Jahrbuch 2004

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JAHRBUCH 2004 ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN

THEMA

ALPINE NOTFALLMEDIZIN – FLUGRETTUNG VA R I A

HERAUSGEBER: G. SUMANN W. S C H O B E R S B E R G E R P. M A I R F. B E R G H O L D


IMPRESSUM Herausgeber: SUMANN Günther, OA Dr. med., IKAR MedCom, Klinische Abteilung für Allg. und Chirurgische Intensivmedizin, Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-mail: guenther.sumann@uibk.ac.at SCHOBERSBERGER Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., Vizepräsident der ÖGAHM, Vorstand am Institut für Urlaubs-, Reise- und Höhenmedizin, Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT), A-6060 Hall in Tirol. E-mail: wolfgang.schobersberger@umit.at MAIR Peter, Univ.-Doz. Dr. med., IKAR MedCom, Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-mail: p.mair@uibk.ac.at BERGHOLD Franz, Univ.-Prof. Dr. med., Präsident der ÖGAHM, UIAA MedCom, Salzburger Platz 130, A-5710 Kaprun. E-mail: bergi@sbg.at

Verleger: Österreichische Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin Satz, Gestaltung und Druck: Raggl digital+print GmbH, Rossaugasse 1, 6020 Innsbruck ISBN-Nr.: 3-9501312-4-8 Alle Rechte vorbehalten

Umschlagbild U 1: Galtür 2004, Alpinarium im Winter Umschlagbild U4: Blackhawk beim internationalen Hilfseinsatz in Galtür, 1999

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VORWORT Die alle zwei Jahre stattfindende Internationale Bergrettungsärztetagung in Innsbruck hat weit über die Grenzen Österreichs hinaus maßgebliche und seit Jahrzehnten geradezu pionierhafte Bedeutung nicht nur in Hinblick auf die alpine Rettungs- und Notfallmedizin, sondern auch für etliche andere Bereiche der Alpin- und Höhenmedizin. Seit einigen Jahren gilt diese von Univ.-Prof. Dr. Flora begründete und europaweit wohl wichtigste Veranstaltung auch als Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin, eine Kooperation, für die wir Herrn Univ.-Doz. Dr. Peter Mair von der Universitätsklinik Innsbruck, dem Organisator, besonders verbunden sind. Die Präsentationen der Bergrettungsärztetagung 2003 bilden diesmal den Hauptteil dieses 15. Alpinmedizinischen Jahrbuches unserer Gesellschaft. Die alpine Notfallmedizin und die alpine Flugrettung stehen dabei im Brennpunkt hochaktueller und zum Teil brisanter Themen: Posttraumatische Belastungsstörungen bei Einsatzkräften, Schmerz- und Schocktherapie am alpinen Unfallort, Thrombolyse und Reanimation, Traumadiagnostik und etliche andere wichtige Aspekte. Neben diesen Schwerpunktthemen der letzten Bergrettungsärztetagung finden wir in diesem Jahrbuch, quasi in alter Tradition, auch einige so genannte freie Themen aus verschiedenen Bereichen der Alpin- und Höhenmedizin, und wir erfahren schließlich auch mit großem Interesse, wie die Bergrettungsmedizin anderswo, nämlich in den südamerikanischen Anden betrieben wird. Allen Autoren, aber auch den beiden so bewährten und wie immer sehr bemühten Redakteuren und Herausgebern Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Schobersberger und Dr. Günther Sumann gilt unser ganz großer Dank. Wir alle, die wir jetzt dieses neue schöne Jahrbuch in den Händen halten dürfen, ahnen ja nicht, wie viel Arbeit, Fleiß, Akribie und Engagement in diesen hochkarätigen Seiten steckt.

Univ.-Prof. Dr. Franz Berghold Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin

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Inhalt

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Vorwort F. Berghold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Galtür – 5 Jahre nach der Lawinenkatastrophe F. Treidl Die Bewältigung der Lawinenkatastrophen von Galtür und Valzur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Im Gedenken an die Lawinenopfer von Galtür und Valzur . . . . . . . . . . . . . 20

Alpine Notfallmedizin - Flugrettung G. Brauchle Akute und posttraumatische Belastungsstörungen bei Einsatzkräften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Schwarz Probleme der Schmerztherapie beim Bergrettungseinsatz . . . . . . . . . . . . . . 33 W. Voelckel Neue Therapieansätze in der Behandlung des hämorrhagischen Schocks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 W. Grander Akuter ST-Streckenhebungsinfarkt im Gebirge – Thrombolyse versus Primär-PTCA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 J. Mair, O. Pachinger Erstversorgung des Myocardinfarkts im Gebirge – Eine kritische Betrachtung zum Stellenwert der präklinischen Lysetherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

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W. Lederer Kreislaufstillstand im alpinen Gelände – Thrombolyse unter Reanimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Ch. Kruis Möglichkeiten und Grenzen der alpinen Flugrettung . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 M. Hohlrieder. R. Zinnecker, P. Mair Traumadiagnostik beim alpinen Flugrettungseinsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . 105 F. Demetz, G. Biner, R. Andenmatten, B. Jelk, G. Busch, B. Perren, A. Mann Hubschrauberrettung am Matterhorn – Herausforderung in der alpinen Notfallmedizin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 M. Kaufmann, G. Hofer Der Großunfall im Hochgebirge – Suldenferner/Ortlergebiet, 22. – 23. 3. 2002 – Ein Fallbeispiel. . . . . . . . . 125

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Freie Themen G. Hoffmann, W. Schobersberger Das Alpenmurmeltier und seine volksmedizinische Bedeutung. Zusammensetzung und mögliche Wirkungsweise des Murmeltierfettes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 M. Flatz, M. Faulhaber, M. Burtscher Lungenfunktion während kurzzeitiger Höhenakklimatisation . . . . . . . . . . 149 M. Burtscher, R. Pühringer, I. Werner Einfluss von Höhe, Alkohol und Rauchen auf die Sturzhäufigkeit im alpinen Skilauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Ch. Szubski, W. Schobersberger Bergwandern im Lichte muskuloskeletaler Belastungen . . . . . . . . . . . . . . 165 W. Domej, M. Wogrolly-Domej, C. Guger, J. Herfert, B. Haditsch, G. Schwaberger Höhenschwindel und Höhenangst im Alpinsport. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 M. Parada Mountain Medicine in Argentina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

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Autorenliste BRAUCHLE Gernot, Mag. Dr., Umwelt- und Notfallpsychologe, Disastermanagement, Medizinische Universität Innsbruck, Institut für Hygiene und Sozialmedizin, A-6020 Innsbruck. E-Mail: gernot.brauchle@uibk.ac.at BURTSCHER Martin, Univ.-Prof. DDr., Vizepräsident ÖGAHM, Institut für Sportwissenschaften, Universität Innsbruck, Fürstenweg 185, A-6020 Innsbruck. E-Mail: martin.burtscher@uibk.ac.at DEMETZ Florian, Dr. med., IKAR MedCom, FA f. Anästhesie, Klinik für Anaesthesiologie, Klinikum der Universität - Standort Großhadern, Ludwig-Maximilians Universität München, D-81377 München. E-Mail: florian.demetz@med.uni-muenchen.de DOMEJ Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., ARGE Alpinmedizin, Medizinische Universität Graz, Medizinische Universitätsklinik, Auenbruggerplatz 31, A8036 Graz. E-Mail: wolfgang.domej@meduni-graz.at FLATZ Markus, Mag., Institut für Sportwissenschaften, Universität Innsbruck, Fürstenweg 185, A-6020 Innsbruck. E-Mail: markus.flatz@uibk.ac.at GRANDER Wilhelm, OA Dr. med., FA f. Innere Medizin, Allg. Bezirkskrankenhaus, A-6060 Hall. E-Mail: wilhelm.grander@bkh-hall.or.at HOFFMANN Georg, Priv.-Doz. Dr., Institut für Urlaubs-, Reise- und Höhenmedizin, Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT), A-6060 Hall in Tirol. E-Mail: georg.hoffmann@umit.at HOHLRIEDER Matthias, Dr. med., Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-Mail: matthias.hohlrieder@uibk.ac.at KAUFMANN Marc, Dr. med., Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-Mail: marc.kaufmann@uibk.ac.at

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KRUIS Christoph, Chirurg-Unfallchirurg, Regionalarzt Bergwacht Bayern, Berg- und Skiführer, BG Unfallklinik, D-82418 Murnau. E-Mail: kruis@bgumurnau.de LEDERER Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, A6020 Innsbruck. E-Mail: wolfgang.lederer@uibk.ac.at MAIR Johannes, Univ.-Prof. Dr. med., Universitätsklinik für Innere Medizin, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. EMail: johannes.mair@uibk.ac.at PARADA Marcelo, MD, President Sociedad Argentina de Medicina de Montaña. Hospital Ramon Carrillo, 8370 San Martin de los Andes, Argentinien. EMail: jym@smandes.com.ar SCHWARZ Birgit, Univ.-Prof. Dr. med., Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-Mail: birgit.schwarz@uibk.ac.at SZUBSKI Christoph, Mag. phil., Institut für Urlaubs-, Reise- und Höhenmedizin, Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT), A-6060 Hall in Tirol. E-Mail: christoph.szubski@umit.at TREIDL Friedrich, Dr. med., Arzt für Allgemeinmedizin, Gemeindearzt, A6563 Galtür, E-Mail: galtuer@bergdoktor.org VOELCKEL Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., MSc, D.E.A.A., Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-Mail: wolfgang.voelckel@uibk.ac.at

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F r i e d r i c h Tr e i d l

Die Bewältigung der Lawinenkatastrophen von Galtür und Valzur How Galtuer and Valzur mastered the avalanche disaster S U M M A RY Along the entire northern edge of the Alps heavy snowfalls occurred in January and February 1999 followed by disastrous avalanches. Galtuer and Valzur were hit by dry avalanches on February 23 and 24, killing 38 people. Thousands of guests have been evacuated out of the Paznaun Valley via air by the strenuous help of international organizations. Almost six years have passed ever since. To ensure a more secure surrounding for inhabitants as well as guests, protective measures have been taken and avalanche barriers have been built. The roads through the valley of Paznaun have been secured of avalanches through new constructions of tunnels, galleries, detours of rivers and roads as well as ava-lanche barriers. A 350 m long and 19 m high barrier to protect Galtuer from avalanches has been built in Winkl, a small part of the town of Galtuer. Furthermore snow and wind measuring sites have been established and the Alpine Security Information Centre (ASI) was founded. Within the avalanche barrier, facing the town of Galtuer, the ALPINARIUM was constructed; a centre for conventions, exhibitions and safety organisations. Since the summer of 2004 an elaborate exhibition named “The Avalanche” can be marvelled to offer the possibility of con-scientiously processing the shocks of the avalanche catastrophe in 1999. Key words: avalanche, Galtuer, avalanche barriers, Alpine Security and Information Centre, Alpinarium.

Z U S A M M E N FA S S U N G Im Jänner und Februar 1999 gab es entlang des gesamten Alpennordrands ergiebige Schneefälle und folgenschwere Lawinenunglücke. Am 23. und 24. Februar wurden Galtür und Valzur von zwei Staublawinen getroffen, die insgesamt 38 Menschenleben forderten. Im Rahmen einer großangelegten internationalen Hilfsaktion wurden damals tausende Gäste aus dem Paznauntal über eine Luftbrücke evakuiert.

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Inzwischen sind mehr als fünf Jahre vergangen. Um den bedrohten Lebensraum Hochgebirge für die Einheimischen und Gäste sicherer zu machen, wurden in den letzten Jahren zahlreiche Schutzbauten errichtet. Die Straße ins Paznauntal wurde mit Tunnels, Galerien, Straßen- und Bachverlegungen sowie Schutzwällen lawinensicher verbaut. In Galtür wurde im Ortsteil Winkl eine 350 Meter lange und 19 Meter hohe Schutzmauer errichtet. Es wurden zusätzliche Schneeund Windmessstationen eingerichtet und das Alpine Sicherheits- und Informationszentrum (ASI) gegründet. In die Lawinenmauer in Galtür wurde das ALPINARIUM integriert, ein der Dorfseite zugewandtes Kongress-, Ausstellungs- und Zivilschutzzentrum. Seit dem Sommer ist dort die Ausstellung „Die Lawine“ zu sehen, die der bewussten Aufarbeitung der Lawinenkatastrophe dienen soll. Schlüsselwörter: Lawine, Galtür, Schutzbauten, Alpines Sicherheits- und Informationszentrum, Alpinarium. Der gesamte Alpennordrand war durch die langdauernden und ergiebigen Schneefälle im Jänner und im Februar 1999 von Lawinen bedroht. Es gab im Winter 1998/99 mehr als 1000 Schadlawinen.

Abbildung 1 Galtür, Ansicht von Norden, im Vordergrund die neue Lawinenschutzmauer

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Neben Galtür und Valzur kam es auch zu folgenschweren Lawinenunglücken im Walliser Bergdorf Evolene und im französischen Skiort Chamonix. Galtür und Ischgl, die hintersten Orte im Paznauntal, wurden um 1300 von Rätoromanen und später von den Walsern besiedelt. Bescheidene Viehwirtschaft war die karge Lebensgrundlage der Bergbauern, bis der beginnende Tourismus die Lebensbedingungen der kleinen Dorfgemeinden verbesserte (Bau der Jamtalhütte 1882, der Silvrettahochalpenstrasse und die ersten Schilifte und Gondelbahnen). (Abb.1) Die Naturgefahren waren und sind immer noch ein bestimmender Teil des Lebens im Hochgebirge. Dennoch waren die Menschen von Galtür und Ischgl eng mit ihrer Heimat verbunden. Die beschwerlichen Lebensbedingungen ermöglichten oft nur dem Hoferben eine Familie zu gründen und im Ort zu bleiben. Auch die Schwabenkinder, die in der Fremde arbeiten mussten, waren ein Hinweis auf große Armut. Die ersten drei Toten, die im Galtürer Friedhof am Beginn des 14. Jahrhunderts begraben wurden, waren Lawinenopfer. Regelmäßige Aufzeichnungen über Lawinen und deren Opfer gibt es seit dem 16. Jahrhundert. Aber nicht nur die Gefahren durch den Schnee, auch mit Steinschlag und Hochwasser müssen die Bewohner seit Jahrhunderten leben. Im Winter 1999, nach den schweren Lawinenabgängen mitten in den bewohnten Siedlungsraum bei denen in Galtür 31 Menschen und in Mathon 7 Menschen unter den Lawinen starben, herrschte Fassungslosigkeit, Trauer, Sprachlosigkeit und Niedergeschlagenheit angesichts des Ausmaßes dieser Naturgewalt. Auch Urlaubsgäste aus Deutschland, den Niederlanden und Dänemark waren unter den Toten. Es waren mehrere Häuser eines Ortsteils betroffen. Ein Bauernhaus stand an dieser Stelle bereits seit 400 Jahren. In einer internationalen Hilfsaktion wurden die Gäste mit Hubschraubern (Black Hawks) ausgeflogen. Die Saison, die Haupteinnahme der Galtürer schien zu Ende und brachte sicher vielen, vorwiegend jungen Familien große Ängste wie die Zukunft bewältigt werden kann. Die nächste Lawine die war die „Medienlawine“ Galtür wurde innerhalb weniger Tabe weltweit zu einem Synonym für Lawi-

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ne und Tod. Bereits in der Zeit des vom Schnee „Eingesperrtseins“ vor dem Lawinenabgang, wurde in den Medien über Galtür und Ischgl berichtet. Diese unglaubliche mediale Präsenz hatte mehrere Ursachen: Das Lawinenunglück betraf nicht nur Dorfbewohner, sondern auch Touristen. Wegen des sich zuspitzenden Kosovokonfliktes befanden sich Krisen- und Kriegsreporter in der Nähe.

W E R I S T S C H U L D A N D E N L AW I N E N A B G Ä N G E N ? Den Grund für das Unglück sahen viele in der Übererschließung der Alpen – Raubbau an der Natur. Den Lawinenkommissionen wurden falsche Entscheidungen vorgeworfen. Es wurde behauptet, dass aus Profitstreben die Gäste trotz Lawinengefahr ins Tal gelassen wurden. Für uns in Galtür waren diese medialen Anschuldigungen unverständlich, da der Grieskogl ein vollkommen unerschlossener Berg außerhalb des Schigebietes ist und die Gemeindeverantwortlichen, die Lawinenkommissionen, aber auch die privaten Zimmervermieter alles dazu beitrugen um die Gäste in dieser schwierigen Situation zu betreuen. Es gab aber auch sehr viele gut recherchierte und positive Berichterstattungen. Am meisten beeindruckt von den vielen Berichten im Zusammenhang mit Lawinen, haben mich die Lawinenexperimente vom Lawinenforschungszentrum in Davos, welche die Kräfte, die solche Staublawinen freisetzen, gemessen haben. Auch die Berichte über die verheerende Lawine in Blons im großen Walsertal im Jänner 1954 waren sehr ergreifend. Damals kamen 57 Menschen zu Tode und ganze Familien wurden ausgelöscht. Eine völlige Absiedelung der Gemeinden im Walsertal wurde in Erwägung gezogen. Die Einwohner von Blons und der anderen Orte haben das aber entschieden abgelehnt. Es sind 12 Familien aus Blons abgewandert. Uns gegenüber hat der damalige Landeshauptmann Wendelin Weingartner geäußert, dass er sich keine unbewohnten und von der Abwanderung bedrohten Bergdörfer wünscht und hat uns Hilfe und Unterstützung angeboten. Nachdem die letzten Toten gefunden und beerdigt wurden, war es notwendig jenen zu helfen, die kein Dach mehr über dem Kopf hatten. Die Verwandten, Nachbarn und Freunde halfen bei den Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten. Hilfe von Land und Bund, im Besonderen dem Bundesheer,

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freiwilligen Organisationen, dem Land Südtirol sowie Spendenaktionen für die Betroffenen, brachten wertvolle Unterstützung. Das Arbeitsmarktservice, das dem Personal Weiterbildungskurse anbot und das Entgegenkommen der Banken half den Betroffenen, diese schwierige Zeit zu überbrücken. Bereits zu Ostern war der Ort wieder ausgebucht. Vorwiegend die Stammgäste kehrten zurück und wurden als große Hilfe in dieser schwierigen Zeit empfunden.

MEHR SICHERHEIT FÜR DIE ZUKUNFT Um den bedrohten Lebensraum Hochgebirge für die Einheimischen und die Gäste sicherer zu machen, wurde vor den Ortsteil Winkl eine 350 Meter lange und 19 Meter hohe Schutzmauer errichtet. Auch im Ortsteil Tschaffein wurde eine gewaltige Schutzmauer gebaut. Die Dimensionen dieser Mauern wurde mit neuen Computersimulationsmodellen ermittelt. (Abb.2)

Abbildung 2 Die 350 m lange Steinmauer schützt den Ortsteil Winkl. Auf der Vorderseite der Mauer ist das Alpinarium untergebracht.

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Die Notwendigkeit für diesen Sofortschutz war gegeben, da die Anbruchsverbauung, die auch noch im selben Jahr begonnen wurde, voraussichtlich mehr als zehn Jahre brauchen wird. In Valzur wurden sämtliche zerstörten Häuser an einem nicht bedrohten Teil wiederaufgebaut. Zudem wurde für Ischgl eine lawinensichere Zufahrt mit Tunnels, Galerien, Straßen- und Bachverlegung sowie massiven Schutzwällen in Angriff genommen, die das Landschaftsbild stark veränderten. Neben diesen gewaltigen Baumaßnahmen gibt es, beschleunigt durch die medialen Diskussionen, aber auch als Folge der Ermittlungen des Staatsanwaltes gegen die Mitglieder der Lawinenkommission mittlerweile Schulungen, die auch im Alpinarium Galtür stattfinden. Unsere Lawinenkommissionsmitglieder üben diese Tätigkeit freiwillig und auf Grund Ihrer hohen Erfahrung (Bergführer, Schilehrer) zum Wohle der Allgemeinheit aus. Messstationen mit Fernübermittlung der Daten über Schneehöhe und Temperatur sowie Windgeschwindigkeit („der Wind ist der Baumeister der Lawinen“) wurden eingerichtet und unterstützen die Kommissionen auch bei schlechter Sicht. Die Katastrophe hat gezeigt, dass es eine verbesserte Kommunikation unter den verschiedenen Hilfsorganisationen braucht und die Anschaffung eines einheitlichen Funksystems erwünscht wäre. Es wurde ein alpines Sicherheits – und Informationssystem, das sogenannte ASI gegründet, das den öffentlichen Zugriff auf Daten wie Wetter, Schnee und Lawinengefahr ermöglicht. Weiters wurde ein internes Informationssystem für Einsatzkräfte (ESIS) gegründet und die Umsetzung des bereits vor der Lawinenkatastrophe geplanten „Zentrum für Naturgefahrenmanagement“ (alpS) beschleunigt. Das Bundesheer bekam auf Grund der Lawinenkatastrophe neue leistungsfähige Großraumhubschrauber, die sogenannten Black Hawks.

HOFFNUNG AUF EINE POSITIVE WEITERENTWICKLUNG IM ORT Das ALPINARIUM, ein in die Lawinenmauer integriertes, der Dorfseite zugewandtes Kongress-, Ausstellungs- und Zivilschutzzentrum wurde gebaut.

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Dieser Gebäudekomplex bietet, mit seinem Eingang aus Alabastersteinen und dem an Seilen aufgehängten Steinkreis in der Empfangshalle auch interessante architektonische Eindrücke. (Abb. 3)

Abbildung 3 Der Steinkreis aus Bachsteinen aus dem Vermunt symbolisiert wie leicht beweglich so ein massives Material wie Stein sein kann Mit der Ausstellung „Die Lawine“ fünf Jahre nach dem Ereignis, soll eine bewusste Aufarbeitung, keine Verdrängung erfolgen. Der erste Teil der Ausstellung zeigt in sehr vertrauter und ästhetischer Weise Schneebilder und Kristallformen des Schnees. Dann folgt in dokumentarisch gehaltener Form die chronologische Darstellung der damaligen Wettersituation und Ereignisse. Im weiteren wird die mediale Berichterstattung aufgezeigt. (Abb. 4) Der letzten Teil der Ausstellung zeigt, wie versucht wird, sich gegen die Naturgefahren zu schützen und welche Perspektiven für die Zukunft bestehen. In den ersten vier Monaten seit der Eröffnung haben bereits 30 000 Menschen diese Ausstellung besucht.

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Abbildung 4 Auf Litfasssäulen aufgeklebt wird die unterschiedliche Form der Berichterstattung aufgezeigt. Der Besucher kann sich, nachdem er sich im Dokumentationsraum informieren konnte, sein eigenes Bild machen

Sogar die direkt Betroffenen im Ort finden, dass das Thema in treffender und beeindruckender Weise dargestellt wird. Wir freuen uns im Ort über diesen Besucherzustrom, da einem peripheren Ausstellungsort eigentlich wenig Chancen auf Erfolg eingeräumt wurden. (Abb. 5) Im nächsten Jahr findet gemeinsam mit dem Austragungsort Hall die Landesausstellung zum Thema „die Zukunft der Natur“ statt. Hier geht es um das Überleben in höheren Bergregionen am Beispiel vom Paznauntal. Die Anpassung an die alpinen Lebensgrenzen werden als Überlebensstrategien der Menschen aber auch der Pflanzen und Tiere thematisiert. Auch wenn die sichtbaren Zeichen der Zerstörung verschwunden sind und der Ort äußerlich wieder intakt erscheint, sind die Auswirkungen bei den Einheimischen und Gästen immer noch zu spüren. Unser Bürgermeister und Landtagsabgeordneter Anton Mattle sagt treffen: „Die Wunden sind zwar verheilt, aber die Narben bleiben.“

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Abbildung 5 An den Wänden diese Raums ist von jedem Bewohner Galtürs eine Fotographie zu sehen. Die wiedererreichte Normalität im Alltagsleben ist wohltuend und die Fragen nach dem Ereignis sind seltener geworden. Dennoch war ich in den vergangenen fünf Jahren immer wieder mit einheimischen Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörungen konfrontiert. Beschwerden, deren Abklärung beim Facharzt keine organische Ursache ergab, wurden mit den psychischen Belastungen durch die Katastrophe in Verbindung gebracht. Vereinzelte Mitglieder von freiwilligen Hilfsorganisationen in Galtür und Mathon entwickelten seelische Beschwerden, wollten über die damaligen Ereignisse nicht mehr reden und wollten ihre verantwortungsvolle Tätigkeit nicht weiter ausüben. Andere wiederum sind mit Ihren Fähigkeiten, die sie in dieser extremen Situation unter Beweis stellen mussten, weiterhin sehr erfolgreich. Die Tatsache dass junge Familien im Ort wieder Ihr Eigenheim bauen, zeigt, dass auch längerfristig der Glaube in die Zukunft gegeben ist. Wenn man von einem der vielen Gipfel in der Umgebung auf Galtür herunter-

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sieht, wird einem bewusst, wie verschwindend klein der besiedelte Raum ist. Das weite Hinterland der Silvretta und des Verwallgebietes sind, bis auf wenige Schutzhütten und Almen, vermutlich durch die alpinen Gefahren immer noch unbebaute Naturlandschaft.

L I T E R AT U R (1)

Markus Barnay, die lawine. Alpinarium Galtür Dokumentation GmbH

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Galtür Buch, 2. Auflage, Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Gemeinde Galtür

Im Gedenken an die Opfer der Lawinenkatastrophen von Galtür und Valzur im Februar 1999

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Gernot Brauchle

Akute- und Posttraumatische Belastungsstörungen bei Einsatzkräften. Acute- and posttraumatic stress disorders in disaster workers S U M M A RY The aim of this study was to investigate the frequency of acute- and post traumatic stress disorder in rescue and recovery personell following a disaster. In November 2000 a funicular train ferrying skiers from the village of Kaprun to the Kitzsteinhorn Glacier at 10,500-foot caught fire in a tunnel. 12 People survived but 155 lost their life among those a lot of children and adolescents. In the aftermath n=250 rescue und recovery workers, including psychological concelling teams, police officers and medical service personell were assessed 6 weeks, 6 month and 15 month after the catastrophe. Participants were assessed for acute stress disorder (ASD) using the Acute Stress Disorder Scale (ASDS). The prevalence of of acute stress disorder was 22,2 % for psychological concelling teams and 25,7 % for police officers. Posttraumatic stress disorder was assessed with the Posttraumatic Stress Diagnostic Scale (PDS). After six month 4,8 % of psychological concelling teams and 9,4 % of police officers were still suffering of posttraumatic stress disorder symptoms. The study highlights that disaster workers are at increased risk of acute and posttrauatic stress disorder. Keywords: Acute stress disorder, posttraumatic stress disorder, trauma, predictors, rescue workers

Z U S A M M E N FA S S U N G Das Ziel der Studie ist das Ausmaß Akuter- und Posttraumatischen Belastungsstörungen bei Einsatzkräften nach einem Großschadensereignis festzustellen. Untersucht wurden dabei Sanitäter, Exekutivbeamte und psychosoziale Helfer nach ihrem Einsatz in Kaprun. Im November 2000 fängt die Standseilbahn auf das Kitzsteinhorn im Tunnel Feuer. 12 Personen überlebten das Inferno, 155 verlieren dabei ihr Leben. Im Anschluss wurden n=250 Einsatzkräfte, darunter Sanitäter, Exekutivbeamte und psychosoziale Helfer, mit Hilfe standardisierter Erhebungsinstrumente – Acute Stress Disorder Scale (ASDS)

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sowie der Posttraumatic Stress Diagnostic Scale (PDS) - 6 Wochen, 6 Monate und 15 Monate nach dem Ereignis befragt. Die Prävalenz der Akuten Belastungsstörung beträgt 22,2 % bei den psychosozialen Helfern und 25,7 % bei den Exekutivbeamten. Sechs Monate nach dem Ereignis konnte festgestellt werden, dass 4,8 % der psychosozialen Helfer sowie 9,4 % der Exekutivbeamten immer noch an einer Posttraumatischen Belastungsstörung litten. Die Studie verdeutlicht, dass Einsatzkräfte bei Großschadensereignissen einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind. Schlüsselwörter: Akute Stressbelastung, Posttraumatische Stressbelastung, Trauma, Prädiktor, Einsatzkräfte

EINLEITUNG Europa hat in den letzten Jahren einige Großschadensereignisse –Naturkatastrophen, technische Katastrophen und Terroranschläge – erlebt. Auch Österreich ist von schweren Schicksalsschlägen, durch die Lawinenunglücke in Galtür und Valzur 1999 oder die Seilbahnkatastrophe in Kaprun 2000, nicht verschont geblieben. Die Hilfe, die dabei selbstverständlich von Einsatzkräften (Ärzten, Sanitätern, Feuerwehr- und Polizeieinheiten, Kriseninterventionsteams …) geleistet wird, kann auch bei den Helfern die Belastungsgrenze übersteigen und zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Seit Anfang der 90-iger Jahre ist eine beträchtliche Anzahl von Untersuchungen verfügbar, die über die gesundheitlichen Veränderungen von Helfern nach Einsätzen berichten. Das Phänomen wird dabei als „secondary traumatic stress (STS) (1)“ beschrieben. Die Ergebnisse der Untersuchungen machen deutlich, dass belastende Einsätze weitreichende Folgen im emotionalen, kognitiven, physischen und sozialen Bereich nach sich ziehen.

EMOTIONALE REAKTIONEN Niemanden, der anderen Menschen in Katastrophen Hilfe anbietet, lässt das Erlebte unberührt. Das Ausmaß der Zerstörung, der Tod von Kindern, die Ausweglosigkeit in der sich die Opfer befanden, das Leid der Hinterbliebenen, verursachen während und nach dem Einsatze intensive und belastende Gefühle. Untersuchungen von Bartone et. al. (2) und Gibbs et. al (3) zeigen, dass Helfer nach Katastropheneinsätzen signifikant häufiger unter Depressionen und pathologischem "Kummer" ("grief"), und Gefühlen der Hilflosigkeit leiden. Sie berichten häufiger von Zorn (4) oder klagen über eine allgemeine Reizbarkeit (5). Raphael et. al (6) und Duckworth et. al (7) fanden in ihren Untersuchun-

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gen eine Zunahme von Angst und Beklemmung sowie höhere Werte von innerer Anspannung und Niedergeschlagenheit sowie Gefühle von Unsicherheit.

HILFLOSIGKEIT UND SCHULDGEFÜHLE Belastend an Katastropheneinsätzen ist nicht nur das erlebte Leid und die erschreckende Zerstörung. Belastend ist auch, dass demgegenüber manchmal nur wenig Hilfe angeboten werden kann. Die Hilflosigkeit der Opfer kann ihre Entsprechung in der Hilflosigkeit der Einsatzkräfte finden. Weiters können wesentliche Transportmittel in den ersten Stunden fehlen, Kommunikationssysteme versagen, zu wenig Helfer an Ort und Stelle sein, auf Grund von Übermüdung und den hohen psychischen Belastungen Fehler gemacht werden. Aus der mangelnden Effizienz bzw. der erfahrenen Hilflosigkeit der Einsatzkräfte erwachsen Gefühle des Versagens. Diese Schuldgefühle führen oft nach dem Einsatz zu lang anhaltenden Belastungen und Ablehnung von Hilfe von Außen. Wer glaubt zu wenig oder gar falsch gehandelt zu haben, neigt dazu sich zu, sich zu isolieren (8) und eine Bearbeitung der Belastung im sozialen Umfeld oder mit Kollegen abzulehnen.

KOGNITIVE REAKTIONEN Neben emotionalen Reaktionen sind auch kognitive Veränderungen, wie Konzentrationsstörungen (9) und Werteverschiebungen (10) feststellbar. Helfer berichten nach belastenden Einsätzen über Schwierigkeiten, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren und sich im Alltag zu recht zu finden, bzw. klagen über den Verlust an Motivation und Empathie (11). Einsatzkräfte berichten aber auch von Intrusionen (12) bzw. Vermeidungsverhalten (13). Unerwartet tauchen Bilder des Einsatzes auf und lösen heftige emotionale Reaktionen aus. Situationen, Geräusche oder Gegenstände, die an den Einsatz erinnern, werden deshalb gemieden. Es lassen sich deutlich mehr Krankenstandstage verzeichnen (14) bzw. es kommt zu einem Ausscheiden aus dem Beruf.

PHYSISCHE REAKTIONEN Auf Grund der enormen Belastung sind physische Reaktionen feststellbar. Hier zeigen Untersuchungen eine Vielfalt von körperlichen Beschwerden und Erkrankungen im Anschluss an Großschadenseinsätze: Erkältungen (15), Schlafstörungen (16), Appetitverlust (17), ein reduziertes Sexualleben, Erschöpfungszuständen, Kopf- und Bauchschmerzen, Nacken- und Rückenbe-

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schwerden, Kurzatmigkeit sowie Hautirritationen und Ausschläge (18). Berath et. al (19) Weisen nach, dass es bei psychosozialen Helfern zu einer gesteigerten Unfallhäufigkeit im Verkehr sowie im häuslichen Bereich kommt.

G E S U N D H E I T S S C H Ä D I G E N D E C O P I N G S T R AT E G I E N Körperliche Beeinträchtigungen bzw. Schädigungen werden aber nicht nur durch „erlittenen“ Stress verursacht. Aktives gesundheitsschädigendes Verhalten – zum Beispiel übermäßiger Gebrauch von Sucht- und Beruhigungsmitteln (20) ist eine vielfach beschriebene Copingstrategie. Das in den Untersuchungen berichtete Steigerungsausmaß, belegt dabei die Brisanz des Themas.

SOZIALE AUSWIRKUNGEN BEI HELFERN Die oben beschriebenen Folgen bleiben auch nicht ohne Folgen für das soziale Umfeld. Helfer berichten über gesteigerte Probleme in ihren sozialen und

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intimen Beziehungen (21). Dabei berichten vor allem Frauen, die im Einsatz waren, über Streit mit ihren Partnern und Kinder. Auf Grund ihrer Rolle sind Männer weniger dazu bereit, den erschöpften Frauen nach dem Einsatz eine „Ruhezeit“ zu verschaffen und Haushalt und Kinder zu versorgen. Frauen sehen sich in der Situation, nach dem Einsatz wieder alle Aufgaben und Pflichten wie vor dem Einsatz zu erfüllen – Liegengebliebenes noch zusätzlich aufzuarbeiten. Gelingt ihnen das nicht, kommt es zu Konflikten.

LANGZEITFOLGEN Klare Aufgabenstellungen bzw. eine laufende Beschäftigung helfen eigene Gefühle für die Dauer des Einsatzes beiseite zu schieben und damit effizient zu bleiben (22). Erinnerungen tauchen aber nach dem Einsatz auf und können in bestimmten Fällen als Belastungen im kognitiven und emotionalen Bereich lange anhalten. Taylor and Frazer (23) finden in einer Untersuchung von so genannten „body handlers“ – Personen, die Tote bzw. Teile von Toten bergen –, nach einem Flugzeugabsturz einer DC10 in der Antarktis 1979, bei 23 % der Befragten Symptome, die als Posttraumatische Belastungsstörung interpretiert werden. McFarlane (24) stellt bei 21 % der Feuerwehrleute nach einem Buschfeuer in Australien 1983, noch nach 29 Monaten Intrusionen fest. Hodgkinson P.E. et al (25) zeigen in ihrer Untersuchung, dass 60 % der psychosozialen Hilfskräfte während des ersten Jahres nach der Explosion auf der Ölbohrinsel Alpha Piper 1988 über kognitive Schwierigkeiten, Symptome von Depression und Gefühle wie Unsicherheit und Unzulänglichkeit berichten und stellt fest, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die berichteten Symptome noch für längere Zeit andauern werden.

A K U T E - U N D P O S T T R A U M AT I S C H E B E L A S T U N G S S T Ö R U N G E N Akute Belastungsstörung (ABS): Nach dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – Fourth Edition) (DSM IV) besteht eine Akute Belastungsstörung dann, wenn die Person mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert war, während dem sie intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen empfand und dissoziative Symptome (z. B. „sich an wichtige Teile der Situation nicht mehr erinnern können“, „sich wie betäubt fühlen“ …) erlebte. Im Nachhinein müssen Symptome des Wiedererlebens, des Vermeidungsverhaltens und des erhöhten Erregungsniveaus mindestens 2 Tage höchstens jedoch 4 Wochen lang innerhalb von vier Wochen nach dem Ereignis auftreten. Halten die Symptome länger an, sind wahrscheinlich die Kriterien für eine Posttraumatische Belastungsstörung gegeben.

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Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD): Unter diesen Begriffen wird eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine außergewöhnliche Bedrohung gesehen, die bei fast jedem Menschen eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Die Reaktionen treten in der Regel 4 Wochen nach dem Ereignis auf, können sich aber auch verzögert bemerkbar machen. Als Symptome sind feststellbar: Wiederholte, zwanghafte Erinnerungen an das Ereignis oder an bestimmte Teile in Form von plötzlichem Empfinden oder Verhalten, als ob das traumatische Ereignis sich wiederholen würde; Vermeidung von Situationen, die eine Erinnerung an das Trauma mit sich bringen könnten, sowie ein erhöhtes Erregungsniveau, das sich in Überwachsamkeit, Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten, Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit oder Wutausbrüchen zeigt.

UNTERSUCHUNG Um festzustellen, wie viele Einsatzkräfte nach einem belastenden Einsatz an einer Akuten- bzw. Posttraumatischen Belastungsstörung leiden wurde nach dem Gletscherbahnunglück von Kaprun (2000) eine Längsschnittstudie über drei verschiedenen Zeitpunkte (t=6 Wochen, t2=6 Monate, t3=15 Monate) durchgeführt. Befragt wurden 250 Einsatzkräfte (Exekutivbeamte n=75, Sanitäter n=40, psychosoziale Helfer n=135) mittels standardisierten Fragebogen; Acute Stress Disorder Scale (ASDS; Bryant, Moulds, & Guthrie, 2000) (26) sowie der Posttraumatic Stress Diagnostic Scale (PDS; Foa et. al,1997) (27).

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Die Ergebnisse zeigen, dass 25,7 % der Exekutivbeamten, 22,2 % der psychosozialen Helfer sowie 7,3 % der Sanitäter unter einer Akuten Belastungsstörung litten. Unter die Kategorie „Psychosozialen Helfer“ fallen: Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten, Seelsorger, SbE-Teams, Peers und KIT-Teams. Sechs Monate nach dem Ereignis zeigt sich dass 9,4 % der Exekutivbeamten, 4,8 % der psychosozialen Helfer sowie 5,7 % der Sanitäter eine posttraumatische Belastungsstörung aufweisen. Beachtenswert ist, dass besonders jene Sanitäter betroffen sind, die ihren Dienst an der Telefonhotline versahen. Zum dritten Zeitpunkt haben die die Belastung deutlich reduziert. Hier kann noch bei 2 % der Exekutivbeamten sowie der psychosozialen Helfer und bei 3,2 % der Sanitäter eine PTSD festgestellt werden.

REDUKTION DER BELASTUNGEN Zur Vermeidung von gesundheitsschädigenden Effekten bei belastenden Einsätzen ist nur wenig Literatur zu finden. Primäre Prävention scheint in der Forschung einen deutlich geringeren Stellenwert zu haben. Primäre Prävention umfasst aber nicht nur die Verhinderung von Folgeerscheinungen bzw. die Verringerung von deren Intensität. Primäre Prävention bedeutet auch die Stärkung der Widerstandskraft durch Wissen, Erfahrung, Mastery und soziale Netzwerke (28).

ZENTRALE BEREICHE DER PRIMÄREN PRÄVENTION I. Information Primäre Prävention setzt ein hohes Maß an subjektiver Sicherheit und Gewissheit der Unterstützung voraus. Information ist ein wesentliches Mittel und dient beispielsweise dazu, Katastrophenmythen (29) d. h. unrealistische, angstbesetzte Phantasien, wie z. B. die Vorstellung einer Massenpanik etc. zu verhindern (30), einen „kühlen Kopf zu bewahren“ und zu wissen „was man als nächstes tun muss.“ II. Einsatzerfahrung und Training Kontinuierliche Einsatzerfahrung hilft Einsatzkräften mit Stressbelastungen besser fertig zu werden. Dies betrifft Belastungen im Vorfeld, aber auch Belastungen, die während des Einsatzes auftauchen. Einsatzerfahrung vermindert bzw. verhindert gleichzeitig Symptome nach einem Einsatz. In ihrer Untersuchung über antizipierten Stress zeigt beispielsweise McCarroll (31) an so genannte „body handlers“ auf, dass die Intensität von antizipiertem Stress unter jenen deutlich geringer war, die über Vorerfahrungen verfügten.

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Auch Stressbelastungen während einer Katastrophe lassen sich verringern, wenn die Betroffenen selbst über Vorerfahrungen verfügen. Weisaeth (32) untersuchte dazu die Auswirkungen eines Brandes einer Farben-Fabrik auf die Arbeiter. Dabei fand sie heraus, dass in jener Gruppe, die in der Katastrophe extremen Stress ausgesetzt waren 34 % der Personen angaben, die kognitive Kontrolle fast völlig verloren zu haben. Bei weiteren 20 % der Untersuchten traten Verhaltensveränderungen auf, die das eigene Leben oder das von Anderen gefährdeten. Jene Arbeiter hingegen, die über ein Katastrophen-Training verfügten, zeigten in der Katastrophe deutlich angepasstere Reaktionen und im Nachhinein signifikant weniger Symptome. Gleiches fand Hytten (33) in einer Studie von Überlebenden nach einem Helikopterabsturz. Dabei wurden aus den gewonnen Daten jene Elemente analysierte, die für das Überleben eine zentrale Rolle spielten. Training erwies sich dabei als der wesentlichste Faktor. Die Erfahrungen aus simulierten ähnlichen Situationen erlaubten den Eingeschlossenen ruhig zu bleiben, die Situation trotz extremer Bedrohung abzuschätzen und sich alternative Ausstiegsrouten zu überlegen. Es finden sich auch empirische Belege über die Auswirkungen von Training und Einsatzerfahrungen bei psychosozialen Helfern. Dyregrov und Solomon (34) befragten professionelle psychosoziale Einsatzkräfte nach dem Loma Prieta Erdbeben, wie adäquat ihre Ausbildung für den Einsatz war. Sie fanden dabei heraus, dass je höher die Angaben über eine adäquate Ausbildung und Erfahrungen waren, desto geringer waren die Angaben über Stresssymptome nach dem Einsatz. Inadäquates Training hingegen verringert die Effizienz der Helfer und gleichzeitig den Grad der Kontrolle über die Situation. Ein Mangel an Vorhersehbarkeit und Kontrolle sowie die Erfahrung der eigenen Unwirksamkeit erhöht die Wahrscheinlichkeit von psychischen Problemen (35). Adäquate Schulungen, Training und kontinuierliche Einsatzerfahrungen sind somit zentrale Voraussetzungen dafür, dass die Auswirkungen der erfahrenen Belastungen im Einsatzfall – wenn nicht vermieden – zumindest in ihrer Intensität verringert werden können. III. Mastery Ein wichtiger Aspekt zur Bewältigung von traumatischen Erfahrungen ist Einsatzkräften das Gefühl der Kontrolle im Einsatz. Nach Taylor (36) zeigen jene Personen mit größerer Wahrscheinlichkeit intensivere Symptome, deren Kontrolle über ihre Umwelt am stärksten beeinträchtigt wurde. Die Illusion der Kontrolle über die Umwelt („mastery“) ist ein zentraler Aspekt für geistige Gesund-

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heit und damit ein wesentlicher Aspekt für Widerstandskraft bzw. für Erholung. Mastery bei Helfern wird erreicht, indem beispielsweise routinierte Handlungsabläufe geübt werden, um im Notfall ein Stück weit „automatisiert“ handeln zu können. Automatisierte Handlungen geben dabei Sicherheit und ermöglichen gleichzeitig über kognitive Ressourcen zu verfügen, die verhindern, bereits von den ersten Anforderungen überwältigt zu werden. So berichten Notfallsanitäter nach dem Unglück am Bergisel, dass während den Reanimationen ein subjektives Gefühl von Sicherheit verspürt wurde, da die Handlungen „von selbst, ohne nachzudenken, von der Hand gingen“. IV. Teamwork Grundsätzlich und ohne Ausnahme ist die Arbeit bei Großschadensereignissen Teamwork. Teams geben mehr Sicherheit, reduzieren Belastungen im Vorfeld sowie im Einsatz vor Ort und ermöglichen eine erste Besprechung nach Beendigung des Einsatzes (37). Über kontinuierliche Einsatzerfahrungen kann zudem garantiert werden, dass im Fall eines Katastropheneinsatzes bereits eingespielte Teams in den Einsatz gehen. Die soziale Ressource ist eine nicht zu unterschätzende Voraussetzung für die psychische Gesundheit von Helfern.

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Birgit Schwarz

Probleme der Schmerztherapie beim Bergrettungseinsatz Pain Management in Mountain Rescue Missions S U M M A RY Adequate pain relief should be a cornerstone in the prehospital management of trauma patients. Recognition and treatment of pain in the early phase after trauma has markedly improved during the past decade. Nevertheless many studies still show a clear underestimate of pain levels of emergency patients by medical personnel. Sufficient relief of pain in a wilderness environment represents a special challenge for rescue personnel. Adequate analgesic treatment should cause neither hemodynamic nor respiratory impairment and maintain consciousness. An ICAR – recommendation points out that sufficient management of strong pain is only possible with opiates or ketamin. In wilderness medicine intravenous application of drugs is complicated because of environmental circumstances. Therefore the recent availability of oral transmucosal fentanyl citrate may be a major step forward in pain management in wilderness emergency medicine. Keywords: pain management, mountain rescue, prehospital, fentanyl citrate, ketamin.

Z U S A M M E N FA S S U N G In der präklinischen Versorgung von Traumapatienten sollte die Schmerztherapie ebenso wie die Sicherung der Vitalfunktionen einen Grundpfeiler darstellen. Es zeigt sich aber, dass in vielen Fällen die Schmerzintensität unterschätzt wird . Dementsprechend gering ist auch die Anwendung schmerztherapeutischer Maßnahmen. Zahlreiche Studien der letzten Jahre verstärken allerdings das Problembewusstsein hierfür. Die ausreichende Analgesie des Verletzen stellt speziell im Bergrettungseinsatz hohe Anforderungen an den Arzt. Bei ausreichender Analgesie sollten weder Hämodynamik oder Atmung noch das Bewusstsein des Patienten im alpinen Gelände stärker beeinflusst werden. In einer ICAR – Empfehlung wird aufgeführt, dass bei starken bis extremen Schmerzen nur Opiate oder Ketamin eine suffiziente Analgesie bieten können.

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Die intravenöse Applikation des Schmerzmedikaments kann aber aufgrund der äußeren Umstände manchmal zum Problem werden. Alternativ dazu bieten sich die orale Anwendung von Ketamin oder vor allem Fentanyl an. Mit der Entwicklung des sogenannten Fentanyl-Sticks könnte man auch in der Notfallmedizin ein adäquates Schmerzmittel in oraler Form erhalten. Schlüsselwörter: Schmerztherapie, prähospital, Bergrettung, Fentanyl, Ketamin. 1973 veröffentlichten die beiden Psychiater Marks und Sachar (1) eine vielbeachtete Studie, in der sie nachwiesen, dass bei einem Grossteil der Krankenhauspatienten starke Schmerzen unbehandelt blieben. Seit diesem Zeitpunkt steht die inadäquate Schmerztherapie nicht nur für den innerklinischen Bereich immer wieder im Mittelpunkt der Diskussionen. Auch bei der prähospitalen Versorgung von Traumapatienten sollte die akute Schmerztherapie neben der Sicherung der Vitalfunktionen einen Grundpfeiler darstellen.

HÄUFIGKEIT UND QUALITÄT DER SCHMERZTHERAPIE B E I N O T FA L L PAT I E N T E N Seit Wilson und Pendleton (2) 1989 den Begriff der „Oligoanalgesie“ in der Notfallmedizin prägten, zeigte sich im Bereich der Schmerzerkennung und Schmerztherapie in der Notfallmedizin zumindest ein erhöhtes Problembewusstsein. So untersuchten in den letzten Jahren mehrere Autoren inwieweit Ärzte und nicht ärztliches Personal die Schmerzintensität von Notfallpatienten richtig einschätzen. Unabhängig davon wer die Schmerzintensität beurteilt oder welches Verfahren zur Schmerzevaluierung eingesetzt wird, zeigt sich eine klare Tendenz die Schmerzen von Patienten zu unterschätzen (Tabelle 1 (3–7) ). Luger (7) und Mitarbeiter zeigen in einer prospektiv durchgeführten Studie an Notfallpatienten, dass 46 % der Notärzte und 67 % der Sanitäter die Schmerzen der Patienten in der Prähospitalphase unterschätzen und nur 27 % der

Autor Lafrati (3) Ducharme (4) Hofmann-Kiefer (5) Guru (6) Luger (7)

Patietenanzahl n = 98 n = 42 n = 462 n = 71 n = 70

unterschätzt 68 % 45 % 35 % 49 % 46 %

Tabelle 1

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Quelle J Burn Care Rehabil 1986 J Emerg Med 1995 Anästhesist 1998 J Emerg Med 2000 Acad Emerg Med 2003


Notärzte das Schmerzniveau richtig einstufen. Dementsprechend gering ist auch die Anwendung schmerztherapeutischer Maßnahmen. Selbst bei korrekter Schmerzbeurteilung werden die notwendigen Therapiemaßnahmen in vielen Fällen verzögert begonnen oder insuffizient durchgeführt. So zeigen Tanabe (8) und Mitarbeiter, dass Patienten, die bei der Aufnahme in der Notfallambulanz über Schmerzen klagen, in weniger als 20 % der Fälle eine Schmerztherapie durch Opiate erhielten. Zu einem vergleichbarem Ergebnis kommen Hofmann-Kiefer (5) und Mitarbeiter. Sie untersuchten die Qualität schmerztherapeutischer Maßnahmen bei der präklinischen Versorgung akut kranker Patienten und kamen zu folgendem Schluss: eine deutliche Schmerzreduktion ist durch eine konsequente analgetische Therapie auch während der präklinischen Notfallversorgung möglich. Sie wird aber nicht in ausreichendem Maß durchgeführt. So setzen nur rund 47 % der Notärzte Medikamente zur Schmerztherapie ein. In 33 % der Fälle findet überhaupt keiner schmerztherapeutischen Intervention statt. Ferner zeigt sich, dass sich die Schmerzeinschätzung und Therapie hinsichtlich Rasse, Geschlecht und Alter (9 – 15) unterscheiden. Im Kindesalter liegt die Rate der Schmerztherapie bei Traumapatienten noch unter der von Erwachsenen (16 – 19). Unter anderem beschreiben Friedland und Mitarbeiter (19), dass nur 31 % der Kinder mit Frakturen großer Röhrenknochen und 26 % der Kinder mit Verbrennungen zweiten Grades Analgetika erhielten.

SCHMERZTHERAPIE UND MORBIDITÄT Schmerz verursacht eine vermehrte Sympathikusaktivierung und eine erhöhte Konzentration an endogenen Katecholaminen im Plasma. Dies bewirkt unter anderem eine Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks sowie einer Vasokonstriktion peripherer Gefäße. Somit kann es zur Minderperfusion und zum Abfall des Sauerstoffpartialdrucks im Bereich der Verletzung kommen. Gemeinsam mit der durch erhöhte Cortisolspiegel möglichen Immunsuppression erhöht dies die Gefahr der Wundinfektion deutlich. Im Rahmen der medikamentösen Schmerztherapie wird die Sympathikusaktivierung und die Freisetzung endogener Katecholamine reduziert. Dies gilt auch für die nichtmedikamentöse Schmerztherapie. Außerdem reduzieren Schienungs- und Lagerungsmaßnahmen weitere Schädigungen des Gewebes. Dies wirkt sich laut einer Untersuchung von Schurmann und Mitarbeitern (20) günstig auf den weiteren Heilungserfolg aus.

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S P E Z I E L L E A N F O R D E R U N G E N A N D I E P R Ä H O S P I TA L E S C H M E R Z T H E R A P I E B E I M B E R G R E T T U N G S E I N S AT Z Gerade beim Bergrettungseinsatz liegen die Ansprüche an die Schmerztherapie auf hohem Niveau. Bei ausreichender Analgesie sollten weder Hämodynamik oder Respiration noch das Bewusstsein des Patienten stärker beeinflusst werden, da im alpinen Gelände die Überwachungsmöglichkeiten des Patienten während des Abtransports eingeschränkt sind. Außerdem erweist es sich als günstig, wenn der Patient während des Transports kooperativ bleibt. Die Anforderungen an das optimale Analgetikum sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Anforderungen an das optimale Analgetikum • leichte Applikationsmöglichkeit • ausreichende Analgesie • rascher Wirkungseintritt • keine oder geringe hämodynamische oder respiratorischeNebenwirkungen • keine oder nur geringe Einschränkungen des Bewusstseins

Tabelle 2

M Ö G L I C H K E I T E N D E R P R Ä H O S P I TA L E N S C H M E R Z T H E R A P I E Grundsätzlich bieten sich nichtmedikamentöse und medikamentöse Therapieformen. Zu den nichtmedikamentösen Maßnahmen zählen die optimale Lagerung des Patienten und die Schienung verletzter Regionen. • nichtmedikamentöse Schmerztherapie In einer Studie von Bledsoe (21) wird aufgezeigt, dass das Erkennen der Schmerzen der Notfallpatienten, die psychische Betreuung, eine adäquate Lagerung, physikalische Maßnahmen wie zum Beispiel die Anwendung von Kühlbeuteln und die Regulation des Wärmehaushalts des Patienten schon positive Effekte erzielen können. • medikamentöse Schmerztherapie Bei der medikamentösen Schmerztherapie können die zur Verfügung stehenden Analgetika intravenös, intramuskulär, oral oder nasal verabreicht werden. Das große Plus der intravenösen Analgetikagabe sind der rasche Wirkungseintritt und die gute analgetische Wirksamkeit. Allerdings können häufiger respiratorische oder hämodynamische Nebenwirkungen auftreten. Ferner kann sich die Applikation der intravenösen Medikamente schwierig gestalten. Hier sind intramuskulär oder oral verabreichte Medikamente deutlich im Vorteil. Der

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Wirkungseintritt erfolgt allerdings verzögert.. In einer ICAR – Empfehlung (www.ikar-cisa.org) des Jahres 1999 wird aufgeführt, dass bei starken bis extremen Schmerzen nur Opiate oder Ketamin eine suffiziente Analgesie bieten können. Folgende Medikamente werden empfohlen: 1. Nalbuphin moderates Opiat 2. Morphin starkes Opiat 3. Fentanyl sehr starkes Opiat 4. Ketamin potentes Analgetikum/Narkotikum Bei den Opiaten gilt Morphin als Standardmedikament, daher werden alle anderen Opiate hinsichtlich Wirkung und Nebenwirkung mit Morphin verglichen. In Tabelle 3 finden sich unter anderem die Wirkprofile der von der ICAR empfohlenen Analgetika (Quelle: 22,23, www.med.uni-heidelberg.de).

M Ö G L I C H E A LT E R N AT I V E N – E I N D E N K A N S T O ß Wie jeder aus eigenen Erfahrung weiß, können äußere Umstände wie kalte Außentemperaturen, Schlechtwetter, Wind, Dunkelheit oder extreme GeländePräparat

Substanz

Wirkeintritt (min)

Wirkdauer (h)

Dosis (iv) (mg)

Hauptnebenwirkungen

Morphin

Morphin

5 –15

3–5

2 –10

Dipidolor

Piritramid

5 – 20

5–6

7,5 - 15

Fentanyl

Fentanyl

2–3

0,5

0,1 – 0,2

Übelkeit Erbrechen RR-Abfall Atemdepression Übelkeit Erbrechen RR-Abfall Atemdepression Übelkeit Erbrechen RR-Abfall Atemdepression Thoraxrigidität

Ketanest S S-(+)-Ketaminhydrochlorid

1–2

Minuten 0,125 – 0,25 mg/kg

Tabelle 3

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RR ↑ Herzfrequenz ↑ Atemdepression Hirndruck ↑ Laryngospasmus Hyperreflexie Hypersalivation


verhältnisse die intravenöse Applikation von Analgetika schwierig werden lassen. Bieten in diesen Situationen orale, nasale oder transtermale Applikationsformen wie es für Ketamin oder Fentanyl möglich wäre eine Alternative? • Ketamin Ketamin zeigt nach parenteraler Gabe eine gute analgetische Wirkung mit geringen kardiorespiratorischen Nebenwirkungen. Eine mögliche orale Anwendung dieses Medikaments wir in einer im Jahr 2003 publizierten Studie beschrieben (24). So wird Ketamin erfolgreich als präoperatives Sedativum bei Kindern verwendet. Nach einer Gabe von 8 mg/kg Ketamin lassen sich OP-Vorbereitungen wie die Anlage eines Venenkatheters problemlos durchführen. Nebenwirkungen wie zum Beispiel Übelkeit, Erbrechen oder Unruhe treten laut Autoren dieser Studie extrem selten auf. Aus notfallmedizinischer Sicht interessant ist die Untersuchung von Younge (25). Hierbei kommt Ketamin in der Notaufnahme zur Anwendung. Kinder, bei denen unter Lokalanästhesie eine Wundversorgung durchgeführt werden muss, werden mit 10 mg/kg Ketamin per os sediert. Auch hier lässt sich die anschließende Behandlung problemlos durchführen. • Fentanyl Eine weitere Möglichkeit bietet die orale Applikation von Fentanyl. Es ist hinlänglich bekannt, dass Opiate in Kapsel- oder Tablettenform verabreicht werden können, allerdings tritt hierbei erst nach ungefähr 30 Minuten die Schmerlinderung ein. Bei der oralen Verabreichung von Fentanyl in flüssiger Form macht sich ein ausgeprägter Firstpass-Effekt mit großem Wirkverlust des Medikaments bemerkbar. Der Fenanyl-Stick bietet Fentanylcitrat in oraler transmuköser Form. Durch Reiben an der Wangenschleimhaut wird Fentanylcitrat freigesetzt. 25 % der Gesamtdosis werden in der Mundschleimhaut resorbiert, 75 % geschluckt und durch die intestinale Schleimhaut resorbiert. Durch den ausgeprägten Firstpass-Effekt kommt nur ein Drittel der geschluckten Dosis (=25 % der Gesamtdosis) in die systemische Zirkulation, das heißt ungefähr 50 % der Gesamtdosis werden wirksam. Bisher fand der Fentanyl-Stick in der postoperativen Schmerztherapie, bei Tumorpatienten und bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen seine Anwendung. Es ließ sich eine ausreichenden analgetischen Wirkung ohne großer kardialer oder respiratorischer Nebenwirkungen erzielen. Eine heuer publizierte Studie zeigt die erfolgreiche Anwendung des Fentanyl-Sticks in der Notfallmedizin. Kotwal und Mitarbeiter (26) beschreiben die Anwendung von Fentanylcitrat in oraler transmuköser Form bei hämodynamisch stabilen Patienten mit Extremitätenverletzungen während des Irak Kriegs. 22 Patienten

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erhielten Fentanylcitrat (1.600 mg ) in oraler transmuköser Form über einen Zeitraum von 10 Minuten. Die Schmerzintensität wurde von den Patienten auf einer Skala von 0 – 10 vor der Medikamentengabe, 15 Minuten und 5 Stunden nach Medikamentengabe bewertet. Sowohl 15 Minuten als auch 5 Stunden nach der Applikation von Fentanylcitrat zeigt sich eine signifikante Reduktion der Schmerzsymptomatik (Abbildung 1). Seitens der Nebenwirkungen zeigten sich vor allem Juckreiz (22,6 %), Übelkeit (13,6 %), Erbrechen (9,1) und Schwindelgefühle (9,1 %). In einem Fall wurde eine Hypoventilation beobachtet. Diese trat nach wiederholter Applikation von Fentanylcitrat (1.600 mg) und anschließender intravenöser Morphingabe auf. Die Autoren halten den Fentanyl-Stick für eine akzeptable Form der Schmerztherapie in der präklinischen Notfallversorgung. Sie fordern weitere Untersuchungen, um Richtlinien für die klinische Anwendung in der präklinischen Notfallmedizin aufstellen zu können. Bei uns ist nun das orale Fentanylcitrat in Form von Lutschtabletten (1.200 mg) erhältlich. Untersuchungen für die Anwendung in der Notfallmedizin stehen allerdings noch aus.

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Wo l f g a n g G . Vo e l c k e l

Neue Therapieansätze in der Behandlung des hämorrhagischen Schocks S U M M A RY Since the outcome of hemorrhagic shock is determined by the organism's ability to compensate a certain blood loss, several promising developments interfere with physiologic mechanisms, which render survival more likely. As such, four major potentially promising approaches to advanced trauma life support can be identified. First, control of hemorrhage by administration of local hemostatic agents, and a better, targetcontrolled management of the coagulation system. Second, improving intravascular volume by recruiting blood from the venous vasculature by preventing mistakes during mechanical ventilation, and by employing alternative spontaneous (i.e. use of the inspiratory threshold valve) or artificial ventilation strategies. In addition, artificial oxygen carriers are an alternative to conventional fluid resuscitation for volume replacement, and may improve oxygen delivery. Third, pharmacologic support of physiologic, endogenous mechanisms that are involved in the compensation phase of shock, and blockade of pathomechanisms that are known to cause irreversible vasoplegia. To date, arginine vasopressin and KATP channel blockers are the most promising drugs for hemodynamic stabilization of hemorrhagic shock. Fourth, employing potentially protective strategies such as mild or moderate hypothermia. Finally, the ultimate vision of trauma resuscitation is the concept of “suspended animation”, which consists of preservation (using hy-pothermia with or without drugs) of viability of the brain, heart, and organism, which increases the time available for resuscitative surgery followed by delayed resuscitation. Keywords: Hemorrhagic shock, hypovolemia, trauma, control of hemorrhage artificial oxygen carrier, vasopressin

Z U S A M M E N FA S S U N G Der hämorrhagische Schock wird mit Gegenregulationsmechanismen des Organismus beantwortet, welche zumindest ein temporäres Überleben ermöglichen. Neue Therapiestrategien abseits der klassischen Volumensubstitution können dort ansetzen, wo physiologische Kompensationsmechanismen unterstützt oder Dekompensationsmechanismen unterbrochen werden müssen. Insgesamt kön-

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nen vier Hauptzielgrößen einer zukünftigen Schockbehandlung identifiziert werden. Erstens, die Blutungskontrolle durch lokale blutstillende Maßnahmen, sowie durch eine Optimierung des Gerinnungssystems. Zweitens, eine Erhöhung des intravaskulären Volumens durch Ausschöpfung venöser Blutreserven, indem Fehler bei der kontrollierten Beatmung vermieden, und alternative Spontan- bzw. Beatmungskonzepte eingesetzt werden. Die Infusion von künstlichen Sauerstoffträgern ist eine weitere Alternative zur konventionellen Infusionstherapie, um das verlorene intravasale Volumen sinnvoll zu ersetzen und die zelluläre Sauerstoffversorgung zu gewährleisten. Drittens, eine pharmakologische Interaktion mit endogenen Kompensations- und Dekompensationsmechanismen. Hier sind die Gabe von Arginin-Vasopressin sowie von KATP Kanalblockern die derzeit aussichtsreichsten Therapieoptionen. Viertens, die Anwendung protektiver Maßnahmen, wie die Induktion einer moderaten Hypothermie. Ultimative Zukunftsvision in der Behandlung des vital bedrohlichen hämorrhagischen Schocks ist die „Suspended Animation“ im Sinne einer postponierten Wiederbelebung nach Protektion vitaler Organsysteme. Schlüsselwörter: Hämorrhagischer Schock, Hypovolämie, Trauma, Künstliche Sauerstoffträger, Vasopressin

EINLEITUNG Die gegenwärtigen, etablierten Therapiekonzepte zur Behandlung des Polytraumas basieren im Wesentlichen auf den medizinischen Erkenntnissen der großen kriegerischen Auseinandersetzungen des vergangenen Jahrhunderts. Noch während des 1. Weltkrieges hatte Cannon die Richtlinie vertreten, dass keine Flüssigkeit zugeführt werden sollte, bevor die Blutung des Verwundeten kontrolliert worden ist. Zu groß sei die Gefahr, dass der „Wundschock“ unabwendbar werden könnte [11]. Die Erkenntnisse des zweiten Weltkrieges und des Koreakonfliktes haben durch ein besseres Verständnis der Pathophysiologie des hämorrhagischen Schocks, der Transfusionsmedizin und der „endotrachealen Anästhesie“ der modernen Kriegs- und Notfallmedizin zu ihrem Durchbruch verholfen [64]. Als logische Konsequenz gehören die endotracheale Intubation und kontrollierte Beatmung, die Schaffung peripherer Gefäßzugänge, sowie eine frühest mögliche Infusionstherapie heute zu den scheinbar unumstößlichen Eckpfeilern in der präklinischen Versorgung von Patienten mit hämorrhagischem Schock. Eine mögliche Abkehr von diesen Paradigmen erscheint fernab unseres Vorstellungsvermögens und entbehrt zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) einer hinreichenden wissenschaftlichen Evidenz. Dennoch muss die Frage gestellt werden, ob unsere derzeitigen Therapiekon-

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zepte tatsächlich die Überlebenswahrscheinlichkeit von polytraumatisierten Patienten erhöhen, oder anders ausgedrückt, ob einzelne Interventionen möglicherweise mehr schaden denn nützten. Als solche haben nicht nur die pointierte Arbeit von Bickell et al. [5], sondern auch die Metanalysen der Cochrane-Datenbank [40] die Effektivität der Primärtherapie beim unkontrollier-ten hämorrhagischen Schock in Hinblick auf den Zeitpunkt und die verabreichten Infusions-volumina in Frage gestellt. Die nachfolgende wissenschaftliche Diskussion hat nunmehr zu einer differenzierteren Auseinandersetzung mit der Volumenersatztherapie beim Polytrauma im Allgemeinen [34–36], sowie dem Konzept der permissiven Hypotension [33, 37] bzw. der „kontrollierten Infusionstherapie“ [10] im Speziellen geführt. Trotz überzeugender tierexpe-rimenteller Daten [50] kann das Konzept der permissiven Hypotension nicht generell emp-fohlen werden, und wird Einzelfällen vorbehalten bleiben müssen [33]. Der Grund liegt auf der Hand: kein Trauma gleicht dem Anderen, und komplexe Verletzungsmuster erfordern ggf. widersprüchliche Behandlungsziele. So steht die Notwendigkeit einer maximalen Kreislaufstabilisierung beim Schädel-Hirntrauma im Widerspruch zu den möglichen Vorteilen einer permissiven Hypotension bei einer gleichzeitigen unkontrollierbaren Blutung im Bauchraum. Zusammengefasst steht derzeit nicht nur der klinische Beweis aus, dass eine „richtig indizierte“, permissive Hypotension Leben rettet [15]; es fehlen auch eindeutige, wissenschaftlich abgesicherte Anhaltspunkte wie viel und welche Infusionslösungen in welchen Situationen verabreichtet werden sollten [40, 63]. Ähnliches gilt für die gegenwärtige Strategie einer frühest möglichen Narkoseeinleitung mit dem Ziel einer endotrachealen Intubation und kontrollierten Beatmung. Die negativen Kreislaufeffekte einer intermittierenden positiven Druckbeatmung sind alt bekannt [57], jedoch erst vor Kurzem erneut Gegenstand experimenteller Untersuchungen geworden [60, 69]. Auch wenn prinzipiell spekuliert werden kann, dass eine frühe, kontrollierte Beatmung das Risiko für ein posttraumatisches Lungenversagen oder ARDS verringert [78], so konnte ein eindeutiger Überlebensvorteil trotz positivem Trend bislang nicht nachgewiesen werden [1, 6, 7, 75]. Darüber hinaus müssen Mängel in der Qualität der präklinischen Beatmung festgestellt werden [25]; ein Umstand der umso schwerer wiegt je ausgeprägter der Schockzustand ist. So erscheint beispielsweise der negative Zusammenhang zwischen einer, den venösen Rückstrom behindernden Hyperventilation vor allem im Stadium eines extrem geringen Blutflusses wie bei der kardiopulmonalen Reanimation nahe liegend [4].

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DER HÄMORRHAGISCHE SCHOCK – EIN KOMPLEXES KRANKHEITSBILD Eine Hypovolämie ist typischerweise mit einer Abnahme des Blutvolumens gleichzusetzen, wobei die Hämorrhagie die häufigste Ursache für den hypovolämen Schock darstellt. Als unmittelbare Folge des Blutvolumenverlustes kommt es zu einer Abnahme der systemischen Füllungsdrücke und des venösen Rückstroms. Die zwangsläufige Abnahme des Herzminutenvolumens und die daraus resultierende Sauer- und Nährstoffminderversorgung von Organsystemen, setzt eine pathophysiologische Kaskade in Gang, welche in ihren wesentlichen Komponenten nochmals in Abbildung 1 zusammengefasst ist. In Abhängigkeit vom Blutvolumenverlust, sowie vom physiologischen Ausgangszustand des Organismus wird der zwangsläufige Ablauf einer Hämorrhagie entweder durch endogene Kompensationsmechanismen zum Stillstand kommen, durch eine zielgerichtete Intervention durchbrochen werden können, oder aber trotz maximaler Therapiemaßnahmen unumkehrbar tödlich enden. Aus einem kompensierten, nichtprogressiven Schock entwickelt sich durch entsprechende „feedback Mechanismen“ ein progressiver Schock mit rasch fort-

Vermindertes Herzzeitvolumen

Verminderter arterieller Blutdruck

Verminderter systemischer Blutfluss

Verminderte Versorgung des Herzen

Verminderte Versorgung des Gewebes

Verminderte Versorgung des Gehirns

Verminderte Versorgung des vaskulären Systems

Verminderte Vasomotorik

Erhöhte Kapillarpermeabilität

Intravaskuläre Thrombusbildung

Gewebsischämie

Freisetzung von Toxinen

Vasodilatation Venöses Pooling des Blutes

Vermindertes Blutvolumen

Kardiale Depression

Verminderter venöser Rückstrom

Abbildung 1 Pathophysiologische Kaskade des hämorrhagischen Schocks nach Guyton [23].

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schreitender Symptomatik. Ein Schockzustand ist prinzipiell reversibel, solange eine kritische Blutvolumenschwelle nicht unterschritten wird. An dieser virtuellen Grenze sind es vermutlich nur wenige Milliliter Blutvolumen, welche darüber entscheiden ob endogene Kompensationsmechanismen bzw. exogene Therapiemaßnahmen noch greifen können. Ist diese Schwelle überschritten, können Wiederbelebungsmaßnahmen im Sinne von Blutstillung und Blutersatz, sowie pharmakologische Interventionen zwar anfangs erfolgreich sein, die Kreislaufstabilisierung ist meist jedoch nur von kurzer Dauer und mündet zwangsläufig in einem letalen Ausgang. Von dieser Frühmortalität sind die verzögerten Todesfälle zu unterscheiden, die als Spätfolge einer protrahierten Hypotension mit einem nachfolgenden „Systemic Inflammatory Response Syndrom“, Multiorgandysfunktionssyndrom bzw. Multiorganversagen zur Gesamtletalität des hämorrhagischen Schock von etwa 30 % beitragen [15].

S T E L L E N W E RT D E R H Y P O T E N S I O N I N D E R PROGNOSE DES SCHOCKS Die präklinische Hypotension ist der wesentliche Prädiktor für die Schwere der Verletzung, und spiegelt das Ausmaß des Blutvolumenverlustes wider [12]. Dennoch maskiert eine frühe sympathoadrenerge Gegenreaktion den Blutvolumenverlust. Die sympathische arterioläre Vasokonstriktion führt zu einer Erhöhung des systemischen Gefäßwiderstandes, zu einer Konstriktion venöser Kapazitätsgefäße, und zu einer Zunahme der Herzfrequenz. Insgesamt ist die endogene Stressantwort mehr auf die Aufrechterhaltung des vaskulären Füllungszustandes und damit des arteriellen Blutdruckes, als auf den Erhalt des Herzzeitvolumens ausgerichtet. Ohne sympathoadrenerge Kompensationsmechanismen kann ein Blutverlust von 15 – 20 % über 30 Minuten nicht überlebt werden; die endogene Stressantwort verdoppelt diesen Wert auf 30 – 40 % [23]. Damit muss die Annahme, dass der arterielle Blutdruck direkt mit dem systemischen Blutfluss korreliert, verworfen werden, oder anders ausgedrückt, die Abnahme des Herzminutenvolumens erfolgt früher und ist in der Frühphase des Schocks ausgeprägter als das Absinken des arteriellen Blutdruckes. Es ist also höchst problematisch und irreführend, primäre Therapiemaßnahmen am systolischen Blutdruck zu orientieren [80]. Im Umkehrschluss rechtfertig jede Hypotension erweiterte Therapiemaßnahmen. In einer Kohortenstudie von Heckbert et al. war die traumatische, hämorrhagische Hypotension hoch prädiktiv für die Mortalität (54 %) und Morbidität im Sinne eines posttraumatischen Organversagen.

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K O M P E N S AT I O N S - U N D D E K O M P E N S AT I O N S M E C H A N I S M E N IM HÄMORRHAGISCHEN SCHOCK Die Fähigkeit des Organismus eine Hypovolämie temporär zu kompensieren, ist an endokrine bzw. neurohumorale Kompensationsmechanismen geknüpft. Durch eine Stimulation der Barorezeptoren wird eine sympathikoadrenerge Reflexantwort getriggert, welche eine Freisetzung von Adrenalin aus dem Nebennierenmark und von Noradrenalin aus den peripheren Nervenendigungen zur Folge hat. Die vasokonstriktorischen Effekte der Katecholamine werden über postsynaptische 1- und extrasynaptische 2-Rezeptoren vermittelt. Die gleichzeitige Stimulation der präsynaptischen 2-Rezeptoren blockiert jedoch eine weitere Noradrenalinausschüttung aus den terminalen Nervenendigungen. Dieser negative Rückkopplungsmechanismus scheint einer der Gründe für die vaskuläre Dekompensation in der Spätphase des hämorrhagischen Schocks zu sein [8]. Eine anhaltende Stimulation der Sinoaortalen Hochdruckrezeptoren im Aortenbogen und Carotissinus, sowie der Niederdruckrezeptoren im Herzen und der pulmonalen Gefäßstrombahn induziert die Ausschüttung von Stresshormonen wie Arginin-Vasopressin (AVP). Neben einer direkten, V1 Rezeptor vermittelten Vasokonstriktion potenziert AVP auch die vasokonstriktorischen Effekte von Angiotensin II und Noradrenalin [21]. Aufgrund dieser synergistischen Effekte und der günstigen Verteilung der V1 Rezeptoren in nicht vitalen Organsystemen, scheint AVP eine besondere Rolle in der Kompensation des hämorrhagischen Schocks einzunehmen. Darüber hinaus spielen die ATP – sensitiven Kaliumkanäle (KATP) in den glatten Gefäßmuskelzellen eine wesentliche Rolle in der Regulation des Gefäßtonus. Interessanterweise werden die vasokonstriktorischen Effekte von AVP auch einer Blockade der KATP Kanäle zugeschrieben [20, 65]. Schock und Hypoxämie führen zu einer Aktivierung der KATP Kanäle, was eine Hyperpolarisation der glatten Muskelzelle, einen verminderten Calcium Einstrom und eine vermehrte Bildung von NO zur Folge hat (Abb. 4) [9]. Therapeutische Eingriffe in die, hier nur grob skizzierten, endogenen Kompensations- und Dekompensationsmechanismen des hämorrhagischen Schocks, stellen eine mögliche Alternative zu konventionellen Behandlungsmaßnamen dar.

NEUE OPTIONEN IN DER BEHANDLUNG DES HÄMORRHAGISCHEN SCHOCKS Der Goldstandard bei der Behandlung des Traumas ist die frühestmögliche, definitive Versorgung der Verletzung, mit einer gleichzeitigen Wiederherstel-

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lung der Homöostase. Diesem Maximalanspruch kann meist nur mit einer zeitlichen Latenz entsprochen werden, sodass die Notfalltherapie zunächst darauf ausgerichtet sein muss, die Kompensationsphase des Schocks zu prolongieren. Die in diesem Übersichtsartikel vorgestellten Therapieansätze (Tabelle 1) sind realitätsnahe und sind zum Teil durch erste klinische Ergebnisse untermauert. Zielgröße Blutungskontrolle

Therapiemaßnahmen Lokale blutstillende Maßnahmen Optimierung der Blutgerinnung Vermeiden von Beatmungsfehlern Optimieren des venösen Rückstroms Künstliche Sauerstoffträger Arginin-Vasopressin KATP Kanal – Blocker Kontrollierte Hypothermie Suspended Animation

Intravaskuläres Volumen

Gefäßtonus Organprotektion

Tabelle 1: Neue Therapieansätze in der Behandlung des hämorrhagischen Schocks

LOKALE UND SYSTEMISCHE BLUTUNGSKONTROLLE Quick Clot™ als blutstillende Substanz Jeder Blutstillung ist als kausale Therapiemaßnahme oberste Priorität einzuräumen. Auch wenn nur wenige Verletzungsmuster wie z. B. große Weichteil- und Gefäßverletzungen mit diffuser, lebensbedrohlicher Blutung einer äußerlichen Behandlung zugänglich sind, so können eine Kompression und Wundverband möglicherweise inadäquat sein. Eine Entwicklung aus, und überwiegend für den militärischen Bereich ist das „hemostatic agent“ Quick Clot™, ein inertes Granulat unbekannter Zusammensetzung. Alam et al. untersuchten an jeweils 6 Schweinen die blutstillenden Eigenschaften unterschiedlicher Hämostyptika und Wundverbände. Durch einen tiefen Schnitt in der Leiste wurde nicht nur ein entsprechendes Weichteiltrauma gesetzt, sondern auch die Arteria und Vena femoralis eröffnet. Nach einer unkontrollierten Blutungsphase von 5 Minuten wurde das Quick Clot™ Granulat eingestreut und die Wunde manuell komprimiert. Evaluiert wurde das Kurzzeitüberleben bis zur 180. Minute, das Blutdruckverhalten unter mäßiger Flüssigkeitssubstitution (1.000 ml Ringerlactat), sowie der weitere Blutverlust. Die Mortalitätsrate war in der Behandlungsgruppe signifikant niedriger (0 vs. 33 – 83 %); weitere Unterschiede waren aufgrund der geringen Stichprobengröße aber nicht nachweisbar [2]. Wright et al. publizierten vor kurzen einen ersten Fallbericht über eine klinische Anwen-

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dung von Quick Clot™ . Hierbei wurde bei einem Patienten mit multiplen Schussverletzungen eine schwerwiegende, intrathorakale Blutung der dorsalen Thoraxwand, sowie des Beckens und der Hüfte mit dem Granulat behandelt nachdem konventionelle operative Maßnahmen der Blutstillung versagt hatten. Die Blutung konnte mit einer begleitenden Tamponade erfolgreich gestillt werden; der Patient wurde nach 18 Tagen klinischer Behandlung entlassen [81]. Im IrakKrieg gehörte Quick Clot™ zur Standardausrüstung der US-Soldaten. Für Europa liegt laut Firmenaussage eine CE-Zertifizierung vor. Die derzeitige Datenlage ist noch mehr als mangelhaft.

Zielgerichtetes Gerinnungsmanagement Aus neueren Daten geht hervor, dass das Vorliegen einer Gerinnungsstörung bei polytraumatisierten Patienten das Ausmaß der Schwere der Verletzung wiederspiegelt und mit der Mortalität korreliert [49]. Die Gerinnungsstörungen beim polytraumatisierten blutenden Patienten sind komplex und multifaktoriell bedingt [3]. Meist besteht eine Kombination aus Verlust- und Verdünnungskoagulopathie. Verschiedene Metaanalysen lassen den Schluss zu, dass die Verabreichung von Kolloiden durch eine Beeinträchtigung der Hämostase mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist [67]. Daneben ist die Hypothermie eine fast unvermeidliche Komplikation bei polytraumatisierten Patienten. Tierexperimentelle Untersuchungen konnten zeigen, dass nicht nur die plasmatische Gerinnung reversibel gehemmt wird, sondern auch die Thrombozytenfunktion beeinträchtigt wird. Kritische Körpertemperaturen, aus hämostaseolo-gischer Sicht, bewegen sich zwischen 32° C und 35° C [30]. Darunter ist mit einer klinisch relevanten Beeinträchtigung der Gerinnung und erhöhten Blutverlusten zu rechnen. Hyperfibrinolyse, Azidose und metabolische Veränderungen tun ein Übriges um eine schwerwiegende Gerinnungsstörung zu unterhalten. Die Gerinnungstherapie eines blutenden, polytraumatisierten Patienten sollte so früh wie möglich, am besten schon bei Aufnahme im Schockraum nach der Stabilisierung der Vitalparameter erfolgen. Dafür ist eine schnelle Analyse der aktuellen Gerinnungssituation unerlässlich. Mit Hilfe der „bedside“ Thrombelastographie (ROTEM®) kann in wenigen Minuten zwischen einem primären Hämostasedefekt, einem plasmatischen Gerinnungsproblem sowie einer Hyperfibrinolyse differenziert werden. Neben Frischplasmen und Thrombozytenkonzentraten stehen Antifibrinolytika und Gerinnungsfaktorenkonzentrate für eine Korrektur der Gerinnungsstörung zur Verfügung. Von den Letzteren ist der rekombinante aktivierte Faktor VIIa kürzlich in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.

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Rekombinanter aktivierter Faktor VIIa (rFVIIa; NovoSeven®) wurde ursprünglich zur Behandlung der Hemmkörperhämophilie erzeugt und angewendet. In den letzten Jahren wurde rFVIIa erfolgreich in tierexperimentellen Studien und zahlreichen Fällen traumatischer und chirurgischer Blutungen eingesetzt [28, 47, 48, 51, 52]. In supraphysiologischer Dosierung wird rFVIIa an den aktivierten Thrombozyten gebunden und bewirkt dort einen „Thrombin Burst“, was zur Bildung eines äußerst stabilen Fibringerinnsels führt. Bei potentiell lebensbe-drohlichen Blutungen, die chirurgisch oder interventionell angiographisch nicht sanierbar sind, kann rFVIIa als ultima ratio angewendet werden. Ob rFVIIa zukünftig eine Therapie der ersten Wahl bei massiv blutenden, polytraumatisierten Patienten sein kann, wird nicht zuletzt wegen den damit verbundenen hohen Kosten heftig diskutiert.

E R H Ö H U N G D E S I N T R AVA S K U L Ä R E N V O L U M E N S Vermeiden von Beatmungsfehlern Die negativen Effekte einer intermittierenden positiven Druckbeatmung (IPPV) auf den Kreislauf sind seit der grundlegenden Untersuchung von Counard et al. vor mehr als 50 Jahren bekannt [14]. Im Unterschied zur Spontanatmung, welche in der Inspirationsphase von einem intrathorakalen Druckabfall begeleitet ist und somit den Rückstrom von venösem Blut zum Herzen begünstigt, hat die IPPV einen gegenteiligen Effekt. Noch ausgeprägter ist die Abnahme des venösen Rückstroms unter kontinuierlicher positiver Druckbeatmung (CPPV) [19]. Es steht außer Frage, dass die PEEP bzw. CPPV Beatmung eine potentiell vital bedrohliche Oxygenationsstörung durchbrechen kann. Es muss jedoch auch damit gerechnet werden, dass in der Notfallbeatmung Fehler gemacht werden [4, 25] und somit wesentliche Volumenreserven aus den venösen Kapazitätsgefäßen verloren sind. In einer tierexperimentellen Untersuchung (druckkontrolliertes Schockmodell; MAP < 65 mm Hg) konnten Pepe et al. die Effekte unterschiedlicher Beatmungsfrequenzen auf den Kreislauf zeigen. Die schrittweise Erhöhung bzw. Erniedrigung der Beatmungsfrequenzen war jeweils von ausgeprägten Veränderungen des MAP, koronarem Perfusionsdruck und HZV begleitet. Wurde bei konstanten Atemzugvolumen und 0,28 FiO2 die Beatmungsfrequenz von 30 auf 6/min reduziert, so konnte ein Blutdruckanstieg um 25 – 30 % (von 66 auf 95 mm Hg) beobachtet werden [60]. In einer bislang noch unpublizierten Untersuchung an einem volumenkontrollierten Schockmodell verglichen Krismer et al. eine kontrollierte Beatmung mit 0 vs. 5 vs. 10 cm H2O PEEP hinsichtlich Blutdruckverhalten und Kurzzeitüberleben über 120 min. Hierbei hatte die 0PEEP Gruppe vs. der 5 bzw. 10 cm H2O PEEP Gruppe sowohl signifikant höhe-

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re Blutdruckwerte (36 vs. 22 vs. 16 mm Hg) als auch das bessere Kurzzeit-überleben (7/7 vs. 0/7 vs. 0/7) [38]. Ist also eine Notfallbeatmung indiziert, so muss eine Normoventilation mit hohen inspiratorischen Sauerstoffkonzentrationen angestrebt werden. Im schweren hämorrhagischen Schock sollte solange wie möglich auf eine PEEP bzw. CPPV Beatmung verzichtet werden. Optimieren des venösen Rückstroms durch alternative Beatmungstechniken Aus den zuvor genannten Überlegungen leitet sich zwangsläufig die Frage ab, ob im hämorrhagischen Schock der Rückstrom von venösem Blut zum Herzen durch eine Augmentierung der intrathorakalen Druckschwankungen erhöht werden kann. Hier bietet sich als wesentliche therapeutische Option die aktive Inspiration gegen Widerstand an. Diese Konzept basiert hierbei auf dem Wirkprinzip des für die CPR entwickelten In-spiratory Threshold Valve (ITV; ResQPod™). Dieses zwischen Tubus und Beatmungsbeutel positionierte Ventil verhindert das passive Einströmen von Luft bzw. Beatmungsgas während der Relaxationsphase der Herzdruckmassage. Als logische Konsequenz muss der, durch die elastischen Rückstellkräfte des Brustkorbs verursachte, intrathorakale Druckabfall stärker ausgeprägt sein, was einen vermehrten Rückstrom von venösem Blut aus der unteren Körperhälfte zur Folge hat. Wird das ITV in der CPR eingesetzt, so konnten sowohl im Tierexperiment als auch in ersten klinischen Studien bessere Ergebnisse hinsichtlich der Hämodynamik, und damit unmittelbar zusammenhängend, des Outcomes erzielt werden [43–45, 69]. Mittlerweile liegen die Daten einer umfassenden Tierversuchsreihe bezüglich der Anwendung des ITV im Rahmen eines druckkontrollierten Schockmodells vor [46]. Die Anwendung des ITV am spontanatmenden, endotracheal intubierten, schockierten Versuchstier führte zu einem signifikanten Anstieg der mittleren systolischen Blutdruckwerte von 70 auf 105 mm Hg. Gleichzeitig nahm das Herzminutenvolumen um mehr als 30 % zu [46]. Ein weiteres Tiermodell der selben Forschungsgruppe veranschaulicht die hämodynamischen Effekte des ITV mittels einer TEE Untersuchung des rechtsventrikulären Füllungszustandes [66]. In einer einzelnen Versuchsreihe an gesunden, normovolämen Probanden konnten die zuvor geschilderten hämodynamischen Effekte bei spontaner Atmung über eine ITV-Maske bestätigt werden (Covertino et al. Posterpräsentation 2003). Bei erhaltener, nicht eingeschränkter Spontanatmung kann möglicherweise die aktive Inspiration gegen einen Widerstand in Zukunft eine Schockbehandlungsoption für ein Schlachtfeld- oder Ersthelferszenario sein. Das ITV kann hierbei durch eine Augmentierung der intrathorakalen Druckschwankungen noch erhebliche Blutreserven aus den venösen Kapazitätsgefäßen mobilisieren.

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Künstliche Sauerstoffträger Die kontroverse Diskussion, ob und welcher Volumenersatz tatsächlich für die Behandlung des hämorrhagischen Schocks geeignet ist, hat die künstlichen Sauerstoffträger bislang nicht miteinbezogen. Artifizielle Sauerstoffträger sind kein vollwertiger Ersatz für eine Bluttransfusion, und ihr Stellenwert in der Behandlung des hämorrhagischen Schocks muss noch definiert werden. Man unterscheidet prinzipiell zwischen den synthetischen Perfuorocarbon (PFC)-Emulsionen und den zellfreien, modifizierten Hämoglobinlösungen. Perfuorocarbon-Emulsionen sind biologisch und chemisch inerte KohlenstoffFluor-Verbindungen mit einer niedrigen Viskosität und einem hohen physikalisches Lösungsvermögen für Gase (O2, CO2). Die Sauerstoffaufnahme und -abgabe geschieht durch einfache Diffusion, daher zweimal schneller als beim Hämoglobin, und ist direkt proportional zum Sauerstoffpartialdruck. Zur Erreichung der vollen Wirksamkeit der PFC ist ein FiO2 von 1,0 notwendig. Die intravasale Halbwertzeit des PFC wird durch die Aufnahme in das retikuloendotheliale System (RES) bestimmt. Dort wird PFC metabolisiert und letztendlich über die Lunge abgeatmet. Im massivem hämorrhagischen Schock bei Hunden stellte die Gabe von PFC und Kristalloiden im Vergleich zur alleinigen Kristalloid-Infusion die Gewebe-Oxygenierung wieder her und führte zu einer höheren, aber nicht signifikant besseren Überlebensrate (8/8 vs. 5/8 Tiere) [22]. Zellfreie Hämoglobinlösungen werden aus abgelaufenen Erythrozyten-Konzentraten, aus Rinderblut oder gentechnologisch hergestellt. Ihnen gemeinsam ist der Verlust der schützenden Zellmembran und des 2,3-Diphosphoglyzerates, was zu einer erhöhten Sauerstoffaffinität des Hämoglobins mit schlechterer O2-Abgabe an das Gewebe führt (Linksverschiebung der O2-Bindungskurve). Die Hämoglobinlösungen erhöhen den kolloidosmotischen Druck; damit ist ihr Volumeneffekt höher als die Netto-Infusionsmenge [53]. Allerdings verursachen die Hämoglobinlösungen auch eine Vasokonstriktion mit nachfolgendem Blutdruckanstieg, welcher durch unterschiedliche Faktoren (z. B. NOScavenging) bedingt ist [68]. Dieser Effekt ist bei den neueren oberflächenmodifizierten Hämoglobinlösungen deutlich geringer ausgeprägt [79]. Dass die Zukunftsvision der künstlichen Sauerstoffträger noch nicht erfüllt ist ver-deutlicht das vorzeitige Ende einer Phase III U.S.-amerikanischen Multizenterstudie mit einer _-_-Diaspirin vernetzten Hämoglobinlösung [71, 72]. Das Ziel war herauszufinden, ob die Infusion von bis zu 1.000 ml der Hämoglobinlösung, während der initialen (hospital resuscitation) Schockbehandlung die 28-Tage Mortalität bei blutenden Traumapatienten senken kann. Die Studie wurde nach 112 Patienten gestoppt, da die Zwischenauswertung eine signifikant erhöhte 28-Tages Mortalität der Hämoglobinlösungsgruppe im Vergleich zur Kon-

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trollgruppe (46 vs. 17 %) ergeben hatte. Die Untersucher konnten die exzessive Mortalität nicht mit einer spezifischen Morbidität korrelieren. Sie schlossen auf den unerwünschten vasopressorischen Effekt der speziellen Hämoglobinlösung als mögliche Ursache, und damit entweder auf eine Verstärkung der Blutung an sich oder auf eine Mikrozirkulationstörung. In einer europäischen Phase III Multizenterstudie wurde Patienten mit schwerem hämorrhagischen Schock bereits am Einsatzort eine _-_-Diaspirin vernetzten Hämoglobinlösung infundiert [29]. Im Vergleich zur Kontrollgruppe waren weder die Inzidenz eines Organversagen noch das 5- bzw. 28-Tages-Überleben unterschiedlich, und die Untersuchung wurde nach 121 Patienten abgebrochen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann keine abschließende Empfehlung für die Anwendung von artifiziellen Sauerstoffträgern im hämorrhagischen Schock abgegeben werden.

M O D U L AT I O N D E S G E F Ä S S T O N U S Die Fähigkeit des Organismus, eine Hypovolämie durch eine Verengung der Gefäßstrombahn auszugleichen, und gleichzeitig den Blutstrom zu den vitalen Organsystemen zu kanalisieren ist der wesentliche Schlüssel zum Überleben im Schock. Um die Kompensationsphase des hämorrhagischen Schocks zu prolongieren müssen pharmakologische Maßnahmen die reaktive Vasokonstriktion verstärken, die konsekutive Blutumverteilung optimieren und einer Vasoplegie entgegenwirken bzw. diese durchbrechen. Arginin Vasopressin Arginin Vasopressin (AVP) wird eine zentrale Rolle in seiner Funktion als endogenes Stresshormon zugewiesen. Durch einen Blutdruckabfall wird die Sekretion von AVP induziert und erreicht das bis zu 40-Fache des physiologischen Wertes; die AVP Clearance sinkt gleichzeitig auf ein Viertel [17]. Dieser Anstieg der AVP-Plasmakonzentration hat typischerweise einen Anstieg des systemischen Gefäßwiderstandes zur Folge, wobei die Umverteilung des Blutflusses im wesentlichen zu Gunsten von Herz, Gehirn und Niere, jedoch zu Lasten von Haut, Muskulatur, Fett und Dünndarm erfolgt [20]. Wesentlicher Faktor für die hämodynamische Stabilisierung unter AVP ist der Anstieg des ZVD, d. h. die Mobilisation von Blutvolumen aus den venösen Kapazitätsgefäßen [16]. Die tierexperimentellen Untersuchungen zur Kreislaufstabilisation mit AVP im hämorrhagischen Schock sind vielversprechend. Morales et al. gelang der Nachweis, dass AVP, nicht jedoch Noradrenalin oder Dopamin eine Hypotension in

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der irreversiblen Phase eines hämorrhagischen Schocks durchbrechen kann [56]. In diesem interessanten Tiermodell wird ein prologierter hämorrhagischer Schock, trotz einer passiven und aktiven Retransfusion des verlorenen Blutvolumens, therapierefraktär, und ist konventionellen Behandlungsmethoden nicht mehr zugänglich. AVP ermöglichte nicht nur eine Blutdruckstabilisierung, sondern auch ein Überleben der Versuchstiere während der gesamten Untersuchungsdauer. In einer eigenen Versuchsreihe wurde ein Tiermodell mit einer unkontrollierten Blutung aus einer penetrierenden Leberverletzung entwickelt. Ziel war dabei die Simulation eines therapiefreien Intervalls (im Sinne eines Eintreffen des Rettungsdienstes), gefolgt von einer Stabilisierungsphase ohne Blutungskontrolle, sowie einer abschließenden, definitiven Versorgung mit operativer Blutstillung und Volumenersatz. Innerhalb der ersten 30 Minuten nach Inzision des rechten Leberlappen entwickelte sich eine vital bedrohliche Hypovolämie mit MAP Werten um 20 mm Hg. Als Interventionszeitpunkt für die Behandlung wurde das Einsetzen einer raschen Ab-nahme der Herzfrequenz im Sinne einer beginnenden periarrest Bradyarrhythmie definiert. Wurde zu diesem Zeitpunkt mit einer Druckinfusion von Ringerlactat und Hydroxyäthylstärke begonnen, so flammte die Blutung aus dem Leberbett mit neuer Intensität auf; die Versuchstiere verstarben innerhalb von längstens 24 Minuten an einer protrahierten Hämorrhagie und somit einer Verdünnungsanämie [62]. Wurde zur hämodynamischen Stabilisierung Adre-nalin (als Bolus und Dauerinfusion) gewählt, so konnte zwar kurzzeitig die Herzfrequenz angehoben werden, der Blutdruckeffekt war jedoch marginal. Alle Versuchstiere verstarben innerhalb von 15 Minuten nach Intervention [77]. Einzig bei den mit Vasopressin (0,4 U/kg Bolus und 0,08 U/kg/min Infusion) behandelten Schweinen war es möglich, den Blutdruck auf annähernd normale Werte anzuheben und alle Tiere über 30 Minuten ohne begleitende Infusionstherapie am Leben zu erhalten. Interessanterweise kam es dabei nicht zu einem erneuten Aufflammen der Blutung aus dem Leberbett; ein Effekt, der sich mit der temporären Vasokonstriktion der Mesenterialgefäße und damit einer Abnahme des Blutflusses in der Pfortader erklären lässt [62, 73, 77]. Hinsichtlich einer klinischen Anwendung an Patienten mit einem schweren, hämorrhagischen Schock bzw. einem therapierefraktären, hypovolämen Herzkreislaufstillstand liegen bereits erste Fallberichtsserien vor. Morales berichtet von zwei Patienten mit gastrointestinaler Blutung, bei denen der therapierefraktäre Schock mit einer AVP Infusion von 1 bzw. 4 mU/kg/min durchbrochen werden konnte [56]. Haas schildert eine erfolgreiche, temporärere Kreislaufstabilisierung bei einem schweren Polytrauma mit zunächst therapierefraktärem Herzstillstand [24].

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KATP Kanal – Blocker Gewebshypoxämie, Minderperfusion und septischer Schock resultieren in einer Aktivierung des KATP Kanals in der glatten Gefäßmuskelzelle. Als Folge dieser Aktivierung kommt es zu einer Hyperpolarisation, und damit zu einer Blockade der spannungsabhängigen Kalziumkanäle. Ein verminderter Kalziumeinstrom führt zu einem Absinken der intrazellulären Kalziumkonzentration, und mündet damit in einer elektromechanischen Entkoppelung und deletären Vasoplegie. Zuletzt kommt es auch zur Alteration der tight junctions und zum strukturellen Zellschaden [13, 41, 76, 83]. Darüber hinaus ist auch die Insulinsekretion aus dem Pankreas durch den KATP Kanal gesteuert. Als KATP Kanal Blocker sind insbesondere die Sulfonylharnstoffe (Glibenclamid, Tolazamid) identifiziert worden, und in der Behandlung des Diabetes mellitus klinisch verankert. Der Einsatz von Glibenclamid in der Behandlung des hämorrhagischen Schocks ist nicht neu und in einer Reihe von Tierversuchen untersucht. Szabo et al. zeigten in einem druckkontrollierten Schockmodell bereits 1996, dass eine Glibenclamid Bolusgabe und Infusion zu einem sofortigen Anstieg des MAP führt, während dieser Effekt unter Normovolämie nicht zu beobachten war [74]. In einer aktuellen Publikation untersuchten Evgenov et al. verschiedene Applikationswege (i.m. vs. i.v.) von Glipizide (Glydiazinamide) in verschiedenen Dosierungen und verschiedenen Schockmodellen (druck- vs. volumenkontrolliert). Die hämodynamischen Effekte sowie das Kurzzeitüberleben von 20 mg/kg Glipizide i.v. war vergleichbar mit einer i.m. Dosis von 40 mg/kg [18]. Klinische Studien zu dieser Behandlungsoption stehen derzeit nicht zur Verfügung. Es ist zu hoffen, dass die Identifikation des am Besten geeigneten Sulfonyharnstoffderivates und die Zubereitung der Substanz für eine intravenöse Anwendung in naher Zukunft abgeschlossen sein wird.

ORGANPROTEKTION Es steht außer Frage, dass jeder Schockzustand die Integrität des Organismus gefährdet. Nach einem schweren, vital bedrohlichen Schockzustand hängt das Langzeitüberleben davon ab, ob das komplexe, von Negovski formulierte Krankheitsbild der „Postresuscitation Disease“ überwunden werden kann [58]. In diesem Zusammenhang liegt die Vermutung nahe, dass Maßnahmen, welche der Wahrscheinlichkeit eines Zelluntergangs und somit einer Organschädigung entgegenwirken, das Outcome nach einem schweren hämorrhagischen Schock verbessern. Die therapeutische, kontrollierte Hypothermie ist hierbei ein möglicher Ansatz, die „Suspended Animation“ die ultimative Vision in der Schockbehandlung.

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Kontrollierte Hypothermie Der organprotektive Effekt einer moderaten Hypothermie beruht auf einer Abnahme des Sauerstoffbedarfs (7 % pro ° C Temperaturabfall); einem verminderten ATP-Verlust; einer verminderten Produktion bzw. Freisetzung von Exotoxinen, Leukotrienen, sowie freien Sauerstoffradikalen; und damit einer Reduktion von inflammatorischen Prozessen und Ödembildung [42]. Ob eine Hypothermie im Rahmen der Schockbehandlung nützt oder schadet wird derzeit kontrovers diskutiert. Tatsache ist jedoch, dass der hämorrhagische Schock an sich bereits ein Absinken der Körpertemperatur verursacht. Obschon nicht eindeutig geklärt ist, welche Mechanismen für diesen Temperaturabfall verantwortlich sind, so werden eine verminderte Hautdurchblutung, sowie eine Abnahme der metabolischen Stoffwechselaktivität und des Sauerstoffverbrauchs als mögliche Ursachen in Betracht gezogen [26, 27]. Wurde im Rahmen der Schockbehandlung ein entsprechendes Volumen an umgebungstemperierten Infusionslösungen verabreicht, sank im Tiermodell die Körpertemperatur rasch um 2,6° C ab; der Temperaturabfall war dabei mit der Infusionsmenge und dem Anstieg des HZV korreliert [70]. Wurde ein 500 ml Bolus einer 4° C kalten Ringerlösung infundiert, so konnte die Körperkerntemperatur von Schweinen, welche einer unkontrollierten Blutung ausgesetzt waren, innerhalb von 10 Minuten auf 35,5° C gesenkt werden. Interessanterweise war ohne weitere Therapiemaßnahmen die mittlere Überlebenszeit in der Hypothermiegruppe mit 220 min vs. 136 min bei den normothermen Tieren signifikant länger [59]. Ähnliche Ergebnisse, die auf einen eindeutigen Überlebensvorteil bei den Versuchstieren hinwiesen, welche einer kurzen Hypothermieepisode (34 bzw. 30° C) oder einer prolongierten, moderaten Hypothermie (35° C) ausgesetzt wurden, fanden Prueckner sowie Kim et al. [31, 61]. Trotz dieser vielversprechenden Forschungsansätze bleibt die Frage offen, warum die regelmäßig beobachtete Hypothermie des Traumapatienten offensichtlich nicht die Inzidenz von Komplikationen und das Überleben positiv beeinflusst. In klinischen Studien scheint die Hypothermie mit einer höheren Mortalität assoziiert. Die Gründe hierfür sind wahrscheinlich eine Einschränkung der linksventrikulären Funktion und des Herzzeitvolumens, sowie eine regionale, hepatische Perfusionsstörung unter Hypothermie [54, 55]. Ein weiterer Aspekt ist der negative Effekt der Hypothermie auf das Gerinnungssystem; eine hypotherme Coagulaopathie ist mit einem schlechten Outcome korreliert [32]. Beim nichttraumatologischen Patienten, welcher sich einer kolorektalen Operation unterziehen muss, ist eine intraoperative Hypothermie mit Wundheilungsstörungen sowie einer erhöhten Inzidenz an Infektionskomplikationen assoziiert [39]. Auch wenn diese Ergebnisse nur bedingt auf den verunfallten Patienten übertragen werden können, so müssen diese potentiell vital bedroh-

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lichen Nebenwirkungen der Hypothermie berücksichtigt werden. Der Schlüssel zum Verständnis dieser widersprüchlichen Ergebnisse liegt vermutlich in der Unterscheidung zwischen einer akzidentellen, ungewünschten und unkontrollierten Hypothermie im Gegensatz zu einer gezielten therapeutischen Intervention. Für den Traumapatienten muss derzeit gelten, dass jede Hypothermie aggressiv zu behandeln und Normothermie anzustreben ist. Ob eine therapeutische, kontrollierte moderate Hypothermie (ähnlich wie bei Patienten nach Herzkreislaufstillstand) ein Therapieverfahren der Zukunft ist, werden weitere Untersuchungen zeigen müssen. Suspended Animation Seit den späten 80er Jahren widmen sich die Forscher des Safar Center for Resuscitation Research in Pittsburgh, USA, systematischen Outcome Studien an Hunden um das Konzept der „Suspended Animation“ zu entwickeln. Die Vision ist bestechend. Es gilt Patienten unmittelbar nach einem schweren Trauma oder Blutungsschock durch eine gezielte Hypothermiebehandlung zu „konservieren“, operativ zu versorgen und zu einem späteren Zeitpunkt zu „Animieren“, also neu zum Leben erwecken. Grundsätzlich basiert das Konzept auf dem retrograden Einspülen einer kalten Infusionslösung in den Aortenbogen um Gehirn, Rückenmark und Myocard schnellst möglich zu schützen und die Chancen für eine erfolgreiche Wiederbelebung mit voller Funktionsfähigkeit zu optimieren. Tatsächlich ist bereits ein erstes praxistaugliches System entwickelt worden, welches vielleicht schon in naher Zukunft ermöglicht, das Konzept der „Suspended Animation“ vom Labor in die Klinik bzw. das Feld zu übertragen [82].

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Wilhelm Grander

A k u t e r S T- S t r e c k e n h e b u n g s i n f a r k t im Gebirge – Thrombolyse versus Primär-PTCA Acute ST- Elevation Myocardial Infarction in Mountainous Terrain – Thrombolysis Versus Primary PTCA

S U M M A RY Mountain sports and mountain tourism is world wide increasing. 15 % of all the people who reflect the known epidemic cardiovascular burden, will account for the older population. Therefore sudden cardiac death and acute coronary syndromes are frequently recognized in the mountains. One third of all deaths in the mountains is caused by sudden cardiac death. Therefore it is an important question how to treat acute myocardial infarction in mountain areas. The potential value of prehospital thrombolysis is well documented by the results of a meta-analysis of six randomized trials involving 6434 patients. Three significant benefits were noted with prehospital compared to in-hospital thrombolysis: First a shorter time to thrombolysis (104 versus 162 minutes). Second a reduced all-cause hospital mortality (odds ratio 0.83, 95 percent CI 0.70 to 0.98) and third an absolute risk reduction of almost 2 percent translated into one life saved for every 62 patients treated with prehospital thrombolysis. Initial studies suggested no benefit and possible harm from early percutaneous coronary intervention (PCI) if thrombolytic therapy were given first. However, PCI techniques have been improved and recent trials demonstrate a wider role for thrombolysis combined with PCI as a form of rescue PCI, if thrombolysis suggests a not optimal result. Therefore even when PCI is the more successful approach in opening the vessel, thrombolysis has still its value in an optimal time setting. If the marker of early reperfusion by thrombolysis are not fulfilled rescue PCI should be attempted within 2 hours. Keywords: Acute Myocardial Infarction, STEMI, prehospital thrombolysis, PTCA

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Z U S A M M E N FA S S U N G Sport und Tourismus in den Bergen ist weltweit zunehmend. 15% der Menschen, die das epidemiologische Spektrum der kardo-vaskulären Krankheiten widerspiegeln, sind der älteren Population zuzuordnen. Entsprechend ist der plötzliche Herztod oder das akute koronare Syndrom in den Bergen keine Seltenheit. Ein Drittel aller Todesfälle in den Bergen werden dem plötzlichen Herztod zugeordnet. Die Frage nach adäquater Therapie des akuten Myokardinfarktes im Gebirge ist daher nicht unbedeutend. Die Wirksamkeit der prähospitalen Thrombolyse ist durch eine Metanaylse von 6 randomisierten Studien mit 6.434 Patienten gut untermauert. Dabei stellten sich drei signifikante Vorteile für die prähospitale gegenüber der inhospitalen Lysetherapie heraus. 1. Eine kürzere Zeit bis zum Thrombolysebeginn (104 versus 162 Minuten). 2. Eine reduzierte Gesamtmortalität nach Aufnahme ins Krankenhaus (odds 0.83, 95 % CI 0.70 – 0.98). 3. Eine absolute Risikoreduzierung von fast 2 % resultierend in ein gerettetes Leben pro 62 mit prähospitaler Lyse behandelten Patienten. Frühere Studien ließen keinen Benefit, ja sogar ein möglicherweise schlechteres Abschneiden der frühen PTCA nach Thrombolysetherapie vermuten. In letzer Zeit haben sich aber die Techniken der PTCA verbessert und einige Studien zeigen, dass nach durchgeführter Thrombolyse, die kein optimales Ergebnis brachte, eine anschließende PTCA eine weitere Verbesserung ohne Risikoerhöhung bringt. Somit hat die prähospitale Lysetherapie auch heute noch ihre Bedeutung wenn man die verschiedenen Zeitfenster in Betracht zieht. Die Primär PTCA ist das Verfahren der Wahl, da es per se eine höhere Wiedereröffnungsrate des verschlossenen Gefäßes vorweisen kann. Jedenfalls sollte nach nicht optimalem Erfolg nach Lysetherapie und Ausbleiben sicherer Reperfusionsmarker innerhalb zweier Stunden eine Rescue PTCA angestrebt werden. Schlüsselwörter: Akuter Myocardinfarkt, STEMI, prähospitale Thrombolyse, PTCA

EINLEITUNG Weltweit begeben sich ca 100 Millionen Menschen jährlich ins Gebirge. Davon sind ca 15 % ältere Menschen, die naturgemäß ein erhöhtes cardiovasculäres Risiko haben. Ein Drittel aller Menschen, die in den Bergen sterben, erleiden einen plötzlichen Herztod. Somit ist der Herzinfarkt die häufigste nicht unfallbedingte Todesursache in den Bergen. Dabei scheint gerade der Hypertonus für Bergwanderer und Bergsteiger ein besonders prädiktiver Risikofaktor für das Erle-

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ben eines Herzinfarktes zu sein. Die epidemiologischen Zusammenhänge kardiovaskulärer Risikofaktoren (immer mehr Menschen sind davon betroffen) sowie der wieder zunehmende Tourismus in den Bergen zwingen somit zu einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine Reperfusionstherapie im Gebirge im Rahmen eines Notarzteinsatzes sinnvoll ist oder nicht.

THERAPIEKONZEPTE Die Konzepte „stay and play or scope and go“ werden durch terrestrische sowie witterungsbedingte Umstände und durch die nahezu ausschließlich luftgebundenen Rettungsmittel noch mehr strapaziert. Die Therapieentscheidungen werden damit weit und wohl kaum widersprochen in den subjektiven Bereich des verantwortlichen Notarztes verschoben. Ist daher eine prähospitale Lyse im Sinne einer „evidence based medicine“ bei einem akuten transmuralen Myokardinfarkt (ST-Streckenhebungsinfarkt/STEMI) im Gebirgseinsatz überhaupt anwendbar? Eigentlich ja, wenn die Therapie sicher verabreicht und die so wichtigen Fragen bezüglich der Zeitfenster entsprechend beantwortet sind. Um dies zu ermöglichen braucht es aber die Kenntnis der Eckpfeiler heutiger moderner Therapieentscheidungen beim STEMI. Das mechanische Reperfusionsverfahren mittels Primär PTCA gilt derzeit als Goldstandart in der Therapie des Akuten Myocardinfarktes. Die Komplexizität der PTCA macht diese aber zentrumsabhängig und zeitkonsumierend, mit einer durchschnittlichen Zeitverzögerung von ca 1 Stunde (1) gegenüber der Thrombolysetherapie. Trotz des hohen Stellenwertes der Primär PTCA spielt daher die Thrombolyse beim akuten STEMI noch immer eine wichtige Rolle. Sie ist praktisch überall, zu jeder Zeit und zudem relativ einfach anzuwenden. Die Einmal - Bolus-Gabe von Tenekteplase (Metalyse ®) hat die pharmakologische Reperfusionstherapie weiterhin vereinfacht. Ein direkter Vergleich Thrombolyse gegenüber Primär PTCA ist aber nur unter den verschiedenen Zeitfenstern und einer strengen Beobachtung der Reperfusionsmarker nach Lysetherapie möglich. Bei sehr früher Thrombolyse (innerhalb 2 Stunden Schmerz-Delay) ist dieses Therapieverfahren zumindest nicht schlechter, möglicherweise sogar besser als die Primär PTCA betreffend Schockentwicklung (1.3 % vs. .4 %) und 30 Tage Mortalität. (2)

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Allerdings muss erwähnt werden, das die Prähospitale Lyse in ca 30% einer sogenannten Rescue PTCA bedarf, wenn die Reperfusionsparameter (rascher ST-Rückgang, Schmerzfreiheit, Myoglobinanstieg) nach Lysetherapie nicht erreicht werden. Auf diese Therapieoption ist aber insbesondere in den weiterbehandelnden Kliniken zu achten.

THERAPIEENTSCHEIDUNG Die Entscheidungsprinzipien beruhen daher auf, „time is muscle“ and „only optimal reperfusion keeps muscle“. Diese Entscheidungsprinzipien sollten grundsätzlich auch in einem Gebirgseinsatz zur Anwendung kommen. Die Abwägung von Vor- und Nachteilen beider Reperfusionsstrategien könnte daher zu folgendem Vorgehen anleiten: Ableitend aus der „time efficacy curve“ (3) (Abb 1) sollte die Lysetherapie verwendet werden, a) wenn ein kurzes Schmerzdelay besteht (bis ca. 2-3 Stunden) b) wenn das Delay bis zur mechanischen Eröffnung des Gefäßes erwartungsgemäß länger als 90 min beträgt

Abbildung 1

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c) und das Hirn-Blutungsrisiko nach Lyse (vor allem alte Patienten) niedrig bleibt. Zeichnet sich innerhalb von 90 min nicht ein klarer und ausreichender Therapieerfolg durch die Thrombolyse ab, so muß eine Rescue PTCA angestrebt werden, die heute durch die verbesserten Techniken zu keiner wesentlich erhöhten Komplikationsrate mehr führt und dadurch prinzipiell die Entscheidung zu einer Lysetherapie leichter macht. In den ersten zwei Stunden besteht eine sehr hohe Wirksamkeit der Thrombolyse. Ist das Zentrum sehr nahe, dann PTCA sonst eher Lyse. Zwischen 2 und 3–4 Stunden stellt sich die Frage, wie lange ist die „Transport to Baloon Time“ (wenn > 90 min eher Thrombolyse) Nach 4 Stunden sollte nahezu immer die Primär-PTCA angestrebt werden (in diesem Fenster ist das Nutzen-Risiko Verhältnis für die Lysetherapie eher ungünstig.

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Johannes Mair und Otmar Pachinger

Myokardinfarkterstversorgung im Gebirge – Eine kritische Betrachtung zum Stellenwert der präklinischen Lysetherapie Emergency Care of Acute Myocardial Infarctions in the Mountains – A Critical Appraisal of Preclinical Fibrinolytic Therapy S U M M A RY If the emergency care of an acute myocardial infarction (AMI) is possible by calling a helicopter with an emergency physician on board the treatment must follow the current state-of-the art. For the subsequent patient management it is essential whether the initial electrocardiogram (ECG) shows ischemia-typical ST-segment elevations or not. Therefore, a 12-lead standard ECG should be recorded on the scene of the action if possible. In the presence of typical STsegment elevations (STEMI) the nearest department of cardiology with the possibilities for acute coronary interventions (PCI) should be contacted immediately to coordinate further therapy and management. If the contact-to balloon time for mechanical reperfusion therapy is likely to be <90 minutes primary PCI is the therapy of choice and the patient must be transported to the centre without unnecessary delay. If this cannot be guaranteed and there are no contraindications preclinical thrombolytic treatment is a very good treatment option, particularly in patients presenting within 2–3 hours from symptom onset. These patients should also be transported to the department of cardiology to allow a ”rescue“-PCI in case of treatment failure without further delay. Additional indications for preclinical thrombolytic therapy are large AMI with impending or manifest cardiogenic shock or "rescue" thrombolysis after initially failed resuscitation. Key words: myocardial infarction, management, mountain, acute percutaneous coronary intervention, preclinical fibrinolytic therapy

Z U S A M M E N FA S S U N G Ist die Erstversorgung eines Herzinfarktpatienten im Gebirge durch Anforderung eines Rettungshubschraubers mit Notarztbegleitung möglich, so sollte

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auch die weitere Therapie nach dem derzeit neuesten Standard erfolgen. Für das weitere Management ist es entscheidend, ob sich persistierende ischämietypische ST-Streckenhebungen im Erst-EKG finden oder nicht. Daher sollte, wann immer durchführbar, bereits am Einsatzort ein 12-Ableitungs-Standard EKG abgeleitet werden und mit dem nächstgelegenen kardiologischen Zentrum mit der Möglichkeit zur Akut-Herzkatheterdiagnostik Kontakt aufgenommen werden, um das weitere therapeutische Vorgehen abzusprechen und den Patienten anzukündigen. Besteht innerhalb von 90 Minuten die realistische Aussicht, mechanisch mittels akuter perkutaner Koronarintervention (PCI) das infarktbezogene Gefäß wiedereröffnen zu können, so ist dies derzeit die Therapie erster Wahl und der Patient sollte nach Erstversorgung und Stabilisierung in das Zentrum geflogen werden. Ist dies aus verschiedenen Gründen nicht sicher möglich, sollte der Patient eine präklinische Fibrinolysetherapie bei fehlenden Kontraindikationen erhalten, vor allem dann wenn der Symptombeginn weniger als 2–3 Stunden zurückliegt. Auch dieser Patient soll in das Zentrum geflogen werden, damit bei fehlendem Therapieerfolg möglichst rasch eine sog. rescue-PCI durchgeführt werden kann. Eine Indikation zur präklinischen Thrombolysetherapie besteht auch bei ausgedehnten Infarkten mit drohendem kardiogenem Schock, bestehendem kardiogenen Schock oder im Sinne einer rescue-Lysetherapie bei primär frustraner Reanimation. Schlüsselwörter: Myokardinfarkt, Erstversorgung, Gebirge, akute perkutane Koronarintervention, präklinische Fibrinolysetherapie

EINLEITUNG Beim akuten Myokardinfarkt (AMI) sind wir gegenwärtig mit einem Wandel in der Therapiestrategie konfrontiert. Alle Patienten mit akuten Beschwerden, die auf einer Durchblutungsstörung der Koronararterien beruhen, werden heute unter dem Begriff akutes Koronarsyndrom (AKS) zusammengefasst. Die Patienten werden entsprechend dem initialem EKG Befund in Patienten mit ischämietypischen ST-Streckenhebungen (STEMI) und unspezifischen bzw. fehlenden EKG Veränderungen (NSTEMI) unterteilt. Das initiale Patientenmanagement und auch die Erstversorgung richten sich nach dem Erst-EKG (siehe Abbildung 1). Die Vorteile einer frühen und vollständigen Reperfusion beim thrombotischen Verschluß eines Koronargefäßes im Rahmen eines STEMI stehen völlig außer Diskussion. Der raschen und einfach durchzuführenden Thrombolyse steht jedoch eine Wiedereröffnungsrate von nur ca. 60 % und ein zu berücksichtigendes Blutungs- und Insultrisiko entgegen. Beim STEMI ist mittlerweile die akute perkutane koronare Intervention (PCI) zur Wiedereröffnung des infarktbezogenen Gefäßes zum goldenen Therapiestandard geworden (1),

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Abbildung 1 Gegenwärtige Therapiestrategie beim akuten Myokardinfarkt Abkürzungen: akutes Koronarsyndrom (AKS), perkutane Koronarintervention (PCI), Koronarangiographie (CAG) und vor allem wenn die Schmerzdauer mehr als 3 Stunden beträgt, ist die Lysetherapie unterlegen (siehe Tabelle 1). Die präklinische Ultimo-ratio Fibrinolysetherapie bei primärer frustraner oder protrahierter Reanimation bleibt natürlich dadurch als Therapieversuch in der Erstversorgung durch den Notarzt unumstritten (2). Es gelingt mit der Akut-PCI in Verbindung mit moderner adjuvanter Pharmakotherapie innerhalb von 90 Minuten in mehr als 90 % der STEMI Patienten die Koronarperfusion wiederherzustellen bei verglichen mit der Lysetherapie höherer Effizienz und niedrigerer zerebraler Insultrate (1 vs. 2 %). Tabelle 1 Indikationen für die Interventionelle Therapie (Akut-PCI) beim ST-Streckenhebungsinfarkt (STEMI) 1. Routinetherapie, wenn innerhalb von<90 Minuten ab ersten Patientenkontakt von erfahrenem Team durchführbar 2. Bei Kontraindikation für Lysetherapie 3. Bevorzugte Therapie beim kardiogenem Schock 4. Rescue-PCI nach Lysetherapieversagen

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Durch Verwendung von sog. Stents und Begleittherapie mit Glycoproteininhibitoren ist das Risiko der Akutintervention verglichen mit früheren Ergebnissen deutlich gesunken. Im Gegensatz zur primären PCI nimmt die Wiedereröffnungsrate der Fibrinolysetherapie nach 6 Stunden nach Schmerzbeginn deutlich ab. Dies führt in einer Metaanalyse (1) zu einem signifikantem Überlebensvorteil im Vergleich mit der hospitalen Lysetherapie (frühe Mortalität 7 vs. 9 %). Allerdings ist die Durchführung der Akut-PCI an spezialisierte Zentren mit entsprechend erfahrenen Untersuchern gebunden. Trotzdem zeigten Studien, dass sowohl bei Patienten in kardiologischen Zentren mit der Möglichkeit zur Akut-PCI und als auch bei Patienten, die aus peripheren Krankenhäusern zur Akut-PCI zutransferiert wurden, die Rezidivinfarktrate verglichen mit der Thrombolysetherapie niedriger war (3 vs. 7 %; 3). Die neuen Richtlinien der amerikanischen und europäischen kardiologischen Gesellschaften geben – eine optimale Organisation und Vorgangsweise bei der Akut-PCI vorausgesetzt – eindeutig der Akut-PCI den Vorzug gegenüber der Lysetherapie (4). Deshalb haben alle Herzkatheterzentren versucht, die Akut-PCI rasch und

Tabelle 2 Kontraindikationen für die Fibrinolysetherapie A Absolute KI Jeglicher hämorrhagische Schlaganfall oder Schlaganfall unbekannter Genese Ischämischer Schlaganfall innerhalb der vergangenen 6 Monate Schädigungen des Zentralnervensystems oder zerebrale Neoplasmen Kurz zurückliegendes großes Trauma/Operation/Kopfverletzung (vergangene 3 Wochen) Gastrointestinale Blutung im vergangenem Monat Bekannte Blutungsdiathese Aortendissektion B Relative KI TIA in den vergangenen 6 Monaten Orale Antikoagulantientherapie Schwangerschaft oder bis 1 Woche nach Geburt Nichtkomprimierbare Punktion Traumatische Herzdruckmassage Therapierefraktäre Hypertonie (syst. Blutdruck >180 mmHG) Fortgeschrittene Lebererkrankung Infektiöse Endokarditis Aktives peptisches Ulkus Zu beachten ist das erhöhte zerebrale Blutungsrisiko bei über 75-Jährigen und/oder bei schwerer arterieller Hypertonie!

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mit hoher Qualität zu organisieren, um sie für mehr Patienten mit akutem STEMI verfügbar zu machen. Erste Ergebnisse kleinerer Studien (5) zeigen einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma Zeitverlust mit dem Konzept „facilitated PCI“ mit initialer präklinischer Thrombolysetherapie und anschließendem Transport zum Akut-PCI Zentrum, wo bei fehlendem Thrombolysetherapieerfolg immer noch die Möglichkeit zur sog. „Rescue-PCI“ besteht. Die Durchführung einer präklinischen Thrombolysetherapie erfordert jedoch ein hohes Maß von Expertise vom Notarzt mit Erfahrung in der EKG Infarktdiagnostik und sorgfältiges Beachten der Kontraindikationen (siehe Tabelle 2). Während des gesamten Transports muss eine Defibrillation zur Beherrschung von potentiell lebensbedrohlichen Reperfusionsarrhythmien verlässlich möglich sein.

I N FA R K T E R S T V E R S O R G U N G I M G E B I R G E Das Spektrum der AMI Präsentationen reicht von plötzlichen Herztodesfällen, ischämisch getriggerten Rhythmusstörungen mit Synkopen und sekundären Traumata bis zu Patienten mit klassischer Angina pectoris Symptomatik. Auch die Versorgungsmöglichkeiten des Patienten reichen vom Beobachten des schicksalhaften Verlaufes mit nur den Möglichkeiten der Laienreanimation und gegebenenfalls präkordialem Faustschlag bei vermutetem Kammerflimmern durch einen Partner ohne medizinische Notfallsausrüstung bis zur "high-tech" Medizin Erstversorgung mit – geeignetes Flugwetter und Verfügbarkeit in der entsprechenden Region vorausgesetzt – zur Anforderung eines Notarzthubschraubers durch den Ersthelfer. Ist eine Bergung mit dem Notarzthubschrauber möglich, sollte jedoch nicht der Abtransport in das nächstgelegene Krankenhaus im Vordergrund stehen, sondern versucht werden, dem Patienten – trotz möglicherweise längerer Flugzeiten ins kardiologische Zentrum – eine Infarkttherapie nach dem „state-of-the-art“ anzubieten (siehe Abbildung 2), die im Folgendem näher erläutert wird. Unter solch optimalen Bedingungen ist es heutzutage möglich, dass ein STEMI Patient das Krankenhaus mit normaler Linksventrikelfunktion und normalem bzw. nahezu normalem EKG verläßt (siehe Abbildung 3). 1. Basisversorgung Die medikamentöse Basistherapie bei dringendem klinischen Verdacht auf Myokardinfarkt ist in Tabelle 3 zusammengefasst. Die Sauerstoffgabe (initiale Einstellung mindestens 4 l/min) sollte besonders im Gebirge wegen niedrigerer Sauerstoffpartialdruckwerte nicht vergessen werden. Eine suffiziente Schmerztherapie mit Morphin und auch gegebenenfalls ausreichende Anxiolyse mit Verabreichung von Benzodiazepinen ist insbesondere im Einzelfall vor einem Hubschrauberflug wichtig.

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Abbildung 2 Herzinfarktversorgungskonzept im Gebirge Abkürzungen: perkutane Koronarintervention (PCI), akuter Myokardinfarkt (AMI), ST-Streckenhebungsinfarkt (STEMI)

2. Ableitung eines 12-Ableitungsstandard EKG Das weitere Patientenmanagement hängt entscheidend von der Tatsache ab, ob sich infarkttypische ST-Streckenhebungen im EKG finden. Daher sollte ein 12Ableitungsstandard EKG wenn immer möglich am Einsatzort abgeleitet werden. Natürlich kann dies im Einzelfall nicht durchführbar sein (z. B. Notwendigkeit der raschen Bergung aus der Gefahrenzone, Gefahr einer signifikanten Auskühlung des Patienten durch das notwendige Freimachen des Oberkörpers bei extremen Witterungsbedingungen oder Kältezittern des Patienten kann eine brauchbare Ableitungsqualität verhindern). 3. Bei infarkttypischen ST-Streckenhebungen im EKG (STEMI) Rücksprache mit dem nächstgelegenen Zentrum für akute Koronarinterventionen (Akut-PCI) Das weitere Patientenmanagement soll in Absprache mit dem nächstgelegenen Zentrum für akute Koronarinterventionen erfolgen, denn die Entscheidung für

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Tabelle 3 Initiale Notfalltherapie bei Verdacht auf akuten Myokardinfarkt 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Sauerstoff 4–8 L/min (Gebirge!) Nitrat s.l. (bei syst. Blutdruck >100 mmHg) Opiate i.v. (Morphin 4–8 mg, danach jeweils 2 mg im Abstand von je 5 Minuten) Acetylsalicylsäure i. v. 250 mg Unfraktioniertes Heparin i. v. 60U/kg Körpergewicht (maximal 4000 U) Betablocker i. v. nur bei Hypertonie oder Tachykardie Eventuell Tranquilizer und Antiemetika

Abbildung 3 Der ideale Fall Unter optimalen Bedingungen und Therapieverlauf kann es möglich sein, dass der Myokardinfarktpatient mit normaler globaler syst. Linksventrikelfunktion und ohne die Entwicklung von Q-Zacken bzw. Äquivalenten im EKG das Krankenhaus verlassen kann. Abkürzungen: perkutane Koronarintervention (PCI)

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die primäre PCI sollte bei der Erstversorgung des Patienten getroffen werden, um unnotwendige Sekundärtransporte zu verhindern. Nach den neuesten Richtlinien sollte das Zeitintervall vom medizinischen Erstkontakt bis zur mechanischen Wiedereröffnung des infarktbezogenen Gefäßes mittels PCI weniger als 90 Minuten betragen. Daher ist die umgehende Verständigung des Herzkatheterteams so früh als möglich wichtig, um die nächste Herzkathetermöglichkeit für den ankommenden STEMI Patienten freizuhalten und unnotwendige Umwege des Patienten ins Herzkatheterlabor zu vermeiden. Nur durch eine derart optimale Organisation kann das vorgeschriebene Zeitintervall von 90 Minuten von Erstkontakt bis zur mechanischen Wiedereröffnung des Infarktgefäßes eingehalten werden. Dies ist innerhalb der regulären Dienstzeiten üblicherweise möglich. Außerhalb der regulären Dienstzeiten ist jedoch in vielen Zentren nur ein Bereitschaftsdienst eingerichtet. Das führt zu einer gewissen zeitlichen Verzögerung der Einsatzbereitschaft des Herzkatheterteams. Im Einzelfall kann es daher möglich sein, dass außerhalb der regulären Dienstzeit das vorgegebene 90 Minuten Zeitlimit nicht sicher eingehalten werden kann (z. B. 2 nahezu zeitgleich anfallende STEMI Patienten im Bereitschaftsdienst). In diesem Fall bleibt die prähospitale Lysetherapie bei Patienten mit kurzer Schmerzdauer (insbesondere innerhalb der ersten 2 Stunden nach Schmerzbeginn) bei fehlenden Kontraindikationen (siehe Tabelle 2) nach wie vor eine hervorragende Therapieoption und muss in Absprache mit dem Zentrum bei fehlenden Kontraindikationen so schnell als möglich verabreicht werden. Bei Patienten, die länger als 2–4 Stunden symptomatisch sind, gilt die Akut-PCI bereits als effektivere Therapiestrategie. Auch bei ausgedehnten Vorderwandinfarkten (ST Streckenhebungen in mehr als 5–6 Ableitungen) mit drohendem oder bereits bestehendem kardiogenen Schock besteht die Indikation zur präklinischen Lysetherapie, da alle Therapieoptionen zur Wiedereröffnung des Infarktgefäßes möglichst rasch angewendet werden müssen, um die Infarktgröße zu verkleinern und die Mortalität dieser Patienten zu senken. Beharren auf einer Akut-PCI als einzig akzeptierte Reperfusionsmethode kann zu nicht akzeptablen Zeitverlusten führen. Ist die zeitliche Verzögerung gegenüber einer präklinischen Lysetherapie mehr als 2 Stunden, dann gehen die Vorteile der primären PCI bei fehlenden Kontraindikationen für die präklinische Lysetherapie verloren. 4. Hubschraubertransport des STEMI Patienten ins kardiologische Zentrum zur Akutintervention Auch nach Verabreichung einer präklinischen Fibrinolysetherapie sollen STEMI Patienten nach Rücksprache ins Akut-PCI Zentrum geflogen werden. Trotz limitierter Intensivbettenkapazitäten gelingt es den Zentren doch in den allermeisten Fällen ein Intensivbett freizumachen. Nach Ankunft im Zentrum wird

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der Patient reevaluiert. Bei fehlenden klinischen Zeichen eines Lysetherapieerfolges (z. B. persitierende ST-Streckenhebungen [ST Streckenrückbildung um weniger als 50 % 60 Minuten nach Lysetherapie] und AP Symptomatik oder hämodynamische Instabilität) besteht die rasche Möglichkeit zur sog. „RescuePCI“ (Versuch der mechanischen Wiedereröffnung des Infarktgefäßes bei fehlendem Lysetherapieerfolg), ohne dass der Patient erneut vom erstversorgenden Krankenhaus in das kardiologische Zentrum verlegt werden muss. Bei stabilen lysierten Patienten erfolgt die Herzkatheteruntersuchung innerhalb der ersten 24 Stunden elektiv mit niedrigerem Interventionsrisiko. 5. Rasche Rückverlegung des stabilen AMI Patienten nach PCI ins Heimatkrankenhaus zur weiteren Therapie Die rasche Rückverlegung des stabilen AMI Patienten nach der PCI ist essentieller Bestandteil dieses Konzeptes des STEMI Managements in der Akutphase, um möglichst vielen Patienten die effektivste Therapieform (Akut-PCI) anbieten zu können, da das kardiologische Zentrum ansonsten sehr rasch an die Grenzen seiner Intensiv- und Allgemeinstationsbettenkapazität gelangt.

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Wo l f g a n g L e d e r e r, F r a n z W i e d e r m a n n

Herzkreislaufstillstand im alpinen Gelände – Thrombolyse unter Reanimation Cardiocirculatory arrest in the Alpine region: thrombolysis during resuscitation S U M M A RY Out-of-hospital cardiac arrest during recreational performance in wilderness regions is of cardiovascular etiology in about one-third of cases. Administration of thrombolytic drugs during attempted cardiopulmonary resuscitation (CPR) may ameliorate microcirculatory perfusion and consequently improve frequency of return of spontaneous circulation. This method gains particular importance as adult patients lacking any protective factors such as hypothermia are usually not transported to a medical center in the absence of spontaneous circulation. Thrombolysis during CPR should especially be considered in the case of witnessed cardiac arrest and prolonged conventional resuscitation attempts of more than 15 minutes. Improved cerebral perfusion, as observed in successfully resuscitated patients having undergone thrombolysis during CPR, is more frequently associated with good neurological outcome. Bleeding complications of clinical relevance are not observed more frequently than for conventional resuscitation measures and therefore lack the justification for not administering thrombolytic drugs during resuscitation. At present, thrombolysis during CPR is regarded solely as a therapeutic option in emergency medical practice. It will depend on the results of a current, multi-center, prospective, placebo-controlled and double-blinded investigation (TROICA) to determine whether thrombolysis becomes an inherent part of advanced cardiac life support and is recommended in the international guidelines for resuscitation. Keywords: cardiac arrest, cardiopulmonary resuscitation (CPR), outcome, thrombolysis, wilderness

Z U S A M M E N FA S S U N G Bei mindestens einem Drittel der Patienten mit Herzkreislaufstillstand während des Aufenthaltes im Gebirge liegt eine kardiovaskuläre Erkrankung als Ursache zu Grunde. Bei diesen Personen könnte durch Thrombolyse während der

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kardiopulmonalen Wiederbelebung (CPR) eine Verbesserung der mikrozirkulatorischen Perfusion erreicht werden und damit auch häufiger das Wiedereintreten eines spontanen Kreislaufes. Da beim Erwachsenen mit Kreislaufstillstand ohne schützende Faktoren wie zum Beispiel Hypothermie der Patient üblicherweise nur nach Wiedereintreten eines Kreislaufes in das Krankenhaus transportiert wird, kommt dieser Methode eine besondere Bedeutung zu. Sie sollte speziell dann in Erwägung gezogen werden, wenn beim beobachteten Herzkreislaufstillstand innerhalb von 15 Minuten konventioneller CPR Maßnahmen noch kein spontaner Kreislauf erzielt wurde. Erfolgreich reanimierte Patienten, die während der CPR thrombolysiert wurden, haben durch die verbesserte zerebrale Durchblutung auch eher ein gutes neurologisches Langzeitergebnis zu erwarten. Klinisch relevante Blutungskomplikation sind nicht wesentlich häufiger als bei den konventionellen Wiederbelebungsmaßnahmen und deshalb auch kein Grund, Thrombolytika während der Reanimation nicht einzusetzen. Für die Notfallmedizin gilt die Thrombolyse während der CPR derzeit nur als optionales therapeutisches Verfahren. Es wird von den Ergebnissen einer aktuellen, multizentrischen, prospektiven und placebo-kontrollierten DoppelblindUntersuchung (TROICA) abhängen, ob die Thrombolyse auch als fester Bestandteil der erweiterten Maßnahmen der CPR in den Internationalen Richtlinien der Reanimation verankert werden kann. Schlüsselwörter: Herzstillstand, Herzkreislaufwiederbelebung, Langzeitergebnis, Thrombolyse, Wildnis

EINLEITUNG Seit der ersten Beschreibung einer erfolgreichen Anwendung von Streptokinase beim akuten Herzinfarkt durch Fletcher et al. im Jahre 1958 hat sich das Anwendungsspektrum und auch die Akzeptanz der thrombolytischen Therapie deutlich verändert. (1) Die möglichen Anwendungsbereiche gehen heute vom akuten Herzinfarkt und der akuten pulmonalarteriellen Embolie bis zur Auflösung von intrazerebralen Blutgerinnseln und der Anwendung während der Reanimation. Auch mit den modernen Techniken der kardiopulmonalen Wiederbelebung (CPR) sind die Reanimationsergebnisse häufig unbefriedigend. Zum Teil wird dies darauf zurückgeführt, dass selbst bei korrekter Anwendung der Reanimationstechnik durch die Herzdruckmassage kaum mehr als ein Viertel des normalen Herzminutenvolumens erreicht werden kann. (2) Aber auch nach Wiedereintreten eines spontanen Kreislaufes (ROSC) ist das Schadensereignis noch nicht abgeschlossen, solange die Perfusion der einzelnen Organe nicht vollständig wiederhergestellt ist. Das Fortschreiten des Organschadens wird als

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Post-Reanimationssyndrom bezeichnet und ist ein weiterer Grund für das schlechte Reanimationsergebnis in der Mehrzahl der reanimierten Patienten. (3) Die Reanimierbarkeit des Herzens hängt unter anderem von dem unter CPR erreichbaren koronaren Perfusionsdruck und dem myokardialen Blutfluss ab (der myokardiale Blutfluss ist direkt proportional dem koronaren Perfusionsdruck und entspricht dem Druckgradienten zwischen Aorta und rechtem Vorhof während der Thoraxkompressionspause). Durch die Gabe von Thrombolytika noch während der Reanimationsmaßnahmen kann die Bildung von Mikrothromben rückgängig gemacht werden und damit durch verbesserte Perfusion auch rascher eine Stabilisierung der kardiozirkulatorischen Funktion erreicht werden. (4) Die Auflösung eines frischen Thrombus beim akuten Myokardinfarkt mit Wiedereröffnung des obliterierten Gefäßes gelingt in der Mehrzahl der Patienten innerhalb von 90 Minuten nach der Gabe von Thrombolytika. Bei der Reanimation von Patienten mit akuter Pulmonalarterienembolie kann sogar in bis zu zwei Drittel der Fälle ein Überleben erreicht werden, wenn während der CPR lysiert wird. (5) Langdauernde Ganzkörperischämie und eingeschränkte Reperfusion in der Post-Reanimationsphase verursachen Hirnfunktionsausfälle und können zu schwerer, bleibender Behinderung führen. Durch Thrombolyse unter CPR ist häufiger ein gutes neurologisches Ergebnis zu erwarten. (6,7) Der Erfolg einer Reanimation nach Herzkreislaufstillstand wird von Notarzt, Intensivmediziner, Patient und Angehörigen sehr unterschiedlich bewertet. Genau genommen kann man erst von einer erfolgreichen Reanimation sprechen, wenn neben der Wiederherstellung des Kreislaufes und der Organfunktionen, sowie der Entlassung aus dem Krankenhaus ohne oder mit nur geringen Folgeschäden auch die Reintegration in das gesellschaftliche und familiäre Leben gelungen ist. 1. Thrombolyse unter Reanimation in der alpinen Notfallsituation Die Zeit zwischen Eintreten des Kreislaufstillstandes und Beginn der effektiven Hilfsmaßnahmen ist der wichtigste Faktor, der wesentlich die Überlebenschancen nach Herzkreislaufstillstand bestimmt. Die mittlere Eintreffzeit von notärztlichen Teams am Notfallort unter Verwendung von Hubschraubern beträgt durchschnittlich 13 Minuten. (8) Zusätzlich muß auch die Zeit zwischen Herzkreislaufstillstand und Alarmierung eingerechnet werden. Das bedeutet, dass gerade in der alpinen Notfallsituation die Überlebenschancen nach Herzkreislaufstillstand minimal sind, wenn keine Erstmaßnahmen durch couragierte Laien durchgeführt werden. Die notärztliche Tätigkeit im alpinen Gelände unterliegt zahlreichen Ein-

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schränkungen. Häufig erlauben räumliche Beengtheit und extreme Witterungsbedingungen keine ausführliche Diagnostik und Therapie am Auffindungsort, sodass unter Fortführung der Basismaßnahmen während der Bergung erst am Zwischenlandeplatz mit den erweiterten Maßnahmen der Wiederbelebung begonnen werden kann. Entscheidet sich der Notarzt für eine Thrombolyse während der Reanimation bedeutet dies gleichzeitig auch, dass mit Gabe des Thrombolytikums für mindestens 20 bis 30 Minuten weiter reanimiert werden muss. Die Häufigkeit der Anwendung einer thrombolytischen Therapie hängt in erster Linie von der Akzeptanz durch den Anwender ab. Auch die Sicherheit der Therapie ist zum großen Teil anwenderspezifisch. Das bezieht sich nicht nur auf die Entscheidungskompetenz des einzelnen Notarztes, sondern auch auf das Rettungssystem, in dem er arbeitet. Für die Anwendung von Thrombolytika während der Reanimation ergeben sich weitere Einschränkungen durch die hohen Kosten des Medikamentes, die unterschiedlichsten Vereinbarungen über mögliche Refundierbarkeit des Medikamentes aus Krankenhausbeständen und die unberechtigte Furcht vor Blutungskomplikationen. Wie bei jeder Therapiewahl bestimmt die Einstellung des Anwenders, ob eine Methode primär als erfolgsversprechend eingestuft werden kann und ob ein etwaiger Erfolg auch erreichbar ist. (Abb. 1) In einer telefonischen Befragung von 51 Notärzten des EMS Innsbruck im Jahre 1998 bezüglich der Verwendung von Thrombolytika in der prähospitalen Notfallmedizin erklärten sich lediglich zwei Fünftel (39,6 %) der Befragten bereit, während der CPR auch eine thrombolytische Therapie in Betracht zu ziehen. (9)

Abbildung 1 Einfluss der Einstellung des Anwenders auf Erfolg einer Therapiemaßnahme

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Absolute Kontraindikationen für die Thrombolyse unter CPR, soweit vor Ort erkennbar, sind die für Thrombolyse üblichen. Obwohl Blutungen unter CPR nicht wesentlich häufiger zu erwarten sind, gilt die CPR immer noch als relative Kontraindikation, insbesondere wenn sie prolongiert oder traumatisch verläuft. Da es unter den Bedingungen der Reanimation oft nicht möglich ist, Kontraindikationen absolut auszuschließen, ist ein Abwägen von potentiellem Nutzen und eventuellem Schaden im Sinne einer Geschäftsführung ohne Auftrag dem einzelnen Notarzt überlassen. 2. Thrombolyse und Erstbefund im EKG beim Herzkreislaufstillstand Kammerflimmern, die unkoordinierte Erregungsausbreitung aus verschiedenen Zentren des Myokards, ist der häufigste Erstbefund im EKG beim prähospitalen, nicht-traumatischen Herzkreislaufstillstand. Die Therapie der Wahl ist die elektrische Defibrillation, die bei frühzeitiger Anwendung eine gute Chance auf Erfolg hat. Bei Patienten mit rezidivierendem und persistierendem Kammerflimmern wird die Prognose durch die mögliche elektrische Schädigung des ischämischen Myokards nach frustranen Defibrillationsversuchen weiter verschlechtert. Erst wenn es gelingt die Koronararterienperfusion durch CPR-Maßnahmen zu verbessern, erhöht sich die Chance auf erfolgreiche Defibrillation. (10) In einer retrospektiven Studie konnte bei Patienten mit perisistierendem Kammerflimmern nach CPR mit Thrombolyse signifikant bessere ROSC Häufigkeit und auch höhere primäre Überlebensraten nachgewiesen werden. (11) Auch bei Patienten mit totalem elektrischen Stillstand des Myokards und des Reizleitungssystems (Asystolie) kann zumindest die Häufigkeit für ROSC und für das 24-Stunden Überleben durch Thrombolyse signifikant erhöht werden. (12) Werden die im Reizleitungssystem ablaufenden Erregungen nicht mehr auf das Myokard übertragen (pulslose elektrische Aktivität-PEA), sind die Erfolgschancen der Reanimation niedrig. Auch unter Verwendung von Alteplase (Aktilyse®) nach langdauerndem Stillstand mit PEA als EKG Befund, konnte in einer Studie kein signifikant besseres Ergebnis nachgewiesen werden. (13) 3. Thrombolyse und Post-Reanimationssyndrom Bereits kurz nach dem Sistieren des Kreislaufes wird unter Reanimationsbedingungen durch prolongierte Ganzkörperischämie und Hypoxie das Gerinnungssystem aktiviert und massiv Fibrin gebildet. Die gegenregulierende endogene Fibrinolyse ist aber nicht ausreichend um die Bildung von Thromben zu unterbinden. (14) Ischämie und Hypoxie stören die lokale fibrinolytische Funktion des Endothels und führen zu Vasokonstriktion, Zellödem und Plättchenaggregation (durch ADP, Epinephrine, Kollagen). Es kommt zur massiven Aktivierung des Gerinnungssystems und Verlegung der Mikrozirkulation durch Thromben. (15) Dieser Effekt lässt sich in Gehirngefäßen bereits innerhalb von

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5 bis 10 Minuten nach Kreislaufstillstand beobachten. (16) In den zerebralen Gefäßen kommt es erst zu einer passageren Hyperämie, dann einem Perfusionsstillstand (no-reflow) gefolgt von einem Zustand eingeschränkter Perfusion (low-flow). Inkomplette Perfusion nach transienter globaler Ischämie und Reperfusion ist eine wesentliche Ursache für das Entstehen eines Post-Reanimationssyndrom. (3) Auf zellulärer Ebene wird das Ausmaß des Reperfusionsschadens besonders durch die Funktion von Leukozyten und Thrombozyten bestimmt. (17) Hyperkoagulation und Inflammation tragen zusätzlich zur Endothelzelldysfunktion bei. (18) Thrombolytika können durch Auflösen von Mikrothromben und Verringerung der Blutviskosität die Mikroperfusion verbessern, und die Blutversorgung über Kollateralkreisläufe verstärken. Damit wird auch die aktuelle Ischämietoleranz des Gewebes erhöht. (19) 4. Mögliche Wirkungsmechanismen der Thrombolytika Die möglichen Wirkungsmechanismen der Thrombolytika gerade beim Herzkreislaufstillstand unter Reanimation sind sehr komplex. (Abb. 2) Die Auflösung eines frischen Blutgerinnsels (Thrombus) erfolgt durch Aktivierung von körpereigenem Plasminogen zu Plasmin. Wenn Fibrin-gebundenes Plasminogen aktiviert wird, kommt es zur lokalen Spaltung von Fibrin. Wird das Thrombolytikum in sehr hohen Dosen oder auch als Bolus gegeben, kann zusätzlich eine systemische Wirkung mit Spaltung von Fibrinogen, Faktor V und Faktor VIII durch Aktivierung von zirkulierendem ungebundenem Plasminogen beobachtet werden. Bei der Behandlung des akuten Myokardinfarktes kann durch

Abbildung 2 Mögliche Wirkungsmechanismen der Thrombolytika beim Herzkreislaufstillstand

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Auflösung des ursächlichen Thrombus der Myokardschaden signifikant verringert und damit niedrigere Morbidität und Mortalität erreicht werden. Bei der pulmonalarteriellen Embolie werden dem Embolus aufliegende frische Thromben aufgelöst. Dadurch wird die Rekanalisation der embolisch verlegten Lungenstrombahn gefördert und damit eine rasche hämodynamische Entlastung des rechten Ventrikels erzielt. Ein weiterer Grund dafür, warum die Thrombolyse gerade unter den Bedingungen der Reanimation in Betracht gezogen werden sollte, ist die Verbesserung der Mikrozirkulation. Unter den Bedingungen der Reanimation kann es in der Reperfusionsphase zu einer pathologischen Aktivierung der Blutgerinnung mit Verlegung der Mikrozirkulation durch Fibrinformationen, Thrombozytenaggregaten und Mikrothromben kommen. (20) Durch die intravasalen Fibrinablagerungen wird die ohnehin niedrige Perfusion unter CPR weiter eingeschränkt. (14) Fischer M. et al. konnten im Tierversuch zeigen, dass die eingeschränkte Wiederdurchblutung der Hirnareale (zerebraler no-reflow) nach Wiedereintritt eines spontanen Kreislaufes (ROSC) signifikant besser ist, wenn unter Reanimation Plasminogen Aktivator und Heparin gegeben wurden. (16) Beim Menschen konnte nach erfolgreicher CPR mit Thrombolyse auch ein besseres neurologisches Ergebnis nach Entlassung (6) und ein besseres Langzeitergebnis bezogen auf Lebensqualität und Zufriedenheit der Überlebenden nachgewiesen werden. (7) Nach erfolgreicher Eröffnung eines Gefäßes kann es zu einem erneuten Verschluss (Reokklusion) kommen, wenn aus dem lysierten Gerinnsel freigesetztes Thrombin zu einer Aktivierung von Faktor V, Faktor VIII und Thrombozyten führt. Auch Aktivierung des Kallikrein-Kinin Systems durch Plasmin kann eine Rethrombose ermöglichen. (21) Die kombinierte Gabe von antithrombotischen Substanzen und Thrombozytenaggregationshemmern soll die Reokklusion des bereits eröffneten Gefäßes verhindern. Heparin ist ein die Blutgerinnung hemmender Wirkstoff (Glykosaminoglykan) mit verschiedenen Angriffspunkten im Gerinnungssystem (Hemmung der Faktoren XII, XI,X, IX und II, Bindung von Kalziumionen, Bindung an heparinspezifischen Rezeptoren auf Thrombozyten, Induktion endothelnaher Fibrinolyse, u.a.). Niedermolekulares Heparin (LMWH) hemmt selektiv den Faktor Xa der Blutgerinnung, ist länger wirksam und beeinflusst die Thrombozytenfunktion weniger als unfraktioniertes Heparin. (22) Acetylsalicylsäure (ASA) ist ein Prostaglandinhemmer mit analgetischer, antipyretischer und antiphlogistischer Wirkung. ASA hemmt die Thromboxansynthese und die Freisetzung von Adenosindiphosphat (ADP) durch Thrombozyten und verhindert damit nachhaltig die Plättchenaggregation. (23)

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5. Zukunftsperspektiven Ziel der Reanimation ist es , nicht nur einen spontanen Kreislaufwieerherzustellen, sondern auch das Ausmaß des Reperfusionsschadens und der postischämischen anoxischen Enzephalopathie gering zu halten. Da die Qualität des neurologischen Outcome nach Herzkreislaufstillstand und Wiederbelebung hauptsächlich von der Dauer der Nicht-Perfusion und anschließenden Minder-Perfusion sowie der Körpertemperatur abhängt, sind alle CPR-Maßnahmen, die innerhalb der ersten Stunde nach Stillstand getroffen werden, entscheidend. Die Chance, Thrombolyse unter CPR als Teil der erweiterten Maßnahmen in den internationalen Richtlinien für Reanimation zu verankern, hängt von den Ergebnissen einer aktuellen Untersuchung TROICA (Thrombolysis in Cardiac Arrest) ab. In dieser randomisierten, placebokontrollierten, multizentrischen, internationalen Doppelblind-Studie wird untersucht, ob das derzeitig modernste, im Handel erhältliche Thrombolytikum, Tenecteplase (Metalyse®) auch die Mortalität von Patienten, die wegen Herzstillstand reanimiert werden, reduzieren kann. Für eine routinemäßige Anwendung bei der Reanimation müssten billige, fibrinspezifische und einfach zu applizierende Thrombolytika entwickelt werden. Alternative Methoden wie Hämodilution, Hochdruck-Reperfusion, Gabe von Antioxidantien, Notfall by-pass und milde Hypothermie nach Stillstand sind weitere Methoden, die es Wert wären, genauer auf ihre prähospitale Anwendbarkeit untersucht zu werden. (24) Die prähospitale Fixierung des Zellstoffwechsels am Notfallort mit zeitlich verzögertem Reanimationsbeginn im Notfallzentrum (Suspended animation for delayed resuscitation) wie sie von Peter Safar, dem herausragenden Visionär in der Notfallmedizin, als zukünftige Maßnahme beschrieben wurde, ist derzeit noch Fiktion. (25)

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Fletcher A. P., Alkjaersig N., Smyrniotis F. E., Sherry S.: The treatment of patients suffering from early myocardial infarction with massive and prolonged streptokinase therapy. Trans.Assoc.Am.Physicians 71,287-296 (1958)

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Christoph Kruis

Möglichkeiten und Grenzen der Flugrettung Chances and Limits in Helicopter Mountain Rescue S U M M A RY Mountain rescue in Bavaria is done by the German Red Cross Mountain Guard. Helicopter rescue is operated by civilian rescue organisations, army and police. These helicopter Crews will be completed by the Mountain Guard and Mountain Guard Doctors as an integrated mountain rescue concept. Because of the risks of mountain rescue, the rescue management lies in the responsibility of the Mountain Guard. Main limits of helicopter rescue operations are weather conditions and darkness. In these cases, team work by different organisations is essential for effective work. In our opinion, speed in operation may include fatal risks and is not necessary in most cases. In the evaluation of statistics of mountain emergencies, done by the German and Swiss Alpine Clubs, we saw less severe scores in comparison with general emergency cases. Last but not least, there is an appeal to all mountaineers, to check all risks in their own responsibility because there is no claim to rescue in a manner like traffic accidents. Keywords: German Red Cross Mountain Guard, integrated mountain rescue concept, evaluation of mountain emergencies, NACA-Score, mountaineer’s responsibility

Z U S A M M E N FA S S U N G Bergrettung in Bayern ist gesetzlich verankerte Aufgabe der Bergwacht. Weil die Bergwacht über keine eigenen Luftrettungsmittel verfügt, werden diese Einsätze in Zusammenarbeit mit Hubschraubern der Rettungsdienste, der Bundeswehr, der Polizei und des Bundesgrenzschutzes durchgef>ührt. Die Grenzen der Flugrettung sind in erster Linie durch das Wetter und die Tageszeit definiert. Die Geländebedingungen und die rettungstechnischen Erfordernisse erfordern eine enge Zusammenarbeit der Bergwacht mit Bergwachtärzten und den Hubschrauberbesatzungen im Sinne eines integrierten Bergrettungskonzeptes.

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Die Risiken von Bergrettungseinsätzen sind grundsätzlich hoch, deshalb muss diesen Aspekten die führende Rolle in der Einsatzplanung zukommen. Die Auswertung der Bergunfallstatistiken zeigt ein Überwiegen von niedrigeren Schweregraden bei Verletzungsmustern und Erkrankungen, verglichen mit dem übrigen Primäreinsatzaufkommen eines Rettungshubschraubers. Allein auf Schnelligkeit ausgerichtete Einsatzstrategien durch eigenständig agierende Hubschrauberbesatzungen sollten deshalb auf besondere Situationen beschränkt bleiben. Es wird herausgestellt, dass das spezielle Risiko des Bergsteigen eigenverantwortlich von den Alpinisten zu tragen ist und die kurzen Hilfsfristen aus der Landrettung nicht unter Inkaufnahme höherer Risiken in das Gebirge übertragen werden dürfen. Schlüsselwörter: Bergwacht Bayern, Integriertes Bergrettungskonzept, Bergunfallstatistik, NACA-Score, Eigenverantwortung

EINLEITUNG Bergrettung ist ein mühsames und gefährliches Handwerk. Die Mühen sind durch den Siegeszug der Gebirgsluftrettung weniger geworden, möglicherweise um den Preis höherer Gefahren. Flugunfälle bei Rettungseinsätzen sind ein seltenes, aber regelmäßiges Ereignis, wenngleich dem Autor hierzu keine Zahlen vorliegen. Die Bergrettung in Bayern ist Aufgabe der Bergwacht, eine Gliederung in eine Bergwacht mit Naturschutzaufgaben und einen Bergrettungsdienst, wie in Österreich, gibt es in Bayern nicht. Entstanden ist die Bergwacht Bayern aus dem 1924 gegründeten Gebirgsunfalldienst des Roten Kreuzes.

E I N S AT Z K O N Z E P T I O N In der terrestrischen Bergrettung werden im wesentlichen seit Jahrzehnten bekannte Techniken verwendet, wenn auch modifiziert und mit modernem Material. Die Etablierung der Gebirgsluftrettung ermöglicht dagegen zuvor undenkbar kurze Einsatzzeiten sowie die schnelle und schonende Evakuierung. Die Einsatzkonzeption der Bergwacht folgt dem Konzept einer „Bergrettung aus einem Guss“. Dies bedeutet die Integration externer Leistungserbringer unter Einsatzleitung der zuständigen Bergwachtbereitschaft. Externe Leistungserbringer sind am häufigsten Hubschrauberstationen der Bundeswehr, ziviler Rettungsorganisationen, der Polizei und des Bundesgrenzschutzes. Auch außerhalb der Flugrettung existieren Kooperationen, z. B. mit Wasserwacht oder Höhlenrettung.

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Die wesentlichen Vorteile dieser Struktur sehen wir in der nahtlosen Verzahnung terrestrischer und luftgebundener Einsatzstrategien. Entsprechend dem Bayerischen Rettungsdienstgesetz obliegt die Gesamtverantwortung für den Bergrettungseinsatz der Bergwacht.

FLUGRETTUNG Die Möglichkeiten der Flugrettung sind enorm und bedürfen eigentlich keiner weiteren Erläuterung. Eine kleine Einsatzgruppe wird nach kurzer Anflug- und Vorbereitungszeit direkt am Einsatzort beim Notfallpatienten abgesetzt. Gelingt dies und kann der Patient auf dem selben Wege evakuiert werden, so ist der gesamte Zeitrahmen in hohem Maße kalkulierbar. Dies eröffnet die Option, bei entsprechenden Verletzungsmustern, notfallmedizinische Maßnahmen in ähnlichem Umfang anzuwenden, wie sie im Landrettungsdienst etabliert sind. Schmerztherapie, Volumengabe, airway management und monitoring sind grundsätzlich möglich. Die „goldene 1. Stunde“ im Polytraumamanagement kann effizient genutzt werden. Doch was ist Realität? Der Verletzte liegt in unwegsamem Gelände. Eigensicherung ist erforderlich, der Notarztrucksack kann nirgends abgelegt werden. Kein Platz für genügend Helfer, um eine wirbelsäulengerechte Immobilisierung herzustellen. Intubation? Wohin mit Monitor und Beatmungseinheit? Was ist, wenn eine Nebelbank den neuerlichen Anflug des Helikopters vereitelt? Die Konsequenz daraus ist, dass im Regelfall zunächst die technische Rettung aus schwierigem Gelände erfolgt und erst nach einer Zwischenlandung die medizinische Versorgung durchgeführt wird.

TERRESTRISCHE RETTUNG Der bodengebundene Einsatz steht unter schwierigen Vorzeichen. Das Wetter ist schlecht, es ist Nacht. Oder beides. Kein Flugwetter. Die Bergrettungsdienste sind allesamt ehrenamtlich organisiert, zunehmende Schwierigkeiten bereitet die Freistellung von der Arbeit. Fehlzeiten werden vom Lohn abgezogen und angesichts schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen nimmt die Toleranz der Arbeitgeberseite ab. Die Einsatzzeit ist naturgemäß länger, mehr Personal ist im Einsatz, Bergrettungsärzte sind nur bergrenzt verfügbar, häufig sind die Risiken (z. B. Lawinengefahr) größer als in der Luftrettung (Abb. 1).

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Abbildung 1 Nächtlicher Lawineneinsatz. Höchste Stufe im Lawinenlagebericht. Beide Opfer tot. Keine LVS-Geräte, somit auch zeitlich maximale Gefahrenexposition. Foto: Bergwacht Bayern

Der medizinischen Versorgung sind engere Grenzen gesetzt. Die medizinische Ausrüstung muss auf ein Minimum reduziert werden und invasive Maßnahmen verbieten sich häufig allein schon deshalb, weil unter den Bedingungen des terrestrischen Transportes beispielsweise die Aufrechterhaltung einer Narkose definitiv unmöglich sein kann.

DISKUSSION Alle diese Ausführungen sollen an dieser Stelle nur rekapituliert werden, schließlich sind die jeweiligen Rahmenbedingungen seit Jahren im wesentlichen unverändert geblieben. Deshalb sollen meine Betrachtungen auch die Umstände beleuchten, die das heutige Einsatzaufkommen wesentlich mitbestimmen. Verlagern wir unsere Überlegungen zeitlich betrachtet in das Vorfeld eines Einsatzgeschehens, müssen wir feststellen, dass Bergrettungsdienste kaum noch Ermessensspielräume beanspruchen können. Mit der Alarmierung beginnen Algorhythmen mit einer ihnen innewohnenden Eigendynamik abzulaufen.

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Beispielhaft die Skizze eines Einsatzes: Der Notruf geht via Mobilfunk in kürzester Zeit zur Rettungsleitstelle. Der Disponent leitet den Auftrag zur zuständigen Bergwachtbereitschaft weiter. Jetzt beginnt das Dilemma. Bisher ist die Zeitspanne seit der Alarmierung extrem kurz. Der Einsatzleiter hat jetzt die Modalitäten des Einsatzes zu definieren. Die Informationen zur Lage sind spärlich, oft gelingt die Kontaktaufnahme zum Melder nicht, die Mobilfunkabdeckung ist im Hochgebirge in hohem Maße lückenhaft. Die Dringlichkeit des Einsatzes kann nicht zuverlässig eingeschätzt werden, das schnellste Rettungsmittel muss folgerichtig eingesetzt werden. Also ein Hubschrauber, der nächste Verfügbare, mit Winde oder Bergetau. Zusätzlich wird die Bodenmannschaft zusammengestellt und auf den Weg gebracht. Mit Maximalaufwand wird der Einsatz abgewickelt. Alles läuft unkompliziert, die Bergsteiger sind unverletzt. Sie hatten sich verstiegen, sind erschöpft wegen ungenügender Kondition und zu schwerer Rucksäcke, kamen in die Dunkelheit und wollten nicht biwakieren. Biwak? Bergsteigen ist Trend. Oder Trendsport. Also in. Bergsteiger fahren Mountainbike, Klettern Sport in Halle oder Klettergarten, Fahren Ski und Snowboard, gehen auf Skitour, fliegen mit Gleitschirm oder Drachen, steigen in Bäche zum Canyoning, usw. Das Handy ist immer dabei, der Mitgliedsbeitrag beim Alpenverein sichert die Versicherungsleistung „Such-, Bergungs- und Rettungskosten“. Dies soll keine Gesellschaftskritik sein, trotzdem ist es legitim, Mechanismen zu hinterfragen, die offensichtlich den Löwenanteil der Bergrettungseinsätze verursachen. Laut Bergunfallstatistik des Deutschen Alpenvereins (1) der Jahre 2002/2003 finden 80 % der Bergnotfälle ihre Ursache im Mangel an alpiner Erfahrung, mangelndem Können und unzureichender körperlicher Verfassung. Nach den Erhebungen von Martin Burtscher (2) sind in mehr als 30 % der tödlichen Ereignisse im Bergsport sogenannte „plötzliche Herztodesfälle“. Die statistischen Auswertungen der Bergwacht (3) belegen einen Anteil von 75 % Alarmierungen mit Mobilfunk. Es ist nicht zulässig, daraus abzuleiten, dass die Verfügbarkeit von Mobilfunk negativen Einfluss auf Erfahrung, Können und Kondition der Bergsteiger im Allgemeinen hätte. Dennoch bleibt die begründete Mutmaßung, dass die gesellschaftlichen Entwicklungen eine Rolle spielen. Bergsport findet in außerordentlichem Umfang unter Umgebungsbedingungen statt, die außerhalb der infrastrukturellen Erschließung gelegen sind. Vielfach ist aber keine Bereitschaft erkennbar, durch entsprechende Vorbereitung und Durchführung von Bergtouren die daraus resultierenden Risiken auf ein „unvermeidliches“ Maß (sportartspezifisches

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Restrisiko) zu verringern. In der „Notsituation“ werden dann die Rettungsmittel in Anspruch genommen, auch dann, wenn kein objektiver Notfall vorliegt. Häufig genügen hierzu schon Müdigkeit oder ein drohendes Biwak, also ein Komfortverlust. Dabei handelt es sich um einen drastischen Verfall eherner alpinistischer Sitten. Ein ungeschriebener Ehrenkodex verlangt den maximalen persönlichen Einsatz, um eine Notlage möglichst autark zu meistern. Im Gegensatz dazu kommt eine „Vollkasko – Mentalität“ zum Tragen, wie sie andernorts ebenfalls beklagt wird und ein übersteigertes Anspruchsdenken an Verfügbarkeit und Schnelligkeit der Rettung ist assoziiert. Dieses Anspruchsdenken muss relativiert werden. Selbstverständlich besteht ein Anspruch auf Hilfe, aber zu welchen Risiken? Das Bewusstsein muss wiederbelebt werden, dass wer den infrastrukturell erschlossenen Raum verlässt, in hohem Maße eigenverantwortlich die Risiken zu tragen hat. Für diesen erzieherischen Prozess sind neben den Alpenvereinen auch die Rettungsorganisationen verantwortlich. Konsequentes definieren rein alpiner Notfälle in Abgrenzung zu medizinischen Indikationen ist gefordert. Versicherungspakete und Gönnerstatus ohne finanzielle Selbstbeteiligung sind kontraproduktiv. Diese Thesen werden untermauert durch die Auswertungen des alpinen Unfallgeschehens. Eigene Daten der Hubschrauberstation „Christoph Murnau“ aus

Tabelle 1

100


dem Jahre 2002 zeigen die Unterschiede in der NACA-Score-Verteilung zwischen dem Bergunfallgeschehen (Tab. 1)und dem übrigen Aufkommen an Primäreinsätzen (Tab. 2). Ähnlich liegen die Daten in der Schweiz. Die Erhebungen aus dem Jahre 1998 (4) weisen ein vergleichbares Ergebnis aus. Nur bei ca. 19,5% (n ca. 260) der Bergnotfälle (n ca. 1330) wurde ein medizinischer Index entsprechend den NACA-Einstufungen 4 bis 7 festgestellt.

Tabelle 2

SCHLUSSFOLGERUNG Die Bergwacht Bayern hat sich immer distanziert mit Einsatzkonzeptionen befasst, die den Faktor Zeit zur alleinigen Priorität erheben. Die kurzen Hilfsfristen im Landrettungsdienst dürfen nicht unreflektiert als Maßstab für den Bergrettungsdienst herangezogen werden. Sie sind mit ehrenamtlich tätigen Einsatzkräften nicht umzusetzen. In der integrierten Einsatzkonzeption leisten Bergwacht und Luftrettungsorganisationen die Mehrzahl der Einsätze in gemeinsamen Aktionen unter Leitung der Bergwacht. Im Einzelfall fliegen Rettungshubschrauber die Unfallstelle auf Weisung der Bergwacht direkt an, wenn vordringlich die medizinische Versorgung in unschwierigem Gelände erforderlich ist. Weil die Besatzungen der Rettungshubschrauber in Deutschland in ihrer alpinen und bergrettungstechnischen Qualifikation nicht standardisiert sind, wird in allen anderen Fällen die Hubschrauberbesatzung mit Bergwachtpersonal ergänzt (Abb. 2).

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Abbildung 2 Rettung des Überlebenden nach Absturz des Seilpartners mit der Winde des ADAC Rettungshubschraubers „Christoph Murnau“. Bergwachtmann und Verunfallter im Doppelwinchverfahren Foto: R. Raßhofer

Neben der Sicherheit sehen wir weitere Vorteile dieser Vorgehensweise auch darin, dass ggf. ein Einsatz mit terrestrischen Mitteln oder anderem/ weiteren Hubschrauber(n) nahtlos fortgesetzt werden kann (Abb. 3) Abschließend soll hervorgehoben werden, dass die Risiken in der Bergrettung ganz allgemein, aber besonders in der Flugrettung, Anlass sein sollten, Einsatzkonzeptionen nicht nur patientenorientiert, sondern explizit auch retterorientiert zu prüfen. Auch in der rückwärtigen Betrachtung muss die Indikation zu einem Einsatz einer kritischen Beurteilung auch dann standhalten, wenn dieser Einsatz im Desaster sein Ende finden sollte.

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Abbildung 3 Bergrettungskräfte an der festinstallierten Seilwinde am Dom (Wetterstein) nach Absetzen mit Helikopter. Direktbergungen aus der Wand sind nicht möglich Foto: Archiv Kruis

L I T E R AT U R (1)

DAV-Sicherheitsforschung: Bergunfallstatistik 2002 – 2003

(2)

Burtscher M.: Herztodrisiko und Präventivmaßnahmen. In: Sicherheit im Bergland – Jahrbuch 1997, Österreichisches Kuratorium für alpine Sicherheit

(3)

Bergwacht Bayern: Notruf mit dem Handy. Hart am Berg, März 2002

(4)

Mosimann U., Hassler R.: Bergnotfälle Schweiz 1998. Die Alpen, 18-21 (6/1999)

103


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M a t t h i a s H o h l r i e d e r, R i c h a r d Z i n n e c k e r, P e t e r M a i r

Tr a u m a d i a g n o s t i k beim alpinen Flugrettungseinsatz Missed Diagnosis in Alpine Helicopter Rescue Missions S U M M A RY Accurate diagnosis of both, the pattern and the severity of injury is difficult in the prehospital environment and precision and reliability of diagnosis may be further limited by environmental circumstances during alpine rescue missions. We have therefore evaluated the incidence of missed diagnosis in 97 patients rescued by a physicianstaffed emergency medical helicopter after a major fall in alpine terrain. The severity of injury was accurately detected in all 17 patients with critical multisystem trauma (ISS >20). However, a total of 40 severe or even life threatening individual injuries were missed in 29 patients. Patients with missed injuries had significantly higher ISS- and significantly lower GCS scores, respectively. Fractures of the spine, the pelvis and the skull as well as major thoracic injuries such as pneumothoraces were not detected in more than 50 % of the cases. We conclude, that under the particular circumstances of an alpine rescue mission the exact diagnosis of individual injuries is often impossible, although the severity of injury in critical multitrauma cases is reliably identified. We suggest that algorithms for trauma management in alpine helicopter rescue missions should not be based on the diagnosis of individual injuries, but on the pattern of injury expected on the basis of history and the mechanism of trauma. Keywords: helicopter, trauma, missed diagnoses, alpine medicine

Z U S A M M E N FA S S U N G Die ohnehin nicht leichte präklinische Diagnostik traumatisierter Patienten wird im Rahmen des alpinen Flugrettungseinsatzes durch äußere Faktoren wie Schnee, Kälte, Wind, sowie Absturzgefahr, Zeitdruck und Rotorlärm weiter erschwert. Nicht gestellte Diagnosen verzögern lebensrettende oder organerhaltende notärztliche Maßnahmen oder führen zur Wahl des falschen Zielkrankenhauses. In einer retrospektiven Untersuchung haben wir bei insgesamt 97 Patienten, die nach einem Absturz im alpinen Gelände von einem Notarz-

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thubschrauber geborgen wurden, die Treffsicherheit und Genauigkeit der präklinischen Notarztdiagnosen untersucht. Die Verletzungsschwere im Falle einer kritischen Mehrfachverletzung (ISS >20) wurde bei keinem der 17 Patienten unterschätzt. Es bestand im Gegenteil eher die Tendenz im Falle einer leichten oder moderaten Mehrfachverletzung die Verletzungsschwere zu überschätzen. Im Gegensatz dazu wurden bei 29 der 97 Patienten insgesamt 40 relevante oder lebensbedrohliche Einzelverletzungen nicht erkannt. Patienten mit nicht erkannten Einzelverletzungen wiesen signifikant höhere ISS- und signifikant niedrigere GCS-Werte auf. Nicht erkannte Verletzungen waren vor allem auf den Bereich des Thorax, der Wirbelsäule, des Beckens und des Schädels zu finden. Unter den besonderen Umständen des Bergrettungseinsatzes ist eine exakte Diagnostik von Einzelverletzungen offensichtlich in vielen Fällen nicht möglich. Andererseits werden kritische Mehrfachverletzungen in ihrer Vitalgefährdung in aller Regel erkannt. Auf Grund unserer Daten glauben wir, dass sich Algorithmen zur präklinischen Traumabehandlung im alpinen Flugrettungseinsatz weniger auf die Diagnostik von Einzelverletzungen stützen sollten, als vielmehr auf das vermutete Verletzungsmuster aufgrund des Unfallherganges. Schlüsselwörger: Hubschrauber, Trauma, Diagnose, Alpinmedizin

EINLEITUNG Das Thema „Treffsicherheit und Genauigkeit“ präklinischer Diagnostik beim traumatisierten Patienten wurde in der Literatur bisher nur vereinzelt diskutiert (1,2). Dies ist eigentlich verwunderlich, da Algorithmen zur präklinischen Traumaversorgung häufig auf der exakten und verlässlichen Diagnostik von Einzelverletzungen beruhen. Aus dem Bereich der alpinen Notfallmedizin sind diesbezüglich praktisch überhaupt keine Daten publiziert. Gerade hier wird die ohnehin nicht leichte Diagnostik am Notfallort durch ungünstige äußere Faktoren wie Schnee, Kälte, Wind, sowie Absturzgefahr und Zeitdruck weiter erschwert. Ziel dieser retrospektiven Studie war es daher, die Treffsicherheit und Genauigkeit präklinischer Traumadiagnostik im Rahmen alpiner Flugrettungseinsätze zu evaluieren.

METHODIK Patienten Über einen Zwei-Jahres-Zeitraum (2001-2002) wurden aus insgesamt 5.649 Einsatzprotokollen der Notarzthubschrauber Christophorus 1 in Innsbruck,

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Christophorus 5 in Zams und Christophorus 8 in Feldkirch alle Einsätze mit dem Notfallereignis „(Ab-)Sturz in alpinem Gelände“ ausgewählt. Patienten, die beim Eintreffen des Notarztes bereits tot waren oder während des Transports verstarben, wurden von der weiteren Auswertung ausgeschlossen. In die endgültige Auswertung wurden schlussendlich 97 Patienten (71 Männer, 26 Frauen, mittleres Alter 42,5 Jahren) mit einer gesicherten Sturzhöhe von 1,5 m aufgenommen. Evaluierung der präklinischen Diagnostik Aus den Entlassungs-Arztbriefen der aufnehmenden Krankenhäuser (Universitätsklinik Innsbruck und 11 Landes- und Bezirkskrankenhäuser) wurden für jeden der 97 Patienten alle im Krankenhaus diagnostizierten Einzelverletzungen erhoben. Anschließend wurden diese Verletzungen nach dem AIS (Abbreviated Injury Scale) Klassifizierungsschema bewertet (3). Kurz zusammengefasst ist das AIS Klassifizierungsschema ein auf anatomischer Verletzungsdiagnostik beruhendes System, das über Expertenkonsensus jeder Einzelverletzung in einer von 6 verschiedenen Körperregionen (Kopf und Hals, Gesicht, Brustkorb, Bauchregion, Extremitäten, Weichteile) eine definierte Verletzungsschwere auf einer sechsteiligen Skala zuordnet (1 = leicht, 2 = mittel, 3 = schwer, 4 = bedrohlich, 5 = kritisch, 6 = nicht überlebbar). Im Falle einer Mehrfachverletzung errechnet sich aus den AIS Werten der drei am schwersten betroffenen Körperregionen der ISS-Wert (Injury Severity Score) (4). ISS-Werte zwischen 1 und 7 wurden als leichte, zwischen 8 und 13 als moderate, zwischen 14 und 20 als schwere und über 20 als kritische Mehrfachverletzung angesehen (5). Aus den Einsatzprotokollen der Notarzthubschrauber wurden ebenfalls alle dokumentierten Verletzungen erfasst und mit den endgültigen Entlassungsdiagnosen der aufnehmenden Krankenhäuser verglichen. Zur Evaluierung der präklinischen Diagnosesicherheit wurden nur Einzelverletzungen des AISSchweregrades 3 (schwer, bedrohlich, kritisch, nicht überlebbar), sowie Frakturen großer Röhrenknochen berücksichtigt. Als „nicht gestellt“ wurde eine Diagnose dann klassifiziert, wenn weder die Verletzung selbst, noch ein Verdacht auf diese Verletzung im Einsatzprotokoll des Notarzthubschraubers dokumentiert waren. Aus den Einsatzprotokollen der Notarzthubschrauber wurden außerdem der NACA Index, der Glasgow Coma Scale (GCS) Wert, sowie die Dauer der Bergung und die angewandte Bergetechnik (Taubergung ja/nein) erfasst. Statistische Analyse Zur Beschreibung kontinuierlicher Variablen wurden Mittelwerte und Stan-

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dardabweichungen berechnet. Signifikanzprüfungen zwischen Gruppen wurden mittels Qui-Square-Tests und t-Test durchgeführt (SPSS Version 11.0, SPSS Inc., Chicago, IL). Als statistisch signifikant wurden p-Werte kleiner 0,05 angesehen.

ERGEBNISSE Die Sturzhöhe der 97 Opfer variierte zwischen 1,5 und 300 m und betrug im Mittel 51,4 m. Vierundachtzig Stürze (86,6 %) ereigneten sich im Rahmen von Freizeitaktivitäten (Wandern, Bergsteigen, Klettern), während der Rest auf Arbeitsunfälle im alpinen Gelände entfiel. Sechzig Verletzte (61,9 %) mussten aufgrund der Geländegegebenheiten mittels Tau geborgen werden. Die Zeit für Diagnostik und Therapie am Notfallort betrug im Mittel 41,4 Minuten. Der Injury Severity Score der 97 Personen lag zwischen 1 und 59 (Mittelwert 13,1 ± 12.0). Die meisten Patienten waren leicht (n=32, 33,0 %) oder moderat (n=37, 38,1%), ein kleinerer Teil schwer (n=11, 11,3%) oder kritisch (n=17, 17,5%) verletzt. Alle kritisch verletzten Patienten (ISS > 20) wurden vom Notarzt der NACA-Klasse IV oder V (akute Lebensgefahr möglich oder akute Lebensgefahr) zugeordnet. Bei 24 der 69 (35 %) nur leicht oder moderat verletzten Patienten (ISS 1–13) wurde allerdings am Notfallort akute Lebensgefahr vermutet (NACA V, n = 3) oder konnte zumindest nicht ausgeschlossen werden (NACA IV, n = 21). Betrachtet man die nicht diagnostizierten Einzelverletzungen der untersuchten Patienten so waren bei 29 der 97 Patienten (30 %) insgesamt 40 Frakturen oder Einzelverletzungen des AIS Schweregrades 3 in den Notarztprotokollen nicht dokumentiert. Die anatomische Lokalisation und die relative Häufigkeit des Nichterkennens für diese Verletzungen ist in Tabelle 1 dargestellt. Es fällt auf, dass Frakturen oder schwere Einzelverletzungen vor allem im Rumpfbereich nicht erkannt wurden. Einzelverletzungen mit einer besonders hohen relativen Häufigkeit des Nichterkennens (>50 %) sind offensichtlich knöcherne Verletzungen des Schädels, der Hals- und Brustwirbelsäule, des Beckens, sowie Verletzungen des Brustkorbes im allgemeinen. Vergleicht man jene 29 Patienten bei denen relevante Einzelverletzung nicht erkannt wurde mit den restlichen 68 Patienten (Tabelle 2) so fällt auf, dass Patienten mit nicht gestellten Diagnosen signifikant niedrigere GCS-Werte und signifikant höhere ISS-Werte aufwiesen. Sie waren signifikant häufiger schockiert (systolischer Druck < 90mmHg) und mussten signifikant häufiger bereits am

108


VERLETZUNG

gesamt

nicht diagnostiziert

Schädelfraktur

12

6 (50 %)

Wirbelsäule Zervikale Fraktur / Luxation Thorakale Fraktur / Luxation Lumbale Fraktur / Luxation

21 4 8 9

11 (52 %) 4 (100 %) 4 (50 %) 3 (33 %)

Thorax Rippenfraktur Pneumo- / Hämatothorax

27 17 10

15 (56 %) 8 (47 %) 7 (70 %)

Abdominelle Blutung

2

0 (0 %)

Beckenfraktur

6

3 (50 %)

Obere Extremität Oberarmfraktur Unterarmfraktur

10 3 7

3 (30 %) 1 (33 %) 2 (29 %)

Untere Extremität Oberschenkelfraktur Unterschenkelfraktur Fußfraktur /-Luxation

23 1 13 9

2 (9 %) 0 (0 %) 1 (8 %) 1 (11 %)

GESAMT

89

40 (45 %)

Tabelle 1: Häufigkeit und anatomische Verteilung am Notfallort nicht diagnostizierter Verletzungen (Frakturen und Verletzungen AIS 3)

GCS ISS Intubation Schock Versorgung Taubergung

Patienten mit nicht gestellten Diagnosen (n = 29)

Patienten ohne nicht gestellte Diagnosen (n = 68)

p-Wert

11,8 ± 0,8 25,2 ± 2,5 10 11 49,7 ± 4,7 19

14,9 ± 0,1 7,9 ± 0,8 2 2 37,9 ± 3,7 43

0,000 0,000 0,000 0,000 0,052 0,510

Tabelle 2: Charakteristika von Patienten mit und ohne am Notfallort nicht gestellter Diagnosen

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Notfallort intubiert werden. Bezüglich des Anteiles an Taubergungen unterschieden sich die beiden Gruppen jedoch nicht signifikant.

DISKUSSION Auf Basis der am Unfallort erstellten Diagnosen werden lebensrettende oder organerhaltende notärztliche Maßnahmen indiziert. Überdies sind diese Notfalldiagnosen häufig die Basis für die Einschätzung der Dringlichkeit des Transports sowie die Wahl des Zielkrankenhauses. Nicht oder unrichtig gestellte Diagnosen haben daher ohne Zweifel einen erheblichen Einfluss für die optimale Versorgung von Traumapatienten. Für den Bereich der Erstversorgung im Krankenhaus wurde die Bedeutung nicht gestellter Diagnosen für die Akutversorgung schwerverletzter Patienten bereits in mehreren Studien (6–9) untersucht. In unserer Untersuchung fällt auf, dass die Verletzungsschwere im Falle einer kritischen Mehrfachverletzung nie unterschätzt wurde. Es besteht im Gegenteil eher die Tendenz im Falle einer leichten oder moderaten Mehrfachverletzung die Verletzungsschwere zu überschätzen. Eine deutlich geringere Treffsicherheit notärztlicher Diagnostik findet sich dagegen bei der exakten Diagnostik von – auch schweren oder lebensbedrohlichen – Einzelverletzungen. Hier wurden beim alpinen Flugrettungseinsatz bei 30 % aller untersuchten Patienten relevante Einzelverletzungen nicht erkannt. Die Häufigkeit nicht erkannter Verletzungen in unserer Untersuchung liegt doch deutlich über jener für den Flugrettungseinsatz im außeralpinen Bereich (2). Es sei an dieser Stelle bereits angemerkt, dass ein Teil dieser Verletzungen prinzipiell präklinisch nicht diagnostizierbar ist (z. B. Halswirbelfraktur bei bewusstlosem Patienten) oder eine entsprechende Diagnostik nach der gängigen Lehrmeinung aus Prioritätsgründen nicht durchgeführt werden soll (z. B. Gesichtschädelfraktur bei hämodynamisch instabilem, polytraumatisierten Patienten). Trotzdem finden sich in unseren Daten auch einige, häufig nicht erkannte, schwere Einzelverletzungen, deren Erkennen präklinisch möglich und klinisch sinnvoll erscheint (z. B. Pneumothorax bei Serienrippenfraktur). Frühere Studien haben gezeigt, dass das Risiko Verletzungen zu übersehen ganz allgemein – prä- als auch innerklinisch – im Bereich der Wirbelsäule besonders hoch ist (9–11). Auch in unseren Ergebnissen findet sich die höchste Inzidenz nicht erkannter Verletzungen in diesem Bereich. Eine Häufung nicht erkannter Verletzungen im Bereich der Extremitäten, wie sie in einigen früheren Arbeiten beschrieben wurde (9, 12, 13), fanden wir vor allem bei Frakturen und Luxationen der oberen Extremität. Als Grund für das Nicht-Erkennen von schweren oder lebensbedrohlichen Ein-

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zelverletzungen im Rahmen der Akutversorgung traumatisierter Patienten sind in der Literatur mehrere mögliche Ursachen beschrieben worden (6, 14, 15). Zunächst können Patientenbezogene Faktoren die Diagnosestellung von Einzelverletzungen erschweren. Zu diesen zählen eine beeinträchtigte Bewusstseinslage, die eine Kommunikation mit dem Patienten erschwert, ebenso, wie schwer beherrschbare, vital bedrohliche respiratorische und zirkulatorische Probleme, die alleine die gesamte Aufmerksamkeit des Notarztes binden (6, 14, 15). Dementsprechend finden sich in vielen Arbeiten nicht erkannte Verletzungen deutlich häufiger bei bewusstlosen oder schwerstverletzten Patienten (6, 7, 9, 15). Auch in unseren Daten waren nicht erkannte schwere Einzelverletzungen signifikant häufiger bei Patienten mit höheren ISS- beziehungsweise niedrigeren GCS-Werten zu finden. Neben Patientenbezogenen Faktoren sind für übersehene Diagnosen auch Arztbezogene Ursachen verantwortlich. Inadäquate Erstuntersuchung, Missinterpretation von Symptomen und nicht zuletzt mangelnde Dokumentation gehören zu diesen – oft vermeidbaren – Arzt-bezogenen Ursachen. Vor allem eine inadäquate klinische Untersuchung des verletzten Patienten ist eine häufige Ursache für übersehene Verletzungen (6, 7). Eine unvollständige, lediglich orientierende Untersuchung vor Ort ist beim Bergrettungseinsatz wohl ein oft unvermeidbare Notwendigkeit und mag wesentlich zum Nichterkennen vieler Verletzungen beigetragen haben. Als Grundlage für die Evaluierung der präklinischen Diagnostik wurden in unserer Untersuchung nicht handschriftliche Notarztprotokolle, sondern die nach dem Einsatz am Stützpunkt am Computer erstellten Protokolle herangezogen. Wir gehen daher davon aus, dass in diesen, nachträglich, in Ruhe erstellten, Protokollen mangelhafte Dokumentation eine nur untergeordnete Rolle spielten und nicht dokumentierte Verletzungen auch tatsächlich nicht erkannt wurden. Im Rahmen der alpinen Flugrettung spielen neben Patienten- und Arzt-bezogenen Faktoren auch Umgebungsbezogene Faktoren eine erhebliche Rolle. Die alpine Flugrettung ist eben nicht eine an den Unfallort verlagerte Intensivmedizin, sondern viel häufiger eine mit wesentlichen diagnostischen und therapeutischen Einschränkungen verbundene Akutmedizin. Alleine die Überwachung von Vitalparametern ist angesichts von objektiven alpinen Gefahren, dem ausgesetzten Gelände, der Lärmbelastung, dem „Downwash“ des Helikopters, sowie der räumlichen Enge oft bereits ein schwieriges Unterfangen (2). Die Frage, inwieweit nicht gestellte Diagnosen die Morbidität und Mortalität der untersuchten Patienten beeinflusst haben, lässt sich aus unseren Daten nicht schlüssig beantworten. Betrachtet man die Einzelverletzungen ist allerdings wahrscheinlich, dass die Kenntnis der nicht erkannten Verletzung das präklin-

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sche Patientenmanagement bei den meisten Patienten nicht entscheidend verändert hätte. Nichtsdestotrotz wurden auch Diagnosen mit relevanten Einfluss auf das präklinische Management nicht gestellt. Dies betrifft unserer Ansicht nach vor allem Wirbelfrakturen und Pneumothoraces.

SCHLUSSFOLGERUNGEN Der Notarzt im alpinen Flugrettungsdienst ist nicht nur mit medizinische Probleme konfrontiert, sondern muss auch die Besonderheiten des alpinen Unfallortes berücksichtigen. Unter diesen besonderen Umständen ist eine lückenlose klinische Untersuchungen und exakte Diagnostik von Einzelverletzungen oft nicht möglich, und dementsprechend der Anteil nicht erkannten Einzelverletzungen erheblich. Trotzdem ist die Treffsicherheit notärztlicher Diagnostik, was das Erkennen vital bedrohlicher kritischer Mehrfachverletzungen betrifft, sehr hoch. Algorithmen zur präklinischen Traumabehandlung im alpinen Flugrettungseinsatz sollten sich aufgrund unserer Erfahrungen weniger auf die Diagnostik von Einzelverletzungen stützen als vielmehr auf das vermutete Verletzungsmuster aufgrund des Unfallherganges.

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113


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F l o r i a n D e m e t z , G e r o l d B i n e r, R o b e r t A n d e n m a t t e n , Bruno Jelk, Gabriele Busch, Beat Perren, Axel Mann

Hubschrauberrettung am Matterhorn Herausforderungen in der alpinen Notfallmedizin Helicopterrescue at the Matterhorn Challenges in Alpine Emergency Medicine ABSTRACT Each year several thousands of alpinists reach out for the 4478 meter (14 692 feet) high Matterhorn. With the alpine hazards often being assessed inadequately, the number of rescue missions is increasing. These are operated by the Air Zermatt in a close cooperation with the Rescue Station Zermatt. In the following article we describe the human resources, the technical and logistical requirements, as well as the resultant mission strategy, considering the special challenges and limitations in a high alpine environment. Keywords: Matterhorn, helicopter, mountain rescue, emergency medicine, alpine

Z U S A M M E N FA S S U N G Jedes Jahr versuchen mehrere tausend Alpinisten das 4.478 Meter hohe Matterhorn zu besteigen. Dabei führt eine häufig unzureichende Einschätzung alpiner Gefahren durch den Bergsteiger, zu einer zunehmenden Zahl an Rettungseinsätzen. Diese werden durch die Air Zermatt in enger Kooperation mit der Rettungsstation Zermatt durchgeführt. Im folgenden Artikel werden personelle, technische und logistische Voraussetzungen, sowie die sich daraus entwickelte Einsatzstrategie, unter Berücksichtigung der besonderen Herausforderungen und Grenzen im hochalpinen Gelände, beschrieben. Schlüsselwörter: Matterhorn, Hubschrauber, alpine Notfallmedizin, Bergrettung, Luftrettung

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HINTERGRUND Das 4.478 Meter hohe Matterhorn übt als Symbolberg in der Geschichte des Alpinismus auf Bergsteiger aus der ganzen Welt eine besondere Faszination aus und motiviert jährlich etwa 2.500 Alpinisten, den Berg an der Grenze der Schweiz zu Italien zu besteigen. Diese Zahlen sind der Versuch einer näherungsweisen Schätzung, basierend auf den Statistiken des Alpine Center Zermatt, sowie der Übernachtungszahlen der Hütten an den Aufstiegsrouten zum Matterhorn. Vor allem durch die insgesamt sehr kurze Saison von etwa 8 Wochen im Hochsommer und die manchmal bereits im August einsetzenden Schneefälle kann die Zahl der erfolgreichen Besteigungen von Jahr zu Jahr deutlich schwanken. Besteigungen außerhalb des genannten Zeitraumes durch routinierte Kletterer fallen erfahrungsgemäss statistisch nicht ins Gewicht.

Abbildung 1 Blick von Osten auf das Matterhorn: in der Mitte der Hörnli – Grat zwischen Ostwand (links) und Nordwand (rechts) (Foto: F Demetz)

ROUTEN Die wohl am meisten begangene Route zum Gipfel führt von der Schweizer Seite des Berges von der Hörnli - Hütte auf 3.260 Meter Seehöhe über den Hörnli- oder Schweizer-Grat zwischen Ostwand und Nordwand auf den 4.478 Meter hohen Gipfel. Dabei beträgt die zu überbrückende Höhendifferenz 1.218 Meter.

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Neben dieser auch häufig als „Normalweg“ bezeichneten Route gibt es außerdem den Zmutt-Grat, den Furgg-Grat, sowie von der italienischen Seite aus den Lion-Grat und den De Amicis-Grat. Für routinierte Kletterer bietet die Nordwand mit Kletterrouten bis zum VIII ten Schwierigkeitsgrad eine der größten Herausforderungen für kombinierte Klettertouren in Fels und Eis in den Alpen.

EPIDEMIOLOGIE Im Gebirge lassen sich die Ursachen für Bergunfälle in der Regel auf die unzureichende Einschätzung objektiver, aber auch subjektiver alpiner Gefahren durch den Bergsteiger zurückführen. Dies gilt auch für das Matterhorn. Als besondere objektive Gefahren gelten im Bereich des Matterhorns: • dramatische Änderungen der Wetterverhältnisse innerhalb kurzer Zeit, • die Gipfelhöhe von 4.478 Metern, sowie • die Steinschlaggefahr Als besondere subjektive Gefahren gelten: • mangelnde Kondition, • eingeschränkte Höhenanpassung, • falsches Zeitmanagement, • unzureichende Erfahrung im hochalpinen Klettern, sowie • unzureichende Orientierung im Gelände beim notwendigen nächtlichen Start und • der bei vielen Alpinisten vorhandene Erfolgsdruck den Gipfel zu erreichen.

Abbildung 2 Einsatzzahlen 1984 – 2003 (Quelle: Air Zermatt)

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S TAT I S T I K Wie alle viel bestiegenen Gipfel mit höherem Schwierigkeitsgrad in den Alpen zeigt auch das Matterhorn eine überdurchschnittliche Häufung von Bergunfällen. Dies kann vor allem in der Hochsaison auch zu mehreren Rettungseinsätzen am Tag führen. Die nachfolgende Abbildung zeigt den Verlauf der Einsatzzahlen in den letzten 20 Jahren.

E I N S AT Z I N D I K AT I O N E N Die unglückliche Verbindung objektiver und subjektiver alpiner Gefahren kann dazu führen, dass im allgemeinen notfallmedizinischen Wertungsgefüge als trivial eingestufte Verletzungen, wie Extremitätenluxationen, leichte Unterkühlung oder Erschöpfung, am Matterhorn zu lebensbedrohlichen Herausforderungen für den Bergsteiger werden können. Dieses Gefahrenpotential wird im allgemeinen von vielen Alpinisten deutlich unterschätzt. Aus dieser Tatsache ergibt sich eine, im Gegensatz zum Rettungsdienst in ebenen Regionen, deutlich erweiterte Einsatzindikation für die Alarmierung des Rettungsdienstes im Gebirge. Beispielsweise kann die Luxation eines Fingers am Matterhorn bei ungünstigen Bedingungen über Leben und Tod entscheiden und rechtfertigt deshalb eine aufwendige Rettung; die gleiche Verletzung würde auf dem flachen Land vermutlich nicht einmal zu einer Alarmierung des Rettungsdienstes führen.

Abbildung 3 Patientenkollektive 1984 bis 2003 (Quelle: Air Zermatt)

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Eine besonderes Kollektiv in der Gruppe der am Matterhorn geretteten Alpinisten sind die sogenannten „blockierten“ Bergsteiger. Es handelt sich dabei um jene Alpinisten, die durch Überschätzung eigener Ressourcen vor allem in den frühen Abendstunden die kantonale Rettungsleitstelle alarmieren. Diese Bergsteiger sind in der Regel unverletzt, aber häufig unterkühlt und erschöpft, sowie nicht selten von ihrer Psyche nur mehr in einem fragilen Gleichgewicht.

ALARMIERUNG Für den in Bergnot geratenen Alpinisten gibt es am Matterhorn verschiede Möglichkeiten, den Rettungsdienst zu alarmieren: Nachdem das gesamte Matterhornmassiv seit einigen Jahren von einem stabilen Mobilfunknetz versorgt wird, ist es praktisch möglich, von jedem Punkt des Berges über Mobiltelefon die Rettungsleitstelle des Kantons Wallis zu alarmieren und Hilfe anzufordern (Notruf 144). Eine weitere Möglichkeit ist die Alarmierung der Leitstelle der Schweizerischen Rettungsflugwacht REGA in Zürich. Diese ist mittels persönlichem Funkgerät über den in der Schweiz allgemein für Notrufe zugänglichen E-Kanal (Frequenz 161.300 MHz) erreichbar. Die Rega übernimmt jedoch keine Verantwortung und ist nicht haftbar, wenn eine Verbindung über diesen Kanal nicht oder nur schlecht zustande kommt oder wenn der E-Kanal aus irgendeinem Grund nicht funktioniert. Die REGA übermittelt den Notruf an die Walliser Rettungsleitstelle, da die REGA selbst im Wallis keine Einsätze durchführt. Im Bereich des Solvay - Biwaks auf 4003 Metern Seehöhe ist ebenfalls eine Alarmierung über ein fest installiertes Notfunkgerät möglich. Sollte die Technik versagen, bleibt dem Alpinisten nur der Abstieg und die Alarmierung über eine der Hütten am Fuße des Berges. Von der Rettungsleitstelle wird nach Rücksprache mit dem Rettungsobmann von Zermatt (Leiter der Rettungsstation) das Rettungsteam der Air Zermatt alarmiert. Der Start der Rettungsmannschaft erfolgt bei Tag wie allgemein üblich binnen Minutenfrist, bei Nacht verlängert sich die Vorlaufzeit etwa auf 10 bis 15 Minuten.

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RETTUNGSTEAM Seit mehreren Jahrzehnten bewährt sich in Zermatt bei hochalpinen Rettungen die enge Zusammenarbeit der Air Zermatt mit der Rettungsstation Zermatt. Dabei übernehmen die hervorragend ausgebildeten und sehr erfahrenen Bergführer der Rettungsstation Zermatt die technische Rettung am Berg, bzw. falls erforderlich die Sicherung und Unterstützung der medizinischen Crew vor Ort. Diese wird gemeinsam mit einem erfahrenen Gebirgspiloten von der Air Zermatt gestellt und besteht aus einem Rettungssanitäter (nach den Richtlinien des Schweizerischen Interverbands für Rettungswesen), sowie einem Anaesthesisten mit Facharztreife oder Facharztdiplom. Besonderen Wert wird dabei in der Besatzung des Rettungshubschraubers auf gute Kommunikationsfähigkeiten, sowie auf interdisziplinäres Denken und Handeln gelegt. Dies bedeutet für alle Teammitglieder, dass sie sich neben ihrer Kernkompetenz auch mit den Herausforderungen des anderen Teammitgliedes intensiv beschäftigen müssen.

Abbildung 4 Lama beim Rettungseinsatz am Hörnli – Grat

(Foto: F Demetz)

LOGISTISCHE VORAUSSETZUNGEN Für den Flugrettungsdienst in der Region Zermatt (Matterhorn, Monte Rosa, Dom, Weisshorn) steht auf der Basis Zermatt ein Notarzt besetzter Rettungshubschrauber vom Typ EC 135 T2 zur Verfügung, der mit dem notwendigen notfallmedizinischen Equipment ausgestattet ist, sowie ein Hubschrauber vom Typ Lama SA 315 für technische Rettungen.

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Beide Hubschrauber sind mit einer Seilwinde bzw. einer Doppelklinke für Taurettungen ausgerüstet. Weitere Hubschrauber, sowie entsprechendes Personal können durch die Air Zermatt bei Grosseinsätzen wie im Sommer 2003 (Evakuierung von rund 90 Bergsteigern nach einem Felssturz am Matterhorn auf 3.409 Metern Seehöhe) innerhalb kurzer Zeit aufgeboten werden. Da sich Rettungseinsätze am Matterhorn in grossengroßen Höhen abspielen und Hubschrauber dadurch vor allem im Sommer deutliche Leistungseinbussen aufweisen, bewährt sich in Zermatt zur Gewichtsoptimierung das Konzept einer variablen Einsatzkonfiguration der eingesetzten Hubschrauber. Dies bedeutet, dass die medizinische und rettungstechnische Ausrüstung dem aktuellen Einsatz angepasst wird. Gleiches gilt für die Hubschrauberbesatzung und die Menge an mitgeführtem Treibstoff. Dieses Konzept erfordert von Bergführern, Rettungssanitätern, Piloten, Notärzten und der Technik-Crew ein hohes MassMaß an Flexibilität. Ein weiterer wichtiger Punkt für den Erfolg dieser Strategie ist die sehr kurze Anflugzeit von der Basis Zermatt zum Matterhorn (etwa 5 Minuten) und die Möglichkeit, zeitnah auf weitere Hubschrauber zurückgreifen zu können. Das Rettungsteam der Air Zermatt und der Rettungsstation Zermatt steht in dieser Konfiguration verunfallten Alpinisten am Matterhorn und in der gesamten Region 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr zur Verfügung.

E I N S AT Z A B L A U F I M R E N D E Z V O U S S Y S T E M In der Regel gliedern sich Rettungseinsätze am Matterhorn in zwei Abschnitte: die technische Rettung und die folgende medizinische Versorgung des Patienten. Aufgrund unterschiedlicher Anforderungsprofile kommen für diese beiden Einsatzphasen zwei verschiedene Hubschraubertypen zum Einsatz. Der Ablauf wird im Folgenden kurz dargestellt. Primäre Aufgabe des Rettungsteams ist in aller Regel die Rettung des verunfallten Alpinisten aus dem Gefahrenbereich. Für diese Aufgabe wird die Lama SA 315 verwendet. Dieser Hubschraubertyp ist aufgrund höherer Leistungsreserven und geringerer Windanfälligkeit für die technische Rettung in grossengroßen Höhen sehr gut geeignet.

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Neben dem Piloten und einem Flughelfer besteht die Besatzung dieses Hubschraubers aus einem oder zwei Bergführern, die im Pick Up-System im Dorf Zermatt oder bei einer Hütte auf dem Flug zum Matterhorn aufgenommen werden. Diese Mannschaft (ohne Notarzt) fliegt dann direkt zum Unfallort, um sich ein Bild über die Lage vor Ort zu verschaffen. Lassen es die Gegebenheiten zu, dass man den Bergführer gleich mittels Seilwinde zum Patienten bringen kann, wird eine Windenaktion sofort durchgeführt. Erweist sich diese Strategie jedoch aufgrund der Verhältnisse am Berg, insbesondere starkem Wind, Steinschlag oder zu kurzem Kabel der Seilwinde als zu risikoreich oder nicht möglich, kehrt der Hubschrauber zur Hörnli-Hütte zurück, wo auf einem Zwischenlandeplatz die Maschine für eine Longline Rettung mit Tau vorbereitet wird. Ist der Bergführer beim Patienten und vor Ort gesichert, erfolgt von ihm eine orientierende klinische Beschreibung des Patienten für die medizinische Crew, die mittlerweile mit einem zweiten Hubschrauber (Notarzthubschrauber) an der Hörnli-Hütte eingetroffen ist. Nach einer Erstversorgung durch den Bergführer wird der Patient mittels Seilwinde oder Longline-Rettung zur Hörnli-Hütte geflogen (Flugzeit max. 3 Minuten) und dort von der medizinischen Crew endgültig versorgt.

Abbildung 5 Einsatzablauf

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Im Anschluss daran erfolgt der Transport des Patienten mit dem Notarzthubschrauber entweder ins Regionalspital nach Visp (Flugzeit etwa 12 Minuten) oder bei schwereren Verletzungen wetterabhängig wahlweise in die Universitätskliniken nach Bern (Flugzeit etwa 35 Minuten) oder Lausanne (Flugzeit etwa 30 Minuten). Bei einem Routineeinsatz beträgt die Einsatzdauer ab Alarmierung bis zur Übergabe des Patienten im Spital Visp in der Regel etwa eine knappe Stunde.

BESONDERHEITEN Ist es medizinisch notwendig und sinnvoll, sowie von der alpinen und fliegerischen Risikoabwägung vertretbar, wird auch der Notarzt direkt zum Patienten (z. B. auf den Hörnli-Grat) gebracht. Ebenso werden Nachteinsätze am Matterhorn bei objektivierbarer Notwendigkeit und entsprechenden Wetterverhältnissen durchgeführt. Die Rettungshubschrauber werden dafür jeden Abend mit einem leistungsstarken Suchscheinwerfer (Spectrolab) und Nachtsichtgeräten ausgerüstet. Mit dem von der Rettungsstation Zermatt gemeinsam mit der Air Zermatt ent-

Abbildung 6 EC 135 T2 bei einer Windenaktion

(Foto: Eurocopter)

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wickelten Tau-System MERS (Multilaterales Evakuations- und Rettungssystem) können mit Seillängen von bis zu 220 Metern alle Punkte am Matterhorn, insbesondere in der 1.200 Meter hohen Nordwand, erreicht werden. Dadurch können weitaus aufwendigere und risikoreichere terrestrische Rettungsaktionen z. B. mittels Stahlseilgerät vermieden werden. Rettungseinsätze erfolgten in den letzten Jahren am Matterhorn nahezu ausschließlich mit dem Rettungshubschrauber, was einen deutlichen Sicherheitsgewinn für die Rettungsmannschaften bedeutet. Selbstverständlich steht auch das komplette Equipment für bodengebundene Rettungen jederzeit zur Verfügung. Mit der zweimotorigen EC 135 T2 konnte diesen Sommer eine Rettung am Lion – Grat (etwa 30 Meter unterhalb des Gipfels auf circa 4430 Metern Seehöhe) mittels Seilwinde (2 Personen an der Winde) erfolgreich durchgeführt werden. Vor allem bei Nachteinsätzen bietet die EC 135 mit ihrer leistungsstarken Seilwinde (Nutzlast 220 Kg) und 50 Metern Stahlkabel deutliche Vorteile.

HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE ZUKUNFT Die alpine Flugrettung stellt im Hochgebirge außerordentliche Anforderungen an Menschen, Organisation und Fluggerät. Neben dem ständigen Streben nach optimaler Patientenbetreuung und Risikominimierung für das Rettungsteam, stellt sich heute auch immer häufiger die Frage nach der wirtschaftlichen Performance alpiner Flugrettungssysteme. Vor allem der Ruf nach einem ausschließlichen Einsatz zweimotoriger Rettungshubschrauber in der alpinen Flugrettung bedarf einer differenzierten Evaluation und Diskussion im Sinne von Patient, Mannschaft und Betreiber. Abbildungsverzeichnis

L I T E R AT U R (1)

Perren B., Matterhorn – Cervin – Cervino, Stadler Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz – Zürich, 1988

(2)

Schweizerisches Bundesamt für Landestopografie, Karte 283 T. Arolla und 284 T. Mischabel, 1:50.000

(3)

Homepage Schweizerische Rettungsflugwacht REGA http://www.rega.ch/de/dateien/rega/PDF_Notfunk_de.pdf

(4)

Gobba C., Matterhornstatistik, Einsatzleitung Air Zermatt

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Marc Kaufmann, Georg Hofer

Der Grossunfall im Hochgebirge – Suldenferner/Ortlergebiet, 22. – 23. 3. 2002 – Ein Fallbeispiel Mass casualty in the Mountains – Suldenferner/Ortler region, 22. – 23. 3. 2002 – a case report S U M M A RY Chronology: on Friday, 22. 3. 2002 around 03.30 p.m. a group of 17 mountain climbers from Vorarlberg leaves Sulden (1.900 m) for a club ski tour to the summit of Monte Cevedale (3.769 m). The group takes the gondola to the Schaubach hut (2.581 m) intending to climb over the Janinger-Scharte (3.222 m) to the Casatti hut (3.254 m, difference in altitude 670m; 2–2,5 hours) and to reach the Monte Cevedale the next day. The group gets lost and is stuck in a blizzard beneath the Janinger-Scharte / Suldenspitze. In the severe storm with snowfall and temperatures far below –20°C the mountaineers decide to bivouac, very close to a glacier crevasse, at approximately 3.200 m (30 minutes from the Cassati hut). During the night the alpinists become increasingly exhausted, the leader dies in the early morning. Finally, after several unsuccessful attempts to call for help by mobile phone, the local alpine rescue service receives the emergency call around 07.45 a.m. Casualties: 1 patient with grade 3 hypothermia; 1 patient with grade 2 hypothermia; 9 patients with grade 1–2 hypothermia and frostbite; 5 patients with grade 1 hypothermia. 1 person died. Duration of the rescue mission: 07.50 a.m. – 02.40 p.m. Rescuers involved (approximately 60): alpine rescue service (Sulden, Prad, Trafoi, Finanzwache); ski patrol Sulden; 11 teams of the emergency medical service (WK Sulden, Prad, Mals, St.Valentin, Schlanders); 1 medical rescue helicopter (Pelikan1, Bozen); fire department Sulden; state policemen Sulden. Keywords: Mass casualty, mountain rescue, hypothermia, exhaustion

Z U S A M M E N FA S S U N G Chronologie: Eine 17-köpfige Bergsteigergruppe aus Vorarlberg bricht am Freitag, den 22. 3. 2002 gegen 15.30 Uhr von Sulden aus zu einer Vereins-Schitour

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auf den Monte Cevedale auf. Mit der Seilbahn fährt die Gruppe bis zur Schaubachhütte (Bergstation 2.581 m) und will über die Janinger-Scharte (3.222 m) zur Casattihütte (3.254 m) aufsteigen (670Hm, 2–2,5 Std.), um dort zu übernachten und am Samstag den Monte Cevedale (3.769 m) zu besteigen. Die Gruppe verirrt sich und bleibt unterhalb der Janinger-Scharte / Suldenspitze im Schneesturm stecken. Die Bergsteiger entscheiden sich zum Notbiwak auf ca. 3.200 m (ca. 30 min. zur Casattihütte), inmitten von Gletscherspalten, bei heftigstem Sturm, Schneefall und Temperaturen von weit unter – 20°C. Im Laufe der Nacht erschöpfen sich die Alpinisten zunehmend; der Führer der Gruppe verstirbt in den frühen Morgenstunden. Erst gegen 7.45 Uhr geht nach mehreren erfolglosen Versuchen und über Umwege beim Bergrettungsdienst Sulden der Notruf ein. Bilanz: 1 Patient verstorben; 1 Patient mit Hypothermie III°; 1 Patient mit Hypothermie II°; 9 Pat. mit Hypothermie I–II° und lokalen Erfrierungen; 5 Pat. mit Hypothermie I°. Einsatzdauer: 07.50 – 14.40 Uhr. Einsatzkräfte (ca. 60): Bergrettung (Sulden, Prad, Trafoi, Finanzwache); Pistenrettung der Seilbahn Sulden; 11 RTW (WK Sulden, Prad, Mals, St.Valentin, Schlanders); NAH Pelikan 1 (Bozen); Feuerwehr (Sulden), Carabinieri (Sulden). Schlüsselwörter: Großunfall, Bergrettung, Hypothermie, Erschöpfung

B L I C K P U N K T: B E R G R E T T U N G S A R Z T S U L D E N ( G . H O F E R ) Die Tour Für den 22.–23.März 2002 plant eine 17-köpfige Gruppe von Alpinisten aus Vorarlberg eine Vereins-Schitour zum Monte Cevedale ( 3.769 m ) im Ortlergebiet . Der Wetterbericht für das gewählte Tourengebiet spricht von einzelnen Schneeschauern und böigem Wind für Freitag, den 22. 03., sowie von Restbewölkung am Samstag, den 23. 03. mit einer Wetterbesserung im Laufe des Vormittages. Entsprechend der vorherigen Planung bricht die Gruppe am Freitag Nachmittag um ca.15.30 Uhr von der Bergstation der Seilbahn Sulden (2.581 m) zur Casattihütte (3.254 m) auf . Die Wegzeit beträgt ca. 2–2,5 Stunden. Gegen 17.00 Uhr kommt es zu einer plötzlichen Wetterverschlechterung mit starkem Wind und Schneefall, sowie dichtem Nebel. Die Gruppe befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf ca.3200m, etwa 30 Gehminuten von der Casattihütte entfernt. (Abb. 1) Binnen kürzester Zeit ist die Aufstiegspur durch den Schneesturm verstrichen. Im „white-out“ kommt es zum völligen Orientierungsverlust, sodass schließlich die Entscheidung zum Notbiwak fällt. In mehreren Schneehöhlen und notdürftig abgedeckten Löchern verbringt die Tourengruppe die Nacht, wobei immer noch widrigste Wetterverhältnisse vorherrschen. In

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Abbildung 1 Übersicht Einsatzgebiet Erwartung einer Wetterbesserung und einer möglichen Abfahrt ins Tal am nächsten Morgen erfolgt zunächst keine Kontaktaufnahme zur Bergrettung oder der Landesnotrufzentrale. Im Laufe der Nacht erschöpfen sich die Gruppenmitglieder zunehmend. Der Führer der Bergsteigergruppe verstirbt in den frühen Morgenstunden. Der Tod des Gruppenführers, sowie die unmittelbare Bedeutung für den weiteren Ablauf des Geschehens, kann von den übrigen Gruppenmitgliedern zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr adäquat verarbeitet werden. Das zeigt sich auch im später abgesetzten Notruf, in welchem der Tod des Gruppenführers nicht erwähnt wird.

Der Notruf Gezeichnet von Erschöpfung und Unterkühlung werden am Morgen des 23. 03. mehrere unkoordinierte Versuche gestartet, einen Notruf abzusetzen. Der Rufaufbau zur Landesnotrufzentrale (LNZ) „118“ ist trotz Netzabdeckung nicht möglich. Vermutlich sind die bei ausländischen Betreibern gemeldeten Mobiltelefone für die landesübliche Notrufnummer „118“ nicht freigeschaltet. Zwei aufeinanderfolgende Anrufe unter der internationalen Notrufnummer „112“

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(Carabinieri-Kaserne) gelingen dann, wobei beim ersten Anruf kein adäquater Hinweis auf das Vorliegen einer Notsituation angegeben wird. Beim zweiten Anruf wird die Telefonverbindung beim Versuch, das Gespräch von der Carabinieri-Station an die Landesnotrufzentrale „118“ weiterzuleiten, unterbrochen. Schließlich entnimmt einer der Bergsteiger einem zufällig an der Talstation der Seilbahn mitgenommenen Prospekt die Telefonnummer eines Sportgeschäftes in Sulden und ruft dort an, mit der Bitte um Verständigung der Bergrettung. Beim Anruf im Sportgeschäft werden folgende Informationen gegeben: ...Tourengruppe von 17 Personen am Eisseepass im Notbiwak. Ein paar Bergsteiger mit kleinen Erfrierungen. Aufgrund des Orientierungsverlustes brauchen sie eine Begleitung für den Abstieg; können selbstständig abfahren . Der Betreiber des Sportgeschäftes notiert noch die Mobiltelefonnummer des Anrufers und leitet die Meldung unverzüglich an die örtliche Bergrettungsstelle Sulden weiter. Ein Rückruf der Bergrettung für genauere Nachfragen gelingt nicht mehr. Zeitpunkt des Alarmes ca. 07.45 Uhr.

Der Einsatz Unmittelbar nach Erhalt des Notrufes wird von der Bergrettung Sulden die Einsatzmeldung an die LNZ „118“ weitergegeben. Der Einsatz des Rettungshubschraubers wird andiskutiert, ist aber wegen des anhaltenden Schlechtwetters im Einsatzgebiet zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Gegen 08.00 Uhr brechen 6 Mann der Bergrettung zum Notfallort auf. Eine telefonische Kontaktaufnahme zu den Vermissten gelingt trotz mehrfacher Versuche weiterhin nicht. Um ca. 09.00 Uhr werden nach Betreten des Gletscherbeckens und Beurteilung der dort vorherrschenden Verhältnisse (Wind, Nebel mit Sichtweiten unter 20m, starker Schneefall mit Neuschneemengen bis zu 1 m) über Funk die benachbarten Bergrettungsstellen zur Unterstützung nachalarmiert. Gleichzeitig wird aufgrund der schlechten Kommunikationsmöglichkeiten die Einsatzleitung vom Tal an die Bergstation der Seilbahn verlegt. Dort stehen Festnetz, Mobilnetz sowie Funkkontakt zur Einsatzgruppe am Berg, zur Pistenrettung, zum bodengebundenen Rettungsdienst und zur Feuerwehr zur Verfügung. Gegen 10.00 Uhr treffen die Bergretter am primär angegebenen Notfallort ein; die Gruppe ist dort allerdings nicht auffindbar. Erst nach wiederholten Versuchen gelingt über den Umweg Funk > Festnetz > Mobilnetz eine Kontaktaufnahme zu den Vermissten. Aufgrund einer kurzfristig leichten Besserung der Sichtverhältnisse kann ein Gruppenmitglied eine etwas genauere Beschreibung der Umgebung machen und nach der telefonischen Anweisung, sich durch Lärm

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bemerkbar zu machen, gelingt eine ungefähre Ortung. Die Bergsteigergruppe befindet sich in der Spaltenzone im Bereich der Janinger-Scharte, auf der gegenüberliegenden Seite von der im Notruf angegebenen Stelle im Gletscherbecken. Außerdem wird noch mitgeteilt, dass 2 der Bergsteiger stark erschöpft sind und zunehmend eintrüben; ein paar andere haben Erfrierungen an den Fingern. Gegen 11.00 Uhr trifft dann die Bergrettung am Biwakplatz ein. Die Bergsteigergruppe befindet sich in einem geneigtem Gelände, etwa 10 m oberhalb einer großen Gletscherspalte. Den Rettern bietet sich folgendes Bild: 1 Tourengeher ist zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben, 2 weitere befinden sich in einem sehr kritischem Zustand. Mehrere der übrigen Bergsteiger haben Erfrierungen an den Akren, sind unfähig zur Eigeninitiative, können aber unter Überwachung und Anleitung der Bergretter begleitet abfahren. Somit ergeben sich folgende Prioritäten am Notfallort: 1) Sofortige Absicherung des Biwakplatzes aufgrund der erheblichen Spaltenssturzgefahr. 2) Abtransport der Tourengeher, gestaffelt nach Dringlichkeit: vorrangig die beiden hypothermen, erschöpften Patienten. Dann die begleitete Abfahrt der weiteren Gruppenmitglieder und schließlich die Bergung des Verstorbenen. 3) Medizinische Versorgung nach der Bergung unter geschützten Verhältnissen. Gegen 11.30 Uhr können die ersten Geborgenen auf etwa 2.950 m Höhe auf eine Pistenraupe mit Kabinenaufbau vom Bergrettungsarzt übernommen werden. Die zwei hypothermen Personen werden in Begleitung des Bergrettungsarztes unverzüglich weiter Richtung Bergstation abtransportiert. Von dort aus können sie trotz widrigster Bedingungen vom NAH Pelikan1 zum Triage-Versorgungsplatz ins Tal ausgeflogen werden. Zeitgleich erfolgen die begleitete Abfahrt, der Abtransport mit der Seilbahn aller übrigen Gruppenmitglieder und die Bergung des Verstorbenen. Um 12.15 Uhr treffen alle Patienten im Versorgungsraum ein.

BLICKPUNKT: FLUGRETTUNGSARZT – PELIKAN 1 (M. KAUFMANN) 06.15 Uhr: Dienstbeginn am NAH Pelikan1 – Basis Bozen. Das Wetter ist schlecht; Nebel, starker Wind, und vereinzelte Niederschläge herrschen vor. 08.30 Uhr: Der Flugretter erfährt zufälligerweise in einem Telefongespräch mit einem der Disponenten der Landesnotrufzentrale „118“, dass am Ortler ein

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Grosseinsatz der Bergrettung im Gange ist – angeblich seien „17 Bergsteiger abgängig“. Aufgrund der Wettersituation sei laut Bergrettung derzeit allerdings kein Einsatz des Hubschraubers möglich. 10.30 Uhr: Vom Disponenten der LNZ „118“ kommt die Anfrage an den Notarzt, ob aus seiner Sicht eine Positionierung des NAH Pelikan1 in Sulden sinnvoll wäre. Die Anflugzeit Bozen – Sulden beträgt ca.25min. Folgende Informationen liegen vor: … 17 Bergsteiger am Ortler in Bergnot, davon angeblich 2x NACA 7; über den Zustand der übrigen Bergsteiger ist nichts bekannt. Die Wettersituation am Berg ist weiterhin unverändert schlecht … Der Pelikan1-Notarzt bestätigt die aus seiner Sicht absolute Notwendigkeit des Einsatzes, sowohl für die notärztliche Versorgung, als auch für eine eventuelle rasche Bergung bei Wetterbesserung. 11.00 Uhr: Der NAH Pelikan1 landet in Sulden. Stürmischer Wind, Nebel und Schneefall machen einen Einsatz am Berg weiterhin unmöglich. In der Zwischenzeit stehen zusätzlich zum NAH auch 2 RTW’s in Sulden bereit. Es gibt keine greifbare Einsatzleitung in Sulden und keine suffiziente Funkverbindung nach oben. Die Anzahl der Verletzten und der Schweregrad der Verletzungen, die Anzahl der Toten und die Dauer der Bergung sind weiterhin völlig unklar. 11.15 Uhr: Der Pelikan1 Notarzt entscheidet nach Rücksprache mit der LNZ „118“, Grossalarm auszulösen. Es erfolgt die Nachalarmierung weiterer Einsatzkräfte von Rettungsdienst, Feuerwehr und Exekutive. Eine lokale Einsatzleitung wird aufgebaut, und es wird nach einem geeigneten Triageplatz in Sul-

Abbildung 2 Landung Notarzthubschrauber Pelikan 1 am Triageplatz

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Abbildung 3 Triageplatz, Volksschule in Sulden

Abbildung 4 Triageplatz den gesucht. Zeitgleich werden die benachbarten Krankenhäuser über den Grosseinsatz in Kenntnis gesetzt. Als Triageplatz dient die Turnhalle der Schule in Sulden; eine Landemöglichkeit für den NAH gibt es direkt vor dem Gebäude.

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Für den Abtransport der Patienten werden weitere 9 RTW`s der benachbarten Weissen Kreuz-Stellen angefordert. Die Feuerwehr übernimmt den Antransport von Matratzen, Decken und warmen Getränken aus den umliegenden Hotels. Der Rettungsdienst kümmert sich um die Bereitstellung der medizinischen Ausrüstung (angewärmte Infusionen, Medikamente, Monitoring, O2-Flaschen) und die Vorbereitung eines Patienten-Leitsystems. 12.00 Uhr: Alle Vorbereitungen am Triageplatz sind abgeschlossen. Über die LNZ „118“ erfolgt die Voralarmierung und Abfrage der Aufnahmekapazitäten der benachbarten Krankenhäuser von Schlanders, Meran und Bozen. (Abb.3) Außerdem werden die herzchirurgischen Abteilungen in Trient und Innsbruck bzgl. Herzlungenmaschine kontaktiert. Hauptproblem bleiben weiterhin die widrigen Wetterverhältnisse und der fehlende Überblick über die Situation am Berg. Es gibt nach wie vor nur eine schlechte Funkverbindung nach oben; durch den Schneesturm ist vermutlich einer der Funkumsetzer ausgefallen. 12.15 Uhr: Eine kurzfristige Wetterbesserung macht einen Flug auf den Gletscher möglich. Unter schwierigsten Bedingungen gelingt es, 2 der Bergsteiger zu bergen und zum Triageplatz zu fliegen. Alle übrigen Bergsteiger werden von der Bergrettung zur Bergstation transportiert und mit der Seilbahn ins Tal gebracht. Dort werden die Patienten von den RTW-Teams übernommen und ebenfalls zum Triageplatz transportiert. Der verstorbene Bergsteiger wird direkt in die Leichenkapelle gebracht; die Todesfeststellung erfolgt durch den Amtsarzt, um die Einsatzkräfte zu entlasten. Innerhalb von nur 20 min. treffen alle 16 Pat. am Triageplatz ein! Am Triageplatz ergibt sich folgende Situation: 5 Patienten mit Erschöpfung, Hypothermie I° ( Schweizer Stadieneinteilung ) 9 Patienten mit Erschöpfung, Hypothermie I°–II° und zusätzlich Erfrierungen an den Akren 1 Patient mit Hypothermie II° und 1 Patient mit Hypothermie III° Bei der letztgenannten Patientin wird mit dem Tympanothermometer eine Temperatur von 27,3° C gemessen. Sie ist bewusstseinsgetrübt bei einem GCS von 8, kreislaufmäßig zentralisiert und entwickelt eine zunehmende respiratorische Insuffizienz. Im EKG zeigen sich Rhythmusstörungen (intermittierendes Vorhofflimmern, SVES u. polytope VES). Der Pelikan1-Notarzt (LNA) übernimmt die Sichtung und Triagierung der Patienten. Für die Versorgung der Verletzten stehen inzwischen weitere 3 Ärzte und 11 RTW-Teams zur Verfügung. Die NACA 2 Patienten erhalten warmen Tee und Decken, wechseln die durchnässten Kleider. Die NACA 3 und NACA 4 Patienten bekommen zusätzlich einen i. v.-Zugang mit warmen Infusionen,

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z. T. Analgetika (Ketorolac , ASS) i. v. und lockere Bandagierung der Erfrierungen. Die NACA 5 Patientin wird vom Flugrettungsarzt intubiert, kreislaufmäßig stabilisiert; die wärmeerhaltenden Maßnahmen werden fortgesetzt. (Abb.4) 13.00-14.00 Uhr: Alle Patienten werden nach Schweregrad den Krankenhäusern Meran und Schlanders zugewiesen und abtransportiert. Die intubierte Patientin wird mit dem NAH ins KH Meran geflogen und über den Schockraum auf die Intensivstation aufgenommen. Die HLM in Trient und Innsbruck wird durch LNZ „118“ storniert.

BILANZ – Einsatzdauer : 08.00 – 14.40 Uhr – Im Einsatz stehen ca. 60 Einsatzkräfte der Bergrettung (Sulden, Prad, Trafoi, Finanzwache), Pistenrettung der Seilbahn Sulden, 11 RTW (WK Sulden, Prad, Mals, St.Valentin, Schlanders), NAH Pelikan 1 (Bozen); Feuerwehr Sulden, Carabinieri Prad am Stilfserjoch. Alle 16 Patienten können in den folgenden Tagen die Krankenhäuser wieder verlassen; die Weiterführung der Therapie der Erfrierungen erfolgt in den Heimatkrankenhäusern. Ebenfalls zuhause in Vorarlberg erfolgt eine psychologische Nachbetreuung der Gruppe.

DISKUSSION Kommunikation – Grenzen? Als erster Schwerpunkt der Diskussion müssen Schwierigkeiten in der Kommunikation auf mehreren Ebenen hervorgehoben werden: Notrufkompetenz der Beteiligten: Die Bergsteigergruppe, von Erschöpfung und Unterkühlung gezeichnet, ist nach dem Tod des Gruppenführers in ihrem weiteren Agieren völlig orientierungslos. Das Absetzen eines Notrufs gelingt kaum. Adäquate Informationen über den tatsächlichen Notfallort und über das Ausmaß der Notsituation können primär nicht vermittelt werden. Zusätzlich erreicht der Notruf nach mehreren fehlgeschlagenen Alarmierungsversuchen den Betreiber eines Sportgeschäftes, der eigentlich nicht darauf vorbereitet ist, gezielt relevante Informationen abzufragen. Euro-Notruf „112“: Der Notruf über die internationale Notrufnummer „112“ ist zwar meistens möglich, allerdings läuft die primäre Rufannahme in Italien über Posten der lokalen/regionalen Ordnungskräfte. Dabei sind vor allem mög-

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liche sprachliche Barrieren und, wie in der Vergangenheit bereits öfters belegt, technische Schwierigkeiten in der Rufweiterleitung an die zuständigen Notrufzentralen der Rettungskräfte zu berücksichtigen. Als mögliche Lösungsvorschläge könnten vielleicht die Hinweise auf die landesüblichen Notrufnummern an den Grenzübergängen verbessert werden, z. B. durch eine bessere Beschilderung an den Landesgrenzen oder durch automatisches Versenden von SMS bei grenzüberschreitendem Netzwechsel. Mobiltelefone: Obwohl bereits ein Großteil der Notrufe über Mobiltelefon in den Notrufzentralen eingeht, stößt das Mobiltelefon als Hilfsmittel in Notfallsituationen speziell bei Alpinunfällen aufgrund inkompletter Netzabdeckung immer wieder an seine Grenzen. Häufig ist der Notruf über „112“ möglich, jedoch ergeben sich die oben angeführten Probleme. Eine Freischaltung für die (kostenlosen) landesüblichen Notrufnummern seitens ausländischer Netzanbieter ist vertragsabhängig und fehlt in den meisten Fällen. In diesem Zusammenhang müsste ein technischer Ausbau des Euro-Notrufes „112“ mit direkter Rufumleitung an die regionalen Notrufzentralen forciert werden. Kommunikationstechnik: Bei diesem Einsatz hat sich die Abhängigkeit der gegebenen Kommunikationsmöglichkeiten von Witterungseinflüssen gezeigt. In einem Einsatzgebiet mit normalerweise guter Abdeckung des Funknetzes reichte der Ausfall eines Umsetzers aus, um die Kommunikation der Einsatzgruppe am Berg mit der Einsatzleitung im Tal, mit der Landesnotrufzentrale „118“ und dem NAH Pelikan1 derart einzuschränken, dass über einen längeren Zeitraum eine effektive Koordination des Einsatzablaufes nicht mehr möglich war. Erst durch die Verlegung der Einsatzleitung Bergrettung an die Bergstation (verfügbares Festnetz/Mobilnetz und direkte Funkverbindung zum Einsatzort) und nach Aufbau einer effizienten Einsatzleitung am Triageplatz konnte dieses Problem weitgehend gelöst werden. Organisatorisch – logistische Überlegungen Obwohl man in der Planung einer Tour grundsätzlich von einem problemlosen Ablauf ausgeht, sollten in die Vorbereitung auch Überlegungen für den Notfall miteinfließen. Die gedankliche Erstellung eines „Notfallplanes“ sollte bei größeren Gruppen und Bergfahrten in fremde Gebiete noch ausführlicher erfolgen. Informationen über die landesübliche Notrufnummer, Rettungsorganisationen vor Ort, mögliche Notunterkünfte mit Telefonnummer und mögliche Fluchtrouten für notfallmäßige Abstiege müssen eingeholt und bereits im Vorfeld in der Gruppe besprochen werden. Wichtig ist außerdem, dass die entsprechenden Informationen jederzeit allen

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Gruppenmitgliedern zugänglich sind und damit die Kompetenz für den Notfallplan nicht an eine einzige Person (z. B. Gruppenleiter) gebunden ist.

SCHLUSSBEMERKUNG Organisierte Gruppenbergfahrten nehmen in den letzten Jahren immer mehr zu; auch Großveranstaltungen im alpinen Gelände gehören heute fast durchgehend zum Konzept von Liftbetreibern und Touristikern. Dies ergibt für die Rettungsorganisationen die Notwendigkeit zum Überdenken vorhandener Einsatzkonzepte. Der Großunfall im alpinen Gelände ist potentielle Wirklichkeit, die vorhandenen Konzepte und Vorhaltung/Verfügbarkeit entsprechender Materialien ist jedoch an Infrastrukturen gebunden, auf welche man im alpinen Gelände nicht, oder nur bedingt zurückgreifen kann. Auch bestehende Algorithmen für Großunfälle sind im alpinen Gelände nur bedingt umsetzbar. Die Überarbeitung vorhandener Einsatzkonzepte und deren Einbindung in die Ausbildung der zuständigen Rettungsorganisationen stellt damit eine wesentliche Herausforderung für die zukünftige Arbeit dar.

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G e o r g H o f f m a n n , Wo l f g a n g S c h o b e r s b e r g e r

Das Alpenmurmeltier und seine volksmedizinische Bedeutung. Zusammensetzung und mögliche Wirkungsweise des Murmeltierfettes. S U M M A RY Visceral fat of Marmota marmota has been used for centuries as an alternative medicinal product in the alpine regions. Among others, popular reasons for application include muscle tenseness, common colds, rheumatism, arthritis, inflammatory diseases of the skin, and tuberculosis. It is the purpose of this review article to analyze the usage of marmot fat from a scientific point of view and to distinguish between therapeutically useful and useless forms of application. With respect to its potential antiinflammatory properties, controlled studies investigating the visceral fat of marmots have not been performed yet. However, the chemical analysis of its composition revealed a glucocorticoid concentration that might explain the modulatory effect of marmot´s fat under these conditions. Taking into account the precautionary measures required when using this class of substances, there are no objections against a temporary use of marmots’s fat for mild complaints due to inflammtory processes. Keywords: Marmota marmota, alternative medicine, inflammation, glucocorticosteroids

Z U S A M M E N FA S S U N G Präparationen aus Murmeltierfett erfreuen sich seit Jahren, vielleicht sogar seit Jahrhunderten, großer Beliebtheit in der Bevölkerung des alpinen Raumes als alternatives Naturheilmittel. Die volksmedizinischen Anwendungen reichen dabei von Verspannungen und Erkältungen über rheumatische Beschwerden und Gelenksentzündungen hin zu entzündlichen Erkrankungen der Haut und Tuberkulose. Gegenstand der vorliegenden Übersichtsarbeit ist der Versuch, diese Anwendungen unter einem wissenschaftlichen Blickwinkel zu betrachten und therapeutisch sinnvolle und unsinnige Nutzungsmöglichkeiten zu separieren. Ein wissenschaftlicher Nachweis potenzieller antiinflammatorischer Wirkungen des Murmeltierfettes im Sinnne kontrollierter Studien existiert

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nicht. Die überlieferte entzündungshemmende Wirkung der Präparate läßt sich aber durch ihren Glukokortikoidgehalt erklären. Berücksichtigt der Anwender die Vorsichtsmaßnahmen im Zusammenhang mit dieser Wirkstoffgruppe, ist gegen eine zeitlich vorübergehende Nutzung des Murmeltierfettes bei geringfügigen Beschwerden mit entzündlicher Komponente nichts einzuwenden. Schlüsselwörter: Marmota marmota, Alternative Medizin, Inflammation, Glukokortikosteroide

Abbildung 1 Marmota marmota

Zoologische Beschreibung: Das Alpenmurmeltier ist mit 40 bis 50 cm Länge das größte Nagetier der Alpen. Es besitzt einen breiten und gedrungenen Körperbau mit etwa gleich langen Vorder- und Hinterextremitäten. Zum Graben verfügt das Tier über starke Krallen an Vorder- und Hinterpfote. Der kurze und breite, schwarzgraue Kopf sitzt auf einem kurzen beweglichen Hals. Der Rücken ist gelbbraun bis graubraun, der Bauch gelblichbraun gefärbt. Das Murmeltier besitzt einen 15 bis 20 cm langen, rotbraunen Schwanz (Rute), dessen letztes Drittel schwarz gefärbt ist. Ein Fellwechsel findet einmal jährlich nach dem Winterschlaf statt. Gesichts-, Geruchs- und Gehörsinn sind hervorragend. Murmeltiere leben in Familiengruppen, die aus einem Paar (Bär und Katze) und den noch nicht geschlechtsreifen zwei bis dreijährigen Jungen (Affen) bestehen. Solche Gruppen können eine Größe von bis zu 25 Mitgliedern annehmen. Das Sozialverhalten innerhalb dieser Familienverbände ist stark ausgeprägt, einzelne Tiere halten an erhöhten Stellen des Baus Wache und stoßen bei Gefahr schrille Pfeifgeräusche aus, um ihre Artgenossen zu warnen. Die Bauten der Murmeltiere bestehen aus verschiedenen Kammern, die in unterschiedlicher Tiefe angelegt werden. Während die Sommerhöhlen nahe der Erdoberfläche angelegt sind, liegen die Nestkammern für den Winterschlaf frostgeschützt in bis zu 7 Metern Tiefe. Die Durchschnittstemperatur im Winter liegt bei + 7,5 °C.

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Nach dem Winterschlaf, der von Oktober bis April dauert, ernähren sich Murmeltiere von Wurzeln und Knollen, später nehmen sie krautartige Nahrung zu sich. Im Sommer folgen Gräser, Blüten, Samen und Früchte. Pro Tag verzehrt ein erwachsenes Tier ca. 1,2 kg Grünmasse. Um einem Familienverband eine ausreichende Ernährung zu gewährleisten, werden in den kargen Alpenregionen z.T. Territorien von bis zu drei Hektar Größe aufgebaut (ca. vier Fussballfelder). Während des nächsten Winterschlafes leben die Tiere ausschließlich von den im Sommer gespeicherten Körperfettreserven. Im Winterschlaf sinkt die Körpertemperatur der Tiere von 39 °C auf ca. 32 °C ab. Das Herz schlägt nur noch fünf Mal pro Minute, die Atemfrequenz liegt bei einem Atemzug pro Minute. Dadurch verbraucht das Tier extrem wenig Fett und Sauerstoff. Alle zwei Wochen erwachen die Murmeltiere, um ihre Blase in spezielle Latrinenkammern zu entleeren. Trotz dieser Ökonomie verlieren die erwachsenen Murmeltiere während des Winterschlafes die Hälfte ihres Körpergewichtes (von 5 auf 2,5 kg). Geschlechtsreif werden Murmeltiere nach ca. drei Jahren. Die Paarungszeit beginnt unmittelbar nach dem Winterschlaf. Nach 5 Wochen bringt das Weibchen zwei bis sechs Junge zur Welt. Da diese zunächst zahnlos sind, weder sehen noch hören können und gesäugt werden müssen, bleibt das Muttertier mit dem Nachwuchs etwa sechs Wochen in speziellen Wurfbauten. Zudem setzt die Katze ein Jahr lang mit einer neuerlichen Paarung aus und konzentriert sich auf die Aufzucht ihrer Jungen. Zusammensetzung des Murmeltierfettes: Es liegt ein hoher Gehalt an ungesättigten Fettsäuren mit einem Linolsäure/Linolensäure-Quotienten von ca. 1:2 vor. Zusätzlich finden sich geringe Mengen an cis-9-Pentadecen- sowie an cis-9-Heptadecensäure. Letztere wurden zwar in Tierversuchen als entzündungshemmend eingestuft (1–5), liegen jedoch in zu geringer Konzentration vor, um die volksmedizinisch beanspruchten antiphlogistischen und antirheumatischen Wirkungen von Murmeltierfett-Präparaten erklären zu können. Wagner und Nusser (6) fraktionierten das Murmeltierfett mit Hilfe von Säulenchromatographie, Festphasenextraktion und anschließender Hochleistungsflüssigkeitschromatographie, Gaschromatographie und/oder Gaschromatographie-Massenspektrometrie. Auf diesem Wege konnten acht Kortikosteroide qualifiziert und quantifiziert werden, die auch in menschlichem Blutplasma bzw. in der Nebennierenrinde vorkommen (Tabelle 1). Die ermittelten Gesamtkortikosteroidgehalte liegen zwischen 30 und 80 mg/kg und damit deutlich unter dem Wert von 2,5 mg/g, wie er in frei verkäuflichen, hydrokortisonhaltigen Salben gewöhnlich zu finden ist.

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Kortikosteroid

Gehalt in mg/kg Fett (min. – max.)

Hydrokortison

6,6 – 13,1

Kortison

5,6 – 6,2

Dehydrokortikosteron

2,9 – 11,2

Kortikosteron

2,1 – 9,2

Kortexolon

3,2 – 7,4

Deoxykortikosteron

3,0 – 8,4

17 -OH-Progesteron

2,9 – 10,3

Progesteron

7,1 – 14,0

Tabelle 1: Kortikosteroidgehalte in Murmeltierfettextrakten. Angegeben sind die Niedrigst- und Höchstwerte aus je drei Bestimmungen von je zwei Fettchargen (nach Wagner und Nusser, 1988).

Beanspruchte volksmedizinische Anwendungen: a) äußere Anwendungen (Cremes, Salben): bei Asthma, Schwangerschaft, Tuberkulose, Magenschmerzen, Seitenstechen, in Kosmetiksalben, bei Verspannungen und Erkältungen, in erster Linie aber bei rheumatischen Erkrankungen, Gelenkentzündungen und entzündlichen Erkrankungen der Haut (Ekzemen, Kontaktdermatitis, Neurodermitis, Seborrhöe, Psoriasis). b) innere Anwendungen: als Kochfett. Wissenschaftlicher Nachweis der Wirkung: Die entzündungshemmende Wirkung des Hydrokortisons bei kutaner Auftragung ist bekannt (7). Obwohl die von Wagner und Nusser (6) durchgeführte Analyse des Murmeltierfettes einen nachweisbaren Gehalt an Hydrokortison und anderen Kortikosteroiden ergab, liegen nur wenige Untersuchungen zur entzündungshemmenden Wirksamkeit von Murmeltieröl-Präparaten vor. Eine mit 70% Methanol hergestellte einfache Fraktion des Murmeltierfettes zeigte im Granulombeuteltest an Ratten eine etwa 40%ige Exsudathemmung. Mit Dichlormethan hergestellte lipophile Fraktionen des Murmeltierfettes wirkten im Rattenpfotenödemtest dosisabhängig entzündungshemmend (8). Um sich eine präzisere Vorstellung von den Wirkungen des Murmeltierfettes machen zu können, sollen im Folgenden die menschlichen Glukokortikoide näher besprochen werden. Wirkmechanismus: Ihre genomischen Effekte entfalten Glukokortikoide nach Diffusion in die Zielzelle und Bindung an intrazelluläre Rezeptoren (siehe Abbildung 2). Die Glu-

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Abbildung 2 Allgemeine Wirkung der Glukokortikoid (GK)-Hormone. Gebunden an ein Transportprotein (TP) erreichen die GK die Zelle und diffundieren auf Grund ihrer Fettlöslichkeit über die Zellmembran in das Zytosol. Dort binden die GK an ihren Rezeptor (GR). Ein dimerer Komplex aus GK und GR diffundiert in den Zellkern und interagiert mit sensitiven Strukturen auf der DNA, den glucocorticoid receptor response elements (GRE). Die Expression steroid-abhängiger Gene kann auf diesem Weg entweder gefördert (+) oder gehemmt (–) werden. kokortikoid-Rezeptoren (GR) liegen per se in einem nichtaktiven Komplex mit zwei Untereinheiten der sog. Heat-Shock Proteine 90 vor (HSP 90). Die Bindung der Glukokortikoide führt zur Dissoziation der HSP 90, der Komplex aus Hormon und Rezeptor diffundiert in den Zellkern und bindet als Dimer an Glukokortikoid-Rezeptor-sensitive Strukturen auf der DNA, den GR response elements (GRE). Der dimere Komplex aus Glukokortikoiden und ihren Rezeptoren wirkt also als Transkriptionsfaktor und fördert oder hemmt die Expression Glukokortikoid-abhängiger Gene (9). Die nichtgenomischen Wirkungen der Glukokortikoide werden einerseits spezifisch über membrangebundene Rezeptoren vermittelt, wobei der genaue Mechanismus noch nicht erforscht ist. Andererseits sind unspezifische Wirkungen bekannt, die daraus resultieren, dass sich die Glukokortikoide in die Membranen von Zellen einlagern und in physikochemische Wechselwirkungen mit Membrantransportproteinen treten. Dadurch kommt es zur Beeinflussung v.a. des Kationentransportes und sukzessive zu einer Veränderung des

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Membranpotentials. Die Folge ist in erster Linie eine Immunsuppression. Diese Effekte werden erst beobachtet, wenn alle zytosolischen GlukokortikoidRezeptoren besetzt sind, d.h. physiologische Glukokortikoid-Konzentrationen reichen hierfür nicht aus (10–15). Die wesentlichen Funktionen der Glukokortikoide werden durch ihre genomische Wirkung vermittelt, u.a. die glykogenetische, lipolytische und proteolytische Wirkung, die Hemmung der Fibroblasteproliferation und der Kollagensynthese im Bindegewebe, die trophischen Effekte auf die Darmmukosa oder die permissive Wirkung auf Katecholamine durch die Expression adrenerger Rezeptoren. Die im Hinblick auf die medizinische Nutzung der Glukokortikoide wichtigste Wirkung ist jene auf das Immunsystem des Menschen. Glukokortikoide sind eindeutig antiinflammatorisch wirksam. Sie verhindern typische Symptome einer Entzündung wie die erhöhte Kapillarpermeabilität, das Auftreten von Ödemen, Fieber etc. Glukokortikoide sind Standardpräparate in der Therapie zur Immunsuppression, sei es zur Verhinderung von Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen, bei rheumatischen Leiden (z. B. rheumatoider Arthritis), bei Lungenerkrankungen (z. B. schwerem Asthma), bei entzündlichen Darmerkrankungen (z. B. im Falle einer chronischen Colitis ulcerosa) oder bei systemischen Erkrankungen mit entzündlicher Komponente (z. B. systemischer Lupus erythematodes). Dabei werden in erster Linie Glukokortikoidderivate eingesetzt, die keine bzw. nur eine sehr geringe mineralokortikoide Nebenwirkung entfalten. Zur topischen Anwendung in Form von Salben oder Cremes kommen Glukokortikoide bei vielen Hautkrankheiten, z. B. bei Kontaktekzemen (Kontaktdermatitis), Neurodermitis oder Schuppenflechte (Psoriasis) zum Einsatz. Für die Behandlung der erkrankten Hautpartien stehen Präparate in vier Stärkeklassen mit zunehmender Wirksamkeit zur Verfügung. Hydrokortisonhaltige Mittel finden sich in der Stärkeklasse 1, sie sind überwiegend frei als OTC (over the counter)-Produkte erhältlich. Stärker entzündungshemmende Vertreter finden sich in den Stärkeklassen 2 (z. B. Prednicarbat), 3 (z. B. Halometason) oder 4 (z. B. Clobetasol). Welche Klasse verwendet wird, hängt vom Schweregrad der Erkrankung, der voraussichtlichen Behandlungsdauer, dem Alter des Patienten und der betroffenen Hautpartie ab. Im Allgemeinen werden 1 bis 10 % der topisch aufgetragenen Kortikosteroide über die Haut aufgenommen. In der Hornschicht können die Verbindungen über einen Zeitraum von etwa 5 Tagen gespeichert werden. Die Mechanismen der Immunsuppression durch Glukokortikoide sind vielfältig. Ein positiver genomischer Effekt ist für eine Reihe anti-inflammatorischer Mediatoren beschrieben (Abbildung 3, Tabelle 2). Die wesentlichen Mechanismen der antiinflammatorischen Glukokortikoid-

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Genprodukt

Wirkung (innerhalb des Immunsystems)

Lipoprotein-1/Annexin-1

Inhibitor der Phospholipase A2

Clare cell protein CC10

Inhibitor der Phospholipase A2

Interleukin-1-Rezeptorantagonisten

inaktiviert Interleukin-1

MAPKinase Phosphatase-1

hemmt das Wachstum immunaktiver Zellen

Interleukin-10

entzündungshemmendes Zytokin

I- B

Inhibitor des NF- B

Tabelle 2: Glukokortikoid-sensitive, anti-inflammatorische Genprodukte.

Abbildung 3 Die Bindung des Komplexes aus Glukokortikoiden und ihrem Rezeptor an positiv regulierende GRE führt zu einer vermehrten Expression der Gene, z. B. für den Interleukin-1-Rezeptorantagonisten oder das inhibitorisch wirkende Regulatorprotein I- B . Wirkung sind jedoch negative genomische Effekte. Dies geschieht durch die Unterdrückung der Expression proinflammatorischer Gene entweder direkt am Genom durch negative GRE oder (vermutlich häufiger) durch Protein-ProteinInteraktionen zwischen dem Glukokortikoid-Rezeptor-Komplex und Transkriptionsfaktoren, welche die Expression proinflammatorischer Gene stimulieren (siehe Abbildung 4). Prominente Vertreter dieser Klasse von Transkripti-

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Abbildung 4 Wechselwirkung der GK mit negativen GRE und Transkriptionsfaktoren (TF) für pro-inflammatorische Genprodukte. onsfaktoren sind NF- B und AP-1. NF- B wird durch eine Vielzahl von Stimuli aktiviert, die bei Entzündungsreaktionen vermehrt auftreten, u. a. durch Tumor-Nekrose-Faktor- (TNF- ) oder durch Interleukin-1 (IL-1 ). Nach Aktivierung erfolgt die Freisetzung des NF- B aus einem funktionlosen Komplex mit I- B . NF- B wandert in den Zellkern und stimuliert die Expression weiterer entzündungsfördernder Verbindungen, z. B. des TNF- oder der induzierbaren Stickstoff-Monoxid-Synthase (16). Wechselwirkungen mit NF- B stellen einen wesentlichen Mechanismus der entzündungshemmenden Effekte der Glukokortikoide dar (17, 18). Eine unter Einfluss von Glukokortikoiden verminderte Produktion pro-inflammatorischer Agonisten wurde u.a. beschrieben für: die Interleukine-1 bis -6, die Chemokine RANTES, MCP-1, -3 und -4, die induzierbare Stickstoff-Monoxid-Synthase und Cyclocoxygenase-2 und die Phospholipase A2. Nebenwirkungen: Unerwünschte Wirkungen treten in starkem Ausmaß gewöhnlich nur während bzw. nach oraler Langzeittherapie auf. Am häufigsten liegt eine Summe von Symptomen vor, die als iatrogenes Cushing-Syndrom bezeichnet wird. Die erhöhte Glukokortikoid-Konzentration führt zu: Gewichtszunahme durch die verbesserte Nahrungsresorption und den angeregten Appetit (Stammfettsucht, 144


buffalo hump), gerötete Backen durch die Synthese von Erythropoietin, Abbau der Skelettmuskulatur mit dünnen Extremitäten und vorquellendem Abdomen, Hautveränderungen mit Atrophie, Striae, Akne und Hirsutismus in erster Linie durch Proteinabbau, verzögerte Wundheilung durch Hemmung der Fibroblastenproliferation sowie erhöhte Infektanfälligkeit durch Hemmung des Immunsystems. Bei einer kurzfristigen topischen Behandlung der Haut mit Glukokortikoid-Salben, -Ölen oder -Cremes über weniger als 1–2 Wochen treten keine Nebenwirkungen auf. Nach mehrwöchiger, mitunter monatelanger Applikation kann es zu Hautverdünnung, Erweiterung der Hautkapillaren, Brüchigkeit der Gefäße und Blutergüssen, Hirsutismus, erhöhter Infektionsanfälligkeit der Haut, Striae und Akne kommen. Bei zu häufigem Gebrauch, großflächiger Auftragung oder Auftragung auf nässende Hautpartien können die Glukokortikoide resorbiert werden und systemische Wirkungen entfalten. Dies kann bis zur Unterdrückung einer normalen Funktion der Nebennierenrinde führen. Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln: Bei gleichzeitiger Einnahme von Kortikosteroid-Präparaten mit anderen Arzneimitteln sind theoretisch sehr viele Interaktionen möglich, von klinischer Relevanz sind nur die wenigsten. Wenn neben Kortikosteroiden abführende oder entwässernde Mittel eingenommen werden, muss mit Kaliumverlusten gerechnet werden (19). Ein beschleunigter Abbau von Kortikosteroid-Präparaten in der Leber kann bei Einnahme von Barbituraten, Hydantoinen und Rifampicin auftreten (20–22). Antibiotika auf Chinolonbasis können Sehnenschäden hervorrufen, dieses Risiko ist bei gleichzeitiger Einnahme von Kortikosteroiden signifikant erhöht (23). Wenn Kortikosteroide mit nichtsteroidalen Antirheumatika appliziert werden, wird eine Zunahme von Ulcera ventriculi/duodeni beobachtet (24). Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass die genannten Wechselwirkungen in erster Linie bei hochdosierter, oraler Applikation von Kortikosteroid-Präparaten auftreten und nicht bei topischer Anwendung. Schlussfolgerung: Einen wissenschaftlichen Nachweis der antiinflammatorischen Wirksamkeit von Produkten auf Basis des Murmeltierfettes im Sinne kontrollierter präklinischer oder klinischer Studien gibt es derzeit nicht. Der Gehalt an Glukokortikoiden im Murmeltierfett kann jedoch dessen überliefertes entzündungshemmendes Potential erklären. Es muss allerdings berücksichtig werden, dass auf Grund des heterogenen Ausgangsmaterials die Konzentrationen der jeweiligen Wirkstoffe in den volksmedizinischen Endprodukten stark schwanken können. Auch wenn nach derzeitigem Kenntnisstand von – im Vergleich zu Mono-

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präparaten – deutlich niedrigeren Glukokortikoid-Gehalten ausgegangen werden muß, wären detailliertere Untersuchungen zumindest zum durchschnittlichen Hydrokortisongehalt wünschenswert. Was die topische Applikation der Produkte bei Hautleiden betrifft, sollten bis zum Vorliegen dieser Daten die gleichen Richtlinien wie bei der Anwendung anderer topischer Kortikosteroide gelten: kein Einsatz über einen Zeitraum von mehr als vier Wochen; kein wiederholter Einsatz bei ausbleibender Wirkung, statt dessen einen Hautarzt aufsuchen; sparsame Anwendung (eine Fingerbeereneinheit reicht für 250 bis 300 cm2 Hautfläche); beim ersten Auftreten von Nebenwirkungen sofortiges Absetzen des Präparates und Konsultation eines Hautarztes. Von einer inneren Anwendung ist abzuraten.

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M a r k u s F l a t z , M a r t i n F a u l h a b e r, M a r t i n B u r t s c h e r

Lungenfunktion während kurzzeitiger Höhenakklimatisation Lung function during short term acclimatisation S U M M A RY Investigations regarding changes of lung function are controversial. There is agreement about the decrease of vital capacity at altitude but different results in other parameters exists. Information about time dependent changes in these parameters are scarce. In addition hints exist, that power output increases due to increased ventilation in the first 48 hrs of altitude acclimatisation. Hence, the aim of this study was to investigate the changes in respiratory function during short term acclimatisation. Two independent groups where tested for lung function at 600m and acute and subacute (24 resp. 48 hrs.) at 1.940 m (Group 1) resp. 3.200 m (Group 2). Group 1 included 16 healthy volunteers (23.7±2.7 yrs.) and group 2 was composed of 7 healthy volunteers (50.1±6.9 yrs.). There were no differences in lung function during short term acclimatisation in both groups and both levels of altitude. Hence the reported improvement in power output following short time acclimatisation was not affected due to changes in lung function. Keywords: acute altitude, hypoxia, adaptation, limiting factors

Z U S A M M E N FA S S U N G Untersuchungen zur Veränderung der Lungenfunktion bei Höhenexposition sind kontrovers. Während einheitlich von einer Abnahme der Vitalkapazität berichtet wird, gibt es für andere Parameter Diskrepanzen. Über die Veränderung dieser Parameter während der Akklimatisationsphase gibt es nur wenige Studien. Gleichzeitig gibt es Hinweise, dass sich die Leistungsfähigkeit schon in den ersten 48 Stunden aufgrund vermehrter Ventilation verbessert. Ziel dieser Untersuchung war es daher, die Veränderung von Lungenfunktionsparametern während der Akutakklimatisation zu studieren. Die Erhebungen wurden an zwei unabhängigen Personenstichproben in unterschiedlicher Höhe gemacht. Gruppe 1 waren 16 gesunde Personen (23,7±2,7 Jahre). Gruppe 2

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bestand aus sieben gesunden Probanden (50,1±6,9 Jahre). Bei beiden Gruppen wurden ruhespirometrische Messungen im Tal (600 m) und auf 1.940 m (Gruppe 1) bzw. 3.200 m (Gruppe 2) akut sowie subakut (24 bzw. 48 Stunden) nach Höhenankunft durchgeführt. Bei unseren Erhebungen kam es zu keiner Veränderung der Messparameter während der Kurzadaptationsphase. Weder in 1.940 m noch in 3.200 m veränderten sich die Atemparameter innerhalb der ersten 1–2 Tage. Statische Lungenfunktionsparameter scheinen daher bei der verbesserten Leistungsfähigkeit bei kurzzeitiger Höhenadaptation keine Rolle zu spielen. Schlüsselwörter: akute Höhe, Hypoxie, Adaptation, limitierende Faktoren

EINFÜHRUNG Untersuchungsergebnisse zur Lungenfunktion bei Höhenexposition sind kontrovers. Während für die forcierte Vitalkapazität (FVC) zumeist eine Verringerung gezeigt wurde (1,2,3,4), gibt es für die Einsekundenkapazität (FEV1) keine einheitlichen Ergebnisse. Die Datenlage umfasst Berichte von Abnahmen (5,6) über keine Veränderungen (1,3) bis zu Zunahmen (4,7) des FEV1 bei Höhenexposition. Die unterschiedlichen Ergebnisse beruhen zum einen auf den veränderten Druckgegebenheiten und der damit verbundenen Problematik der Messsysteme. Andererseits beeinflussen die unterschiedlichen Messzeitpunkte und Anpassungen während der Akklimatisationsphase mit fortlaufender Dauer der Höhenexposition die Resultate. Neuere Hinweise zeigen, dass es schon nach einigen Stunden Höhenexposition zu einer Leistungsverbesserung durch steigende Ventilation kommt (8). Ziel dieser Studie war es daher, Effekte von Lungenfunktionsparametern während der Adaptationsphase in unterschiedlichen Höhen, und einen eventuellen Zusammenhang zur Leistungssteigerung zu untersuchen.

METHODIK Untersuchung 1: Bei 16 gesunden Probanden (12 weiblich, 4 männlich, 23,7±2,7 Jahre; 166,8 ±8,8 cm und 60,6 ±8,8 kg) wurden auf 600 m (LA) und ein bis drei Stunden nach Ankunft in 1.940 m (MA1) ruhespirometrische Messungen durchgeführt (Schiller Spirovit, Deutschland). Nach einem normierten Eichverfahren wurde die forcierte expiratorische Vitalkapazität (FVC) und das forcierte expiratorische Volumen der ersten Sekunde (FEV1) jedes Probanden erhoben, wobei der Bessere von zwei Versuchen gewertet wurde. Daraus berechnet wurde der Tif-

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fenauwert (FEV1/FVC). Die Messungen wurden unter den gleichen Bedingungen 24–26 Stunden nach Höhenankunft wiederholt (MA2). Alle Probanden hatten keinen Höhenaufenthalt über 1.500 m in den letzten vier Wochen vor der Untersuchung. Untersuchung 2: Bei sieben gesunden, männlichen Probanden (50,1±6,9 Jahre; 175,1±3,5 cm und 76,9±6,1 kg) wurden auf 600 m (LA) und ein bis drei Stunden nach Ankunft in 3.200 m (HA1) ruhespirometrische Messungen durchgeführt (Schiller Spirovit, Deutschland). Nach einem normierten Eichverfahren wurde die FVC, das FEV1 und der Atemgrenzwert (MVV), gemessen über 10 Sekunden, jedes Probanden erhoben, wobei der Bessere von zwei Versuchen gewertet wurde. Der Tiffenauwert wurde aus FEV1/FVC berechnet. Die Messungen wurden unter den gleichen Bedingungen 48–50 Stunden nach Höhenankunft wiederholt (HA3). Alle Probanden hatten keinen Höhenaufenthalt über 2.500 m in den letzten vier Wochen vor der Untersuchung. Für die statistische Auswertung wurde ein abhängiger t-Test für die Vergleiche von den Akut- zu den Subakutmessungen mit einem Signifikanzniveau von p<0,05 angewendet. Die Ergebnisse sind als Mittelwert (Standardabweichung) dargestellt.

ERGEBNISSE Untersuchung 1: Während der kurzzeitigen Akklimatisationsphase (24 h) kam es zu keiner Veränderung des FVC (4,52 (0,80) vs. 4,60 (0,81) l, p=0,53), des FEV1 (3,86(0,73) vs. 3,64 (1,17) l/s, p=0,29) und des Tiffenauwertes (0,85 (0,05) vs. 0,81 (0,04), p=0,37). Bei akuter Exposition in 1.940 m Höhe waren FVC und das FEV1 im Vergleich zum Talwert jeweils um 5 % vermindert. Untersuchung 2: Während der kurzzeitigen Akklimatisationsphase (48h) kam es zu keiner Veränderung von FVC (5,23 (1,06) vs. 5,15 (0,62) l, p=0,79), von FEV1 (3,93 (0,64) vs. 3,81 (0,58) l/s, p=0,43) und des Tiffenauwertes (0,76 (0,11) vs. 0,75 (0,12), p=0,66). Auch der Atemgrenzwert blieb während dieser Zeit unverändert (169,58 (35,77) vs. 168,74 (36,66) l/min, p=0,78). Bei akuter Exposition in 3.200 m Höhe kam es im Vergleich zum Talwert zu einer Abnahme des FEV1, des Tiffenauwertes und des Atemgrenzwertes.

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Abbildung 1 FVC und FEV1 (l) auf 600 m und akut und subakut auf 1.940 m, n=16

Abbildung 2 FVC und FEV1 (l) auf 600 m und akut und subakut auf 3.200 m, n=7

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DISKUSSION Wir fanden keine Veränderung der Lungenfunktionsparameter während der Kurzadaptationsphase. Weder in 1.940 m noch in 3.200 m veränderten sich FVC, FEV1 oder der Tiffenauwert innerhalb der ersten 1–2 Tage. Auch bei anderen Untersuchungen (2,4) zeigten sich Hinweise, dass es nach einer anfänglichen Verminderung zu einem Plateau innerhalb der ersten Tage auf 3.400 m und mehr kommt und mit fortlaufender Dauer dann wieder zu einer Annäherung an die Ausgangswerte. Diese Angleichung war nach 5 Tagen über 3.600 m gegeben und stellt nach Meinung der Autoren möglicherweise eine Anpassung dar, die sich infolge des anfänglich vermehrten pulmonalen Blutvolumens und/oder interstitiellen Ödemen erst nach einigen Tagen einstellt (2). Die Ergebnisse zu der unveränderten Lungenfunktion während der Kurzadaptation stehen im Kontrast zu der Beobachtung, dass die Ventilation unter Belastung nach Kurzadaptation weiter ansteigt und deshalb höhere Dauerleistungen möglich sind (8). Lungenfunktionsparameter scheinen daher bei der verbesserten Leistungsfähigkeit während kurzzeitiger Höhenadaption keine Rolle zu spielen. Neuere Untersuchungen zeigten ein vermindertes Gefühl der Atemnot nach repititiven Belastungen (9,10) und im Falle der Studie von Burki et al. (10) auch eine Abnahme des Atemnotgefühls bei Belastungen in der Höhe. Inwieweit regulative periphere und/oder zentrale Veränderungen bzw. Anpassungen von Bedeutung sind, werden zukünftige Forschungen zeigen.

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M a r t i n B u r t s c h e r, R e i n h a r d P ü h r i n g e r, I n g e We r n e r

Einfluss von Höhe, Alkohol und Rauchen auf die Sturzhäufigkeit im alpinen Skilauf Effects of altitude, alcohol, and smoking on the frequency of falls during alpine skiing ABSTRACT It is well known that cognitive and motor skills are adversely affected by hypoxia, smoking and alcohol drinking. These risk factors may disturb the complex movements of downhill skiing and thus evoke falls and injuries. Although there are millions of skiers annually in Austria there is little information on this issue. Therefore, the frequency of falls, the respective altitude, alcohol drinking and smoking habits were recorded in 2.102 skiers. It has been demonstrated that altitude, smoking and alcohol drinking clearly enhanced the risk of falls during skiing. Multiple risk factors showed additive effects. Smoking and alcohol drinking at altitudes higher than 2.000 m effected an about 6-fold increase of the risk to fall during skiing compared with skiing at altitudes < 2.000 m, without smoking and alcohol drinking. Keywords: alpine skiing, risk of falls, altitude, alcohol, smoking

Z U S A M M E N FA S S U N G Es ist bekannt, dass Hypoxie, Rauchen und Alkohol kognitive und motorische Fähigkeiten negativ beeinflussen. Komplexe Bewegungsabläufe beim alpinen Skilauf könnten durch diese Risikofaktoren leicht Störungen mit Sturzfolge erfahren. Trotz vieler Millionen Skifahrer jährlich allein in Österreich, wurde diese Problematik noch kaum untersucht. Daher erhoben wir bei insgesamt 2.102 Personen die Sturzhäufigkeit, die entsprechende Höhenlage, Alkoholgenuss und Rauchgewohnheiten. Es zeigte sich klar, dass zunehmende Höhe, Rauchen und Alkoholgenuss das Sturz- und dadurch sehr wahrscheinlich auch Verletzungsrisiko im alpinen Skilauf erhöhen. Treffen zwei oder drei dieser Risikofaktoren zusammen, wirken sie additiv. Rauchen und Alkoholgenuss in einer Höhe über 2.000 m steigerte das Sturzrisiko nahezu 6-fach verglichen mit Höhenlagen unter 2.000 m, bei

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Nichtrauchern und ohne Alkohol am Skitag. Schlüsselwörter: Alpiner Skilauf, Sturzrisiko, Höhe, Alkohol, Rauchen

EINLEITUNG Höhe, Alkohol und Zigaretten rauchen können die motorische Reaktions- und Koordinationsfähigkeit sowie visuelles und auditives Wahrnehmungsvermögen negativ beeinflussen (1–4). Beobachtungen und Studien, die sich mit Wechselwirkungen dieser Faktoren auseinandergesetzt haben, stammen vorwiegend aus der flugmedizinischen Forschung (5–6). Diese Untersuchungen wurden in natürlichen oder simulierten Höhen durchgeführt, die den alpinen Höhenlagen (bis ca. 3.000 m) unserer Skiregionen in Österreich entsprechen. Die Ergebnisse deuten auf eine additive (negative) Wirkung von Höhe, Alkohol und Rauchen auf motorische und sensorische Fähigkeiten hin. Eine Zunahme von Stürzen und Unfällen muss gerade beim alpinen Skilauf, mit hoher Beanspruchung von Koordination, Reaktion, Seh- und Hörvermögen, vermutet werden. Trotz der Tatsache, dass jährlich rund 8 Millionen Personen in den alpinen Höhenlagen in Österreich Ski fahren (7), und ein erheblicher Prozentsatz Zigaretten rauchen und/oder Alkohol während des Skitages trinken, wurden bisher Zusammenhänge dieser potentiellen Risikofaktoren mit Sturz- und Unfallhäufigkeiten kaum untersucht. Daher erfassten wir (Österreichischer Skiverband und Institut für Sportwissenschaften) in einem ersten Schritt die Sturzhäufigkeit von Rauchern und Nichtrauchern im alpinen Skilauf in Abhängigkeit der Höhe und des Alkoholgenusses.

METHODE Um ein repräsentatives Bild der Sturzhäufigkeit und Sturzbedingungen auf österreichischen Skipisten zu erhalten, war es Ziel, zwischen 2.000 und 2.500 Skifahrer nach Sturzanzahl am Skitag, verwendeter Ausrüstung, persönlichen Charakteristika (z. B. Alter, Geschlecht, Rauchgewohnheiten, körperliche Aktivität, etc.), Umgebungsbedingungen (z. B. bevorzugte Höhe am Skitag, Witterung, etc.), Alkoholgenuss, etc. zu befragen. Basierend auf der Skiunfallerhebung 1997/98 (8) wurden 5 Skigebiete ausgewählt, die inetwa die heterogenen Bedingungen und Besucher des gesamtösterreichischen Skigebietes repräsentieren. Um auch die wechselnden Bedingungen während der Saison zu berücksichtigen, wurden charakteristische Erhebungstermine bestimmt. Die Befragungen wurden von geschulten Mitarbeitern des Institutes für Sportwissenschaften der Universität Innsbruck an Hauptsammelstellen (z. B. Seilbahnen,

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Lifte) der ausgewählten Skigebiete durchgeführt. Dort wurden die Skifahrer blockweise zwischen 10 und 16 Uhr um ihre Mitarbeit gebeten, die in weniger als 1 % aller Befragungen verweigert wurde. Statistik: Die Gegenüberstellung der verschiedenen Häufigkeitsverteilungen von Personen mit und ohne Stürzen in Abhängigkeit verschiedener Charakteristika und Bedingungen werden anhand von Balkendiagrammen vorgenommen. Häufigkeitsunterschiede zwischen SkifahrernInnen mit und ohne Sturz wurden durch Chi-Quadrat-Tests geprüft. Als Risikoschätzer diente das Quotenverhältnis (Odds Ratio). Ein P-Wert (zweiseitig) < 0,05 bedeutet statistische Signifikanz.

ERGEBNISSE Insgesamt wurden 2.102 Personen erfasst. 52 % von ihnen verwendeten Carvingski, 26 % Normalski, 12 % Snowboards (freestyle) und 10 % andere Sportgeräte (Tabelle 1). Von den Normalskifahrern waren bis zum Befragungszeitpunkt 34 %, von den Carvingskifahrern 26 % und von den Snowboardern 74 % mindestens 1 mal gestürzt. Für die übrigen Sportgeräte wurde aufgrund der geringen Beteiligungen keine Auswertung vorgenommen. Bei den Normalskifahrern handelte es sich in 94 % und bei den Carvingskifahrern und Snowboardern in 91 % der Fälle um Einzelstürze und in 6 % beziehungsweise 9 % um

Skityp

Geschlecht M W

Normalski Carvingski Snowboard freestyle

312 633 156

Carvingski fun Snowboard race Andere

43

GESAMT

228 462 98

0

Sturzhäufigkeit 1

>1

359 790 58

125 201 35

56 83 152

128 42 2102

Tabelle 1: Sturzhäufigkeit und Geschlechterverteilung für Personen mit verschiedenen Ski(Snowboard)typen

157


Abbildung 1 Alters- und geschlechtsabhängige Anzahl von SkifahrernInnen mit und ohne Stürze kollisionsbedingte Stürze. Die Verteilungen aller Variablen, die eine Beeinflussung des Sturzereignisses bewirken könnten, waren zu den verschiedenen Befragungszeitpunkten ähnlich (vgl. 9). Die alters- und geschlechtsabhängigen Häufigkeiten von Personen mit und ohne Skisturz (wiederholte Stürze werden nicht mehr getrennt analysiert) sind in Abbildung 1 dargestellt. Stürze traten mit zunehmendem Alter für beide Geschlechter weniger häufig auf. Die prozentuellen Anteile der gestürzten Skifahrer, der Raucher, des Alkoholgenusses und des Höhenaufenthaltes (>2.000 m) sind für männliche und weibliche Skifahrer in Abbildung 2 wiedergegeben.

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Abbildung 2 Prozentuelle Häufigkeitsverteilungen der Stürze, Raucher, des Alkoholgenusses und Höhenaufenthaltes (>2.000 m) für männliche und weibliche Skifahrer.

Abbildung 3 Prozentsatz gestürzter SkifahrerInnen in Abhängigkeit der Risikofaktoren Höhe, Rauchen und Alkoholgenuss

159


In den weiteren Ausführungen werden Geschlecht und die einzelnen Sportgeräte nicht mehr unterschieden und vorrangig das Sturzrisiko in Abhängigkeit der Risikofaktoren Höhe, Rauchen und Alkoholgenuss beziehungsweise deren Kombination betrachtet. Abweichungen von der angeführten Gesamtzahl erfasster Skifahrer können aufgrund unvollständiger Angaben auftreten.

Risikofaktoren

Anzahl SkifahrerInnen Ohne Sturz Mit Sturz

Quotenverhältnis (95%KI) p-Wert

Höhe<2000m Nichtraucher Kein Alkohol

674

230

Höhe<2000m Raucher Kein Alkohol

220

140

1,9 (1,4-2,4) p<0,001

Höhe<2000m Nichtraucher Alkohol

142

79

1,6 (1,2-2,2) p=0,002

Höhe<2000m Raucher Alkohol

77

71

2,7 (1,9-3,9) p<0,001

Höhe>2000m Nichtraucher Kein Alkohol

57

43

2,2 (1,4-3,4) p<0,001

Höhe>2000m Raucher Kein Alkohol

18

20

3,3 (1,7-6,3) p=0,001

Höhe>2000m Nichtraucher Alkohol

39

34

2,6 (1,6-4,1) p=0,03

Höhe>2000m Raucher Alkohol

25

50

5,9 (3,5-9,7) p<0,001

Tabelle 2: Anzahl der Skifahrer mit und ohne Stürze in Abhängigkeit der Risikofaktoren Höhe, Rauchen und Alkoholgenuss. Das Quotenverhältnis (95 % Konfidenzintervall) wurde jeweils im Vergleich zu den Bedingungen Höhe<2.000m, Nichtraucher und kein Alkoholgenuss berechnet.

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Tabelle 2 zeigt die Anzahl der Skifahrer mit und ohne Stürze in Abhängigkeit der Risikofaktoren Höhe, Rauchen und Alkoholgenuss. Im Vergleich zu den Bedingungen Höhe<2.000 m, Nichtraucher und kein Alkoholgenuss steigt die Chance zu Stürzen (Quotenverhältnisse) durch Rauchen, Alkoholgenuss, Skilauf in Höhen über 2.000 m und besonders bei gleichzeitigem Auftreten dieser Risikofaktoren deutlich an (Tabelle 2, Abbildung 3).

DISKUSSION Die vorliegende Erhebung zeigt, dass Höhenlagen über 2.000 m, Rauchen und Alkoholgenuss das Sturzrisiko beim alpinen Skilauf markant erhöhen. Die isoliert vorhandenen Risikofaktoren Alkoholgenuss, Rauchen und Höhe>2.000 m lassen die Chance zu stürzen, verglichen mit jener in Höhen<2.000 m, bei Nichtrauchern und ohne Alkoholgenuss, um 1,6 – 2,2-fach ansteigen. Rauchen und Alkoholgenuss zusammen steigern das Sturzrisiko in Höhen<2.000 m um das 2,7-fache und in Höhen>2.000 m um das 5,9-fache. Hinzukommende Risikofaktoren scheinen also additiv (und nicht synergistisch) zu wirken. Diese Ergebnisse sind zwar neu und beeindruckend aber nicht unerwartet. Der Höhe selbst dürfte der bedeutendste Einfluss zukommen. Eine Vielzahl von Untersuchungen hat mit ansteigender Höhe auftretende Hypoxieeffekte beschrieben und auf die hypoxische Empfindlichkeit neuropsychologischer Funktionen hingewiesen (1,10). Mit zunehmender Hypoxie wurden verlängerte Reaktionszeiten auf visuelle und auditive Stimuli beschrieben (1). Andere Autoren demonstrierten eine mögliche Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses und generell der Informationsverarbeitung (11). Außerdem steigert körperliche Aktivität in der Höhe den Hypoxiegrad und damit verbunden den Sympathikotonus, führt zur Hyperventilation und erhöhter Glykolyse und Laktatbildung (12), fördert dadurch die Ermüdung und beeinträchtigt die motorische Koordinationsfähigkeit. Im Hinblick auf die hohen Anforderungen an Kondition und Koordination im alpinen Skilauf ist leicht verständlich, dass all die genannten Hypoxieeffekte zur Erklärung des beobachteten erhöhten Sturzrisikos beitragen können. Vom Alkoholgenuss abhängige Beeinträchtigungen kognitiver und psychomotorischer Fertigkeiten wurden besonders im Rahmen von Studien zur Verkehrssicherheit erfasst (13). Bereits geringe Blutalkoholmengen (ab 0,02 %) vermindern Auge-Hand und Auge-Fuss-Koordination. Nahezu jeder Aspekt der Informationsverarbeitung wird durch Alkohol beeinflusst (14). Die motorische Beeinträchtigung nach Alkoholkonsum wirkt sich besonders auf Gleichgewicht, Koordination und Beurteilungsvermögen aus (15,16). Es besteht kein Zweifel, dass auch die komplexe Bewegung des Skifahrens dadurch ungünstig beein-

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flusst wird. Überdies wirkt Alkohol atemdepressiv und kann so den Hypoxiegrad verstärken. Auch Rauchen erhöht den Hypoxiegrad durch die Bindung von Kohlenmonoxid (CO) an Hämoglobin. Außerdem bewirkt CO eine Linksverschiebung der Sauerstoff-Hämoglobin-Dissoziationskurve und dadurch eine verminderte Sauerstoffverfügbarkeit im Gewebe. Moderate Raucher weisen eine CO-Sättigung des Hämoglobins von etwa 5 % und starke Raucher von bis zu 10 % auf (17). Schon 5 % bedeuten in alpiner Höhenlage einen zusätzlichen „Höhenanstieg“ von etwa 1.000 m (6). Additive Effekte der Höhe und des Rauchens wurden von Collins et al. beschrieben (5). Obwohl die Nicht-Berücksichtigung von möglichen Störfaktoren oder Verzerrungen aufgrund der angewandten Datenerhebung nicht gänzlich ausgeschlossen werden können, werden die negativen Effekte der untersuchten Risikofaktoren als sehr wahrscheinlich angesehen. Zusammenfassend wird festgehalten, dass zunehmende Höhe, Rauchen und Alkoholgenuss das Sturz- und dadurch auch Verletzungsrisiko im alpinen Skilauf erhöhen. Mehrere dieser Risikofaktoren wirken additiv. Ein entsprechender Fitnessgrad, allmähliche Gewöhnung an die Höhe und zurückhaltender Zigaretten- und Alkoholgenuss tragen zweifelsfrei zur Sicherheit im Skilauf bei.

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163


164


C h r i s t o p h S z u b s k i u n d Wo l f g a n g S c h o b e r s b e r g e r

Bergwandern im Lichte muskuloskelettaler Belastungen Musculoskeletal forces in hiking S U M M A RY The objective of this review article is to present the current status on scientific knowledge of mountain hiking, particularly focusing on muscle activity and joint reaction forces. Due to various hiking terrain profiles, both the uphill walking as well as downhill walking are considered in this summary. As hikers going downhill have reported increased knee pain, the main topic of this article is to review the downhill walking and its relation to patellofemoral and tibiofemoral compressive forces using different biomechanical measuring systems. The respective results show that in comparison to level walking during uphill and downhill walking the following three basic features might have an influence on knee pain: 1) greater vertical ground reaction forces, 2) increased knee moment arms, and 3) increased knee joint forces. These commonly observed increased mechanical forces during uphill and downhill walking are being discussed in terms of declining and using hiking poles. In fact, some studies state that knee joint forces are reduced during downhill walking with poles, however, there is no real scientifically based evidence that poles result in decreasing knee pain risks in the long run. Even though limited research in the area of musculoskeletal forces in conjunction with backpack weight in hiking has been done so far, this important factor will not be neglected in this review article. In addition, possible limits of the applied measuring methods and the data interpretations are also discussed. Moreover, some important aspects for future studies will be proposed. Key words: Hiking, muscle activity, knee pain, poles, backpack

Z U S A M M E N FA S S U N G Dieser Übersichtsartikel soll einen Einblick über mögliche muskuloskelettale Belastungen beim Bergauf- und Bergabgehen geben. Es werden Studien vorgestellt, die vorwiegend anhand von Laboruntersuchungen das Aufwärts- und Abwärtsgehen hinsichtlich Muskelaktivität und Gelenksbelastungen verglichen

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haben, wobei auch Rücksicht auf unterschiedliche Geländeformen genommen wird. Der Schwerpunkt dieses Artikels liegt bei der Darstellung von möglichen wirkenden patellofemoralen und tibiofemoralen Belastungen beim Abwärtsgehen, da die Bergwanderer vor allem beim Bergabgehen über häufig auftretende Knieschmerzen berichten. Dabei könnten zusammenfassend folgende drei Merkmale mit Knieschmerzen in Verbindung gebracht werden. Im Vergleich zum Gehen auf gerader Ebene wurden beim Auf- und Abwärtsgehen 1) größere Bodenreaktionskräfte, 2) erhöhte Kniemomente und 3) erhöhte Kniegelenkskräfte beobachtet. Diese erhöhten muskuloskeletalen Belastungen werden weiterhin in Zusammenhang mit der Verwendung von Tourenstöcken diskutiert. Obwohl beim Abwärtsgehen mit Stöcken reduzierte Kniegelenkskräfte vorliegen sollen, fehlen bis dato wissenschaftliche Ergebnisse, die beweisen könnten, dass langfristige Verwendung von Stöcken mit geringeren Knieschmerzen einhergehen. Welchen Einfluss ein Zusatzgewicht in Form eines Rucksacks auf muskuloskeletale Belastungen haben könnte, wird ebenfalls dargestellt. Weiterhin werden die Grenzen der in den Studien verwendeten Messmethoden präsentiert, die Problematik bei der Interpretation der vorliegenden Untersuchungsergebnisse zu Gelenksbelastungen aufgezeigt und wichtige Aspekte für die zukünftige Erforschung dieser Thematik vorgestellt. Schlüsselwörter: Bergwandern, Muskelaktivität, Knieschmerz, Stöcke, Rucksack

EINLEITUNG Aus touristischem Blickwinkel gesehen erfreut sich das Bergwandern seit Jahrzehnten eines regen Interesses, da diese Bewegungsform in ihrer Ganzheit eine unverwechselbare Kombination aus Naturerlebnis und körperlicher Anstrengung bietet. Wie man jedoch aus dem Kreis der Bergwanderer immer wieder erfahren kann, wird diese Bewegungsform auch mit orthopädischen Problemen in Verbindung gesetzt. In einer Studie des Österreichischen Alpenvereins vor rund 15 Jahren wurden Alpenvereinsmitglieder nach der Lokalisation ihrer physischen Beschwerden beim Bergwandern befragt. Interessanterweise erreichte dabei das Kniegelenk mit über 30 % der Beschwerdeangaben den höchsten Wert bei den Nennungen (Österreichischer Alpenverein 1990). Als Ursache für die auftretenden Gelenksschmerzen wird immer wieder die Steilheit der Wanderwege genannt. In diesem Zusammenhang wird mit dem folgenden Übersichtsartikel ein Einblick über die bestehenden Untersuchungsergebnisse zum Berggehen und der möglichen Gelenksbeschwerden, die vor allem beim Bergabgehen auftreten

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können, gegeben. Geklärt werden soll ebenfalls, ob sich die zugeschriebene gelenksentlastende Wirkung von Tourenstöcken auch wissenschaftlich beweisen lässt, und inwieweit ein Zusatzgewicht in Form eines Wanderrucksackes das Bewegungsmuster zu ändern vermag. Bei Bergwanderungen wechseln sich die Geländeprofile ab. So gibt es geländebedingt: • „stufenartige“ Wege (z. B. durch Baumwurzel und Steine charakterisiert) (s. Abb.1) und • „geneigte Ebenen“ (z. B. Forstwege) Da sich diese Geländeformen hinsichtlich Bewegungsmuster, Muskelaktivität und wirkender Gelenkskräfte unterscheiden, werden im Rahmen dieses Artikels Studien zu beiden Geländeformen präsentiert. Eine klare Zuordnung von wissenschaftlichen Ergebnissen erfordert standardisierte Bedingungen, weshalb in den Forschungsstudien entweder ein Laufband oder eine Rampenkonstruktion benutzt wurde (s. Kapitel 2 bis 5). Zwar können die natürlichen Wegprofile mit derartigen Laboruntersuchungen nur annährend imitiert werden, jedoch werden dadurch die Unterschiede zwischen diversen Neigungswinkeln und Geländeprofilen präziser dargestellt.

Abbildung 1 Ein Beispiel für „Stufenartiges Gelände“. In diesem Fall eine Kombination aus künstlich angelegten Holzbalken und natürlich gelegenen Steinen.

BERGAUFGEHEN Die Gehbewegung wird hinsichtlich Kontraktionsformen in exzentrische und konzentrische Phasen gegliedert. Der Übergang zwischen diesen beiden Formen wird im Fachjargon „Dehnungs-Verkürzungszyklus“ genannt. Je steiler der Anstieg eines Weges, desto mehr überwiegt bei der in der Stützphase durchgeführter Beinstreckung die konzentrische Muskelkontraktion. Hierzu haben Schwameder und Mitarbeiter (2001) die Energieverteilung auf die Gelenke der unteren Extremitäten beim Gehen auf verschieden geneigten Ebenen (0° bis

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24°) untersucht. Die erzeugte hohe Energie und die gering absorbierte Gelenksenergie beim Aufwärtsgehen scheinen auf vorwiegend konzentrische Muskelarbeitsweise beim Bergaufgehen hinzudeuten. Stufenartiges Gelände Um Aussagen über Bewegungsablauf, Muskelaktivität und muskuloskeletale Belastungen auf stufenartigen Wegprofilen (s. Abb. 1) treffen zu können, werden hier Erkenntnisse aus Studien herangezogen, die stationär an diversen Stufenkonstellationen durchgeführt wurden (s. Abb. 2). Gleichzeitig mit Erhöhung des Steigungswinkels vergrößern sich beim Stufenaufgehen auch alle drei Gelenkswinkel der unteren Extremitäten (Fuß-, Knieund Hüftgelenk) (z. B. Rowe et al. 2000). Zudem müssen die Hüftbeugemuskeln mehr aktiviert werden, damit das Schwungbein die nächste (höhere) Stufe erreicht (Riener et al. 2002). Die Relevanz der Hüftstreckmuskulatur ist von der Schrittlänge bzw. von der benutzten Stufenkonstellation abhängig. Je kürzer und/oder niedriger die Stufen, desto kürzer sind auch die Schrittlängen beim Stufenaufsteigen. Die Hüftstrecker sind in diesem Fall am Ende der Fußkontaktphase, d.h. in der Abdruckphase, weniger aktiv als in der Abdruckphase beim Gehen auf der geraden Ebene (z. B. Nadeau et al. 2003). Je größer jedoch der vertikale und/oder der horizontale Abstand zwischen den Fußabdruckflächen ist, und damit die Schrittlänge, desto relevanter werden indessen die Hüftstreckmuskeln (Livingston et al. 1991). Die Quadricepsmuskulatur spielt beim Stufenaufsteigen, im Vergleich zum Gehen auf gerader Ebene (0°), ebenfalls eine wichtigere Rolle, und zwar insbesondere in der Anfangsphase des Fuß-Stufenkontaktes (McFadyen & Winter 1988; Moffet et al. 1993). Während dieser Phase wurde beim M.vastus medialis eine bis zu 20 % höhere Muskelaktivität festgestellt (James & Parker 1989). Auch die Fußflexoren und die Sprunggelenkstabilisatoren sind vermehrt aktiviert, weil sie während der Stützphase eine erhöhte Stabilisierungsfunktion übernehmen. Die gezeigten erhöhten Muskelaktivitäten beim Stufenaufgehen lassen vermuten, dass beim stufenartigen Gelände vorwiegend die Hüftbeuge-, Oberschenkel- und Wadenmuskulatur gekräftigt wird. Welche Kräfte auf die Gelenke wirken könnten und wie sich die Erkenntnisse über Muskelaktivitäten in diese Thematik involvieren lassen könnten, wurde in den Studien jedoch nicht behandelt, da sich die Untersuchungsergebnisse vor allem auf deskriptive Darstellungen beschränkten.

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Abbildung 2 Schematische Darstellung einer Stufenkonstruktion mit verstellbaren Neigungswinkeln (Riener et al. 2002, Fig. 1 modifiziert) Geneigte Ebene Wie bereits erwähnt (s. Kapitel 1), wurden die meisten Studien zum Bergaufgehen unter Verwendung standardisierter Neigungswinkel entweder auf einem Laufband oder auf einer konstruierten Rampe durchgeführt. Die hier sog. ‚geneigte Ebene’ charakterisiert ein Geländeprofil, welches die Bergwanderer vor allem im Mittelgebirge vorfinden. Beim Vergleich der Aktivität diverser Beinmuskeln zwischen dem Gehen auf gerader (0°) und geneigter Ebene (Steigungswinkel 5°) konnten Rowe und Mitarbeiter (2000) bei ihrer Laufbanduntersuchung keine nennenswerten Unterschiede bei ihren älteren Probanden (67 Jahre) beobachten. Simonsen und Mitarbeiter (1995b) ließen ihre Versuchspersonen bei einer Steigung von 8° auf einem Laufband gehen und untersuchten dabei die Muskelaktivitäten von

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M.gastrocnemius und M.soleus. Beide Muskeln hatten im Vergleich zum Gehen auf der geraden Ebene (0°) verlängerte myoelektrischen Signale während der Stützphase. Leroux und Mitarbeiter (1999) untersuchten die Muskelaktivitäten bei noch höheren Steigungswinkeln (5, 10 und 15°) und haben mit Erhöhung der Steigung kontinuierlich verlängerte und vergrößerte Muskelaktivität des M.triceps surae, M.quadriceps femoris und der ischiocuralen Muskulatur (bis Ende der Stützphase) konstatieren können. Die Tendenz wurde auch schon von Lange und Mitarbeitern (1996) bei Steigungswinkeln von 12° und 24° gezeigt. Die Muskelaktivierung nahm vor allem in der Quadriceps-Muskulatur im Vergleich zum Gehen auf der geraden Ebene (0°) mit der Steigung signifikant zu: beim M.vastus medialis um 125% (12°) bzw. 154% (24°) und beim M.biceps femoris um 53% (12°) bzw. 46% (24°). Interessanterweise steigt die Muskelaktivierung beim M.biceps femoris nicht unbedingt mit Erhöhung der Steigung an. Dieses Ergebnis könnte auf eine muskuläre Dysbalance zwischen der Quadriceps- und Hamstrings-Gruppe hindeuten, aber leider sind die Autoren bei der Diskussion ihrer Ergebnisse nicht näher auf diese Thematik eingegangen. Diese Untersuchungsergebnisse zum Aufwärtsgehen auf geneigter Ebene zeigen also, dass, wie zuvor beim stufenartigen Gelände dargestellt, mit dem Steigungswinkel die Quadriceps-Muskulatur vermehrt aktiviert wird. Eine seriöse und anwendbare Interpretation dieser Tatsache wurde von den Autoren jedoch nicht unternommen. Auch eine Verknüpfung zu möglichen Gelenksbelastungen ist nicht zu erkennen. Zumindest eine Studie konnte gefunden werden, die darauf aufmerksam macht, dass die Geländesteilheit mit einer erhöhten patellofemoralen Gelenkskraft einhergeht. Schwameder und Mitarbeiter (2003) konstruierten eine Rampe mit einem verstellbaren Neigungswinkel von bis zu 24° und berechneten modellhaft die Kompressionskräfte im Kniegelenk beim Aufwärtsgehen. Die patellofemorale Kompressionskraft hat dabei eindeutig und kontinuierlich mit dem Steigungswinkel zugenommen (s. Abb. 4).

BERGABGEHEN Beim Bergabgehen führen die Beinstreckmuskeln während der Stützphase sog. exzentrische Muskelkontraktionen durch, d. h., sie erzeugen Kraft im verlängerten Muskelzustand, um den sich nach unten bewegenden Körperschwerpunkt während des Fuß-Boden-Kontaktes abzubremsen. Je steiler der Abstieg und/oder länger die Schritte, desto höher die Beschleunigung der Körpersegmente, und eine damit einhergehende größere exzentrische Spannung der Beinstreckmuskulatur. Das haben Schwameder und Mitarbeiter (2001) mit ihrer Studie beim Gehen auf verschieden geneigten Flächen (0° bis 24°) bestätigen kön-

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nen. Die Autoren zeigten ganz deutlich auf, wie beim Abwärtsgehen die negative Leistung in allen Gelenken zunimmt, und zwar mit 15fach (!) höherer Leistung beim 24°-Gefälle im Vergleich zum Gehen auf einer geraden Ebene. Die negative Leistung wird dabei als ein Indiz für die exzentrische Kontraktionsform angesehen. Insbesondere die oft auftretenden Knieschmerzen beim Bergabgehen werden mit diesen exzentrischen Belastungen in Verbindung gesetzt. Folglich soll anhand der Darstellung von Forschungsergebnissen geklärt werden, welchen Einfluss das Bergabgehen bzw. die exzentrischen Belastungen und der Untergrundneigungswinkel auf die Muskelaktivität und Gelenksbelastungen haben könnten. Stufenartiges Gelände Berichten von Bergwanderer zufolge wird das Abwärtsgehen im stufenartigen Gelände oft zugleich mit (patellofemoralen) Knieschmerzen in Verbindung gebracht. Könnten uns also die vorliegenden Studien zu Muskelaktivitäten und Gelenkskräften eventuell eine Hilfe sein, um die Ursachen für das unangenehme Schmerzgefühl zu finden? Im Vergleich zum Abwärtsgehen auf einer geneigten Ebene übernehmen beim Bergabgehen auf stufenähnlichem Untergrund die Wadenmuskulatur und die Quadriceps-Muskelgruppe eine wesentlichere Funktion bei der Energieabsorption (Riener et al. 2002). Im Allgemeinen beginnt beim Abwärtsgehen auf einer geneigten Ebene der Fußaufsatz mit der Ferse, hingegen beim Abwärtsgehen auf den Stufen eher mit dem Ballen. Ein Ballenaufsatz hat jedoch eine höhere Aktivität der Wadenmuskulatur zur Folge, als das beim Fersenaufsatz der Fall ist. Während der Stützphase werden beim Stufen-Abwärtsgehen ebenfalls die Beinstreckmuskeln mehr aktiviert als beim Gehen auf gerader Ebene. Der Einfluss von Beinbeugemuskulatur, sog. Hamstrings, auf die Gelenksfunktion scheint aufgrund der wenigen vorliegenden Studien noch nicht präzisiert werden zu können. Während James & Parker (1989) den Muskeln der Oberschenkelrückseite eine hohe Relevanz bzgl. Abbremsfunktion nachsagen, bleiben sie bei McFadyen & Winter (1988) aufgrund ihrer konstatierten schwachen Muskelaktivität fast unberücksichtigt. Christina & Cavanagh (2002) und Riener et al. (2002) zeigten anhand ihrer dynamographischen Analysen beim Stufenabwärtsgehen, dass beim StufenFußkontakt zwei vertikale Kraftspitzen erfolgen (s. Abb. 3). Dabei ist der BodenReaktions-Kraftwert während der ersten Stufen-Fußkontaktphase um ein Drittel höher als beim Gehen auf der geraden Ebene, am Ende der Boden-Fuß-Reaktionsphase jedoch um fast ein Drittel geringer. Aus diesen Bodenreaktionskräften lässt sich jedoch nur indirekt auf die auftretenden Gelenkskräfte schließen.

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Abbildung 3 Vergleich der vertikalen Bodenreaktionskräfte während der Stützphase beim Stufenabsteigen und beim Gehen in der geraden Ebene (Christina et al. 2002, Fig. 4 modifiziert). Mittels biomechanischer Modellierungsverfahren können zurzeit am ehesten die realen Gelenkskräfte reproduziert werden, deshalb wird weiterhin fieberhaft an ihrer Entwicklung bzw. Verbesserung gearbeitet. Brechter & Powers (2002) haben diesen methodischen Ansatz gewählt, um Aussagen über die wirkenden Kniegelenkskräfte treffen zu können. Mithilfe von Modellierungsverfahren haben sie die inneren Gelenkskräfte berechnen lassen und konnten beim stufenartigen Untergrund, im Vergleich zum Gehen auf gerader Ebene (0°), dreimal so hohe Kniegelenkskräfte feststellen. Je höher der vertikale Abstand zwischen den Stützkontakten war, d. h., je steiler die Stufen, desto größer wurde die Kniebeugung am Ende der Stützphase, und die damit einhergehende Kniegelenkskraft. Zwischen Stufenauf- und Stufenabsteigen waren die Gelenkskraftspitzen zwar ähnlich, die Kraftfläche bei der Abwärtsbewegung schien jedoch 1,5mal größer zu sein als beim Stufenaufsteigen. Dieser erhöhte Wert während dem Stufenabwärtsgehen könnte ein Indiz für das Schmerzempfinden der Bergwanderer beim Bergabgehen auf stufenartigen Geländeprofilen sein. Aus den anderen präsentierten myoelektrischen und dynamographischen Untersuchungen lassen sich nur deskriptive Aussagen machen, da eine Verbindung zu Gelenksbelastungen nicht vorgenommen wurde.

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Geneigte Ebene Wie schon in der Einleitung (Kapitel 1) beschrieben, wurden die Studien zum Abwärtsgehen auf geneigter Ebene auf einem Laufband oder einer konstruierten Rampe durchgeführt. Auf diesem Untergrundprofil wurden die aussagekräftigsten Ergebnisse zur Gelenksproblematik beim Abwärtsgehen hervorgebracht. Beim Gehen auf einer konstruierten Rampe mit einem negativen Neigungswinkel von 19° haben Kuster und Mitarbeiter (1995) gezeigt, dass die Probanden beim Fersenaufsatz eine ähnlich gestreckte Knie-Beinstellung aufweisen, wie es auch beim Gehen auf der geraden Ebene beobachtet werden konnte. Am Ende der Stützphase betrug die Kniewinkelstellung ca. 120°. Die Kniegelenksmomente und die vertikale Boden-Reaktions-Kraft am Anfang der Stützphase (Fersenkontakt) waren beim Abwärtsgehen ungefähr doppelt so groß wie beim Gehen auf gerader Ebene. Zur Muskelaktivität beim Abwärtsgehen liegt nur eine Studie von Simonsen et al. (1995b) vor. Beim Gehen auf einem Laufband mit einer nach unten geneigten Ebene (8°) konnten sie, im Vergleich zur geraden Ebene, eine Ausweitung des Aktivierungsbereiches der untersuchten Wadenmuskulatur (M. gastrocnemius und M. soleus) beobachten. Diese beiden Studien zum Abwärtsgehen auf geneigter Ebene präsentieren jedoch nur Beobachtungen über ausgewählte Muskeln (hier M.triceps surae), Bodenreaktionskräfte und einige kinematographische Parameter. Aus ihnen lassen sich nur teilweise oder auch gar keine Schlüsse über die berichteten Kniebeschwerden ziehen. Schwameder und Mitarbeiter (2003) untersuchten kürzlich die Kompressionskräfte im Kniegelenk beim Auf- und Abwärtsgehen auf einer Rampe mit einem verstellbaren Neigungswinkel von bis zu 24°. Aus den kinematisch erfassten Daten wurden mittels inverser Dynamik Nettokräfte und Nettomomente in der Sagittalebene im Sprung-, Knie- und Hüftgelenk während der Stützphase bestimmt. Sie entwickelten zudem ein Kniemodell, mit dessen Hilfe sie die Kräfte u.a. zwischen der Patella und dem Femur, aber auch die Zugkräfte der Patella- und Quadriceps-Sehne berechnet haben. Die Abb. 4 verdeutlicht, dass die patellofemorale Kompressionskraft beim Auf- und Abwärtsgehen kontinuierlich mit dem Neigungswinkel zunimmt. Diese vor allem beim Abwärtsgehen auftretenden hohen Gelenkskraftwerte werden von den Autoren als ein Anzeichen für die berichteten Kniebeschwerden beim Bergabgehen in Zusammenhang gesetzt. Langfristig gesehen sollen diese erhöhten Kräfte beim Abwärtsgehen auf geneigter Ebene Knorpelschäden hervorrufen. Diese berechneten erhöhten patellofemoralen Druckkräfte wurden bereits früher von Kuster und Mitarbeitern (1993) mit ähnlichen Analyseverfahren auf einer Rampe, nur mit etwas geringerem Gefälle (19°), präsentiert. Zusätzlich zur Forschungs-

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gruppe von Schwameder haben sie noch die wirkenden Kniegelenkskräfte geschlechterspezifisch analysiert und bei Frauen signifikant höhere Kräfte im patellofemoralen (Kuster et al. 1993) und tibiofemoralen (Kuster et al. 1994) Gelenk konstatiert. Obwohl beim Abwärtsgehen, d. h., bei exzentrischen Muskelbelastungen, größere Kniegelenkskräfte beobachtet werden konnten, ist dieser Trend bei der Muskelaktivität jedoch nicht zu erkennen. Die größeren Gelenksbelastungen beim Abwärtsgehen können anscheinend nicht unbedingt durch eine adäquat erhöhte Muskelaktivität kompensiert werden. Motitani und Mitarbeiter (1988) haben bei exzentrischen Muskelkontraktionen, im Vergleich zu konzentrischen, sogar eine verminderte Aktivierung von Motoneuronen feststellen müssen. Beim Vergleich zwischen maximal-konzentrischen und maximal-exzentrischen Kontraktionen wurde bei zahlreichen Studien eine geringere Muskelaktivität während exzentrischen Kontraktionen (Moritani et al. 1988; Tesch et al. 1990) oder zumindest kein Unterschied (Kay et al. 2000) zwischen diesen Kontraktionsformen konstatiert. Warren und Mitarbeiter (2000) nehmen an, dass bei automatisierten zyklischen Bewegungen während der exzentrischen Muskelkontraktionsform vor allem die langsamen Muskelfasern kontrahiert werden, die im Gegensatz zu schnellen Muskelfasern bekanntlich geringeren Muskelaktivierungsgrad aufweisen. Diese Hypothese könnte die geringeren Muskelakti-

Abbildung 4 Die patellofemoralen Kompressionskräfte beim Abwärtsgehen (negativer Neigungswinkel) und Aufwärtsgehen (positiver Neigungswinkel) (Schwameder 2003, Abb. 2 modifiziert)

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vitäten während der Abwärtsbewegung erklären, da hier die exzentrische Phase überwiegt. Diese Aktivierungsdiskrepanz zwischen konzentrischer und exzentrischer Kontraktion wurde ebenfalls beim stufenähnlichen Abwärtsgehen bestätigt (McFadyen & Winter 1988). Die Ergebnisse aus den verwendeten Modellierungsverfahren erscheinen bzgl. Kniegelenkskräfte eindeutig: mit dem Gefälle steigen zugleich die Gelenksbelastungen. Doch so lange das muskuläre Paradoxon noch nicht geklärt wurde und die gelenkrelevanten Muskeln nicht in die Modellberechnungen involviert sind, darf die in der „Noeo“-Ausgabe von Schwameder (2003) getätigte Verteufelung des Bergabgehens nicht kritiklos und unangetastet bleiben. Nichtsdestotrotz hat die Forschungsgruppe um Schwameder hinsichtlich Gelenksbelastungen beim Bergwandern eine Standort-Bestimmung vollbracht. Auf diesen Grundlagen können und sollten weitere Hypothesen erforscht werden.

V E RW E N D U N G V O N T O U R E N S T Ö C K E N In den letzten Jahren wurden nicht zuletzt durch die forcierte ‚Nordic Walking’ Bewegung einige Studien veröffentlicht, die die Auswirkungen der verwendeten (speziellen) Stöcke auf physiologische und biomechanische Kenngrößen beim Gehen auf gerader Ebene (0°) darstellen konnten. Die physiologischen Parameter – wie z. B. Herzfrequenz, VO2 und Energieverbrennung – scheinen beim Gehen auf der geraden Ebene mit Nordic Walking Stöcken infolge der zusätzlichen Aktivierung von Arm- und Schultermuskulatur erhöht zu sein (Porcari et al. 1997). Brunelle (1998) untersuchte biomechanische Parameter, u.a. die Bodenreaktionskräfte, beim Gehen auf gerader Ebene mit/ohne Stockunterstützung und fand beim Gehen mit Stockeinsatz signifikant höhere Vertikalkräfte während des Fersenaufsatzes vor. In der mittleren Stützphase waren sie jedoch signifikant niedriger. Reduzierte Kräfte beim Gehen auf gerader Ebene mit Nordic Walking Stöcken konnten in einer Studie von Willson und Mitarbeiter (2001) auch in den Kniegelenken beobachtet werden. Der Stockgebrauch ist beim Bergauf-, aber vor allem beim Bergabgehen mittlerweile kaum wegzudenken und für zahlreiche Bergwanderer scheint die Benutzung von Tourenstöcken unentbehrlich geworden zu sein. Inwieweit der Stockeinsatz das Bergauf- und/oder das Bergabgehen wirklich erleichtern und vor allem die propagierte Reduzierung von Gelenkskräften bestätigen kann, soll im weiteren mit einem komprimierten Überblick dargestellt werden. Jacobson und Mitarbeiter (2000) konnten über Untersuchungsprobanden berichten, die beim Bergaufgehen (25%ige Steigung) mit Tourenstöcken das subjektive Gefühl hatten, die Kraftanstrengung in ihren Beinen aufgrund des

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Stockeinsatzes reduzieren zu können. Knight & Caldwell (2000) untersuchen den Einfluss von Tourenstöcken auf kinematische und myoelektrische Parameter, während die Probanden beim Aufwärtsgehen auf einem Laufband (5%) einen Rucksack mit einer Last von 30 % ihres Körpergewichtes tragen mussten. Sie fanden bei jener Steigung heraus, dass infolge des Stockeinsatzes die Schrittlänge zu- und die Schrittfrequenz abgenommen hat. Der Kniewinkel war beim Fußaufsatz größer, d. h., das Bein war in Bezug auf das Kniegelenk gestreckter, wobei dieser sich gleich am Anfang der Stützphase wieder auf den Wert ohne Stockeinsatz verkleinert hat. Das bedeutet, dass die Stöcke eine größere Bewegungsamplitude im Kniegelenk hervorgerufen haben. Die kinematischen Veränderungen beim Gehen mit Stockeinsatz wurden weiterhin von geringerer Muskelaktivität der Beine – M. rectus femoris, M. biceps femoris, M. vastus lateralis, M. gastrocnemius und M. soleus – und einer erhöhten Aktivierung der Armstreckmuskulatur (M. triceps brachii) begleitet. Welchen Einfluss die unterschiedlichen Gelenkswinkel haben könnten, wird nicht ganz deutlich. Die reduzierte muskuläre Aktivität in den unteren Extremitäten wurde höchstwahrscheinlich durch den erhöhten Einsatz der Arm- und Schultermuskulatur hervorgerufen. Dennoch kann auch aus diesen geringeren Muskelaktivitäten nicht zugleich auf Veränderungen bzw. Reduzierungen von Gelenkskräften geschlossen werden. Beim Abwärtsgehen auf geneigter Ebene wird der Einsatz von Tourenstöcken mit Gleichgewichtsverbesserung (Jacobson et al. 1997) und Reduzierung von Gelenkskräften (Schwameder et al. 1999) in Verbindung gebracht. Vermutlich sollen Gelenksbeschwerden und Belastungen, die vorwiegend beim Bergabgehen auf die unteren Extremitäten wirken, mit adäquatem Stockeinsatz vermindert bzw. auf den Arm- und Schulterbereich übertragen werden können. Haid & Koller (2000) untersuchten daraufhin den Einfluss von Stöcken auf die Hüft-, Knie- und Sprunggelenkswinkel beim Abwärtsgehen auf dem Laufband (Gefälle von 10 und 20 %). Aufgrund der nicht gefundenen Hinweise auf Entlastung des Bewegungsapparates durch die Verwendung von Bergstöcken stellten sie die Stockbenutzung beim Abwärtsgehen auf Forstwegen, d. h. auf geneigter Ebene, in Frage. Schwameder et al. (1999) untersuchten die Abwärtsgehbewegung mit Tourenstöcken auf einer Rampe mit einem Gefälle von bis zu 25° und benutzten für ihre Berechnung der Kniegelenkskräfte ein quasistatisches Modell. Die Bodenreaktionskräfte und die Kniegelenksmomente konnten beim Abwärtsgehen mit Stöcken um ca. 15 % des Wertes beim Abwärtsgehen ohne Stockeinsatz reduziert werden (s. Abb. 5). Laut den Autoren lassen sich diese Werte mit der durch den Stockeinsatz auftretenden Rumpfbeugung (Verschiebung des Körperschwerpunktes nach vorne) erklären. Interessanterweise traten

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die höchsten tibiofemoralen Kräfte zu Beginn der Stützphase auf, wohingegen am Ende der Stützphase, d. h. bei der größten erfassten Kniegelenksbeugung, eher die patellofemoralen Druckkräfte erhöht waren. Bei den tibiofemoralen Kräften konnte unter der Verwendung von Stöcken zwar eine signifikante Reduzierung konstatiert werden, nicht jedoch bei den patellofemoralen Druckkräften. Das bedeutet, dass beim Abwärtsgehen der Stockeinsatz vorwiegend in der ersten Stützphase – das andere Bein befindet sich dabei am Ende der Stützphase und am Anfang der Schwungphase – zur Kraftreduzierung führen kann. Verstärkt wird diese Ansicht durch die nur während der ersten Stützphase beobachtete signifikante Reduzierung der vertikalen Bodenreaktionskraft. Der Stockeinsatz erfolgte bei den Studien im nicht-ermüdetem Zustand, und zudem wurden meistens nur drei Gehzyklen untersucht. Inwieweit die Ermüdung der Armstrecker beim längeren Bergabgehens mit Stöcken nicht doch wieder zum Anstieg der zuvor reduzierten Kniegelenkskräfte führen könnte, müsste erst in zukünftigen Studien geklärt werden. Möglicherweise verliert der Stockeinsatz im Verlauf einer längeren Bergabgehphase seine Wirkung, da die

Abbildung 5 Bodenreaktionskräfte in vertikaler (Fz) und horizontaler Richtung (Fx) beim Abwärtsgehen mit/ohne Stöcke (Schwameder et al. 1999, Fig. 2 modifiziert)

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Arm- und Schultermuskulatur der Bergwanderer ggf. schnell ermüden und die Stöcke nicht mehr funktional eingesetzt werden können. Diese Möglichkeit sollte vor allem bei älteren und ungeübten Personen in Erwägung gezogen werden. Außerdem kann nicht erwartet werden, dass die zahlreichen Bergwanderer die Stöcke auch wirklich zu nutzen wissen. Je nach Stockeinsatz-Technik können die Gelenkskräfte mehr, aber auch fast gar nicht reduziert werden. Zudem werden die Stöcke am Berghang oft beim stufenartigen Gelände genutzt. Wie hierbei die Stöcke eine Gelenksentlastung ermöglichen könnten, ist ebenfalls noch nicht untersucht worden.

B E R G WA N D E R N M I T R U C K S A C K Bei den meisten bis dato vorgestellten Studien blieb eine wichtige Tatsache, die beim Bergwandern nicht vernachlässigt werden darf, unberücksichtigt. Das zusätzliche Rucksackgewicht! Die vorliegenden Untersuchungen zu dieser Thematik wurden vor allem mit Soldaten und auf gerader Ebene durchgeführt. Da die untersuchten Probanden z. T. sehr schwere Rucksäcke getragen haben, können die Ergebnisse nicht auf die beim Bergwandern verwendeten Rucksackgewichte unreflektiert transferiert werden. Trotzdem sollen im weiteren einige muskuloskeletale Aspekte beim Tragen eines Rucksacks vorgestellt werden. Mit der Höhe des zu tragenden Zusatzgewichtes verkürzt sich die Schwungphase (Ghori & Luckwill 1985), die Bodenreaktionskräfte werden größer (Tilbury-Davis & Hooper 1999), die myoelektrischen Signale der Quadricepsmuskulatur dauern länger (Ghori & Luckwill 1985) und zusätzlich verändern sich auch die Gelenksmomente (Simonsen et al. 1995). Han und Mitarbeiter (1993) haben zeigen können, dass sich mit Zunahme des Rucksackgewichtes die Rumpf- und Kniebeugung während des Fußaufsatzes vergrößert. In der mittleren Stützphase, d. h., wenn sich der Körperschwerpunkt direkt über der Stützfläche befindet, ist das Kniegelenk wiederum gestreckter als während der Stützphase beim Gehen ohne Rucksack. Vacheron und Mitarbeiter (1999) haben beobachtet, dass beim Gehen mit Zusatzgewicht eine bewusste Verkürzung der Schrittlänge zu geringerer Beanspruchung der Schulter führen kann. Aussagen über muskuläre Beinaktivität in Zusammenhang mit Schrittlängenmodifikation wurden nicht getätigt. Neben der fehlenden muskulären Erkenntnisse wurde bei den leider wenigen Untersuchungen ebenfalls eine wichtige Komponente nicht berücksichtigt, die jedoch bei jeder Interpretation von Ganganalysen nicht vernachlässigt werden darf: die zeitlich bedingte muskuläre Ermüdung während einer Tour. Beim Gehen einer 20 km langen ebenen Strecke mit Zusatzgewicht tendierte bei einer Studie von Frykman und Mitarbeiter. (1994) der Rumpf nach vorne, d. h., bei

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den Personen wurde der Hüftbeugewinkel kleiner. Der Kniewinkel und die Schrittlänge waren gleichfalls reduziert. Die „Vorbeuge-Tendenz“ des Oberkörpers beim Gehen mit Zusatzgewicht wurde bei einer erst kürzlich publizierten Untersuchung von Li und Mitarbeiter (2003) bereits nach 20 min. konstatiert. Aus den Studien geht dennoch hervor, dass mit der Erhöhung des Rucksackgewichtes die Bodenreaktionskräfte und die Aktivität der Beinstreckmuskulatur ansteigen. Wie der Einfluss von Rucksäcken bzw. Zusatzgewichten auf Muskelaktivität und Gelenksbelastungen beim Bergauf- und Bergabgehen zu verstehen ist, bleibt ungeklärt, da dieser externe Faktor (Rucksack) in Verbindung mit ansteigendem und abfallendem Gelände bis dato weitgehend unerforscht geblieben ist.

DEUTUNG DER ERKENNTNISSE Viele der dargestellten Studien präsentieren relativ eindeutige Erkenntnisse bzgl. Geländeprofil, Steilheit, muskulärer Aktivität und Gelenksbelastungen. Mithilfe von Modellierungen konnten somit in den letzten Jahren immer bessere Aussagen über Gelenksbelastungen beim Bergauf- und Bergabgehen getroffen werden. Dennoch dürfen auch einige mögliche Problemfelder der verwendeten Messmethoden und Analyseverfahren nicht vorenthalten werden. Das soll deutlich machen, dass zukünftig noch mehr Forschungsarbeit geleistet werden muss, um genauere Daten bekommen zu können. Hinsichtlich praktikabler Anwendbarkeit der oben präsentierten Forschungsergebnisse sollten seitens des Lesers deshalb folgende Anmerkungen immer wieder bedacht werden: • In viele Studien wurde das Gehen auf einem Laufband realisiert. Es bestehen jedoch bekanntermaßen Unterschiede beim Bewegungsablauf zwischen einem Laufband und einem natürlichen Untergrund (Nigg et al. 1995; Wank et al. 1998). Die kinematischen und elektromyographischen Analysen auf einem Laufband sollten deshalb nicht ohne Skepsis auf entsprechende Verhältnisse beim Gehen in freier Natur transferiert werden, da ein Laufband nur mit Vorbehalt als ein valides Messsystem für Ganganalysen betrachtet werden kann. • Die meisten Untersuchungen wurden mit gesunden Personen, z. T. Sportstudenten (z. B. Schwameder et al. 2001), durchgeführt. Das Bergwandern erfreut sich aber vor allem bei älteren Menschen großer Beliebtheit, und deshalb dürfen insbesondere die Studien zur Muskelaktivität nicht verallgemeinert werden. Eine mit dem Alter veränderte intermuskuläre Aktivität in den unteren Extremitäten wurde von DeVita & Hortobagyi (2000) bereits gezeigt.

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• Eine aus Standardisierungsgründen festgelegte Geschwindigkeit kann zur unnatürlichen Schrittgestaltung führen, und damit infolge einer Schrittlängen- und Schrittfrequenzmodifikation mit Veränderungen in der Muskelaktivität einhergehen (s. dazu Bonnard et al. 2000 und Meurer 2001). Eston und Mitarbeiter (2000) propagieren deshalb einen individuell-natürlichen Laufzyklus für das von ihnen untersuchte Bergablaufen. • Generell unberücksichtigt bleibt bei allen Studien der Individualfaktor. Dass individuelle anthropometrische Merkmale zu unterschiedlichsten Ergebnissen bei den untersuchten Parametern führen können, haben Livingston und Mitarbeiter (1991) beim Stufengehen zeigen können. Dieses Problem gilt jedoch für die meisten biowissenschaftliche Studien, da ihnen von der ‚scientific community’ der wissenschaftstheoretische Ansatz der „Verallgemeinerung“ und „Gruppentendenz“ aufoktroyiert wird. • Die Gelenksmodellierungen, die in den Studien für die Berechnung von Gelenkskräften benutzt wurden, sollten nicht überbewertet werden, da der individuell-aktuelle Ausprägungszustand der Muskulatur, der einen unbestrittenen Einfluss auf die Gelenkskräfte hat (z. B. Duda et al. 1998), bei den verwendeten Modellberechnungen nicht berücksichtigt wird. Diese sicherlich nicht einfache Herausforderung – die Berechnung von Gelenkskräften unter der Berücksichtigung mehrerer relevanter Einflussgrößen – wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten jedoch einen Aufschwung bekommen müssen. Weg von einfachen Modellen, die sich im Laufe des letzten Jahrhunderts in linearen Kausalitäten verfangen haben, hin zu Berechnungen komplexer, nicht-linearer Systeme. Deshalb ist bei der Berücksichtigung strukturell-dynamischer Komplexität in der Methodik davon auszugehen, dass die orthopädische Biomechanik weitere und präzisere Antworten auf die beim Bergwandern bestehenden muskuloskeletalen Fragestellungen wird liefern können! • Die Berechnung des Zusammenhanges von Gelenksbelastungen und Steilheitsgrad des Untergrundes konzentriert sich in den Studien fast ausschließlich auf das Kniegelenk. Die Hüftgelenkskräfte sind bis dato nur wenig untersucht worden (wie z. B. bei Heller et al. 2001), da einfache Modellierungen in diesem Zusammenhang nur unzureichende Ergebnisse hervorbringen und damit die klinische Anwendbarkeit kaum ermöglichen.

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AUSSICHTEN Es ist nicht einfach seriöse Langzeitstudien zu finden, die die Verbindung von Bergwanderaktivitäten und der schmerzhaften Gelenkproblematik, vor allem im Kniegelenk, überprüft haben. So haben z. B. Boulware und Mitarbeiter (2003) im Appalachen-Gebirge bei zahlreichen Bergwanderern akute Gelenkschmerzen während langen Bergwandertouren beobachten können. Jeweils knapp über 20 % der Befragten gaben an, dass sie während ihren tagelangen Touren Gelenkschmerzen (vor allem Knie und Hüfte) oder Rückenschmerzen verspürt haben. Jedoch erscheinen diese Schmerzen nach tagelangen Belastungen nur verständlich und deshalb können sie nicht zwingend eine Aussage über die Belastungskräfte in den Gelenken beim Bergwandern liefern. Ob diese Schmerzen bewegungsspezifisch sind, oder doch eher genetisch, anthropometrisch und/oder altersspezifisch erklärt werden können, ist im nachhinein nicht nachzuvollziehen. Schließlich verliert der hyaline Gelenkknorpel im ontogenetischen Verlauf seine viskoelastische Wirkung, und damit ist es weniger verwunderlich, dass insbesondere die älteren Menschen über Gelenkschmerzen klagen. Hierbei muss vor allem der patellofemorale Kniebereich hervorgehoben werden. Da mit der Kniebeugung ein erhöhter Druck zwischen der Patella und dem Femur entsteht, verspüren die Menschen beim Abwärtsgehen den patellofemoralen Schmerz vorwiegend bei gebeugter Kniegelenkstellung, d. h. am Ende der Stützphase. Deshalb vermeiden bzw. verringern beim Bergabgehen oder Stufenabwärtsgehen viele Menschen mit Knieschmerzen die Aktivierung der Quadriceps-Muskulatur, indem sie während der Stützphase die Kniebeugung so gering wie möglich zulassen. Dillon und Mitarbeiter (1983) haben zeigen können, dass diese Strategie sowohl beim Gehen in der geraden Ebene als auch beim Bergauf- und Bergabgehen (15°) gerne eingesetzt wird. Chronische Kniebeschwerden könnten jedoch gerade infolge dieser Strategie, Reduzierung der Quadriceps-Muskelaktivität, sogar verschlimmert werden und möglicherweise mit einer Erhöhung des Schmerzzustandes einhergehen. Eine Vermeidung des Bergwanderns würde somit durch das Ausbleiben der Kniebeugebewegung während der Stützphase zur Abschwächung der Quadriceps-Muskulatur führen, die aber durch ihren muskulären Einfluss auf das Kniegelenk eine sehr wichtige Stabilisationsfunktion für dieses Gelenk übernimmt. Zum Schluss soll hier noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich die Studien fast ausschließlich auf lineare Zusammenhänge und einseitige Ursachenforschung beschränken: z. B. wird aus einer berechneten erhöhten Gelenkskraft im untersuchten Gelenkswinkel manchmal zu unreflektiert die ArthroseGefahr heraufbeschworen. Da sich die Naturprozesse jedoch durch Nicht-Linearität auszeichnen, stehen damit Ursache (➝ erhöhte Gelenkskraft) und Wirkung

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(➝ Arthrose), trotz unseres Verlangens zur Vereinfachung, nicht immer in einem konstanten Verhältnis zueinander. Ob diese gemessenen erhöhten Kniegelenkskräfte beim Bergauf- und vor allem Bergabgehen langfristig gesehen auch wirklich orthopädische Probleme hervorrufen können, entzieht sich des derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstandes. So ist eine Stärke der terrestrischen Lebewesen die Adaptation, und das Gewebe darf hierbei nicht ausgeklammert werden. Die zahlreichen erhöhten Gelenksstöße (➝ Reiz) könnten also schließlich auch zum Knorpelaufbau führen (➝ Adaptation), da infolge von Belastungen die Knorpeldurchblutung verbessert wäre. Ergo, etwas höhere Gelenkskräfte beim Aufwärts- und Abwärtsgehen dürfen nicht sofort verteufelt werden, da die Muskulatur durch Zusatzbelastung überhaupt erst gestärkt werden kann, die dann schließlich zur Hemmung der Arthrose-Entwicklung bzw. des Knorpelabbaus führen könnte. Dieser Übersichtsartikel lässt viele interessante Fragen vorerst unbeantwortet, die jedoch aufgrund ihrer Relevanz in unserer Gesellschaft, und insbesondere aus geographischen und touristischen Gründen, nicht lange auf ihre Beantwortung warten sollten. Auch die derzeitige nicht von der Hand zu weisende Fixierung auf das Kniegelenk sollte zukünftig auf Hüftgelenk und Wirbelsäule ausgedehnt werden. Wir sollten uns jedoch im klaren sein, dass eine neue Hypothese nicht zugleich neue Erkenntnisse liefert, da wir zur Klärung vieler Probleme von der zur Verfügung stehenden Messmethodik abhängig sind. Doch insbesondere der messtechnische Fortschritt und die besseren mathematischen Modellierungsverfahren könnten uns, vielleicht sogar in naher Zukunft, zu noch besseren Erkenntnissen verhelfen. MERKMAL

Boden reaktionskraft

Muskelaktivität

Gelenkskraft

Bergaufgehen

_

?

Bergabgehen

(nicht eindeutig)

(Knie)

Bergaufgehen mit Stöcken

(Beine) (Arme)

?

?

Bergabgehen mit Stöcken

?

(Knie)

(Ebene)

(Ebene)

(Ebene/Knie)

BEWEGUNGSART

Bergauf-/Bergabgehen mit Rucksack

Tabelle 1: Tabellarische Zusammenfassung der Veränderungen beim Bergaufund Bergabgehen im Vergleich zum Gehen in der geraden Ebene

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L I T E R AT U R (1)

Bonnard M., Pailhous J., Danion F.: Adaptation of neuromuscular synergies during intentional constraints of space-time relationships in human gait. J Mot Behav. 32: 200-208 (2000)

(2)

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(3)

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Wo l f g a n g D o m e j , M o n i k a Wo g r o l l y - D o m e j , C h r i s t o p h G u g e r Jürgen Herfert, Bernd Haditsch, Günther Schwaberger

Höhenschwindel und Höhenangst im Alpinsport Height vertigo and acrophobia in mountaineering S U M M A RY Height vertigo and fear of heights are common phenomena in mountaineering, mainly afflicting climbers with little or no experience. Height vertigo is a visually induced syndrome with subjective instability in postural balance and locomotion that occurs when the distance between the observer and fixed objects of contrast becomes critically large. This vertigo may be associated with autonomic symptoms and the fear of falling. In contrast, fear of heights is characterized by marked anxiety upon exposure to heights, avoidance of heights, and resultant functional incapacity. Physiologic height vertigo can be improved by habituation, i.e. exposure to heights with special training and exercises. Fear of heights (acrophobia) is a phobic disease that can often be improved with behavioral therapy as a means of systematic desensibilisation. Keywords: Height vertigo, fear of heights, height phobic patients, height phobia, acrophobia, bathophobia

Z U S A M M E N FA S S U N G Physiologischer Höhenschwindel und Höhenangst (Akrophobie) sind häufig registrierte Phänomene bei Alpinsportlern insbesondere bei Anfängern und Gelegenheitsalpinisten. Höhenschwindel ist ein visuell ausgelöstes Syndrom mit subjektiver Instabilität der Gleichgewichtslage und Fortbewegung, wenn die Entfernung zwischen Beobachter und feststehenden Kontrastobjekten eine kritische Weite erreicht. Dieser Schwindel kann mit vegetativen Symptomen und Angst vor Absturz einhergehen. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der Höhenangst um eine angstbetonte Störung mit typischem Vermeidungsverhalten und Beeinträchtigung der Körperfunktion. Während sich der physiologische Höhenschwindel durch Gewöhnung im Rahmen von bewusstes Expositionstraining und von Übungen abschwächen läßt, kann Akrophobie in vielen Fällen durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen gebessert werden. Schlüsselwörter: Höhenschwindel, Höhenangst, Höhenpanik, Akrophobie, Bathophobie

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EINLEITUNG Das Aufsuchen höhenexponierter Punkte (Gipfel, Bauwerke) mit Blick in die Tiefe und Ferne übt auf viele Menschen eine besondere Anziehungskraft und Faszination aus. Höhenschwindel an einem ausgesetzten Standpunkt ist ein häufiges Phänomen, das auf Grund seines physiologischen und psychologischen Hintergrundes auch von alpinmedizinischem Interesse ist (20). Bereits Goethe berichtete in seinem 9. Buch der Strassburger Tischgemeinschaft „Dichtung und Wahrheit“ über den empfundenen Höhenschwindel im Zusammenhang mit der mehrmaligen Turmbesteigung des Strassburger Münsters: „Besonders ängstigte mich ein Schwindel, der mich jedes Mal befiel, wenn ich von der Höhe herunterblickte“ (10). Vom physiologischen Höhenschwindel sollte die Angst vor und in Höhen (Akrophobie) abgegrenzt werden. Höhenangst entsteht auf Basis des Höhenschwindels und ist den spezifischen Phobien zuzuordnen.

HÖHENSCHWINDEL Teleologisch gesehen stellt der subjektiv sehr unterschiedlich empfundene Höhenschwindel ein Warnsignal dar, um den Körper einer potentiellen Gefahrensituation zu entziehen. In diesem Zusammenhang beruht die Meidung großer Tiefen und Abgründe auch auf einem angeborenen Verhaltensmuster. Kleinkinder sowie etliche Tierarten meiden instinktiv große Exponiertheit vor der Tiefe (Klippen-Phänomen) (18). Beim Blick abwärts, teilweise auch aufwärts, zeigen frei stehende Personen unwillkürlich und innerhalb weniger Sekunden Körperschwankungen und ein damit verbundenes mehr oder weniger starkes Schwindelgefühl (Tab. 1). Um ein Objekt in großer Entfernung scharf wahrnehmen zu können, pendelt der Kopf unmerklich und automatisch. Ein geringes Schwanken des gesamten Körpers ist auch für die normale Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes notwendig (9). Bei fehlenden feststehenden Objek-

Tachykardie, Palpitationen Erregung Schweißausbruch Übelkeit Schwankempfindung Zittern Beinschwäche, Standunsicherheit

Tabelle 1: Symptome des Höhenschwindels

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ten in der nahen Umgebung muß dies noch gesteigert werden. Die Stabilisierung der Körperposition und der räumlichen Orientierung erfolgt dabei über die Peripherie der Netzhaut (16). Das Schwindelgefühl entsteht dadurch, dass sich vor allem bei stehender Körperposition die Gleichgewichtslage destabilisiert, wenn die Distanz zwischen Augen und dem nächstem festen Kontrastobjekt in der sichtbaren Peripherie zu groß wird (2, 3, 4, 5, 6,). Höhenschwindel tritt vor allem in Situationen auf, in denen sich kein feststehendes kontrastreiches Objekt im seitlichen Blickfeld befindet, an dem sich das visuelles System ausrichten kann. Die Entfernung zwischen Beobachter und dem nächsten sichtbaren statischen Referenzobjekt wird beim Höhenschwindel zur kritischen Größe (7). Höhenschwindel kann somit auch als Entfernungs- oder Distanzschwindel definiert werden und ist bis zu einem bestimmten Grad ein physiologisches Phänomen. Mit zunehmender Höhe nimmt der Höhenschwindel zu, erreicht jedoch bei etwa 20 m ein Maximum. Die absolute Höhe ist somit nachrangig. In Bezug auf das Gleichgewicht im Stehen hat auch der Neigungswinkel (Hang- und Dachneigung) hinsichtlich des Schwindelgefühls einen synergistischen Effekt (23). Visuelle Bezugspunkte vor allem vertikale Referenzstrukturen vermögen den destabilisierenden Effekt von Tiefe und Neigungswinkel auf die Körperhaltung zu reduzieren (Tab. 2). Dieses physiologische Schwanken im Rahmen des Höhenschwindels bewirkt tatsächlich eine erhöhte Sturz- bzw. Absturzgefahr im alpinistischen Sinne, die jedoch in der Regel durch adäquate Kompensation durch das Gleichgewichtsorgan und Informationen peripherer propriozeptiver Rezeptoren an das Gehirn rasch ausgeglichen wird (13). Diese Perzeption kann allerdings bei peripherer Polyneuropathie oder Schädigung des Gleichgewichtsorgans beeinträchtigt sein. Psychophysikalische Untersuchungen bestätigen die Tatsache, dass Höhenschwindel deutlich mit der Körperposition korreliert, wobei der „normale“ Höhenschwindel bei freiem Stehen am größten ist (6). Höhenschwindel nimmt durch bewusstes Konfrontationstrai-

Extreme Kopfposition meiden, Beine gleichmäßig am Stand belasten Fotografieren, Filmen, Blick durch Fernglas, Beobachtung bewegender Objekte (Wolken) verstärken Höhenschwindel Kurzer Blick in die Tiefe möglich, Höhenschwindel erst nach einigen Sekunden Verzögerung Bei Blick in die Tiefe kontrastreiche feste Objekte im seitlichen Blickfeld suchen An exponierten Stellen Meidung des freien Stehens ohne feste Haltepunkte Höhenschwindel bei freiem Stehen am größten, wenn möglich sitzende Position

Tabelle 2: Praktische Empfehlungen bei Höhenschwindel

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ning und durch Gewöhnung, allerdings nicht unbegrenzt, ab. Darüberhinaus besteht auch eine Abhängigkeit von der individuellen Disposition (Tab. 2). Personen, die nicht oder nicht mehr unter Höhenschwindel leiden, gelten als schwindelfrei, eine wichtige Voraussetzung für berufliche und sportliche Tätigkeiten mit potentieller Absturzgefahr.

HÖHENANGST Höhenangst (Akrophobie) zählt mit zu den häufigsten Angststörungen innerhalb der Allgemeinbevölkerung und tritt weder alters- noch geschlechtsgebunden auf. Akrophobie ist vor allem dann von Bedeutung, wenn ein beruflicher Zusammenhang besteht oder wenn Höhenangstattacken im Rahmen gemeinsamer alpinistischer Betätigung in einer Gruppe auftreten. Bei entsprechend ängstlicher Disposition kann es in bestimmten Situationen wie beim Besteigen einer Leiter, einer Brücke, eines Balkons, eines Turmes, eines Hochhauses, einer Seilbahn, eines Berggrates oder Gipfels zu verstärkten Angstreaktionen kommen. Das Gefühl der ängstlicher Unsicherheit bleibt im Gegensatz zum physiologischen Höhenschwindel auch nach Verlassen der Situation weiter bestehen. Akrophobie ist auch häufig mit Agoraphobie vergesellschaftet (Angst in bestimmten Situationen ohne reelle Gefahr, bedrohliche körperliche Symptome zu entwickeln und dabei hilflos ausgeliefert zu sein wie z. B. Angst vor Menschenansammlungen und öffentlichen Räumen) (8). In einer großangelegten Untersuchung von Marks fanden sich unter 1.200 Agoraphobikern 40 % mit zusätzlich ausgeprägter Höhenangst (14). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bei einem Teil der Akrophobiker Angst ausschließlich im Freien auftritt, wenn sie z. B. durch ein fehlendes Geländer ungeschützt dem visuellen Höhenreiz ausgesetzt sind. Wenn vor einer exponiert stehenden Person ein zwar fester, jedoch überwindbarer Schutz vor passivem Absturz vorhanden ist, so wie etwa ein Geländer oder Zaun vor einem Abgrund, ist die Höhenangst zumeist geringer ausgeprägt, so dass der Gedanke, abstürzen zu können, nicht allein entscheidend ist (17). In seltenen Fällen kann sich Höhenangst auch sekundär beziehungsweise reaktiv durch ein negatives Erlebnis wie etwa nach einem Unfall eines anderen Bergsteigers entwickeln. Mit der Konservierung der Angst kann durch Konditionierung aus einer angstbetonten Situation eine Akrophobie entstehen. Bei erneuter Höhenexposition kommt es dann bereits bei erster Annäherung (Erwartungsangst, „Angst vor der Angst“) an die Ausgesetztheit zu angstbetontem Schwindel und weiteren Symptomen (Tab. 3). Im Experiment zeigen akrophobische Patienten während entsprechender Exposition mehrheitlich stärkere mikrovibratorische Bewegungsmuster als gesunde Probanden (25, 26). Die Symptomatik ist für Betroffene eine Bestätigung für die

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Irrationale Verhaltensmuster Erwartungsangst („Angst vor der Angst“) Ängstliche Unsicherheit Angstbetonter Schwindel Angst vor Kontrollverlust Gedanken des Hinunterspringens Gedanken des Abstürzens Vermeidungsverhalten Palpitationen, Tachykardie Benommenheit Thorakales Beklemmungsgefühl Dyspnoe, Hyperventilation

Tabelle 3: Symptome der Akrophobie Gefährlichkeit der Höhe. In einer Untersuchung von Menzes an 59 höhenphobischen Probanden konnte die Beziehung zwischen phobischer Gefahreneinschätzung, Angst und Vermeidungsverhalten deutlich aufgezeigt werden (15). Häufig sind die körperlichen Symptome mit Angst vor Kontrollverlust oder sich aufdrängenden Gedanken des Hinunterspringens und -fallens verbunden. Akrophobiker zeigen in vielen Fällen auch ein ausgeprägtes Hilfe und Unterstützung suchendes Verhalten am Berg. Analog dem Höhenschwindel ist auch Nach Möglichkeit solange exponiert bleiben (Gipfel, Brücke, Plattform), bis sich Angst abschwächt Durch Expositionstraining und kurzfristige Konfrontationsübungen kann der Angst entgegengewirkt werden (Gewöhnung) Therapeutische Hilfe wenn vordergründige Angst vor Kontrollverlust („Angst vor Angst“) oder bei drastischer Einschränkung des Bewegungsspielraumes durch Höhenangst Bei Übungen Empfehlungen für Höhenschwindel beachten „Normaler“ Höhenschwindel bleibt trotz Trainings und Therapie bestehen Vertrauensperson bei ersten Expositionsübungen hinzuziehen Suche nach ungelösten Konflikten ohne Auswirkung auf Höhenangst Wenn durch Selbsttherapie keine Besserung Konfrontationstraining mit langsamer Steigerung durch Verhaltenstherapeuten

Tabelle 4: Praktische Empfehlungen bei Höhenangst (Akrophobie)

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die Höhenangst in Relation zur Körperhaltung bei freiem Stehen am höchsten im Liegen am geringsten (6). Wegen der möglichen Beeinträchtigung des Reaktionsvermögens und entsprechender Konsequenzen sollte bei Höhenangst auf die Einnahme von Beruhigungsmitteln gänzlich verzichtet werden. Akrophobiker, die unter entsprechendem Leidensdruck in großer Höhe arbeiten, zeigten in kontrollierten Studien, dass eine Besserung durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen möglich ist (19, 24). Ziel jeder sinnvollen Therapie sollte eine langanhaltende Änderung jener Denk-, Erlebens- und Verhaltensmuster sein, die der Höhenangst zugrunde liegen. Methode der Wahl ist das teilnehmende Modelllernen, bei dem der Patient angehalten wird, sich der Situation unter Hilfestellung eines Therapeuten wiederholt auszusetzen (Tab. 4) (19, 21). Wie bei Goethe, der sich der angsterfüllten Situation am Turm des Strassburger Münsters wiederholt aussetzte, kann die Höhenangst entweder durch eine erfolgreiche Selbstbehandlung (Konfrontationsübungen) oder durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen im Sinne einer operanten Konditionierung (Desensibilisierung) in den Griff bekommen werden (1, 24) (Abb. 1). Auch eine virtuelle Expositionstherapie mit Hilfe des Computers kann, wie in mehreren Studien gezeigt werden konnte, erfolgreich gegen Akrophobie zum Einsatz kommen (11, 12, 22).

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Abbildung 1 Mรถglichkeit der Desensibilisierung bei Hรถhenangst

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Marcelo Parada

Mountain Medicine and Rescue in the Argentine Andes Höhenmedizin und Bergrettung in den Argentinischen Anden S U M M A RY Argentina is a mountainous country. The Andes set the west border with 4 distinct areas: The northern Altiplano and north west range, the central Andean region, the Northern Patagonian Andes and the Southern Andes which dip into the Beagle Channel where South America ends. Each of these distinct regions is characterized by different climate, altitude, vegetation and wildlife, which make them unique to climbers, visitors, local inhabitants and rescuers. Mountain Sports has become more popular in the 90’s which generated a very fast and “uncontrolled” increase of visitors to the most remote areas in our country. This has also had profound impact on the ecology. Organized mountain rescue is a “new” and growing concern in our country. Due to the increase in mountain sports and therefore casualties and also owing to the mostly remote climbing areas and lack of funds for helicopter operations most of the rescue is carried out by voluntary rescuers by ground, except in very popular climbing areas as Aconcagua and Northern Patagonia where the State or National Park Services provide the rescue services. In Argentina scientific research in the area of human activity in the mountains has been nonexistent except for just a few projects in the past. Our Mountain Medicine Society and also the government, climbing clubs, mountain guides, ski patrollers, mountaineers and public in general have raised the issue of mountain medicine as specialty and we are on our way to a new development in this area. The Sociedad Argentina de Medicina de Montaña (Argentine Society of Mountain Medicine) has just begun this difficult process of organizing and coordinating research, training and rescue and in such a large and uninhabited country. Keywords: high altitude, Argentine Andes, mountain medicine, mountain rescue.

Z U S A M M E N FA S S U N G Argentinien ist ein gebirgiges Land. Die Anden bilden die westliche Grenze mit

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vier ausgeprägten Gebieten: das nördliche Altiplano und die Nordwest-Bergkette, die zentrale Andenregion, die Nördlichen Patagonischen Anden und die Südlichen Anden, welche in den Beagle Kanal münden, der die Grenze des südamerikanischen Kontinents bildet. Jede einzelne dieser Regionen zeigt unterschiedliche Charaktere in Klima, Höhe, Fauna und Flora, weshalb sie für Bergsteiger, Besucher, Einwohner und Bergretter so einzigartig sind. Bergsport wurde in den 90igern enorm populär, was eine rasante und „unkontrollierbare“ Zunahme an Besuchern in die entlegensten Gebiete unseres Landes nach sich zog. Dadurch wurde auch die Ökologie stark beeinflusst. Organisierte Bergrettung ist eine „neue“ und wachsende Besorgnis, um die sich unser Land kümmern muß. Durch die enorme Zunahme an Bergsport und damit auch Bergunfällen sowie die abgelegenen Regionen, die begangen werden, und der Mangel an Förderungen von Helikopterbergungen, werden die meisten Rettungsaktionen durch freiwillige Retter am Boden getätigt, außer in den beliebten Bergsteigergegenden von Aconcagua und dem Nördlichen Patagonien, wo Bergrettung vom Staat und vom Nationalparkservice übernommen wird. In Argentinien war wissenschaftliche Forschung bezüglich menschlicher Aktivität am Berg, mit Ausnahme von ein paar wenigen Projekten in der Vergangenheit, nicht existent. Unsere Gesellschaft für Bergmedizin und ebenso die Regierung, Bergsteigerclubs, Bergführer, Schipatrouillen, Bergliebhaber und allgemeine Öffentlichkeit haben den Sachverhalt vorgelegt, dass Bergmedizin als Besonderheit gelten muss, und wir sind nun dabei, eine neue Entwicklung in diese Richtung zu starten. Die Sociedad Argenina de Medicina de Montana (Argentinische Gesellschaft für Bergmedizin) hat gerade begonnen diesen schwierigen Prozess der Organisation und Koordination von Wissenschaft, Ausbildung und Rettung in einem so großen und unbewohnten Land in die Hand zu nehmen. Schlüsselwörter: Höhe, Argentinische Anden, Bergmedizin, Bergrettung.

INTRODUCTION Argentina is a mountainous country. Although this country is probably best known worldwide by its “pampas” and cattle it has, as its western border, one of the longest mountain ranges: The Andes. The sheer length of this mountain range in our country (5.500 kms.) makes it an important factor to take into consideration. After the Himalayas it is the largest mountain range in the world. The highest mountain on the American continent, Aconcagua is in our territory and the largest glacier after the Arctic and Antarctic lies in our Patagonia. In our country sports, tourism and industrial activities related to the mountains

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were of no importance till late twentieth century. From that time on, all we find is a significant increase in those activities following the trend present in the rest of the western hemisphere. People from the main cities in our country started to want to get a grasp of the wilderness, looking for adventure, recreation or just peace. Mountain Sports that were previously only limited to a small elite of adventurers became more popular and that generated a very fast and “uncontrolled� increase of visitors to the most remote areas of Argentina. In the developed countries science and research followed this sociological phenomenon. The number of expeditions designed for scientific research increased and their technology also improved. New scientific societies were created, the already existent societies grew and important progress was made in the area of research of human physiology and physiopathology related to high altitude. Some Latin-American countries like Bolivia, Peru and Chile managed to put forward research centers for high altitude; many of them were created by means of foreign economic aid. Except for just a few projects in the past, Argentine scientific research in the area of human activity in the mountains has been nonexistent. There has been some research on physiology done by Prof. Bernardo Losada in the sixties and seventies. Also since 1969 the CONICET, a government funded institution, carried on studies on Glacierology. Finally, in the last 7 years there has been research in archaeology in high altitude conducted by Constanza Cerutti, an archaeologist that has climbed more than 80 peaks over 5.000 mts searching for Inca Mummies. This social Argentine debt with mountain medicine and research in related issues has pushed us to debate on not only the lack of interest in this particular topic, but also on issues like the funding of research, the need to preserve our nature and the impact of our health policies in the mountain areas of our country. Fortunately the founding of our Mountain Medicine Society as well as different actions taken by the government, climbing clubs, mountain guides, ski patrollers, mountaineers and tourists in general, have placed this issue under public consideration and we are on our way to a new development in mountain medicine in Argentina.

R E L E VA N T G E O G R A P H I C C H A R A C T E R I S T I C S O F A R G E N T I N A : The Andes mountain range extends for 8.500 km from Venezuela (north of

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South America) to Tierra del Fuego and is a very important part of most of all South American countries except for Brazil, Uruguay and the Guyana’s. As if it were its spine, the Andes set the west border of Argentina with 4 distinct areas: The northern Altiplano and north west range, the central Andean region also called Cuyo, the Patagonian cordillera which can be divided in the Northern Patagonian Andes and the Southern Andes which dip into the Beagle Channel where South America ends. Each of these distinct regions is characterized by a different climate, altitude, vegetation and wildlife, making them unique to climbers, visitors and local inhabitants. The Altiplano and North Western region have become a very important archaeological reserve due to the fact that the Inca far Empire reached into this region. The high altitude archaeologist Gabriela Cerutti has found evidence of Inca ceremonies in more than 60 summits above 5.000 mts. She actually discovered 3 intact Inca mummies on the summit of Llullaillaco Volcano (6.739 mts). This region is mostly uninhabited, very remote, very dry and warm in the lower altitude and with desert type vegetation and wildlife. There are more than one hundred 5.000 and higher peaks, mostly dormant volcanoes; the Pissis in the southern part of this region, at 6.882 mts is the highest volcano in the world. Climbing is mostly non-technical but the logistics of getting to the climbing areas can be difficult and expensive as approaches can be very long (2–3 days) due to remoteness and lack of roads. There are still many unclimbed peaks in this area and a great deal of potential for anyone wanting to do some exploring on foot, by bike, by horse or by jeep. There are no reliable records on the number of climbers in this region, but locals assert that there are very, very few climbers or expeditions in the area. Communications are very scarce or inexistent. There are no known organized rescue teams and most of the rescue

Inca Ruin at the summit of Llullaillaco Volcano (6.729 mts)

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efforts are self rescue or summoned from local inhabitants who know the area and have horses or mules. In the area close to the border with Chile and near a Frontier Pass, the Border Police (Gendarmería) has resources (manpower & vehicles) to carry on rescue missions. The Central Andes main characteristic is its very high altitudes with the Aconcagua (6.962 mts) being the highest in the entire American continent. Weather in this region is not stable so there is mixed terrain with snow, glaciers and rock. In this region there is a more remote northern section, which resembles the northwestern region, but the most popular climbing area is the Aconcagua State Park itself and an area just south of it called Vallecitos. Both are very busy climbing areas. The Aconcagua claimed 6.800 visitors last summer and Park authorities expect 10.000 by 2006. Most of the climbers in the Aconcagua Park are Foreigners challenging their bodies to high altitude before attempting the seven and eight thousand-meter Himalayas. The area is a natural reserve and as a Park is well organized resembling most national parks around the world. Communications are very good including cell phones on most of the Park’s area. There is an organized Medical Service and an organized Rescue Patrol: Both services are in the Park throughout the climbing season (November 15 – March 15). In this Central Region also called Cuyo, there are quite a few locations above 4.000 mts that are easy to access by motor vehicle making them ideal places to install a high altitude research laboratory. Just a few hundred kilometers south, the Andes lose altitude very quickly and this allows the humid winds from the Pacific ocean to cross the mountains due east giving the Patagonian Andes their alpine look: 3.000 meter peaks with glaciers and mixed terrain, most attractive for technical climbing and ski resorts. Even though this characteristic extend far south all the way to Tierra del Fuego, there are 2 distinct mountaineering areas: The Northern Patagonia where the Tronador and Lanín Volcanoes lie in two neighboring National Parks and the most mythical area known worldwide as “Patagonia” in southern Santa Cruz Province where the Fitz Roy (Locally called Chalten, the indigenous name) and the Torre famous for their extremely technical climbing and more extreme weather conditions, making both of them one of the most challenging climbs in the world.

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The Northern Patagonia Region is a very visited climbing site. The Lanín claims 1700 climbers a year and the Tronador and Bariloche areas, like the Alps, with mountain trails that lead to European style huts, register more than 25000 climbers and trekkers a year, not including the two largest ski resorts in Argentina after Las Leñas (Province of Mendoz), Chapelco (San Martín de los Andes) and Catedral (San Carlos de Bariloche). These “sub”- areas are very well communicated via VHF radio as well as through a fairly well and extensive road network. Furthermore the local Alpine Club, Club Andino Bariloche has the oldest (70 year) and most recognized and organized Rescue Team in Argentina: the CAX. The Southern Patagonia region is situated on the east of the Hielo Continental, a huge ice plain that dips into the Pacific Ocean on its west side. This Huge glacier is the biggest just after both Polar Regions. Chalten and the Hielo Continental are in Los Glaciares National Park. Most of the visitors are trekkers and foreigners. The area is very busy in summer (21.000

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visitors this summer) but due to the fact that it is a huge area it feels very quiet. Communications are quite good except for small 2-hour walk “ black holes” on the ice plain. The organization of camps and guides is first class and there is a well-organized and experienced Rescue Team led by the local Climber Doctor Carolina Codó. The increase in visitors to the mountainous regions in Argentina has also had profound impact on the ecology. This is a matter of concern for the governments and Park Authorities who are looking forward to find solutions to these problems to preserve the areas and the health of visitors especially in the Aconcagua State Park and the Lanín National Park where garbage and human waste are becoming a serious problem. Although there is a growing concern about mountain medicine in general, there still are no private or public institutions willing to fund research projects in this area of medicine. The Sociedad Argentina de Medicina de Montaña (Argentine Society of Mountain Medicine) has just begun this difficult process of organizing and coordinating research in such a large and uninhabited country. During January 2001 Dr. Carlos Pesce, and other members of our society together with three European researchers Dra. Conxita Leal from Barcelona, Prof. Dr. Peter Bärtsch from Heidelberg and Prof. Dr. Marco Maggiorini from Zurich, conducted the first epidemiological survey on diseases related to high altitude in the Aconcagua. The data were presented during the V World Mountain Medicine and High Altitude Physiology Conference held in Barcelona in April 2002. This paper earned the prize granted by the SEMAM (Spanish Society of Mountain Medicine and Rescue) as “Best Research Presentation”. Two more research projects are underway in our Society. But this is not enough if we consider the extent of our mountains, the exponential increase in visitors and stable population in this area which creates new health policy challenges and the need of our country to invest in mining and tourism to overcome the deep economical crisis we are going through.

T H E S A N I TA RY “ S C E N E ” I N T H E A R G E N T I N E M O U N TA I N S In the last few years there has been a considerable increase in the number of visitors in Aconcagua, especially those attempting the Normal Route (Northeast face). This increase has represented a new challenge for the Aconcagua State Park authorities, both from an administrative and sanitary point of view. This includes tasks in rescue and prevention, as well as handling of environmental pollutants such as garbage and human waste.

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The population visiting Aconcagua is very heterogeneous not only from a nationality and cultural point of view, but also due to different degrees of experience and technical knowledge of the climbers. This very heterogeneous population, the fact that it is relatively “easy” to climb the normal route and to rapidly reach higher altitudes, together with extremely harsh weather conditions, creates a high-risk context for disease related to high altitude and low temperatures. Other mountains in the Northern & Southern Patagonian region like Domuyo and Lanín Volcanoes, the Tronador area and Los Glaciares National Park where the Hielo Continental and Fitz Roy lie, are following the same trends of increasing number of probably preventable deaths, rescues and also problems with garbage and human waste pollution. Since the summer season of 1999/2000 more than 14 climbers died in Aconcagua, 3 died on the slopes of Lanín, 8 military climbers died in Tronador more recently. September 2002, nine young trekkers died in the most tragic event in mountain history in Argentina when 16 were buried by a huge avalanche in what was considered a relatively safe trekking area in Bariloche. Not to mention the greater number of climbers that have suffered from high altitude sickness, cold related injuries (hypothermia and frostbite) and other considerably disabling injuries or disease due to exposure or accidents in mountain climbing activities. Most of these casualties could have been avoided had there been better understanding, awareness and knowledge of mountaineering and mountain medicine. Ski resorts represent another problem when dealing with medicine due to the fact that there is no national curricula or even license for the ski patrol. Each resort hires their personnel and are not aware of there medical/paramedical training. Most of ski Patrollers in Argentina “Commute” with European ski resorts where they get most of their formal training and this leads to different techniques being applied for same problems in same areas. The need for National Guidelines and training is more than evident. Still another emerging problem is adventure racing. There has been a boom in the last 5 years in this style of competition, the mountains being with the most popular scenario for them. As this “new” sport has emerged suddenly mostly due to commercial reasons, there has been a growing concern for safety and health issues related to the races. Rescue organization has become a major part of the race organization. Most of the professionals hired are mountain guides and there is an increasing demand for “mountain medicine” doctors to rescue and take care of sick or injured competitors.

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M O U N TA I N M E D I C I N E & R E S C U E I N T H E N O RT H W E S T E R N R E G I O N As previously stated, the northwestern Andean region is one of the most remote and underdeveloped regions of our country. The four states that are part of it have very few large cities like Salta. Most towns and villages are very small with basic medical care and insufficient health budgets. This means that there are only very few big hospitals in the capital cities of each state. In the remote climbing areas there are thousands of square kilometers that are uninhabited with no medical services available. This also means that there is no local information on mountain health issues and even less about rescues and mountain medicine in climbing. The best climbing season is autumn and spring due to very stable and dry weather. Most climbers are local residents of big cities, but there are also climbers coming from other cities in Argentina and from abroad mostly to climb the more famous mountains like Pissis (highest Volcano on earth [Catamarca]), Nevado de ChaĂąi (5.896 mts [Jujuy]) and the now known Llullaillaco Volcano (archaeological Inca sanctuary). Local climbers are aware of high altitude mainly because most of this area being the southern limit of the Altiplano is over 3.000 mts. Anyway when asked about

In this picture you can observe what was pointed above. Both climbers are at 5.400 mts with inadequate clothing, footwear and no gloves. In the background is the summit of Nevado del ChaĂąi (5.896 mts). The result was, fortunately, only frostbitten fingers.

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acclimatization most interviewed had incorrect concepts about high altitude disease and how to avoid and treat AMS/HAPE/HACE. More apparent is the lack of information on Cold Induced injuries due to the fact that most local climbers live in very warm cities all year long, so climbing equipment and attitude is not adequate for the extreme weather of very high altitude. There is no official information on casualties, injuries, and disease except for anecdotal comments made in some newspaper, magazine or interview. There are no organized mountain rescue teams except for missions done by Border Police (GendarmerĂ­a) when they are involved due to them being in the area or being informed by radio in their fixed bases located on the passes between Argentina and Chile. Some rescues are even managed from Chile when the expeditions are hired in that country and the mountain is on the frontier line, even if the climber is in argentine territory. There are no helicopters in the area except for military and GendarmerĂ­a that are mostly based in the big cities. So rescues are mostly self-evacuations by fellow climbers and many times help is summoned from the local inhabitants that have horses or mules and also know the area. Some mountains can be reached at their base (at around four to five thousand meters) by 4x4 vehicles which can considerably shorten evacuations. In the remote areas of this Region, mainly in Catamarca where seven of the ten highest volcanoes of the earth lie, the Provincial Governments are starting to promote tourism. Our Mountain Medicine Society has been hired to help organize Rescue activities and to counsel on potential medical issues that could affect visitors to this area. This could be a starting point to train locals for rescue, counsel to prevent and adequately treat high altitude sickness and other medical problems and advise the government on the need to invest in areas like communication.

M O U N TA I N M E D I C I N E & R E S C U E I N T H E CENTRAL ANDES (CUYO) This region is one of the most important and popular climbing areas in Argentina. As mentioned above, Aconcagua and just south Vallecitos concentrate most of the mountaineering in our country. It has big differences with the Northwestern region especially regarding organization of climbing information, routes, communications, medical information, rescue and hospital infrastructure. Aconcagua Park is the most important area. Aware of the importance of

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understanding its present situation, the Argentine Mountain Medicine Society (SAMM), supported by the International Mountain Medicine Society, has decided to put together a report in relation to all aspects directly or indirectly concerning health. With this, we thoroughly analyzed everything related to health care within the Aconcagua Park, established a diagnosis and proposed a strategy to improve logistical, educational, infrastructural and human resource aspects necessary to increase the Park´s sanitary standards. This report is in the process of being posted in our web page www.samm.org.ar. Most of the information written below belongs to this report. During many years Plaza de Mulas (at 4.300 mts., the largest camp in Aconcagua) did not offer any kind of medical services. For that reason emergencies were managed by physicians who happened to be in the area or by bystanders with first responder skills who were able to help in an emergency. Dr. Jorge Ibarra, merely a med student at the time, worked in Plaza de Mulas trying to make up for the lack of trained physicians or related professions with experience in mountain medicine in the area. At the same time, guides participated in search and rescue parties to provide their service for a price. In the 1989-1990 season the Red Cross, together with the Civil Defense department, installed a first aid tent. This project, which was led by a mountain guide (a professional engineer), was unsuccessful due to the fact that there were no doctors in the tent and was staffed only by nurses with no previous experience in mountain medicine. In the 1990–1991 season the first Rescue Patrol was created by the Plaza de Mulas shelter/hotel manager. It’s members were 5 experienced climbers together with a doctor or paramedic that climbed together with the unit. This unit worked jointly throughout the 1990–1991 and 1991–1992 seasons, a time in which there were no fatal accidents on Aconcagua. During the 1992–1993 season, this Rescue Patrol broke up due to financial reasons and doctors were directly hired to work on shifts in a permanent medical camp in Plaza de Mulas. Since then the Mendoza Office of Renewable Natural Resource leased the medical service, on a yearly basis, to a private unit that has been dealing with shifts at the above mentioned medical camp. The need for more efficient and developed medical assistance had become more evident year after year because of the annual increase in population visiting Aconcagua,. Unfortunately the training of doctors in the academic and practical aspects of mountain medicine has been basically unsolved. As medical work in Aconcagua is temporary, it has not drawn enough

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recognition; therefore the need for specialized doctors in this particular area of medicine has become an important issue to be urgently solved by the local authorities. As mentioned above, ever since 1994, the Mendoza Office of Renewable Natural Resources yearly leases the medical service to a private unit. The top bidding is $ 55,000 (approximately U$S 18.400). It works throughout the season (November 15th – March 15th). Paid to the coordinator of the service, it covers doctor’s fees, medical equipment (pulse oximeters, 5 portable hyperbaric chambers, stretchers, blood pressure devices, oxygen cylinders, etc.) and drugs. The Medical Service Coordinator is the sole person responsible for the selection of medical staff. The Park’s authority has not requested specific certification or specialized training of doctors involved in the program. The permanent Medical Service Stations are based in Confluencia (3.300 m), Plaza de Mulas (4.350 m) and Plaza Argentina (4.200 m). A special unit of the State Police makes up the Aconcagua Rescue Patrol. Their main operational base is in “Plaza de Mulas”. Seven members make up the permanent staff assigned to that base. They participate in rescue operations together with the Park Rangers and Medical Service and also perform their law enforcement tasks, when faced with crime, or in cases that require legal

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investigation (e.g.: fatal accidents). The members of this patrol enroll voluntarily after being tested for their physical performance. The members of this unit receive no extra payment for being a part of the Rescue Patrol in spite of the harsh employment conditions and the risk involved. The training program for the Rescue Patrol follows no systematic plan in relation to medical aspects. During last season the rescue Patrol had 92 rescue missions. The average Nยบ of missions in the last 5 years has been around 60.

The Aconcagua Park Helicopter service is leased on a yearly basis. Highly trained personnel working with clearly regulated, high security standards staff the Lama Squadron. The park communication system covers the whole mountain range, all set for possible emergencies on the different routes. The Park Rangers service has VHF radio equipment in each of their camps. Radios are on call 24 hs. a day. Every person on the mountain is usually well aware of the Park emergency radio frequency. This frequency has been unchanged for many years and it is published and promoted in national as well as international media. All guides, tourist operators, members of the Rescue Patrol and the Park Rangers Service carry VHF handheld radios. Owing to this and to the fact that many mountaineers also carry communication equipment, information about emergencies on the mountain are often immediately transmitted by those involved or by witnesses in the area.

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This radio communication system allows for permanent contact with Hospitals, ambulance services, Rescue Patrol, Army, Border Patrol, Air force and Civil Defense that cooperate in case of an emergency in the park. In addition to the radio system just mentioned, there is now cellular phone communication in the lower part of the Park. In more serious cases, an ambulance is requested. The Uspallata Hospital, Border Patrol or Army in the area may respond to this request. The patient is first transferred to the Uspallata Hospital where he will be examined. Once the patient’s condition is assessed, he is either treated in this hospital or transferred to a specialized center. Severe cases are transferred directly by helicopter to the Mendoza City airport where they are transferred by ambulance to the corresponding specialized center requested by the attending doctor. The patient is accompanied at all times by one of the Park Medical Service doctors. The Renewable Natural Resources Office follows the whole procedure until the victim leaves the Park. Once the victim reaches Puente del Inca, he is in the hands of the hired medical service or the corresponding health service (ambulance or hospital). Managing garbage and human waste has been a growing challenge for the authorities of the Aconcagua State Park. Park Rangers are in charge of controlling garbage management on the different routes. Today each climber admitted into this Park is given a bag by the Park Rangers, which must be returned upon departure. The bag must contain the garbage produced by the climber during his expedition. A US$100 fine charged in case of loss or failure to hand in the bag. The Park authorities also decided to fine U$S 100 to those climbers who do not respect assigned areas for defecation. Building of latrines in base camps obviously hasn’t solved the problem in the high altitude camps and they also denote a problem by contaminating water sources. This last problem was managed by installing 200 lt. metal cylinders in the latrines, which are sealed once they are full and then transported via helicopter to Horcones, and then by truck to the nearest city to be dumped into its sewage plant. With doctors that generally work in shifts of 7 to 14 days in the different base camps, the Medical Service has been working in the Park ever since 1993 with fixed Stations at the following camps: Confluencia, Plaza de Mulas, (Campground and Hotel), and Plaza Argentina.

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On a regular basis and free of charge, the Medical team performs preventive health check-ups for all climbers. This team also takes care of climbers with health problems and those in emergency situations. The lack of specialized academic and practical courses to train doctors in mountain medicine is a problem that must be solved in short term. Through these courses the profile requested to become part of a medical team with the necessary expertise for Aconcagua would be standardized. Doctors are paid $100 (U$S 33) per workday. It is interesting to compare this amount with the fee charged by a porter from Plaza de Mulas (4,300m) to Nido de Cóndores (5.300 m), which is $ 450 (U$S 150); or with mule transportation of 75 kg. (“weight similar to that of some of our doctors’) from Puente del Inca to Plaza de Mulas which is also $ 450 (U$S 150). It is easy to draw conclusions about doctor’s salaries compared to what is charged for other mountain services in which training, investment and responsibility are considerably lower. It is also important to point out that the total amount collected by the Park in each of the last two seasons was around two million pesos (U$S 526,000). From the data collected by the Aconcagua MS we find that 6.807 people visited the park in the 2003–2004 season. The total number of visits carried out in the Medical Stations was 7.775. This shows an average of 1.14 medical visits per visitor. The majority of these took place in Plaza de Mulas (6.035 medical visits), with just 1430 in Plaza Argentina and only 310 in Confluencia. 168 patients were evacuated from the Park in the 2003–2004 season; 43 of these (26 %) were able to leave the Park by their own means, while 125 (74 %) required transportation by mule or helicopter. 74 % (124) of these evacuations were carried out from Plaza de Mulas, 17 % (28) from Plaza Argentina and the remaining 9 % (16) from Confluencia. The total percentage of evacuations in relation to the total number of visitors in the Park was 2.5 %: 3.2 % out of Plaza de Mulas, 2.4 % out of Plaza Argentina, and 1 % out of Confluencia. A total number of 58 HAPE victims were diagnosed (2 in Confluencia, 8 in Plaza Argentina and 48 in Plaza de Mulas), as well as 10 severe AMS or some type of HACE (4 in Plaza de Mulas, and 6 in Plaza Argentina). According to this data, the prevalence of HAPE was of 1.3 % in Plaza de Mulas, 0.7 % in Plaza Argentina and 0.1% in Confluencia; and that of severe AMS or HACE was of 0.1 % in Plaza de Mulas, and 0.5 % in Plaza Argentina. Four patients required evacuation for uncontrollable hypertension, and 8 for serious trauma. During the whole 2003–2004 season only 26 frostbite injuries were registered. This means the total percentage in the Park was 0.4 %. Eighty five percent (24) of these cases were treated in Plaza de Mulas and the remaining 15 % (4) in Plaza Argentina. It must be noted that most climbers using the route through

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the Glaciar de los Polacos to the summit normally climb down the Normal Route, this means that an undetermined number of patients with injuries from frostbite treated in Plaza de Mulas have suffered these while ascending on the routes that start off from Plaza Argentina. Two German climbers in the 2003–2004 season died due to multiple traumatic injuries after falling down on the Glaciar de los Polacos. But the total death toll in Aconcagua is over 100. We believe that prevention information given presently to Park visitors is not enough. There is a section intended for medicine in the leaflet all visitors get when admitted to the Park but some of the concepts printed are outdated and the information is incomplete. This is also the case with the Aconcagua Park official website. We believe it is of great importance to increase the amount and quality of medical information given to all Park visitors. We also consider this medical guide should be printed in several languages, including Japanese, Korean and Chinese since the numbers of visitors from these countries are considerable and according to statistics, due to different reasons are more susceptible to experienced health problems in Aconcagua. A proposal to be considered is placing signs with information about the most frequent medical problems and their signs and symptoms. This should be carefully determined due to the visual impact the signs would cause on such an environment. Mountain Medicine training of Park Rangers and members of the Rescue Patrol is another issue to be addressed. Although it may seem of lesser concern, a program should be followed and specialized courses should be designed to standardize the academic knowledge and practical skills that both teams require to carry out their outlined tasks. Although equipment in the different Medical Stations is just about enough, it could also be improved and standardized. This means that both base camps (Plaza de Mulas and Plaza Argentina) should have the same medical equipment. We believe that all the equipment as well as the drugs should all be supplied and kept by the Park. The board of directors of the Argentine Mountain Medical Society and the Authorities of the Mendoza Province Natural Renewable Resources Office have decided to work together to study and design measures for the improvement of the sanitary situation of the park.

M O U N TA I N M E D I C I N E & R E S C U E I N T H E N O RT H E R N PATA G O N I A Although Northern Patagonia has various similar traits with respect to moun-

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taineering and the scenery, there are some differences that are mainly due to historical events. The area where the Lanín National Park lies was mainly colonized at the end of the 19th century and beginning of the 20th by Argentine military personnel and people migrating from Chile. They were not proficient in mountain climbing so this activity was not very popular till the late 1980s when it became more of a sport and the attraction was laid on the Lanín volcano and its surroundings. Just 150 km south lies San Carlos de Bariloche, which was mainly colonized by Germans, Austrians, Italians. Most of them found this land very similar to their hometowns in the Alps and they were devoted to climbing. So in this area climbing has been around for nearly 80 years and most of the people that settled there in the last century are involved in some kind of mountaineering activity. As stated above, this area has mountain circuits connected by European style huts, which is unique in Argentina. This mountaineering heritage makes climbing and its allied activities different from those in the Lanín Area.

L A N Í N N AT I O N A L PA R K Climbing in this region has increased exponentially since the eighties and this has created a few sanitary problems that became worse in the last 5 years. Though the mountain range surrounding San Martín de los Andes, the main city, is very attractive and relatively unexplored, the Lanín volcano is the main climbing area. Last summer 1.700 climbers went up its northeast face which is an easy climb through rock, snow and ice. There are other routes: the east (semi technical) and the south face, which involves 200 meters of vertical ice and then a traverse through the south glacier all the way up to the summit. Both these routes are scarcely used. Due to the fact that so many climbers concentrate on the northeast face is that the National Park authorities, climbers and mountain guides are concerned about pollution by garbage and human waste especially where the three huts lie. Our Society has brought forward this issue and has offered to connect local authorities with Aconcagua State Park managers that have already been dealing with this problem for a few years. Due to the fact that the Northeast route is an easy 1 or 2 day 2.400 mts climb from base to summit, it has become very popular for those initiating in mountaineering. It is being promoted by agencies all around the country. Even though technically it is easy, its altitude and remoteness makes weather conditions, especially temperature and wind, very unpredictable. In addition to inexperience and overestimating abilities this has been the major risk factor involved in the 10 deaths on Lanín since 1990.

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During October 1990 eight inexperienced climbers started the ascent in very bad weather conditions (–10º C & 100 km wind). They were stranded on an icy slope just a 2 hour walk down to their vehicle. They used a VHF radio to ask for help and though one of the climbers was apparently injured by a fall on the ice axe they just referred being lost. There was no Organized Rescue Team at that time, so the rescue was organized simultaneously by the military, the Border Police and the local climbing club. All efforts were individual, there was no coordination between teams. The Border Police and Military team decided to wait till morning due to very harsh weather conditions, but two voluntary climbers of the local climbing club arrived at the scene at 2 in the morning, 8 hours after the call for help. They found 2 dead climbers (1 trauma with ice axe, 1 hypothermia) and the remaining climbers were hypothermic (moderate to severe). They ran out of batteries to communicate by 6 in the morning. By the time the rest of the rescue teams arrived at the scene 2 other climbers had died of hypothermia. A helicopter that operated in very dangerous conditions finally evacuated the other 4 climbers. This tragic event started a debate on Mountain Rescue on the volcano and the first Lanín Rescue Team was put together. Most members were climbers and guides that volunteered. But still 2 other deaths challenged the proficiency of this voluntary, independent team so it dissolved. Finally the National Park authority decided that the rescue team, was the responsibility of his administration and since 1997 the rescue team is staffed by 10 to 15 park rangers, firefighters and any volunteer that is accepted. This has made the rescue efforts much easier not only financially (the Park pays all costs) but also from an organizational point of view. The team is trained in mountaineering and rescue techniques by a very experienced and proficient mountain guide and First Aid and mountain medicine courses on a yearly basis by members of our society, mainly me. The equipment provided by the Lanín National Park is made up of adequate rope rescue racks, 1 stokes litter and advanced medical First Aid pack. The number of calls are not consistent and have had variations in the last years but they average around 5 a year (2–7). The most frequent problem involved in Mountain Search & Rescue is lost climber and trauma, which includes cold induced injuries. Communication in the Park is good. Most of it is via VHF radios but in some areas there is even cell phone signal.

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Some years ago we had a helicopter at hand in quite a few rescues. It was volunteered by its pilot, who died in 1995 in the rescue of a dead French climber in Tronador. Since then the only helicopter service available is during the summer when the Park rents the service of 1 or 2 helicopters from the Air Force (Hughes 500 or UH) for firefighting and is also used for rescues. The closest Medical facility is a 1-hr drive or 15-minute helicopter flight from the Lanín’s base. There are two medium complexity facilities: 1 in Junín de los Andes and the biggest in San Martín de los Andes. Neither of them have Neurosurgery or an Intensive Care Unit. The closest high complexity hospital is in Bariloche, 250-km away, or in Neuquen (capital of the province), 450-km away. There are only flights during daylight, so transfers during the night are a 5-hour drive away. The Park has also instituted a debatable policy, which consists in checking all climbers’ equipment and not letting any climber up if in this check the equipment is thought to be inadequate or climber’s conditions or apparent skills are not considered appropriate for the climb. This issue is in full debate and will be a point in our Society’s next Mountain Medicine Conference.

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N A H U E L H U A P I N AT I O N A L PA R K As stated above the Nahuel Huapi National Park has a different setting not only because mountaineering is a very important aspect of Bariloche’s life but because it has the most renown and oldest organized rescue team: the CAX.

This team was founded by the local climbing club (Club Andino Bariloche) in 1934 in response to a tragic climbing accident on Tronador. It was staffed by the club’s climbers and its first president was Otto Meiling, a renown climber. Doctors have always participated as important members of this Rescue Team and in fact 2 of them were presidents of the team. Throughout its history it has been financed mainly by donations, charity events and sometimes by government funds. In its 1958 reports it is stated that especially if the mission was due to reckless climbing behavior and the climber is considered to have a high income he would be asked to pay for the rescue. This has not been their permanent policy. According to local Climbing Club data more than 25.000 climbers and trekkers are around the area each summer. This does not include skiers in the Catedral Ski Resort where there are more than 300.000 skiers per winter season.

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Since its start it has participated in more than 160 missions. Data was very precisely kept including all the reports on each mission . Since their first reports there have been more than 60 deaths most of them on the Tronador, Catedral and the Hut circuit. These rescues can take as long as 2 days depending on weather and location. There has been an exception in the Cerro Ventana Avalanche rescue that lasted 60 days till the last body was recovered!! Trauma and lost climbers or trekkers are the main problems though 2 avalanches (1995 and 2002) have claimed 12 victims (20 % of the total death toll). The team has been variable in number but in the last 5 years there is a permanent staff of 50 active members which includes one of the most trained mountain doctors in Argentina, Dr. Ramón Chiocconi (3 international Mountain Medicine Courses) and 24 members which are on call permanently all year long. The update of rescue equipment has always been a matter of concern. In 1966 with the aid of government funds the Rescue Team bought its first complete top-of-the-line rescue equipment from Austria; it was a Wastl Mariner and consisted of a mountain rescue litter and a special winch and cable for technical rescue (the cost at that moment was U$S 824). In 1985 a Tyromont rescue litter was also bought in Austria. Though the “old” equipment is still active, new and modern equipment has been incorporated since then, mostly for technical rope rescue. Dr. Chiocconi keeps the medical kit updated. Most rescues are managed by manpower. Helicopters are also variable as in the neighboring Lanín National Park. The same policy applies with helicopter services being rented for firefighting and also used in some rescue missions during the summer. But the rule is “No helicopter until its need is proven”. The largest rescue operation the CAX has had to manage, as well as in Argentine history, was during the 2002 avalanche in Cerro Ventana just 15 km from Bariloche (the major city in this National Park). The late summer avalanche dragged 16 trekkers 900 mts down its rocky slopes and killed 9 persons. The rescue mission was prompted immediately by a survivor with a cell phone. The first rescuers arrived at the scene within 20 minutes and most of them where there by the first hour. Most of the survivors were lightly injured. The most curious fact is that one of the survivors, buried 2 meters deep, was recovered after 5 hours with just mild hypothermia!!! The whole rescue mission demanded 740 rescuers for a total of 60 days when the last victim was finally found at a total cost of 65.000 pesos (U$S 21.700).

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Several high complexity health facilities of San Carlos de Bariloche are only a few minutes by helicopter or a 1-hr drive away from the Tronador’s base. They do not have an extracorporeal circulation unit. Until this event awareness of avalanche risk was limited to elite climbers and some ski resorts. Our Mountain Medicine Society is trying to raise this “awareness” to everybody involved in mountain sports in Argentina.

M O U N TA I N M E D I C I N E & R E S C U E I N T H E S O U T H E R N PATA G O N I A This is the most renown climbing area of Argentina. Its geographic characteristic has made “los Glaciares National Park” one of the world’s climbing “Meccas”. It attracts climbers and trekkers mainly during the summer (21.000 this season), although the season starts around late spring and ends by autumn. Weather is very variable during this period and its main characteristics are very strong winds and precipitations in the high mountains and the ice plain. These are the most significant factors related to rescue: bad weather = few climbing expeditions or trekkers = few rescue missions. The number of missions have varied from 2 to 10 in the last five years. The most significant mountain medicine issue is trauma. During 2003/4 season there were a total of 10 rescue missions. Most due to injured climbers

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doing technical climbs. There were 3 victims of an avalanche (all alive). There were 2 deaths; one was a suicide on the Marconi Pass!! The climber left a handwritten note and then slashed his forearm veins. He was found by a climbing party going up the pass. The Rescue Team is staffed by local climbers, mountain guides and Park Rangers . It is led by the local Climbing Club (Club Andino Chalten) and Dr. Carolina Codó, the only doctor in town, is the head of the team. All of them are volunteers. Rescues are free of charge. Funding is mainly provided by the National Park infrastructure and donations to the climbing club. Most of the rescues are by foot or horse, which implies long rescue operations that vary from 3 to more than 24 hours depending on location and complexity. The Border Police (Gendarmería) also participates in rescues when summoned. Most of the helicopter rescue operations done in the area (accounting for approximately 20% of the total rescue missions), are managed by a Border Police Lama or UH helicopter based at Calafate (150 km away). Despite the huge area involved in the Park, VHF radio communications are quite good due to repeaters on some strategic high points; this results in few “black holes” only 1-2 hour walk wide. This is of great help in getting messages very quickly from eventual victims and also coordinating rescue efforts. The team has very good climbing and rope rescue equipment and most of the rescuers are proficient in this matter. The Rescue team also has a modern mountain rescue litter that was bought recently. This was financed by a donation made by a relative of an Italian victim that was rescued. This also connected the local team with the Italian Climbing Club that sent some expert members to train the rescuers. Regardless of this, most of the mountain medicine and rescue knowledge is self provided. There is no local hospital. The health facility at Chalten is only for primary care, no surgery, no in-patient ward, so most of the victims are referred to the closest hospital that is located in Calafate 150 kms away, or Rio Gallegos (capital of the Province of Santa Cruz) 350 kms away, where there are high complexity facilities that can deal with most cases.

O T H E R I S S U E S I N M O U N TA I N M E D I C I N E AND RESCUE IN ARGENTINA There are other points of interest in mountain medicine that need to be addressed briefly: • Helicopters • Ski Resorts

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HELICOPTERS As mentioned above most mountain rescues and evacuations are by foot, mule, horse or ground vehicle as evacuation by helicopter is poorly developed in our country. Compared with other countries in Latin America there are few civil helicopters, few pilots trained in rescue in mountainous regions, and there is a lack of understanding of heli-operations by rescuers. The reason is simple: financial limitations. Helicopter maintenance and operation in Argentina is very expensive and there is not enough business to make a profit out of rescue operations. This results in few rescues, limited experience and therefore higher risks in case of these kind of missions. Nonetheless there has been more experience in air evacuation with military helicopters which are now being hired by other government agencies (National Parks) because they are cheaper and have experienced pilots. That is why most of the few helicopter rescues are made by military aircraft.

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S K I R E S O RT S There are 11 ski resorts in the Andes of Argentina. Listed below is a chart showing the ski resort, its location and top elevation. Resort Top Elevation (mts) Las Leñas (Mendoza-Central Andes) 3,430 Los Penitentes (Mendoza-Central Andes) 3,213 Vallecitos (Mendoza- Central Andes) 3,220 Caviahue (North Patagonia) Cerro Bayo (North Patagonia) 1,750 Cerro Catedral (Bariloche) 2,050 Chapelco (North Patagonia) 1,990 La Hoya (North Patagonia) 2,113 Cerro Castor (South Patagonia) 957 Glacier El Martial (South Patagonia) 1,509 Perito Moreno (South Patagonia) 1,450 Most of these resorts are private. The largest and most visited is Las Leñas, followed by Catedral and Chapelco. Rescue on the slopes is carried out only by the ski patrol which is independently hired by each resort. The number of ski patrollers is variable and not always proportional to the skiable area or the Nº of visitors. Data on Number of skiers/snowboarders and injuries is not readily available from owners of the resorts, nor is it requested officially by health or tourist office authorities. Therefore we lack “official” epidemiological data on ski injuries except for particular cases where request for information was handed out by the ski resort manager. Some data on injuries in Chapelco Ski Resort (North Patagonia) Year Skiers/Day

2000 197130/123 days

2001 183465/115 days

2002 224671/123 days

2003 219518/95 days

Injuries/ 1000 skiers day

2.11

2.2

2.32

2.37

Injured Skiers (% of total)

75.6

71.6

68.6

65.8

18.6

22.5

26.5

32.0

Injured Snowboarders (% of total)

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Chapelco is staffed with 16 ski patrollers. Most have received their formal training abroad, mostly in Andorra (1st French Degree) and in an Argentine Course run by the Argentine Ski Patrol Association which is based mainly on the French model and has no doctors involved in endorsing what is taught . Others have also received training in the USA. There is no official ski patrol curricula in Argentina. As a matter of fact there is even no official license for ski patrollers. So all ski patrollers in Argentina are working in a “semi legal” condition. This means they are not legally licensed to assist injured skiers on the slopes, but authorities just look the other way instead of changing the laws.

Our society is working hard to get authorities to take this topic into consideration. This includes designing a national curricula for the ski patrol and the necessary medical training to meet these standards. This should also help to collect information from the ski resorts to have epidemiological data to compare injury rate, ski patrol performance and do the necessary changes to prevent injuries, permanent damage and deaths on the slopes. A final word on Mountain Rescue in the other “Andean” countries: Chile, Bolivia, Perú, Ecuador, & Colombia. It has been very difficult to obtain reliable information on organized rescue in these countries. Distances are huge, communication with climbing areas, local climbers and guides very scarce. Nonetheless there are some organized search & rescue teams in Chile and Perú: In Chile “El Cuerpo de Socorro Andino” is an organization spread through out Chile. It is staffed by volunteer climbers and is organized in Teams in different regionds of Chile. Its headquarter is based in Santiago de Chile. Its mission is to serve as an organized mountain rescue team in all the Chilean Andes. In Perú there is an organized mountain rescue team based in Yungay Province

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at the base of the Huascarán (6768 mts). It is the UNAM “Unidad de Salvamento de Alta Montaña” part of the Peruvian Police. It was created in October 1998 and started operating in June 1999. It is on call 24 hrs a day during the whole year. It is highly qualified for mountain rescue missions and technically very well prepared including heli-operations with MI-17 and BO-105 superlifter helicopters. They are well equipped with modern mountaineering and rescue equipment. They also have a search & rescue dog unit with 5 Labrador Retreivers.

ACKNOWLEDGEMENTS I am especially grateful to Dr. Franz Berghold and the Austrian Mountain Medicine Society for their very generous invitation to the Austrian Mountain Medicine Course to present this paper. I would also like to thank Juliana, my wife and three sons and daughter for time “stolen” from them to do necessary research and writing of this paper. My father that reviewed this paper and made important suggestions about the presentation. I am also very grateful to Dr. Ramón Chiocconi and Toncek Arko from CAX, Dra. Carolina Codó from Chalten, Dr. Carlos Pesce (vice-president of our society), Miguel Righetti (ski patroller) from Cerro Chapelco Ski Resort, Authorities of Aconcagua State Park, Park Rangers and Rescue Team from Lanín National Park and every friend that contributed with information and pictures to complete this task.

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DANK DER HERAUSGEBER AVENTIS APOMEDICA CSC PHARMACEUTICALS FRESENIUS KABI AUSTRIA FUJISAWA INTERSPORT KAPRUN JANSSEN-CILAG DR. MOLASSA + MERZ MERCK, SHARP & DOMENICA SCHERING

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