der thermischen Neutralzone (Abb. 3). Bei körperlicher Ruhe werden rund 80% der Wärme in den inneren Organen gebildet, während die übrigen Körperteile nur etwa 20% dazu beitragen. Unter Grundu m s a t z b e d i n g u n g e n Abb. 2: Das Temperaturfeld des Menschen: Körperschale liegen die Organe mit und Körperkern bei unterschiedlichen Außentemperaturen hoher Wärmebildung ausschließlich in der Schädel-, Brust- und Bauchhöhle, also im sogenannten Körperkern. Bei körperlicher Arbeit ändern sich die Anteile der Wärmebildung grundsätzlich. Es können bis zu 90% der gesamten Wärmebildung auf die arbeitende Muskulatur zurückgeführt werden, und die Gewebetemperatur in der Muskulatur kann deutlich über der Körperkerntemperatur liegen. Da die Muskulatur im Wesentlichen in den Extremi264


Abb. 3: Einflüsse auf die Wärmebilanz des menschlichen Körpers täten liegt, kann ein Teil der anfallenden Wärmemenge gleich vor Ort an die Umgebung abgegeben werden. Die hohe Durchblutung des arbeitenden Muskels dient auch dem Transport von überschüssiger Wärme. Da die thermische Leitfähigkeit von nicht durchblutetem Gewebe in der gleichen Größenordnung wie die von Fett liegt (einem sehr guten Isolator), ist die Wärmeabgabe an die Umgebung vor allem auf die gleichzeitig gesteigerte Durchblutung und Öffnung von arteriovenösen Anastomosen in Haut und Akren zurückzuführen („thermal windows“). Der Wärmetransport zwischen zwei Objekten ist proportional zur Differenz ihrer Temperaturen. Als inneren Wärmetransport bezeichnet die Wärmeabgabe vom Körperkern zur Köperschale. Die im Körper in den verschiedenen Geweben und Organen gebildete Wärme wird an die kühlere Körperoberfläche transportiert und abgegeben. Dieser konvektive Wärmeaustausch zwischen Körperoberfläche und Umwelt spielt sich hauptsächlich in einer nur wenige Millimeter dicken Luftschicht (Grenzschicht), die über der Haut lagert, ab. Hierbei sind die Formen - natürliche und erzwungene - voneinander zu unterscheiden. Befindet sich ein warmer Körper in einem kühleren Medium (Luft, Wasser) kommt es entlang dem Körper zu einer Massenbewegung von kühleren Anteilen im Medium (unten) zu wärmeren Anteilen nach oben (kühlere Luft ist schwerer als warme). Das Medium nimmt dabei konvektiv Wärme auf. Dieser konvektive Massentransport beträgt beim unbekleideten Menschen ca. 600 l/min. Unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit, z. B. bei Astronauten im All, fällt dieser Massentransport weg und trägt zum thermischen Diskomfort bei. Die erzwungene Konvektion bedeutet, dass 265


ein Körper in ein bewegtes Medium gebracht wird (Wind, Wasserströmung) oder sich selbst in diesem Medium bewegt. Dabei spielen die Form und Größe des Objektes für die Wärmeabgabe eine wichtige Rolle. Bei kleinen Organismen kann erzwungene Konvektion rasch zu Störungen des Wärmehaushalts und der Temperaturregulation führen (Hypothermie), insbesondere dann, wenn sich die Dicke der Grenzschicht verringert und eine laminare Strömung in der Grenzschicht in eine turbulente übergeht. Der direkte Wärmetransport zwischen zwei festen Stoffen, die in physischem Kontakt stehen, wird als Konduktion bezeichnet. Der Wärmestrom fließt von dem Stoff mit einer höheren zu jenem mit der niedrigeren Temperatur. Im Gegensatz zum konvektiven Wärmetransport wird also keine Masse transportiert. Die konduktive Wärmetransportrate zwischen zwei Objekten hängt ab von deren Temperaturdifferenz, der effektiven Austauschfläche, den Materialeigenschaften sowie ihrer speziellen thermischen Leitfähigkeit. Die mit dem Blut aus dem Körperinneren an die Hautoberfläche transportierte

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Abb. 4: Die Physiologie der Wärmebildung und Abgabemechanismen an die Umgebung 266


Wärmemenge wird dort in der ruhenden Grenzschicht konduktiv aufgenommen und konvektiv mit dem Luftstrom abgeführt. Unter Ruhebedingungen bei einer Lufttemperatur von 20-25° C, geringer relativer Luftfeuchtigkeit und geringer Windgeschwindigkeit gibt der Mensch ca. 50-60% seiner gesamten Wärmeproduktion über Infrarotstrahlung an die Umgebung ab - Strahlung. Die restlichen Anteile verteilen sich zu etwa gleichen Teilen auf Konduktion, Konvektion und Evaporation (Abb. 4). Passiv verliert der Organismus unmerklich Wasser durch Diffusion über die Haut und die Schleimhäute der Atemwege, aktiv kann der Mensch über Schweißdrüsen Flüssigkeit ausscheiden. Durch die Verdunstung von Schweiß (Evaporation) wird dem Organismus eine erhebliche Wärmemenge entzogen. Bei vollständiger Verdunstung reicht eine Schweißmenge von rund 2 g/min aus, um die gesamte beim Grundumsatz entstehende Wärme des Erwachsenen abzuführen. Je höher der Wasserdampfdruck in der Umgebungsluft ist (schwüle Luft, Tropen), umso schwieriger wird die Wärmeabgabe durch Evaporation. Ist die relative Luftfeuchtigkeit der Umgebungsluft jedoch gering (trockenes Wüstenklima), kann der Mensch kurzfristig durch den hohen Gradienten auch extrem hohe Lufttemperaturen tolerieren [31].

METHODEN ZUR MESSUNG DER KÖRPERKERNTEMPERATUR Physiologisch betrachtet ist von klinischem Interesse besonders die Körperkerntemperatur von Bedeutung. Der „Goldstandard“ für die Körperkerntemperatur ist die zentrale Bluttemperatur in der Aorta, die jedoch nur massiv invasiv (Herzkatheter) zu erfassen ist. Der semi-invasive Goldstandard ist die rektale Messung, die allerdings nicht sehr angenehm zu tragen ist und an sich nur für Laboruntersuchungen praktikabel ist. Aus diesem Grund hat man alternative Messmethoden zur Bestimmung der Körperkerntemperatur gewählt, wobei „Fehler“ hingenommen werden. Die allgemeinen klinischen Messmethoden sind z. B. die tympanale Messung oder die axillare Messung. Für beide Messungen gilt, dass sie einfach durchzuführen sind und eine hohe Compliance beim Patienten haben. Allerdings sind Temperaturmessfehler bereits bei geringfügig falscher Platzierung des Messkopfes (tympanal) erheblich, axillare Messungen weisen die größten Fehlerquellen auf und müssten korrekterweise 30–40 Minuten fest angepresst in der Achselhöhle platziert sein(!). Eine neue, nichtinvasive Methode stellt die Messung über die Haut dar. Dabei wird die Qualität der Messung durch die Kombination von zwei Messfühlern, die den Wärmefluss („heat flux“) erfassen (DoubleSensor) und mit Hilfe bestimmter Programme auf die Körperkerntemperatur zurückrechnen lassen, genutzt (11, 12). Diese Methode ist zudem sehr schnell, angenehm zu tragen und vor allem mobil, so dass auch bei Tätigkeiten im Feld eine Messung ermöglicht wird (z. B. bei Piloten oder Feuerwehrleuten) (Abb. 5). 267


Abb. 5: Der neue nicht-invasive DoppelSensor (Draeger Werke, Lübeck) zur Messung der Körperkerntemperatur und die Platzierung an der Stirn [12]

AKTUALITÄT Hitzestress ist ein signifikanter Faktor für viele Aktivitäten, und besonders für Kinder, Kranke und ältere Personen stellt das Expositionsklima eine besondere Gefahr dar, die sich in erhöhter Krankheitshäufigkeit (Morbidität) und erhöhter (Über-) Sterblichkeit (Mortalität) widerspiegelt (24, 33, 34). Sie führte sowohl in der Vergangenheit aber auch heute noch zu vielen Problemen mit steigender Inzidenz und bereits 24 Stunden nach Einsetzen einer Hitzewelle ist mit einer Risikoerhöhung zu rechnen. Die Hitzewelle 2003 in Europa hat geschätzt zwischen 25000 bis 40000 Tote gefordert, die Dunkelziffer ist dabei nicht bekannt (7), wahrscheinlich ist jedoch von einer wesentlich höheren Sterblichkeit auszugehen. Die ärztliche Feststellung des Todes berücksichtigt im Allgemeinen aber den kausalen Zusammenhang zwischen den Folgen einer Überhitzung und dem eintretenden Tod nicht, da bei der Leichenschau gewöhnlich eine Abkühlung schon so weit vorangeschritten ist, dass eine Überwärmung des Körpers nicht mehr nachweisbar sein kann (37). Aufgrund des weiterhin steigenden Tourismus aber auch vieler Einsätze in Regionen mit starken klimatischen Belastungen (Katastrophenschutz, Militär etc.) in Verbindung mit der globalen Erwärmung ist die Hitzebelastung ein zunehmend zu betrachtender Faktor. Sowohl die Verhältnisse in wüstenähnlichen Regionen (heiß und trocken), als auch die tropischen Klimaten (warm und feucht) stellen eine große Herausforderung an den Menschen dar. Hitzebelastung hat ein breites Spektrum von Effekten. Der Hitzeschlag ist einer ernsthaften Verwundung gleichzusetzen, die eine Person für einen längeren Zeitraum belasten und sogar tödliche Ausgänge haben kann. Im Gegensatz hierzu ist die Hitzeerschöpfung und vergleichbare Syndrome (Kopfschmerz, Ermüdung etc.) meist nur ein temporärer Zustand. Diese werden zumeist nicht dokumentiert, weil die Symptome eher mit anderen Befindlichkeitsstörungen in Verbindung gebracht werden. Die Menschen werden durch eine hohe umweltbedingte Hitzebelastung beeinträchtigt, wenn im Freien auf gepflasterten Flächen gearbeitet (Isolation der Städte) oder am 268


Strand lange Zeit (Tourismus) ungeschützt verblieben wird. Abgeschlossene Räume können ihrerseits zusätzlich eine starke Hitzebelastung bedeuten, wenn sie nicht gut klimatisiert sind, hier sind auch schlecht belüftete Fahrzeuge, Flugzeuge oder Schiffsabteile zu nennen. Besonders bei humanitären Einsätzen (Militär, THW, Polizei, Feuerwehr etc.) ist die Hitzebelastung unter solchen Bedingungen eine Bedrohung, da lagebedingt lange Einsatzzeiten resultieren können. Zusätzlich ist die schwere, undurchlässige Schutzkleidung (bsp. ABC-Schutzkleidung) ein wichtiger Faktor bei der Entstehung einer Hitzebelastung (21). Diese äußeren Einflüsse werden zusätzlich durch die multiplen Variablen des Individuums bei der individuellen Hitzetoleranz ergänzt. Bestimmte physiologische und medizinische Voraussetzungen sind mit einem ansteigenden Risiko an einer Hitzeerkrankung assoziiert. Gerade erst in heiße Gebiete eintreffende Personen sind stark gefährdet eine Hitzeerkrankung zu erleiden. Zusätzliche Faktoren sind Reisemüdigkeit, Jetlag, Defizite in der Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme und Schlafdefizit. Weitere Risiken entstehen durch kürzlich erfolgte Impfungen oder durch virale Infekte kurz vor oder während der Anreise. Personen, die aus kälteren Regionen anreisen, sind zum einen nicht an die Gegebenheiten der heißen Regionen akklimatisiert und sollten darauf achten, dass sie den bereits Akklimatisierten nicht alles nachmachen können. Sie müssen sich zunächst mit der Umgebung und den klimatischen Verhältnissen auseinandersetzen oder vorher sich entsprechend vorbereiten (Sauna). Die Hitzetoleranz ist bei vielen verschiedenen Bedingungen deutlich reduziert. Viele banale Infekte, Erkältungen und andere Erkrankungen, die mit Fieber einhergehen, sowie Durchfälle und Erbrechen oder Fehler bei der Nahrungsaufnahme beeinflussen sie. Große Sonnenbrände oder Hautausschläge, sowie Malaria reduzieren die thermoregulatorische Kapazität durch Verminderung der Hautdurchblutung und der Schweißsekretion. Es ist zu beachten, dass eine Ausheilung einer Erkrankung eine größtmögliche Wiederherstellung auch der thermoregulatorischen Kapazität bewirkt. In zunehmendem Maße sind auch ernährungsbedingte Zusammenhänge von Bedeutung. Die mittlerweile exponentiell zunehmende Adipositas in der Bevölkerung und hier insbesondere bei den Kindern wirken sich leistungsmindernd aus (10, 36). Das metabolische Syndrom hat an sich schon einen negativen Einfluss auf die Temperaturregulation des Menschen. Die Zunahme der chronischen Erkrankungen aus dem Formenkreis des metabolischen Syndroms (s. u.) zwingen zusehends dazu, Medikamente einzunehmen, welche die Mechanismen des Organismus - die auch zur Abwehr der Hitzeeinwirkungen notwendig sind - beeinträchtigen, mitunter werden sie gar durch Einflüsse in die physiologischen und biochemischen Abläufe des Menschen unterbunden. Dies sind vor allem Medikamente zur Behandlung des Diabetes mellitus, der Schilddrüse, von Nieren- und kardiovaskulären Erkrankungen (Bluthochdruck). 269


Insbesondere sind Dosisänderungen oder kurzfristige Medikamentenumstellungen zu berücksichtigen, die sich negativ auf die Hitzeadaptation auswirken können. Darüber hinaus gilt es, die Selbstmedikation, über dessen Einnahme man selten etwas erfährt, einzubeziehen. Acetylsalicylsäure oder andere nicht-steroidale anti-inflammatorische Medikamente sollten mit Vorsicht eingenommen werden, da sie den renalen Blutfluss negativ beeinflussen und damit zur Entstehung einer renalen Dysfunktion bis hin zum Nierenversagen beitragen können. Sedativa, Narkotika und vor allem Alkohol können die natürlichen thermoregulatorischen Mechanismen negativ beeinflussen. Einhergehend mit der Adipositas ist auch eine geringe Muskelmasse und eine geringe Fitness, die für Personen beider Geschlechter Risikofaktoren sind, die eine Gefahr für die Hitzeerkrankung darstellen (3, 22). Weitere Risikogruppen sind Kinder im ersten Lebensjahr, bettlägerige Patienten, Alkoholiker, Drogenabhängige und Obdachlose, da diese Personenkreise zu einem den Anforderungen entsprechenden Verhalten häufig auch nicht oder nicht mehr in der Lage sind. All das ist insofern von besonderer Bedeutung, als die Thermoregulation des Menschen zu 90% durch sein Verhalten gesteuert wird. Körpereigene Abwehrmechanismen sind zwar stark kompensationsfähig, können aber verhaltensbedingte Defizite nicht ausgleichen und werden bei verminderter Aktivierung reduziert. Hohes Alter ist ein Risikofaktor, weil mit dessen Zunahme physiologischerweise die Fähigkeit zur Thermoregulation vermindert ist (16).

PRÄVENTIONSMASSNAHMEN Die Prävention des Hitzestress ist ein wichtiger Faktor in vielen Bereichen des Menschen, sei es bei der Arbeit aber auch in der Freizeit und beim Sport, sowie bei Reiseaktivitäten (35). Durch relativ einfache präventive Maßnahmen können erhebliche positive Effekte bei der Abwendung der Hitzeerkrankung erreicht werden. Erkrankungen resultieren aus einem Zusammentreffen von verschiedenen Bedingungen, die einzeln betrachtet zum Teil nicht gefährlich sind, jedoch in der Summation wozu führen können. Es sind folgende Determinanten zu betrachten: Tätigkeit (Arbeit), Kleidung, Umwelteinflüsse und Flüssigkeitsbilanz (Aufnahme und Abgabe), um nur einige zu nennen, des Menschen. Die jeweilige individuelle Toleranz und der Leistungszustand einer jeden Person sind ebenfalls einzubeziehen. Vorbeugende Maßnahmen setzen sowohl in der Bevölkerung als auch bei Verantwortlichen des Gesundheitssystems ein Problembewusstsein für diese Gefahren voraus und beeinflussen die Aufklärung. Hier sind alle Personen gefordert, die sich um gesundheitliche Aufklärung bemühen inclusive der Ärzteschaft. Die Möglichkeit, den Lebensstil gefährdeter Bevölkerungsteile durch diätetische Maßnahmen zu verändern – ausreichende Flüssigkeitszufuhr und adäquate, dem Klima und Bedarf angepasste Ernährung, stellt einen wesentlichen Aspekt dar (26). Die derzeit empfohlene Ernährung – kohlenhydratreich, fettarm, kaum 270


Proteine – führt zwangsläufig zu einem Übergewicht. Die derzeitig vermittelte Ernährungsphysiologie kann dem nicht gerecht werden und es müssen dringend veränderte Ernährungskonzepte zur Beherrschung des Übergewichts und der Adipositas beachtet werden. Nach Umstellung der Ernährung und der damit einsetzenden Gewichtsnormalisierung kann im Anschluss die Mobilität gefördert werden und entsprechende, die Fitness fördernde, sportliche Aktivität betrieben werden. In Bezug auf die Hitzebelastung sollten Personen in allen Altersgruppen darauf aufmerksam gemacht werden, dass bei sportlicher Betätigung an Hitzetagen akute Schäden wie Hitzeerschöpfung oder gar der Hitzschlag drohen können, besonders in der Mittagszeit. Zusätzliche medikamentöse Maßnahmen zur Prophylaxe von Hitzeerkrankungen sind nicht angebracht, im Gegenteil: man sollte die tägliche Medikation chronisch Kranker überprüfen, ob sie den veränderten Klimabedingungen angepasst werden müssen. So wäre zum Beispiel die Gabe von Diuretika zu überdenken, da durch verstärktes Schwitzen mit der Flüssigkeit ebenso v. a. zu Beginn vermehrt Salz verloren geht; eine zusätzliche Gefahrenquelle. Die Luft kann in sehr trockenen Gebieten so heiß sein, dass der Schweiß so schnell verdunstet, dass die Mensch den Wasserverbrauch nicht einschätzen kann. Während starker physischer Beanspruchung in heiß-trockener oder warm-feuchter Region kann die Schweißrate bis zu 4 l/h betragen. Ist die Wasserabgabe größer als die Wasseraufnahme resultiert zwangsläufig die Dehydratation. Volle geistige Fähigkeit und physische Arbeitsleistung in der Hitze kann nur gewährleistet werden, wenn adäquate Aufnahme von Flüssigkeit und Elektrolyten bereitgestellt wird (1), wobei man sich ständig daran erinnern muss zu trinken. Mineralisiertes Wasser ist das Wichtigste, welches stündlich aufgenommen werden soll, denn schon ein geringes Defizit an Körperwasser führt zu Müdigkeit und Konzentrationsverlust und ist neben den thermischen auch mit anderen Erkrankungen und Verletzungen assoziiert (13, 18). Dehydratation ist vergesellschaftet mit einem stetigen Anstieg der Körperkerntemperatur, reduziertem Plasmavolumen und Tachykardie, die klinisch von der Synkope bis hin zum Hitzschlag reichen können. Der Salzgehalt der Flüssigkeit darf nicht zu gering sein, sonst besteht die Gefahr von Durchfällen, die zu einer weiteren Dehydratation des Organismus führen. Darüber hinaus vermindert ein zu geringer Salzgehalt das Durstgefühl, was durch Studien bei Soldaten in Wüstenregionen belegt werden kann. Diese begannen erst zu trinken, nachdem sie 1 bis 3% des Körpergewichts verloren hatten (auch „voluntary dehydration“ genannt). Dem unter Umständen ansteigenden Defizit kann nur dadurch begegnet werden, dass der Wasserverlust schon während der Arbeit ausgeglichen wird. Eine Prähydratation ist oftmals diskutiert, ein Vorteil jedoch nicht eruiert worden. Generell ist die Aufnahme häufigerer kleiner Mengen Wasser sinnvoll, als eine seltene große Menge Wasser zu trinken. Präventive Strategien können nicht alle Belastungen durch Hitze eliminieren, aber 271


die negativen Einflüsse auf den Menschen reduzieren. Techniken der Primärprävention können überall angewendet werden, hier sei auch auf den positiven Einfluss von Fitnesssteigerung hingewiesen (30). Einbezogen werden müssen die administrativen Planungen und Abläufe, die Gestaltung der Ausstattung und Ausrüstung, der angemessene Gebrauch der Ausrüstung sowie eine kontinuierliche medizinische Kontrolle von Personen, damit gefährdete Personen identifiziert und aus dem Gefahrenbereich frühzeitig herausgeführt werden können. Allgemeine zivile Strategien, die eine Arbeitserleichterung in extremer Hitze durch Anzugserleichterung, Arbeitszeitverkürzung etc. vorsehen (42). Geeignete Maßnahmen, diesen Gegebenheiten gerecht zu werden, sind die Nahrungsaufnahme und Flüssigkeitszufuhr, Pausen, Freizeit und Erholung (Recreation) und Adaptationszeiten. Ein Nachteil stellt die derzeitige Datenlage zu Hitzebelastungen dar. Die meisten Studien zur Hitzebelastung sind an gesunden, jungen Männern zumeist im militärischen Bereich, vornehmlich in Laboren durchgeführt worden. Zumeist fehlen die Daten, die die Frauen betrachten und ältere Personen einbeziehen. Neben diesen Laborstudien fehlen Untersuchungen unter Feldbedingungen, die die Gesamtheit von Einflüssen darstellen und die unter Laborbedingungen gemachten Aussagen überprüfen lässt. Es fehlen Daten, die den Bezug auf Vorerkrankungen und Dauermedikationen berücksichtigen, die die Hitzetoleranz nachhaltig beeinträchtigen könnten. Daher sollten die Bestrebungen in Forschung und Medizin in diese Richtung ausgebaut werden, damit sich die derzeitig anbahnende klimatische Veränderung nicht negativ auf unser Leben auswirkt (25, 28, 29, 41, 42).

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Ar nold Koller, Wolfgang Schobersberger

E x t r e m e k ö r p e r l i c h e B e lastungen: Vo m M u s k e l k a t e r b i s z u m „ H er zmuskelkater“ Extreme Physical Exercise: Skeletal Muscle and Heart Muscle Injuries

SUMMARY Disruption of proteins within the myofiber after unaccustomed eccentric exercise (postexercise release of skeletal troponin and myosin heavy chain fragments has been reported) is hypothesized to induce delayed onset of muscle soreness and to be associated with an activation of satellite cells (stem cells). Similarly, the increase in cardiac troponin after strenuous endurance exercise is suggested to be due to the true breakdown of the cardiomyocyte, not to the cytosolic release of the biomarker, as confirmed by histology and cardiac magnetic resonance imaging. Moreover, the human heart contains stem cells capable of generating cardiomyocytes. At this time, there is not enough evidence to implicate strenuous endurance exercise in the development of a dangerous substrate for coronary events in apparently healthy subjects. The true breakdown of the cardiomyocyte has been proposed either as pathognomic of cardiac necrosis or might reflect part of a remodeling process. Interestingly, completion of a marathon is associated with correlative biochemical and echocardiographic evidence of cardiac dysfunction and injury, and the risk is increased in those participants with less training. Keywords: delayed onset of muscle soreness, cardiac troponin, cardiac stem cell, cardiac magnetic resonace imaging

ZUSAMMENFASSUNG Untersuchungen zeigen, dass vor allem nach exzentrischen Belastungen Zerreissungen der Sarkomere auftreten, die sich als Muskelkater äußern. Proteine der Sarkomere (z. B. Myosinschwerketten, Troponine) können nach diesen Belastungen im Blut nachgewiesen werden. Den Satellitenzellen, den Stammzellen der Skelettmuskeln, wird bei den 277


Adaptations- bzw. Reparaturprozessen nach diesen Belastungen eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Ähnlich und durch histologische und kernspintomographische Untersuchungen belegt, wird der Anstieg kardialer Troponine im Blut nach extremen Ausdauerbelastungen der irreversiblen Schädigung von Kardiomyozyten (nicht der Freisetzung dieser kardialen Marker aus dem zytosolischen Pool) zugeschrieben. Es ist zu früh eine Aussage darüber zu machen, ob die irreversible Schädigung von Herzmuskelzellen als Folge extremer Ausdauerbelastungen für gesunde Sportler gefährlich sein kann. Da der Herzmuskel über Stammzellen verfügt, ist es durchaus möglich, dass irreversibel geschädigte Kardiomyozyten durch diese Stammzellen ersetzt werden. Interessant ist, dass nach einem Marathon ein Anstieg von kardialem Troponin und eine mittels Echokardiographie gemessene Dysfunktion des Herzens bei jenen Teilnehmern besonders ausgeprägt waren, die weniger trainiert haben. Schlüsselwörter: Muskelkater, kardiales Troponin, kardiale Stammzellen, Magnetresonanztomographie

EINLEITUNG Jeder kennt Muskelkater und viele glauben zu wissen, dass er durch Milchsäure verursacht wird. Diese Vorstellung hat sich auch in der Sportmedizin lange gehalten, da über die Pathophysiologie des Muskelkaters bis 1980 nur wenig bekannt war (1). Die Entstehung von Muskelkater wurde von der Forschung längst beschrieben: Feine Risse der Muskulatur, hervorgebracht durch eine Überbelastung, lösen den lähmenden Muskelschmerz aus (1).

DER BEWEGTE MUSKEL IST STÄNDIG GESTRESST Mit der Fähigkeit zur Kontraktion, d. h. sich zusammenzuziehen, bestimmen die Skelettmuskeln über sehnige Verbindungen mit den beweglichen Teilen des Skeletts Bewegungsabläufe dynamisch mit. Die aktive Muskulatur ist dabei auf „Schritt und Tritt“ Kräften ausgesetzt, die das Gewebe zu verletzen drohen: Die Muskelfasern des belasteten Muskels erleiden so mikroskopisch definierte Verletzungen, die u.a. die Kontraktionskraft der Muskelfasern hemmen. Diese Erscheinung tritt besonders bei mechanisch hoch belastenden Bewegungsformen (exzentrischen Belastungen) auf, etwa nach einer Wanderung (vor allem bergab) - und äußert sich als Muskelkater (1).

EFFEKTE EXZENTRISCHER BELASTUNGEN Exzentrische Belastungen (äußere Muskeldehnung bei gleichzeitiger Verkürzung durch aktive Kontraktion; z. B. beim Bergabgehen) induzieren Zerreissungen der Sarkomere 278


(1). Proteine der Sarkomere (z.B. Myosinschwerketten, Troponine) können im Blut nachgewiesen werden (2, 3). Da die Myosinschwerketten über keinen zytosolischen Pool verfügen (sie kommen nur in den Sarkomeren vor), sind erhöhte Myosinschwerkettenwerte ein sicherer Hinweis auf Zerreissungen der Sarkomere (2). Nach 8 Tagen ist der Reparatur- bzw. Anpassungsprozess (neue Sarkomere werden in Längsrichtung aufgebaut) weitgehend abgeschlossen (4). Zweck dieser Anpassung ist es, kommende exzentrische Belastungen durch einen adaptierten, „verlängerten“ Muskel mit weniger Sarkomerverletzungen zu überstehen (5). Der mit den Rupturen der Z-Scheiben im Sarkomer verbundene Muskelkater ist meist schon nach 3 Tagen verschwunden oder reduziert, Regeneration und Superkompensation der Sarkomere nehmen dagegen mehr als 7 Tage in Anspruch. Nicht unerwähnt darf allerdings bleiben, dass in einer neuen Studie einige unserer Vorstellungen über den Muskelkater, die auf Resultaten im Tierexperiment am elektrisch stimulierten Muskel beruhen, in Zweifel gestellt wurden (6). So konnte in dieser Studie nach willkürlichen, maximalen (exzentrischen) Kontraktionen des humanen Muskels im Unterschied zum elektrisch stimulierten Muskel keine signifikante Zerstörung zytoskelletärer Proteine (z. B. Desmin), keine Erhöhung von myogenen Wachstumsfaktoren (z. B. Myogenin) und keine irreversible Schädigung der Muskelfasern festgestellt werden (6). Einem Forscherteam ist es mit einer Kombination von mikroskopischen Methoden und moderner Gentechnologie vor kurzem gelungen, erste Hinweise zur zellulären Steuerung der Genesung des überbelasteten Muskels zu erhalten (7). Die Forscher konnten in experimentellen Studien zeigen, dass das Bindegewebsprotein Tenascin-C bei der Muskelheilung eine entscheidende Rolle spielt. Seine Produktion wird nach Überbelastung des Muskels am Ort des Faserschadens ausgelöst (7). Bei Mangel an Tenascin-C konnte eine Schrumpfung der Muskelfasern nachgewiesen werden, welche die Muskelkontraktion verlangsamt (7). Diese Ergebnisse liefern erste Hinweise, dass wiederholt unverheilte Mikroblessuren der Muskeln eine Rolle bei altersabhängigem Muskelabbau spielen (7). Während dieser Zeit der Genesung können in den belasteten Muskeln Ödeme nachgewiesen werden (2).

BETEILIGUNG DER SATELLITENZELLEN AN REPARATUR- UND ANPASSUNGSPROZESSEN Muskuläre Aktivität oder Sarkomerrisse können zur Teilung der Satellitenzellen, den Stammzellen des Muskels führen, die mit der angrenzenden Muskelfaser fusionieren (bei Muskelfaserhypertrophie) (8) oder eine irreversibel geschädigte Muskelfaser ersetzen (8). Im Vergleich zu Untrainierten haben Sportler mit hohem Umfang an Krafttraining neben einem höheren Fasertyp-IIA-Anteil und einem größeren Faserquerschnitt, mehr Myonuklei und Satellitenzellen. Auch bei älteren Menschen führt körperliches Training zur Aktivierung der Satelittenzellen. So wurde bei 76-Jährigen nach 12 Wo279


chen Krafttraining eine signifikante Proliferation der Satelittenzellen beschrieben (9). Die Satelittenzellaktivierung ist allerdings im älteren Muskel (10) sowie bei Sportlern mit FAMS („fatigued athlete myopathic syndrome“) erniedrigt (11).

EFFEKTE NICHTSTEROIDALER ANTIPHLOGISTIKA AUF ANPASSUNGSPROZESSE Der Gebrauch nichtsteroidaler Antiphlogistika ist trotz zahlreicher Nebenwirkungen im Sport zur Verhinderung des Muskelschmerzes sowie zur „Behandlung“ des Muskelkaters im Einsatz. In einer neuen Studie wurde der Einfluss von Indomethacin auf die Satellitenzellaktivierung untersucht (12). Während die Sportler ohne IndomethacinEinnahme Anstiege der Satellitenzellmarker um 27% nach dem 8. Tag zeigten, blieben die mit Indomethacin behandelten Sportler ohne Satellitenzellanstieg. Die entsprechende Trainingsanpassung blieb aus. Die Einnahme nichtsteroidaler Antiphlogistika durch den Sportler sollte sowohl wegen möglicher gesundheitlicher Nebenwirkungen als auch wegen möglicher negativer Auswirkungen in der Trainingsanpassung nur nach eindeutiger Indikationsstellung, aber keinesfalls zur „Schmerzprävention“ erfolgen.

„HERZMUSKELKATER“ Es ist heute gängige Meinung aber nicht unumstritten (6), dass Skelettmuskeln, die überbelastet sind, mikroskopisch definierte Verletzungen bis hin zu irreversiblen Schäden von Muskelfasern erleiden. Bis zum Jahre 1992 galt es als ausgeschlossen, dass körperliche Belastungen, wie extrem auch immer, einen gesunden Herzmuskel schädigen (irreversible Schädigung von Myokardzellen; „Herzmuskelkater“) können. In diesem Jahr veröffentlichte Rowe eine viel zitierte Hypothesen-Arbeit, in der mögliche Mechanismen, die bei gesunden Sportlern zu einer irreversiblen Schädigung von Herzmuskelzellen nach extremem Ausdauersport führen können, vorgestellt wurden (13). Noch im selben Jahr versuchte unsere Arbeitsgruppe mit Hilfe der Bestimmung kardialer Troponine im Blut erstmals diese möglicherweise vorhandenen Myokardschäden nachzuweisen (14).

KARDIALE TROPONINE Die Entwicklung von Tests zum Nachweis der kardialen Troponine T (cTnT) und I (cTnI) war eine bedeutende Neuerung in der Labordiagnostik kardiovaskulärer Erkrankungen der letzten Jahrzehnte. Die Troponinbestimmung ist mittlerweile der „goldene Standard“ in der Labordiagnostik von akuten Myokardschädigungen geworden. Die Troponine gehören zu den regulatorischen Proteinen des quergestreiften Muskels und 280


bilden den Troponinkomplex der dünnen Filamente des Sarkomers, bestehend aus TnT, TnI und Troponin C (TnC). Der Troponinkomplex vermittelt die Kalziumaktivierung der Kontraktion und moduliert die kontraktile Funktion des quergestreiften Muskels. Ein kleiner Teil der Troponine liegt als freier Pool im Zytosol vor (cTnT: ca. 6 - 8%; cTnI: ca. 3 - 4% (15)). Es gibt jeweils drei TnI- und TnT-Isoformen, eine in den langsamen, eine in den schnellen Skelettmuskelfasern und eine im Myokard. Die unterschiedlichen funktionellen Eigenschaften der Troponinisoformen sind für die unterschiedlichen kontraktilen Eigenschaften der verschiedenen Muskelfasertypen mitverantwortlich. Unterschiede in der Struktur der Isoformen ermöglichten die Entwicklung von hochspezifischen Antikörpern zur Bestimmung der kardialen TnT- und TnI-Isoformen. Wegen ihrer überlegenen Spezifität sind die Troponine die Labormarker der Wahl bei allen Fragestellungen einer Myokardschädigung bei tatsächlicher oder möglicherweise vorhandener gleichzeitiger Skelettmuskelschädigung, z. B. nach extremem Ausdauersport (15). Belastungsinduzierte Konzentrationserhöhungen dieser Marker wurden sowohl bei Hochleistungs- als auch Breitensportlern meist nach längeren Ausdauerbelastungen beschrieben (15). Die Einführung einer neuen Troponintestgeneration mit hoher analytischer Sensitivität und einer hohen Messgenauigkeit an der Entscheidungsgrenze bei gleichbleibender hoher analytischer Spezifität ist sicherlich ein neuerlicher Durchbruch in der Labordiagnostik von Myokardschädigungen nach extremem Ausdauersport (16). Erhöhte Troponinwerte - reversible oder irreversible Schädigung von Myokardzellen Eine weit verbreitete Meinung ist, dass bei gesunden Sportlern ein Anstieg der Troponinwerte nach extremem Ausdauersport keine Schädigung der Sarkomere bzw. keine

Foto: von mc2alpin 281


irreversible Schädigung von Myokardzellen widerspiegelt (15), ein „Herzmuskelkater“ daher nicht möglich ist. Vielmehr führt eine belastungsinduzierte passagere Erhöhung der Membranpermeabilität der Myokardzellen zu einer reversiblen Freisetzung der Troponine aus dem zytosolischen Pool (15, 17). Als Ursachen werden Änderungen der intrazellulären Kalzium-Konzentration mit Aktivierung von intrazellulären Proteasen, Einflüsse freier Radikale und erhöhter Katecholamin-Konzentrationen, belastungsbedingte Veränderungen im Glukose- und Fettstoffwechsel sowie die mechanische Beanspruchung der kardiomyozytären Zellmembran diskutiert (15). Oft wird als Argument für eine reversible Myokardschädigung die unterschiedliche Kinetik des Troponinanstiegs nach extremem Ausdauersport im Vergleich zum Myokardinfarkt verwendet (17). Interessant mag in diesem Zusammenhang sein, dass die Kinetik des Troponinanstiegs nach Zerreißung der Sarkomere von Skelettmuskelfasern (nach exzentrischer Belastung) mit der Kinetik des Troponinanstiegs nach Schädigung der Herzmuskelzellen nach extremem Ausdauersport weitestgehend übereinstimmt (3, 17). In neueren Studien konnte gezeigt werden, dass eine reversible Freisetzung der Troponine aus den Kardiomyozyten nach mechanischem Stress, nicht jedoch nach metabolischem Stress oder reversibler Ischämie wahrscheinlich ist (16, 18, 19). Mechanischer Stress als Ursache der Troponinfreisetzung nach extremem Ausdauersport scheint aber eher unwahrscheinlich zu sein (20). Einem Forscherteam ist es in einer experimentellen Studie mit mikroskopischen Methoden gelungen, erste Hinweise auf eine irreversible myokardiale Zellschädigung nach Ausdauerbelastungen zu erhalten (21). In Übereinstimmung mit dieser experimentellen Studie wurden mit Hilfe der Kernspintomographie bei 12% der untersuchten 102 Teilnehmer eines Marathons Hinweise auf eine irreversible myokardiale Schädigung gefunden (22). Wenngleich auch diese Studie kritisch hinterfragt werden muss (23), nimmt doch die Zahl der Untersuchungen, die auf eine irreversible Schädigung von Herzmuskelzellen nach extremem Ausdauersport hindeuten, zu.

MYOKARDIALE STAMMZELLEN Führt extremer Ausdauersport tatsächlich zu irreversibler myokardialer Zellschädigung und nicht nur zu einer belastungsinduzierten passageren Erhöhung der Membranpermeabilität der Kardiomyozyten, stellt sich die Frage nach möglichen Heilungsmechanismen. Ebenso wie die Skelettmuskeln verfügt auch der Herzmuskel über Stammzellen (24), die irreversibel geschädigte Herzmuskelzellen ersetzen können (25). Es darf daher spekuliert werden (25), dass das Auftreten irreversibler myokardialer Zellschäden nach extremem Ausdauersport, im Allgemeinen ohne „negative Folgen“ bleibt. Allerdings muss auch darauf hingewiesen werden, dass auf solche „negative Folgen“ bei Ausdauersportlern in der Literatur hingewiesen wird (22, 26). 282


SCHLUSSFOLGERUNG Studien weisen darauf hin, dass irreversible myokardiale Zellschäden („Herzmuskelkater“) bei gesunden Sportlern nach extremem Ausdauersport nicht auszuschließen sind. Es gilt als gesichert, dass Stammzellen irreversibel geschädigte Myokardzellen ersetzen können. Ob allerdings unter bestimmten Umständen auch bei gesunden Sportlern extremer Ausdauersport „a dangerous substrate for coronary events“ (22, 23, 26) sein kann, bedarf weiterer Untersuchungen. Da eine Studie zeigt, dass adäquates Training dazu führt, dass es nach Ausdauerbelastungen zu keiner oder nur geringfügigen Troponinfreisetzung kommt (27) - ein möglicher irreversibler Schaden von Kardiomyozyten verhindert werden kann - ist jedem Sportler zu raten, nur nach sorgfältiger Vorbereitung (ausreichendem Training) (extreme) Ausdauerbelastungen in Angriff zu nehmen.

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286


M a r t in Bur tscher, Mar tin Faulhaber, Maria W ille

Z u k u n f t k ü n s t l i c h e r H y p oxie in Sport und Medizin Future of Artificial Hypoxia in Sports and Medicine

SUMMARY Artificial altitude, typically applied as intermittent hypoxia, is increasingly used in sports and industry but also in prevention and therapy. The complexity of mechanisms involved explains the heterogeneity of the available study findings, demonstrating beneficial and adverse effects as well. Undoubtedly, intermittent hypoxia may provoke adverse effects in certain circumstances which have to be recognized and eliminated by competent and responsible caretakers. Much more studies will be necessary to provide reliable risk-benefit estimation. However, there is also no doubt that the controlled application of intermittent hypoxia poses the potential of a valuable preventive and therapeutic tool. Keywords: artificial altitude, intermittent hypoxia, positive effects, adverse effects

ZUSAMMENFASSUNG Künstliche Höhe, meist in Form intermittierender Hypoxie, findet zunehmend im Sport, aber auch in der Industrie sowie in Prävention und Therapie Interesse. Die komplexen Wirkungsmechanismen intermittierender Hypoxie machen die derzeit noch heterogene Datenlage verständlich, und eine verbreitete Anwendung ist zwar als hoffnungsvoll zu betrachten, aber derzeit auch mit aller notwendigen Vorsicht anzugehen. Es bestehen keine Zweifel, dass der Einsatz von intermittierender Hypoxie mit unerwünschten Effekten verbunden sein kann, die von erfahrenen und kompetenten Betreuern von vornherein auszuschließen sind oder zumindest rechtzeitig erkannt werden müssen. Erst die Ergebnisse einer Vielzahl weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen werden eine ehrliche Nutzen-Risiko-Abschätzung gestatten. Unbestritten ist aber auch, dass der 287


kontrollierte Hypoxieeinsatz das Potenzial eines derzeit noch kaum genutzten präventiven und therapeutischen Werkzeugs in sich birgt. Schlüsselwörter: Künstliche Höhe, intermittierende Hypoxie, positive Wirkungen, Nebenwirkungen

EINLEITUNG Unter intermittierender Hypoxie werden wiederholte Sauerstoffmangelexpositionen, unterbrochen von normoxischen Phasen, verstanden. Die Erzeugung des Sauerstoffmangels kann durch natürlichen Höhenaufenthalt, durch Aufenthalt in hypobaren oder hypoxischen normobaren Kammern oder durch Atmung eines Sauerstoffmangelgemisches über eine Maske erfolgen (Abbildung 1). Dauer, Intensität und Wiederholungs-

Abbildung 1: Test und Training in der Hypoxiekammer. zahl der Sauerstoffmangelperioden und Dauer der dazwischen liegenden normoxischen Phasen können beliebig variiert werden (1). Bergsport bedeutet in den meisten Fällen intermittierende Hypoxie, beim alpinen Skilauf beispielsweise mit kürzerer und beim Bergwandern längerer Periodendauer. Seit einigen Jahren bieten Hypoxie-Generatoren die Möglichkeit, zu Hause beliebige Sauerstoffmangelprotokolle anzuwenden. Eine Vielzahl von Untersuchungen hat sich mit positiven und negativen Effekten in288


termittierender Hypoxie auseinandergesetzt (2, 3). Allerdings wird unter intermittierender Hypoxie immer mehr die mit obstruktiver Schlafapnoe (OSA) einhergehende Hypoxieexposition verstanden (4). Diese ist durch meist mehrere Stunden andauernde, kurze und intensive Hypoxiephasen mit begleitender Hyperkapnie charakterisiert und mit negativen Auswirkungen, beispielsweise Hypertonie, verbunden. Sie muss klar von kontrolliert gesteuerter intermittierender Hypoxie abgegrenzt werden, welche durchaus zu positiven Adaptationen, wie erhöhter Stressresistenz und Belastungstoleranz, verbesserter Kapillarisierung und Sauerstoffnutzung bestimmter Gewebe sowie antihypertensiven Effekten führen kann (2). Die entsprechenden Protokolle sind durch moderate Hypoxie (16 % - 10 % inspiratorische Sauerstoffkonzentration; FiO2) meist für 1-5 min mit normoxischen Intervallen von ähnlicher Dauer, über 30 min bis zu mehreren Stunden gekennzeichnet. Aber auch wesentlich längere Protokolle kommen zum Einsatz (1). Die Vielzahl an möglichen Protokollen verbunden mit individuell unterschiedlichen Reaktionen machen die teilweise uneinheitlichen Studienergebnisse und die Schwierigkeiten deren Interpretation verständlich. Es ist anzunehmen, dass abhängig von der Zielsetzung und den Ausgangsbedingungen unterschiedliche Protokolle unterschiedlich geeignet sind. Nachfolgend werden beispielhaft einige Bereiche aufgezeigt, wo intermittierende Hypoxie schon heute und sicher in näherer Zukunft Einsatz findet beziehungsweise finden wird: 1. Hypoxie-Provokationstest 2. Intermittierende Hypoxie zur Vorakklimatisation 3. Intermittierende Hypoxie zur Höhenwettkampfvorbereitung 4. Intermittierende Hypoxie zur Talwettkampfvorbereitung 5. Intermittierende Hypoxie in Therapie und Prävention

1. HYPOXIE-PROVOKATIONSTEST Millionen Menschen werden bei Flugreisen, Bergaufenthalten, Seilbahnauffahrten, auf Höhenstraßen aber auch am Arbeitsplatz wie zum Beispiel auf Berghütten, Wetterstationen oder anderen Betrieben (besonders aus Brandschutzgründen) täglich Hypoxie exponiert. Eine medizinische Überprüfung der individuellen Hypoxieverträglichkeit unter spezifischen Bedingungen und bestimmten Vorerkrankungen könnte helfen, unvorhergesehene Reaktionen abzuschätzen und entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Künstliche Hypoxie wird bei Hypoxie-Provokationstests schon heute vor allem für Personen mit Atemwegserkrankungen eingesetzt, um den möglichen O2-Bedarf auf Flugreisen abzuschätzen (5,6). Typischerweise werden FiO2 von 15 % (~ 2700 m) verwendet und der individuelle paO2, oder einfacher die arterielle Sauerstoffsättigung (SaO2), über Fingerpulsoximetrie bestimmt (5). So können der zu erwartende 289


Sättigungsabfall, damit verbundene Beschwerden und notwendiger O2-Bedarf während einer nachfolgenden Flugreise bestimmt werden. Unsere Arbeitsgruppe hat einen ähnlichen Test verwendet, um die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Bergkrankheit

100

Arterial oxygen saturation (%)

90

80

70 AMS+ 60 0

1

2

3

4

5

6

AMS-

Altitude (km) Abbildung 2: Arterielle Sauerstoffsättigung in Abhängigkeit natürlicher oder künstlicher Höhe (nach 20 – 30 min Aufenthalt) für Personen mit Neigung (AMS +) und ohne Neigung (AMS -) zu akuter Bergkrankheit (nach Burtscher et al., 2004). abschätzen zu können (7) (Abbildung 2). Es zeigte sich, dass mit diesem Test zumindest Personen mit besonderer Neigung zu Höhenunverträglichkeit (z. B. Höhenlungenödem) herausgefiltert werden können. Für die Durchführung des Tests ist eine Aufenthaltsdauer in der gewünschten Höhe von mindestens 20 bis 30 Minuten notwendig (7, 8). Die Hypoxieexposition kann in einem Hypoxieraum oder über Maskenatmung erfolgen. Zu untersuchende Hauptzielparameter sind neben dem individuellen Wohlbefinden die SaO2, Herzfrequenz, Blutdruck, die Blutlaktatkonzentration und gegebenenfalls Lungenfunktionsparameter. Bei Bedarf kann die Provokation auch unter Belastung, z. B. am Fahrradergometer durchgeführt werden. Derartige Tests sind auch zur Verträglichkeitsprüfung von Sauerstoffmangel am Arbeitsplatz, bei Seilbahnauffahrt oder bei un290


erwarteter Belastung in der Höhe vorstellbar. Allerdings ist notwendig, dass die Vorhersagebedeutung dieser Tests in noch weiteren Studien bestätigt wird und standardisierte Vorgehensweisen ausgearbeitet werden.

2. EINSATZMÖGLICHKEITEN VON KÜNSTLICHER HYPOXIE ZUR VORAKKLIMATISATION Ausreichende Akklimatisation bei schnellen Aufstiegen in große Höhen ist von entscheidender Bedeutung, um nicht höhenkrank zu werden, aber auch um die Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten (9). Vor Ort ist eine Akklimatisation mit erheblichem Zeitaufwand und Kosten, sowie negativen Auswirkungen der chronischen Hypoxieexposition, beispielsweise auf Muskelleistung und Energiedepots, verbunden (10). Eine beliebte Möglichkeit, die negativen Konsequenzen eines prolongierten Aufenthaltes in großer Höhe zu umgehen und erste Akklimatisationseffekte zu induzieren, ist der Einsatz von künstlicher Hypoxie. Schon früh begannen Nagasaka und Satake die Akklimatisationstaktik der Bergsteiger, wiederholte Auf- und Abstiege zwischen den Camps, in einer Höhenkammer zu simulieren (11). Diese intermittierende Hypoxie scheint durchaus zur Vorbereitung auf einen nachfolgenden Höhenaufenthalt geeignet zu sein (1). So konnten Richalet et al. durch eine Kombination von natürlichen Höhenaufenthalten und Kammeraufenthalten die Akklimatisationszeit am Mt. Everest um 1–3 Wochen verkürzen (12). Zahlreiche weitere Studien zeigen sowohl ventilatorische Akklimatisationseffekte, wie beispielsweise eine Steigerung der Atemantwort auf Hypoxie (HVR), eine Zunahme der SaO2 während Belastung als auch positive Effekte in Bezug auf eine verbesserte Leistungsfähigkeit in der Höhe (9, 13-17). Auch hier zeigt die Fülle von unterschiedlichen Hypoxieprotokollen in der Literatur kein standardisiertes Vorgehen bei der Vorakklimatisation. Eine Dauer von 1 bis 3 Stunden Hypoxie pro Tag, für mindestens eine Woche, auf einer Höhe von > 4000 m, scheint für eine erfolgreiche Vorakklimatisation nötig zu sein (9, 18). Verbunden mit diesen Vorakklimatisationseffekten kann auch das Auftreten von Höhenkrankheiten minimiert werden. In Bezug auf die akute Bergkrankheit sind unter anderem die Aufstiegsrate und der Grad der Akklimatisation entscheidende Risikofaktoren (19). Personen, die schneller in große Höhen aufsteigen und weniger Tage auf dem Weg dorthin akklimatisieren, zeigen eine signifikant höhere Inzidenz der akuten Bergkrankheit (19). Lange Hypoxieprotokolle haben gezeigt, dass sie effektiv diese Inzidenz reduzieren können, doch sind sie in der Praxis schwer umsetzbar. Eine Vorakklimatisation von drei Wochen, 4 h Hypoxie pro Tag, 5 Mal pro Woche auf 4300 m Höhe, konnte die Inzidenz und den Schweregrad der akuten Bergkrankheit auf null senken (18). Hinsichtlich des enormen Zeitaufwandes für dieses Protokoll könnte eine Woche Vorakklimatisation in natürlicher Höhe, mit wiederholten Auf- und Abstiegen am Berg oder ein langsam ansteigendes Aufstiegsprofil, gleiche 291


oder sogar günstigere Effekte hervorrufen. Es gibt aber Hinweise die vermuten lassen, dass bereits kürzere Hypoxieprotokolle zu notwendigen Adaptationen führen und so das Risiko akut bergkrank zu werden, minimieren. Katayama et al. (17) fanden, dass bereits 1 h Hypoxie pro Tag für eine Woche die HVR steigert, so wie auch Garcia et al. (14), die nach 5 Tagen (2 h pro Tag) einen Höchstwert der HVR feststellten. Beobachtungen von Burtscher et al. (9) lassen vermuten, dass bereits 1-2 h Hypoxie für 5 Tage ausreichen könnten, um das Auftreten der akuten Bergkrankheit zu reduzieren. Bislang fehlen allerdings gut kontrollierte Studien, um gesicherte Aussagen treffen zu können. Es bedarf nicht nur der Abklärung, ob kurze Hypoxieprotokolle ein Auftreten der Bergkrankheit verhindern bzw. reduzieren können, sondern auch wie lange der durch diese Art der Vorakklimatisation gewonnene „Schutz“ bestehen bleibt.

3. INTERMITTIERENDE HYPOXIE FÜR DIE VORBEREITUNG AUF HÖHENWETTKÄMPFE Ausdauerwettkämpfe in mittleren und großen Höhen werden immer beliebter. Zahlreiche Mountainbikerennen, Lauf- oder Skitourenwettbewerbe finden zumindest teilweise in Höhen um oder über 2000 m statt. Mit zunehmender Höhe kommt es zu einer Reduktion der aeroben Leistungsfähigkeit, welche bei ausdauertrainierten Sportlern markanter ausfällt und bereits in geringeren Höhen beginnt als bei Untrainierten (20). Durch Akklimatisationsvorgänge bei längeren Höhenexpositionen wird die aerobe Leistungsfähigkeit in der Höhe wieder verbessert und der akute Leistungsverlust zumindest teilweise wieder ausgeglichen. Entsprechende Akklimatisationsaufenthalte optimieren die individuelle Leistungsfähigkeit in der Höhe und sind somit für eine optimale Vorbereitung auf Wettkämpfe in der Höhe unerlässlich. Es wurde gezeigt, dass bereits relativ kurze Akklimatisationsaufenthalte (z. B. 2 Nächte) positive Effekte haben (21). Für eine optimale Vorbereitung werden allerdings 1- bis 2-wöchige Aufenthalte im Bereich der Wettkampfhöhe empfohlen (22). Solche länger andauernden Höhenaufenthalte sind oftmals aus organisatorischen Gründen nicht möglich, beeinflussen die Trainingsmöglichkeiten und das Wettkampftapering negativ und erzielen somit oft nicht den gewünschten Effekt. Künstliche Hypoxie, eingesetzt im gewohnten Umfeld und ohne Beeinträchtigung der Trainingsmöglichkeiten, stellt eine interessante Alternative zu Aufenthalten in natürlicher Höhe dar. Da für die Leistungsverbesserung in mittleren und großen Höhen vor allem ventilatorische Anpassungen verantwortlich gemacht werden, sind besonders die Effekte, welche die Atmungsregulation betreffen, von Interesse. Bereits relativ kurze Hypoxieexpositionen führen zu einer Steigerung der HVR (14, 17), zu einer höheren arteriellen Sauerstoffsättigung bei submaximaler Belastung und zu einer verbesserten Ausdauerleistung bei nachfolgend akuter Höhenexposition auf über 4000 m (16, 18, 23). Die Kombination mit Training während diesen 292


kurzen Hypoxieexpositionen brachte keine zusätzlichen positiven Effekte. Für mittlere Höhen wurden diese Effekte nicht nachgewiesen. Katayama und Mitarbeiter zeigten, dass trotz einer erhöhten HVR durch intermittierende Hypoxie keine Steigerung der Ventilation bei submaximaler Belastung auf 2500 m auftrat (24). Auch Faulhaber et al. fanden keine Ausdauerleistungssteigerung auf knapp 2000 m durch ein vergleichbares Protokoll (25). Länger andauernde intermittierende Hypoxie, wie beispielsweise auch „Live high – train low“, dürften weitergehende Anpassungen in der Atmungsregulation bewirken (26) und auch bei Sportlern die Ventilation in Tallage und in mittlerer Höhe beeinflussen (27). Eine Studie von Schuler et al. ergab, dass bei hochtrainierten Radsportlern sich die Ausdauerleistungsfähigkeit auf 2340 m über 2 Wochen Höhenaufenthalt auf dieser Höhe (kombiniert mit Training unterhalb 1000 m) verbesserte, jedoch nicht die Werte von Tallage erreicht wurden (22). Für die Praxis kann derzeit vorsichtig gefolgert werden, dass intermittierende Hypoxie mit kurzen Einzelexpositionen von 1 bis 3 Stunden auf einer Höhe von 4000 bis 4500 m positive Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit in Höhen über 4000 m haben kann. In Höhen von 2000 bis 2500 m, wo Ausdauerwettkämpfe überwiegend stattfinden, sind durch diese Protokolle keine leistungssteigernden Effekte zu erwarten. Ob und welche Hypoxieprotokolle sich für die Vorbereitung auf diese Wettkämpfe eignen, bleibt einer Klärung durch zukünftige Studien vorbehalten.

4. INTERMITTIERENDE HYPOXIE ZUR VORBEREITUNG FÜR WETTKÄMPFE IN TALLAGE Das klassische Höhentrainingskonzept „Live high – Train high“ wurde zur Vorbereitung auf Wettkämpfe in Tallage heute weitgehend verlassen und durch das Konzept „Live high – Train low“ ersetzt. „Live high“ bedeutet vielfach den Einsatz künstlicher Hypoxie. Vor knapp 20 Jahren wurde erkannt, dass zumindest 2 wesentliche Höhentrainingseffekte zu unterscheiden sind, nämlich Effekte, die durch den Akklimatisationsprozess hervorgerufen werden und jene, die durch das Training in Hypoxie bewirkt werden (28). Es wurde klar, dass der Höhenaufenthalt allein zu einer Zunahme der Hämoglobinmenge und damit zu einer Verbesserung der Sauerstofftransportkapazität und der aeroben Leistungsfähigkeit, z. B. bei Mittel- und Langstreckenbewerben (~ 5 Minuten bis Stunden), führt. Andererseits wurde auch beobachtet, dass die aerobe Leistungsfähigkeit in der Höhe vermindert war und dadurch keine zu Tallagen vergleichbar hohen Belastungsintensitäten erzielt werden konnten. Dies führte zwar zu hoher metabolischer aber nur submaximaler mechanischer Belastung der Arbeitsmuskulatur. Diese hohe mechanische Belastung scheint aber für den Erhalt bzw. die Steigerung der Leistungsfähigkeit eine notwendige Voraussetzung zu sein. Beide Zielsetzungen, Zunahme der Hämoglobinmenge und hohe Trainingsintensitäten, waren beim klassischen Höhen293


training praktisch nicht zu vereinbaren, wohl aber in der neu propagierten Höhentrainingsform „Live high – Train low“ (28). Es folgte eine Vielzahl von kontrollierten und unkontrollierten Experimenten in unterschiedlichen Höhenlagen, bei unterschiedlicher Aufenthaltsdauer und unterschiedlichem Trainingszustand der Athleten (29). Einige Studien fanden eine Zunahme der Hämoglobinmasse und/oder der Leistungsfähigkeit in Tallage, andere konnten keine Vorteile dieses Höhentrainings gegenüber eines vergleichbaren Trainings in Tallage finden. Erst die genauere Betrachtung der gewählten Höhenlagen, der Aufenthaltsdauer, des Trainingszustandes und individuell unterschiedlichen Reaktionen ließ erkennen, welche Voraussetzungen tatsächlich in welchem Umfang die Vorteile von „Live high – Train low“ ausmachen: Ein Hypoxiegrad, der einer Mindesthöhe von 2000 m entspricht, ist notwendig um die Erythropoiese effektiv in Gang zu setzen. Der Aufenthalt in dieser Höhe muss täglich mindestens 14 Stunden betragen und mindestens 3 Wochen lang durchgeführt werden (30). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann in den meisten Fällen (Responder) eine Zunahme der Ge-

Delta-VO2max (ml/min)

600 400 200 0 -200

0

50

100

150

200

Delta-Hämoglobinmasse (g) Abbildung 3: Zusammenhang zwischen der Änderung der Gesamthämoglobinmasse und der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) (nach Schmidt und Prommer 2008). samthämoglobinmasse von 5 – 10 % beobachtet werden (Abbildung 3). Diese Zunahme ist in der Regel von einer Zunahme der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) 294


begleitet. Die Zunahme von 1 g Hämoglobin/kg führt zu einer Steigerung der VO2max von ~ 3 ml/min/kg (30). Für diese Höhentrainingsform eignet sich sowohl die Nutzung natürlicher Höhe als auch jene künstlicher Höhe in Hypoxieräumen im Tal. Für viele Athleten ist das „Live high – Train low“ Konzept in natürlicher Höhe organisatorisch nicht umsetzbar. Daher wird künstliche Hypoxie für diese Höhentrainingsform schon heute verbreitet eingesetzt. Allerdings ist auch hier die kompetente Betreuung zu fordern. Um individuelle Reaktionen abschätzen zu können, ist die Bestimmung von Veränderungen der Gesamthämoglobinmasse notwendig.

5. INTERMITTIERENDE HYPOXIE FÜR PRÄVENTION UND THERAPIE Akute Höhen- oder Hypoxieexposition führt über die Aktivierung der Chemorezeptoren zu einer Zunahme der sympathoadrenergen Aktivität und damit zum Anstieg von Herzfrequenz, Herzminutenvolumen, peripherem Widerstand und arteriellem Blutdruck (3). Wiederholte Hypoxieexpositionen können in Abhängigkeit von Hypoxiegrad, Wiederholungszahl und Begleitumständen wie Hyperkapnie oder Hypokapnie zu ganz unterschiedlichen Effekten führen. Bei kurzen, intensiven und häufig wiederholten Hypoxiephasen, wie sie bei obstruktiver Schlafapnoe typisch sind, werden sympathoadrenergen Reaktionen verstärkt und arterielle Hypertonie und weitere Herzkreislauferkrankungen sind die Folgen (3, 4). Bei kontrolliert gesteuerten Programmen hingegen, wie sie durch den Einsatz künstlicher Hypoxie ermöglicht werden, können positive Adaptationen, wie erhöhte Stressresistenz und Belastungstoleranz, verbesserte Kapillarisierung und Sauerstoffnutzung bestimmter Gewebe sowie antihypertensive Effekte beobachtet werden (2). Die entsprechenden Hypoxieprotokolle sind meist durch moderate Hypoxie (16% - 10% FiO2) für 1-5 min mit normoxischen Intervallen von ähnlicher Dauer über 30 min bis zu mehreren Stunden gekennzeichnet (1). Russische Ärzte setzen diese Form der intermittierenden Hypoxie seit vielen Jahren zu therapeutischen Zwecken ein (31-34). Erfolge wurden u.a. bei der Behandlung von chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) und Asthma, bei Bluthochdruck, Herz-Rhythmusstörungen, Diabetes mellitus, Morbus Parkinson, atopischer Dermatitis und psychischen Erkrankungen berichtet (1, 2, 31-34). Wir untersuchten in 2 klinischen Studien Effekte intermittierender Hypoxie auf die Belastungstoleranz bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder COPD (35, 36). Nach einer 3-wöchigen Anwendung intermittierender Hypoxie (Protokoll: 3-5 Perioden 3-5/3 min Hypoxie/Normoxie 5 Mal pro Woche; FiO2: 16-10 %) konnte eine gesteigerte Belastungstoleranz am Fahrradergometer bei älteren untrainierten Personen mit und ohne vorangegangenem Herzinfarkt und bei Patienten mit milder COPD festgestellt werden. Veränderungen der Gesamthämoglobinmasse, erhöhte Lungen-Diffusionskapazität und reduziertes Belastungsempfinden waren mit verminderten kardiorespiratorischen und metabolischen Reaktionen auf vergleichbare submaximale 295


Change from basel ine (% )

10

P = 0.03 0.02 0.03 0.35 0.06 0.6 <0.01 <0.01 <0.01 <0.01

5 0 -5 -1 0 -1 5

Hypoxia Con trol

-2 0

Pe rce ive d e xertion

Blo od la ctate

Arterial oxyg en co nte nt

Arterial oxyg en saturation

Respira tory exchan ge ratio

Minute ventilatio n

Oxygen co nsu mp tion

Rate -pressu re produ ct

Systolic b lood pressure

Hea rt rate

-2 5

Abbildung 4: Änderungen submaximaler Belastungsreaktionen nach 3-wöchiger intermittierender Hypoxie (nach Burtscher et al., 2004). Belastung verbunden (Abbildung 4). Die Vielzahl an möglichen Protokollen verbunden mit individuell unterschiedlichen Reaktionen machen die heterogenen Studienergebnisse und die Schwierigkeiten deren Interpretation verständlich. Es ist anzunehmen, dass abhängig von der Zielsetzung und den Ausgangsbedingungen auch unterschiedliche Protokolle unterschiedlich geeignet sind. Die Darstellung der positiven Effekte intermittierender Hypoxie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass neben den bereits erwähnten negativen Effekten intermittierender Hypoxie, wie sie bei OSA auftritt, unter bestimmten Bedingungen und inkompetenter Applikation durchaus auch weitere, zum heutigen Zeitpunkt noch unbekannte unerwünschte Folgen auftreten können (37).

CONCLUSIO Die dargestellten Einsatzmöglichkeiten intermittierender Hypoxie stellen eine willkürliche Auswahl dar, zeigen aber auf, dass intermittierende Hypoxie zunehmend im Sport aber auch in der Industrie sowie in Prävention und Therapie Interesse findet. Die komplexen Wirkungsmechanismen intermittierender Hypoxie machen die heterogene 296


Datenlage verständlich und eine verbreitete Anwendung in den genannten Einsatzbereichen ist zwar hoffnungsvoll zu betrachten, aber derzeit auch mit aller notwendigen Vorsicht anzugehen. Es bestehen keine Zweifel, dass der Einsatz von intermittierender Hypoxie mit unerwünschten Effekten verbunden sein kann, die von erfahrenen und kompetenten Betreuern von vornherein auszuschließen sind oder zumindest rechtzeitig erkannt werden müssen. Erst die Ergebnisse einer Vielzahl weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen werden eine ehrliche Nutzen-Risiko-Abschätzung gestatten. Unbestritten ist aber auch, dass der kontrollierte Hypoxieeinsatz das Potenzial eines derzeit noch kaum genutzten präventiven und therapeutischen Werkzeugs in sich birgt.

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Dalia Tanczos

F ü h r e n a m B e r g a u s G efälligkeit Z i v i l r e c h t l i c h e H a f t u n g sfragen im n i c h t k o m m e r z i e l l e n Bergsport

The Unpaid Mountain Guide - Civil liability in Non-commercial Mountaineering

SUMMARY Mountain sports activities are now more popular than ever, as accident statistics also show. As is the case in life in general, here as well there is a tendency when something has gone wrong to immediately start looking for someone to blame. Camaraderie among mountaineers, their code of honour, and their commitment may be legendary, but this development is also coming to bear on mountaineering. More and more often, groups of hikers or climbers, even if not professionally guided, end up in court. The plaintiffs, the defendants, and their lawyers have to deal with several questions: When is an alpinist regarded as a volunteer guide? Is a de facto guide in any case liable for any injury sustained by his/her group or rope partners? Which standards are applied by the courts adjudicating malpractice? How can liability be avoided? This article provides a brief survey. Keywords: Volunteer mountain guiding, non-commercial mountaineering, responsibilities

ZUSAMMENFASSUNG Noch nie zuvor war sportliche Aktivität in den Bergen so populär wie heute. Das spiegelt sich auch in den Unfallstatistiken wider. Gleichzeitig zeichnet sich in allen Lebensbereichen die Tendenz ab, im Schadensfall sofort nach möglichen Verantwortlichen zu 301


suchen. Diese Entwicklung hat trotz vielzitierter Bergkameradschaft, Bergsteigerehre oder gar Schicksalsgemeinschaft auch vor dem Bergsport nicht Halt gemacht. Immer öfter enden gemeinsame alpinistische Unternehmungen, selbst wenn sie nicht professionell geführt werden, vor Gericht. Dabei stellen sich für die Betroffenen wie für die Juristen einige Fragen: Was macht einen Alpinisten zum „Führer aus Gefälligkeit“? Haftet ein faktischer Führer jedenfalls für den Schaden, den ein Teilnehmer seiner Gruppe oder sein Seilpartner erleidet? Welche Standards wendet das Gericht bei der Beurteilung eines Fehlverhaltens an? Wie kann man sich von der Haftung befreien? Dieser Beitrag gibt eine kurze Übersicht. Schlüsselwörter: Führen aus Gefälligkeit, nicht-professioneller Alpinsport, Verantwortlichkeiten

EINLEITUNG In Zeiten, als das Bergsteigen noch adeligen und später (groß)bürgerlichen Kreisen vorbehalten war und es gleichzeitig als unschicklich angesehen wurde, sich körperliche Schmerzen in Geld ersetzen zu lassen, wäre niemand auf die Idee gekommen, seinen Bergkameraden, Seilpartner oder Tourenbegleiter zu verklagen. Unfälle wurden als Schicksalsschlag und Unglück gottergeben ertragen. Eine gemeinsame Tour endete zwar oft unglimpflich, aber praktisch nie vor Gericht. Das hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte grundlegend geändert. Die gewandelte Einstellung zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen – die im übrigen auch Ärzte bei Haftungsprozesses immer mehr zu spüren bekommen – hat dazu geführt, dass Verletzte entgegen dem ehemals bestehenden Tabu im Sinne einer „Vollkaskomentalität“ (1) begannen, ihre Ansprüche mit Klagen vor Gericht durchzusetzen. Die grundsätzliche Möglichkeit der Haftung des Bergführers wurde aufgrund der zwischen ihm und seinem Gast bestehenden Vertragsbeziehung ohne juristische Bedenken bejaht. Der Inhalt dieses Vertrages ist dabei nicht etwa der Gipfelsieg oder die durchstiegene Tour, sondern die Wahrung der körperlichen Integrität des Gastes im Rahmen einer sicheren Führung, die auch im Abbruch der Tour liegen kann. Im nicht professionellen Bereich, also bei der gemeinsamen alpinistischen Unternehmung im Freundes-, Bekannten- oder Kollegenkreis, die sich dadurch auszeichnet, dass kein Entgelt für die Führung bezahlt wird, war die Frage der Haftung zunächst kaum Thema juristischer Auseinandersetzungen (2) und später nicht unumstritten. Die Begriffe „Führer aus Gefälligkeit“ und „faktischer Führer“ begannen sich in den Köpfen festzusetzen, wobei viele Missverständnisse die Diskussion beherrschten. Die beiden – juristisch unscharfen – Begriffe können für die Zwecke dieser Übersicht gleichwertig verwendet werden. Maßgeblich ist der Begriff des Führers aus Gefälligkeit (3). 302


PRINZIP DER EIGENVERANTWORTUNG ODER HAFTUNG DES FÜHRERS AUS GEFÄLLIGKEIT? In Lehre und Rechtsprechung ist aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage allgemein anerkannt, dass von der Eigenverantwortung jedes Einzelnen auszugehen ist. Ein Schaden trifft gem. § 1311 Satz 1 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) an sich denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet. Soll den Schaden ein anderer „tragen“, also ihn „ersetzen“, so muss dieser den Schaden rechtswidrig und schuldhaft, d. h. persönlich vorwerfbar verursacht haben (4). Bereits 1978 war der Oberste Gerichtshof (OGH) mit der Frage befasst, ob innerhalb einer nicht professionell geführten Bergsteigergruppe der in Anspruch genommene Tourengefährte hafte, weil er faktisch die Führungsrolle übernommen hat. Der OGH lehnte diese Auffassung jedoch ab und führte aus, dass bei einem Zusammenschluss mehrerer Personen zu einer Bergtour nie der Geübtere oder Erfahrenere allein deshalb verantwortlich gemacht werden könne, weil er die Führung übernommen, das Unternehmen geplant oder die Route ausfindig gemacht habe. Gleiches gelte für eine Person, die innerhalb der Gruppe hinsichtlich des Betretens von gefährlichem Gelände eine deutlich erkennbare Initiative entwickelt hat (5). Dabei ist es auch bis heute geblieben. Die Entscheidung des OGH vom 30.10.1998 1 Ob 293/98 i („Piz Buin-Urteil“) wurde in Alpinistenkreisen als diesem Prinzip zuwiderlaufend interpretiert, weil der OGH bei einer privaten und unentgeltlichen Bergtour als Anknüpfungspunkte für die Annahme einer Führungsrolle und letztlich auch für die Haftung des Beklagten dessen größeres bergsteigerisches Können, größere alpine Erfahrung und ausgeprägtere Gebietskenntnisse anführte (6). Die Kritiker dieser Entscheidung meinten, einem Bergführer (oder besser Ausgebildeten) sei nun davon abzuraten, privat Bergtouren in Begleitung zu unternehmen. Auch vom Untergang kameradschaftlicher Berggemeinschaften war die Rede (7). Anhand des vom Gericht festgestellten Sachverhaltes lassen sich diese Befürchtungen jedoch zerstreuen, zumal im konkreten Fall die Überlegenheit an alpinistischem Können und Erfahrung ins Auge fiel, sämtliche Entscheidungen (z. B. Routenwahl, Ausrüstung, Art und Weise der Gefahrenbewältigung) vom Beklagten getroffen wurden und er nicht zuletzt das Vertrauen im absolut unerfahrenen Tourenpartner geweckt hatte, für die Ausrüstung zu sorgen und die Tour bewältigen zu können, somit Vertrauen in seine Führerrolle und die damit verbundene Schutz- und Hilfsfunktion geweckt hatte, dem er letztlich nicht gewachsen war.

WANN IST MAN FÜHRER AUS GEFÄLLIGKEIT? Abgesehen davon, dass vollkommen unabhängig von der Führungsrolle eines Gruppenmitglieds in einer Bergsteigergruppe immer Schutz- und Sorgfaltspflichten füreinander 303


bestehen, die zu gegenseitiger Hilfeleistung und Unterstützung bei der Bewältigung alpiner Gefahren verpflichten (8), können folgende Komponenten zur Beurteilung herangezogen werden (9): - Intensität der Überlegenheit eines Tourenpartners an alpiner Erfahrung und Bedeutung dieser Überlegenheit für die konkrete Tour - Intensität der Überlegenheit eines Tourenpartners an alpinistischem Können (z. B. Seiltechnik) und Bedeutung dieser Überlegenheit für die konkrete Tour - Alpinistische Ausbildung - Intensität der Überlegenheit eines Tourenpartners an Kraft und Kondition und Bedeutung dieser Überlegenheit für die konkrete Tour - Bessere Gebiets- und Routenkenntnisse eines Tourenpartners und Bedeutung dieser Überlegenheit für die konkrete Tour (z. B. mehrmalige Vorersteigungen wie im Piz Buin-Urteil) - Ständiger Vorstieg - Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Mitnahme und des Einsatzes von Ausrüstungsgegenständen - Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Routenwahl, Fortsetzung oder Abbruch der Tour, Pausen, Abfahrtsvarianten - Initiative zur und Auswahl der Tour - Zeitplanung Je mehr dieser Kriterien zutreffen, umso eher ist man Führer aus Gefälligkeit. Für übertriebene Angst vor Haftung besteht aber kein Anlass: Das bloße Spuren bei einer Schitour oder eine bessere Ausbildung und größere alpine Erfahrung reichen für sich alleine nicht aus, um als Führer zu gelten (10). Nicht einmal ein ausgebildeter Bergführer, der mit seiner über keine Ausbildung, jedoch große Klettererfahrung verfügenden Seilpartnerin unentgeltlich eine Tour unternahm, haftete unter diesem Gesichtspunkt. Im Rahmen der die Verunfallte treffenden Eigenverantwortung war es ihr selbst vorzuwerfen, den entscheidenden Fehler gemacht zu haben, den sie auch selbst erkennen hätte können. Die (formal) bessere Ausbildung des Bergführers und Beklagten führte somit zu keinem Ansatz für eine Haftung (11). Die Eigenschaft als Führer aus Gefälligkeit führt nicht automatisch zur Haftung. Zusätzlich muss ein Verhalten gesetzt worden sein, das zum Schadenseintritt geführt hat, das den allgemein anerkannten Standards widerspricht und auch noch subjektiv vorwerfbar ist. Der Haftungsmaßstab ist dabei kein allzu strenger. Die Rechtsprechung und Lehre hat in diesem Zusammenhang immer wieder festgehalten, dass Bergsport grundsätzlich gefahrengeneigt ist, sodass die Sorgfaltspflichten, insbesondere die an den Gefälligkeitsführer gerichteten, nicht überspannt werden dürfen. Übertriebene Sorgfaltspflichten werden als dem Bergsteigen wesensfremd und den Erfahrungen des täglichen Lebens widersprechend bewertet. Der 304


Führer aus Gefälligkeit hat für jenes Können und Wissen einzustehen, über das ein durchschnittlicher Bergsteiger desselben Leistungs-, Ausbildungs- und Erfahrungsniveaus normalerweise verfügt. Allgemein gilt, dass ein Verunfallter sich umso eher auf die Verantwortlichkeit eines anderen stützen kann, je geringer sein alpinistisches Können und seine Erfahrung sind. Das bedeutet aber auch, dass im Rahmen einer Seilschaft oder alpinistischen Unternehmung mit Teilnehmern ungefähr gleichen Erfahrungs- und Könnensstands kaum je die Eigenverantwortung des einzelnen wegfällt und in diesen Konstellationen Haftungen seltener sind.

WANN TRITT DER HAFTUNGSFALL EIN? Das Hauptproblem jedes Haftungsfalles mit alpinistischem Hintergrund ist das Fehlen von gesetzlichen Normen, die das Fehlverhalten umschreiben, wie dies etwa im Verkehrsrecht die Straßenverkehrsordnung tut. Daher ist das Gericht darauf angewiesen, die „allgemein anerkannten Verhaltensregeln“ zu erforschen und (meist unter Beiziehung eines Sachverständigen) zu überprüfen, ob der Schädiger gegen eine derartige objektive Verhaltensnorm verstoßen hat. Die Kriterien, wann eine sicherheitsfördernde Maßnahme – etwa eine bestimmte Anseiltechnik oder die Überprüfung der Funktionsfähigkeit des VS-Gerätes vor Antritt einer Tour – in der Praxis schon so weit Standard geworden ist, dass man von „allgemein anerkannt“ sprechen kann, sind (12): -

Anwendung in der Aus- und Weiterbildung Empfehlungen der Berufsverbände Publikationen in der Alpinliteratur Ständige Verwendung in der Praxis Schriftlichkeit

Diese Standards sind einer rasanten Entwicklung unterzogen, woraus sich insbesondere für Bergführer, die aufgrund der Vertragsbeziehung zum Kunden ohnedies nach strengeren haftungsrechtlichen Maßstäben und Regeln beurteilt werden, aber auch für ehrenamtlich Tätige und letztlich auch für Freizeitalpinisten eine Verpflichtung zu ständiger Weiterbildung ergibt. Oft ist ein einziges Schadensereignis Ursache für die Anhebung des Anforderungsprofils, wie etwa im „Flying Fox-Fall“ (13). Unfallursache war die Verwendung eines klassischen Twistlock-Karabiners, der über keine Arretierung verfügte und bei dem eine einfache Vierteldrehung der Verschlusshülse zur Öffnung genügte. Die bei der Benutzung der Flying-Fox-Anlage auftretenden Schwingungen hatten ausgereicht, um durch die im Karabiner befindliche Bandschlinge diesen zu öffnen und so zum tödlichen Absturz eines Schülers zu führen. Konkret verneinte das Oberlandesgericht Graz im Zivilverfahren wie auch zuvor schon das Strafgericht eine 305


Haftung. Zukünftige Fälle, in denen sich das selbe Risiko verwirklicht, könnten jedoch mit einer Verurteilung enden, weil die Gefahrengeneigtheit der im Anlassfall noch nicht haftungsbegründenden Handlung dann bereits bekannt ist oder dem Sorgfältigen bekannt sein müsste. Dieser Unfall war im übrigen Anlass für eine Lehrmeinungsänderung und Empfehlungen des Kuratoriums für Alpine Sicherheit (14). In der Gerichtspraxis sind es immer häufiger die Kletterunfälle, und hier überwiegend jene beim Sportklettern, die zu Haftungen auch nicht professioneller Begleiter führen. Beispielsweise seien angeführt die Haftung wegen mangelnder Aufmerksamkeit beim Sichern des Kletterpartners, die zu dessen ungebremsten Absturz beim Ablassen führt, nicht verknüpfte Seilenden beim Abseilen oder durch das Sicherungsgerät schlüpfende Seilenden bei zu kurzem Seil ohne Knoten beim Topropeklettern (15). Abhängig von der konkreten Situation, vor allem der Ausbildung und Erfahrung des Geschädigten, kann es hier auch zu einer Schadensteilung kommen. Das österreichische Schadenersatzrecht bietet die Möglichkeit des Mitverschuldenseinwandes. Dem Verunfallten kann vorgeworfen werden, im Umgang mit seinen Gütern sorglos umgegangen zu sein, was zu einer Verkürzung des vom Schädiger zu leistenden Schadenersatzes führt.

WAS BEDEUTET HAFTUNG ? Ausgehend von der Grundsatzüberlegung, dass Haftung Einstehen müssen für – meist – eigenes Fehlverhalten bedeutet, können die Konsequenzen eines Bergsportunfalles zivil- wie strafrechtlicher Natur sein. Sieht das Strafrecht als Folge eines Fehlverhaltens Geld- und Freiheitsstrafen, in weniger schweren Fällen mit Zustimmung des Täters auch gemeinnützige Leistungen oder einen außergerichtlichen Tatausgleich, vor, können die zivilrechtlichen Folgen mannigfach sein: Vom Schmerzengeld für erlittenes körperliches Ungemach – bei der Zuerkennung von Ersatz für seelische Schmerzen ist die österreichische Rechtsprechung im internationalen Vergleich noch sehr zurückhaltend (16) – über die Kosten für eine Heilbehandlung und/oder für das Begräbnis bis zu Unterhaltsleistungen für die Hinterbliebenen reicht das Spektrum. Interessant ist die Entwicklung im strafrechtlichen Bereich in Tirol. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck, in der Bergsportunfälle in einem eigenen Referat behandelt werden, geht grundsätzlich davon aus, dass ein diversionelles Vorgehen, also die Einstellung des Verfahrens ohne Verurteilung mit bestimmten Auflagen, bei mangelhafter Sicherung durch den Kletterpartner aus generalpräventiven Gründen nicht in Frage kommt (17). Man will damit der im Sportkletterbereich mancherorts herrschenden allzu lockeren Sicherungsdisziplin Einhalt gebieten und den Sportausübenden deutlich vor Augen führen, dass man nicht nur Seil und Sicherungsgerät sondern auch das Leben und die Gesundheit des Kletterpartners in Händen hält. 306


HAFTUNGSBEFREIUNG Abgesehen von der Möglichkeit zur Abfederung des Risikos einer Schadenersatzklage Versicherungen – in Betracht kommen Haftpflicht- und Rechtschutzversicherungen – abzuschließen, kann die Haftung von vorneherein durch eine ausdrückliche Erklärung über die Ablehnung einer Führungsfunktion verhindert werden. Dies muss klar und deutlich, naturgemäß vor einer Tour, spätestens vor der letzten Möglichkeit, das Unternehmen abzubrechen und umzukehren, erfolgen. Nur so ist dem Tourenpartner die realistische Möglichkeit eröffnet, von der Tour Abstand zu nehmen bzw. sie noch gefahrlos zu beenden oder die Erklärung seines Gefährten zu akzeptieren. Wesentlich ist im letzten Fall, ob und inwieweit Entscheidungen von einer einzelnen Person oder der Gruppe/Seilschaft getroffen werden. Um eine Kategorisierung als Tourenführer aus Gefälligkeit und darauf aufbauend eine Haftung zu verhindern, kann nur empfohlen werden, Bedenken über Risken und überhaupt sämtliche Informationen über Handlungsoptionen zu kommunizieren und der gemeinschaftlichen Entscheidung zuzuführen. Dies ist der sicherste Weg zu einem partnerschaftlichen Alpinunternehmen, bei dem die Teilnehmer gleichberechtigt im Rahmen ihrer Eigenverantwortung gemeinsame Entscheidungen treffen. Das möge nicht nur ein gerichtliches Nachspiel verhindern, sondern bereits im Vorfeld zu besseren, vernünftigeren Entscheidungen und schöneren Bergerlebnissen führen.

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Stabentheiner J. Die Haftung des Führers aus Gefälligkeit anhand des Piz BuinUrteils. In: Winteralpinismus-Rechtsfragen Seminarbericht Seminar des Alpenvereines für Richter und Staatsanwälte 25.-28.1.2000 in Kühtai/Tirol, Deutscher Alpenverein und Österreichischer Alpenverein, Innsbruck 2000, 127. Ders. Zum Führer aus Gefälligkeit In: JBl 2000, 273ff.

(10) Stabentheiner J. Die Haftung des Führers aus Gefälligkeit anhand des Piz BuinUrteils. In: Winteralpinismus-Rechtsfragen Seminarbericht Seminar des Alpenvereines für Richter und Staatsanwälte 25.-28.1.2000 in Kühtai/Tirol, Deutscher Alpenverein und Österreichischer Alpenverein, Innsbruck 2000, 127. Ders. Zum Führer aus Gefälligkeit In: JBl 2000, 283ff. (11) Ermacora A. Experten haften nicht automatisch. Zum Sorgfaltsmaßstab eines geprüften Bergführers bei einer privaten Unternehmung In: bergundsteigen 2/2005, 18-21. (12) Zimmermann W., Vorhofer G. Alpinseminar des OLG Innsbruck 2004 in Galtür. In: ZVR 2005/2, 7. Ermacora A. Bergsport vor dem Gesetz. Bericht über ein Alpinseminar für RichterInnen und Staatsanwälte/Innen, 27. – 30. Jänner 08, Kühtai (Tirol). In: bergundsteigen 1/2008, 26. (13) Oberlandesgericht Graz 4.11.2002, 2 R 163/02 m (Landesgericht Klagenfurt 22.7.2002, 23 Cg 209/01 m), ZVR 2004/40. 308


(14) Ermacora A. Kanzianiberg Straf- und Zivilverfahren nach Flying Fox Unfall. In: bergundsteigen 3/2003, 19. (15) Eine Fallauswahl bieten Auckenthaler M. und Hofer N. Klettern & Recht, Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH, Wien 2009, 107-123. (16) Karner E. in Koziol H., Bydlinski P., Bollenberger R. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 2.A., Springer-Verlag Wien New York, 2007, § 1293 RZ 2, 1423 und Danzl K. in Koziol H., Bydlinski P., Bollenberger R., Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 2.A., Springer-Verlag Wien New York, 2007, § 1325 RZ 28-29, 1520-1522. (17) Ermacora A. Bergsport vor dem Gesetz. Bericht über ein Alpinseminar für RichterInnen und Staatsanwälte/Innen, 27. – 30. Jänner 08, Kühtai (Tirol). In: bergundsteigen 1/2008, 24.

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