Jahrbuch 2001

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ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN

JAHRBUCH 2001

JAHRBUCH 2001 ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN


JAHRBUCH 2001 ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN

THEMEN:

K Ä LT E T R A U M A L AW I N E

HERAUSGEBER: H. BRUGGER G. SUMANN W. S C H O B E R S B E R G E R G. FLORA


IMPRESSUM Herausgeber: BRUGGER Hermann, Dr. med., IKAR MedCom, Europastraße 17, I-39031 Bruneck. E-Mail: Brugger.med@pass.dnet.it SUMANN Günther, OA Dr. med., Klinische Abteilung für Allg. und Chirurgische Intensivmedizin, Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-Mail: Guenther.Sumann @uibk.ac.at SCHOBERSBERGER Wolfgang, Univ.-Doz. Dr. med., Klinische Abteilung für Allg.und Chirurgische Intensivmedizin,Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-Mail: wolfgang.schobersberger@uibk.ac.at FLORA Gerhard, Univ.-Prof. Dr. med., Präsident der ÖGfAHM, Vizepräsident der IKAR, Höhenstraße 54, A-6020 Innsbruck. E-Mail: floragerhard@hotmail.com

Verleger: Österreichische Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin Satz, Gestaltung und Druck: Raggl digital graphic + print GmbH, Rossaugasse 1, 6020 Innsbruck ISBN-Nr.: 3-9501312-1-3 Alle Rechte vorbehalten

Umschlagbild U 1: Foto: Günther Sumann Proband beim Atemhöhlenversuch (Kurt Brugger, Olympiasieger 1994 im Kunstbahnrodeln) Umschlagbild U 4: Foto: Hermann Brugger, Abfahrt in der Silvretta


VORWORT Die stete Aufwärtsentwicklung unserer Gesellschaft in den letzten Jahren zeigt sich nicht nur in einer steigenden Mitgliederzahl von dzt. 1.321 aus Österreich,der Bundesrepublik Deutschland,Italien und der Schweiz, sondern auch in den vermehrten Anforderungen an unser Sekretariat unter Dr. Gebhard Riedmann, der mit seiner Frau Brigitte auch die redaktionelle Bearbeitung der „Alpinmedizinischen Rundbriefe“ durchführt. Mit der 72 Seiten starken Jubiläumsnummer 25 konnte die geplante Öffnung des Rundbriefes für andere europäische Gesellschaften für Alpinmedizin in die Tat umgesetzt werden, die Zeitschrift ist nun auch offizielles Organ der „Deutschen Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin“ – BEXMED. Ein weiteres Jubiläum erfüllt uns mit Stolz: 10 Jahre „Internationale Lehrgänge für Alpinmedizin“ 1992–2001 unter der bewährten Leitung von Univ.-Prof. Dr. Franz Berghold, die mit einer Teilnehmerzahl von 1.312 (davon 54 % aus Österreich und 42 % aus Deutschland) immer unfallfrei abgewickelt werden konnten. Wegen steigender Nachfrage musste schon vor Jahren der Basislehrgang und nun auch der Winterlehrgang doppelt geführt werden. Erfreuliches kann auch von der alpinmedizinischen Wissenschaft berichtet werden. Nicht nur dass junge Kollegen vermehrt auf diesem Gebiet arbeiten, wie dies die 4 eingereichten Arbeiten für den heurigen „Wissenschaftlichen Förderungspreis“ unserer Gesellschaft zeigen, wir beteiligen uns auch an alpinmedizinischen Symposien ( wie z. B. „Medizinische Aspekte der Erschöpfung im Alpinsport“ in Aflenz) und Tagungen (wie z. B. „Wilderness Medicine: Advising the adventure traveller“ in Innsbruck). Die jeweilige Generalversammlung versuchen wir überdies mit großen wissenschaftlichen Veranstaltungen wie zuletzt mit der „International Congress on Cold Injuries – Bruneck 2000“ und heuer mit der „17. Internationalen Bergrettungsärzte-Tagung“ in Innsbruck zu verbinden. Der Output des Brunecker Kongresses findet sich in konzentrierter Form im vorliegenden Jahrbuch. Der Dank dafür gebührt dem rührigen Kongressorganisator Dr. Hermann Brugger und Univ.-Doz. Dr. Wolfgang Schobersberger, die gemeinsam die mühevolle Manuskriptanforderung durchführten. Vor 6 Jahren habe ich die Präsidentschaft unserer damals schon mitgliederstarken und finanziell abgesicherten „Österr. Gesellschaft für Alpinund Höhenmedizin“ vom Gründungspräsidenten Prof. Dr. Elmar Jenny übernommen.

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Nun gebe sie als aufgeblühte reife Dame in jüngere Hände weiter. Für das mir entgegengebrachte Vertrauen möchte ich mich bei allen Mitgliedern, vor allem aber bei meinen Vorstandskollegen und insbesondere bei den Präsidiumspersönlichkeiten, die mich immer sehr tatkräftig unterstützt haben, herzlich bedanken und wünsche unserer Gesellschaft weiterhin internationale Anerkennung und langjährigen Bestand.

Univ.-Prof. Dr. Gerhard Flora (Präsident)

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Inhalt Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Vorwort G. Flora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kältetrauma K. Zafren Prehospital diagnosis and staging of hypothermia (ICAR) . . . . . . . . 11 U. Wiget Einige praktische Tipps für die alpine Notfallmedizin in der Kälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Schwarz, P. Mair, E. Kornberger Kardiopulmonale Reanimation bei akzidenteller Hypothermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 A. Skagseth, M. Gilbert, R. Busund, P. A. Nilsen, J. P. Solbø Reanimation nach akzidenteller Hypothermie von 13,7 ˚C mit Herz-Kreislauf-Stillstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 V. Wenzel, G. Sumann, W. Schobersberger, E. Adelsmayr Arginin Vasopressin bei der kardiopulmonalen Reanimation mit schwerer Hypothermie nach einem Ertrinkungsunfall – Ein Fallbericht und Analyse der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 D. Fries, E. Kornberger, A. Stallinger, W. Schobersberger Hypothermie und Gerinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 B. H. Walpoth Bedürfnis für ein internationales Register betreffend akzidentelle tiefe Hypothermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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G. G. Giesbrecht New Aspects on Pathophysiology of Hypothermia . . . . . . . . . . . . .

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H. Biedermann Klinische Therapie der örtlichen Erfrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 H. J. Hansen Erfrierung in großer Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Lawine F. Tschirky, B. Brabec und M. Kern Lawinenrettungsgeräte – Stand der Entwicklungen, Erfolge und Misserfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 M. Kern, F. Tschirky, J. Schweizer Feldversuche zur Wirksamkeit einiger neuer Lawinen-Rettungsgeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 G. Sumann Anwendbarkeit der präklinischen Triage von Lawinenverschütteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 M. I. Radwin, C. K. Grissom, M. B. Scholand, C. H. Harmston Aufrechterhaltung der Oxygenierung und Ventilation während einer experimentellen Schneeeingrabung durch Ableitung des ausgeatmeten Kohlendioxids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 C. K. Grissom, M. I. Radwin, C. H. Harmston, M. B. Scholand, Th. J. Crowley Respiration during snow burial using an artificial air pocket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 G. Sumann, H. Brugger, R. Meister, W. Schobersberger, P. Mair, M. Falk Modell einer künstlichen Atemhöhle im Schnee zur Erforschung von Atemgasveränderungen bei Lawinenverschüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

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Freie Themen W. Domej, G. Schwaberger, J. K. Lang, I. Stückler, K. Friedl Der Einfluss statischer Rucksackbelastung auf respiratorische Impedanz und Atemgrenzwert gesunder Bergsteiger in Ruhe – eine experimentelle Pilotstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 P. Bärtsch, E. R. Swenson, M. Maggiorini Update: Höhenlungenödem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 R. Silbernagl, M. Blumthaler Solare UV-Belastung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Th. Küpper, D. Wermelskirchen, Th. Beeker, O. Reisten, R. Waanders Erste-Hilfe-Kenntnisse von Westalpenbergsteigern . . . . . . . . . . . . . 233

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Autorenverzeichnis BÄRTSCH Peter, Prof. Dr. med., Abteilung f. Innere Medizin VII: Sportmedizin, Medizinische Universitätsklinik, Hospitalstr. 3, D-69115 Heidelberg. E-Mail: peter_bartsch@med.uni-heidelberg.de BIEDERMANN Helmut, Ass.-Prof. Dr. med., Klinische Abteilung f. Gefäßchirurgie, Universitätsklinik Innsbruck, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-Mail: helmut.biedermann@uibk.ac.at DOMEJ Wolfgang, Ass.-Prof. Dr. med., ARGE Alpinmedizin, Medizinische Universitätsklinik, Institut für Physiologie, KF-Universität Graz, Auenbruggerplatz 31, A-8036 Graz. E-Mail: wolfgang.domej@kfunigraz.ac.at FRIES Dietmar, Dr. med., Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-Mail: dietmar.fries@ uibk.ac.at GIESBRECHT Gordon G.,PhD,Prof.,Laboratory for Exercise and Environmental Medicine; Health, Leisure and Human Performance Research Institute; 211 Max Bell Centre, University of Manitoba, Winnipeg, Manitoba, Canada, R3T 2N2. E-Mail: giesbrec@cc.umanitoba.ca GRISSOM Colin K., M. D., Pulmonary Division, LDS Hospital, 8th Avenue and C Street,Salt Lake City,UT 84143,USA.E-Mail:ldcgriss@ihc.com HANSEN Henrik Jessen, M.D., UIAA MedCom, Dept of cardiothoracic surgery, KAS Gentofte, University of Copenhagen, Niels Andersenvej 65, DK-2900 Hellerup. E-mail: summit@dadlnet.dk KERN Martin, Dr., Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Flüelastraße 11, CH-7260 Davos Dorf, Schweiz. E-Mail: kern@slf.ch KÜPPER Thomas, Dr. med., TravelClinic am Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf, Kirchfeldstr. 35, D-40217 Düsseldorf. E-Mail: kuepper.cl.th@t-online.de RADWIN Martin I., M. D., University of Utah, 2260 Jennifer Drive, Ogden, Salt Lake City, UT 84403, USA. E-Mail: sshinn10@aol.com

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SCHWARZ Birgit, OA Dr. med., Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-Mail: birgit. schwarz@uibk.ac.at SILBERNAGL Roland, Mag. rer. nat., Institut f. Medizinische Physik, Universität Innsbruck, Müllerstr. 44, A-6020 Innsbruck. E-Mail: roland. silbernagl@uibk.ac.at SKAGSETH Arne, M. D., Departments of Anaesthesiology, University and Regional Hospital of Tromsø, N-9038 RiTø, Norway. E-Mail: arne.skagseth@rito.no SUMANN Günther, OA Dr. med., Klinische Abteilung für Allg. und Chirurgische Intensivmedizin, Univ.-Klinik für Anästhesie und Allg. Intensivmedizin, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck. E-Mail: Guenther.Sumann@ uibk.ac.at TSCHIRKY Frank † , Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung, Davos Dorf, Schweiz WALPOTH Beat H., Dr. med., Klinik für Herz- und Gefässchirurgie, Inselspital, Universität Bern, CH-3010 Bern. E-Mail: beat.walpoth@ insel.ch WENZEL Volker, Dr. med., Univ.-Klinik für Anaesthesie und Allg. Intensivmedizin, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Österreich. E-Mail: volker.wenzel@uibk.ac.at WIGET Urs. Dr. med., REGA, Präs. IKAR MedCom, Haldenstrasse 40, CH-8142 Uitikon Waldegg. E-Mail: wigeturs@bluewin.ch ZAFREN Ken, M. D., FACEP, Clinical Assistant Professor, Division of Emergency Medicine, Stanford University Medical Center, Stanford, CA; 10181 Curvi St., Anchorage, AK 99507 USA. E-Mail: zafren@alaska.com

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Ken Zafren

Prehospital diagnosis and staging of hypothermia (ICAR) Präklinische Diagnose und Stadieneinteilung der Hypothermie (ICAR) S U M M A RY The ICAR MedCom has adopted a simple system of staging hypothermia in the field based on clinical criteria. Treatment is based on clinical stage (HT I–V), which correlates in a general way with core temperature. Temperature measurements in the field,either esophageal or epitympanic (not tympanic), are also useful for monitoring. HT I patients (35–32 °C) exhibit clear consciousness with shivering and may not require hospital treatment. HT II patients (32–28 °C) will have impaired consciousness without shivering; they will require hospital treatment. Patients in HT III (28–24 °C) will be unconscious and will require aggressive treatment and rapid transport. HT IV patients (24–13 °C?) will appear dead, but may be revived in some cases. Previously 15 °C was the published cutoff, but based on new evidence the lower end of the range should now be considered to be below 14 °C. At some point, however – Stage V (< 13 to 9 °C) – death is due to irreversible hypothermia. Keywords: Hypothermia, staging, ICAR

Z U S A M M E N FA S S U N G Die ICAR MedCom hat ein einfaches System zur Stadieneinteilung der Hypothermie im Gelände eingeführt, das sich nach klinischen Gesichtspunkten orientiert. Die Behandlung richtet sich nach klinischen Stadien (HT I–V), die im Prinzip mit der Kerntemperatur korrelieren. Temperaturmessungen im freien Gelände, entweder ösophageal oder epitympanisch (nicht tympanisch), sind ebenfalls nützlich als Monitoring. HT-I-Patienten (35–32 °C) zeigen ein klares Bewusstsein mit Muskelzittern und bedürfen keiner Hospitalisierung. HT-II-Patienten (32–28 °C)

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haben ein beeinträchtigtes Bewusstsein ohne Muskelzittern, sie benötigen eine stationäre Behandlung. Patienten mit HT III (28–24 °C) sind bewusstlos und brauchen eine aggressive Therapie und einen schnellen Transport. HT-IV-Patienten (24–13 °C?) erscheinen klinisch tot, können jedoch in speziellen Fällen wiederbelebt werden. Erst kürzlich war 15 °C der Grenzwert in Publikationen, aber basierend auf neuen Erkenntnissen, sollte das untere Ende schon unter 14 °C angesiedelt werden. Ab dem Stadium V (< 13 bis 9 °C) tritt der Tod aufgrund einer irreversiblen Hypothermie ein. Schlüsselwörter: Hypothermie, Stadien, ICAR

INTRODUCTION Accidental hypothermia is defined as a core temperature below 35 °C. Victims of mountain accidents are often hypothermic.The degree of hypothermia determines the optimal treatment for these patients, although core temperature is often difficult to measure in the field,especially during the initial assessment and stabilization. For this reason, the Commission for Mountain Emergency Medicine of the International Commission for Alpine Rescue (ICAR MedCom) has adopted a system of staging hypothermia in the field based on clinical criteria, including core temperature, if it can be accurately measured. This paper discusses the staging system we have developed. The staging system is intended for rescuers, whether rescue physicians or non-physician first responders. The criteria are level of consciousness, presence of shivering, cardiac activity and core temperature. The stages are shown in Table 1 (from the ICAR paper by Durrer et al.) (1). These stages are not static and may change during the rescue. In general, the patient’s condition is unlikely to improve in the field, regardless of treatment. If the temperature drops quickly in spite of insulation and attempts at rewarming in the field, the rescuer should suspect a serious underlying injury. Asystolic patients with severe hypothermia (HT IV) have been successfully resuscitated even after cardiac arrest. However, if the mountain rescue doctor can differentiate death (HT V) from apparent death (HT IV), unnecessary risks to the rescuers may be avoided. Electrocardiographic monitoring and temperature monitoring may be essential in making this distinction. Monitoring may be done using an epitympanic temperature for HT I-III, but esophageal temperature should be used in HT IV-V.

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Stage

Description

Temperature (°C)

HT I

Clear consciousness with shivering

HT II

Impaired consciousness without shivering

35–32 32–28

HT III

Unconsciousness

28–24

HT IV

Apparent death

HT V

Death due to irreversible hypothermia

24–13 ? < 13? (< 9?)

Table 1: Hypothermia stages (modified from Durrer et al., 1998)

T E M P E R AT U R E M E A S U R E M E N T Only two methods of temperature measurement are sufficiently accurate to guide treatment decisions in the field. Esophageal temperatures are well established as a relatively accurate measure of core-temperature. More recently, epitympanic temperatures have been shown to give a reasonable approximation to core-temperature. They have the advantage of being less invasive, but are not yet widely available. Epitympanic temperatures involve contact of a probe with the tympanic membrane, unlike tympanic temperatures which are measured using infrared radiation.Tympanic temperatures are notoriously inaccurate. In the field situation, they are very likely to measure the temperature of cooler surfaces surrounding the tympanic membrane which will yield a falsely cool reading. Hypothermia stage I (HT I) Mildly hypothermic patients will be conscious and oriented. They generally will be shivering. If the temperature can be measured, it should be between 35 °C and 32 °C. Most of these patients will not require hospital treatment if they do not have associated injuries. Hypothermia stage II (HT II) Moderately hypothermic patients will have a decreased level of consciousness and will no longer be able to shiver. This correlates roughly with a core temperature of 32–28 °C. These patients will require hospital treatment. Hypothermia stage III (HT III) Unconscious patients with vital signs still present are severely hypothermic and will require transfer to a specialized facility capable of active rewarming and/or cardiopulmonary bypass.

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Hypothermia stages IV and V (HT IV and HT V) Severely hypothermic patients without apparent vital signs may still be salvageable with proper care. This is the origin of the motto that “nobody is dead until they are warm and dead”. This may lead to futile attempts at resuscitation which may endanger the rescuers. It is better to remember that “nobody is dead until they are warm and dead, unless they are already dead“. Patients who can be saved will require aggressive treatment in a facility which can perform cardiopulmonary bypass. Differentiating death from apparent death is complicated by the fact that reflexes are progressively lost as core temperature falls. Most reflexes vanish below 28 °C. Corneal and oculecephalic reflexes are the last disappear, below 24 °C (2). If there are lethal injuries present, then the patient clearly cannot be resuscitated. A noncompressible chest and abdominal muscles that cannot be kneaded are indicators of death (HT V). If the EKG shows ventricular fibrillation then the patient may potentially be resuscitated, but asystole does not predict irreversible death. These criteria are summarized in Table 2. At present, there is no well established lower limit of core temperature for HT IV but one patient has been resuscitate from a core temperature in the field of 14 °C and patients are routinely resuscitated from much lower temperatures induced during surgery. The absolute physiological limits are not known.

Exclude lethal injuries Criteria

HT IV

HT V

Clinical findings

No vital signs Chest compressible Abdominal muscles Kneadable

No vital signs Chest not compressible Abdominal muscles not kneadable

EKG

Ventricular fibrillation or asystole

Asystole

>13 °C?

<13 °C?

<12 mmol/L

>12 mmol/L

Core temperature Potassium*

* Potassium is useful only in cases of hypothermia associated with asphyxia.

Table 2: On site triage of hypothermia stages IV and V (modified from Durrer et al., 1998)

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If hypothermia is associated with asphyxia, as in avalanche burial, snow cave and immersion cases, potassium can be used to differentiate between real and apparent death, with cautionary notes regarding rhabdomyolysis and hemolysis of the sample. The cutoff value is 12 mmol/L. Above this value resuscitation is extremely unlikely. Current research is being conducted to enable determination of potassium in the field, but in patients with HT IV and V, obtaining a blood sample prior to rewarming may be extremely difficult.

L I T E R AT U R E (1) Durrer B., Brugger H., Syme D.: The medical on site treatment of hypothermia. Commission for Mountain Emergency Medicine (1998). (2) Danzl D. F., et al.: Accidental hypothermia. In Auerbach PS (ed.) Wilderness medicine: management of wilderness and environmental emergencies (3rd ed.) Mosby: St. Louis, pp. 51-103 (1995).

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Urs Wiget

Einige praktische Tipps für die alpine Notfallmedizin in der Kälte Practical hints for rescue doctor’s working in the cold S U M M A RY Very cold field conditions add a lot of problems to the emergency medicine. The doctor’s personal equipment, experience, and fitness decides whether he will be able to perform medical emergency procedures even after waiting in the cold for hours or if he will become an useless member of the rescue squad.As personal equipment, we emphasize special gloves, a personal bagpack with extra clothes and hot tea, snowshoes with ski poles for avalanche rescue and more. Even for the most experienced mountain rescue doctor intense cold may block the intravenous access to a multi – injured patient. If the access to the external jugular vein as last choice is not possible, an intraosseus needle may help.The problem of frozen perfusion liquids can be avoided: give a big amount of fluid in a very short time with pressure on the fluid bag and close the I.V. catheter during transport. To prevent further hypothermia, hot packs, an electrically heated sleeping bag and a tent for treatment may be useful. To imagine and think about all foreseeable problems and to check carefully the equipment before leaving the rescue base may help to be really effective at the spot. Blindly rushing to the scene of the accident is not adequate: the mountain and the cold make the triage of the patients rather than you with some speared minutes in the rush. Keywords: mountain rescue physician, cold, emergency medicine, equipment.

Z U S A M M E N FA S S U N G Große Kälte und Wind erschweren die notfallmedizinische Arbeit des Bergrettungsarztes erheblich. Praktische Erfahrung, eine gute körperliche Leistungsfähigkeit und eine adäquate Ausrüstung erlauben dem Arzt, auch noch nach stundenlangem Ausharren in der Kälte effektiv zu arbei-

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ten. Zur Ausrüstung gehören spezielle Arbeitshandschuhe und ein Rucksack, der warme Überkleider und heißen Tee enthält. Wir finden moderne Schneeschuhe mit Stöcken ideal für ein großes Lawinenfeld. Die Intraossärnadel kann beim Erwachsenen und dem Kind einen venösen Zugang schaffen, wenn die klassischen Wege bei Mehrfachverletzten und großer Kälte schwierig werden. Das Einfrieren von Infusionslösungen kann vermieden werden,indem rasch große Mengen Flüssigkeit unter Druck durch einen breiten Katheter infundiert werden und dann der Patient ohne liegende Infusion transportiert wird. Großflächige Wärmebeutel, heizbare Schlafsäcke und Zelte können das weitere Auskühlen verringern. Das Wichtigste ist jedoch der kurze „Check“ vor dem Start: Habe ich nichts vergessen? Schlüsselwörter: alpine Notfallmedizin, Bergrettungsarzt, Kälte.

EINFÜHRUNG Große Kälte und Wind erschweren die notfallmedizinische Arbeit des Bergrettungsarztes erheblich. Praktische Erfahrung, eine gute körperliche Leistungsfähigkeit und eine adäquate Ausrüstung sind die Bedingungen, die den Arzt funktionstüchtig halten, auch nachdem er stundenlang auf dem Lawinenfeld der Kälte ausgesetzt wird. Hier einige praktische Tipps über Material und Maßnahmen, die sich bewährt haben:

E R FA H R U N G U N D F I T N E S S Obwohl die Forderung nach Erfahrung und Fitness in der Bergrettung ein Gemeinplatz ist, erlauben wir es uns, nochmals darauf hinzuweisen. Wir verstehen unter Erfahrung die langjährige praktische Anwendung der alpinen Notfallmedizin unter verschiedensten Bedingungen und das Kennen der wichtigsten Bergrettungstechniken im Felde. Unter Fitness für den Bergrettungsarzt verstehen wir aktives Bergsteigen im Winter und Sommer über die Jahre hinweg.

PERSÖNLICHE AUSRÜSTUNG Es hat sich bewährt, in einem kleinen persönlichen Rucksack zusätzlich zur normalen Hochgebirgsausrüstung warme Überkleider und eine Thermosflasche mit heißem Tee mitzuführen: Das hat schon etlichen Pati-

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enten, die streckenweise terrestrisch abtransportiert werden mussten, das Leben gerettet. Wir glauben auch, dass der Arzt auf großen Lawinen mit modernen Schneeschuhen und Skistöcken beweglicher ist als mit Skiern und Fellen. Medizinische Maßnahmen sind mit Handschuhen oft schwierig auszuführen. Bewährt haben sich da Kletterhandschuhe aus feinem, zähem Leder, die den Fingern eng anliegen und problemlos eine Venenpunktion ermöglichen (z. B. „Walter Ceccinel“, Chamonix) – sobald die Maßnahme durchgeführt ist, wird ein Fäustling über den Lederhandschuh gezogen. Eine andere Variante ist der Handschuh, bei dem die Fingerkuppen weggeschnitten sind und in dem man mit Latexhandschuhen arbeiten kann. Ein einziges Mal im Sturm auf einer Suchaktion ohne Sturmbrille („Schneebrille – Maske“) unterwegs zu sein, wird zum unvergesslichen Erlebnis!

MEDIZINISCHE MASSNAHMEN UND GERÄTE Der Venenzugang beim mehrfach Verletzten bei großer Kälte kann ein sehr großes Problem werden. Ein Weg zum Ziel kann die Intraossärnadel sein, die mittels Federkraft auch durch die Kortikalis Erwachsener geschossen werden kann („intraosseus gun“). Es gibt viele Arbeiten über heizbare Infusionssysteme, die alle mehr oder weniger Aufwand brauchen und oft im Gelände kaum praktikabel sind. Wir umgehen das Problem, indem wir durch den großvolumigen Venenkatheter unter Druck in kurzer Zeit so viel Volumen infundieren, als wir es für die Erstversorgung nötig erachten – dann wird der Katheter abgestöpselt und der Patient ohne laufende Infusion transportiert. Das Prozedere kann so oft als nötig wiederholt werden, Arzt und Bergretter können die Flüssigkeiten unter ihren Kleidern warm halten. Großflächige chemische Wärmebeutel haben sich als hervorragende Schmerzmittel bei verletzten Kindern in großer Kälte herausgestellt! Ein Wärmebeutel unter den Anorak (nicht auf die Haut!) und das Kind schreit nicht mehr, umarmt diese „kuschelige Puppe“ und lässt sich verarzten … Für länger dauernde terrestrische Einsätze bei großer Kälte kann ein batteriebeheizter Schlafsack, dessen Temperatur durch einen Thermostat kontrolliert wird, eingesetzt werden („Saver“-System). Beheizbare Zelte auf dem Lawinenunfallplatz sind für die Retter sicher angenehm – sie kommen aber immer auf den Platz, wenn die Chancen einer Lebendbergung klein geworden sind.

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Bei terrestrischen Einsätzen, bei denen das gesamte Material getragen werden muss, ist man auf möglichst energieunabhängige Systeme angewiesen.Es gibt viele Absaugsysteme;bei uns hat sich seit Jahren ein extrem einfaches, leichtes und recht billiges Plastikhandgerät bewährt: das „Resq-vac“-Gerät. Dagegen haben wir mit einer in der Schweiz weit verbreiteten Fußabsaugpumpe sehr schlechte Erfahrungen gemacht: Sie ist allein im Schnee kaum zu bedienen und dazu brechen ihre Plastikansatzstücke in der Kälte rasch weg. Relativ häufig treffen wir auf mehrfach verletzte Gleitschirmflieger, Skifahrer oder „free rider“, die auf dem Bauch im tiefen Schnee liegen und so nicht versorgt werden können. Schnelles, aber schonendes Drehen auf den Rücken kann lebensrettend sein.Dabei benützen wir gerne die „Sandwich“-Methode, bei der der Patient mit einer Vakuummatratze zugedeckt wird; darauf wird das Gerät so gut als möglich am liegenden Körper angeschmiegt, die Luft abgezogen und der Patient zu dritt oder viert auf den Rücken gedreht.Wir ziehen es vor, keine Fixierbänder mehr zu benützen, da die Retter den Patienten mit Hand und Unterarm an den Kleidern festhalten und gegen die Vakuummatratze pressen und so besser spüren,wenn der Körper zu entgleiten droht.

ZUM SCHLUSS Obwohl vermutlich ein großer Teil der angegebenen Tipps bekannt sein dürfte, hoffen wir, dass der eine oder andere darin eine Anregung findet, die ihm die Arbeit bei großer Kälte erleichtert. Nur wer selber einmal etwas Wesentliches vergessen hat weiß, wie wichtig der kurze „Check“ vor dem Start des Einsatzes ist: Habe ich nichts vergessen?

L I T E R AT U R beim Verfasser.

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B i r g i t S c h w a r z , P e t e r M a i r, E l i s a b e t h K o r n b e r g e r

Kardiopulmonale Reanimation bei akzidenteller Hypothermie Cardiopulmonary Resuscitation during Severe Accidental Hypothermia S U M M A RY More recent clinical and experimental animal data have improved our knowledge of the major pathophysiological features of hypothermic cardiopulmonary resuscitation. Echocardiographic studies during clinical resuscitation in patients with a body core temperature below 30 °C have demonstrated that, in contrast to normothermic resuscitation, a general increase in intrathoracic pressure (thoracic pump mechanism) is an important factor contributing to forward blood flow during external chest compression. Experimental animal data clearly question the common, yet scientifically unproven, clinical practice to avoid drug administration during hypothermic cardiopulmonary resuscitation when core temperature is below 30 °C. Keywords: Hypothermic cardiopulmonary resuscitation, Echocardiography

Z U S A M M E N FA S S U N G Klinische und tierexperimentelle Untersuchungen haben unser Wissen hinsichtlich der Besonderheiten der kardiopulmonalen Reanimation bei tiefer akzidenteller Hypothermie erweitert. Während klinischer Reanimation bei tiefer akzidenteller Hypothermie trägt nach neueren echokardiographischen Untersuchungen ein generalisierter intrathorakaler Druckanstieg (Thoraxpumpmechanismus) wesentlich zum Vorwärtsblutfluss unter äußerer Herzdruckmassage bei, ganz im Gegensatz zur Reanimation bei Normothermie. Kürzlich publizierte tierexperimentelle Untersuchungen stellen einige allgemein akzeptierte, aber durch Daten kaum untermauerte Richtlinien klar in Frage, insbesondere die Empfehlung, Medikamentengabe während hypothermer Reanimation bei einer Körperkerntemperatur unter 30 °C strikt zu vermeiden. Schlüsselwörter: Kardiopulmonale Reanimation, Hypothermie, Echokardiographie

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EINLEITUNG Die kardiopulmonale Reanimation bei tiefer akzidenteller Hypothermie (Körperkerntemperatur < 30 °C) weist in mehrfacher Hinsicht Besonderheiten auf. Einerseits erlaubt die erhöhte Ischämietoleranz des Gewebes,insbesondere des Zentralnervensystems,erfolgreiche Reanimationen auch in Extremsituationen mit außerordentlich langen Kreislaufstillstands- und Reanimationszeiten (Tabelle 1), andererseits ist es seit Jahren übliche Praxis, die Reanimation hypothermer Patienten wesentlich unterschiedlich zu der normothermer Patienten durchzuführen. Erfolgreiche Reanimation bei

Submersionsdauer in Eiswasser

40 Minuten

Kreislaufstillstandszeit ohne CPR

66 Minuten

Reanimationsdauer mit Herzdruckmassage

6.5 Stunden

Körperkerntemperatur akzidentell

13.7 °C

Körperkerntemperatur therapeutisch

9 °C

Tab.1:Erfolgreiche Reanimation bei akzidenteller Hypothermie in Extremsituationen H ypotherme Reanimation Reanimation Hypotherme bei Kammerflimmern Defibrillationsversuche erfolglos 33 Defibrillationsversuche

Körperkerntemperatur < 30 °C

Körperkerntemperatur > 30 °C

Beatmung, Herzdruckmassage wie bei Normothermie

Beatmung, Herzdruckmassage wie bei Normothermie

keine Defibrillationsversuche

weitere Defibrillationsversuche

keine iv Medikamente

iv Medikamente in reduzierter Dosis

prolongierte Reanimation bis T > 34 °C aktiv interne Erwärmung

prolongierte Reanimation bis T > 34 °C aktiv interne Erwärmung

Abb. 1: Besonderheiten der kardiopulmonalen Reanimation hypothermer Patienten in den neuen internationalen Reanimationsrichtlinien 2000 (1)

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DIE NEUEN INTERNATIONALEN REANIMATIONSRICHTLINIEN 2000 Auch in den kürzlich publizierten internationalen Reanimationsrichtlinien 2000 (1) wird weiterhin ein von Normothermie wesentlich unterschiedliches Vorgehen bei den erweiterten Reanimationsmaßnahmen empfohlen (Abbildung 1). Die Anzahl der empfohlenen Defibrillationsschocks ist bei einer Körperkerntemperatur unter 30 °C auf 3 beschränkt. Die Applikation von Medikamenten mit vasokonstriktorischer Wirkung zur Unterstützung des koronaren Perfusionsdrucks (Adrenalin, Vasopressin) wird als nicht notwendig erachtet, obwohl diese Empfehlung durch Daten kaum belegt ist. Begründet wird dies mit der Hypothermie bedingten, bereits maximalen Vasokonstriktion. Überdies besteht weit verbreitet die Ansicht, dass eine Unterstützung des koronaren Perfusionsdrucks durch fehlende oder paradoxe Wirkung vasokonstriktorischer Substanzen in Hypothermie nicht möglich ist. Während die Abweichungen vom Standardvorgehen bei den erweiterten Reanimationsmaßnahmen allgemein anerkannt und empfohlen sind, wurden Abweichungen bei den Basismaßnahmen der kardiopulmonalen Reanimation für hypotherme Patienten zwar vereinzelt empfohlen (Tabelle 2), haben jedoch nie weitere Verbreitung oder allgemeine Anerkennung erlangt. Dies ist wohl vor allem auf das Fehlen wissenschaftlicher Daten zur überzeugenden Untermauerung dieser Empfehlungen zurückzuführen. Vorgeschlagene Änderung

Begründung

Pathophysiologische Erklärung

Kraft der Thoraxkompression

i

Tierexperiment

Thorax/Myokardcompliance

Frequenz Thoraxkompression

s

keine

„physiologischer“

s

Extrapolation

respiratorische Alkalose

keine

nicht wirksam

Frequenz der Beatmung Herzdruckmassage

keine

Tab. 2: Mögliche Abweichung vom Standardvorgehen bei tiefer akzidenteller Hypothermie: Basismaßnahmen der Reanimation • reduzierte Thorax- und Myokardcompliance • veränderte Gaslöslichkeit im Blut • gestörte Blutrheologie • reduzierter Metabolismus • reduzierter Sauerstoffverbrauch

Tab. 3: Pathophysiologische Besonderheiten des hypothermen Kreislaufstillstandes

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Es gibt eine Reihe pathophysiologischer Besonderheiten bei hypothermem Kreislaufstillstand, die das kritiklose Übernehmen des Standardvorgehens bei normothermer Reanimation durchaus hinterfragenswert erscheinen lassen (Tabelle 3). Besonders die reduzierte Compliance von Thorax und Myokard sind wichtige Argumente.

ECHOKARDIOGRAPHISCHE BEFUNDE WÄHREND H Y P O T H E R M E R R E A N I M AT I O N In einer retrospektiven klinischen Untersuchung konnten wir mithilfe der transösophagealen Echokardiographie Einblicke in die Effizienz hypothermer Reanimation und mögliche Mechanismen für den Vorwärtsblutfluss während äußerer Herzdruckmassage gewinnen (2). Vorwärtsblutfluss während äußerer Herzdruckmassage kann einerseits durch die direkte Kompression des Herzens zwischen Brustbein und Wirbelsäule verursacht sein (Herzpumpmechanismus). Eine direkte Kompression des Herzens führt zu einem Druckanstieg im linken Ventrikel, zum Schluss der Mitralklappe, zur Öffnung der Aortenklappe und zum Vorwärtsblutfluss im systemischen Kreislauf. Äußere Herzdruckmassage kann aber auch über einen generalisierten intrathorakalen Druckanstieg zu Vorwärtsblutfluss in der systemischen Zirkulation führen. Der thorakale Druckanstieg wird in die arteriellen Gefäße, wegen des Kollapses der dünnwandigen zentralen Venen und Venenklappen aber nicht in die venöse Strombahn fortgeleitet. Dies führt zu einem arteriovenösen Druckgradienten in der systemischen Zirkulation und damit zu Vorwärtsblutfluss (Thoraxpumpmechanismus). Beim Thoraxpumpmechanismus wirkt das Herz lediglich als passiver Schlauch ohne Ventilfunktion, die Mitralklappe bleibt in der Kompressionsphase der Reanimation weit offen. Herz- und Thoraxpumpmechanismus sind also gut mittels echokardiographischer Beurteilung der Mitralklappenöffnung während der Kompressionsphase der Reanimation zu unterscheiden: Mitralklappenschluss beim Herzpumpmechanismus, weit klaffende Mitralsegel beim Thoraxpumpmechanismus. Mehrere echokardiographische Untersuchungen während normothermer klinischer Reanimation fanden praktisch ausschließlich einen Mitralklappenschluss als Indiz für Vorwärtsblutfluss auf Basis des Herzpumpmechanismus. Bei hypothermer Reanimation fand sich dagegen in unserer Untersuchung bei mehr als 50 % aller Fälle eine weit offene Mitralklappe als Indiz für Blutfluss auf Basis des Thoraxpumpmechanismus.

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Abb. 2: Weit offene Mitralklappensegel (Pfeil) in der Entlastungs- (links) und Kompressionsphase (rechts) der Reanimation als Hinweis auf Blutfluss auf Basis des Thoraxpumpmechanismus bei prolongierter hypothermer Reanimation

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Abb. 3: Mitralklappenschluss (Pfeil) in der Kompressionsphase der Reanimation als Hinweis auf Blutfluss auf Basis des Herzpumpmechanismus (links). Normotherme Reanimation, Mitralklappenöffung in der Dekompressionsphase (rechts). Offensichtlich ist eine direkte Kompression des Herzens, der übliche Mechanismus für einen Vorwärtsblutfluss während normothermer Reanimation, durch eine Hypothermie bedingte reduzierte Myokard- und Thoraxcompliance oft nicht oder nur bedingt möglich. Die äußere Herzdruckmassage bleibt trotzdem effizient, mittels Dopplerechokardiographie ließ sich in allen untersuchten Fällen ein Vorwärtsblutfluss eindeutig nachweisen. Blutfluss entsteht bei insuffizienter direkter Kompression des Herzens auf Basis des Thoraxpumpmechanismus alleine oder einer Mischform beider Mechanismen (systemischer Blutfluss auf Basis des Thoraxpumpmechanismus, pulmonaler Blutfluss auf Basis des Herzpumpmechanismus). Eine wesentliche praktische Konsequenz dieser Ergebnisse ist, dass wesentliche Unterschiede im zugrunde liegenden Mechanismus Vorsicht erfordern bei der Extrapolation von Erkenntnissen der Reanimationsforschung in Normothermie auf die spezielle Situation der hypothermen Reanimation.

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TIEREXPERIMENTELLE UNTERSUCHUNGEN Immer häufiger wird auch in der kardiopulmonalen Reanimation eine reproduzierbare wissenschaftliche Basis für vorgeschlagene Therapieempfehlungen gefordert,eine wissenschaftliche Basis,die über die Erfahrung aus Einzelfällen oder die persönliche Meinung eines Experten hinausgeht. Prospektiv randomisierte Studien mit einer ausreichend großen Patientenzahl sind dabei der Goldstandard, ein Goldstandard, der aber in manchen Fällen realistisch betrachtet nicht erfüllbar ist. Ein gutes Beispiel dafür ist die Reanimation hypothermer Patienten. Das Patientengut und die Begleitumstände sind inhomogen und kaum standardisierbar. Akzidentelle Hypothermie nach Exposition ist sicherlich mit jener nach Lawinenunfällen oder Beinaheertrinken nicht vergleichbar und selbst nach Kälteexposition wird der alkoholintoxikierte multimorbide Patient eine wesentlich unterschiedliche Pathophysiologie zum an sich gesunden, aber hypothermen Alpinopfer aufweisen. Überdies können Unterschiede in der Körperkerntemperatur oder der Geschwindigkeit der Abkühlung die notwendige Therapie zusätzlich wesentlich verändern.Auch die Anzahl der zu therapierenden Patienten ist klein. Die Studiendauer einer prospektiv randomisierten klinischen Studie wird daher auch beim Einschluss mehrerer Studienzentren inakzeptabel lang, zum Zeitpunkt der Publikation der Ergebnisse ist der untersuchte Therapieansatz wahrscheinlich schon durch neue Therapiemöglichkeiten in Frage gestellt. In diesem Umfeld sind tierexperimentelle Studien eine wertvolle und auch allgemein anerkannte Möglichkeit, Handlungsrichtlinien für die klinische Therapie zu evaluieren (1). Natürlich kann manches von den gewonnenen Erkenntnissen nur bedingt auf den Menschen und die klinische Reanimation übertragen werden, tierexperimentelle Daten erlauben aber jene Therapieansätze herauszuarbeiten, die eine klinische Evaluation lohnen. Tierexperimentelle Untersuchungen sind interessanterweise eine bis vor kurzem kaum genutzte Möglichkeit gewesen, um Einblicke in pathophysiologische Besonderheiten der kardiopulmonalen Reanimation bei hypothermem Kreislaufstillstand zu erhalten. Über viele Jahre war eine Untersuchung von Maningans und Mitarbeitern aus den 80er-Jahren die einzige tierexperimentelle Publikation in der notfallmedizinischen Literatur zum Thema hypothermer Kreislaufstillstand (3). In den letzten Jahren wurden und werden jedoch vermehrt tierexperimentelle Studien zum Thema hypotherme Reanimation durchgeführt und es sind auch erste Ergebnisse publiziert (Tabelle 4). Diese tierexperimentellen Studien stel-

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Tierexperimentelle Ergebnisse

koronarer Perfusionsdruck in Hypothermie nicht ausreichend

Mögliche klinische Relevanz

Quelle

Vasopressorgabe auch bei < 30 °C sinnvoll?

Krismer et al. Anaesth Analg 90: 69-73 (2000)

Vasopressin verbessert nicht nur Vasopressorgabe auch bei Defibrillationserfolg, sondern auch < 30 °C sinnvoll? Langzeitüberleben

Schwarz et al. Crit Care Med (in press)

Vasopressin wegen fehlender Vasopressin Medikament der betamimetischer Nebenwirkungen Wahl bei hypothermer dem Adrenalin überlegen Reanimation?

Kornberger et al. Resuscitation (in press)

Flimmerschwelle in Hypothermie erniedrigt, Defibrillationsschwelle ident

Defibrillation/wiederholte Defibrillation bei Körpertemperatur < 30 °C?

Ujhelyi et al. Crit Care Med 29:1006-1011 (2001)

transkutanes Pacing ist auch in Hypothermie effizient und sicher

Transkutanes Pacing bei extremer Bradykardie/Asystolie?

Dixon et al. Ann Emerg Med 29:602-606 (1997)

ACD-CPR erhöht cerebralen Blutfluss signifikant

ACD-CPR (Cardiopump) bei prolongierter hypothermer Reanimation?

unveröffentlichte Daten

len doch viele der von uns über Jahre akzeptierten Empfehlungen zur hypothermen Reanimation klar in Frage. Ob und wie diese tierexperimentellen Erkenntnisse unser Vorgehen bei klinischer hypothermer Reanimation in den nächsten Jahren beeinflussen oder verändern werden, bleibt abzuwarten. Eine mittlerweile in mehreren tierexperimentellen Studien gut belegte Tatsache ist der niedere koronare Perfusionsdruck (vor allem nach langen Stillstandszeiten oder bei gleichzeitiger Asphyxie wie Lawine oder Beinaheertrinken), der eine erfolgreiche Wiederherstellung eines spontanen Kreislaufes ohne medikamentöse Stützung nicht erwarten lässt (4). Das Dogma, prinzipiell keine vasokonstriktorischen Medikamente bei einer Körperkerntemperatur < 30 °C zu applizieren, muss sicherlich hinterfragt und in einer klinischen Studie detaillierter untersucht werden.

L I T E R AT U R (1) The American Heart Association in collaboration with the International Liaison Committee on Resuscitation. Part 8: Advanced challenges in resuscitation: section 3: special challenges in ECC. Circulation 102 (Suppl), I229-52 (2000).

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(2) Mair P., Schwarz B., Kornberger E. et al.: Forward blood flow during cardiopulmonary resuscitation in patients with severe accidental hypothermia. Acta Anaesthesiol Scand 42, 1139-1144 (1998). (3) Maningans P. A., DeGuzman L. R., Hollenbach S. J. et al.: Regional blood flow during hypothermic arrest. Ann Emerg Med 15, 390-396 (1986). (4) Krismer A., Lindner K. H., Kornberger E. et al.: Cardiopulmonary resuscitation during severe hypothermia in pigs: does epinephrine or vasopressin increase coronary perfusion pressure? Anaesth Analg 90, 69-73 (2000).

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Ar ne Skagseth, Mads Gilber t, Rolf Busund, Paul Åge Nilsen, Jan P. Solbø

Reanimation nach akzidentieller Hypothermie von 13,7 ˚C mit Herz-Kreislauf-Stillstand Resuscitation from accidental Hypothermia of 13.7 ˚C with circulatory arrest S U M M A RY Imagine, you are on your summit prepared for your favourite activity, in this case telemarking. Suddenly everything is turned upside down from pleasure to panic. This is the case of a successful teamwork through all steps in the extended chain of survival; rescue, resusitation, evacuation, rewarming, intensive care and rehabilitation after accidental hypothermia of 13.7 °C with circulatory arrest. Keywords: hypothermia, resuscitation, rewarming.

Z U S A M M E N FA S S U N G Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf einem Berggipfel und freuen sich auf Ihre Lieblingsbeschäftigung, in diesem Fall den Telemarkskilauf. Plötzlich kommt alles ganz anders und das Vergnügen verwandelt sich in Panik. Wir berichten über eine erfolgreiche Teamarbeit, die alle Schritte im Zuge der notfallmedizinischen Behandlung und der Wiederherstellung umfasste: Bergung, Reanimation, Evakuierung, Wiedererwärmung, intensivmedizinische Betreuung und Rehabilitation nach einer akzidentellen Hypothermie von 13,7 °C mit Herz-Kreislauf-Stillstand. Schlüsselwörter: Hypothermie, Reanimation, Wiedererwärmung.

Die Mortalität bei diesen Patienten bleibt trotz gesteigerter präklinischer Überlebensquote, verbesserter klinischer Aufwärmtechniken sowie Weiterentwicklungen der Herz-Lungen-Maschine hoch (1, 2). Die bis zu dem Anm. d. Herausgeber: Die vorliegende Arbeit wurde aus dem Englischen übersetzt.

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hier präsentierten Fall niedrigste Temperatur eines Überlebenden nach akzidenteller Hypothermie betrug 14,4 °C und wurde bei einem Kind beschrieben (3). Laut einer Studie von Walpoth und Kollegen aus dem Jahre 1997 haben junge, gesunde Erwachsene eine Langzeitüberlebensrate von bis zu 33 % mit minimaler Hirnschädigung nach einer tiefen akzidentellen Hypothermie, die als eine Körperkerntemperatur von weniger als 28 °C mit Herz-Kreislauf-Stillstand definiert wurde (4). Das Einzugsgebiet unseres Krankenhauses im subarktischen Norden Norwegens ist dünn besiedelt. Wir haben mehrere Fälle von schwerer akzidenteller Hypothermie mit kontinuierlicher präklinischer kardiopulmonaler Reanimation (CPR), Helikoptertransport in die Klinik und Wiedererwärmung mit notfallmäßigem kardiopulmonalem Bypass (CPB) behandelt. Bis zum hier beschriebenen Fall hatte trotz anfänglicher Wiederherstellung eines perfundierenden Herzrhythmus und einer normalisierten Organfunktion kein erwachsener Patient bis zur Entlassung überlebt. Der Tod trat jeweils infolge eines progressiven unkontrollierbaren generalisierten Ödems mit respiratorischer Insuffizienz und letaler Hirnschwellung ein. Von 1978 bis Ende 2000 führten wir 13 Aufwärmversuche mit kardiopulmonalem Bypass durch.Alle sechs Opfer im Zeitraum 1978 bis 1992 starben. In unserem neuen Krankenhaus haben von 1992 bis heute zwei von sieben Opfern überlebt; das erste davon im Mai 1999 mit einer Körperkerntemperatur von 13,7 °C und ca. 11/2-stündiger CPR vor der Ankunft im Krankenhaus und das zweite im Januar 2000 mit einer Kerntemperatur von 22,3 °C und ca. 31/2-stündiger präklinischer CPR. An einem schönen Abend Ende Mai 1999 stürzte eine erfahrene 29-jährige Variantenskifahrerin während der Abfahrt in einer Eisrinne. Sie und ihre zwei Kameraden waren Ausbildungsärzte im örtlichen Krankenhaus. Sie verfügten sowohl über eine CPR-Ausbildung als auch über die entsprechende Bergausrüstung. Die Frau wurde zwischen den Felsen und dem darüberliegenden dicken Eis eingeklemmt und von Eiswasser ständig umspült. Ihre Skier verhinderten ein Abrutschen und dienten ihren zwei Kameraden, die per Mobiltelefon die Rettungsleitstelle des Krankenhauses in Narvik verständigten, bei ihren vergeblichen Bergeversuchen als Haltegriff. Die Frau strampelte 40 Minuten lang unter dem Eis. Dann, um 19.00 Uhr, bewegte sie sich nicht mehr. Nach weiteren 40 Minuten kamen die Rettungsmannschaften an den Unglücksort. Sie schnitten talseitig ein Loch in das Eis und zogen die Frau, die zu diesem Zeitpunkt klinisch tot war, aus dem Wasser. Eine Basisrea-

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Abb. 1

Abb. 2 nimation wurde sofort eingeleitet. Ein Rettungshubschrauber, besetzt mit einem Rettungsassistenten und einem Anästhesiologen, war 15 Minuten später zur Stelle. Die beiden führten eine orotracheale Intubation durch, beatmeten die Patientin mit 100 % Sauerstoff und bargen sie mit dem Tau. Die kardiopulmonale Reanimation und die manuelle Beutelbeatmung über einen Endotrachealtubus mit positivem Druck wurden während des 1-stündigen Fluges in die Universitätsklinik Tromsø fortgesetzt. Ankunftszeit war 21.10 Uhr, 2 Stunden und 50 Minuten nach dem Unfall.

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Die Patientin wurde sofort in den Operationssaal gebracht. Bei der Aufnahme waren die Pupillen weit und reagierten nicht. Es war keine Spontanatmung vorhanden. Aus dem Endotrachealtubus trat eine schaumig rosafarbene Flüssigkeit aus, die auf ein Lungenödem deutete. Das EKG war isoelektrisch und es war keine Spontanzirkulation feststellbar. Separate elektronische Messungen der Temperatur pharyngeal und rektal ergaben eine Ausgangstemperatur von 14,4 °C. Eine arterielle Blutprobe ergab einen Serumkaliumwert im Normbereich (4,3 mmol/l), eine Sauerstoffspannung von 64,8 Kilopascal (kPa), eine Kohlendioxidspannung von 7,7 kPa und eine schwere metabolische Azidose (pH-Wert 6,65).

Abb. 3 Während der Vorbereitung des kardiopulmonalen Bypasses (CPB) über einen femoralen Zugang setzten wir die CPR mit 100–120 externen Thoraxkompressionen und 15–20 Beatmungen pro Minute fort. Der mittels Kanülierung der A. femoralis gemessene systolische Blutdruck lag während der CPR bei 75 mm Hg. Eine von mehreren Schlüsselfragen war, wie die Pumpe gefahren (CPB) und die Wiedererwärmung durchgeführt werden sollte.

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Abb. 4 Wir verwendeten ein vollständig heparinbeschichtetes System, das mit 1000 ml Ringer-Azetat vorgefüllt war. Der Temperaturgradient zwischen dem venösen Blut der Patientin und dem Wärmetauscher betrug maximal 10 °C. Der arterielle Mitteldruck wurde zumeist bei 50 mm Hg gehalten.Eine Flüssigkeitsbeschränkung war essenziell.Mit dem Rückgang des venösen Rückflusses wurde der Flow von anfänglich 0,5 l/min auf 3,5 l/min erhöht. Um 21.52 Uhr sank die Rektaltemperatur auf 13,7 °C. Bei Beginn des kardiopulmonalen Bypasses stieg das Serumkalium auf den Maximalwert von 8,2 mmol/l und die Patientin wurde zunehmend azidotisch mit einem pH-Wert von 6,54. Um 22.00 Uhr trat Kammerflimmern ein, welches nach 15 Minuten spontan in einen Herzrhythmus mit messbarem Puls überging. Während zu diesem Zeitpunkt die Rektaltemperatur noch 14,2 °C betrug, war die Temperatur pharyngeal und ösophageal auf 25,0 °C bzw. 31,5 °C angestiegen. Die ersten Herzschläge – ein überwältigendes Gefühl. Nach 170 Minuten an der Herz-Lungen-Maschine erreichte die Rektaltemperatur 36 °C, und nach 179 Minuten konnte die

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Patientin unter Gabe von Adrenalin vom CPB entwöhnt werden. Wir führten eine Thoraxdrainage mit anschließender medianer Sternotomie durch, da im Zuge der klinischen CPR beim Versuch, die V. subclavia zu punktieren, in der linken A. subclavia eine Läsion mit Blutung entstanden war. Die Läsion wurde direkt verschlossen. Das kardiopulmonale System der Patientin versagte. Eine kontinuierliche EKG-Überwachung zeigte sowohl eine regionale Dyskinesie als auch eine globale Hypokinesie. Die Patientin war weder ausreichend ventiliert (Kohlendioxidspannung 12 kPa) noch ausreichend oxygeniert (Sauerstoffspannung 7,06 kPa). Eine mögliche Erklärung dafür boten verschiedene Einzelfaktoren oder mehrere Faktoren kombiniert.Wir führten neue Kanülen in die V. und A. femoralis der Patientin ein und schlossen sie an einen extrakorporalen Membranoxygenator (ECMO) an. Um sechs Uhr morgens wurde die Patientin nach 9-stündiger Reanimation, Wiedererwärmung und Stabilisierung in die Intensivstation verlegt, wo sie 28 Tage verbrachte und sich mehrere Male in kritischem Zustand befand. Ihr langer Kampf um Genesung hatte erst begonnen. Eine ECMO-Behandlung war fünf Tage lang notwendig. Während dieser Zeit traten mehrere Organfunktionsstörungen auf. Die Patientin erlitt in den ersten 48 Stunden zweimal ein Herzversagen. Im ECMO-System bildeten sich am vierten Tag Gerinnsel. Die kritische Situation konnte glücklicherweise innerhalb ein paar Minuten überwunden werden. Die vorübergehend stark erhöhte Blutungsneigung erforderte die Anwendung von 88 Einheiten Erythrozyten. Die Patientin wies eine Nierenschädigung auf, hatte aber zu keinem Zeitpunkt eine Anurie. Um den Flüssigkeitshaushalt zu regulieren, wurden Transfusionen, parenterale Ernährung und Hämodiafiltration eingesetzt. Das gastrointestinale System litt tagelang unter atrophischer Gastritis, paralytischem Ileus und ischämischer Kolitis mit extensiven Blutungen. Es wurde keine Septikämie festgestellt, aber mehrere hyperdyname Episoden wiesen auf eine Translokation gramnegativer Bakterien hin. Wir begannen eine prophylaktische Antibiotikatherapie und verabreichten eine kontinuierliche Steroidinfusion. Zur Überwachung einer potenziellen Hirnschwellung wurden täglich zerebrale Gefäßdopplermessungen durchgeführt, die eine Störung der zerebralen Autoregulation ergaben. Es gab keinen Hinweis auf einen deutlich erhöhten Hirndruck. Nach dem Absetzen der intravenösen Sedierung war die Patientin mental rege. Sie zeigte die entsprechenden Reaktionen und bewegte spontan drei der vier Extremitäten. Nach einem gescheiterten Extubationsversuch am elften Tag wurde die Patientin tracheotomiert und blieb – teilweise wegen der Critical-Illness-

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Polyneuropathie – 35 Tage lang an das Beatmungsgerät angeschlossen. Sie wurde am 28. Tag mit der Flugambulanz in ihr örtliches Krankenhaus verlegt und kam am 60. Tag auf die Rehabilitationsstation. Wie kann man die Kollegen, die Krankenschwestern, das Personal der verschiedenen involvierten Bereiche und auch sich selbst tage- und wochenlang in einem derartigen Szenario motivieren? Warum sollte es dieses Mal gelingen? Wir hatten es ja bis dahin noch nie geschafft. Ich denke, manchmal muss man an das Unmögliche glauben. In diesem Fall waren es wohl der optimale Abkühlungsmechanismus mit Ganzkörperkühlung und Eiswasseraerosolinhalation und anschließendem Kreislaufstillstand im Gegensatz zu einem warmen hypoxischen Stillstand mit anschließender Abkühlung, die rasche Rettungsaktion und die kontinuierliche, gut ausgeführte CPR. Die Blutprobe bei der Aufnahme war akzeptabel. Die Einrichtungen für eine rasche extrakorporale Wiedererwärmung des Blutes und eine extrakorporale Membranoxygenierung als Herz-Lungen-Unterstützung machten dies möglich. Sehr tief hypotherme Unfallopfer mit Kreislaufstillstand sollten als potenziell reanimierbar mit der Aussicht auf eine vollständige Wiederherstellung betrachtet werden. Diese Patientin wurde erfolgreich behandelt, und zwar nicht nur bis zur Beendigung des kardiopulmonalen Bypasses und des Krankenhausaufenthalts. Sie hat alle Hindernisse überwunden. Bei einer Nachuntersuchung 14 Monate nach dem Unfall war sie bereits 6 Monate wieder als Ärztin tätig. Ihre Hände und Füße sind zwar noch nicht vollständig wiederhergestellt, aber das Wichtigste ist, dass sich die periphere Neuropathie noch immer im Genesungsprozess befindet. Ihr mentaler Status ist exzellent. Sie war bereits wieder auf demselben Berggipfel, um ihrem liebsten Hobby, dem Telemarkskilauf, nachzugehen.. Wir alle wissen, dass eine Triage schwierig ist. Zuverlässige prognostische Indikatoren nach dem Eintauchen in kaltes Wasser sind unklar (5). Die Botschaft an all jene, die bei einem derartigen Rettungseinsatz nötig sind, ist einfach: „Es lohnt sich, für das Leben zu kämpfen.“

L I T E R AT U R (1) Kornberger E., Mair P.: Important aspects in the treatment of severe accidental hypothermia: the Innsbruck experience. J Neurosurg Anesth 8, 83-87 (1996). (2) Bjertnaes L., Vaage J., Almdahl S. M. et al.: Extracorporeal membrane oxygenation (ECMO) as lung or heart assist. Acta Anaesth Scand 40, 293-301 (1996).

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(3) Lloyd E. L.: Accidental hypothermia. Resuscitation 32, 111-24 (1996). (4) Walpoth B. H., Walpoth-Aslan B. N., Mattle H. P. et al.: Outcome of survivors of accidental deep hypothermia and circulatory arrest treated with extracorporeal blood warming. N Engl J Med 337, 1500-05 (1997). (5) Mair P., Kornberger E., Furtwaengler W., Balogh D., Antretter H.: Prognostic markers in patients with severe accidental hypothermia and cardiocirculatory arrest. Resuscitation 27, 47-54 (1994).

Die Autoren verweisen darauf, daß dieser Fallbericht bereits im Lancet publiziert wurde: Gilbert M., Busund R., Skagseth A., Nilsen P. Å., Solbø J. P.: Resuscitation from accidental hypothermia of 13.7 °C with circulatory arrest. Lancet 355, 375-376 (2000).

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Vo l k e r We n z e l , G Ăź n t h e r S u m a n n , Wo l f g a n g S c h o b e r s b e r g e r, E u g e n A d e l s m a y r

Arginin Vasopressin bei der kardiopulmonalen Reanimation mit schwerer Hypothermie nach einem Ertrinkungsunfall: Ein Fallbericht und Analyse der Literatur Arginin Vasopressin during cardiopulmonary resuscitation with severe hypothermia after a near-drowning accident:A case report, and analysis of the literature S U M M A RY We describe the tragic case of a 19-year old women kajaking on a July afternoon who capsized in a creek, was then trapped under water under a log, and subsequently developed during the 15-minute near-drowning phase cardiac arrest with asystole, and severe hypothermia (27 °C). After arrival of the first physician on the scene, the patient was intubated and ventilated, but cardiopulmonary resuscitation (CPR) employing 2 mg epinephrine was unsuccessful, with refractory asystole. Subsequently, the anesthesiologist of a helicopter emergency medical service injected 40 IU of arginine vasopressin (AVP), which resulted into return of spontaneous circulation without defibrillation; the patient was then airlifted to a county hospital. The patient was stabilized in the emergency room, and warmed up on the intensive care unit, which had to be performed by employing massive amounts of blood products, coagulation factors, catecholamines, and AVP to support cardiocirculatory function. The patient died on the morning after the accident because of refractory multiorgan failure. The American Heart Association and the European Resuscitation Council do not recommend administration of any vasopressor when body temperature is < 30 °C. This report demonstrates that AVP may be efficient during hypothermic cardiac arrest, as suggested by several laboratory studies. This also suggests that AVP is especially effective when endogenous catecholamines are high, or if epinephrine was injected prior to AVP administration.Although the present case reports indicates that AVP

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is useful during hypothermic cardiac arrest, a prospective randomized trial is neccessary to further evaluate if AVP should be recommended for routine usage in patients. Keywords: Hypothermic cardiac arrest, vasopressin, epinephrine, cardiopulmonary resuscitation, multorgan failure.

Z U S A M M E N FA S S U N G Wir beschreiben den tragischen Fall einer 19-jährigen Kajakfahrerin, die an einem Julinachmittag nach einer Kenterung in einem Wildbach unter einem Baumstamm unter Wasser eingeklemmt war, und anschließend während der 15-minütigen Beinahe-Ertrinkungsphase einen KreislaufStillstand mit Hypothermie (27 °C) und Asystolie erlitt. Nach Eintreffen des Notarztes wurde die Patientin intubiert und beatmet sowie erfolglos mit 2 mg Adrenalin reanimiert. Anschließend gelang dem eingetroffenen Hubschrauber-Notarzt mit 40 IE Arginin Vasopressin (AVP) die Stabilisierung des Kreislaufs ohne Defibrillation; danach wurde die Patientin in ein Spital geflogen. Die Patientin wurde im Schockraum stabilisiert und auf der Intensivstation aufgewärmt, wobei der Kreislauf mit Blutprodukten, Gerinnungsfaktoren, Katecholaminen und AVP massiv unterstützt werden musste.Am Morgen nach dem Unfalltag verstarb die Patientin im irreversiblen Multiorganversagen. Die American Heart Association und das European Resuscitation Council empfehlen nicht die Applikation von Vasopressoren beim KreislaufStillstand mit einer Körpertemperatur < 30 °C. Dieser Fallbericht demonstriert, dass AVP auch beim hypothermen Kreislauf-Stillstand wirkt, wie es auch in zahlreichen Labor-Untersuchungen gezeigt werden konnte. Möglicherweise beweist dieser Fallbericht auch, dass AVP beim prolongierten Kreislauf-Stillstand besonders gut wirkt, wenn entweder die endogenen Katecholaminspiegel hoch sind oder durch den Notarzt Adrenalin injiziert wurde. Obwohl dieser Fallbericht suggeriert, dass AVP auch im hypothermen Kreislauf-Stillstand gut wirkt, ist eine prospektive klinische Studie notwendig, um die Wirkung von AVP beim hypothermen KreislaufStillstand weiter zu untersuchen, bevor eine allgemeine Empfehlung für den klinischen Einsatz gemacht werden kann. Schlüsselwörter: Hypothermer Kreislauf-Stillstand, Arginin Vasopressin, Adrenalin, kardiopulmonale Reanimation, Multiorganversagen.

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EINLEITUNG Am Nachmittag des 20. Juli 2001 gehen drei Studenten in einem nach einem Gewittersturm Hochwasser führenden Wildbach (6–7 m breit) im Tiroler Unterland Kajak fahren. Eine 19-jährige Frau kentert dabei mit ihrem Kajak, kann sich nicht wieder aufrichten und gerät mit dem Kopf unter Wasser, wobei sie unter einem im Wasser treibenden Baumstamm eingeklemmt wird. Im weiteren Verlauf wird die Kajakfahrerin ca. 500 m flussabwärts abgetrieben, wobei sie ca. 15 Minuten mit dem Kopf unter Wasser bleibt. Anschließend gelingt einem der sie begleitenden Kajakfahrer nach einem beherzten Sprung ins Wasser die junge Dame von dem Baumstamm zu befreien und bringt sie ans Ufer. Der zuerst eintreffende Notarzt findet die Patientin mit einem Kreislauf-Stillstand bei Asystolie, 27 °C Körpertemperatur und weiten lichtstarren Pupillen vor, beginnt unverzüglich mit der kardiopulmonalen Reanimation (CPR) und lässt den Notarzthubschrauber Christophorus 4 alarmieren. Bis zum Eintreffen des Notarzthubschraubers ca. 20 Minuten nach dem Unfall wird die Patientin intubiert, beatmet und erhält über einen periphervenösen Zugang insgesamt 2 mg Suprarenin. Bei Eintreffen des Notarzthubschraubers wird die Patientin reanimiert, hat weiterhin eine Asystolie im EKG sowie weite lichtstarre Pupillen. Der Hubschrauber-Notarzt injiziert insgesamt zweimal 20 IE Arginin Vasopressin (AVP) im Abstand von zwei Minuten, woraufhin die Patientin einen spontanen Sinusrhythmus entwickelt. Die Patientin wird anschließend bei stabilen Kreislaufverhältnissen mit dem Notarzthubschrauber in das Bezirkskrankenhaus St.Johann in Tirol geflogen und dort zur weiteren Intensivtherapie aufgenommen. Bei der Aufnahme im Spital werden die Diagnosen Zustand nach Ertrinkungsunfall mit Kreislauf-Stillstand und CPR, massives Lungenödem, ausgeprägtes Hirnödem, Multiorganversagen (Kreislauf, Leber, Gerinnung), akutes Nierenversagen, Laktatazidose, Hypothermie und Aspiration gestellt. Aufgrund des instabilen Kreislaufs müssen im Schockraum erneut 1 mg Suprarenin und 20 IE AVP injiziert werden.Wesentliche Befunde bei der Aufnahme waren arterieller Blutdruck nach initialer Stabilisierung 140/60, Herzfrequenz 50/min, weite lichtstarre Pupillen, Körpertemperatur 25,9 °C, arterieller pH 6,49, PaCO2 30 mm Hg, PaO2 300 mm Hg, BE –39 und HCO3 2,3. Nach weiterer Stabilisierung wird ein zentralvenöser und arterieller Katheter angelegt sowie ein Blasenkatheter gelegt. Nach der Verlegung auf die Intensivstation am frühen Abend des Unfalltages wird die Patientin langsam aufgewärmt, wobei der Kreislauf aufgrund einer gastrointestinalen Blutung nur mit Katecholaminen,

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einer Infusion mit AVP sowie Transfusion mit 10 Erythrozytenkonzentraten, 12 Frischplasmen und massiver Substitution der Gerinnungsfaktoren (3 g Fibrinogen, 3600 IE Prothromblex und 2000 IE AT3) stabil gehalten werden kann. Am Vormittag nach dem Unfall müssen erneut sieben Erythrozytenkonzentrate, 22 Frischplasmen sowie Gerinnungsfaktoren injiziert werden; eine einsetzende disseminierte intravasale Gerinnung wird mit 5000 IE Heparin therapiert. Ein Kreislauf-Stillstand kann aber nicht verhindert werden.Bei der sich anschließenden CPR kann weder mit pharmakologischen (mehrfache Injektion von Suprarenin, Atropin, Calcium, Natrium-Bikarbonat und AVP) noch mechanischen Maßnahmen ein eigener Kreislauf wiederhergestellt werden; trotz Beatmung mit 100 % Sauerstoff steigt das PaCO2 auf 260 mm Hg. Nach 90 Minuten werden die Reanimationsbemühungen schließlich abgebrochen.

DISKUSSION Der Einsatz von Vasopressoren bei reanimationspflichtigen Patienten mit Hypothermie ist umstritten. Bisher wurde argumentiert, dass die Injektion von Adrenalin bei der hypothermen CPR wirkungslos ist und möglicherweise sogar in eine iatrogene Katecholamin-Intoxikation resultiert. Bei der normothermen CPR konnten β-Rezeptor-vermittelte Nebenwirkungen des Adrenalins, wie zum Beispiel ein erhöhter myokardialer Sauerstoffverbrauch (1), ventrikuläre Rhythmusstörungen (2), VentilationsPerfusions-Störungen (3, 4) sowie Herzversagen in der Postreanimationsphase, nachgewiesen werden. Ferner konnte gezeigt werden, dass durch die Applikation von Adrenalin myokardiale Aktionspotenziale signifikant verkürzt werden, wodurch die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass Re-Entry-Aktionspotenziale auf erregbare Zellen treffen; dadurch kann letztendlich ein Kammerflimmern provoziert oder sogar stabilisiert werden (5). In einer präklinischen Studie konnte normal dosiertes (1 mg) oder hoch dosiertes (10 mg) Adrenalin im Vergleich mit Kochsalz-Placebo das Kurzzeitüberleben nicht verbessern (6). Auch andere große Studien, bei denen normal dosiertes (1 mg) oder hoch dosiertes Adrenalin (5 oder sogar 15 mg) eingesetzt wurde, zeigten keine Verbesserung des CPRErgebnisses durch eine Dosis-Steigerung (7). Im Gegenteil korrelierte die Applikation einer kumulativen Dosis von 4 mg Adrenalin sogar mit einem schlechteren neurologischen Leistungsvermögen, während Patienten, die nur 1 mg Adrenalin erhalten hatten, eine gute neurologische Erholung aufwiesen (8). Aus diesen Erfahrungen muss ernüchtert festgestellt wer42


den, dass Adrenalin trotz einer mittlerweile über 100-jährigen Tradition (9, 10) bei der kardialen Reanimation hinsichtlich seiner Effektivität und seines Nebenwirkungsprofils kritisch beurteilt werden muss (11).Vor diesem Hintergrund stellte ein amerikanischer Wissenschaftler in einem Editorial die berechtigte Frage (12): „Haben wir das adrenerge Pferd so weit geritten, wie es uns tragen kann?“ Aus diesem Grund haben die American Heart Association (13) und das European Resuscitation Council (14) in ihren bisherigen Richtlinien zur CPR Adrenalin bei der kardialen Reanimation eines hypothermen Patienten mit Kreislauf-Stillstand bei einer Körpertemperatur unter 30 °C ausdrücklich nicht empfohlen. In tierexperimentellen CPR-Untersuchungen konnte mit Vasopressin, dem in der Hirnanhangsdrüse gebildeten antidiuretischen Hormon, ein signifikant höherer linksventrikulärer myokardialer und zerebraler Blutfluss nachgewiesen werden als mit der maximal wirksamen Adrenalindosis (15).Weiterhin war bei Schweinen das zerebrale Sauerstoffangebot mit Vasopressin höher als bei einer CPR mit Adrenalin (16).Die gleiche Dosis Vasopressin kann bei der CPR alternativ intravenös, endobronchial (17) oder auch intraossär (18) appliziert werden.Wenn Vasopressin vs.Adrenalin, wie in den internationalen CPR-Richtlinien empfohlen, repetitiv im Tiermodell appliziert wurde, konnte nur die erste Adrenalindosis, aber alle drei Vasopressin-Injektionen den koronaren Perfusionsdruck signifikant steigern (19); ebenso ermöglichte Vasopressin, aber nicht Adrenalin oder Kochsalz-Plazebo, eine komplette neurologische Regeneration nach erfolgreicher CPR (20). In unserem Forschungslabor haben wir gezeigt, dass sowohl Adrenalin als auch AVP bei einer Köpertemperatur von 26 °C bei der CPR den koronaren Perfusionsdruck steigern können; allerdings konnte in diesem Experiment nur ein Überlebensvorteil der Vasopressoren gemeinsam gegenüber Kochsalz-Placebo gezeigt werden (21). Wenn parallel zur CPR die Versuchstiere mit einer thorakalen Lavage aufgewärmt wurden, konnte der Anstieg des koronaren Perfusionsdrucks weiter optimiert werden (22). Diese Erfahrungen suggerieren, dass Vasopressin möglicherweise nützlich sein könnte, um bei einem reanimationspflichtigen hypothermen Patienten zunächst einen Spontankreislauf herzustellen und anschließend mit dem Aufwärmen zu beginnen. Diese Strategie könnte dem Patienten und dem Rettungspersonal eine prolongierte mechanische CPR ersparen. Der vorliegende tragische Fall eines Kajakunfalls ist eine sehr wertvolle Erfahrung, um die tierexperimentellen und klinischen Erfahrungen mit AVP weiter zu verstehen. Interessanterweise konnte bei der Kajakfahrerin mit Kreislauf-Stillstand und Asystolie mit Adrenalin kein Spontan43


kreislauf wiederhergestellt werden, was jedoch mit insgesamt 40 IE AVP sehr schnell gelang. Dieses Phänomen kann man wahrscheinlich am besten mit früheren Beobachtungen erklären, dass bei einer fundamentalen Azidose Adrenalin kaum oder gar nicht mehr wirkt, während die Wirkung von AVP relativ normal bleibt. In einem In-vitro-Modell konnte gezeigt werden, dass bei einer ausgeprägten Azidose AVP einen starken vasopressorischen Effekt besitzt, während die Wirkung der Katecholamine deutlich abgeschwächt war (23). Dies würde darauf hindeuten, dass AVP einen Vorteil bei einem prolongierten Kreislauf-Stillstand mit ausgeprägter Azidose und signifikanter globaler Ischämie haben könnte, wie dies in dem Fall der hier beschriebenen außerklinischen CPR der Fall war. In einem diesem Fallbericht ähnlichen Kreislauf-Stillstands-Modell mit 15 Minuten Kammerflimmern und anschließender pulsloser elektrischer Aktivität fanden wir mit einer eskalierenden Adrenalin-Dosis nur eine schwache Blutdruckreaktion während der CPR, während AVP den Blutfluss in Herz und Gehirn sowie die Überlebenschance signifikant steigern konnte (24). Die neuen internationalen CPR-Empfehlungen der American Heart Association (25) und des European Resuscitation Council (26) empfehlen aufgrund der bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse 40 Einheiten AVP gleichberechtigt mit 1 mg Adrenalin für die CPR von normothermen erwachsenen Patienten mit Kammerflimmern; für eine Erweiterung der Indikation auf Patienten mit Asystolie, pulsloser elektrischer Aktivität oder Hypothermie sowie auf die besondere Patientengruppe der Kinder fehlen derzeit noch klinische Daten. Ohne Zweifel ist dieser Fallbericht eine Einzelbeobachtung; diese Erfahrung ist aber in vollem Einklang mit bisherigen Berichten über AVP im Forschungslabor und aus klinischen Studien mit normothermem Kreislauf-Stillstand (27). Ian G. Stiell et al. haben bei 200 mit Vasopressin oder Adrenalin als initialem Vasopressor reanimierten Patienten in den Krankenhäusern von Ottawa/Kanada vergleichbare Ergebnisse für beide Vasopressoren und keine schweren unerwarteten Ereignisse gefunden (28). Obwohl AVP in der kanadischen Studie bei allen Patienten mit Kammerflimmern, Asystolie und pulsloser elektrischer Aktivität eingesetzt und somit nicht immer entsprechend den neuen internationalen CPR-Richtlinien (die Empfehlung gilt nur für Kammerflimmern, nicht aber für Asystolie und pulslose elektrische Aktivität) appliziert wurde, konnten mit Adrenalin und Vasopressin vergleichbare Resultate erzielt werden – ein Ergebnis, das die Sicherheit und Effektivität von Vasopressin für den Einsatz bei einer Asystolie wie im vorliegenden Fallbericht bestätigt. 44


Wenn im Tiermodell das Intervall des nicht therapierten Kreislauf-Stillstandes vier Minuten betrug und deswegen die Ausprägung der kardialen Ischämie relativ moderat war, erwiesen sich Vasopressin und Adrenalin als äquipotent. Diese experimentelle Beobachtung ist vergleichbar mit den klinischen Ergebnissen der Studie von Stiell et al., wo nach einem Intervall von ca. sechs Minuten Kreislauf-Stillstand die Studienmedikamente injiziert wurden. Die Unterschiede der kanadischen Studie (28) mit innerklinischen Kreislauf-Stillstand-Patienten und einer moderaten Ischämie im Vergleich zu einer deutschen Untersuchung aus dem Ulmer Rettungsdienst (29), die einen Vorteil von AVP zeigte mit außerklinischen Kreislauf-Stillstand-Patienten und einer folglich vergleichsweise stärker ausgeprägten Ischämie, sind offensichtlich [~6 Minuten (28) vs. ~15 Minuten (29) Kreislauf-Stillstand bis zur Applikation der Medikamente]. Es muss aber zusätzlich darauf hingewiesen werden, dass in unserem Fallbericht und in beiden Studien viele Patienten zunächst Vasopressin erhielten und anschließend Adrenalin, was die Frage nach dem Effekt dieser Vasopressoren-Sequenz aufwirft. In einer tierexperimentellen Untersuchung mit einem Asphyxie-Modell (Abklemmung des Endotrachealtubus in Vollnarkose bei Muskelrelaxierung) konnte gezeigt werden, dass die Kombination aus Adrenalin und Vasopressin, nicht aber Vasopressin oder Adrenalin allein, den koronaren Perfusionsdruck während der CPR auf einem hohen Niveau hält, was zu einer deutlich verbesserten Überlebensrate führte (30). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Interaktionen zwischen Adrenalin und Vasopressin mehr voneinander abhängen könnten, als bisher vermutet wurde. In einem Experiment mit vierminütigem Kammerflimmern waren die endogenen Katecholaminspiegel extrem erhöht; anschließend injiziertes Vasopressin konnte den koronaren Perfusionsdruck während der CPR von ~15 auf ~50 mm Hg erhöhen (31). Im Gegensatz dazu wurden in der oben erwähnten Asphyxie-Studie sofort nach Abklemmung des Endotrachealtubus massiv endogene Katecholamine ausgeschüttet, um die kardiozirkulatorische Homöostase bis zum letztendlichen KreislaufZusammenbruch ca. acht Minuten nach Induktion der Asphyxie aufrechtzuerhalten. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die endogenen Adrenalin-Plasmaspiegel ~19 Minuten nach Abklemmen des Endotrachealtubus stark erniedrigt waren, als Vasopressin allein keinen vasopressorischen Effekt erzeugen konnte. Interessanterweise konnte zu diesem Zeitpunkt aber die Kombination aus Vasopressin und Adrenalin den koronaren Perfusionsdruck und somit die Überlebenschance signifikant erhöhen (30).

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Dies deutet darauf hin, dass unter bestimmten Umständen Vasopressin nur dann effektiv wirkt,wenn der Adrenalin-Plasma-Spiegel aufgrund von endogen ausgeschüttetem oder exogen injiziertem Adrenalin erhöht ist. Diese experimentellen Ergebnisse sind dabei in völliger Übereinstimmung mit Beobachtungen an acht in der Klinik reanimierten Patienten, bei denen im Rahmen von ~15–25-minütigen erweiterten Reanimationsmaßnahmen mit ~2–15 mg Adrenalin keine erfolgreiche Defibrillation möglich war; andererseits aber mit 40 Einheiten Vasopressin die Wiederherstellung eines Spontankreislaufs bei allen Patienten sofort gelang (32). Ähnlich wie bei dieser klinischen Studie beobachteten auch Morris et al., dass bei vier von zehn Patienten nach ~45 Minuten erfolgloser CPR mit jeweils ~18 mg Adrenalin ein Spontankreislauf nach Injektion von 1 U/kg Vasopressin wiederhergestellt werden konnte (33).Diese Beobachtungen sind voll übereinstimmend mit unserem Fallbericht, als die initiale Adrenalin-Injektion wirkungslos war; möglicherweise war diese Adrenalin-Injektion dann aber der Schlüssel für den durchschlagenden Erfolg des anschließend injizierten AVP. Daraus kann abgeleitet werden, dass eine Kombination aus Adrenalin und Vasopressin möglicherweise gerade dann besonders effektiv wirkt, wenn die CPR-Dauer prolongiert und/oder die globale Ischämie somit besonders stark ausgeprägt ist. Ein ähnlicher Mechanismus könnte auch die Wirkung einer zur Noradrenalin-Therapie zusätzlich verabreichten Vasopressin-Infusion bei Patienten mit vasodilatorischem Schock erklären, wodurch in vielen Fällen der Kreislauf wieder stabilisiert werden konnte (34,35).Auch in unserem Fallbericht konnte der Kreislauf der Patientin nur mit einer adjuvierenden AVP-Infusion auf der Intensivstation stabilisiert werden. Einige Einschränkungen dieses Fallberichts sollen erwähnt werden. Zwar konnte mit AVP die Kajakfahrerin initial erfolgreich reanimiert werden, aber letztendlich verstarb die Patientin am ersten Tag nach dem Ertrinkungsunfall im irreversiblen Multiorganversagen.Dies bestätigt,dass man in diesem Fall den Kreislauf-Stillstand nicht als isoliertes Problem betrachten darf, sondern als komplexes Bild aus einem Kreislauf-Stillstand bei Hypothermie, Beinahe-Ertrinken mit Aspiration sowie einem Multiorganversagen.Trotzdem könnte dieser Fall ein Anstoß sein, alte Behandlungsdogmata weiter kritisch zu hinterfragen, um die Notfalltherapie weiter zu verbessern. Zusammenfassend kann man sagen, dass die klinischen und tierexperimentellen Erfahrungen mit AVP beim normothermen Kreislauf-Stillstand möglicherweise auch auf den hypothermen Kreislauf-Stillstand übertragbar sind, wie es dieser Fallbericht suggeriert. Ohne Zweifel ist 46


jedoch eine prospektive klinische Studie notwendig, um die Wirkung von AVP beim hypothermen Kreislauf-Stillstand weiter zu untersuchen,bevor eine allgemeine Empfehlung gemacht werden kann.

ANERKENNUNG Unterstützt durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Projekt P14169.

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D i e t m a r F r i e s , E l i s a b e t h K o r n b e r g e r, A n g e l i k a S t a l l i n g e r, Wo l f g a n g S c h o b e r s b e r g e r

Hypothermie und Gerinnung The effect of hypothermia on the coagulation system S U M M A RY A major part of all trauma-victims suffer from hypothermia. In case of traumatic bleeding or a following surgical procedure, hypothermia is associated with coagulation disorders and probably huge blood loss. In-vitro investigations performed at hypothermic temperatures showed prolonged clotting times. Apart the impaired plasmatic side of hemostasis, decreased platelet-count, harmed platelet adhesion and aggregation as well as activated fibrinolysis was found in animal studies. The critical body temperature seems to be between 34 ˚C and 35 ˚C. Below this temperature, the coagulation system was impaired significantly more referring to thrombelastographic measurements and blood loss was significantly higher in trauma patients with a body core temperature below 35 ˚C compared to normothermic patients. Standardised coagulation assays performed at 37 ˚C do not accurately reflect the magnitude of clotting dysfunction in hypothermic patients. Thus, it is not possible to detect the extent of hypothermic coagulation disorders by using the routine laboratory test methods, which are usually not adjusted to the patient’s actual body core temperature. The treatment of a hypothermic coagulation disorder is re-warming in the first line. If huge blood losses cause a dilution or depletion coagulopathy beneath the hypothermic coagulation disorder,fresh frozen plasma and/or clotting factors are indicated. However, also these substitutes have a lower activity at low body core temperatures. Keywords: Hypothermia, trauma, coagulation, fibrinolysis, platelets.

Z U S A M M E N FA S S U N G Hypothermie ist eine Komplikation, welche den Großteil aller Traumapatienten v. a. nach Alpinunfällen und längeren Bergezeiten betrifft. Im Rahmen einer anschließenden operativen Versorgung kann es dann zu

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manifesten Gerinnungsstörungen mit hohen Blutverlusten kommen. Invitro-Untersuchungen konnten zeigen, dass Blutungszeiten, sofern diese temperaturkorrigiert erfolgen, verlängert sind. Neben der plasmatischen Gerinnung ist aber auch die Thrombozytenzahl und deren Funktion beeinträchtigt sowie die fibrinolytische Aktivität erhöht, wie aus tierexperimentellen Daten hervorgeht. Die kritische Körperkerntemperatur bezüglich Gerinnungsstörungen scheint zwischen 34 ˚C und 35 ˚C zu liegen. Ab hier kommt es zu signifikant verlängerten Gerinnselbildungszeiten und verminderten Gerinnselfestigkeiten im Thrombelastogramm sowie zu deutlich erhöhten Blutverlusten im Vergleich zu Patienten mit einer Körperkerntemperatur > 35 ˚C. Im klinischen Alltag ist zu bedenken, dass durch Routinelabormethoden hypothermiebedingte Gerinnungsstörungen nicht nachgewiesen werden können, da diese Messungen in der Regel temperaturkorrigiert erfolgen. Die Behandlung einer hypothermen Koagulopathie ist zunächst kausal. Erst wenn durch hohe Blutverluste bedingt mit einer Verlust- oder Dilutionskoagulopathie zu rechnen ist, sollten Gerinnungsfaktoren oder Frischplasmen substituiert werden, wobei auch hier bedacht werden muss, dass deren Aktivität ebenfalls beim unterkühlten Patienten vermindert ist. Schlüsselwörter: Hypothermia, Trauma, Koagulation, Fibrinolyse, Thrombozyten.

EINLEITUNG Die Primärversorgung eines polytraumatisierten Patienten in der Notaufnahme wird nicht selten durch dessen Unterkühlung erschwert. Hypothermie besteht unter einer Körperkerntemperatur von 35 ˚C. Neben Kältediurese (Verdoppelung der Diurese ab 32 ˚C), bradykarden Rhythmusstörungen, erhöhter Flimmerbereitschaft des Herzens, EKG-Veränderungen (QRS-Verbreiterung, PQ-Verlängerung, ST-Hebung, T-Inversion), Linksverschiebung der O2-Bindungskurve, Veränderungen des Säure-Basen-Haushaltes, einer Glukoseverwertungsstörung und einem Anstieg der Blutviskosität ist beim hypothermen Patienten mit Gerinnungsstörungen zu rechnen. Die Ursache posttraumatischer Hypothermie ist multifaktoriell. Durch Immobilisation, ebenso wie durch Entkleidung bei der Untersuchung des Patienten und Infusion von nicht gewärmten kristalloiden oder kolloidalen Volumenersatzlösungen kommt es zu einem gesteigerten Wärmeverlust. Darüber hinaus führt ein Trauma nicht selten zu einer gestörten Ther-

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mogenese, insbesondere beim Kreislaufversagen (1). Treten bei Traumapatienten innerhalb der ersten 24 Stunden zusätzlich schwere Gerinnungsstörungen auf, korreliert dies mit einer hohen Mortalität. Der „bloody vicious cycle“ charakterisiert die dazu prädisponierenden Faktoren wie persistierende Hypothermie, progressive metabolische Azidose und Gerinnungsstörung (2). Cosgriff et al. (1997) zeigten in einer prospektiven Arbeit an 58 Traumapatienten (ISS > 25), dass die Kombination von Hypotonie/Schock (systolischer Blutdruck < 70 mmHg), metabolischer Azidose (pH < 7,1) und Hypothermie (Körperkerntemperatur < 34 ˚C) in 98 % aller Fälle mit einer lebensbedrohlichen Gerinnungsstörung assoziiert war. Das Fehlen einer Hypothermie führte im Falle eines Schocks nur in 39 % der Fälle und beim Vorhandensein einer metabolischen Azidose in nur 58 % aller untersuchten Fälle zu einer gefährlichen Gerinnungsstörung (3). Eine weitere Untersuchung an 45 Traumapatienten, die eine Massivtransfusion erhielten, wies ebenfalls auf die Bedeutung der Körperkerntemperatur hin. 80 % aller verstorbenen Patienten zeigten eine schwere Unterkühlung mit einer Körperkerntemperatur unter 34 ˚C, während bei den überlebenden Patienten nur in 36 % der Fälle eine schwere Hypothermie auftrat. Die Kombination von Hypothermie und Azidose führte auch hier trotz ausreichendem Blut-, Plasmaund Thrombozytenersatz zu schweren Blutverlusten (4). Die Hämostase wird im Wesentlichen durch die Interaktion zwischen Endothelzelle, Thrombozyten, plasmatischer Gerinnung und Fibrinolyse gewährleistet. Es entsteht ein Gleichgewicht zwischen Gerinnselbildung und Gerinnselabbau.

DIE ENDOTHELZELLE Endothelzellen sind genauso wie Thrombozyten elektrisch negativ geladen. Das intakte Endothel verhindert so den Kontakt von subendothelialen Strukturen mit Thrombozyten. Darüber hinaus bildet das Endothel Substanzen wie Prostaglandin I2 (PGI2), was neben einer vasodilatierenden Wirkung auch die Thrombozytenaggregation hemmt. Des Weiteren wirkt endotheliales Antithrombin III hemmend auf die plasmatische Gerinnung. Die Freisetzung von Gewebsplasminogen (t-PA) hat eine fibrinolytische Wirkung. Bei einer Endothelverletzung tritt allerdings die prokoagulatorische Komponente in den Vordergrund. Es kommt zum Kontakt mit subendothelialem Kollagen sowie zur Freisetzung von Gewebsthromboplastinen, was zur Aktivierung der plasmatischen Gerinnung führt. Die Thrombozyten werden durch Thromboxan (TXA2) und 53


plättchenaktivierendem Faktor (PAF) aktiviert, die Fibrinolyse durch Plasminogenaktivator-Inhibitor (PAI) gehemmt.

D I E P L A S M AT I S C H E G E R I N N U N G Die Kaskade der plasmatischen Gerinnung (Abb. 1) ist eine Kette enzymatischer Reaktionen, an deren Ende die Fibrinpolymerisation steht. Thrombin ist das zentrale Gerinnungsenzym, dessen Bildung durch das exogene und endogene Gerinnungssystem geregelt wird. Das exogene System wird durch Gewebsthromboplastine aus verletzten Endothelien in Gang gesetzt, was zur Aktivierung von Faktor VII führt. Der endogene Teil wird durch Kontakt mit Fremdoberflächen wie Kollagen gestartet, was die Aktivierung von Faktor XII, XI und Faktor IX bedingt. Beide Systeme münden in der Aktivierung von Faktor X zu Xa, der Prothrombin (Faktor II) zu Thrombin (Faktor IIa) proteolytisch spaltet. Thrombin spaltet Fibrinogen zu Fibrin, was durch Faktor XIII stabilisiert wird. Da diese enzymatischen Reaktionen temperaturabhängig verlaufen, ist klar, dass ein Temperaturabfall eine Verlangsamung der Gerinnungsaktivierung bedingt.

Die plasmatische Gerinnung Endogenes System Fremdoberflächenkontakt

F XII

Exogenes System Gewebeverletzung Gewebsthromboplastin(FIII)-Freisetzung

F XIIa F XI

FX

F XIa

F IX F VIII

F IXa

F VIIa

F VII

Ca2+ PL

F VIIIa

F XIII Ca2+ PL

F II Prothrombin

Ca2+

F IIa Thrombin

F XIIIa Ca2+

FI Fibrinogen

Fibrinmonomer

Abb. 1: Kaskade der plasmatischen Gerinnung

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Fibrinspolymer

Fibrinipolymer

instabil

stabil


D I E P R I M Ä R E H Ä M O S TA S E Die Thrombozytenaktivierung und Aggregation wird in die reversible Thrombozytenadhäsion und die irreversible Aggregation unterteilt. Zwei Vorgänge, die zeitlich betrachtet nebeneinander ablaufen. Bei der Adhäsion (Abb. 2) bindet GpIb/V/IX (Rezeptor an der Thrombozytenmembran) den von Willebrand-Faktor (vWF). Dieser Komplex bremst die Plättchen ab und hält sie an der Oberfläche klettverschlussartig fest. Der Aktivierungsprozess kann jetzt gestartet werden. Die Thrombozyten bekommen nun eine kugelige Form mit stachelartigen Fortsätzen. Die alpha-Granula werden freigesetzt, die u. a. PF4, beta-Thromboglobulin, Albumin sowie Faktor V und Faktor VIII enthalten. Vasokonstriktorische Substanzen (Serotonin, ADP, Catecholamine) verursachen einen kurzfristigen Vasospasmus. Praktisch gleichzeitig wird die irreversible Thrombozytenaggregation eingeleitet. Thrombin, Kollagen, Adenosindiphosphat (ADP) sowie plättchenaktivierender Faktor (PAF) aktivieren Phospholipase C (PLP C), welche Phosphatidylinositolbiphosphat (PIP2) zu Inositoltrisphosphat (IP3) spaltet. IP3 mobilisiert Calcium aus dem Dense-Tubuli-System, was wiederum Phospholipase 2 (PLP2) aktiviert. PLP2 erhöht die Freisetzung von Arachidonsäure aus der Phospholipidmembran der Thrombozyten. Cyclooxygenase oxidiert Arachidonsäure zu Prostaglandin G2 und H2, was durch Thromboxansynthetase zu Thromboxan wird. Thromboxan ist ein wichtiger Plättchenagonist, der u.a. die Aktivierung weiterer Plättchen triggert.

Primäre Hämostase

α-Granula mit Inhalt:

Thrombozyt mit Inhaltsstoffen

PF4, ADP, etc.

Bindung von vWF an den PPIb/V/IX Rezeptor

Endothel mit Defekt

Subendotheliales Bindegewebe (Kollagen (Kollagen) Kollagen)

Abb. 2: Abläufe bei der primären Hämostase

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F I B R I N O LY S E Um eine überschießende Gerinnung mit der Folge einer möglichen Thrombose oder einer Thromboembolie zu verhindern, können freie Fibringerinnsel durch Plasmin wieder gespalten werden (Abb. 3). Plasmin entsteht aus Plasminogen, welches ebenso wie die plasmatische Gerinnung exogen und endogen aktiviert wird. Die exogene Aktivierung des Plasmins erfolgt durch Freisetzung von Gewebsplasminogenaktivator (t-PA) aus den Endothelzellen, die endogene Aktivierung über Faktor XIIa, XIa und Präkallikrein. Frei zirkulierendes Plasmin wird wiederum durch im Überschuss frei zirkulierende Inhibitoren inaktiviert, um die Plasminwirkung nur am Ort bereits ablaufender Gerinnselbildung zuzulassen.

D I E F O L G E N D E R H Y P O T H E R M I E A U F D I E H Ä M O S TA S E In mehreren In-vitro-Studien konnte gezeigt werden, dass die Gerinnungskaskade temperaturabhängig ist. Eine Untersuchung, die erstmals temperaturkorrigierte Analysen einsetzte,ergab,dass die partielle Thromboplastinzeit (pTT),die Prothrombinzeit (PT) und die Thrombinzeit (TZ) in humanem Plasma bei Temperaturen unter 35 ˚C verlängert sind (5). Rohrer et al. kühlten Blut gesunder Probanden bis zu 28 ˚C und untersuchten ebenfalls pTT und PT. Sie konnten ebenfalls eine signifikante

Fibrinolyse Gerinnungsaktivierung

Thrombin Fibrino-Peptide A+B Fibrinogen

FibrinFibrin-Monomere

FSP

FSP

Plasmin

Fibrinolyseaktivierung

Abb. 3: Das fibrinolytische System

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Fibrin s FSP

Fibrin i FSP D-Dimere


Abnahme der Gerinnselbildungszeiten dokumentieren (6). Eine Reduktion der Aktivität von Faktor II, V, VII und XII um durchschnittlich 50 % wiesen Johnston et al. (1994) ab einer Temperatur von 33 ˚C nach (7). In den hier angeführten Studien wurde Plasma auf die zu untersuchende Temperatur gekühlt und temperaturkorrigiert untersucht. Des Weiteren konnte experimentell gezeigt werden, dass Hypothermie die Adhäsionsund Aggregationsfähigkeit sowie die Thromboxanbildung der Thrombozyten hemmt. Diese Effekte waren bei Wiedererwärmung reversibel (8). Einschränkung dieser In-vitro-Untersuchungen ist jedoch, dass komplexe Interaktionen zwischen plasmatischer Gerinnung, Thrombozyten und Gefäßwand außer Acht gelassen wurden. Des Weiteren können diese Modelle die Hypothermie bedingten Funktionsänderungen wichtiger Organe, wie z. B. der Leber, nicht berücksichtigen. Die Leber produziert nicht nur Gerinnungsfaktoren, sondern eliminiert auch aktivierte Gerinnungsfaktoren. Da die In-vivo-Situation wesentlich komplizierter als die hier dargestellten In-vitro-Untersuchungen beschreiben, sind Rückschlüsse auf die In-vivo-Situation nur eingeschränkt möglich. Im Tierexperiment wurden darüber hinaus die Folgen der Hypothermie auf das fibrinolytische System untersucht. Die Ergebnisse der tierexperimentellen Untersuchungen sind jedoch nicht so homogen wie die o. g. Invitro-Daten: In einer Arbeit an Pavianen konnte gezeigt werden, dass eine Reduktion der Hauttemperatur an den Armen auf 27 ˚C zu einer Verdoppelung der Blutungszeit führte. Ursächlich wurde von den Autoren eine Plättchenfunktionsstörung angenommen, da auch die Thromboxan-B2-Produktion deutlich reduziert war (9). Eine Abnahme der Thrombozytenzahl wurde hier im Gegensatz zu den Ergebnissen von Yoshihara et al. (1985) nicht gefunden. Yoshihara et al. kühlten Hunde auf 20 ˚C ab, wobei neben der Reduktion der Thrombozyten auch eine herabgesetzte Thrombozytenaggregationsfähigkeit dokumentiert wurde. Außerdem fanden die Autoren eine gesteigerte fibrinolytische Aktivität, welche mit abnehmender Körperkerntemperatur anstieg und ihr Maximum in der frühen Wiedererwärmungsphase bei 30 ˚C Körperkerntemperatur erreichte. PT, pTT und Antithrombin 3 blieben jedoch unverändert (10). Staab et al. (1994) fanden bei der Kühlung von Meerschweinchen von 40 ˚C auf 34 ˚C weder eine statistisch signifikante Abnahme der Thrombozytenzahl noch deren Funktion. Interessanterweise wurde jedoch eine Verlängerung der Blutungszeit im Rahmen der Kühlungsphase dokumentiert, wobei die maximale Verlängerung der Blutungszeit erst in der Wiedererwärmungsphase bei 37 ˚C gemessen wurde (11). 57


Hypothermie bedingte Veränderungen der Gerinnungstests sind jedoch nur messbar, sofern die Testtemperatur der Körpertemperatur angeglichen wird, wie in einem Modell an Ratten gezeigt wurde. Die Tiere wurden bis auf 25 ˚C abgekühlt.Verlängerungen der PT, PTT und TT (Thrombinzeit) konnten nur gemessen werden,sofern der Test der jeweiligen Körpertemperatur angeglichen wurde (12). Die hier gezeigten In-vitro- und tierexperimentellen Daten zeigen, dass Hypothermie die plasmatische Gerinnung, die Thrombozytenzahl und Funktion sowie die fibrinolytische Aktivität negativ beeinflusst. Dass diese Ergebnisse auch von klinischer Bedeutung sind, konnte in folgenden In-vivo-Studien nachgewiesen werden: Michelson et al. zeigten, dass die Kühlung eines Unterarmes in vivo bis zu 22 ˚C zu einer Hemmung der Plättchenadhäsion und Aggregation führten, die Thromboxan-A2-Synthese reduziert und die Blutungszeit verlängerte (8). In einer prospektiven Untersuchung an 112 Traumapatienten, wobei 40 normotherm und 72 hypotherm waren, untersuchten Watts et al. (1998) die Hämostase mittels Thrombelastographie und Standardlabormethoden (PT, PTT und Thrombozytenzahl). Eine Köpertemperatur unter 34 ˚C wurde in dieser Arbeit als kritisch betrachtet, da es hier zu einer signifikanten Verlängerung der Gerinnselbildungszeit (k-Zeit) und Gerinnselfestigkeit (Maximalamplitude) im Thrombelastogramm kam. PT und PTT unterschieden sich innerhalb der beiden Gruppe nicht. Eine Steigerung der fibrinolytischen Aktivität, wie sie tierexperimentell nachgewiesen wurde, konnte nicht gefunden werden. Bezüglich der Thrombozytenzahl wurde lediglich eine tendenzielle (nicht signifikante) Abnahme bei den hypothermen Traumapatienten gefunden (13). In einer retrospektiven Datenanalyse wurde eine Korrelation zwischen Körperkerntemperatur sowie Blutverlust und Mortalität nach penetrierenden Bauchverletzungen mit anschließender Laparatomie bei 122 Patienten gefunden. Nicht das Ausmaß der Bauchverletzung, sondern die Temperatur des Patienten korrelierte mit dem gefundenem Blutverlust. Patienten mit einer Körperkerntemperatur > 35 ˚C hatten einen signifikant niedrigeren Blutverlust als die Patientengruppe mit einer Körpertemperatur von 33 ˚C bis 35 ˚C (540 + 580 ml versus 1820 + 1160 ml). Die Autoren folgerten, dass Hypothermie den zu erwartenden Blutverlust unabhängig vom Ausmaß der Verletzung steigert (14). In einer anderen Arbeit wiesen Patienten mit Hüftprothesenersatz bereits bei milder Hypothermie von 35 ˚C einen erhöhten intra- und postoperativen Blutverlust sowie einen erhöhten Transfusionsbedarf von allogenen Erythrozytenkonzentraten auf (15). 58


Ebenso wie die In-vitro- oder tierexperimentellen Daten lassen auch die hier zitierten In-vivo-Ergebnisse nur bedingt Rückschlüsse auf die Folgen der Hypothermie zu. Verdünnungskoagulopathie im Rahmen einer Infusionstherapie oder eine Verbrauchskoagulopathie durch schwere Blutungen mit Massivtransfusion können die Folgen der Hypothermie verschleiern, da diese per se einen Eingriff in das Gerinnungssystem verursachen.Zusammenfassend kann jedoch festgehalten werden,dass hypotherme Blutgerinnungszeiten, sofern sie temperaturkorrigiert gemessen werden, verlängert sind. Es sollte jedoch bedacht werden, dass Testsysteme in der Regel auf eine Standardtherapie von 37 ˚C ausgerichtet sind. Damit lassen die derzeitigen klinischen Gerinnungstests lediglich einen Rückschluss auf einen Mangel an Gerinnungsfaktoren zu. Temperatureffekte bleiben somit im konventionellen Labor unerkannt.

THERAPEUTISCHE KONSEQUENZ Da die negativen Auswirkungen der Hypothermie auf die plasmatische Gerinnung sowie auf die Thrombozytenfunktion reversibel sind und kein Mangel an Gerinnungsfaktoren,sondern eine Verlangsamung deren enzymatischen Aktivität sowie eine reversible Thrombozytenfunktionsstörung vorliegt, besteht die therapeutische Konsequenz in der Wiedererwärmung des hypothermen Patienten. In der Praxis muss jedoch bedacht werden, dass die Gerinnung des polytraumatisierten Patienten nicht alleine durch die Unterkühlung beeinträchtigt wird. Hohe Blutverluste, Schock,Azidose, Dilution, extrakorporale Kreisläufe etc. sind andere, nicht weniger wichtige Einflussgrößen auf die Hämostase, deren Auswirkungen der Intensivmediziner kompensieren muss. Azidose scheint mit dem Auftreten von Gerinnungsstörungen zu korrelieren. Das Ausmaß dieser Gerinnungsstörung ist durch Infusion von Thrombozytenkonzentraten und Frischplasmen kaum beeinflussbar und durch hohe Mortalität gekennzeichnet (3, 4). Dilution und Hypothermie üben einen additiven, voneinander jedoch unabhängigen Effekt auf die Hämostase aus (16). Besteht bereits neben der Hypothermie eine blutungs- oder dilutionsbedingte Koagulopathie, welche durch die erniedrigte Körpertemperatur eggreviert wird, lässt sich der Einsatz von Einzelfaktoren oder Frischplasmen in der klinischen Praxis oft nicht umgehen. Neuere tierexperimentelle Daten bei hypothermen Schweinen mit Leberverletzung zeigten, dass die Gabe von rekombinantem Faktor VII (rFVII) den Blutverlust reduzierte (17). Der Erfolg der Gerinnungstherapie mittels Substitution von Einzelfaktorenpräparaten, Frischplasmen

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oder Thrombozytenkonzentraten hängt letztendlich von der Wiedererwärmung des hypothermen Patienten ab, da auch diese Präparate in ihrer Aktivität beim unterkühlten Patienten gemindert sind. Somit ist und bleibt die hypotherme Koagulopathie ein nicht zu unterschätzendes Problem in der Versorgung von traumatisierten Patienten, sei es beim Lawinenunfall im Speziellen oder beim Alpinunfall im Allgemeinen.

L I T E R AT U R (1) Stoner H. B.: Studies of the mechanism of shock: the impairment of thermoregulation by trauma. Br J Exp Pathol 50:138-145 (1969). (2) Kashuk J. L., Moore E. E., Milikan J. S.: Major vascular abdominal vascular trauma: a unified approach. J Trauma 22:672 (1982). (3) Cosgriff N., Moore E. E., Sauaia A., Kenny-Moynihan M., Burch J. M., Galloway B.: Predicting life-threatening coagulopathy in the massivly transfused patient: hypothermia and acidosis revisited. J Trauma 42: 857-862 (1997). (4) Ferrara A., Mc Arthur J. D., Wright H. K., Modlin I. M., Mc Millen M. A.: Hypothermia and acidosis worsen coagulopathy in the patient requiring massive transfusion. Am J Surg 160:515-518 (1990). (5) Reed R. L., Bracey A. W., Hudson J. D., Miller T. A., Fischer R. P.: Dissociation between enzyme activity and clotting factor levels. Circ Shock 32:141-152 (1990). (6) Rohrer M., Natale A.: Effect of hypothermia on the coagulation cascade. Critical Care Medicine 20/10:1402-1405 (1992). (7) Johnston T., Chen Y., Reed R.: Functional equivalence of hypothermia to specific clotting factor deficiencies. The Journal of Trauma 37:413-417 (1994). (8) Michelson A., Mac Gregor H., Barnard M., Kestin A., Rohrer M., Valeri C.:Reversible inhibition of human platelet activation by hypothermia in vivo and in vitro. Thromb and Haemost 71/5:633-640 (1994). (9) Valeri C., Cassidy G., Kuhri S., Hollace F., Ragino G., Altschule M.: Hypothermia induced platelet dysfunction. Ann Surg 205:175-181 (1986).

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(10) Yoshihara H., Takatoshi Y., Hisashi M.: Changes in coagulation and fibrinolysis in dogs during hypothermia. Thrombosis Research 37/4:503-512 (1984). (11) Staab D. B., Sorensen V. J., Fath J. J., Raman S.B., Horst H. M.: Coagulation defects resulting from ambient temperature-induced hypothermia. J Trauma 36:634-638 (1994). (12) Reed L., Johnston T., Hudson J., Fischer R.: The disparity between hypothermic coagulopathy and clotting studies. J Trauma 33/3:465470 (1992). (13) Watts D. D., Trask A., Soeken K., Perdue P., Dols S., Kaufmann C.: Hypothermic coagulopathy in trauma: effect of varying levels of hypothermia on enzyme speed, platelet function and fibrinolytic activity. J Trauma 44/5:846854 (1998). (14) Bernabei A., Levison M., Bender J.: The effects of hypothermia and injury severity on blood loss during trauma laparatomy. J Trauma 33/6:835-839 (1992). (15) Schmied H., Kurz A., Sessler D., Kozek S., Reiter A.: Mild hypothermia increases blood loss and transfusion requirements during total hip athroplasty. Lancet 347:289-292 (1996). (16) Gubler K. D., Gentilello L. M., Hassantash S. A., Maier R. V.: The impact of hypothermia on dilutional coagulopathy. J Trauma 36/6:847-851 (1994). (17) Martinowitz U., Holcomb J. B., Pusateri A. E., Stein M., Onaca N., Freidmann M., Macaitis J. M., Castel D., Hedner U., Hess J. R.: Intravenous rFVIIa administration for hemorrhage control in hypothermic coagulopathic swine with grade V liver injuries. J Trauma 50:721729 (2001).

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B e a t H . Wa l p o t h

Bedürfnis für ein internationales Register betreffend akzidentelle tiefe Hypothermie Implication of treatment and outcome of survivors of accidental deep hypothermia: the need for a hypothermia registry

S U M M A RY Transient mild hypothermia (body temperature 35–32 °C) is common and usually without consequences for the brain or other organs. However, prolonged deep hypothermia due to accidents is rare and usually associated with premature death. However, a few people survive and can be resuscitated with appropriate means in due time. The degree of hypothermia, the exposure time and type of accident may vary but longterm survival rates without sequellae of 47 % have been reported. Previous reports have been based mainly on case reports with successful therapy of survival patients whereas the negative outcomes have not been reported. Larger epidemiologic studies have proposed outcome score models for facilitating triage and decision making. In an effort to gain more information on the severity of sequellae and outcome of deep hypothermia victims, we propose to start an international registry. The data of this registry shall be collected worldwide using the internet as a common database for entry and retrival of the accumulated scientific data.The registry should collect important information on body temperature, exposure time, type of accident, environmental factors and concomitant injuries. In addition, rescue modalities, prehospital treatment, hospital rewarming methods and patients’ outcome data should be included. This registry shall be directed by an international working group which will be responsible for data safety and data analysis as well as preparing guidelines for prevention, rescue treatment and follow-up of these patients. Keywords: hypothermia, accidental hypothermia, mountain medicine, registry.

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Z U S A M M E N FA S S U N G Eine transiente milde Hypothermie (Körperkerntemperatur 35–32 °C) ist häufig und hat selten negative Auswirkungen auf Hirn und andere Organe. Andererseits ist eine verlängerte tiefe Hypothermie selten und führt meist zu bleibenden Schäden oder sogar zum Tod. Jedoch können Einzelfälle mit den geeigneten Methoden erfolgreich reanimiert werden. Obwohl der Grad der Hypothermie, die Länge der Kälteexposition und der Unfallhergang unterschiedlich sein können, sind Langzeitüberlebensraten ohne gesundheitliche Einschränkungen von 47 % beschrieben worden. In der Literatur werden meistens Fallbeispiele von erfolgreichen Aufwärmungen berichtet, demgegenüber wird über Patienten mit einem letalen Verlauf meistens nicht berichtet. Des Weiteren fehlen epidemiologische Studien, um eine Verbesserung der Diagnostik und Behandlung von Hypothermiefällen zu verifizieren. Wir wollen ein internationales Register von Patienten mit tiefer Unterkühlung ins Leben rufen, um weltweit Daten von solchen Patienten auf einer internetbasierenden Datenbank zu sammeln. Dies, um mehr wissenschaftliche Informationen über Diagnostik und Behandlung von Patienten mit tiefer Hypothermie zu gewinnen. Klinisch relevante Variablen wie z. B. Körperkerntemperatur, Lebenszeichen, Expositionszeit, klimatische Faktoren oder auch Bergungsmethoden,Wiederbelebungsmaßnahmen am Unfallort und im Spital sowie auch der Langzeitverlauf von solchen Patienten sollten untersucht werden. Dieses Register sollte von einer internationalen Arbeitsgruppe betreut werden, welche verantwortlich ist für die Sicherheit der Patientendaten und deren Analyse. Zusätzlich wird erwartet, dass diese Working Group Richtlinien für die Prävention, Rettung und Behandlung von Patienten mit tiefer Hypothermie erstellt. Schlüsselwörter: Hypothermie, akzidentielle Hypothermie, Bergmedizin, Register.

EINLEITUNG Eine milde akzidentelle Hypothermie (Temperaturen 35–32 °C) ist häufig und hat keine schwerwiegenden medizinischen Konsequenzen für den Betroffenen. Demgegenüber sind Patienten, welche einer tiefen akzidentellen Hypothermie ausgesetzt sind, oft in einer lebensbedrohlichen

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Situation. Dieser Zustand ist zum Glück sehr selten. Trotzdem konnten einige solcher Hypothermieopfer dank moderner Aufwärmmethoden wie die extrakorporelle Zirkulation wiederbelebt werden. Trotz unterschiedlichen Temperaturen,Hypothermiezeiten oder Art des Ereignisses ist eine Langzeitüberlebenschance von 47 % publiziert worden (1). Häufig findet man in der Literatur Publikationen über Patienten, welche überlebt haben. Leider werden Fallbeispiele mit einem letalen Ausgang meist nicht publiziert und dadurch auch nicht registriert. Dazu kommt, dass auf diesem Gebiet keine größeren Serien oder epidemiologischen Studien durchgeführt wurden. Die Analyse jedes einzelnen Falles wäre wichtig, um eine größere Erfahrung mit der Diagnostik und Behandlung solcher Patienten zu sammeln, sodass Richtlinien für dieses Spezialgebiet ausgearbeitet werden könnten (2). Um solche Daten von Hypothermieopfern zu gewinnen, möchten wir ein internationales Register aufbauen. Die einzelnen Angaben würden in einer großen, zentralen, internetbasierten Datenbank aufgenommen und allen beteiligten Institutionen zugänglich gemacht. Verschiedene Daten müssten erfasst werden, so zum Beispiel zentrale Körpertemperatur, Expositionszeit, Art des Unfallherganges, Begleitverletzungen sowie auch externe Faktoren wie die meteorologischen Verhältnisse.Dazu kommt die Erfassung der behandelnden und reanimatorischen Maßnahmen sowohl vor wie auch während und nach der Hospitalisation. Wichtig ist auch, die Patienten nach erfolgreicher Erwärmung gemeinsam mit den Hausärzten weiter zu betreuen. Eine internationale Arbeitsgruppe wird sich um die Sicherheit und Analyse dieser Daten kümmern. Nach Auswertung der Daten kann die Working Group Guidelines erarbeiten, um die Prävention, die Rettung und die Behandlung zu verbessern.

FA L L B E I S P I E L E I N E S T I E F E N H Y P O T H E R M I E O P F E R S M I T H E R Z - K R E I S L A U F - S T I L L S TA N D Ein routinierter 25-jähriger Alpinist verließ mit seiner 4er-Seilschaft frühmorgens eine Berghütte in einer Höhe von mehr als 3.500 m für eine Besteigung von über 4.500 m. Kurz nach dem Verlassen der Berghütte bemerkte er, dass er seine Sonnenbrille vergessen hatte und meldete seinen Kollegen, dass er zurückgehen und später ihren Spuren folgen würde.Leider brach bei der dritten Überquerung die Schneebrücke über einer Gletscherspalte ein und der Alpinist fiel in eine Tiefe von 42 m. In dieser Tiefe war er im Eis eingeklemmt, hatte sich aber glücklicherweise keine

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Abb. 1

Abb. 2

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schweren Begleitverletzungen zugezogen. Nach einer Stunde entschlossen sich seine Kameraden zurückzugehen und sie fanden die Unfallstelle. Da eine Schönwetterperiode herrschte, konnte ein erster Rettungshelikopter mit einem mitfliegenden Bergmediziner eine halbe Stunde nach Alarmierung am Unfallort sein. Mit einem speziellen Mikrophon, welches in die Gletscherspalte hinuntergelassen wurde, konnte mit dem Verunfallten Kontakt aufgenommen werden. Er antwortete adäquat. Wegen der engen Verhältnisse und der extremen Tiefe des Verunfallten gestaltete sich die Bergung als sehr schwierig. Ein zweiter Helikopter brachte einen Kompressor, um das Eis um den Verunfallten zu brechen. Somit dauerte die gesamte Bergung über 6 Stunden. Lebenszeichen des Verunfallten im Sinne von Atmung und Stöhnen konnten bis 30 Minuten vor der definitiven Bergung wahrgenommen werden. Nach der erfolgten Bergung ist ein kardiorespiratorischer Stillstand mit einer tiefen Hypothermie diagnostiziert worden. Der Patient wurde auf der Stelle intubiert und reanimiert (Abb. 1). Man entschloss sich, den Patienten in ein Regionalspital zu fliegen, um eine Aufwärmungsbehandlung zu beginnen. Bei Ankunft im Spital zeigten sich keine Lebenszeichen mehr, ein Kammerflimmern und eine rektale Temperatur von 18,3 °C. Ein Defibrillationsversuch sowie ein Versuch, ihn aufzuwärmen, waren erfolglos. Man entschloss sich, den Patienten in die Universitätsklinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie in Bern zur extrakorporellen Aufwärmung zu fliegen. Die Zwischenlandung und Behandlung im Regionalspital haben wertvolle Zeit (mehr als eine Stunde) in Anspruch genommen, sodass der Patient eine totale Ischämiezeit von 4 Stunden aufwies. Bei Ankunft in der Universitätsklinik brachten wir den Patienten ohne jegliche zusätzliche Untersuchung direkt in den Operationssaal zwecks Aufwärmung.Vor dem Aufwärmen war die rektale Temperatur 17,5 °C. Die Routineblutentnahmen waren im Normbereich. Die ECC-Aufwärmung, um eine rektale Temperatur von mehr als 36 °C zu erreichen, dauerte zwei Stunden. Eine Elektrokonversion des Kammerflimmerns ergab einen Knoten, dann einen Sinusrhythmus bei einer Temperatur von 29 °C. Während der Aufwärmphase entwickelte sich ein fulminantes, schweres Lungenödem, welches sich über 6 1/2 Tage Intubation mit ARDS komplizierte (Abb. 2). In der postoperativen Phase traten verschiedene schwerwiegende medizinische Probleme auf, so zum Beispiel eine Anurie, welche drei Hämodialyse-Sitzungen erforderte. Gravierender waren die neurologischen Probleme wie eine Ataxie, Apraxie und eine psychoneurologische Labilität. Der Patient konnte nach 11 Tagen aus unserer Intensivbehandlung entlassen werden und ins Weiterbehandlungs- und Rehabilitationszen67


trum in seinem Land überführt werden. Zu diesem Zeitpunkt wies der Patient schwerste neurologische Ausfälle auf, wie die Unmöglichkeit zu gehen und zu sprechen (Ataxie und Aphasie). Sechs Jahre später, anlässlich der Nachkontrolle, hatte der Patient dank Rehabilitation und autogenem Training wieder das Gehen und Sprechen erlernt. Er hat in der Zwischenzeit wieder seine Funktion als verantwortlicher Ingenieur einer großen Firma aufgenommen. Anlässlich einer Multicenter Schweizer Studie haben wir 15 Patienten nach tiefer Hypothermie und Herz-Kreislauf-Stillstand untersucht und später nachkontrolliert. Die Daten sind im New England Journal of Medicine (NEJM 97; 337: 1500-1505) publiziert. Anlässlich dieser Nachkontrolle, die im Durchschnitt sechs Jahre nach dem Unfall erfolgte, zeigte sich, dass alle 15 Patienten gänzlich wiederhergestellt und in ihrem familiären und beruflichen Umfeld voll reintegriert waren. Darüber hinaus benötigte keiner eine medizinische Behandlung. Bei unserem Patienten hat sich nur im Rahmen der neurologischen Untersuchung eine minimale Abnormität der linken Hand (Diadochokinese) und eine minimale Ataxie (Tandem-Walking-Test) gezeigt. Die Doppler-Duplex-Sonographie

Abb. 3

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der extrakraniellen Gefäße wie auch das Elektroenzephalogramm waren normal. Eine cerebelläre Atrophie (Abb. 3) wurde in der MR-Untersuchung festgestellt. Trotz diesen leichten medizinischen Abnormitäten waren die neuropsychologischen Tests normal. In unserer Serie von 15 Langzeitüberlebenden ohne neurologische Folgen kann man von einem guten Resultat sprechen, da es sich um 47 % der initial aufgewärmten 32 Patienten handelt (1). Verschiedene Faktoren haben zu diesem guten Resultat beigetragen. Erstens sind alle Betroffenen in einer tiefen Hypothermie (< 24 °C) mit einem Durchschnitt von 22 °C gefunden worden. Dies vermindert den cerebralen Sauerstoffverbrauch und verlängert somit die Ischämietoleranz des Gehirnes. Zweitens hat keiner unserer Patienten eine Asphyxie aufgewiesen, trotz der Tatsache, dass eine Patientin bis zu einer Stunde in einer Tiefe von über einem Meter unter einer Lawine verharrte. Ihr Glück war, dass ihr Rucksack vor ihr Gesicht geschleudert wurde und ihr somit eine Lufttasche verschafft hatte. Drittens hat die Hälfte unserer Patienten ein Lebenszeichen bei der Rettung gezeigt und sie waren junge Sportler. Viertens kann man den schweizerischen Rettungsmannschaften, welche immer einen spezialisierten Bergmediziner mit sich haben, für ihre professionelle Ausbildung und Einsätze gratulieren. Daneben spielt die Tatsache, dass in der Schweiz die Distanzen für Helikopterabtransporte bis zu einem Spital, welches mit einer Herz-Lungen-Maschinen-Aufwärmtechnik ausgerüstet ist, sehr kurz sind (unter einer Stunde). Fünftens denken wir, dass die Wiederaufwärmung von solchen Patienten mit extrakorporeller Zirkulation verschiedene Vorteile bringt und im Falle eines Herz-Kreislauf-Stillstandes in tiefer Hypothermie die beste Behandlungsmöglichkeit darstellt. Die extrakorporelle Zirkulation weist folgende Vorteile auf: die schnellstmögliche Aufwärmtechnik, eine sofortige Wiederherstellung der Blutzirkulation in sämtlichen Organen mit einer Verbesserung der Mikrozirkulation dank der Hämodilution und eine Möglichkeit, sofort die metabolischen oder toxischen Entgleisungen zu korrigieren.

I N T E R N AT I O N A L E S T I E F E S H Y P O T H E R M I E R E G I S T E R Wie in der Einleitung betont, sind die Überlebenschancen von Patienten mit tiefer akzidenteller Hypothermie gering. Meistens werden nur die Erfolgsstorys in der Literatur publiziert. Mehr könnte man wahrscheinlich von den Patienten lernen, welche nicht erfolgreich aufgewärmt wurden. So hat Thomas Locher et al. in einer retrospektiven Multicenter Schweizer Untersuchung von 234 Patienten ein prediktives Überlebensmodell 69


erarbeitet, welches auf 128 Patienten basiert (Tab. 1). Die Hypothermie alleine ist in dieser multiplen Regressionsanalyse kein signifikanter Faktor für das Überleben (2). Die Sensitivität des Modells ist ausgezeichnet (98 %), aber die Spezifität ist zu schwach (52 %). Das Ziel des internationalen tiefen Hypothermieregisters ist es, von vielen solchen Patienten relevante Daten zu erhalten, welche eine Analyse auch von Untergruppen (z. B. Bergunfälle im Vergleich zu Ertrinkungsunfällen) zulassen.Die Resultate dieses Registers würden erlauben,Empfehlungen (Guidelines) und Entscheidungshilfen bei der Triage und bei der Behandlung (flow chart) und Prediktionsmodelle (outcome scores) zu erstellen. Ein gutes Beispiel zeigt die Arbeit der AKOR-SRK-Gruppe (3), welche klare Empfehlungen für die Behandlung von Hypothermie mit verschiedenen Algorithmen, sei es für den Laien wie auch für den professionellen medizinischen Helfer, erarbeitet hat. Die meisten europäischen und internationalen Gebirgsgesellschaften würden dieses Projekt unterstützen (Tab. 2). Für die Realisierung müssten verschiedene Kredite beansprucht werden (eventuell mit Hilfe eines EU quality of life grants). Dazu wird eine internationale Arbeitsgruppe aus verschiedenen interessierten Gesellschaften, Universitäten und eventuell Regierungsorganen bep<

Odd’s ratio

Alter

0.02

0.97

Kalium

0.003

0.5

Asystolie

0.02

0.1

Narkotika

0.04

5

Tab. 1: Prediktives Überlebensmodell (n = 128) nach Locher Th. et al. (2). In Tabelle 1 sind die prediktiven Variablen, welche einen signifikanten Einfluss auf das Überleben haben, aufgelistet. Die Odd’s ratios < 1 bedeuten einen negativen Einfluss und die Odd’s ratios > 1 einen positiven Einfluss auf das Überleben. Gesellschaften, welche die Einführung eines Internationalen Hypothermieregisters unterstützen würden:

• International Society of Mountain Medicine ISMM • UIAA MEDCOM • International Commission for Mountain Emergency Medicine ICAR/MEDCOM • Society of Wilderness Medicine • Deutsche, italienische, österreichische, schweizerische Gesellschaft für Bergmedizin

Tab. 2

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nötigt. Diese Arbeitsgruppe wäre verantwortlich für die Datensicherheit, die Analyse und Publikation der Resultate unter dem Namen aller Beteiligten. Eine solche Datenbank muss einerseits relativ einfach für jeden Beteiligten zu bedienen sein, auf der anderen Seite muss sie relevante Daten, welche während der Bergung, im Spital oder bei der Nachbehandlung von Wichtigkeit sind, enthalten. Dazu gehört eine Spätnachkontrolle. Nur unter solchen Bedingungen kann ein wissenschaftlicher Fortschritt in der Behandlung und im Überleben von Patienten mit tiefer akzidenteller Hypothermie erreicht werden.

DANKSAGUNG Ich möchte mich herzlich für die Mitarbeit der Koautoren der drei aufgelisteten Arbeiten bedanken. Zusätzlich möchte ich ebenfalls meinen Dank für die gute Kooperation der beteiligten Spitäler und Rettungsdienste aussprechen.

L I T E R AT U R (1) Walpoth B. H., Walpoth-Aslan B. N., Mattle H. P., Radanov B. P., Schroth G., Schaeffler L., Fischer A. P., von Segesser L. and Althaus U.: Outcome of Survivors of Accidental Deep Hypothermia and Circulatory Arrest Treated with Extracorporal Blood Warming.; N Engl J Med 337, 1500-1505 (1997). (2) Locher T.,Walpoth B. H., Pfluger D.,Althaus U.:Akzidentelle Hypothermie in der Schweiz (1980–1987) – Kasuistik und prognostische Faktoren; Schweiz Med Wschr 121, 1020-1028 (1991). (3) Richtlinien für die Behandlung der allgemeinen Unterkühlung (akzidentelle Hypothermie) und lokale Kälteschäden (Erfrierungen). Verfasst von einer Arbeitsgruppe der Ärztekommission für Rettungswesen (AKOR SRK). Bezugsquelle: Sekretariat des IVR, Ochsengässli 9, 5000 Aarau.

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Gordon G. Giesbrecht

New Aspects on Pathophysiology of Hypothermia Neue Aspekte der Pathophysiologie der Unterkühlung S U M M A RY This update considers several issues regarding cold stress, development of hypothermia and pre-hospital care of the hypothermic patient. Advice is given on using clinical impressions and functional characteristics to determine the level of hypothermia. Response to cold water immersion is characterized as short term (cold shock response), midterm (loss of performance) and long term (development of hypothermia). Circum-rescue collapse is the dramatic worsening condition of the patient just prior to, during or following rescue from cold stress. Following rescue, the treatment priorities are to arrest the fall in core temperature, establish a steady safe rewarming rate while maintaining the stability of the cardiorespiratory system and providing sufficient physiological support. Keywords: afterdrop, cardiopulmonary bypass, core temperature, heat balance, rewarming.

Z U S A M M E N FA S S U N G Dieses Update berücksichtigt mehrere Veröffentlichungen betreffend Kälteexposition, Entwicklung einer Hypothermie und präklinische Therapie hypothermer Patienten. Es werden Ratschläge gegeben bezüglich Beobachtung klinischer Symptome und funktioneller Charakteristika, um den Schweregrad der Hypothermie zu bestimmen.Bei der Reaktion auf Untertauchen in kaltem Wasser wurden eine kurzfristige (cold shock response), mittelfristige (loss of performance) und langfristige (development of hypothermia) Reaktion unterschieden. Der Bergungs-Kollaps ist die dramatische Verschlechterung des Zustands eines Patienten unmittelbar vor, während oder nach Rettung aus Kälteexposition. Nach erfolgter Rettung liegen die Behandlungsprioritäten in der Verhinderung weiterer Abkühlung, in einer kontinuierlichen, sicheren Wiedererwärmung unter Gewähr-

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leistung von Kreislauf- und respiratorischer Stabilität und in einer suffizienten physiologischen Stabilisierung. Schlüsselwörter: Afterdrop, Cardiopulmonary Bypass, Kerntemperatur, Temperatur-Gleichgewicht, Wiedererwärmung.

INTRODUCTION Interest in accidental hypothermia has increased considerably over the past 60 years as many laboratory studies, clinical reports and literature reviews have been published in that time. Many issues have been clarified while others have remained controversial, new controversies have evolved, and new thoughts and procedures have been introduced.

COLD STRESS AND COOLING A common approach to classification of level of hypothermia includes core temperature and functional characteristics. Briefly, in the mild hypothermia range (Tco 35–32 °C) thermoregulatory mechanisms operate fully, with development of ataxia, dysarthria, apathy and even amnesia. In moderate hypothermia (Tco 32–28 °C) the effectiveness of the thermoregulatory system diminishes until it fails, the primary effect of body cooling becomes evident, there is a progressive decrease in level of consciousness, and atrial fibrillation and other dysrhythmias occur. In severe hypothermia (Tco < 28 °C) consciousness is lost, shivering is absent, acidbase disturbances develop and the heart is susceptible to ventricular fibrillation (either spontaneous or caused by mechanical stimuli) or asystole. Death from hypothermia is generally from cardiorespiratory failure. Exposure to Cold Air The chronic nature of terrestrial hypothermia makes it difficult to study this process in humans. However, two recent thermoregulatory studies evaluated thermal, metabolic and perceptional responses of women, with high and low adiposity, to 120 minutes of exposure to 5 °C air. The high adipose group had a lower thermal cold sensation, a smaller decrease in rectal temperature (Tre) (0.03 vs. 0.21 °C) and higher tissue insulation values than the lower adipose group (1, 2). These results were different from those in men where low adipose subjects had higher metabolic responses to a given cold exposure (2, 3). One proposed reason for this discrepancy was that females might lack sufficient muscle mass to generate sufficient quantities of heat. One other possibility is that the small size of

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the low adiposity group (n = 3) may have prevented achieving significant results. The combination of cold air with wet and wind can be a debilitating and lethal combination. Weller et al. (4) asked subjects to perform intermittent exercise for 6 hours (2 hours high intensity and 4 hours at low intensity) while exposed to wind in either wet clothes at a Tam of 6 °C, or dry clothes at a Tam of 15 °C. Only 5 of 8 subjects completed the 6 hours in the cold-wet conditions. At the initial high workload (64 % VO2max) the coldwet conditions decreased Tre by only 0.2 to 0.4 °C with no effect on heat production. However, at the subsequent low workload (30 % VO2max) cold-wet conditions decreased Tre by 0.75 °C and metabolism was 20 % higher than the warmer dry conditions. The leaner subjects were unable to increase their heat production enough to prevent the fall in core temperature and therefore were unable to complete the full 6 hours or exposure. The intensity of chronic cold exposure was extended by Thompson and Hayward (5) who had subjects march for 5 hours at a Tam of 5°C.After the first hour, subjects were exposure to either wind only or wind and continuous rain. In the wind-rain conditions, subjects reported intense discomfort, experienced a 40–50 % decrement in strength and dexterity, and only 5 of 18 subjects completed the entire 5-hour march. After 4 hours of exercise, esophageal temperature (Tes) was 1.6 °C lower in the wet-rain conditions. Subjects who failed to complete the entire march experienced an accelerated core cooling rate because of either a diminished shivering increment of metabolic rate or a cold-induced reduction in walking pace; both factors attenuated the overall heat production. The most recent study on long term cold air exposure emanated from the hypothermic death of 4 students of the United States Army Ranger School in 1995 (6). Students were studied immediately after completing the 61day Ranger School course. They had an average negative energy balance of ~850 kcal.day-1, lost 7.4 kg body weight and had 12 % body fat.The students were subjected to a 4-hour exposure to 10 °C air on three occasions; immediately after the course; 48 hours later; and 109 days after the course. None of the students could endure the entire first trial as the thermogenic response to cold was blunted and Tre dropped quickly. The 48hour period of rest, sleep and energy substrate repletion restored the thermogenic response to cold, but still only 5 of 8 subjects completed the second trial. The chronic effects of the negative energy balance on thermoregulation caused by loss of lean and fat body mass were reversed after several weeks and all students completed the third trial. This final im75


provement was likely because of the added metabolic capacity of regained muscle mass, and the increased thermal insulation from new fat mass. Responses to Cold Water Immersion The responses to cold water immersion can be divided into three phases, which will only be briefly described here. The “Cold Shock” response occurs within the first 3-4 minutes of cold water (head-out) immersion and will initiate peripheral vasoconstriction, the gasp reflex, hyperventilation and tachycardia (head-in submersion responses will be discussed separately in Cold Water Near Drowning). These responses can respectively lead to hypocapnia, the inability to breath-hold, hypertension, and increased cardiac output,all of which can cause sudden death either immediately or within a matter of minutes after immersion (i.e., due to syncope or convulsions leading to drowning, vagal arrest of the heart, and ventricular fibrillation) in susceptible individuals (7, 8). For those surviving the cold shock response, significant cooling of peripheral tissues, especially in the extremities, continues to occur for the first 30 minutes of immersion. This cooling has a direct deleterious effect on neuromuscular activity. This effect is especially significant in the hands where blood circulation is negligible (9), leading to finger stiffness, poor coordination of gross and fine motor activity, and loss of power (10, 11). It has been shown that this effect is primarily due to peripheral and not central cooling (12). The loss of motor control makes it difficult, if not impossible, to execute survival procedures such as grasping a rescue line or hoist, signaling, etc. Thus the ultimate cause of death is drowning either through a failure to initiate or maintain survival performance (i.e., keeping afloat, swimming, grasping onto a life-raft etc.) or excessive inhalation of water under turbulent conditions. The individual who survives the immediate and short-term phases of cold water immersion faces the possible onset of hypothermia as continuous heat loss from the body eventually decreases core temperature. Many predictive models have been developed to determine the core temperature response to cooling (13-15) that are based on relationships between body composition, thermoregulatory response (i. e., shivering heat production), clothing/insulation, as well as water temperature and sea conditions. All of these factors have been taken into account in a recent “Survival Time” prediction model which now used to assist in search time decisions by various search and rescue teams (15).

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P O S T- C O O L I N G Circum-Rescue Collapse Golden et al. (16) have noted that deaths can occur either shortly before rescue, during rescue or after rescue and have used the term “circumrescue collapse”. Deaths have been described in victims within minutes before rescue, while climbing out of the water, while being hoisted to a helicopter, within a few minutes after going to a warm room in a rescue vessel, 20–90 minutes after rescue, in hospital after transport and including the period within 24 hours post-rescue . There are 3 hypothesized causes of rewarming shock: 1) the large afterdrop in core temperature; 2) collapse of arterial pressure; and 3) humoral factors such as changes in pH that may stimulate ventricular fibrillation. Golden et al. (16) discount the importance of afterdrop and propose collapse of arterial pressure as the cause of collapse during rescue. It is proposed that removal from cold water results in a precipitous fall in blood pressure, inadequate coronary blood flow, and myocardial ischemia possibly precipitating ventricular fibrillation. This mechanism is likely the main factor in both pre- and during-rescue collapse.The fall in blood pressure prior to removal from the water may be due to reduced sympathetic tone or catecholamine secretion when rescue is imminent, while hypotension during and shortly after rescue may be due to sudden change of the hydrostatic conditions, hypovolemia, and impaired baroreceptor reflexes. However, this mechanism does not necessarily explain all other post-rescue deaths occurring 20 min. to 24 hrs post-rescue. The importance of further cooling of the heart cannot be discounted however. Fibrillation of a cold heart can be initiated by mechanical stimuli, hypoxia and acidosis and rapid changes in pH. Cooling of the dog heart from 30 °C to 22 °C has been shown to cause a five-fold decrease the electrical threshold for fibrillation. It also likely that an increase in the rate of heart cooling may stimulate fibrillation. It is plausible that continued core cooling in more significantly hypothermic victims (who were not healthy enough to rescue themselves) could result in ventricular fibrillation, either primarily due to spontaneous fibrillation of the colder heart tissue, or secondary to cold-induced increase in sensitivity to fibrillation stimuli listed above. The above information has important implications for how victims are handled following rescue. Core temperature afterdrop depends on the cold capacity of the peripheral tissues (conductive mechanism) and the increase in blood flow to these tissues, which will cool the blood before 77


returning to the heart (convective mechanism). In a patient with cardiac arrest the conductive mechanism would work in isolation.In a patient with intact cardiac output, both mechanisms could be operative. In the later case, any post-cooling stimuli that increase blood flow to previously hypoperfused cold peripheral tissue, will affect the drop in core temperature. For example, even low intensity muscular exercise increases the afterdrop by up to three-fold (17, 18), and immersion in warm water can transiently increase the rate of core cooling.Therefore care should be taken to prevent any movements or treatment that will increase peripheral blood flow. Rewarming The main priorities for treatment are to arrest the fall in core temperature, and establish a steady safe rewarming rate while maintaining the stability of the cardiovascular system and providing sufficient physiological support (i.e., oxygenation, correction of metabolic and electrolyte imbalances, and IV volume replenishment). Hamilton and Paton (19) summarized survey responses from 41 Mountain Rescue Association teams to determine common rescue and treatment practices.They reported the use (by number of teams) of the following rewarming methods: chemical pads – 19; sleeping bag, spontaneous warming – 16; hot water bottle – 13; warm IV fluids – 7; warm O2/air inhalation – 3; Heat Pac® – 3; and water perfused sarong – 1. The following general principles apply to treatment selection. At the site of injury or during emergency transport, if vigorous shivering is present, Spontaneous/Endogenous Rewarming can be maximized by drying and insulating the patient and providing fuel for shivering thermogenesis in the form of warm high caloric drinks or food (only if the patient is sufficiently conscious to eat or drink without choking) (20). Exogenous External Rewarming [i.e., from heat pacs (21), human bodies (22), warmed objects, forced-air warming systems (23–26), etc.] usually provides only a moderate amount of heat to the body surface, warms the skin, and inhibits shivering heat production. Consequently, Exogenous External Rewarming usually provides little afterdrop protection or rewarming advantage unless either a large amount of heat is provided (27), or core temperature is in the lower range of mild-to-moderate hypothermia and shivering is waning (28). Although there would likely be no disadvantage to providing Exogenous External Rewarming, these factors should be considered in light of logistic and resource implications. If the patient is severely hypothermic, rapid (but gentle) evacuated is required and Exogenous Internal Rewarming is indicated. In the pre-hospital situation, 78


however, some form of Exogenous External Rewarming, provided mainly to the trunk, is likely important for arresting or even reversing the drop in core temperature. In hospital, care of the hypothermic patient should focus first on establishing and maintaining full physiological control and support including correction of hypovolemia or acid-base status, and restoration of renal function.Warming can then be achieved by the most appropriate method. It should be noted that a recent study on dogs described a possible complication of routine warm IV fluid administration. If the hypovolemia is primarily due to hypothermia (i.e., mainly caused by extravazation), an acute volume load may occur when the fluid returns to the vascular space during warming (29). Further research is required to help determine proper fluid administration protocols. In a severely hypothermic patient with cardiac arrest, CPB is likely the best method to achieve rapid warming of the heart to a temperature compatible with successful defibrillation, while maintaining adequate perfusion and blood pressure. Gentilello et al. (30) have recently described a continuous arteriovenous rewarming technique. In CAVR, the patients’ own blood pressure was used to perfuse a femoral-to-femoral arteriovenous shunt through an externally heparinized counter-current fluid rewarmer.The advantages of CAVR over conventional extracorporeal circulatory techniques include percutaneous access,and elimination of the need for a perfusionist,a blood pump, and systemic anticoagulation (31). This promising procedure requires viable cardiac output with a minimum systolic blood pressure of 60 mm Hg. Finally, selection of rewarming methodology depends on location. For example treatment during emergency transport or in nursing stations is normally limited to Spontaneous/Endogenous Rewarming, and Exogenous External Rewarming techniques, in addition to administration of warm IV fluid infusion and heated humidified air/oxygen. In primary and secondary care hospitals, more invasive Exogenous Internal Rewarming techniques like peritoneal lavage and continuous arteriovenous rewarming can be performed. Cardiopulmonary bypass is the most effective rewarming method for hypothermic victims with cardiac arrest but may only be available in more specialized hospitals.

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Helmut Biedermann

Klinische Therapie der รถrtlichen Erfrierung Clinical therapy of local frostbite S U M M A RY The severity and the extent of frostbite can hardly be estimated during the initial phase, making it is very difficult to compare the efficacy of different therapeutic methods. With the growing knowledge of the pathogenesis and the important role of the vessels and their endothelium it is possible to treat patients more precisely and to develop therapeutic guidelines. The aim of the treatment is to save the partially ischemic borderline zone between irreversibly damaged and healthy tissue and to avoid further damage. The initial preclinical treatment is nearly similar to the clinical (warming in a wather bath etc.).In the hospital the additional administration of more potent and more aggressive medication is used to treat vasospasms (preferably prostaglandine E1 i.a., PGI2 i.v.), to block the sympathetic nerve or to induce epidural anesthesia. Microcirculation is best treated by prostaglandine E1 or I2, by aggregation inhibitors (acetylsalicylic acid), by lowering the level of fibrinogen (for esp. ancrod, urokinase) or by hemodilution. The vessels are reopened by fibrinolysis (for exsp. urokinase), thrombus formation is inhibited and the endogene fibrinolysis is activated (ancrod,heparine).Inflammation of any kind is prevented or treated (antibiotics, serum antitetanus) and mediators of inflammation are blocked (aspirine, ibuprofene). Prostaglandine E1 diminishes the activity of the granulocytes. In order to prevent edema the extremity is elevated. Surgery can be done if needed in cases of sepsis, etc. Patients who are not fully asymptomatic after 10 minutes of therapy should remain inpatient until the degree of the frostbite is veryfied and in case of stage II and III the ischemia, the edema and the inflammatory changes have resolved. In the following outpatient treatment phase the vasodilation is handeld with oral medication or by interruption of the sym-

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pathetic chain. The fibrinogen levels are held low (for esp. ancrod over 3 weeks; alternativ PGE1) and a careful local dressing of the wound with removel of superficial necrotic debris is done. That way the optimal conditions are created for a possible tissue-sparing amputation or a plastic surgical intervention at the very earliest 6–8 weeks later. Usually the stumps can tolerate mechanical and thermic stress after a full year. Keywords: Frostbite, Strategy of treatment, Clinical therapy, Prostaglandine E1, Ancrod.

Z U S A M M E N FA S S U N G In der Frühphase nach einer Erfrierungsverletzung ist deren Schweregrad und Ausdehnung kaum beurteilbar,sodass die Effizienz verschiedener therapeutischer Maßnahmen nur sehr beschränkt verglichen werden kann. Zunehmende Kenntnisse der Pathogenese, vor allem der dominierenden Rolle der Gefäß- bzw. Endothelläsionen, ermöglichen jedoch gezieltere Therapieansätze und das Erstellen von Richtlinien. Das Ziel ist, die grenzvitale, z. T. ischämische Zone zwischen irreversibel geschädigtem und gesundem Gewebe zu erhalten und Folgeschäden zu vermeiden. Die klinische Erstversorgung (Auftauen etc.) entspricht weitgehend der präklinischen. In der Klinik ist zusätzlich der Einsatz potenterer und aggressiverer Mittel möglich, um Gefäßspasmen zu lösen (vorzugsweise Prostaglandine [PGE1 i. a., PGI2 i. v.], ev. Sympathikusblockade oder Epiduralanästhesie), die Mikrozirkulation zu fördern (PGE1/I2, Hämodilution),Aggregationshemmer, fibrinogenspiegelsenkende Maßnahmen zu setzen (z. B. Ancrod, Urokinase), Thromben aufzulösen oder zu verhindern (Fibrinolytika, Ancrod, Heparin), Entzündungen zu verhindern (Antibiotika, Tetanus-Prophylaxe), die Aktivierung der neutrophilen Granulozyten zu hemmen (PGE1), ggf. chirurgisch einzugreifen etc. Patienten, die nicht nach 10 Minuten Therapie völlig beschwerdefrei sind, sollten zumindest so lange stationär behandelt werden, bis der Grad der Erfrierung feststeht und im Stadium II und III die Ischämie, das Ödem sowie entzündliche Veränderungen völlig abgeklungen sind. In der darauf folgenden ambulanten Behandlungsphase wird die Vasodilatation medikamentös oder durch Ausschaltung des N. sympathikus fortgesetzt, der Fibrinogenspiegel niedrig gehalten (z. B. Ancrod durch 3 Wochen; alternativ PGE1) und eine sorgfältige lokale Wundpflege mit Abtragung oberflächlicher Nekrosen durchgeführt. So werden optimale Verhältnisse für die frühestens nach 6–8 Wochen durchführbare,möglichst

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sparsame Amputation und die gegebenenfalls notwendige plastisch-chirurgische Deckung geschaffen. In der Regel sind diese Stümpfe nach Jahresfrist wieder voll belastbar. Schlüsselwörter: Erfrierung, Behandlungsstrategie, klinische Therapie, Prostaglandin E1, Ancrod.

EINLEITUNG Das Risiko, sich in Friedenszeiten eine Erfrierungsverletzung zuzuziehen, trifft in unseren Breiten vornehmlich den Bergsteiger und Wintersportler. Erfrierungen treten in erster Linie an den Extremitäten, vor allem an den Füßen und Großzehen auf. Das Krankengut ist sehr inhomogen (Tab. 1) und der Grad der Erfrierung ist in der Frühphase nicht sicher beurteilbar. Vergleiche verschiedener Therapiekonzepte können daher nur experimentell erfolgen. Die zunehmende Aufhellung der Pathogenese (Tab. 2) (3, 4, 11) und langjährige klinische Beobachtungen erlauben jedoch das Aufstellen von Richtlinien. Patienten mit Erfrierungen: Ein inhomogenes Krankengut

Unterkühlung, Begleitverletzung, Intoxikation Dauer und Intensität der Kälteeinwirkung Ausdehnung des Erfrierungsschadens Intervall zwischen Trauma und Behandlungsbeginn Art und Effizienz der Vorbehandlung Vorliegen einer lokalen Infektion oder einer Sepsis Disponierende Faktoren (PAVK, Raynaud-Syndrom)

Tab. 1 Pathogenese der örtlichen Erfrierungsverletzung

Konstriktion der Hautgefäße und tiefer gelegener Arteriolen und Venolen direkte Schädigung der kälteempfindlichen Endothelzellen

pMikrozirkulations

Gewebe

Eiskristalle im Extrazellulärraum pDehyratation des Intrazellulärraumes

Blut

Erythrozyten-Aggregationi Adhäsion der Thrombozyten am Endothel Viskosität des Blutesi

pOsmolaritäti pZellschaden pMikroemboli pThrombose

Nerven

Neuropathie durch direkten Zellschaden oder postischämisch

Gefäße

Tab. 2

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pThrombose

Filtrations

pnervale Ausfallserscheinungen pVasolabilität


Reperfusionsschaden

Ödembildung im Gewebe (nach 10 min) Kapillarpermeabilitäti Anschwellen des Intrazellulärraumes Aggregation von Erythrozyten, Leukozyten Schwere Funktionsstörung der Thrombozyten Auftreten von „weißen Thromben“ Störung der Fibrinbildung Freisetzung von Entzündungsmediatoren Bildung freier Radikale

Tab. 3 Maßnahmen vor derAuftauphase

Behandlung von Unterkühlung, Schock, bedrohlichen Verletzungen/Intoxikationen Vermeiden von zusätzlichen Verletzungen oder Erfrierungen an der Extremität Nikotinstopp, Abnehmen von Ringen Aggregationshemmer (z. B. Aspirin) Niedermolekulares Heparin s.c. O2-Gabe (in großer Höhe)

Tab. 4a Auftauphase

Wasserbad 37–41 Grad Vasodilatation (womöglich PGE1 i. a., ev. Epiduralanästhesie) Fibrinolyse und/oder Antikoagulation Analgetikum

Tab. 4b Therapie nach der Auftauphase

Fibrinolyse und Vasodilatation weiter (ev. Ausschaltung des N. sympathicus) Verbesserung der Mikrozirkulation (Prostaglandine E1/I2, Hämodilution) Senkung des Fibrinogenspiegels (z. B. Ancrod) Blockade von Entzündungsmediatoren (Ibuprofen) Antibiotikum, Tetanusprophylaxe Ödemprophylaxe: Hochlagerung der Extremität Lokale Therapie: Steriler Fettgaze-Verband, Vermeiden jeglicher Druckschädigung, Belassen geschlossener Blasen

Tab. 5a

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Behandlung nach Abklingen der akuten Erfrierungssymptomatik

Vasodilatation (orale Medikation) Fibrinspiegel s auf 70–100 % (z. B. Ancrod) Aggregationshemmung, Nikotinkarenz Lokale Therapie: Sorgfältige Wundpflege (anfangs Fettgaze, dann antiseptischer Puder, Abtragen lockerer Wundrandnekrosen) Amputation frühestens nach 6–8 Wochen Eventuell plastisch-chirurgische Deckung bzw. Korrektur

Tab. 5b Die Therapie muss vor allem dem Umstand Rechnung tragen, dass die Endothelzellen sehr kälteempfindlich sind und ihre Schädigung Gefäßverschlüsse mit lokaler Ischämie nach sich ziehen kann (3). Die Neuropathie bzw. Neuritis spielt entgegen der Auffassung älterer Autoren eine sekundäre Rolle.

KLINISCHE THERAPIE Die kausale Therapie ist möglichst rasche Wärmezufuhr. Sobald der Zellstoffwechsel wieder in Gang kommt, wird die Ischämie manifest und es treten Schmerzen auf. In der Folge laufen eine Reihe pathologischer Vorgänge ab, die schließlich zur direkt oder indirekt bedingten Anoxämie der Zellen führen (Tab. 3) (3). Hier muss die Therapie ansetzen, um weitere Schäden zu verhindern und das Überleben möglichst vieler Zellen zu gewährleisten. Die Erstversorgung einer Erfrierungsverletzung in der Klinik gleicht nahezu dem präklinischen Vorgehen (Tab. 4, 5) (2). Basis ist das möglichst rasche Auftauen im körperwarmen Wasserbad.Gleichzeitig wird versucht, den Spasmus der Gefäße zu lösen, diese wieder zu eröffnen (Lyse-Therapie) und dann offen zu halten (Antikoagulantien-Therapie). Am günstigsten erscheint es, die Medikamente intraarteriell zu applizieren (9), z. B. über einen Leadercut in die A. femoralis sup., da sie auf diese Weise lokal in hoher Konzentration, systemisch jedoch kaum wirksam werden. Begleitverletzungen, Punktionen für Nervenblockaden oder eine Leitungsanästhesie schließen allerdings eine Lyse-Therapie aus. Die Fibrinolyse (7), z. B. mit der bereits bewährten Urokinase (9), die Antikoagulation und Vasodilatation werden nach dem Auftauen fortgesetzt. Wesentlich sind weitere fibrinspiegelsenkende Maßnahmen, da neuere Untersuchungen ergeben haben, dass sie die Mikrozirkulation weit mehr verbessern als z. B. die Hämodilution.

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Zwei Medikamente müssen an dieser Stelle besonders erwähnt werden, nämlich die Prostaglandine E1 und I2 (4, 8, 10) sowie Ancrod, das Gift der malayischen Grubenotter, das Mitte der Siebziger Jahre von Hess aufgrund elektronenmikroskopischer Untersuchungen für Erfrierungen empfohlen wurde (5, 6). Die genannten Prostaglandine wirken stark gefäßerweiternd durch direkte Wirkung auf die glatte Muskulatur. Sie sind also nicht abhängig von der Nervenleitung, die bei Erfrierungen gestört sein kann. Prostaglandin E1 erscheint günstiger, da es zusätzlich die Aktivierung der Granulozyten und die Bildung von gewebstoxischen O2-Radikalen (3) hemmt und zudem intraarteriell appliziert werden kann. Es hat sich im Stadium III und IV der PAVK bereits bewährt (10). Ancrod s.c. wurde an der gefäßchirurgischen Abteilung der Chir. Univ.Klinik Innsbruck seit 1976 in weit über 100 Fällen mit gutem Erfolg eingesetzt. Der Fibrinogenspiegel konnte für 3 Wochen auf 70–100 mg% gesenkt werden. Die im Stad. II und III auftretenden Blasen waren auffallend hämorrhagisch verfärbt. Sonstige wesentliche Nebenwirkungen sind nicht aufgetreten, sodass Ancrod auch für die ambulante Anwendung empfohlen werden kann (2). Das Medikament gilt zwar als HeparinErsatzstoff, hat jedoch einen völlig anderen Wirkungsmechanismus. Wesentlich ist, dass nach Spaltung und Eliminierung von Fibrinopeptid A der Fibrinogenspiegel und damit auch die Viskosität des Plasmas sinkt. Alternativ zur Verabreichung dieser nur noch in Kanada erhältlichen Substanz lässt sich der Fibrinogenspiegel z. B. durch rezidivierende Infusionen von Urokinase oder durch Fibrinadsorbtion senken. Kurz nach dem Auftauen entwickelt sich ein Ödem, das die Sauerstoffversorgung beeinträchtigt. Die Extremität muss daher möglichst hochgelagert werden. Zusätzliche Druckschäden durch Lagerung,Verband oder Pflaster sind zu vermeiden (2). Bei entsprechender Anamnese (z. B. Raynaud-Symptomatik) oder anhaltender Vasolabilität mit Vasospasmus ist die Ausschaltung des N. sympathicus indiziert (1). Sie erfolgt im thorakalen Bereich durch die minimal invasive (video-)endoskopisch-endothorakale Sympathikotomie, die nach über 30-jähriger Innsbrucker Erfahrung gute Ergebnisse bei sehr geringer Komplikationsrate liefert (2). Lumbal wird die CT-gesteuerte Sympathikolyse bevorzugt. Nach völligem Abklingen der akuten Symptomatik und Stabilisierung der Durchblutungssituation können die Patienten 7–10 Tage später in die ambulante Behandlung entlassen werden. Die Mehrzahl der eigenen Patienten erreichte das Krankenhaus erst nach einem gewissen Intervall und nach mehr oder weniger guter Vorbehand88


lung. Das Intervall betrug z. B. bei Expeditionsteilnehmern von anderen Kontinenten im Mittel 12,1 Tage, das sind 3–30 Tage. 95 % hatten infizierte Erfrierungsareale, 7 eine Sepsis (2). In solchen Fällen muss die Therapie angepasst und ggf. sofort amputiert werden, wobei der Stumpf offen bleibt. Verbessern lässt sich diese Situation nur durch eine optimale Erstversorgung vor Ort, beispielsweise durch ausgebildete Expeditionsärzte sowie durch möglichst rasche Repatriierung und Betreuung in einem spezialisierten Krankenhaus.

P O S T S TAT I O N Ä R E T H E R A P I E Sie zielt darauf ab, die Durchblutungsstörung weiter zu bessern, Spasmen als Folge der Vasolabilität zu verhindern und optimale Gewebsverhältnisse für die eventuelle Amputation und Deckung zu schaffen.Das Absenken des Fibrinogenspiegels durch 3 Wochen und eine Vasodilatation durch orale Medikation, z. B. mit Calciumantagonisten, hat sich bewährt. Steht Ancrod nicht zur Verfügung, sollte zusätzlich ein Aggregationshemmer und ev. PGE1 über denselben Zeitraum verabreicht werden.

LOKALE THERAPIE Der Wundpflege muss von Anbeginn an besonderes Augenmerk gewidmet werden. Das schlecht durchblutete Grenzzonengewebe ist potenziell infektionsgefährdet. Verlust von Gewebe und im Extremfall der ganzen Gliedmaße können die Folge sein. Lockere Nekrosen werden schrittweise so abgetragen, dass keine Verletzung mit Blutung gesetzt wird, aber auch keine Retention von Pus möglich ist. Sind die Nekrosen trocken, wird die Demarkationszone weiterhin mit antiseptischem Puder behandelt und steril verbunden. Der Schweregrad und die Tiefe der Erfrierung nimmt normalerweise von proximal nach distal zu,sodass in der Spätphase häufig wie bei einer Gamskrucke ein schwarzer Nekroseschlauch den vitalen Kern umhüllt. Diese Grenze demarkiert der Körper am besten selbst. Sobald die Demarkationsfurche nach Entfernung der oberflächlichen Nekrosen bis an den Knochen reicht, meist nach 6–8 Wochen, ist der Zeitpunkt für die möglichst sparsame Amputation gekommen (2). Größere oder schlecht heilende Defekte werden plastisch-chirurgisch versorgt. Auch funktionsverbessernde Korrekturen sind möglich.

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DISKUSSION UND SCHLUSSFOLGERUNGEN Obwohl histologisch ganz unterschiedliche Stadien des Zellschadens nebeneinander gefunden wurden,darf man annehmen,dass eine „Penumbra“-artige Zone zwischen totem und vitalem Gewebe besteht, die es zu erhalten gilt (Abb. 1). Solche Zonen sind besser bekannt nach apoplektischen Insulten, wo Ancrod in mehreren Studien so gute Ergebnisse gebracht hat, dass zur Zeit große Multizenter-Studien laufen. Alle bisher genannten Maßnahmen sind dazu angetan, die Extremität möglichst lang und funktionell zu erhalten. Gewinnt man zwei, einen, ja nur einen halben Zentimeter, kann ein Gelenk erhalten werden oder z. B. ein guter Gegengriff mit dem Daumen verbleiben. Geht man nach den geschilderten Richtlinien vor, treten späte Beschwerden eher selten auf. Persistieren sie, können sie z. T. durch eine Sympathicus-Ausschaltung behoben werden. Im Normalfall ist die Extremität nach 1 Jahr wieder voll belastbar. Da nach heutigem Wissensstand auch eine optimale und rasch einsetzende Therapie im Stadium III eines Erfrierungsschadens nicht zur Restitutio ad integrum führt, ist der Prophylaxe nach wie vor größtes Augenmerk zu widmen.

Abb. 1: Schematischer Längsschnitt durch einen Finger: Rot – Nekrosezone Gelb – Grenzzone Weiß – ungeschädigtes Gewebe

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L I T E R AT U R (1) Edwards E. A.: Frostbite: An analysis of seventy-one cases. J Am Med Assoc 149: 1199 (1952). (2) Flora G.: Secondary treatment of frostbite. Medicine and Sport Science 19: 159-69 (1985). (3) Granberg, Manson P. N., Jesudass R., Marzella L., Bulkley G. B., Navayan K. Ki.: Evidence for an early free radical-mediated reperfusion injury in frostbite. Free Radical Biology Medicine 10 (1): 711 (1991). (4) Gröchenig E.: Treatment of frostbite with Ileoprost.The Lancet 344: 1152-53 (1994). (5) Hess H.: Veränderungen an der Gefäßinnenwand durch akute Kältewirkung. In: Kongressbericht 5. Int. Bergrettungsärzte-Tagung „Das Kältetrauma“, Flora G. ed. Dr. Edmund Baneschevsky, München – Gräfelfing, 1976. (6) Illig K. A. and Ourial A.: Ancrod: Understanding the agent. Scin in Vasc Surg 9 (4): 303-14 (1996). (7) Salini Z., Walverson M. K., Herbold D. R., Vas W., Salini A.: Treatment of frostbite with i.v. streptokinase: an experimental study in rabbits. AJR 149 (4): 773-6 (1987). (8) Segantini P.,Horn R.:Cold induced pathology at hig altitude.Schweizer Rundschau, Medizinische Praxis 80 (46): 1283-6 (1991). (9) Sazdeblick T. A., Field G. A., Shaffer J. W.: Treatment with experimental frostbite with urokinase. J Hand Surg (Am): 13 (6): 948-53 (1988). (10) Sinzinger H., Rogatti W.: Prostaglandin E1 in der Therapie der peripheren arteriellen Durchblutungsstörung. Wie Klin Wschr 103 (18): 558-65 (1991). (11) Zook N., Hussmann J., Brown R., Russel R., Kucan J., Roth A., Suchy H.: Microcirculatory studies on frostbite injury. Ann Plast Surg 40 (3): 246-55 (1998).

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Henrik Jessen Hansen

Erfrierung in großer Höhe Frostbite at high altitude S U M M A RY During the spring 1996 and 2000, I participated on Mount Everest Expeditions to the south pillar (polish route) as climber/leader and doctor. I was in charge of the medical part of the rescue after the disaster may 10’th 1996, being the most fit doctor on the mountain and placed in camp 2 at 6500 meters. The major cause of death was exhaustion and hypothermia at very high altitude at or above the South Col.At the hospital tent we treated an open skull fracture, 2 climbers with very serious frostbite (both had bivouacked in the open above 8000 meter) and about 15 climbers with frostbite to their fingers, toes and noses. 3 were so dehydrated that they needed intravenous fluids and oxygen. The first day the medical equipment were only minor and the place and harsh conditions with changing weather and minus 20 degrees Celsius also played a role. This spring the climbers was more humble and maybe better prepared and only minor frostbite was seen. The single most important factor in preventing frostbite on Himalayan expeditions is the climber himself.Next comes proper equipment, weather and hydration. The goal of first aid at the mountain is to bring the climber safe down and possibly to prevent further damage. NSAID drugs and a bacteriostatic unguent are useful in the initial treatment. Keywords: Mt. Everest, frostbite, hypothermia.

Z U S A M M E N FA S S U N G In den Frühjahrssaisonen 1996 und 2000 nahm ich an Mount-Everest-Expeditionen zum Südpfeiler (polish route) teil als Bergsteiger/Expeditionsleiter und Arzt. Ich war beteiligt am medizinischen Teil der Rettungsaktion nach der Katastrophe am 10. Mai 1996, als ich gerade auf Lager 2 in 6.500 m Höhe der gesundheitlich stärkste Arzt war. Anm. d. Herausgeber: Die vorliegende Arbeit wurde aus dem Englischen übersetzt.

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Die Haupttodesursache war Erschöpfung und Unterkühlung in sehr großer Höhe am oder über dem Südsattel. Im Ambulanzzelt behandelten wir eine offene Schädelfraktur, zwei Bergsteiger mit sehr schweren Erfrierungen (beide hatten im Freien auf über 8.000 m biwakiert) und ungefähr 15 Kletterer mit Erfrierungen an den Fingern, Zehen und Nasen. Drei waren so dehydriert, dass sie intravenöse Infusionen und Sauerstoff brauchten. Am ersten Tag war die medizinische Ausrüstung unzureichend und der Platz und die harten Bedingungen bei ständig wechselndem Wetter und minus 20° Celsius spielten auch eine Rolle. In diesem Frühling waren die Bergsteiger bescheidener und vielleicht besser vorbereitet und es gab wenige Erfrierungen. Der wichtigste Faktor zur Vermeidung von Erfrierungen während Himalaja-Expeditionen ist der Bergsteiger selbst.Erst danach kommen geeignete Ausrüstung,Wetter und Trinken. Das Ziel der ersten Hilfe am Berg ist es, den Kletterer sicher herunterzubekommen und möglicherweise weitere Schäden zu vermeiden. Nichtsteroidale Mittel und bakteriostatische Salben sind nützlich in der Erstbehandlung. Schlüsselwörter: Mt. Everest, Erfrierung, Hypothermie.

EINLEITUNG Im Frühjahr 1996 starben elf Bergsteiger am Mount Everest und viele mehr erlitten schwere Erfrierungen. Ich war in diesem Frühling mit drei anderen Dänen am Mount Everest und sollte während des allgemein bekannten schweren Unglücks der körperlich stabilste Arzt über dem Basecamp sein. Im Frühling 2000 kehrte ich als Leiter der ersten reinen dänischen Expedition zurück, die jemals erfolgreich über die polnische Süd-Route war.

VORGESCHICHTE Im Jahr 1996 verbrachten wir die Nacht zum 10. Mai auf Lager 3 in 7.400 m Höhe.Als wir am Morgen das Wetter beurteilten, kehrten wir um und waren deshalb auf Lager 2, als das große Unglück geschah (Abb. 1). Die Gründe für die Unfälle waren Gegenstand vieler Diskussionen und sicherlich spielten die Anzahl der Bergsteiger und ihre Unerfahrenheit eine große Rolle. Die drei kommerziell geführten 65.000-US$-Expeditionen und zwei andere nationale Expeditionen hatten schwache Kletterer dabei.Der Konkurrenzkampf zwischen kommerziellen Unternehmen, ihr Glaube an Unsterblichkeit bei der Planung eines bestimmten Gipfeltages zwei Wochen im Voraus und die Problematik des Führens über 8.000 m sind immer noch Gegenstand von Diskussionen. 94


Abb. 1: Der Everest-Gipfel von Lager 3 aus in 7.400 m HĂśhe am Morgen des 10. Mai 1996 um 9 Uhr: Schlechtes Wetter kĂźndigt sich an

Abb. 2: Lager 2, 6.500 m

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Schon vorher hatte ich in dieser Saison viel zu tun als Expeditionsarzt: • Behandlung eines Trekkers mit HAPE in Lobuche, der die Einnahme von Diamox abgesetzt hat. • Hämarthros am Knie eines Sherpas nach 50-m-Spaltensturz. • Behandlung eines 28 Jahre alten Bergsteigers mit akutem Myocardinfarkt unter 6.000 m. Er war Marathonläufer und Berufssoldat und schon früher in über 7.000 m. Bei der jetzigen Expedition war er in Lager 2 ohne Probleme.Er wurde zum Basecamp heruntergebracht und zeigte einen Q-Wellen-Infarkt mit einer ST-Hebung von 10mV, er benötigte Sauerstoff 7 l/min, stündlich Morphin i.v. und sublinguales Nifedipin. • Beratungen für das Team von Fisher über HACE und HAPE. Eine Person hatte während der Expedition dreimal schwere Höhenkrankheit und setzte die Besteigung fort. • Behandlung eines dänischen Bergsteigers mit Rippenbrüchen nach einem Sturz im Eisbruch.

DAS UNGLÜCK Am 11. Mai waren wir um 6 Uhr wach und erfuhren, dass 21 Personen abgängig seien. Man vereinbarte in Lager 2 ein Treffen von einigen Expeditionsleitern, Kletterern des IMAX-Filmteams, einigen anderen und mir. Alle außer den Südafrikanern waren bereit, ihre eigenen Besteigungen und Filmarbeiten zu unterbrechen und den Opfern zu helfen. Zum Glück reduzierte sich die Zahl der Opfer am Ende auf fünf Tote, die Geschichte von Doug Hansen und Rob Hall über dem Südgipfel und von Fisher und Yasuko etwas darunter ist allgemein bekannt. Mit der medizinischen Notversorung waren Dr. Caroline Mackenzie von Adventure Consultants im Basislager und ich im Lager 2 betraut (Abb. 2). Dr. Ken Kamler aus der Gruppe von Burleson Alpine Ascents war in Lager 3, aber dort war nicht viel zu tun, da das Lager beim Abstieg übersprungen wurde. Ich sammelte die Erste-Hilfe-Ausrüstung der anderen Expeditionen, und das Zelt auf Lager 2 wurde zum „Everest-High-Altitude-Hospital“. Mackenzie packte zusätzliche medizinische Ausrüstung, die vom Basislager auf Lager 2 heraufgetragen wurde. Am Nachmittag des 11. Mai kamen die ersten Kletterer ins Ambulanzzelt.Alle waren dehydriert und wiesen periphere Erfrierungen auf, die zu behandeln waren (Reinigung, NSAR als Analgetika und gegen Re-Perfusions-Schäden, Antibiotika). Jeder konnte aber selbst am nächsten Tag weiter absteigen.

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Abb. 3: Schwere Erfrierung der Hand nach einer Nacht in 8.000 m ohne einen Handschuh

Abb. 4: Beck Weathers im Ambulanzzelt nach dem Biwak am SĂźdsattel

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Am Abend wurde ein Sherpa aus der Lhotse-Wand ins Zelt gebracht. Er wurde am Kopf von zwei Steinen getroffen. Als er im Zelt ankam, hatte er große Schmerzen und eine Blutung am Hinterkopf, zeigte aber keinerlei Zeichen einer Commotio cerebri oder HACE. Er bekam ein sublinguales Schmerzmittel, eine Injektion mit Dexamethason 4 mg und eine hohe Antibiotikadosis. Nach Reinigung und Freirasieren der Wunde zeigte sich eine beinahe 10 cm lange und tiefe Fleischwunde bis zum Knochen. Dort stellte sich eindeutig eine Schädelfraktur dar. Ich war nicht sicher, ob die Fraktur stabil sei. Chirurgische Instrumente waren nicht verfügbar, darum nähte ich die Wunde lediglich mit dem einzigen vorhandenen Faden und meinem Leatherman-Taschenmesser und bandagierte den Kopf.Er musste während der Nacht beobachtet werden wegen der Gefahr neurologischer Symptome.Am nächsten Tag wurde er auf einer Leiter ins Basislager hinuntergetragen. Am 12. Mai kamen mehr Leute herunter. Es handelte sich hauptsächlich um den Rest der Rob-Hall-Gruppe,wiederum viele mit Erfrierungen oder zumindest dehydriert und erschöpft.Bis auf einige der überlebenden Führer und Sherpas gab es nur einen Gipfelgänger, der keine Erfrierungen hatte. Am Nachmittag kam Dr. Ken Kamler im Ambulanzzelt an und mit vereinten Kräften machten wir uns an den Rest der medizinischen Rettungsaktion. Die zwei schwersten Fälle mit Erfrierungen waren der Taiwanese Makalu Gau und Beck Weathers von der Hall-Gruppe, die beide am Nachmittag des 12. Mai ankamen. Beide hatten am Südsattel biwakiert und waren schon totgeglaubt, bevor sie oben zum Lager zurückgelangten. Details über ihre Rettung sind heute allgemein bekannt durch Zeitungen, Fernsehen und Bücher. Gau hatte schwere Erfrierungen an den Füßen, nicht nur die Zehen waren betroffen, sondern auch der gesamte Vorfuß und die Fersen auf beiden Seiten genauso wie Finger, Hände und Nase. Bei Weathers waren die Füße erstaunlicherweise unbeschädigt, aber seine rechte Hand war geschwollen und schwarz, er hatte in der Nacht seinen Handschuh verloren (Abb. 3). Der Zustand der Nase und der anderen Hand war sehr ähnlich wie bei Gau (Abb. 4). Beide wurde in trockene Kleider und Daunenjacken gelegt, bekamen Sauerstoff und ihre Füße und Hände wurden in handwarmem Wasser aufgewärmt. Wir gaben ihnen intravenöse Kochsalz- und Glucose-Infusionen (jeweils ungefähr 3 Liter), i.v.-Injektionen von Diclofenac zur Analgesie und antiinflammatorischen Therapie sowie Antbiotika. Wegen der Außentemperatur mussten die Infusionslösungen in der Küche in heißem Wasser aufgewärmt werden und die i.v.-Medikamente mussten am Kör98


per warmgehalten werden.Später wurden die Extremitäten in dicke Flammazine-Verbände gewickelt und die beiden waren fähig, ein wenig zu trinken und Nudelsuppe zu essen. Die Therapie- und Pflegemaßnahmen dauerten über Nacht und am Morgen des 13. Mai wurde Gau in das Lager 1 hinuntergetragen. Weathers war fähig, mit Unterstützung selbst zu gehen. Von dort wurden sie durch einen Hubschrauber in einer weltweit beachteten Rekord-Rettungsaktion ausgeflogen. Insgesamt behandelten wir ungefähr 15 Patienten mit Erfrierungen, drei mit intravenösen Infusionen und Injektionen und eine Schädelfraktur.

S C H L U S S W O RT Im Frühjahr 2000 waren die Kletterer und Führer bescheidener und vielleicht besser vorbereitet und es wurden nur wenige Erfrierungen gesehen. Der wichtigste Faktor zur Vermeidung von Erfrierungen während Himalaja-Expeditionen ist der Bergsteiger selbst. Erst danach kommen geeignete Ausrüstung, Wetter und Trinken. Das Ziel der ersten Hilfe am Berg ist es, den Kletterer sicher herunterzubekommen und möglicherweise weitere Schäden zu vermeiden. Nichtsteroidale Mittel und bakteriostatische Salben sind nützlich in der Erstbehandlung.

BÜCHER ZUM THEMA (1) Krakauer, Jon: Into Thin Air. A Personal Account of the Mt. Everest Disaster. 1998. Petersen, Hamburg; St. Martin’s Paperbacks. (2) Boukreev, Anatoli; DeWalt, Gary Weston: The Climb. Tragic Ambitions on Everest. 1998 Petersen, Hamburg; Anchor Books.

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F r a n k Ts c h i r k y, B e r n h a r d B r a b e c u n d M a r t i n K e r n

Lawinenrettungsgeräte, Stand der Entwicklungen, Erfolge und Misserfolge Avalanche-rescue-devices, state of the development, success and failure S U M M A RY The present study shows a survey of the avalanche-accidents-statistics of Switzerland and investigates the influence of the avalanche-transceiver (LVS) and of the avalanche-balloon (ABS) on survival of persons, who are buried by avalanches in alpine terrain.The study is based on data recorded by the „Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF)“ in the years 1936-1999.Within this period 1592 persons died from avalanche-accident in Switzerland. Special interest was concentrated on the years 19791999. Based on these investigations it can be stated that the overall mortality of all people hit by an avalanche is less than 13 %. Whereas in the case of total-body-burial the mortality is about 50 %. The best chance of survival is in those cases when victims are not completely buried or if there is at least one piece of the equipment or one part of the body shown at the surface of the avalanche. There is a substantial correlation between the mean burial-time and the chance of survival of total-body-buried people.While the mean burial-time of the survivors was about 11 minutes, it was markedly longer in the group of the non-survivors (120 minutes). Thus to increase the chance of survival in case of avalanche accident, either the duration of burial has to be reduced by the use of LVS, or even more efficient, burial has to be prevented by the use of an avalanche-airbag. This statement is confirmed by the data presented in this study. Keywords:avalanche-accident-statistics,avalanche-transceiver,avalancheballoon.

Z U S A M M E N FA S S U N G Die vorliegende Studie gibt einen Überblick über die Lawinenunfall-Statistik in der Schweiz und untersucht den Einfluss von Lawinenverschütteten-Suchgeräten (LVS) und des Lawinen-Airbags auf die Überlebens-

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chance von Personen, welche im freien Gelände durch Lawinen verschüttet worden waren. Die Arbeit basiert auf Zahlen, die durch das Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in den Jahren 1936 bis 1999 gesammelt und bearbeitet worden sind. In diesem Zeitraum sind in der Schweiz 1.592 Personen in Lawinen ums Leben gekommen.Näher studiert wurde der Zeitraum von 1979 bis 1999. Auf Grund dieser Untersuchungen kann gesagt werden, dass die Letalität bei allen von Lawinen erfassten Personen weniger als 13 % beträgt. Bei Ganzverschüttungen hingegen beträgt die Letalität rund 50 %.Die besten Überlebenschancen haben Personen, welche nicht ganz verschüttet sind oder bei welchen zumindest ein Ausrüstungs- oder Körperteil an der Lawinenoberfläche sichtbar ist. Es besteht ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der medianen Verschüttungszeit und der Überlebenschance ganz verschütteter Personen. Während die mediane Verschüttungszeit der Überlebenden rund 11 Minuten betrug, war sie bei den tot geborgenen Personen mit 120 Minuten markant höher.Aus diesen Gründen ist eine Reduktion der Verschüttungszeit durch eine schnelle LVS-Suche oder, noch besser, das Verhindern einer Verschüttung durch den Einsatz eines Lawinen-Airbags anzustreben, wenn man die Überlebenschance von Lawinenopfern erhöhen will. Die Zahlen der vorliegenden Studie bestätigen diese Botschaft. Schlüsselwörter: Lawinenunfall-Statistik, Lawinenverschütteten-Suchgerät (LVS), Lawinen-Airbag (ABS).

1 EINLEITUNG Das Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) sammelt und bearbeitet seit dem Winter 1936/37 alle Daten von Lawinenunfällen in der Schweiz. Die Informationen aller tödlich verlaufenen Lawinenunfälle sind praktisch lückenlos vorhanden. Dank verbesserter Informationsnetze und Technologien konnten in den vergangenen 2 bis 3 Jahrzehnten auch viele glimpflich verlaufene Unfälle in die Statistiken aufgenommen werden. Die Unfallberichte und Statistiken werden jeweils in den jährlichen Winterberichten des SLF veröffentlicht (1). Das Zahlenmaterial des SLF wurde schon verschiedentlich von externen Wissenschaftlern für spezielle Untersuchungen verwendet (z. B. Brugger et al.). Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, eine Verbesserung von Rettungsstrategien und -geräten zu erreichen. Im Kapitel 2 wurde studiert, ob in den vergangenen 63 Jahren Veränderungen beim Erfassungsort resp. bei der Tätigkeit der in Lawinen tödlich verunfallten Personen festzustellen sind.

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Ab dem Kapitel 3 wurden die Zahlen der vergangenen 20 Jahre unter die Lupe genommen. Verbessertes Datenmaterial und ein verändertes Freizeitverhalten von Wintersportlern waren Gründe, sich auf die unmittelbare Vergangenheit zu konzentrieren. Unter Einbezug von Dunkelziffern werden erstmals Aussagen über die Letalität aller von Lawinen erfassten Personen gemacht. Im Kapitel 4 fokussieren sich die Untersuchungen auf ganz verschüttete Touristen im freien Gelände. Dabei wurde die Verteilung von Verschüttungstiefen und Verschüttungsdauer untersucht. Im Kapitel 5 wird die Bilanz des LVS mit den Zahlen der übrigen Suchmittel verglichen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob sich die Überlebenschance ganz verschütteter Lawinenopfer dank des LVS verbessert hat und ob in den letzten Jahren Trends festzustellen sind. Im Winter 1995 hat das SLF bei verschiedenen Feldversuchen das Verhalten von Lawinen-Airbags in künstlich ausgelösten Lawinen getestet. Aufgrund positiver Resultate der Feldversuche ist das physikalische Wirkungsprinzip des Lawinenballons im Rahmen einer Dissertation untersucht worden. Außerdem sammelt das SLF die verfügbaren Informationen aller weltweit bekannten Unfälle mit Lawinen-Airbags. Die Aussagen über die Effektivität des Lawinen-Airbags im Kapitel 6 beruhen auf diesen Zahlen. Nach den Schlussfolgerungen (Kapitel 7) und einer Literaturliste (Kapitel 8) gibt ein Glossar (Kapitel 9) Auskunft über die verwendeten Begriffe und Abkürzungen.

2 L AW I N E N T O T E 1 9 3 6 – 1 9 9 9 ( 6 3 J A H R E ) In den vergangenen 63 Jahren sind in der Schweiz 1.592 Personen in Lawinen ums Leben gekommen. Bezüglich des Erfassungsortes werden 3 Hauptkategorien unterschieden: – Freies Gelände: Personen außerhalb des gesicherten Geländes (Varianten- und Tourenbereich), selbst verantwortlich – Verkehrswege: Personen bei Unterhaltsarbeiten von Verkehrswegen, Personen auf geöffneten oder geschlossenen Verkehrswegen – Gebäude: Personen innerhalb oder unmittelbar vor Gebäuden (dauernd bewohnte Gebäude oder Provisorien) Im freien Gelände sind 1.048 Personen (66 %) gestorben; auf Verkehrswegen waren es 306 Tote (19 %) und in Gebäuden 238 Tote (15 %). Das Mittel über 63 Jahre beträgt 25 Lawinentote pro Jahr. Beim 20-jährigen Mittel lässt sich in den letzten Jahren ein leicht rückläufiger Trend fest-

103


Abb. 1: Lawinentote in der Schweiz 1936–1999 stellen (Abb. 1). In der Kategorie der Lawinentoten im freien Gelände ist die Entwicklung auch statistisch signifikant (Abb. 2). Während zwischen 1970 und 1985 ein konstanter Anstieg der Lawinentoten in dieser Kategorie festzustellen war, lässt sich vor allem in den 90er-Jahren ein markanter Rückgang feststellen. Auch der Anteil der Lawinentoten im freien Gelände war in den vergangenen 63 Jahren starken Schwankungen unterworfen. Während der Anteil an der Gesamtzahl der Lawinentoten bis Mitte der 70er-Jahre zum Teil deutlich unter 70 % lag, betrug er in den letzten 20 Jahren 85 % (Abb. 3).

3 L AW I N E N U N F Ä L L E 1 9 7 9 – 1 9 9 9 ( 2 0 J A H R E ) 3.1 Verschüttungsfolgen In den vergangenen 20 Jahren sind in der Schweiz bei insgesamt 894 Unfällen 2.301 Personen von Lawinen erfasst worden (Abb. 4). 523 Personen (23 %) waren tot, 1.778 Personen (77 %) haben überlebt. Die Zunahme der Gesamtzahl in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass uns in den letzten Jahren mehr, auch glimpflich verlaufene Lawinenunfälle mit Nicht- oder nur Teilverschüt-

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+ mean: 16.63 20y average Trend p3 sig.

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Lawinentote (Anzahl)

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Abb. 2: Entwicklung der Anzahl Lawinentoter im freien Gel채nde w채hrend 63 Jahren

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mean: 71.93 20y average Trend p3 sig.

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Abb. 3: Entwicklung des Anteils Lawinentoter im freien Gel채nde w채hrend 63 Jahren

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mean: 115.0 5y average Trend p3 n. sig.

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von Lawinen erfasste Personen (Anzahl)

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tot überlebt

Winter

Abb. 4: Entwicklung der Anzahl von Lawinen erfassten Personen 1979 bis 1999

tungen gemeldet worden sind und dass auch diese Fälle konsequent registriert wurden. Der Rückgang der Letalität im freien Gelände ist teilweise durch diesen Umstand erklärbar (Abb. 5). 1.429 Personen (62 %) waren nicht oder nur teilweise verschüttet, 872 (38 %) Personen waren ganz verschüttet. Wir gehen davon aus, dass wir von etwa 90 Prozent aller Unfälle mit Ganzverschüttungen ohne Todesoder Verletzungsfolgen Kenntnis haben.Hingegen ist die Anzahl der nicht bekannten Lawinenunfälle, bei welchen Personen mitgerissen, aber nur teilweise oder nicht verschüttet worden und unverletzt geblieben sind, wahrscheinlich mindestens gleich hoch wie die Zahl der uns bekannten Fälle. Die Dunkelziffern beruhen auf einer groben Abschätzung der Unfallzahlen der Region Davos (sehr gut dokumentiert), verglichen mit den Zahlen der übrigen Schweiz. Unter Annahme der genannten Größenordnungen kann man die These aufstellen, dass rund 75 % aller von Lawinen erfassten Personen nicht oder teilverschüttet und rund 25 % ganz verschüttet werden. Von den 1.429 nicht oder nur teilweise verschütteten Personen waren 62 (4 %) tot, 1.367 (96 %) haben überlebt. Unter Einbezug der Dunkelziffer kann gesagt werden, dass die Überlebenschance bei allen nicht oder nur teil106


60 50

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Letalität bei Lawinenerfassung (Prozent)

mean: 24.69 5y average Trend -0.8 sig.

1980

1985

1990

1995

2000

Winter

Abb. 5: Entwicklung der Letalität aller erfassten Personen während 20 Jahren

weise verschütteten Personen mindestens 97 % beträgt. Von den 872 ganz verschütteten Personen waren 461 (53 %) tot, 411 (47 %) haben überlebt.Auch unter Einbezug einer Dunkelziffer von rund 10 % von nicht bekannten ganz verschütteten und überlebenden Personen beträgt die Überlebenschance im Falle einer Ganzverschüttung nur etwa 50 % (Abb. 6). Somit lautet die These:„Die Letalität bei allen von Lawinen erfassten Personen schätzen wir auf höchstens 13 %, die Letalität im Falle einer Ganzverschüttung beträgt rund 50 %.“ 3.2 Todesursachen Eine Dissertation eines Mediziners (A. Weymann, Medizinische Fakultät Universität Basel), in welcher unter anderem die Todesursachen und Verletzungsmuster aller Lawinenopfer in der Schweiz von 1991 bis 1996 untersucht worden sind, zeigt, dass von insgesamt 91 Lawinentoten nur 42 Personen (46 %) an Asphyxie und nur 6 Personen (7 %) an Hypothermie gestorben sind. Insgesamt 39 Personen (43 %) aber sind an mechanischen Verletzungen gestorben. Davon fielen 26 Todesursachen (29 %) auf ein Polytrauma, 7 Todesfälle (8 %) auf HWS-Verletzungen und 6 Fälle (7 %) auf ein Schädel-Hirn-Trauma. In 4 Fällen (4 %) konnte die Todesursache

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1400 1200 1000

49.2 % 48.5 %

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4.5 %

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45 %

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von Lawinen erfasste Personen (Anzahl)

Dunkelziffer üb erlebt tot

1.6 %

2.9 % nicht verschü ttet

teilverschü ttet

ganz verschü ttet

Folge

Abb. 6: Verschüttungsfolgen 20 Jahre

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4.4 % 6.6 %

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Schädelhirntrauma HWS-Verletzungen Polytrauma 6.6 % 7.7 %

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Lawinenunfäll e (Anzahl)

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unbekannt Hypothermie Asphyxie Verletzungen

42.9 %

0

28.6 %

Todesursache

Verletzungen

Abb. 7: Todesursachen 1991–1996

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98/99

96/97

97/98

94/95

95/96

92/93

93/94

91/92

89/90

90/91

87/88

88/89

85/86

86/87

83/84

84/85

81/82

82/83

79/80

80/81

0

von Lawinen erfasste Personen (Anzahl)

150

Variantenfahrer überlebt Ski-/Bergtour überlebt Variantenfahrer tot Ski-/Bergtour tot

Winter

Abb. 8: Verteilung erfasster Personen im freien Gelände 1979–1999 nicht klar festgestellt werden. Anzumerken ist, dass 22 der traumatologischen Todesfälle auf Ganzverschüttungen und 17 Fälle auf Teil- oder Nichtverschüttungen fielen (Abb. 7). 3.3 Erfassungsort Auf die Verlagerung des Unfallgeschehens in den vergangenen 20 Jahren in die Kategorie „freies Gelände“ ist bereits im Kapitel 2 hingewiesen worden. Innerhalb dieser Kategorie zeichnet sich seit dem Winter 1995/96 zusätzlich eine Verschiebung vom Tourenbereich in den Variantenbereich ab. Während im langjährigen Mittel der Toten im freien Gelände 28 % auf den Variantenbereich und 72 % auf den Tourenbereich fielen, waren es in den vergangenen 4 Jahren 40 % (28 Tote) im Varianten- und 60 % (42 Tote) im Tourenbereich (Abb. 8 und 9). Langfristige Trends lassen sich hingegen noch nicht feststellen. Bei den 28 Toten im Variantenbereich waren nur 8 tote Snowboarder. 3.4 Anzahl Tote pro Unfall im freien Gelände Durchschnittlich passieren 11 Lawinenunfälle pro Jahr mit einem Todesopfer, 2,5 Fälle pro Jahr mit je 2 Todesopfern sowie 0,7 Fälle mit 3 Todes-

109


80 60

+

40

+

+

+

+

+

+ +

+

+

+

+

+

20

Anteil Variantenfahrer (Prozent)

mean: 28.03 5y average Trend -0.08 n. sig.

+

+

+ +

+

+

0

+

1980

1985

1990

1995

2000

Winter

Abb. 9: Entwicklung Anteil Lawinentoter im Variantenbereich 1979–1999 opfern. Alle 21/2 Jahre muss ein Unfall mit 4 Todesopfern und alle 5 Jahre ein Unfall mit 5 Todesopfern erwartet werden. In den letzten 20 Jahren haben sich im freien Gelände 3 Unfälle mit je 6 Todesopfern und 2 Unfälle mit je 7 Todesopfern ereignet (Abb. 10).

4 GANZVERSCHÜTTUNGEN IM FREIEN GELÄNDE 1980 BIS 1999 (20 JAHRE) Dabei wurden die Daten von insgesamt 729 ganz verschütteten Personen analysiert. Von diesen 729 Personen waren 389 Personen (53 %) tot, 340 (47 %) haben überlebt. In den letzten 4 Jahren hat die Letalität bei Ganzverschüttungen signifikant abgenommen (siehe Abb. 11). Auf die Gründe (Erfolge Rettungsmittel), welche zu dieser erfreulichen Entwicklung beigetragen haben, wird in späteren Kapiteln eingegangen. 4.1 Verteilung der Verschüttungstiefen und der Verschüttungsdauer Die mediane Verschüttungstiefe aller 729 Personen beträgt 70 cm. Wenn man die Gruppe der Personen, welche durch sichtbare Teile aufgefunden worden sind oder sich selber befreien konnten (geringe Verschüttungstiefen) nicht berücksichtigt, beträgt die mediane Verschüttungstiefe

110


150 100

51

50

Tote pro Unfall (Anzahl)

200

218

14

4

3

2

5

6

7

0

8

1

2

3

4 Tote

Abb. 10: Anzahl Tote pro Lawinenunfall 1979–1999

80

100 80

mean Letalität : 53.36 5y average Trend -1.18 sig.

+

60

+

+

+

+

+

60

+

+

+ + +

+

40

+

+ +

40

+

Letalität (Prozent)

+ +

+

98/99

96/97

97/98

94/95

95/96

92/93

93/94

91/92

89/90

90/91

87/88

88/89

85/86

86/87

83/84

84/85

81/82

82/83

79/80

80/81

0

20

20

+

0

Ganzverschüttete im freien Geländ e (Anzahl)

100

üb erlebt tot

Winter

Abb. 11: Entwicklung der Letalität von Ganzverschütteten im freien Gelände 1979–1999

111


10 20 50 100

Verschüt tungstiefe [cm]

200 500 1000

alle Verschütteten

Überlebende

Tote

Abb. 12: Verschüttungstiefen im freien Gelände 1979–1999 100 cm. Die mediane Verschüttungstiefe aller überlebenden Ganzverschütteten beträgt 50 cm. Das entspricht der Hälfte des medianen Wertes von 100 cm bei den verstorbenen Ganzverschütteten. Von den überlebenden Ganzverschütteten waren 75 % weniger als 80 cm tief verschüttet (Abb. 12). Die mediane Verschüttungsdauer aller 729 Personen beträgt 40 Minuten. Wenn man bei der Verschüttungsdauer ebenfalls die Gruppen „sichtbare Teile“ und „selbst befreit“ ausschließt, erhält man eine mediane Verschüttungsdauer von 60 Minuten.Schließt man zusätzlich die Kategorie „Rufen“ aus, beträgt die mediane Verschüttungsdauer der restlichen Ganzverschütteten 70 Minuten. Die mediane Verschüttungsdauer aller überlebenden Ganzverschütteten ist mit 11 Minuten signifikant tiefer als der mediane Wert von 120 Minuten bei den verstorbenen Ganzverschütteten. Von den überlebenden Personen waren 75 % weniger als 30 Minuten lang verschüttet (Abb.13).Diese Ergebnisse stimmen gut mit denen früherer Publikationen überein (2 und 3). Die Kennzahlen der medianen Verschüttungstiefen und der medianen Verschüttungsdauer sind für die Entwicklung von Rettungsstrategien sowie von Rettungs- und Suchgeräten von Bedeutung. Die längste Verschüttungsdauer, welche im untersuchten Zeitraum im freien Gelände überlebt wurde, beträgt 16 Stunden. Ein Bergwanderer wurde am 17. März im St. Galler Oberland von einer Lawine erfasst und überlebte eine 16-stündige Verschüttung mit leichten Verletzungen.

112


6M 1M 1W 1Tg 6h 1m

10m

1h

Verschüt tungsdauer

alle Verschüt teten

Überlebende

Tote

Abb. 13: Verschüttungsdauer im freien Gelände 1979–1999 4.2 Rettung/Bergung Von den 729 im freien Gelände ganz verschütteten Personen konnten sich 44 Personen (6 %) selbst befreien. 328 Personen (45 %) wurden durch Kameraden, 357 Personen (49 %) durch Rettungsmannschaften geborgen.Von den 328 durch Kameraden geborgenen Personen haben 232 Personen (71 %) überlebt, 96 Personen (29 %) waren tot. Bei den durch Rettungsmannschaften geborgenen Personen hingegen waren 293 Personen (82 %) tot und nur 64 Personen (18 %) haben überlebt.Somit ist die Überlebenschance bei der Kameradenhilfe rund viermal größer als bei organisierten Rettungen (Abb. 14).

5 B I L A N Z D E S LV S V E R G L I C H E N M I T D E N Ü B R I G E N S U C H MITTELN 5.1 Suchmittel Kameradenhilfe Bei der Kameradenhilfe sind Ganzverschüttete mit den folgenden Suchmitteln gefunden worden: Sichtbare Teile: 149 P.; 125 P. (84 %) überlebt; 24 P. (16 %) tot VS-Geräte: 138 P.; 70 P. (51 %) überlebt; 68 P. (49 %) tot

113


300

17.7 %

200

71.3 %

82.3 %

100

Ganzverschüttete (Anzahl)

überlebt tot

0

28.7 %

Rettungsmannschaften

Kameraden

selber

Rettungsart

Abb. 14: Rettung/Bergung Ganzverschütteter im freien Gelände 1979–1999

Rufen: 23 P. (100 %) überlebt Sondieren: 14 P.; 10 P. (71 %) überlebt; 4 P. (29 %) tot Beobachten: 9 P. (100 %) überlebt Am meisten Ganzverschüttete sind durch sichtbare Körperteile oder Gegenstände gefunden worden, dicht gefolgt von den durch VS-Geräte aufgefundenen Ganzverschütteten. Während die Überlebenschancen in der Kategorie „sichtbare Teile“ mit 85 % sehr hoch sind, fallen diese bei den VS-Geräten mit 51 % eher ernüchternd aus (Abb. 15). Dieser Umstand ist bereits in früheren Studien festgestellt worden (4).Das Überleben von Ganzverschütteten hängt primär von den Verschüttungszeiten ab. Die mediane Verschüttungszeit aller von Kameraden durch sichtbare Teile geborgenen ganz verschütteten Personen beträgt 10 Minuten, bei der LVS-Bergung beträgt die mediane Verschüttungszeit jedoch 20 Minuten. Wenn die Überlebenschancen von durch Kameraden mit VS-Geräten georteten Personen deutlich verbessert werden soll, muss die gesam-

114


150 100

50.7 %

50

83.9 %

49.3 %

16.1 %

71.4 % 28.6 %

0

Ganzverschü ttete durch Kameraden Gerettete (Anzahl)

üb erlebt tot

sichtbare Teile

VS-Gerät e

Rufen

Sondieren

Beobachten

Suchmittel

Abb. 15: Suchmittel Kameradenhilfe Ganzverschüttete im freien Gelände 1979–1999 te Zeit vom Moment der Verschüttung bis zur Bergung (Organisation, Suche, Ortung, Lokalisierung, Ausgraben) deutlich verkürzt werden. Die Überlebenschancen (51 %) von den mit VS-Geräten geborgenen Verschütteten ist deutlich kleiner als die Überlebenschance (71%) bei der Gesamtheit aller durch Kameraden geborgenen Ganzverschütteten. Dies ist mit der großen Anzahl Überlebenden der durch sichtbare Teile aufgefundenen Personen erklärbar. In den letzten 5 Jahren war die Erfolgsbilanz des LVS jedoch bedeutend besser (Abb. 16). Die Wahrscheinlichkeit, von Kameraden mittels LVS lebend geborgen zu werden, ist von knapp unter 30 % auf 75 % angestiegen. Die mediane Verschüttungszeit aller mittels LVS durch Kameraden geborgenen Personen beträgt 20 Minuten, bei den lebend Geborgenen beträgt sie 15 Minuten,bei den tot Geborgenen 35 Minuten.Als Vergleich: Die mediane Verschüttungszeit aller mittels sichtbarer Teile durch Kameraden geborgenen Personen beträgt 10 Minuten. Die Anzahl aller von Kameraden durch LVS geborgenen Personen ist in den letzten 5 Jahren konstant geblieben. Die Anzahl der lebend geborgenen Personen hat sich jedoch erhöht. Dies hängt damit zusammen, dass die mediane Verschüttungszeit in den letzten 5 Jahren immer unter 25 Minuten lag. Das Mittel

115


mean Letalität : 50.18 5y average Trend -1.14 n. sig. +

15

+

75

+

100

+

+

+

50

10

+

+

+ +

+

Letalität (Prozent)

20

+

5

+ +

25

+ +

+

97/98

95/96

96/97

93/94

94/95

91/92

92/93

89/90

90/91

87/88

88/89

85/86

86/87

83/84

84/85

81/82

82/83

79/80

80/81

98/99

+

0

+

0

Ganzverschü ttete durch Kameraden mit VS-Gerät en Gerettete (Anzahl)

+ überlebt tot

Winter

Abb. 16: Bilanz LVS Kameradenrettung 1979–1999

der vergangenen 2 Jahre liegt sogar bei nur 10 Minuten (Abb. 17). Daraus kann geschlossen werden, dass sich der Ausbildungsstand der LVS-Benützer wahrscheinlich verbessert hat. Die Einführung von digitalen VS-Geräten hat mit dieser erfreulichen Entwicklung jedoch nichts zu tun. Bis Ende des Winters 1999 waren die neuen Geräte in der Schweiz nur wenig verbreitet. Die mediane Verschüttungstiefe aller mittels LVS durch Kameraden geborgenen Personen weicht mit 85 cm nur unwesentlich von der medianen Verschüttungstiefe aller ganz verschütteten Personen (70 cm) ab. Der höhere Wert lässt sich dadurch erklären, dass die meisten Personen, welche durch sichtbare Körper- oder Ausrüstungsteile gefunden worden sind, weniger tief verschüttet waren. 5.2 Suchmittel Rettungsmannschaften Bei den Rettungsmannschaften sind Ganzverschüttete mit den folgenden Suchmitteln gefunden worden (Abb. 18): Lawinenhund: 171 P.; 30 P. (18 %) überlebt; 141 P. (82 %) tot Sondieren: 54 P.; 10 P. (19 %) überlebt; 44 P. (81 %) tot

116


80

mean: 25.05 5y average Trend -0.57 n. sig.

60

+

40

+ + + +

+

20

mediane Verschü ttungszeit (Minuten)

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

0

+

1980

1985

1990

1995

2000

Winter

Abb. 17: Entwicklung Verschüttungszeiten LVS/Kameradenhilfe 1979 bis 1999 VS-Geräte: 54 P.; 6 P. (11 %) überlebt; 48 P. (89 %) tot Sichtbare Teile: 42 P.; 11 P. (26 %) überlebt; 31 P. (74 %) tot Rufen: 4 P. (100 %) überlebt Beobachten: 1 P. (100 %) überlebt Transponder: 1 P. (100 %) Graben ausheben: 4 P. (100 %) tot Ausapern: 25 P. (100 %) tot Am meisten Ganzverschüttete sind durch den bewährten Lawinenhund gefunden worden.Vor allem in den vergangenen Jahren haben die Lebendbergungen durch Lawinenhunde erfreulicherweise zugenommen (Abb.19). Die positive Entwicklung bei den organisierten Rettungen könnte durch kürzere Alarmierungszeiten (Handy, Funkgerät, professionelle Rettung durch Pistendienste und Helikopter) und dadurch kürzeren Verschüt-

117


150 100

überlebt tot

50

82.5 % 11.1 %

18.5 % 26.2 %

88.9 %

81.5 % 73.8 %

0

Ganzverschü ttete durch Rettungsmannschaften Gerettete (Anzahl)

17.5 %

Lawinenhund

Sondieren

Sichtbare Teile

VS-Geräte

Rufen, Beobachten, Transponder

Graben ausheben, Ausapern

Suchmittel

Abb. 18: Suchmittel Rettungsmannschaften Ganzverschüttete im freien Gelände 1979–1999 tungszeiten begründet sein. In den letzten 5 Jahren lagen die medianen Verschüttungszeiten konstant unter dem langjährigen Mittel von 152 Minuten (Abb.20).Gesamthaft gesehen sind die Überlebenschancen jedoch bei allen von Rettungsmannschaften eingesetzten Suchmitteln relativ gering.

6 D E R A B S - L AW I N E N - A I R B A G Der Lawinen-Airbag oder Lawinenballon ist als „ABS-System“ (avalanche airbag system) im Handel. Das System besteht aus einem Tourenrucksack, in dessen Seitentaschen 2 Ballons mit je 75 l Volumen integriert sind, Gerät man in eine Lawine, so zieht man an einem Auslösegriff, der mittels einer kleinen Sprengladung eine Druckluftpatrone öffnet.Die Ballons werden dann innerhalb von 1 bis 2 Sekunden mit dem aus der Patrone ausströmenden Gas sowie mit aufgrund des sog. „Venturi-Effekts“ durch ein Ventilsystem mitgerissener Umgebungsluft gefüllt. Es existiert auch eine ältere Variante des Systems mit einem einzelnen Ballon mit 150 l Volumen. Hier erfolgt die Auslösung der Druckluftpatrone mechanisch über eine Reißleine. 118


+

100

+

+

+

+

+

15

überlebt tot

+

80

+

+

+

+

+

+ +

60

20

+ +

40

10

mean Letalität : 77.58 5y average Trend -1.65 n. sig.

5

20

+

0 98/99

96/97

97/98

94/95

95/96

92/93

93/94

90/91

88/89

89/90

86/87

87/88

84/85

85/86

82/83

83/84

80/81

81/82

79/80

91/92

+

0

Ganzverschüttete durch Hunde Gerettete (Anzahl)

+

Letalität (Prozent)

25

+

Winter

Abb. 19: Bilanz Lawinenhund 1979–1999

Abb. 20: Entwicklung Verschüttungszeiten Rettungsmannschaften 1979 bis 1999

119


6.1 Test der Wirksamkeit Die Wirksamkeit des ABS-Systems wurde im Winter 1994/95 im Rahmen einiger Vorversuche und eines Großversuchs am SLF in Davos untersucht. Dabei konnte festgestellt werden, dass der Lawinen-Airbag, selbst falls er eine Ganzverschüttung nicht verhindert, ein Markierungsmittel ist, das ein schnelles Lokalisieren und eine rasche Bergung des Verunfallten ermöglicht. Ausführliche Informationen zu den Versuchen zur Wirksamkeit des Lawinen-Airbags finden sich im Literaturverzeichnis (5 und 6).

6.2 Das Wirkungsprinzip des Lawinen-Airbags Ein komplett ausgerüsteter Skifahrer mit aufgeblasenem ABS-System hat ein mittleres spezifisches Gewicht von ca. 400 kgm3, während man für fließenden Lawinenschnee eine mittlere Dichte von 300 kgm3 annimmt. Die Tatsache, dass man sich mit aufgeblasenen Ballons eher an der Oberfläche der fließenden Lawine befindet, kann also nicht durch „Schwimmen“ im klassischen Sinn,das durch den hydrostatischen Auftrieb bewirkt wird, erklärt werden. Eine Erklärung für die Wirksamkeit des ABS-Systems erhält man, indem man die fließende Lawine als strömendes granulares Medium interpretiert, das aus unterschiedlich großen diskreten Partikeln besteht, in diesem Fall aus Schneeblöcken, -brocken und -krümeln. Unter Schwerkrafteinfluss strömende granulare Medien neigen dazu, sich derart zu entmischen, dass größere Partikel eher an der Oberfläche, kleinere eher in den unteren Schichten der Granulatströmung zu finden sind. Diesen Sortierungseffekt nennt man „inverse Segregation“. Der Lawinenballon macht den Skifahrer, der an sich schon ein relativ großes Partikel innerhalb des Lawinengranulats ist, zu einem noch größeren Brocken, der besser von dem sog. Sortierungseffekt profitieren kann, wie es in Abb. 21 schematisch skizziert ist. In Computersimulationen wurde der Effekt der inversen Segregation an einer aus verschieden großen Kugeln bestehenden Modellströmung untersucht. Eine Beschreibung dieser numerischen Arbeiten findet sich in (7) und (8). Es zeigte sich, dass der Effekt der inversen Segregation neben dem Größenverhältnis von großen und kleinen Partikeln empfindlich von den Materialeigenschaften der einzelnen Partikel abhängt, aus denen die Granulatströmung besteht. Ein Ergebnis ist z. B., dass eine Verringerung der Oberflächenrauigkeit der Kugeln das Segregationsverhalten in der Strömung begünstigt.

120


ABS

Abb. 21: Schematische Darstellung der inversen Segregation Obwohl es eine starke Abstraktion des realen Schneelawine-SkifahrerSystems ist, vermag das einfache Kugelmodell also den grundlegenden Mechanismus, welcher der Wirksamkeit des Lawinen-Airbags zugrunde liegt, zu reproduzieren. 6.3 Bekannte und dokumentierte Lawinenunfälle Zwischen Februar 1991 und Februar 2000 sind weltweit 25 Lawinenunfälle mit 39 mit dem ABS-System ausgerüsteten Personen bekannt und dokumentiert worden. Von diesen 39 Personen waren 31 mit aufgeblähten Ballons in der Lawine. 6 Personen haben die Reißleine nicht gezogen und so den Auslösemechanismus nicht in Gang gesetzt, bei 2 Personen waren wahrscheinlich technische Probleme für das Nichtaufblähen der Ballons verantwortlich. Von den 31 Personen mit aufgeblähten Ballons waren 15 Personen nicht verschüttet, 11 Personen teilverschüttet und 5 Personen ganz verschüttet. Bei 4 der 5 ganz verschütteten Personen waren die Ballons an der Oberfläche der Lawine sichtbar geblieben. Dadurch war eine schnelle Ortung und Bergung durch nicht mitgerissenen Kameraden möglich. Diese 4 Personen haben die Ganzverschüttung überlebt. Bei einem Lawinenunfall im Februar 2000 im Südtirol wurden 5 Personen von einer Lawine mitgerissen und verschüttet, wobei eine Person mit dem ABS-System ausgerüstet war und mit aufgeblähten Ballons ganz verschüttet wurde. Diese 5 Personen hatten sich im Aufstieg ungefähr in der Mitte eines Hanges befunden, als eine Lawine zuoberst am Hang anriss

121


und die aufsteigende Gruppe zum flachen, leicht muldenförmigen Hangfuss mitriss. Alle Personen wurden dort zwischen 170 cm und 300 cm tief verschüttet und konnten mit Hilfe von LVS-Geräten geortet werden. 4 Personen konnten nur noch tot geborgen werden, eine Person überlebte die Verschüttung. Unter den 4 Lawinentoten befand sich auch die mit ABS ausgerüstete Person. Diese war trotz aufgeblähten Ballons 170 cm tief verschüttet worden.Wahrscheinlich war das Lawinenopfer im flachen Bereich des Hangfusses, bedingt durch die Ankerwirkung des Körpers und der Skis, an der Lawinenoberfläche liegen geblieben. Der nachfließende Schnee aus dem oberen Hangbereich hatte die Person trotz aufgeblähten Ballons 170 cm tief verschüttet. Der Lawinenballon funktioniert nur so lange, als die betreffende Person mit der fließenden Lawine mitgerissen wird. Bleibt man irgendwo hängen, nützen die Ballons nicht mehr viel. Dieses Problem wurde bereits in den Versuchen von 1995 erkannt. In diversen Publikationen des SLF ist darauf hingewiesen worden. Eine Verbesserung der Überlebenschance von mit aufgeblähten Ballons ganz verschütteten Personen könnte erreicht werden, wenn sich die Ballons dank eines eingebauten Mechanismus nach etwa 3 Minuten schnell und vollständig entleeren würden. Somit haben 30 mit aufgeblähten Ballons mitgerissene Personen ihren Lawinenunfall überlebt, eine Person war tot (Abb. 22). Wahrscheinlich gibt es eine unbestimmte Anzahl von weiteren, glimpflich verlaufenen Unfällen mit dem ABS-System. Geht man davon aus, dass die Letalität bei allen von Lawinen mitgerissenen Personen maximal 13 % beträgt, ist die Wirksamkeit des Lawinen-Airbags auch statistisch nachgewiesen. Bei Verschüttungen in Mulden und bei großen Lawinen ist die Wirkung des Systems fraglich.

7 SCHLUSSFOLGERUNGEN Die größte Überlebenschance haben Personen, welche von einer Lawine erfasst, aber nicht oder nur teilweise verschüttet wurden. Bei Ganzverschütteten ist die Überlebenschance am größten, wenn Körper- oder Ausrüstungsteile an der Lawinenoberfläche sichtbar sind. Kameradenhilfe ist sehr effizient. Hier haben in den letzten Jahren vor allem die häufigeren Erfolge mit LVS-Geräten zu einer günstigen Entwicklung beigetragen. Die positive Entwicklung bei der organisierten Rettung lässt sich vor allem durch die gute Verbreitung moderner Kommunikationsmittel (Handy, Funkgerät) und durch schnelle (Helikopter, Pistendienste) und pro122


Fehlfunktion System Ballon nicht gezogen korrekt funktioniert

40

überlebt tot

nicht verschüttet teilverschüttet ganz verschüttet

15.4 %

30 20

48.4 % 97.4 % 79.5 % sichtbar ganz verschüttet

35.5 %

10

Lawinenunfälle mit ABS (Anzahl)

5.1 %

80 % 20 %

0

16.1 % 2.6 % Letalität

Funktion System

Verschüttung

Sichtbarkeit Ballons an der Oberfläche

Abb. 22: Bekannte und dokumentierte Lawinenunfälle mit dem LawinenAirbag fessionelle Rettung erklären. Von allen bewährten technischen Hilfsmitteln bietet aber der Lawinen-Airbag derzeit die größten Möglichkeiten, einen Lawinenunfall zu überleben. Trotz aller positiver Entwicklungen und modernster technischer Hilfsmittel darf aber ein Lawinenunfall schon wegen des hohen Verletzungsrisikos niemals bewusst in Kauf genommen werden.

8

L I T E R AT U R

(1) Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung (1936–1998): Winterberichte, Davos. (2) Falk M., Brugger H., Adler-Kastner L.: Avalanche survival chances. Nature 21, 368 (1994). (3) Brugger H., Falk M., Adler-Kastner L.: Der Lawinennotfall – Neue Aspekte zur Pathophysiologie und Therapie von Lawinenverschütteten. Wiener Klinische Wochenschrift 109, 145-159 (1997). 123


(4) Brugger H., Falk M., Buser O., Tschirky F.: Der Einfluss des Lawinenverschütteten-Suchgerätes (LVS) auf die Letalität bei Lawinenverschüttung. Der Notarzt 13, 143-146 (1997). (5) Tschirky F., Schweizer J., Ammann W.: Avalanche Balloons – Preliminary Test Results. In Proc. ISSW, Banff, Canada (1996). (6) Tschirky F., Meister R., Ammann W., Buser O.: Untersuchung über die Wirkung des Lawinenballons. Bericht Versuche Winter 1994/95. Internal Report 686, Swiss Federal Institute for Snow and Avalanche Research (1995). (7) Kern M.A.,Vulliet L.,Ammann W.: Inverse Grading in Granular Flows. In Proc. NUMOG VII, Graz, Austria (1999). (8) Vulliet L., Kern M.A.: Inverse Grading in Slopes. In Proc ISL VIII, Cardiff, Wales (2000).

9

GLOSSAR

Erfasst: Eine Person hat sich während des Lawinenabganges innerhalb der abgleitenden Schneemassen befunden. Nicht verschüttet (nv): Eine erfasste Person, welche aus den abgleitenden Schneemassen ausfahren oder sich irgendwo festhalten konnte oder mitgerissen wurde und nach Lawinenstillstand nicht verschüttet blieb. Teilverschüttet (tv): Eine mitgerissene Person, welche nach Lawinenstillstand nur teilweise verschüttet war, bei der aber mindestens der Kopf nicht verschüttet und die freie Atmung nicht beeinträchtigt war. Ganz verschüttet (gv): Eine mitgerissene Person, bei welcher nach Lawinenstillstand mindestens der Kopf und der Thorax verschüttet waren und so die Gefahr des Erstickens bestand. Kameradenhilfe (Ka): Ortung durch Kameraden, durch nicht betroffene Drittpersonen, durch zufällig vorbeikommende Personen. Rettungsmannschaften (Rm): Organisierte Hilfe. Selbst befreit: Ganz verschüttete Personen, welche sich selber aus den Schneemassen ausgraben konnten. Sichtbarer Gegenstand oder Körperteil (si): Eine ganz verschüttete Person, bei welcher ein Gegenstand (z. B. Ski, Seil etc.) oder ein Körperteil (z. B. Hand oder Fuss) aus dem Lawinenkegel ragte und so eine schnelle Ortung durch andere Personen möglich war.

– – – –

124


– – –

– – –

– – –

LVS (VS): Lawinenverschütteten-Suchgerät (elektronischer Sender – Empfänger). Rufen (Ru): Eine ganz verschüttete Person konnte mittels Rufen auf sich aufmerksam machen. Beobachtung (Beo): Drittpersonen konnten durch Beobachtung des Lawinenabganges und des Verschwindepunktes den ungefähren Liegeort der verschütteten Person ausmachen und diese ausgraben. Transponder (Tra): Recco-Reflektoren. Hund (Hu): Lawinenhund. Graben (Gra): Rettungsmannschaften haben in primären Suchbereichen Gräben ausgehoben und konnten so eine vermisste Person finden. Ausapern (Ap): Eine ganz verschüttete Person wurde erst gefunden, als der Schnee wegschmolz. Verschüttungstiefe: Maßgebend für die Verschüttungstiefe ist die Lage des Kopfes des betreffenden Lawinenopfers. Verschüttungszeit: Dauer zwischen dem Zeitpunkt der Verschüttung und dem Zeitpunkt,wenn mindestens Kopf und Thorax des Lawinenopfers freigelegt sind.

125


126


M a r t i n K e r n , F r a n k Ts c h i r k y 1 u n d J ü r g S c h w e i z e r

Feldversuche zur Wirksamkeit einiger neuer Lawinen-Rettungsgeräte Field experiments on the effectiveness of some new avalanche rescue devices S U M M A RY The effectiveness of different kinds of avalanche rescue devices was tested in the field during the winter of 2000/2001. Thirteen test dummies equipped with and without avalanche airbags were placed in an avalanche slope, which was then artificially released.The burial depth of the dummies was recorded. Additionally, the loads on the cervical vertebrae were measured by a dummy equipped with sensors provided by a car manufacturer. The tests confirmed, that wearing an avalanche airbag generally decreases the burial depth of avalanche victims. The inflated avalanche airbags were always visible on the surface of the avalanche deposits, and therefore can be regarded as good markers which help to decrease burial time and thereby increasing survival chances of avalanche victims. The loads acting on the cervical vertebrae of victims during avalanche flow appear to be considerable, such that fatal injuries seem possible. Additional research is needed to estimate the effect of the different kinds of avalanche airbags on the amount of mechanical load. A decrease of load acting on the cervical vertebrae by wearing a polo-neck shaped airbag could not be proved due to the limited number of results. Keywords: avalanche accident, avalanche rescue, avalanche airbag, avalanche burial.

Frank Tschirky verstarb kurz nach Abschluss der Versuche am 25. April 2001 auf einem Trekking in Nepal an einem Herzversagen. Er hat die Arbeiten zum Lawinenairbag am Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos, von Beginn an mit großem persönlichem Engagement begleitet, die Unfallstatistik geführt und mit seiner reichen praktischen Erfahrung als Bergführer sehr viel zur Weiterentwicklung der Ideen beigetragen. 1

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Z U S A M M E N FA S S U N G Im Winter 2000/2001 wurden verschiedene Arten von Lawinen-Rettungsgeräten einem vergleichenden Test bezüglich ihrer Wirksamkeit unterzogen: 13 Versuchspuppen mit und ohne Lawinenairbags wurden in einen Lawinenhang eingebracht, der anschließend künstlich ausgelöst wurde. Die Verschüttungstiefen der Dummies mit verschiedenen bzw. ohne Lawinenairbags wurden gemessen. Zusätzlich wurden mit Hilfe eines mit Sensoren bestückten Messdummies die Belastungen gemessen, die im Halswirbelsäulenbereich von durch Lawinen erfassten Personen auftreten. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass das Tragen eines Airbags die Verschüttungstiefe in einer Lawine verringert. In den Versuchen waren die aufgeblasenen Airbags in jedem Fall an der Oberfläche der Lawinenablagerungen sichtbar. Sie stellen deshalb ein gutes Markierungsmittel zur raschen Lokalisierung und Bergung von Verschütteten dar und tragen damit zu einer Verringerung der Verschüttungsdauer bzw. zu einer Erhöhung der Überlebenschancen bei Lawinenunfällen bei. Die gemessenen Belastungen im Bereich der Halswirbelsäule sind erheblich. Zusätzliche Untersuchungen sind nötig, um abzuklären, inwieweit das Tragen eines Lawinenairbags die auf eine Person in einer fließenden Lawine wirkenden Belastungen beeinflussen kann. Eine Verringerung der mechanischen Belastungen der Halswirbelsäule durch das Tragen eines kragenförmigen Airbags lässt sich aufgrund der bis anhin geringen Zahl von Belastungsmessungen nicht nachweisen. Schlüsselwörter: Lawinenunfall, Lawinenrettung, Lawinenairbag, Lawinenverschüttung.

1 EINFÜHRUNG Der ABS-Lawinenairbag war das erste Lawinen-Rettungsgerät mit dem Anspruch, nicht die rasche Rettung zu ermöglichen, sondern die Verschüttung zu verhindern. Es handelt sich um ein Rettungsgerät, das vom Benutzer die aktive Auslösung im Falle eines Lawinenniederganges erfordert. Da es sich um ein so genanntes merkmalfreies Rettungsgerät handelt, ist, abgesehen davon, dass der Ballon als Lokalisierungsmittel dienen kann, es stets mit einem Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) zu ergänzen. LVS sind merkmalspezifische Rettungsgeräte auf dem Sender-Empfänger-Prinzip und nicht Gegenstand der nachfolgend beschriebenen Tests (1).

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Nach den Feldversuchen des SLF im Winter 1994/95 zur Wirksamkeit der ABS-Monoairbags (2) wurden Hinweise auf die Wirksamkeit der Lawinenairbags vor allem aus der Auswertung von Unfällen, in die Personen mit Lawinenairbags verwickelt waren, sowie aus theoretischen Überlegungen gewonnen.Demnach beruht die Wirksamkeit des Lawinenairbags auf dem Prinzip der inversen Segregation in granularen Strömungen. Bei den uns bekannten Lawinenunfällen, bei denen Personen mit dem Lawinenairbag ausgerüstet waren, wurde nur eine von insgesamt 40 erfassten Personen tödlich verschüttet. Mit dem dualen ABS-Airbag-System („Doppelairbag“), dem Prototypen der „avagear“-Rettungsweste und dem K2-„avalanche ball“ hat es in den letzten Jahren einige neue Entwicklungen auf dem Sektor der Rettungsgeräte gegeben, deren Wirkungsweise wie die des Monoairbags auf dem Prinzip der inversen Segregation in granularen Strömungen beruht,wobei es sich beim K2-„avalanche ball“ primär um ein merkmalspezifisches, nicht elektronisches Ortungsgerät handelt. Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit die neuen Geräte ihren Zweck,eine Verschüttung in einer Lawine zu verhindern bzw. die Ortung und Bergung eines Lawinenopfers zu erleichtern, erfüllen können, auch im Vergleich zum bisherigen Monoairbag-System. Darüber hinaus ist die Frage nach den Belastungen des menschlichen Körpers in einer Lawine von großer Bedeutung: Es ist nicht klar, wie viele der Opfer bei Lawinenunfällen an mechanischen Verletzungen sterben (3). Ziel des Feldversuches im Winter 2000/2001 war es daher, die Neuentwicklungen einem Funktionstest zu unterziehen und mit Hilfe eines speziellen Mess-Dummys aus der Autoindustrie die auf ein Lawinenopfer wirkenden Kräfte zu messen.

2 S TA N D D E R K E N N T N I S S E 2.1 Das physikalische Wirkungsprinzip des Lawinenairbags Im von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) geförderten Projekt „Verschüttungsprophylaxe mit Lawinenairbags“ wurde der Effekt der inversen Segregation in granularen Strömungen, der der Wirksamkeit von Lawinenairbags zugrunde liegt, auf theoretisch-numerischer Ebene untersucht. Die Ergebnisse dieser Arbeiten wurden von Kern umfassend beschrieben (4, 5). Eine Erklärung für die Wirksamkeit des ABS-Systems erhält man, indem man die fließende Lawine als strömendes granulares Medium interpre-

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tiert, das aus unterschiedlich großen Partikeln besteht, in diesem Fall aus Schneeblöcken, -brocken und -krümeln. Unter Schwerkrafteinfluss strömende granulare Medien neigen dazu, sich derart zu entmischen, dass größere Partikel eher an der Oberfläche, kleinere eher in den unteren Schichten der Granulatströmung zu finden sind. Diesen Sortierungseffekt nennt man „inverse Segregation“. Der Prozess der inversen Segregation ist vor allem von der relativen Größe der Granulatpartikel, kaum aber von ihrer relativen Dichte abhängig. Der Lawinenballon macht den Skifahrer, der an sich schon ein relativ großes Partikel innerhalb des Lawinengranulats ist, zu einem noch größeren Brocken, der besser von dem Sortierungseffekt profitieren kann.

ABS

Abb. 1: Schematische Darstellung der inversen Segregation

2.2 Feldtests im Winter 1994/95 Auf praktischer Ebene wurden im Winter 1994/95 die letzten Untersuchungen mit dem Mono-Airbag-System der Firma ABS Peter Aschauer GmbH, Gräfelfing (D) durchgeführt (2). Die Untersuchungen ergaben, dass der Ballon zwar nicht eine Ganzverschüttung verhindern kann, mit großer Wahrscheinlichkeit aber an der Oberfläche der Lawinenablagerungen sichtbar ist und so ein sehr effektives Mittel zur raschen Ortung und Bergung von Lawinenopfern darstellt.

2.3 Bekannte Lawinenunfälle mit Lawinenairbags In den Wintern 1990/91 bis 1999/2000 wurden dem SLF insgesamt 26 Lawinenunfälle gemeldet, bei denen Personen, die einen Airbag trugen, erfasst wurden (6). 32 der insgesamt 40 beteiligten Personen konnten den Lawinenballon bei Erfasstwerden durch die Lawine auslösen, wobei in zwei

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Fällen ein technisches Versagen vorlag. Es zeigt sich deutlich, dass die manuelle Auslösung des Airbags durch den Benützer einen Schwachpunkt darstellt. Das Auslösen muss geübt werden, damit es auch in der extremen Stresssituation eines Lawinenabgangs sicher bewältigt werden kann. Die 8 Personen, die ohne aufgeblähten Airbag erfasst wurden, überlebten den Lawinenniedergang unverletzt oder nur leicht verletzt. Von den 32 Personen, die den Airbag rechtzeitig auslösen konnten, wurden 5 ganz verschüttet (d. h. mind. Kopf und Thorax verschüttet, sodass ein lebensbedrohlicher Zustand besteht), 11 teilverschüttet und 16 nicht verschüttet. Im Falle der Ganzverschüttungen waren die Ballons bis auf einen Fall an der Oberfläche der Lawinen sichtbar, was zu einer raschen Ortung und Bergung der Opfer führte. In einem Fall jedoch wurde der Verunfallte mitsamt aufgeblasenem Airbag bei einem großen Lawinenniedergang von nachfließenden Schneemassen verschüttet und konnte nur noch tot geborgen werden.Auf das Risiko der Totalverschüttung mitsamt Airbag v. a. in Geländemulden und bei Auslösung am Hangfuß ist immer wieder hingewiesen worden (7). Die bisherigen Untersuchungen belegen, dass der Lawinenairbag eine sinnvolle Ergänzung der gängigen Sicherheitsausrüstung für Variantenund Tourenskifahrer ist.Vollständigen Schutz vor den Folgen einer Lawinenauslösung kann er nicht bieten. Ein Vergleich mit einem größeren Datensatz von Lawinenunfällen (ohne Airbag) aus der Region Davos (8), der ähnlich wie der ABS-Datensatz relativ komplett sein sollte, zeigt, dass der Anteil der Ganzverschütteten unter den Erfassten sich in den beiden Datensätzen nicht signifikant unterscheidet (p = 0.07). Die geringe Letalität von lediglich 20 % der Ganzverschütteten, die mit einem gefüllten Airbag erfasst wurden, ist verglichen mit dem Referenzdatensatz aus der Region Davos ebenfalls nicht signifikant (p = 0.35), wobei die geringe Anzahl (N = 5) streng genommen keine statistisch relevanten Aussagen erlaubt.

3 CHARAKTERISTIK DER UNTERSUCHTEN GERÄTE 3.1 ABS-Monoairbag Der ABS-Monoairbag ist seit 1985 im Handel und somit das erste kommerziell erhältliche Lawinenrettungsgerät, dessen Wirkung auf dem Prinzip der inversen Segregation beruht. Beim Monoairbag-System handelt es sich um einen Ballon mit 150 l Volumen, der in einen Rucksack eingebaut ist und mittels einer Reißleine

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innert 2–3 Sekunden über ein Ventilsystem aus einer mit Luft aus einer Druckluftflasche und Umgebungsluft gefüllt wird. 3.2 ABS-Doppelairbag Beim ABS-Doppelairbag („duales System“) ist das Ballonvolumen auf zwei Ballons mit je 75 l Volumen aufgeteilt, die in den Seitentaschen eines Rucksacks untergebracht sind (Abb. 2). Die Auslösung erfolgt nicht mehr wie beim Monoairbag mittels einer Reißleine, sondern pyrotechnisch: Eine im Auslösegriff untergebrachte Sprengladung erzeugt eine Druckwelle, die sich in einer Druckleitung bis zur Druckluftpatrone fortpflanzt und diese mittels eines Metalldorns öffnet. Der Vorteil dieses Systems liegt darin, dass es sich platzsparender in einem Rucksack unterbringen lässt und so mehr Raum für Gepäck lässt. Außerdem ist der Rucksack so bequemer zu tragen.

Abb. 2: Versuchspuppe mit Doppelairbag. Großversuch Pischa-Wäng, 16. März 2001. 3.3 „avagear“-Rettungsweste Die avagear-Rettungsweste wurde in den USA entwickelt und befindet sich derzeit noch im Prototyp-Stadium. Sie besteht aus einem kragenför-

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migen Ballon mit ca. 90 l Volumen, der ähnlich wie die ABS-Airbags aus einer Druckluftpatrone befüllt wird, die mittels einer Reißleine manuell ausgelöst wird. Bei den getesteten Prototypen funktionierte der Füllmechanismus noch nicht. Die Airbags wurden daher vor Versuchsbeginn mit einer Druckluftflasche aufgeblasen. Von der Kragenform des Airbags erhofft man sich,dass der Kopf des Lawinenopfers mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht verschüttet wird als bei den ABS-Airbags. Zusätzlich soll die Kragenform die auf die HalsNacken-Region wirkenden Kräfte mildern sowie im Falle einer Ganzverschüttung eine Atemhöhle erzeugen. Der Test im Rahmen des Feldversuchs sollte Hinweise darauf erbringen, inwieweit die „avagear“-Rettungsweste diesem Anspruch gerecht wird. Im Großversuch wurde ein im Halsbereich mit Kraft- und Drehmomentsensoren bestückter Messdummy (Abb. 3) mit der „avagear“-Rettungsweste ausgerüstet.

Abb. 3: Messdummy mit der „avagear“-Rettungsweste 3.4 K2-„avalanche ball“ Der K2-„avalanche ball“ ist eine Weiterentwicklung der traditionellen Lawinenschnur und unterscheidet sich damit wesentlich von den übrigen untersuchten Rettungsgeräten. In einer Systemtasche ist ein lampionför-

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miger Ball mit einem Durchmesser von ca. 60 cm zusammengefaltet. Nach Ziehen einer Reißleine öffnet sich die Systemtasche und gibt den Ball frei, der innerhalb von Sekundenbruchteilen durch einen Federmechanismus entfaltet wird. Der Ball hängt an einer insgesamt 6 m langen Schnur, die an einem Bauchgurt befestigt wird. In einer Lawine hat der Ball die Tendenz, aufgrund der inversen Segregation an der Lawinenoberfläche zu bleiben und erlaubt durch seine Sichtbarkeit in Kombination mit der Schnur eine einfache visuelle Ortung des Verschütteten. Im Großversuch wurden zwei Dummies mit dem avalanche ball ausgerüstet, um die praktische Anwendbarkeit bei der Verschüttetensuche zu testen.

4 FELDVERSUCHE Die vergleichenden Funktionstests der oben erwähnten Lawinenrettungsgeräte wurden im Rahmen eines groß angelegten Feldversuchs am 16. März 2001 im Pischagebiet bei Davos durchgeführt. Außerdem wurde in zwei ergänzenden Versuchen mit dem instrumentierten Dummy die Belastung auf Personen in einer Lawine gemessen. 4.1 Material: Versuchspuppen und Messdummy Im Großversuch wurden insgesamt 13 Versuchspuppen („Dummies“) eingesetzt. Bei 12 der Puppen handelte es sich um in den USA hergestellte ÜbungsDummies für Rettungsmannschaften (CMC Rescue Manikin, vgl.Abb.2). Sie haben bewegliche Gliedmaßen und ein Gewicht von 85 kg. Der 13. Dummy war ein von den Volkswagenwerken in Wolfsburg zur Verfügung gestellter menschenähnlich instrumentierter Hybrid-IIIDummy, wie er in der Unfallforschung und in der Autoindustrie verwendet wird. Der im Versuch verwendete Hybrid-III-Dummy hatte ein Gewicht von 75 kg und nahm eine sitzende Position ein. Er war im Brustkorb mit einem Deformationssensor und im Halswirbelsäulen-(HWS)Bereich mit 6 Sensoren für je drei Raumrichtungen der Scherkräfte und Drehmomente instrumentiert. Die Datenaufnahme erfolgte mit einem am SLF konfigurierten und montierten mobilen Campbell CRX-10 Datenlogger mit einer Messfrequenz von 166 Hz, die die Dynamik der in einer Lawine auftretenden Belastungen auf den HWS-Bereich gut auflöst. Der Datenlogger wurde am Rücken des Dummys fixiert. Zum Schutz der Messtechnik vor Feuchtigkeit wurde der Dummy mit einem GoreTex-Overall bekleidet.

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4.2 Vorversuche am 1. März 2001 Nach den umfangreichen Arbeiten zur Anpassung des Datenloggers an die Sensorik des Messdummys und nach vorbereitenden Eichmessungen im Labor wurde der Dummy am 1. März per Helikopter ins hintere Vereinatal transportiert und in der Nähe des Piz Fless in einem nordwestlich exponierten Hang abgelegt. Die dort durch Sprengung ausgelöste Lawine war zu klein, um den Dummy mitreißen zu können. In einem zweiten Versuch wurde der Dummy in einem ebenfalls nordwestlich exponierten Couloir in der Nähe der Plattenhörner positioniert. Es konnte dort mit zwei Sprengladungen eine kleine Fließlawine ausgelöst werden, die den Dummy ca. 100 m mitriss. Der Dummy überschlug sich innerhalb der Lawine mehrmals und blieb schließlich teilverschüttet auf den Ablagerungen liegen. Die Belastungsmessungen ergaben Kräfte und Drehmomente, die eine ähnliche Form wie die in den Abbildungen 8 und 9 zeigen, wobei die maximalen Scherkräfte 500 N und die maximalen Drehmomente 45 Nm betrugen. 4.3 Großversuch am 16. März 2001 Im Großversuch am 16. März wurden insgesamt 13 Dummies an den in den Abbildungen 4 und 5 bezeichneten Positionen im Versuchshang „Wäng“ im Pischa-Skigebiet positioniert. Von den 13 Dummies waren 4 mit aufgeblasenen ABS-Airbags, 3 mit avagear-Rettungswesten und 2 mit dem avalanche ball ausgerüstet. 4 Dummies verfügten über keine spezielle Rettungsausrüstung. Alle Dummies waren mit einem Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) ausgerüstet, um sie auch im Fall einer Ganzverschüttung wieder finden zu können. Die Dummies waren gemäß Tabelle 1 nummeriert, um sie nach dem Lawinenabgang identifizieren zu können. Die Abb. 4 zeigt die Anfangspositionen sowie die Fundorte der Dummies in den Ablagerungen nach der Auslösung und dem Abgang der Lawine. Mit Hilfe dreier Sprengladungen, die an Pfosten über der Schneedecke ca. 50 m hangaufwärts der Dummies fixiert und mittels einer Knallzündschnur verbunden waren, wurde eine mittelgroße Lawine ausgelöst. Sie hatte eine Anrissmächtigkeit von 20–40 cm, eine Breite von ca. 75 m und eine Länge von ca. 400 m (Abb. 6). Alle Dummies wurden mitgerissen und an den in Abb. 5 bezeichneten Orten abgelagert. Die Größe der ausgelösten Lawine ist typisch für eine von Skifahrern ausgelöste Schneebrettlawine (9). Allerdings waren die Anrissmächtigkeit, die Länge und die Topographie im Auslauf derart, dass grundsätzlich zu erwarten ist, dass nicht alle Erfassten, insbesondere bei der in unserem Falle großen

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Tabelle 1: Nummerierung und Ausrüstung der verwendete Dummies (vgl. Abb. 5) und Versuchsergebnisse (gv: ganz verschüttet, gv [s]: ganz verschüttet mit sichtbaren Teilen [z. B. Ballon], tv: teilverschüttet, nv: nicht verschüttet) Nr.

Dummy-Art

Rettungsgerät

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

CMC CMC CMC CMC CMC CMC CMC CMC CMC CMC CMC CMC Hybrid-III

ABS duales System K2 avalanche ball ABS Monoairbag K2 avalanche ball avagear Rettungsweste ABS Doppelairbag avagear Rettungsweste keines keines keines keines ABS Doppelairbag avagear Rettungsweste

Verschüttungsart

Verschüttungstiefe in cm

gv (s) gv gv (s) gv tv gv (s) tv gv gv tv gv (s) nv tv

50 80 50 25 0 60 0 50 30 20 150 0 0

Anzahl von Erfassten, ganz verschüttet werden. Entsprechend sind im Folgenden die Ergebnisse zu werten. Es werden daher nur relative Aussagen in Bezug auf die Verschüttungstiefe gemacht. Die Ablagerungshöhen betrugen im Bereich der leichten Verflachung (Ablageorte 1) 0.5 m, im Bereich der Hauptablagerung (Ablageort 2) rund 2.5 m. Nach dem Abgang der Lawine wurden die Positionen der Dummies fest-

Abb. 4: Versuchshang „Wäng“ im Skigebiet Pischa mit Positionen der Sprengladungen (*), Anfangs- (Dreieck) und Endposition (Quadrate) der Dummies. Reproduziert mit Bewilligung der Eidg. Landestopographie.

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gestellt sowie ihre Verschüttungstiefe gemessen. Die Verschüttungstiefe wurde ab dem Gesicht der Dummies gemessen. Einer der Doppelairbags wurde beim Lawinenabgang beschädigt: einer der beiden 75-l-Ballons wurde vom Rucksack gerissen.

Abb. 5: Profil längs der Linie A–A (Abb. 4) mit Anfangs- und Endpositionen der Versuchsdummies. Bezeichnung der Dummies gemäß Tabelle 1. Bei 8 der 12 CMC-Dummies hatten mechanische Belastungen während des Lawinenabgangs die Unterschenkel am Kniegelenk abgerissen, was angesichts der werkseitig angegebenen axialen Reißfestigkeit der inneren Strukturen des Dummys von 20 kN auf eine erhebliche Belastung schließen lässt. Anschließend an den Großversuch,in dem der Messdummy mit einer avagear-Rettungsweste ausgestattet war, wurde der Messdummy ohne Airbag für einen Referenzversuch in einem nahe gelegenen, westexponierten Hang einer weiteren Lawine ausgesetzt. Diese Lawine hatte eine Anrissmächtigkeit von ca. 40 cm, eine Breite von 50 m und eine Länge von ca. 250 m und verschüttete den Dummy vollständig in aufrecht sitzender Position, sodass lediglich ein wenig Stoff der Kapuze des Schutzanzugs des Dummys aus dem Schnee ragte.

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Abb. 6: Versuchshang nach Abgang der Lawine mit eingezeichneten Ablagegebieten (Abb. 5)

5 ERGEBNISSE 5.1 Verschüttungstiefen und Lage der Versuchspuppen mit und ohne Lawinenairbags Die Verschüttungstiefe beeinflusst wesentlich die Letalität eines Lawinenverschütteten (3). Die Ergebnisse zu Verschüttungstiefe und -art finden sich in Tabelle 1. Vergleicht man die in Abbildung 7 aufgetragenen, vom Gesicht bis zur Oberfläche der Lawinenablagerungen gemessenen Verschüttungstiefen der Dummies, so fällt auf, dass die Verschüttungstiefen der Dummies ohne Airbags wesentlich größer als die der Dummies mit Airbags sind, wobei der Unterschied allerdings statistisch nicht signifikant ist. Die Verschüttungstiefen der Dummies mit ABS-Mono- und Doppelairbags liegen in derselben Größenordnung. Die Tatsache, dass die Gesichter der Dummies mit avagear-Rettungsweste immer an der Oberfläche der Lawinenablagerungen zu finden waren, scheint die Hypothese zu stützen, dass der Airbag der avagearRettungsweste, der in Kopfnähe angebracht ist, den Auftrieb des Kopfes und Oberkörpers begünstigt. Tatsächlich wurden zwei der mit avagear-

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Abb. 7: Verschüttungstiefen der Dummies ohne resp. mit Lawinenairbags Rettungswesten ausgerüsteten Dummies in sitzender bzw. stehender Stellung in den Lawinenablagerungen aufgefunden, während die Dummies mit den Mono- und Doppelairbags in liegender Stellung auf dem Rücken oder auf dem Bauch aufgefunden wurden. Dieser Umstand mag als Erklärung für die im Vergleich zur „avagear“-Rettungsweste größeren Verschüttungstiefen der Dummies mit konventionellen Airbags dienen. Sollte sich der Trend bestätigen, dass die Kragenform der „avagear“-Rettungsweste das Obenbleiben der Köpfe der Lawinenopfer begünstigt, wäre der kragenförmige Airbag als eine sinnvolle Weiterentwicklung des Airbagprinzips zu werten.Angesichts der geringen Zahl der Dummies mit „avagear“-Rettungsweste in dem Versuch ist eine definitive diesbezügliche Aussage nicht möglich. In jedem Fall waren jedoch auch die ABSAirbags an der Oberfläche der Lawinenablagerungen sichtbar, sieht man einmal von dem defekten Doppelairbag ab. Außerdem ist zu bedenken, dass der kragenförmige Airbag in aufgeblasenem Zustand die Sicht und Beweglichkeit massiv einschränkt und so eine kurz nach Lawinenauslösung eventuell noch mögliche Flucht durch Ausfahren aus der Lawine erschweren oder gar vereiteln kann.

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5.2 Funktion des K2-„avalanche balls“ Zwei der Dummies wurden mit den K2-„avalanche ball“ ausgerüstet.Diese Dummies wurden bei der Auswertung der Verschüttungstiefen wie Dummies ohne Airbags behandelt. Sie waren, auf dem Rücken liegend, 25 bzw. 80 cm tief verschüttet. Die avalanche balls waren auf der Oberfläche der Lawinenablagerungen gut sichtbar. Die Ortung mit Hilfe der Bälle und der Schnur war problemlos, sodass die beiden Dummies innerhalb von 10 bzw. 12 Minuten lokalisiert und ausgegraben werden konnten. Hierbei wurde die Zeit ab der Abfahrt eines Helfers vom Lawinenanriss bis zu dem Zeitpunkt, ab dem die Gesichter der Dummies wieder frei zugänglich waren, als Ausgrabungszeit gerechnet. Die Distanz der Bälle zu den Versuchspuppen betrug je 6 m, entsprechend der Gesamtlänge der Schnur. Der K2-„avalanche ball“ kann prinzipiell nicht zur Verringerung der Verschüttungstiefe beitragen, ermöglicht aber eine einfache visuelle Grobortung verschütteter Personen.Andererseits ist zu bedenken, dass der K2„avalanche ball“ aktiv vom Erfassten ausgelöst werden muss und dass, ebenso wie beim Airbag, eine komplette Verschüttung des avalanche balls nicht ausgeschlossen werden kann, wodurch eine rasche Ortung resp. Rettung praktisch verunmöglicht wird.

5.3 Belastungen des Halswirbelsäulen-Bereichs Die im Großversuch vom Messdummy mit „avagear“-Rettungsweste gewonnenen Zeitserien der im HWS-Bereich wirkenden Komponenten der Scherkräfte bzw. Drehmomente sind in den Abbildungen 8 und 9 dargestellt. Dabei ist die x-Achse in Blickrichtung des Dummys, die y-Achse horizontal nach rechts von der x-Achse und die z-Achse in Richtung der Halsachse orientiert. Die Maximalwerte für Kräfte und Momente für den Dummy mit „avagear“-Rettungsweste betrugen 4.5 kN bzw. 200 Nm. In dem anschließenden Referenzversuch, in dem der Dummy ohne Airbag einer kleineren Lawine ausgesetzt wurde, betrugen die maximalen Kräfte und Drehmomente 14 kN bzw. 300 Nm. Dies ist in Anbetracht der Tatsache, dass die Lawine für den Referenzversuch kleiner als die des Großversuchs war, eventuell als Hinweis darauf zu werten, dass die „avagear“Rettungsweste durch ihre Kragenform die Belastung im HWS-Bereich etwas dämpfen kann. Auch für diese Aussage gilt, dass es sich nur um einen Hinweis, keinesfalls um eine statistisch relevante Erkenntnis handelt.

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Abb. 8: Zeitserien der Scherkräfte im Halswirbelsäulenbereich des Messdummys mit „avagear“-Airbag

Abb.9:Zeitserien der Drehmomente im Halswirbelsäulenbereich des Messdummys mit „avagear“-Airbag

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Prinzipiell ist es sehr schwierig, aus mit einem Dummy gemessenen Kraftbzw. Drehmomentzeitserien auf das Verletzungspotenzial an einem Menschen zu schließen. Schon die mit „avagear-Rettungsweste“ gemessenen Belastungen könnten aber unter ungünstigen Bedingungen zu ernsthaften oder gar tödlichen Verletzungen der Halswirbelsäule führen. Die vorliegenden Messungen zur Belastung von Lawinenopfern geben einen Anstoß, neu über die Rolle der mechanischen Verletzungen bei Lawinenunfällen nachzudenken: Es ist zu klären, ob und inwieweit Lawinenairbags die in einer Lawine auf mitgerissene Personen wirkenden Belastungen reduzieren (oder allenfalls vergrößern) können. Gegebenenfalls könnte durch geeignete Schutzmaßnahmen wie beispielsweise dem kragenförmigen Airbag die Zahl der Todesfälle bei Lawinenunfällen reduziert werden. Die Unfallstatistik zeigt nämlich, dass ein wesentlicher Anteil der aufgrund mechanischer Verletzungen gestorbenen Lawinenopfer nicht oder nur teilverschüttet waren (3). Zur Klärung dieses Fragenkomplexes sind weitere Belastungsmessungen mit einem Messdummy in Lawinen und eine intensive Zusammenarbeit von Biomechanikern, Lawinendynamikern und Unfallmedizinern nötig. Dies könnte im Rahmen eines Projekts „Physiologische Aspekte von Lawinenunfällen“ geschehen.

6 SCHLUSSFOLGERUNGEN Im Februar und März 2001 wurden vom SLF in der Region Davos Tests mit Versuchspuppen („Dummies“) mit und ohne Lawinenairbags durchgeführt. In zwei Versuchen wurde lediglich ein instrumentierter Messdummy ohne Rettungsgerät einer Lawine ausgesetzt, in einem Großversuch am 16. März 2001 wurden insgesamt 13 Versuchspuppen (6 ohne, 7 mit Airbags) in einem Lawinenhang abgesetzt, eine Lawine ausgelöst und der Einfluss der Airbags auf das Fließ- und Verschüttungsverhalten in einer Fließlawine untersucht. Die wichtigsten Beobachtungen lauten in Kürze: • Alle Airbags waren nach Abgang der Lawine an der Oberfläche der Ablagerungen sichtbar und ermöglichten so eine umgehende Ortung der Versuchspuppen. Drei der 7 Versuchspuppen mit Airbags waren allerdings ganz verschüttet.

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• Bis auf eine waren alle 6 Versuchspuppen ohne Airbags ganz verschüttet und mussten außer in einem Fall mit Hilfsmitteln (Lawinenverschüttetensuchgerät und avalanche ball) geortet werden. • Das Tragen von Airbags verringerte im Rahmen des Versuchs die Verschüttungstiefen des Kopfes bzw. der Gesichter der Versuchspuppen. • Der K2-„avalanche ball“ führte nicht zu einer Verringerung der Verschüttungstiefe. • Die Puppen mit Mono- und dualen Airbags kamen tendenziell auf dem Bauch oder Rücken zum Liegen. Dabei waren die Atmungsorgane oft vom Schnee bedeckt. • Die kragenförmigen Airbags der avagear-Rettungswesten führten in allen drei Fällen zu einer Teilverschüttung der Versuchspuppen, d. h. der Kopf und damit die Atmungsorgane kamen dabei bei z. T. sitzender oder stehender Haltung der Dummies über der Schneeoberfläche zum Liegen. • Die im Halswirbelsäulen-Bereich des Messdummys gemessenen Belastungen liegen in einem Bereich, der auch tödliche Verletzungen zur Folge haben kann. Es gibt Hinweise, dass die Belastungen durch das Tragen der kragenförmigen „avagear“-Rettungsweste allenfalls gemildert werden können, dass sie aber ebenfalls noch im kritischen Bereich liegen dürften. Aus diesen Beobachtungen ergeben sich die folgenden Schlussfolgerungen: • Der Lawinenairbag kann die Verschüttungsfolgen durch die verringerte Verschüttungstiefe und die rasche Lokalisierung der Verschütteten lindern. Er kann die Lawinenverschüttung nicht grundsätzlich verhindern, stellt aber eine sinnvolle Ergänzung der üblichen Sicherheitsausrüstung (LVS, Schaufel, Sonde) dar. • Die Wirksamkeit des dualen Airbag-System ist mit dem des Monoairbags vergleichbar. • Die Lage bei der Verschüttung (auf dem Bauch oder sitzend/aufrecht) schien im Rahmen des Versuchs von der Art der verwendeten Airbags

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abzuhängen. Eine allgemein gültige, abschließende Aussage ist aufgrund der geringen Zahl von Versuchsresultaten zur Zeit aber nicht möglich. • Der K2-„avalanche ball“ stellt aufgrund der bisherigen Versuchsergebnisse keine wesentliche Verbesserung auf dem Gebiet der Lawinen-Rettungsgeräte dar. • Die mit Hilfe eines Messdummys gemessenen Belastungen des HalsNacken-Bereichs einer von einer Lawine mitgerissenen Person sind erheblich und sollten dringend eingehender untersucht werden, insbesondere auch, um eine mögliche Beeinflussung der auftretenden Kräfte und Drehmomente durch die Art des Airbags abzuklären.

7 DANK Die Untersuchungen wurden von den Angehörigen der Familie Eigenmann, zur Erinnerung an Dr. Gino Eigenmann (gest. 29. 1. 2001), durch großzügige private Spenden unterstützt: Familie G. Eigenmann, Mercallo dei Sassi, Familie Gianni Veronelli, Milano, Familie Ganni Bestetti, Cusano Milanino. Einen namhaften Beitrag steuerte wiederum die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt SUVA, Luzern, bei. Finanzielle Unterstützung gewährte zudem der Sicherheitskreis des Deutschen Alpenvereins, München, und das Amt für Sport der Tiroler Landesregierung, Innsbruck. Der für die Belastungsmessungen verwendete Hybrid-III-Dummy wurde von den Volkswagenwerken in Wolfsburg zur Verfügung gestellt. Alle diese Unterstützungen werden herzlich verdankt. Ein besonderer Dank geht an Dieter Stopper und Karl Schrag vom Deutschen Alpenverein, Harald Riedl vom Amt für Sport der Tiroler Landesregierung, Heinz Leyer von der Volkswagenwerke AG, Romano Pajarola und Nikolaus Frey vom Parsennrettungsdienst, Davos, und an die vielen beteiligten SLF-Mitarbeiter, ohne die ein derartiger Großversuch gar nicht möglich wäre.

L I T E R AT U R (1) Schweizer, J., E. Wassermann und M. Wicky. Die neuen LVS im Test. Berg & Steigen – Zeitschrift für Risikomanagement im Bergsport. Österreichischer Alpenverein, Innsbruck, Jg. 10, Nr. 1, 26-27 (2001).

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(2) Tschirky, F., R. Meister, W. J. Ammann und O. Buser. Untersuchungen über die Wirksamkeit von Lawinenballons. Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos. Interner Bericht Nr. 686 (1995). (3) Tschirky, F., B. Brabec und M. Kern. Lawinenunfälle in den Schweizer Alpen – Eine statistische Zusammenstellung mit den Schwerpunkten Verschüttung, Rettungsmethoden und Rettungsgeräte. – In: Durch Lawinen verursachte Unfälle im Gebiet der Schweizer Alpen, Vorabdruck aus dem Winterbericht Nr. 63 (1998/99). Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF,Davos, 125-136 (2000). (4) Kern, M. A. Inverse grading in granular flow, Ph. D. Thesis, EPFL Lausanne (2000). (5) Kern, M. A., L. Vulliet and W. Ammann. Inverse grading in granular flows. Proceedings of NUMOG VII, Graz, Austria (1999). (6) Tschirky, F. Bekannte und dokumentierte Lawinenunfälle mit Lawinenballons, Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos, unveröffentlichte Statistik (2000). (7) Tschirky, F. and J. Schweizer. Avalanche balloons – preliminary test results. Proceedings International Snow Science Workshop (ISSW), Banff, Alberta, Canada, 6-10 October 1996, 309-312 (1997). (8) Schweizer, J. and M. Lütschg. Characteristics of human-triggered avalanches. Cold Regions Science and Technology, in press (2001).

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Günther Sumann

A n w e n d b a r k e i t d e r p r ä k l i n i s c h e n Tr i a g e von Lawinenverschütteten Practicality of prehospital triage of avalanche victims S U M M A RY Avalanche emergencies are unusual exerting situations for emergency physicians and mountain rescue workers due to unfriendly weather conditions and to strong physical and emotional stress. Very hard decisions about continuing or breaking off the cardiac life support (ACLS) for a victim have to be made. Triage guidelines for avalanche accidents were introduced by Brugger and Durrer in 1996 and acknowledged by the ICAR. The flowchart is based on the findings by Brugger und Falk in 1992 and 1994 about the survival chances in avalanches. Several parameters are mentioned in the ICAR-flowchart like consciousness, breathing, lethal injuries, ECG, burial time, presence of an air pocket, body core temperature and serum-potassium.The measuring and detection of these criterias can be very difficult under usual conditions at an avalanche site and require good experience of the physician. The ACLS for one victim requires a great deal of energy and possibly causes delay of the rescue efforts for further victims. Therefore the advantage of the use of the triage-guidelines is considered as the optimal regulation and distribution of all efforts on the avalanche to achieve the best chances for all victims. Formerly all avalanche victims were treated after Gregory’s principle and were transferred to a cardiac surgery center for rewarming with extracorporal circulation (ECC). In many cases the hospitals were pre-informed and heart-operation units were blocked for several hours, though most of the victims never had a chance to survive. The use of the triage-flowchart diminished the ECC-rewarmings after avalanche burial remarkably. The ICAR-triage-flowchart for the avalanche accident has proved to be practicable in many cases within the last years. Keywords: avalanche emergency, triage, air pocket, burial time, core temperature.

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Z U S A M M E N FA S S U N G Lawinenunfälle sind aufgrund unwirtlicher Wetterbedingungen und starkem physischem und psychischem Stress ungewöhnlich belastende Situationen für Notärzte und Bergrettungskräfte. Sehr schwierige Entscheidungen über Fortsetzen oder Abbruch von Reanimationsmaßnahmen sind zu treffen. Triage-Richtlinien für den Lawinenunfall wurden 1996 von Brugger und Durrer vorgestellt und von der IKAR anerkannt. Das Triageschema wurde auf die Erkenntnisse von Brugger und Falk 1992 und 1994 über die Überlebenschancen bei Lawinenverschüttung aufgebaut. Im Triageschema werden verschiedene Kriterien berücksichtigt wie Bewusstseinslage, Atmung, tödliche Verletzungen, EKG, Verschüttungsdauer, Vorhandensein einer Atemhöhle, Körperkerntemperatur und Serum-Kalium-Spiegel. Die Erfassung dieser Entscheidungskriterien kann unter Normalbedingungen auf einem Lawinenkegel sehr schwierig sein und erfordert viel Erfahrung des Notarztes. Die Reanimation eines Verunglückten beansprucht einen großen Aufwand und kann möglicherweise die Rettung weiterer Opfer verzögern. Die Anwendung eines Triageschemas soll zu einer bestmöglichen Nutzung und Verteilung der Ressourcen beitragen, um für alle Opfer die bestmöglichen Chancen zu gewährleisten. In früheren Jahren wurden alle Lawinenopfer nach Gregory’s Prinzip behandelt und an herzchirurgische Zentren zur Wiedererwärmung mittels Herz-Lungen-Maschine (HLM) geflogen. Die Kliniken wurden vorverständigt und Herz-Operationssäle wurden über Stunden blockiert, obwohl die Verunglückten in vielen Fällen keine Überlebenschancen hatten. Die Anwendung des Triageschemas hat zu einer deutlichen Reduktion von HLM-Reanimationen an Lawinenopfern geführt. Das IKAR-Triageschema für Lawinenunfälle hat sich in den letzten Jahren in vielen Fällen bewährt und als gut anwendbar unter Beweis gestellt. Schlüsselwörter: Lawinenunfall, Triage, Atemhöhle, Verschüttungsdauer, Kerntemperatur.

ENLEITUNG Beim Lawineneinsatz handelt es sich um eine Situation, die Notarzt und Helfer sowohl psychisch als auch physisch außergewöhnlichen Belastungen aussetzt. Allein die Fortbewegung auf einem Lawinenkegel kann je nach Schneequalität und Ausmaß der Lawine an die Grenze der konditionellen Leistungsfähigkeit führen. Dazu kommen Kälte, Wind, die

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eigene Durchnässung und frierende Finger nach jedem ärztlichen Handgriff. Die gesamte Rettungsarbeit bedeutet einen Wettlauf mit der Zeit. Wenn Lawinenverschüttete gefunden werden, handelt es sich sehr häufig um leblose Personen. In dieser Situation ist die Erwartungshaltung vonseiten der Retter, die den Verunglückten geortet und ausgegraben haben, und vonseiten der überlebenden Bergkameraden sehr groß. Der Notarzt hat unter beträchtlichem Druck entsprechende Entscheidungen zu treffen und schnelle Therapiemaßnahmen zu setzen. Beim typischen Lawinenopfer können massive Hypoxie bis hin zur Asphyxie sowie schwere Verletzungen und Hypothermie gemeinsam auftreten. Die Kombination dieser Faktoren macht es im Einzelfall sehr schwer, die Chancen auf erfolgreiche Reanimation des Verunfallten richtig einzuschätzen. Unter diesen Voraussetzungen kam es häufig zu Fehlentscheidungen und unter Umständen völlig überzogenen Reanimationsbemühungen, verbunden mit entsprechend großem logistischem Aufwand und im Einzelfall Verschwendung von anderswo dringend benötigten wertvollen Ressourcen.

ZWEI FALLBEISPIELE Fall 1 (1996): 60-jähriger Mann, Verschüttungsdauer 45 min, 180 cm Tiefe, keine Atemhöhle, Tympanontemperatur nach Bergung 26,8 °C, Asystolie. Der Patient wurde unter laufender CPR an die Klinik geflogen (25 min Flugzeit). Bei Übergabe Kerntemperatur (KT) 25,1 °C, Serum-Kalium > 11 mmol/l. Reanimationsabbruch. Obduktionsbefund: morphologische Zeichen des protrahierten Schocks, hypoxische Organschäden, Hirnvolumenvermehrung, akute Rechtsherzdilatation. Fall 2 (1997): 34-jähriger Mann, 6–8 Stunden Verschüttungszeit, 50 cm Tiefe, Atemhöhle vorhanden. Bei der Bergung steif gefroren. Terrestrischer Abtransport, Einlieferung ins Krankenhaus nach weiteren 6 Stunden. Bei Einlieferung KT 9,5 °C. Obduktionsbefund: Tod durch Unterkühlung des Gesamtorganismus, typische Blutungen der Magenschleimhaut (Wischnevsky-Flecken). Keine Hinweise auf Stauungsblutungen oder Rechtsherzdilatation oder akutes Barotrauma. Vermutliche Überlebenszeit in der Lawine 3–4 Stunden. In beiden Fällen (1) wurden Verunglückte mit infauster Prognose unter großem Aufwand und laufender Reanimation in die Klinik transportiert. Bei Anwendung der Triagerichtlinien wäre es bei beiden Patienten zum Reanimationsabbruch auf der Lawine gekommen.

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IKAR Triage Lawinenunfall 1 HT I-II Nasses Gewand ausziehen heisse, gesüßte Getränke

ja

Bewußtsein ?

 ICU

nein

Atmung ?

HT III

ja

Intubation  Klinik mit HTErfahrung

nein

© GSumann, 2001

Abb. 1: Triage beim Lawinenunfall (Teil 1), nach (5) HT … Hypothermie, ICU … Intensive Care Unit

TRIAGESCHEMA Dem dringenden Bedarf an einem Entscheidungsalgorhythmus beim Lawinenunfall sind Brugger und Durrer im Jahre 1996 gerecht geworden (2) und haben ein Triageschema entwickelt, das auch von der IKAR anerkannt wurde. Als Basis dafür wurden die Erkenntnisse aus den von Brugger und Falk errechneten Überlebenskurven bei Ganzkörperverschüttung herangezogen (3, 4). Das Triageschema wurde heuer neu überarbeitet und kürzlich publiziert (5). Nach dem Basis-Vitalcheck mit Bewusstseinsprüfung, Puls- und Atmungskontrolle und Ausschluss von letalen Verletzungen (Abb. 1) stützt sich die Triage des klinisch toten Lawinenopfers auf die Eckgrößen Kerntemperatur (KT), Verschüttungsdauer und auf das Vorhandensein einer Atemhöhle. Bei einer Kerntemperatur von über 32 °C bzw. einer Verschüttungsdauer von weniger als 35 Minuten geht man davon aus, dass der Herz-Kreislauf-Stillstand durch eine Asphyxie verursacht wurde. In diesem Fall wird eine Standard-CPR (cardiopulmonale Reanimation) (6) durchgeführt mit Abbruch bei Erfolglosigkeit am Notfallort (Abb. 2). Liegt allerdings eine schwere Hypothermie vor (KT < 32 °C), nach Verschüttung länger als 35 Minuten, werden die Reanimationsmaßnahmen bei Vorhandensein einer Atemhöhle bzw. Vorliegen

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IKAR Triage Lawinenunfall 2

Tödliche Verletzungen ?

ja

nein

Kerntemperatur Verschüttungszeit

CPR

> 32°C < 35 min

15-32°C > 35 min

Standard-

ACLS © GSumann, 2001

IKAR Triage Lawinenunfall 3 Kerntemperatur Verschüttungszeit

NEIN

< 32°C > 35 min

> 12 mmol/l

K+

Asystolie

EKG

Atemhöhle ?

< 12 mmol/l JA od. unsicher

HT IV CPR (KF 3 x Defi.)

Kammerflimmern

 Klinik mit HLM © GSumann, 2001

Abb. 2 und 3: Triage beim Lawinenunfall (Teil 2–3), nach (5) CPR … Cardiopulmonale Reanimation, ACLS … Advanced cardiac life support, HT … Hypothermie, KF … Kammerflimmern, Defi … Defibrillation, K+ … Serum-Kalium, † … Patient für tot erklärt

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eines persistierenden Kammerflimmerns am Transport bis zur Klinikeinlieferung fortgesetzt. Dort wird, abhängig vom Serum-Kalium-Wert, eine Wiedererwärmung an der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt (Abb. 3).

ANWENDBARKEIT Die Analyse der praktischen Anwendbarkeit dieses Triageschemas kann nicht wissenschaftlich geführt werden. Diesbezüglich prospektive Studien werden aufgrund der Inhomogenität des Patientengutes und der zu geringen Fallzahl auch nicht möglich sein. Allerdings lassen sich subjektive Erfahrungen und Gedanken zu dieser Fragestellung formulieren. Es wurde schon erwähnt, dass sich die Entscheidungswege im Flowchart auf folgende Messgrößen und Befunde stützen:Bewusstseinslage,Atmung, tödliche Verletzungen, EKG, Verschüttungsdauer, Atemhöhle, Körperkerntemperatur und zuletzt Serum-Kalium. (Tab. 1). Auch wenn die angegebenen Parameter im Text sehr klar erscheinen mögen, ist ihre klare Beurteilung vor Ort im Lawinenschnee in vielen Fällen sehr erschwert oder auch nicht möglich. Die Beurteilung der Bewusstseinslage ist im positiven Fall dankbar,jedoch beim schwer hypoxischen, hyperkapnischen oder hypothermen Patienten wesentlich erschwert. Tödliche Verletzungen können sehr offensichtlich sein, sind aber in vielen Fällen durch die grobe klinische Untersuchung nicht feststellbar und werden dadurch immer wieder falsch eingeschätzt. Die Beurteilung der Atmung, umso mehr bei flacher, langsamer Atmung, ist bei Wind und Kälte sehr schwierig Die zuverlässige Palpation der Carotispulse gehört schon unter Standardbedingungen zu den schwierigsten Befunden bei einer Reanimation. Speziell beim Lawinenopfer ist eine Pulsdiagnose extrem erschwert durch Triagekriterien beim Lawinenunfall

Bewusstsein Atmung Tödliche Verletzungen EKG (Asystolie, Kammerflimmern) Verschüttungsdauer Atemhöhle, Atemwege frei Körperkerntemperatur Serum-Kalium

Tab. 1

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Schnee, Nässe und Kälte an der Haut des Verletzten gleichermaßen wie an den Fingern des Untersuchers. Die Hoffnung auf Lebenszeichen lässt meistens zuerst den Puls des Untersuchers selbst ertasten. Darum empfiehlt sich die Kontrolle mit der zweiten Hand an der eigenen Carotis. Die Rhythmusbeurteilung durch ein EKG scheitert sehr oft schon daran, dass es unmöglich ist, an der nassen, kalten Haut Elektroden zum Kleben zu bringen. Selbst wenn das Anbringen der Elektroden gelungen ist, können Artefakte und Kontaktstörungen die Fehldiagnose Kammerflimmern begründen. Die Verschüttungsdauer lässt sich häufig nicht genau erheben, viele Lawinenabgänge werden nicht von Augenzeugen beobachtet. Auf das Vorhandensein einer Atemhöhle wird zwar viel Augenmerk gelegt, aber eine sichere Aussage darüber ist oft nicht zu erlangen. Atemhöhlen können sehr klein und schmal sein und werden selbst bei vorsichtigem Vorgehen beim Ausgraben des Verschütteten häufig zerstört. Wichtig und zuverlässig möglich ist trotzdem die Beurteilung von freien oder schneegefüllten Atemwegen. Als präklinisch im Gebirge praktikables Gerät zur Kerntemperaturmessung hat sich das Tympanonthermometer bewährt (7, 8). Speziell beim Lawinenunfall jedoch sind die Ergebnisse sehr kritisch zu beurteilen. Die äußeren Gehörgänge können mit Schnee gefüllt sein und beim Kreislaufstillstand besteht die Gefahr falsch niedriger Temperaturwerte. Die Bestimmung des Serum-Kalium-Wertes bleibt fast ausschließlich der Klinik vorbehalten (9). Es gibt zwar kleine handliche Analysegeräte, diese werden aber bislang kaum in Notarzthubschraubern vorgehalten. Außerdem ist die Messgenauigkeit bei tiefen Temperaturen meistens unzuverlässig.

DISKUSSION Unter kritischer Betrachtung ergibt sich in dem Lawinenunfall-Triageschema eine gewisse scheinbare Widersprüchlichkeit. Ein sehr klar strukturierter Algorhythmus stützt sich auf sehr vage Befunde und Entscheidungskriterien, die sich zu einem großen Teil nicht sicher erheben lassen. Damit wird die Frage aufgeworfen, ob die Triage beim Lawinenunfall tatsächlich durchführbar ist. Die Schwierigkeit der Befunderhebung charakterisiert den speziellen Fall eines Lawinenunglücks und lässt sich nicht erleichtern. Es liegt hier ausschließlich an der Erfahrung der Notärzte und Rettungskräfte, trotz der widrigen Umstände eine sichere Notfalldiagnose zu stellen (Abb. 4). 153


Abb. 4: Reanimation beim Lawinenunfall Beim Lawinenunfall geht es vorwiegend darum, die zur Verfügung stehenden Ressourcen an Ärzten, Einsatzkräften, Material und Rettungsmitteln rationell einzusetzen und den Einsatzablauf zu strukturieren. Wenn bei großen Lawinenunglücken mit mehreren Verschütteten bei einem einzelnen Opfer ohne realistische Überlebenschance ungerechtfertigter Maximalaufwand betrieben wird,sollte damit keinesfalls die Rettung der weiteren Verunfallten verzögert oder beeinträchtigt werden. Ein Transport nach und unter laufender Reanimation an eine Schwerpunktklinik blockiert einen Notarzthubschrauber unter Umständen für zwei Stunden und sollte sehr wohl medizinisch gerechtfertigt sein. Noch vor weniger als zehn Jahren wurde fast jedes Lawinenopfer kritiklos nach dem Prinzip „Nobody is dead until warm and dead“ (10) behan-

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delt. Bei jedem Lawineneinsatz wurde über die Rettungsleitstellen die Klinik verständigt und unverzüglich ein Herz-OP mit Herz-LungenMaschine bereitgestellt. Das führte zu überwiegend ungerechtfertigten stundenlangen Blockaden hochwertiger Operationseinheiten. Seit Einführung des IKAR-Triageschemas sind an der Innsbrucker Klinik die HLM-Wiedererwärmungen von Lawinenopfern von ca.fünf bis sechs Fällen auf etwa einen Fall pro Saison gesunken. Die praktische Anwendbarkeit des Triageschemas hat sich in den letzten Jahren in vielen Fällen bewiesen. Den Notärzten und Rettungskräften werden damit klare Entscheidungshilfen und -richtlinien angeboten. Damit können die stressgeprägten Einsatzabläufe auf einem Lawinenkegel deutlich besser strukturiert und optimiert werden.

L I T E R AT U R (1) Frimmel Ch.: Analyse der Lawinenunfälle der Jahre 1995–1998 in Tirol unter besonderer Berücksichtigung der Notarzthubschraubereinsätze der ÖAMTC-Flugrettung. Dissertation, Innsbruck (2000). (2) Brugger H., Durrer B., Adler-Kastner L.: On-site triage of avalanche victims with asystole by the emergency doctor. Resuscitation 31, 11-16 (1996). (3) Brugger H., Falk M.: Neue Perspektiven zur Lawinenverschüttung. Phaseneinteilung nach pathophysiologischen Gesichtspunkten. Wien Klin Wochenschr 104, 167-173 (1992). (4) Falk M., Brugger H.,Adler-Kastner L.:Avalanche Survival Chances. Nature 368, 21 (1994). (5) Brugger H., Durrer B., Adler-Kastner L., Falk M., Tschirky F.: Field management of avalanche victims. Resuscitation 51/1: 7-15 (2001). (6) International Guidelines 2000 for CPR and ECC – A Consensus on Science. Resuscitation 46 (1-3), 29-71, 103-199, 267-271 (2000). (7) Kornberger E., Posch G., Koller J.: Die Wertigkeit der Körperkerntemperaturmessung beim Lawinenunfall und ihre technischen Probleme. 11. Internationale Bergrettungsärztetagung, Innsbruck, Eigenverlag Flora, 83-88 (1989).

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(8) Ennemoser O., Balogh D., Ambach W., Flora G.: Tympanonthermometer zur Messung der Kรถrperkerntemperatur. ThermoMed 7, 6365 (1991). (9) Mair P., Kornberger E., Furtwaengler W., Balogh D., Antretter H.: Prognostic markers in patients with severe accidental hypothermia and cardiocirculatory arrest. Resuscitation 27, 47-54 (1994). (10) Gregory R. T., Paton J. F.: Treatment after exposure to cold. Lancet 1, 377 (1972).

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Martin I. Radwin, M.D., Colin K Grissom, M.D., Mary Beth Scholand, M.D., Chris H. Harmston, MSE

Aufrechterhaltung der Oxygenierung und Ventilation während einer experimentellen Schneeeingrabung durch Ableitung des ausgeatmeten Kohlendioxids Normal Oxygenation and Ventilation during Snow Burial by the Exclusion of Exhaled Carbon Dioxide S U M M A RY Objective: To confirm that the accumulation of exhaled carbon dioxide (CO2) is the principle cause of non-mechanical asphyxiation during avalanche burial by demonstrating that complete exclusion of exhaled CO2 during experimental snow burial results in normal oxygenation and ventilation utilizing the air within the snowpack. Methods: In the experimental group, 8 healthy volunteers (mean age 32 years, range 19–44 years) were fully buried up to 90 minutes in compacted snow with a density ranging from 300–680 kg/m3 at an elevation of 2385 m. The 6 men and 2 women breathed directly from the snow utilizing a device containing no air pocket around the inhalation intake in addition to an extended exhalation tube running completely out of the snowpack to remove all exhaled carbon dioxide. Continuous physiologic monitoring included oxygen saturation and end-tidal CO2. As controls, 5 of the 8 subjects repeated the study protocol breathing directly into a small fist-sized air pocket with no carbon dioxide removal device. Results: In the experimental group, the mean burial time was 88 minutes despite the absence of an air pocket. No significant changes occurred in any physiologic parameters in this group compared to baseline values. In contrast,the controls remained buried for a mean of 10 minutes (p = 0.003) and became significantly hypercapnic (p < 0.01) and hypoxic (p < 0.02). Conclusions:There is sufficient oxygen contained within a densified snowpack comparable to avalanche debris to sustain normal oxygenation and ventilation for at least 90 minutes during snow burial if exhaled CO2 is Anm. d. Herausgeber: Die vorliegende Arbeit wurde aus dem Englischen übersetzt.

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removed. The prolonged oxygenation observed during CO2 exclusion is irrespective of the presence of an air pocket. Keywords: snow burial, asphyxia, displacement asphyxia, carbon dioxide.

Z U S A M M E N FA S S U N G Ziel: Zu bestätigen, dass die Ansammlung von ausgeatmetem CO2 die Hauptursache für eine nicht mechanische Asphyxie bei einer Lawinenverschüttung ist, indem anhand einer experimentellen Schneeeingrabung nachgewiesen wird, dass sich Oxygenierung und Ventilation durch eine vollständige Ableitung des ausgeatmeten CO2 und Atmen der im Lawinenschnee verfügbaren Luft aufrechterhalten lassen. Methodik: In der Versuchsgruppe wurden acht gesunde Freiwillige (mittleres Alter 32 Jahre, Bereich 19–44 Jahre) bis zu 90 Minuten lang in gepresstem Schnee mit einer Dichte zwischen 300–680 kg/m3 in einer Seehöhe von 2.385 m vollständig eingegraben. Die sechs Männer und zwei Frauen atmeten direkt aus dem Schnee und verwendeten dabei ein Gerät, das im Bereich des Einatemschlauchs keine Atemhöhle aufwies und dessen verlängerter Ausatemschlauch vollständig aus dem Schnee ragte, um das gesamte ausgeatmete CO2 abzuleiten. Die kontinuierliche physiologische Überwachung umfasste folgende Parameter: prozentuale Sauerstoffsättigung des Hämoglobins (SpO2 in %), endtidaler CO2-Partialdruck (ETCO2 in mm Hg), inspiratorischer CO2-Partialdruck (PICO2 in mm Hg), EKG, Körperkerntemperatur rektal und Atemfrequenz. Zu Kontrollzwecken wurden fünf Personen untersucht, die unter ansonsten identischen Bedingungen ohne CO2-Ableitung direkt in eine faustgroße Atemhöhle atmeten. Ergebnisse: In der Versuchsgruppe betrug die mittlere Eingrabungsdauer trotz Fehlens einer Atemhöhle 88 Minuten. Keiner der physiologischen Parameter veränderte sich signifikant,verglichen mit den Ausgangswerten. Im Gegensatz dazu waren die Kontrollpersonen im Mittel 10 Minuten (P = 0,003) eingegraben und wurden signifikant hyperkapnisch (P < 0,01) und hypoxisch (P < 0,02). Schlussfolgerungen: In gepresstem, mit Lawinenschnee vergleichbarem Schnee ist genügend Sauerstoff vorhanden,um bei einer Verschüttung mindestens 90 Minuten lang eine normale Oxygenierung und Ventilation aufrechtzuerhalten, wenn das ausgeatmete CO2 abgeleitet wird. Die verlängerte Oxygenierung bei einer CO2-Ableitung ist unabhängig von der Existenz einer Atemhöhle. Schlüsselwörter: Schneeeingrabung, Asphyxie, Verdrängungsasphyxie, Kohlendioxid. 158


EINLEITUNG Kohlendioxid (CO2), das im Zuge der Zellatmung entsteht und als Inertgas ausgeatmet wird, gilt seit langem als Erstickungsgas, wenn es sich in schlecht belüfteten Bereichen, wie beispielsweise Minen oder Silos, rasch ansammelt (1). Die Rolle des CO2 beim Erstickungstod nach einer Lawinenverschüttung ist bisher kaum beachtet worden und bis zu einer vor kurzem von unserer Forschungsgruppe veröffentlichten Arbeit, die dem CO2 ein entscheidendes Gewicht bei der nicht mechanischen Asphyxie nach einer Schneeverschüttung beimisst, nicht untersucht worden (2). Überdies haben uns Erfahrungen mit einer Weste mit künstlicher Atemhöhle (AvaLung™, Black Diamond Equip. Ltd., Salt Lake City, Utah), die das während der Schneeverschüttung ausgeatmete CO2 von der Einatemluft wegleitet, gezeigt, dass das Vorhandensein einer Atemhöhle für die Aufrechterhaltung der Oxygenierung nicht so entscheidend ist wie eine CO2-Ableitung. Wir stellten die Hypothese auf, dass in Schnee mit einer ähnlichen Dichte wie Lawinenschnee, unabhängig von der Existenz einer Atemhöhle, genügend Sauerstoff vorhanden ist, um die Oxygenierung und Ventilation aufrechtzuerhalten, wenn das CO2 vollständig aus dem unmittelbaren Verschüttungsbereich entfernt wird.

METHODIK Acht gesunde Freiwillige (sechs Männer und zwei Frauen) im Alter von 19 bis 44 Jahren (mittleres Alter 32 Jahre) wurden unmittelbar vor ihrer Eingrabung im Schnee zur Bestimmung der Ausgangswerte einer physiologischen Untersuchung unterzogen. Die Messungen erfolgten unter Einatmung von Umgebungsluft und umfassten folgende Parameter: prozentuale Sauerstoffsättigung des Hämoglobins (SpO2 in %), endtidaler CO2-Partialdruck (ETCO2 in mm Hg), inspiratorischer CO2-Partialdruck (PICO2 in mm Hg), Atemfrequenz,EKG und Körperkerntemperatur rektal. Die Testpersonen erhielten zum Frühstück klare Flüssigkeit und wurden mit mitteldicker synthetischer Unterwäsche, einem Goretex™ -Overall mit Kapuze, einer Schneebrille, Gesichtsmaske, Haube, warmen Handschuhen und Skischuhen bekleidet.Das experimentelle Setup bestand aus einem großen Schneehügel, der festgestampft wurde und sich dann mit der Zeit so verfestigte, dass er in seiner Dichte Lawinenschnee entsprach. Die Dichte des Schnees wurde mit einem 250-cm3-Schneedichtemessgerät (Snowmetrics, Ft Collins, Colorado) gemessen und in kg/m3 angegeben. Es wurden durchschnittlich drei Messungen in verschiedenen Bereichen 159


der Innenwände und im Schnee, der zur Fertigstellung der Eingrabung verwendet wurde, vorgenommen. Die Dichte lag im Bereich von 300 bis 680 kg/m3 (Mittelwert 370 kg/m3) und stimmte mit der Dichte von Lawinenschnee überein, die gewöhnlich zwischen 300 kg/m3 für eine mittelgroße Trockenschneelawine und 600 kg/m3 für eine Nassschneelawine liegt. Ein schulterbreiter Graben wurde in den Hügel gegraben und eine Plattform errichtet, auf der die Testpersonen in sitzender Position mit Schnee zugeschüttet wurden. Jede Testperson war mit einer modifizierten Version einer im Handel erhältlichen Weste mit künstlicher Atemhöhle (AvaLung™) ausgestattet. Die AvaLung-Weste ermöglicht das Atmen der im Schnee enthaltenen Luft mittels eines Mundstücks,das mit einer geschlossenen 500 cm3 großen Plastikatemhöhle verbunden ist. Die ausgeatmete Luft wird durch Einwegventile separiert und am Rücken der verschütteten Person von der Atemhöhle weg ausgelassen. Die Modifizierungen des von der Versuchsgruppe getesteten Geräts bestanden darin, dass die künstliche Atemhöhle entfernt wurde und die Öffnung des Einatemschlauches (4 cm2 Oberfläche) in direktem Kontakt mit dem Schnee war. Zusätzlich zum Fehlen der künstlichen Atemhöhle wurde der Schlauch für die Ausatemluft verlängert, so dass er ganz aus den Schneemassen ragte und das gesamte ausgeatmete CO2 abgeleitet wurde (Abb. 1). Die folgenden physiologischen Parameter wurden kontinuierlich beobachtet und in 1-Minuten-Abständen aufgezeichnet: SpO2, ETCO2, PICO2, Atemfrequenz, EKG und Körperkerntemperatur. Die Eingrabungszeit null wurde registriert, sobald der Kopf zur Gänze mit gepresstem Schnee, der zur Vermeidung von Luftkanälen vorsichtig dicht anliegend platziert wurde, bedeckt war. Der Schnee wurde dann darübergehäuft und mit den Händen festgedrückt,bis eine Kopfüberdeckung von 30–100 cm erreicht war. Die geplante Studiendauer von 90 Minuten konnte auf Verlangen der Testperson vorzeitig beendet werden.Das Experiment wurde abgebrochen, sobald die SpO2 unter 84 % oder die Körperkerntemperatur unter 35 °C fiel. Die Testpersonen standen mit dem Team an der Schneeoberfläche über eine Sprechanlage, die neben ihrem Gesicht vergraben war, in Verbindung. Die vor Ort getroffenen Sicherheitsvorkehrungen beinhalteten die Bereithaltung von hoch entwickelten Geräten zur Atemwegsbehandlung und von Medikamenten für eine Wiederbelebung. Am Mundstück des Geräts wurde aus Sicherheitsgründen ein Sauerstoffschlauch befestigt, der die eingegrabene Testperson bei Bedarf jederzeit mit 15 l/min 100%igem Sauerstoff versorgen hätte können. 160


Abb. 1: Versuchsgerät zur Ableitung des ausgeatmeten Kohlendioxids aus dem Schnee bei direkter Schneeatmung. Die Versuchsperson atmet durch ein Mundstück ein und aus, während Kapnometer (A, B) PICO2, ETCO2 und die Atemfrequenz aufzeichnen. Die Luft wird über eine mit einem Drahtgeflecht geschützte Öffnung (E),an der eine Sauerstoffleitung für eine Notversorgung (C) angebracht wurde, eingeatmet. Eine Reihe von Einwegventilen (D) leitet die Ausatemluft getrennt mittels eines verlängerten Schlauchs (F) an die Schneeoberfläche. Die Testperson und das Gerät sind ohne Atemhöhle fest eingegraben. 161


Zu Kontrollzwecken wurden fünf der Testpersonen unter identischen Bedingungen und mit demselben Monitoring ein zweites Mal, aber ohne die CO2-Absaugvorrichtung eingegraben; sie atmeten dabei direkt in eine 500 cm3 große Atemhöhle im Schnee (290 cm2 Oberfläche). Die Kontrolleingrabungen wurden auf Verlangen der Testperson oder bei Absinken der SpO2 unter 84 % bzw. der Körperkerntemperatur auf Werte unter 35 °C abgebrochen. Das Experiment wurde in den Wasatch Bergen in Utah in einer Seehöhe von 2.385 m durchgeführt. Nach entsprechender Aufklärung wurde von jeder Testperson eine schriftliche Einverständniserklärung eingeholt und die Studie wurde vom LDA-Krankenhauskomitee für Forschung und Menschenrechte genehmigt. Die Ausgangsmesswerte der Testpersonen wurden mit den am Ende der Studie erhobenen Daten mithilfe des Mann-Whitney-U-Tests verglichen. Der Vergleich zwischen den Daten am Ende des Experiments mit CO2Ableitung und den Daten am Ende der Kontrolleingrabungen erfolgte ebenfalls mit dem Mann-Whitney-U-Test. Statistica (StatSoft, Version 1999, Tulsa, Oklahoma) wurde für sämtliche statistischen Analysen eingesetzt. Ein P-Wert < 0,05 wurde für statistisch signifikant erachtet. Die Daten sind als Mittelwerte und Bereiche angegeben.

ERGEBNISSE Fünf der sechs Männer und beide Frauen konnten während der gesamten Testdauer von 90 Minuten (Mittel 88 Minuten, Bereich 73–90 Minuten) im Schnee eingegraben bleiben. Bei einer männlichen Testperson sank die Körperkerntemperatur unter den von uns festgelegten Grenzwert von 35 °C und er wurde nach 73 Minuten mit einer SpO2 von 96 % aus den Schneemassen befreit. Keine der Testpersonen in dieser Gruppe entwickelte respiratorische Symptome und es gab keine signifikanten Veränderungen der physiologischen respiratorischen Parameter im Vergleich zu den Ausgangswerten (Tabelle 1). In starkem Gegensatz dazu blieb die Kontrollgruppe mit einem Mittel von 10 Minuten und einem Bereich von 4–19 Minuten (P = 0,003) signifikant kürzer im Schnee eingegraben. Die Testpersonen wurden rasch hyperkapnisch und zeigten Symptome von Kopfweh, Panik, Atemnot und Unruhe, weswegen drei der fünf Personen den Abbruch des Experiments verlangten, bevor die physiologischen Grenzwerte erreicht worden waren. Ganz objektiv wurde in dieser Gruppe eine signifikante Verringerung der Sauerstoffsättigung beobachtet. Im Vergleich dazu kam es

162


163

SpO2 %

95 97 94 96 92

Ausgangswert

95 98 92 94 96 96 95 92

Ausgangswert

83 84 76 79 93

Endwert

93 99 96 97 95 96 96 96

Endwert

34 33 37 43 32

Ausgangswert

4 4 10 9 5 5

0 9 6 4 4

53 53 57 70 61

Endwert

Endwert

3

Ausgangswert

2 2 0 9 4

Ausgangswert

44 43 38 56 41

Endwert

PICO2 mm Hg

B. Kontrollgruppe

45 35 37 36 38 28 41 30

Endwert

ETCO2 mm Hg

40 39 41 37 43 42 43 32

Ausgangswert

PICO2 mm Hg

A. Versuchsgruppe (mit CO2-Ableitung)

ETCO2 mm Hg

7 12 9 5 8 8 12 19

22 13 9 14 20

Ausgangswert

33 61 13 32 39

Endwert

AF Atemzüge/Min.

9 14 9 9 12 10 7 19

Endwert

AF Atemzüge/Min. Ausgangswert

11 10 4 5 19

Eingrabungsdauer Minuten

90 90 73 90 90 90 90 90

Eingrabungsdauer Minuten

Tab.1: Ausgangswerte vs. Endwerte für die Versuchs- und die Kontrollgruppe* *SpO2 – pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung; ETCO2 – endtidales Kohlendioxid, PICO2 – inspiratorischer Kohlendioxidpartialdruck.

1 2 4 5 8

Person #

1 2 3 4 5 6 7 8

Person

SpO2 %


Abb. 2: Mittelwerte und Bereiche für SpO2 vs. Eingrabungsdauer Mittelwerte und Bereiche für die Sauerstoffsättigung (SpO2) unmittelbar vor Beginn der Versuche bei Atmung von Umgebungsluft (Baseline), während der Eingrabung mit CO2-Ableitung und während der Kontrolleingrabung. Manche Bereichsangaben gegen Ende der Kontrolleingrabungen fehlen aufgrund eines vorzeitigen Abbruchs (Eingrabungsdauer 4–19 Minuten, Mittel 10 Minuten). Personen

Versuchsgruppe N=8 Kontrollgruppe N=5

EingrabungsMittlerer dauer (Min.) AusgangsMittelwert wert & (Bereich) SpO2 % 88

95

(73–93) 10* (4–19)

Mittlerer Endwert SpO2 % 96+

Mittlerer Mittlerer Ausgangs- Endwert wert PICO2 PICO2 mm Hg mm Hg 4

(P = 0,17) 95

6**

Mittlerer Ausgangswert ETCO2 mm Hg

Mittlerer Endwert

10

36 ++

P = 0,23

83+ (P < 0,02)

3

44** P < 0,01

ETCO2 mm Hg

P = 0,14 36

59++ P < 0,01

Tab. 2: Mittlere Ausgangs- und Endwerte in der Versuchsgruppe (mit CO2Ableitung) und in der Kontrollgruppe Die Ausgangsmittelwerte im Vergleich zu den Endmittelwerten in der Versuchsgruppe und der Kontrollgruppe für die Sauerstoffsättigung (SpO2), den inspiratorischen CO2-Partialdruck (PICO2) und das endtidale CO2 (ETCO2). Die Endmittelwerte wurden auch zwischen den zwei Gruppen verglichen und statistisch erfasst. Für statistische Vergleiche wurde der Mann-Whitney-U-Test verwendet.

164


bei den normokapnischen Eingrabungen mit CO2-Ableitung zu einer verlängerten Aufrechterhaltung der Oxygenierung (P = 0,004) (Abb. 2). Ein statistischer Vergleich der Ausgangs- und Endwerte beider Gruppen ist in Tabelle 2 dargestellt. In der Versuchsgruppe mit CO2-Ableitung wurden zwischen Ausgangs- und Endwerten keine statistisch signifikanten Veränderungen der Mittelwerte für SpO2, PIO2 oder ETCO2 festgestellt, während in der Kontrollgruppe (Hyperkapnie) ein signifikanter Rückgang der mittleren Sauerstoffsättigung (P < 0,02) und ein Anstieg der mittleren CO2-Indizes (P < 0,01) beobachtet wurden. Die Körperkerntemperatur sank im Mittel um 0,7 °C pro Stunde (Bereich 0,3–1,7 °C); dieser Wert wurde durch Extrapolation der 90-minütigen Eingrabungsdauer ermittelt. Bei den meisten Testpersonen trat gegen Ende der Eingrabung leichtes bis mäßiges subjektives Kältezittern auf. Nur eine Testperson klagte über heftiges, anhaltendes Zittern.

K O M M E N TA R E Die Überlebensdaten aus den Vereinigten Staaten und Europa zeigen, dass Asphyxie rasch nach einer Verschüttung auftritt und die Todesursache in bis zu 80 % aller Lawinenunglücke mit tödlichem Ausgang ist (4, 5, 6). Es gibt jedoch auch dramatische Berichte von Überlebenden, die nach langer Verschüttungsdauer geborgen werden konnten und deren Überleben durchwegs mit dem Vorhandensein einer großen Atemhöhle oder eines Luftkanals in Zusammenhang gebracht wird. Obwohl Lawinenschnee äußerst kompakt und sehr dicht ist, enthält er immer noch 40 bis 60 % Luft, die nach einer Verschüttung geatmet werden kann. Die lebensrettende Atemhöhle dient als Gasaustauschkammer, zu der auch die Luft-Schnee-Grenzfläche, wo Sauerstoff und Kohlendioxid durch die poröse Oberfläche diffundieren, dazugehört. Wenn die physikalischen Eigenschaften des Schnees die Diffusion behindern, sammelt sich das CO2 und wirkt in einem geschlossenen Raum als hypoxieauslösendes Erstickungsgas. Wenn sich zusätzlich an der Grenzfläche infolge des Gefrierens der in der Ausatemluft enthaltenen Feuchtigkeit eine Eislinse bildet, kommt die Diffusion zum Stillstand und die Asphyxie schreitet rasch voran. In einer Vorstudie (7) wurde untersucht, wie sich eine Einschränkung des Gasaustausches zwischen dem Luftraum und dem Schnee auswirkt. Kugeln aus Drahtgeflecht dienten als „offene“ Lufträume, wohingegen Plastikkugeln effektiv „geschlossene“ Räume ohne Außenverbindung darstellten; Größe und Volumen der beiden Kugeltypen waren bekannt. 165


In sowohl dem offenen als auch dem geschlossenen System verlängerte sich der Zeitraum bis zum Eintreten einer kritischen Sauerstoffentsättigung mit zunehmender Größe des Luftraums. Dieses Ergebnis erhärtet frühere empirische Annahmen. Noch wichtiger aber ist, dass die offenen Lufträume bei jeder Größe und jedem Volumen eine wesentlich längere Oxygenierung erlaubten als die geschlossenen Räume, was bedeutet, dass eine gasförmige Verbindung mit dem Schnee ein unerlässlicher Faktor für eine ausreichende Respiration während einer Verschüttung ist. Eine derartige Verbindung ermöglicht die Diffusion von Sauerstoff in den Luftraum und von Kohlendioxid in den Schnee, bis die jeweiligen Konzentrationsgradienten erreicht sind, die wahrscheinlich von Variablen wie Porosität, Temperatur, Wassergehalt und strukturellen Eigenschaften des Schnees beeinflusst werden. Außerdem steigert möglicherweise die während der Verschüttung entstehende örtlich begrenzte Wärme, die die Diffusion und die Dampfgradienten erhöhen könnte, die Gasbewegung. Überschreitet die Produktion die Diffusion, wird der Schnee schließlich mit CO2 gesättigt und die schädlichen Auswirkungen der Hyperkapnie machen sich bemerkbar. Jede Einschränkung der CO2-Diffusion aus dem Luftraum hinaus, verursacht z. B. durch die Bildung von Eislinsen oder durch Schnee mit geringer Porosität (8), beschleunigt diesen Prozess. Ebenso verzögert jeder diffusionsbegünstigende Faktor, wie z. B. die größere Oberfläche einer großen Atemhöhle, das Entstehen einer Hyperkapnie. Eine sehr rasch zum Tode führende Situation entsteht, wenn sich in einem geschlossenen Raum eine hohe Konzentration eines Inertgases befindet, da dieses den Sauerstoff aus der Einatemluft verdrängen kann.Der Begriff „Verdrängungsasphyxie“ trägt diesem Mechanismus (9) Rechnung, der durch das Hinzukommen eines Erstickungsgases wie Methan, Stickstoff oder CO2 die fortschreitende Abnahme des Sauerstoffpartialdrucks bewirkt. Klinische Krankheitsbilder, bei denen CO2 im Spiel ist, ergeben sich häufig in Zusammenhang mit schlecht belüfteten Brauereibottichen oder Silos, bei der Verbrennung von Grubengas in Kohlebergwerken und bei vulkanischen Emissionswolken großen Ausmaßes (1). Ein vor kurzem veröffentlichter Bericht machte diesen Verdrängungsmechanismus für den Tod eines Langläufers verantwortlich, der in ein Schneeloch gefallen war, das durch örtlich hohe CO2-Werte aufgrund aufsteigender vulkanischer Emissionen kontaminiert war (10). Nach einer Lawinenverschüttung sammelt sich das ausgeatmete CO2 im Schnee und in der Folge führt die Verdrängung des Sauerstoffs zu einer zunehmend hypoxischen Umgebung. Daten aus einer früheren Untersu166


chung (2) weisen darauf hin, dass dieser Umstand hauptsächlich auf das CO2 zurückzuführen ist und dass gemäß der alveolären Gasgleichung die arterielle Hypoxämie ein kritisches Ausmaß erreicht,bevor die Hyperkapnie schlimm genug ist, um eine CO2-Narkose (PaCO2 ≥ 70 mm Hg) zu verursachen (11). Es ist anzunehmen, dass dieser Prozess in großen Höhen schneller vor sich geht. In der vorliegenden Studie haben wir die Rolle des Kohlendioxids im Erstickungsprozess wirkungsvoll isoliert, indem es als Variable vollständig aus unserem experimentellen Schneeeingrabungsmodell ausgeschlossen wurde. Die anhaltende Aufrechterhaltung der Oxygenierung, die – anders als beim vergleichsweise raschen Auftreten einer Hypoxie bei den hyperkapnischen Kontrollpersonen – während der Eingrabung mit CO2-Ableitung durchwegs beobachtet wurde, bestätigt, dass im dichten, gepressten Schnee, ähnlich dem Lawinenschnee, genügend Sauerstoff vorhanden ist, um bei einer Verschüttung eine ausreichende Respiration über einen längeren Zeitraum hinweg aufrechtzuerhalten. Interessanterweise wurden die Testpersonen bei den Kontrollversuchen trotz einer kleinen Atemhöhle schnell hyperkapnisch und hypoxisch, wohingegen sie bei den normokapnischen Versuchen ohne Atemhöhle normoxisch blieben. Es scheint also, dass der lebensrettende Luftraum die Sauerstoffextraktion aus dem Schnee nicht erhöht, sondern eher die CO2Entfernung aus der unmittelbaren Atemumgebung fördert. Möglicherweise ist eine vergrößerte Oberfläche mit einer erhöhten Diffusion für den Mechanismus verantwortlich, der in einem ausreichend dimensionierten Luftraum zur Wirkung kommt; diese Frage muss jedoch in weiteren Untersuchungen erst geklärt werden. Die Kontrolleingrabungen simulierten eine tatsächliche Lawinenverschüttung, sodass die Testpersonen die entsprechenden physiologischen Reaktionen zeigten. Natürlich stammen diese Daten aus einem kontrollierten Experiment, das Asphyxie aufgrund einer mechanischen Thoraxkompression, einer Atemwegsobstruktion oder einer ungünstigen Position ausschloss. In Anbetracht der offensichtlichen Einschränkungen, die auf Sicherheitsüberlegungen zurückzuführen sind, nahmen wir eine Extrapolation unserer Ergebnisse vor, die uns dann als bestmögliche Annäherung für unsere Schlussfolgerungen diente. Wie wichtig die Verlangsamung des Hyperkapnievorgangs ist, wurde bereits während der physiologischen Tests mit der Weste mit künstlicher Atemhöhle gezeigt,die das CO2 aus dem Inhalationsbereich wegleitet und dadurch die Entstehung einer Hyperkapnie und Hypoxie um bis zu eine Stunde verzögert. Die vorliegenden Daten legen nahe, dass eine voll167


ständige Ableitung des CO2 aus dem unmittelbaren Verschüttungsbereich, wie sie auch durch ein Scheuermittel im Ausatemsystem der Weste mit künstlicher Atemhöhle erreicht werden kann, eine ausreichende Oxygenierung deutlich verlängern würde. Wir schließen daraus, dass in einer dichten, gepressten Schneemasse, ähnlich dem Lawinenschnee, genügend Sauerstoff vorhanden ist, um die Oxygenierung und Ventilation für mindestens 90 Minuten während einer Verschüttung aufrechtzuerhalten,wenn das ausgeatmete CO2 abgeleitet wird. Da bemerkenswerterweise bei einer CO2-Ableitung keine Atemhöhle für eine prolongierte Oxygenierung erforderlich war, liegt die Bedeutung der Atemhöhle bei der Verlängerung der Überlebensdauer nach einer Lawinenverschüttung wahrscheinlich darin, dass sie mehr Platz für größere Mengen ausgeatmeten Kohlendioxids bietet, oder aber, dass mehr CO2 in den Schnee diffundieren kann.

L I T E R AT U R (1) Hamilton A., Hardy H. L.: Industrial Toxicology. 3rd Ed. Acton, Mass: Publishing Sciences Group, 235-237, 263-269 (1974). (2) Grissom C. K., Radwin M. I., Harmston C. H., Hirshberg E., Crowley T. J.: Respiration During Snow Burial Using an Artificial Air Pocket. JAMA. 283, 2266-2271 (2000). (3) McClung D., Schaerer P.: The Avalanche Handbook. 1st ed. Seattle, Wash: Mountaineers, 115 (1993). (4) Logan N., Atkins D.: The Snowy Torrents. Avalanche Accidents in the United States 1980-1986. Colorado Geological Survey, 240-243 (1996). (5) Falk M., Brugger H.,Adler-Kastner L.:Avalanche Survival Chances. Nature 368, 21 (1994). (6) Grossman M. D., Saffle J. R., Thomas F., Tremper B.: Avalanche Trauma. J Trauma 29, 1705-1709 (1989). (7) Baum G. L., Wolinsky E.: Textbook of Pulmonary Diseases. Fifth Edition, Vol 1. Little, Brown and Co., 901-906 (1993). (8) Nunn J. F.: Applied Respiratory Physiology. 3rd Ed. London, England: Butterworths, 226, 475 (1987).

168


Colin K. Grissom, Martin I. Radwin, Chris H. Harmston, Mary Beth Scholand, Thomas J. Crowley

Respiration during snow burial using an artificial air pocket Atmung bei Verschüttung im Schnee mit einer künstlichen Atemhöhle S U M M A RY The AvaLung™ is an artificial air pocket breathing device that may prevent asphyxiation during avalanche burial by diverting expired carbon dioxide (CO2) away from an inspiratory air pocket (volume 500 cc). In this study we determined duration of adequate oxygenation and ventilation during burial in dense snow while breathing with, and without, an AvaLung. We measured arterial oxygen saturation (SpO2) and partial pressure of end tidal CO2 (ETCO2) in 14 subjects during pre-burial baseline breathing in open atmosphere and during snow burial breathing with an AvaLung. As controls, we studied 11 of the same subjects during snow burial breathing without an AvaLung but with a 500cc air pocket in the snow.Study burials were terminated at the subject’s request,or when SpO2 < 85 %, or after 60 minutes elapsed. Mean burial time was 57 minutes (35 to 60) with the AvaLung and 10 minutes (5 to 19) in the control (p < 0.001). Mean baseline SpO2 of 96 % (90 to 98) decreased to 91 % (77 to 99) (p = 0.001) in the AvaLung burial, and decreased to 85 % (79 to 92) (p < 0.001) in the control burial. Mean baseline ETCO2 of 33 mm Hg (27 to 40) increased to 48 mm Hg (32 to 65)(p < 0.001) in the AvaLung burial, and increased to 55 mm Hg (44 to 63) (p < 0.001) in the control burial. Although hypercapnia developed, breathing with the AvaLung during snow burial considerably extended duration of adequate oxygenation as compared to breathing with an air pocket in the snow. The AvaLung may improve survival chances during avalanche burial. Keywords: Avalanche, hypoxia, hypercapnia, AvaLung.

Z U S A M M E N FA S S U N G Die AvaLung™ ist ein Atemgerät, das im Fall einer Lawinenverschüttung eine künstliche Atemhöhle schafft und durch Extraktion von Kohlendio-

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xyd (CO2) aus der inspiratorischen Atemhöhlenluft (Volumen 500 cm3) eine Asphyxie verhindern kann. In dieser Studie bestimmten wir die Zeitdauer einer adäquaten Oxygenierung und Ventilation bei Vergrabung in dichtem Schnee bei Atmung mit und ohne die AvaLung. Wir bestimmten die arterielle Sauerstoffsättigung (SpO2) und den endtidalen Kohlendioxidpartialdruck (ETCO2) bei 14 Versuchspersonen vor dem Eingraben in Umgebungsluft als Baseline und während der Vergrabung im Schnee bei Atmung mit der AvaLung. Als Kontrollgruppe atmeten 11 Personen im Schnee ohne die AvaLung in eine 500 cm3 große Atemhöhle. Die Versuche wurden abgebrochen auf Wunsch der Probanden oder bei einer SpO2 < 85 % oder nach 60 Minuten. Die mittlere Vergrabungszeit betrug 57 Minuten (35–60) mit der AvaLung und 10 Minuten (5–19) in der Kontrollgruppe (p < 0,001).Die mittlere Baseline-SpO2 von 96 % (90–98) sank auf 91 % (77–99) in der AvaLung-Gruppe (p = 0,001), hingegen auf 85 % (79–92) bei der Kontrollgruppe (p > 0,001). Das mittlere ETCO2 stieg von der Baseline von 33 mm Hg (27–40) auf 48 mm Hg (32–65) in der AvaLung-Gruppe (p < 0,001) und auf 55 mm Hg (44–63) in der Kontrollgruppe (p < 0,001). Trotz Entwicklung einer Hyperkapnie bei Atmung mit der AvaLung wurde die Dauer einer adäquaten Oxygenierung deutlich verlängert im Vergleich zur Atmung in eine Atemhöhle im Schnee. Die AvaLung könnte die Überlebenschancen bei Lawinenverschüttung verbessern. Schlüsselwörter: Lawine, Hypoxie, Hyperkapnie, AvaLung.

INTRODUCTION Asphyxiation is the major cause of death during avalanche burial and time to extrication is the major determinant of survival (1–4). Falk and colleagues (4) reported probability of survival as 92 % for persons extricated within 15 minutes, but only 30 % at 35 minutes. Their study suggests that survival after 35 minutes is dependent on an air pocket in the snow for breathing. Studies from our group show that an artificial air pocket breathing device that separates inspired from expired air, the AvaLung™ (Black Diamond Equipment,Ltd.,Salt Lake City,Utah,USA),may improve chances of survival by prolonging the time period of adequate oxygenation during avalanche burial. The AvaLung (Figure 1) allows an avalanche burial victim to breathe the air contained in snow. A mouthpiece is connected to a single circuit of respiratory tubing used for inspiration and expiration. A plastic mesh air

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Figure 1. Schematic drawing of the AvaLung as it is positioned in a vest worn over all other clothing.Air from the snowpack enters the plastic mesh air pocket (E) and on inspiration flows into the respiratory tubing circuit via two 1-way valves (D) to mouthpiece (A). The capnometer sampling tubing (B) and emergency oxygen tubing (C) are shown where they insert in-line with the respiratory tubing just below the mouthpiece. These attachments were part of the experimental setup but are not require for actual function of the device during avalanche burial. Expired air passes from the mouthpiece through the respiratory tubing to 1-way expiratory valve (F) and then exits out the back of the device (G). pocket (volume 500 cc) is connected to the side of the respiratory tubing by two 1-way inspiratory valves. Expired air passes from the mouthpiece through the respiratory tubing circuit to an expiratory 1-way valve and then exits around the back away from the air pocket. The device is built into a vest that is worn over all other clothing. In this study we characterized the physiology of breathing after snow burial with, and without, an AvaLung. We studied 14 subjects during burial in dense snow breathing with the AvaLung for up to 60 minutes. As a control, we studied 11 of the same subjects during burial in dense snow breathing without the AvaLung, but with a 500 cc air pocket in the snow.

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METHODS This study took place from December 1998 to March 2000 in mountainous outdoor sites at elevations of 1900 to 2500 meters in the United States (Utah and Oregon) and in Switzerland (subject 11). We previously published data from the first 8 subjects in this study (5), and now report results on a total of 14 subjects. The experimental set-up for all subjects was the same, and consisted of a large mound of snow compacted by body weight in order to simulate avalanche debris. Snow density was determined in multiple sites using a 250 cc wedge density cutter (Snowmetrics, Ft. Collins, CO, USA) that measured the weight of water per cubic meter (kg/m3). Snow density is reported in Table 1 as a percent (i.e. 300 kg/m3 is 30 % density snow, or 70 % air). A shoulder width trench was dug into one end of the snow mound and a sitting platform created so that the subject’s head would be 50 cm, and the AvaLung 100 cm, under the top surface of the mound after burial (Figure 2).

Figure 2. Subject sitting in the snow mound in preparation for a study burial. Subjects were healthy paid volunteers, 10 men and 4 women, mean age 34 years (range 19 to 42). Subjects were studied first during an AvaLung

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Figure 2 burial and then during a control burial. Three subjects declined to participate in the control burial after completing an AvaLung burial.The LDS Hospital Research and Human Rights Committee approved this study and informed consent was obtained from volunteers. The following physiologic parameters were measured at baseline and continuously throughout all burials: partial pressure of end-tidal carbon dioxide (ETCO2) and inspired carbon dioxide (PICO2) in mm Hg, respiratory rate (RR) in breaths per minute, percent saturation of hemoglobin with oxygen (SpO2),and surface three-lead electrocardiogram (ECG). ETCO2, PICO2, RR, and SpO2 were monitored using a capnometer (NPB-75, Mallinckrodt, St. Louis, MO, USA) attached in-line to the AvaLung mouthpiece. ECG and SpO2 were monitored using a portable patient monitor (NPB-4000, Mallinckrodt). Physiologic parameters were observed continuously and recorded every minute.

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During the AvaLung burial subjects wore the AvaLung vest over a one piece Gore-Tex™ suit (Patagonia, Inc., USA) with insulating layers next to the skin. A warm hood with a face mask and goggles covered the head. Subjects sat in the snow mound trench with monitoring leads extending to the monitoring equipment. Snow was compacted by hand as subjects were buried completely. Subjects communicated with the surface team via intercom.Time zero of burial was noted when the subject’s head was completely buried.The study burial was terminated after 60 minutes, or at the subject’s request, or when SpO2 fell to < 85 %. In an emergency an oxygen back-up line attached to the AvaLung mouthpiece could deliver 15 liters/minute of 100 % oxygen to increase inspired partial pressure of oxygen (PIO2) and flush CO2. The study set-up for the control burial without the AvaLung was identical to the AvaLung burial except subjects breathed through the AvaLung mouthpiece that opened into a 500 cc volume air pocket in the snow. The emergency oxygen back-up system was also attached in-line to the AvaLung mouthpiece. The control burial was terminated at the subject’s request or when SpO2 fell to < 85 %. Baseline measurements were compared to measurements at the end of the AvaLung and control burials using a Mann-Whitney U test. Measurements at the end of the AvaLung and control burials were also compared using a Mann-Whitney U test. Statistica™ software (StatSoft, Tulsa, OK, USA) was used for all statistical analysis. A p-value of less than 0.05 was used to indicate statistical significance. Data are reported in the text as mean and range.

R E S U LT S Mean burial time breathing with the AvaLung was 57 minutes (35 to 60) as compared to 10 minutes (5 to 19) breathing with an air pocket without the AvaLung (p < 0.001) (Table 1). Breathing with the AvaLung, 11 of 14 subjects completed the study protocol to the full 60 minutes. Subject 1 requested to end the AvaLung burial at 45 minutes secondary to cold and shivering. Subjects 6 and 14 terminated the AvaLung burial prior to 60 minutes because of hypoxemia. In the control burials all subjects experienced profound dyspnea and in 5 of 11 subjects this was the reason for terminating the study. The other 6 subjects’ control burials were terminated as a result of hypoxemia. Data for each subject at baseline, at AvaLung burial termination, and at control burial termination are shown in Table 1. Mean data and ranges for SpO2, ETCO2, and PICO2 at baseline 174


Table 1. AvaLung and Control Burial Data Burial Respiratory Subject Snow ETCO2 PICO2 % Rate Time SPO 2 (mm Hg) (mm Hg) Number Density (min) (breaths/minute) AvaLung AvaLung AvaLung AvaLung AvaLung Burial baseline end baseline end baseline end baseline end 1 45 30% 90 89 29 37 2 24 16 15 2 60 60% 96 93 32 50 3 40 19 12 3 60 57% 96 94 36 47 3 31 16 11 4 60 56% 95 88 34 53 2 44 19 30 5 60 56% 99 92 27 45 2 32 22 16 6 56 40% 99 77 28 49 2 40 17 17 7 60 36% 95 92 38 48 2 27 11 9 8 60 40% 99 96 32 32 0 20 7 13 9 60 58% 96 95 37 41 5 24 18 19 10 60 61% 96 99 34 40 0 26 14 14 11 60 29% 97 94 36 51 3 33 15 11 12 60 45% 98 89 38 65 0 46 17 25 13 60 40% 95 95 40 49 0 27 16 13 14 35 40% 95 81 27 62 0 53 8 16 mean 57 46% 96 91 33 48 2 33 15 16 Control Control Control Control Control Burial baseline end baseline end baseline end baseline end 1 14 56% 90 87 29 44 2 37 16 22 2 10 60% 96 79 32 49 3 39 19 17 3 10 57% 96 83 36 55 3 38 16 25 4 11 57% 95 83 34 63 2 50 19 33 5 5 56% 99 84 27 58 2 50 22 41 6 12 40% 99 92 28 58 2 50 17 38 8 8 40% 99 79 32 54 0 45 7 19 9 6 58% 96 87 37 53 5 44 18 27 10 11 61% 96 84 34 53 0 43 14 40 11 5 29% 97 83 36 57 3 15 21 12 19 39% 98 91 38 61 0 45 17 39 mean 10 50% 96 85 33 55 2 44 16 29 p value* p<0.001 p=0.50 p=0.005 p=0.02 p=0.01 p<0.001 * p values are for comparison of end study AvaLung versus control data using a MannWhitney U test

and throughout the Avalung and control burials are shown in Figure 3. Mean baseline SpO2 of 96 % (90 to 98) decreased to 91 % (77 to 99) (p = 0.001) in the AvaLung burial, and decreased to 85 % (79 to 92) (p < 0.001) in the control burial. SpO2 was significantly higher at the end of the AvaLung as compared to the control burial (p = 0.005). Mean base-

175


ETCO 2 mm Hg

70 60 50 40 30 20

PICO 2 mm Hg

SpO 2 %

Figure 3. Mean Values and Ranges for SpO 2, ETCO 2, and PICO 2 100 95 90 85 80 75

60 50 40 30 20 10 0

Baseline AvaLung Control Baseline AvaLung Control

Baseline AvaLung Control

-10

-5

0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

50

55

60

Time Relative to Burial (minutes)

Figure 3. Mean data and ranges are shown for physiologic parameters at baseline breathing ambient air (■), during the AvaLung burial (∆), and during the control burial without the AvaLung (◊). The x-axis represents time relative to full burial in minutes for all panels. The y-axis represents percent saturation of hemoglobin with oxygen (SpO2 %) for panel 1, endtidal partial pressure of carbon dioxide (ETCO2) in mm Hg for panel 2, and inspired carbon dioxide partial pressure (PICO2) in mm Hg for panel 3. Some mean data points at the end of the control burial are missing or do not have ranges because of subject dropout (burial times of 5 to 19 minutes).

line ETCO2 of 33 mm Hg (27 to 40) increased to 48 mm Hg (32 to 65) (p < 0.001) in the AvaLung burial, and increased to 55 mm Hg (44 to 63) (p < 0.001) in the control burial. Mean baseline PICO2 of 2 mm Hg (0 to 5) increased to 33 mm Hg (20 to 53) (p < 0.001) in the AvaLung burial, and increased to 44 mm Hg (37 to 50) (p < 0.001) in the control burial. ETCO2 and PICO2 were significantly higher at the end of the shorter control burial as compared to the AvaLung burial (p = 0.02 and p = 0.01). Mean baseline RR of 15 breaths/minute (7 to 22) did not change during the AvaLung burial (p = 0.60) but significantly increased to 29 breaths/

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minute (17 to 41) in the control burial (p < 0.001). RR was significantly higher at the end of the shorter control burial as compared to the AvaLung burial (p < 0.001).

DISCUSSION The AvaLung maintains adequate oxygenation during snow burial significantly longer than a similar size air pocket in the snow by diverting expired CO2 away from the artificial inspiratory air pocket. Compared to our control burials, breathing with the AvaLung increased the time required to reach a clinically significant degree of hypercapnia and prevented hypoxemia in 12 of the 14 subjects. Increasing PICO2 resulting in hypercapnia is a critical factor in asphyxia during avalanche burial. According to the simplified form of the alveolar gas equation (6–7) (PAO2 = PIO2-PACO2/R), hypercapnia causes accelerated hypoxemia by displacement of oxygen for CO2 in the alveolus, which may result in death from „displacement“ asphyxia. In the AvaLung burial, PICO2 increased up to 53 mm Hg in 35 to 60 minutes. In the control burial, the same increase in PICO2 resulting in hypercapnia occurred within 5 to 19 minutes. Breathing on the AvaLung maintained adequate oxygenation for a longer amount of time because it delayed displacement of oxygen by CO2. The AvaLung provides a significant advantage for breathing during avalanche burial because expired CO2 is diverted away from inspired air, aspiration of snow is prevented, and an ice mask impermeable to air does not form. During an actual avalanche burial, however, a major issue will be the ability to place and maintain the AvaLung mouthpiece in the mouth. Stiff respiratory tubing that allows the mouthpiece to remain in a ready position facilitates this. Wearing an AvaLung breathing device does not replace conservative judgment and appropriate safety precautions when traveling in avalanche terrain – including wearing an avalanche transceiver and carrying a shovel. For persons who are buried in an avalanche breathing on an AvaLung, however, our preliminary tests suggest that the AvaLung may improve chances of survival.

ACKNOWLEDGEMENTS This study was funded by Black Diamond Equipment,Ltd.,Salt Lake City, Utah, USA. The authors have final responsibility for the data and conclusions in the manuscript which was not reviewed by Black Diamond Equipment, Ltd., prior to submission, except for one author, Chris H.

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Harmston, M. E., M. S. E., who is an employee of Black Diamond Equipment, Ltd. Two of the authors have a financial interest in the AvaLung; Chris H. Harmston, M. E., M. S. E., as an employee of Black Diamond Equipment, Ltd., and Thomas J. Crowley, M. D., the inventor of the AvaLung. Some of the equipment used in this study was generously donated by Mallinckrodt Inc., St. Louis, MO, USA. The authors thank Jordy Margid of Black Diamond Equipment, Ltd., for technical assistance.

REFERENCES (1) Grossman M. D., Saffle J. R.,Thomas F.,Tremper B.:Avalanche Trauma. J Trauma. 29 (12), 1705-1709 (1989). (2) Williams K., Armstrong B. R., Armstrong R. L., Atkins D.: Avalanches. In: Auerbach P. S. (Hrsg.) Wilderness Medicine. 4th ed. Mosby, St. Louis: 44-72 (2001). (3) Stalsberg H., Albretsen C., Gilbert M., et al.: Mechanism of Death in Avalanche Victims. Virchows Archiv A Pathol Anat. 414, 415-422 (1989). (4) Falk M., Brugger H.,Adler-Kastner L.:Avalanche Survival Chances. Nature. 368, 21 (1994). (5) Grissom C. K., Radwin M. I., Harmston C. H., Hirshberg E. L., Crowley T. J.: Respiration during snow burial using an artificial air pocket. JAMA. 283, 2266-2271 (2000). (6) Nunn J. F.Applied Respiratory Physiology. 3rd ed. Butterworths, London, England (1987). (7) Murray J. F., Nadel J. A. (Hrsg.). Textbook of Respiratory Medicine. 3rd ed. WB Saunders Co, Philadelphia, Pa. (2000).

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G ü n t h e r S u m a n n , H e r m a n n B r u g g e r, R o l a n d M e i s t e r, Wo l f g a n g S c h o b e r s b e r g e r, P e t e r M a i r, M a r k u s F a l k

Modell einer künstlichen Atemhöhle im Schnee zur Erforschung von Atemgasveränderungen bei Lawinenverschüttung Prototype for air pocket in snow S U M M A RY In case of avalanche burial survival longer than 35 minutes is only possible if an air pocket is present. While breathing into an air pocket the victim suffers from hypoxia and hypercapnia. We introduce an air pocket model for the research on changings of respiratory gases of people buried by an avalanche. During the test the volunteer is sitting under open-air and does not need to be buried. The model has proved to be useful in a pilot-project and will be applied to future investigations. Keywords: air pocket, avalanche burial, hypoxia, hypercapnia.

Z U S A M M E N FA S S U N G Bei Lawinenverschüttung ist ein Überleben länger als 35 Minuten nur bei Vorhandensein einer Atemhöhle möglich. Dabei kommt es zur Hypoxie des Verunfallten und zu einer zunehmenden Hyperkapnie. Es wird ein Atemhöhlenmodell vorgestellt zur Erforschung der Atemgasveränderungen bei Beatmung einer Atemhöhle im Schnee, wobei der Proband gefahrlos im Freien sitzt und nicht vergraben werden muss. Das Modell hat sich im Rahmen eines Pilotprojekts als tauglich erwiesen und wird in weiteren Versuchen Anwendung finden. Schlüsselwörter: Atemhöhle, Lawinenverschüttung, Hypoxie, Hyperkapnie.

EINFÜHRUNG Im Falle einer Ganzkörperverschüttung im Schnee bei Lawinenunfällen gilt es als gesichert, dass ein Überleben länger als 35 Minuten nur mit einer

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Atemhöhle möglich ist (1). Als Atemhöhle wird „jeder noch so kleine Hohlraum vor Mund und Nase bei gleichzeitig freien Atemwegen“ (2) definiert. Eine 1994 von Falk et al. durchgeführte Überlebenszeitanalyse (3) ergab, dass alle Verschütteten, die nicht über eine Atemhöhle verfügen, bis 35 Minuten nach der Verschüttung an akuter Asphyxie versterben. Die Verschütteten mit einer „geschlossenen“ Atemhöhle hingegen überleben bis 90 Minuten. Diese biostatistische Analyse deckt sich mit einer Reihe von Fallberichten, bei denen Lawinenverschüttete auch mit kleinen Atemhöhlen einen mehrstündigen Zeitraum ohne neurologischen Dauerschaden überlebt haben. Vermutlich kommt es durch die Atmung des Verunglückten in die geschlossene Atemhöhle neben einer Hypoxie zu einer KohlendioxidRückatmung und damit zu einer ausgeprägten Hyperkapnie. Zusätzlich sind die Thoraxexkursionen durch die massive Druckwirkung des Schnees in vielen Fällen sehr stark eingeschränkt und es kommt zur ausgeprägten Hypoventilation. Beide Vorgänge wirken gleichgerichtet auf die Blutgasveränderungen. Die pathophysiologischen Veränderungen bei Atmung in einer Atemhöhle wurden bislang kaum untersucht. Eine realistische Simulation einer Ganzkörperverschüttung im Schnee ist zu gefährlich und deswegen unmöglich (4). In einer experimentellen Untersuchung wurden Gasveränderungen bei Atmung in einem geschlossenen Raum berechnet (5). Eine Gruppe um Grissom und Radwin in den USA führten kürzlich Studien durch, bei denen die Testpersonen im Schnee komplett eingegraben wurden. Die Ergebnisse waren sehr aufschlussreich, wurden bereits publiziert (6) und werden auch in diesem Jahrbuch präsentiert.Eine solche Versuchsanordnung mit Vergrabung von Probanden würde allerdings in Österreich von den Ethikkommissionen nicht genehmigt werden.

ATEMHÖHLENMODELL Um unserem Interesse an der Erforschung der Gasveränderungen bei Beatmung einer „echten“ Schnee-Atemhöhle nachkommen zu können, haben wir ein „sicheres“ Modell entworfen, bei dem der Proband nicht vergraben werden muss und jederzeit ohne Verzögerung im Falle einer Komplikation ärztliche Betreuung gewährleistet werden kann. Dabei sitzt der Proband im Freien und atmet in ein geschlossenes System aus CPAP-Maske, Atemschlauch und künstlicher Atemhöhle (Abb. 1). Der Schlauch wurde möglichst kurz gewählt (40 cm), um die Totraumventilation klein zu halten.

180


Abb. 1

Abb. 2

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Atemhöhlenmodell

Atemhöhle

CPAP-Maske u. Atemschlauch Deckel

Skizze 1 Zur Anfertigung der Atemhöhle wird mittels einer zylindrischen Bohrung in eine senkrechte Schneewand ein Loch mit definiertem Volumen ausgehoben (Abb. 2). Dieses Loch wird mit einem hutförmigen Deckel verschlossen und dessen Ränder mit Schnee abgedichtet. Am Boden des Deckels befinden sich das Ansatzstück für den Atemschlauch und eine luftdichte Öffnung für etwaige Sensorkabel (Skizze 1). Um konstante und realistische Schneebedingungen gewährleisten zu können, haben wir vor jedem Versuch einen großen Hohlraum hinter einer Blechwand mit frischem Schnee gefüllt. In die so entstandene Schneewand wurde jedes Mal eine neue Atemhöhle angelegt (Abb. 3). Neben nichtinvasivem Monitoring des Probanden mit peripherer Sauerstoffsättigung, Blutdruckmessung, EKG und endexspiratorischem Kohlendioxid wurden kapilläre Blutgasanalysen bestimmt. In der Atemhöhle wurden die prozentuellen Konzentrationen von Sauerstoff und Kohlendioxid registriert. Vor und nach dem Versuch konnten genaue Analysen der Schneebeschaffenheit und der Eislamellenbildung vorgenommen werden. 182


Abb. 3

PILOTPROJEKT Im Rahmen eines Pilotprojekts haben wir in den Jahren 2000 und 2001 zwei Versuchsreihen unter Anwendung des beschriebenen Atemhöhlenmodells durchgeführt.Die Analyse der Daten ist abgeschlossen,die Ergebnisse der Versuche werden in den nächsten Monaten publiziert. Mit der gezeigten künstlichen Atemhöhle kann ein Teilaspekt der Lawinenverschüttung betrachtet werden. Einflussfaktoren wie Compliance-Veränderungen durch mechanischen Druck auf den Thorax und Einflüsse von Stress und Hypothermie können in diesem Modell nicht untersucht werden. Das Modell zur Simulation einer Schnee-Atemhöhle hat sich als tauglich bewährt und rechtfertigt Folgeversuche in den nächsten Jahren.

DANKSAGUNG Wir bedanken uns bei Herrn Wilhelm Prax, Werksleiter bei Alutech Alusuisse Austria GmbH, 5620 Schwarzach/Pg. für die kostenlose Anfertigung der Aluminium-Werksteile für das Atemhöhlenmodell. Besten Dank an den Bergrettungsdienst, Ortsstelle Fulpmes, insbesondere Herrn Klaus Fischlechner für die tatkräftige Unterstützung bei der

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Durchführung der Versuche und an die Mitglieder des Bergrettungsdienstes AVS Bruneck, die sich freiwillig als Probanden zur Verfügung gestellt haben. Das Projekt wurde durch den MFF (Medizinischen Forschungsfonds) Tirol unterstützt und mit dem wissenschaftlichen Förderungspreis 2001 der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin ausgezeichnet.

L I T E R AT U R (1) Brugger H., Falk M., Adler-Kastner L.: Der Lawinennotfall. Neue Aspekte zu Pathophysiologie und Therapie von Lawinenverschütteten. Wien klin Wochenschr 109, 145-159 (1997). (2) Brugger H., Falk M.: Neue Perspektiven zur Lawinenverschüttung. Phaseneinteilung nach pathophysiologischen Gesichtspunkten. Wien Klin Wochenschr 104, 167-173 (1992). (3) Falk M., Brugger H., Adler-Kastner L.: Avalanche survival chances. Nature 368, 21 (1994). (4) Mair P., Hasibeder W., Kornberger E., Stöllnberger V., Flora G.: Untersuchungen über die Gefährdung von Bergrettungsmännern bei Eingrabung in Schneehöhlen. In: Flora G. (Hrsg.) 11. Internationale Bergrettungsärzte-Tagung. Medizintechnik beim Alpinunfall. Eigenverlag, Innsbruck, 57-55 (1991). (5) Haisjackl M., Oberwalder M., Keller K., Posch G., Stöllnberger V.: Hypoxie und Hyperkapnie im geschlossenen Raum. In: Flora G. (Hrsg.) 11. Internationale Bergrettungsärzte-Tagung. Medizintechnik beim Alpinunfall. Eigenverlag, Innsbruck, 43-47 (1991). (6) Grissom C. K., Radwin M. I., Harmston C. H., Hirshberg E. L., Crowley T. J.: Respiration during snow burial using an artificial air pocket. JAMA 283, 2266-71 (2000).

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W. D o m e j , G . S c h w a b e r g e r, J . K . L a n g , I. Stückler und K. Friedl

Der Einfluss statischer Rucksackbelastung auf respiratorische Impedanz und Atemgrenzwert gesunder Bergsteiger in Ruhe – eine experimentelle Pilotstudie The influence of static resistive load on respiratory impedance and maximal voluntary ventilation (MVV) in healthy mountaineers at rest – an experimental pilot study S U M M A RY The ability of ventilatory adaptation to both exercise and altitude-related hypoxia is an important physiologic issue which may be influenced by heavy backpack loads. The relationship between oscillation mechanics and maximal ventilation capacity to backpack weight, however, has not yet been investigated. The objective of this study was to measure changes in respiratory impedance (R5) and reactance (X5) in response to three incremental resistive loads, and to correlate these results to the ventilatory parameters tidal volume (VT) and maximal voluntary ventilation (MVV), respectively. In 39 clinically healthy subjects, experienced in mountaineering (10 female, 19 male; mean age 30 ± 14 years), impulse-oscillometry (Master Screen IOS, Jaeger) was performed to evaluate the respiratory adaptation to additional static loads (weight of backback). Both the Z5 and X5 at 5 Hz, the resistance at 5 and 20 Hz (R5, R20), the resonance frequency (Fres), and central as well as peripheral airway resistance (Rz, Rp) were assessed. In addition to a baseline test without load, respiratory impedance parameters were measured with intervals of 15 minutes when the weight of the backpack was increased to 10, 20, and 30 % of the individual body weight.Results indicate significant increases in R5 and Rp concomitant to the decreases in X5 and MVV, respectively, which demonstrates an important negative influence of backback weights on peripheral airways. We suggest that this decreasing effect on ventilatory capacity

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might be a further pathogenetic aspect in the developement of altituderelated disorders such as high altitude pulmonary edema, respectively. Keywords: Lung function, backpack load weight, impulse oscillation (IOS), respiratory impedance.

Z U S A M M E N FA S S U N G Die Fähigkeit zur Ventilationssteigerung unter körperlicher Belastung, aber auch unter hypoxischen Höhenbedingungen ist ein besonders bedeutsamer physiologischer Vorgang, der erfahrungsgemäß durch ein hohes Rucksackgewicht beeinträchtigt werden kann.Eine Beziehung zwischen oszillometrischer Impedanz und Ventilationskapazität in Bezug auf statisch wirksame Zusatzgewichte wurde allerdings bisher lungenfunktionell kaum untersucht. Ziel der vorliegenden Studie war es daher, Veränderungen der respiratorischen Impedanz (Z5) und Reactance (X5) bei 5 Hz, der Resistance bei 5 und 20 Hz (R5, R20), der Resonanzfrequenz (Fres) sowie der zentralen und peripheren Resistance (Rz, Rp) im Rahmen einer 3-stufigen Gewichtsbelastung in Ruhe zu untersuchen und den ventilatorischen Parametern Atemzugvolumen (Vt) und Atemgrenzwert (MVV) gegenüberzustellen. Dazu wurden 39 regelmäßig alpinistisch tätige Probanden (20 M, 19 F; 30 ± 14 J.) mittels der Impuls-Oszillometrie (Master Screen IOS, Jäger) hinsichtlich ihrer respiratorischen Anpassung auf zusätzliche Rucksackbelastung untersucht. Neben jeweils einer Ausgangsmessung ohne Zusatzgewicht erfolgten in 15-Minuten-Abständen Impedanz- und Flowmessungen unter einem zusätzlichen Rucksackgewicht von jeweils 10, 20 und 30 % des individuellen Körpergewichtes. Die Ergebnisse zeigen einen deutlichen Anstieg der R5 und Rp unter gleichzeitigem Abfall der X5 und des MVV, was für einen negativen Einfluss hoher Rucksackgewichte auf periphere Atemwege spricht. Darüber hinaus ist es auch denkbar, dass eine auf diese Art verminderte ventilatorische Kapazität einen weiteren pathogenetischen Gesichtspunkt in der Entwicklung höhenassoziierter Anpassungsstörungen darstellt. Schlüsselwörter: Lungenfunktion, oszillometrische Resistance (IOS), Rucksackgewicht, respiratorische Impedanz.

EINLEITUNG Beeinträchtigte Ventilation durch Zusatzgewicht Eine möglicher negativer Einfluss statischer Gewichtsbelastung auf die Ventilationsfähigkeit erscheint gerade in Anbetracht eines hohen Ruck-

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sackgewichtes infolge einer mehr oder weniger ausgeprägten thorakalen Kompression und erhöhten Atemarbeit gut vorstellbar (1). Interessanterweise gibt es in der medizinischen Literatur kaum Untersuchungen über respiratorische Auswirkungen zusätzlicher Gewichtsbelastungen insbesondere durch das Rucksackgepäck von Alpinsportlern. Einer Untersuchung an Schulkindern zufolge tritt eine signifikante Beeinträchtung dynamischer Lungenfunktionsparameter (FEV1, FVC, PEF) allerdings erst ab einer zusätzlichen Gewichtsbelastung (Schultasche) von 20 % des Körpergewichtes auf (2, 3). Andererseits zeigen Laufbanduntersuchungen von Heeresalpinisten mit und ohne 20 % Rucksackgewicht, dass Atemzugvolumen (VT) als auch Atemminutenvolumen (AMV) bis zur Abbruchleistung nur unwesentlich abnehmen (SCHWABERGER et al., unveröffentlichte Daten). Mechanisch gesehen stellt der Schultergürtel einen limitierenden Faktor für hohe Rucksackbelastungen dar (4), wobei der Sauerstoffverbrauch bei einem Rucksack mit Traggestell um etwa 4–5 % unter jener eines überwiegend schulterlastigen traditionellen Rucksackes liegt (5, 6). Die respiratorischen Impedanzverhältnisse in Relation zur Ventilation unter Rucksackbelastung wurden allerdings in keiner der angeführten Studien untersucht. Diesbezüglich ermöglicht die Impuls-Oszillometrie (IOS) eine schnelle und zuverlässige Analyse pulmonaler Ventilationsstörungen einschließlich ihrer atemmechanischen Verteilung (7, 8). Letztere ergibt sich aus der Möglichkeit der Differenzierung der Modellparameter in periphere und zentrale Atemwegskomponenten (Rp, Rz). Statische thorakale Gewichtsbelastung , Ventilation und HAPE Physiologische Auswirkungen der Höhe auf die respiratorischen Funktionen wurden sowohl in Feldstudien als auch im Experiment bereits weitreichend untersucht. Aufstiege über 2.500 m führen in der Regel zu einer Reihe von Anpassungsmechanismen an die Bedingungen der Hypoxie. Absolute Höhe, rascher Aufstieg (9), erschöpfende physische Belastung, rezente respiratorische Infekte (10), einseitige Schlafposition (11), erhöhte Körpertemperatur (12), anamnestische HAPE (13), große Kälte (14), medikamentöse Sedierung (15), individuelle Disposition (16) sowie inadäquate respiratorische Hypoxieantwort in Form einer verminderten ventilatorischen Kapazität (17, 18) sind zur Zeit die anerkanntesten Risikofaktoren auf dem Wege zu höhenassoziierten Anpassungsstörungen (19). Dabei ist es unklar, ob neben krankheitsbedingten beziehungsweise konstitutionellen Anpassungsstörungen auch ein zu hohes Rucksackgewicht die respiratorische Adaptation in der Höhe erschweren kann.

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Behinderungen der Ventilation können vermutlich in jeder Form zu einer inadäquaten Atemantwort auf hypoxische Umgebungsbedingungen (HVR) Anlass geben. Allein die alveoläre Hypoxie ist ein potenzieller Vasokonstriktor, der über eine Erhöhung des pulmonalen Gefäßwiderstandes auch beim Gesunden den Pulmonalisdruck erhöht (20). Die Ursache für die gesteigerte hypoxische Gefäßreaktion des pulmonalarteriellen Gefäßbettes (HPVR) sowie die verminderte Hypoxieantwort (HVR) HAPE disponierter Personen lässt heute noch etliche Fragen offen (21). Es bestehen jedoch ausreichende Hinweise, dass auch verminderte Lungenvolumina mit konsekutiv entsprechend früher ausgeprägter alveolärer Hypoxie direkt über eine das physiologische Maß überschreitende Erhöhung des Pulmonalisdruckes zu einem erhöhten Risiko für HAPE beitragen können. Es dürfte vermutlich von untergeordneter Bedeutung sein, welche Mechanismen dabei letztlich der Ventilationseinschränkung zu Grunde liegen.

METHODIK Zur Anwendung kam eine Impuls-Oszillometrie (Master Screen IOS, Firma Erich Jäger GmbH & Co KG Würzburg, BRD), welche aus der Spontanatmung Rückschlüsse auf die mechanischen Eigenschaften des respiratorischen Systems zulässt, indem sie Reflexionsmuster vorgegebener Druckimpulse analysiert (7, 22). Letztere werden während der Ruheatmung unmittelbar vor dem Mund von einem externen Impulsgenerator generiert.Vom Frequenzspektrum der reflektierten Druckwellen können die respiratorische Impedanz (Z5) sowie die Größen Resistance (R5) und Reactance (X5) errechnet werden. Alle Impedanz- sowie Atemflussmessungen bei den freiwilligen 39 Probanden (20 M., 19 F., 30 ± 14 J.) (Tab. 1) erfolgten im Stehen unter 30 Sekunden dauernder Ruheatmung und vorgegebener Impulsdauer von 0,2 Sekunden. Pro Untersuchung erfolgten

Probanden Alter, Jahre Größe, cm Körpergewicht, kg BMI

Total

Männer

Frauen

40 30 ± 14 168 ± 13 65 ± 18 22 ± 4

21 35 ± 11 177 ± 8 78 ± 12 25 ± 3

19 25 ± 15 160 ± 13 51 ± 12 20 ± 2

Tab. 1: Anthropometrische und physische Daten der Probanden (mean ± SD)

188


Abb. 1: Impedanzmessung (IOS) bei einem Rucksackgewicht von 30 % des Körpergewichtes etwa 130 spektrale und strukturelle Analysen. Um störende Einflüsse der Shuntimpedance der Wangen möglichst einzuschränken, wurde der Proband aufgefordert, seine Wangen mit den Händen zu fixieren (Abb. 1). Als standardisiertes Zusatzgewicht wurde ein herkömmlicher Alpinrucksack der Marke Karmag mit Wasserkanistern entsprechend 10,20 und 30 % des individuellen Probandengewichtes bestückt. Die Tragegurte des Rucksackes wurden dabei weitgehend um die Schultern enggestellt. Zwischen den insgesamt 4 Messungen (Rucksackbelastung 0/10/20/30 %) lagen jeweils Erholungsphasen von 15 Minuten Dauer. Qualitätskontrolle und Statistik Die statistischen und graphischen Auswertungen erfolgten auf einem Macintosh-Computer mit dem Statistikpaket Stat View 4.5®‚ (Abacus,Berkely, CA).

ERGEBNISSE Die Steigerung des Rucksackgewichtes führte zu einer kontinuierlichen Abnahme des MVV, welche durch die trendmäßig ansteigende VT nicht

189


180

160

* *** ***

140

120

100

80

60

40

20

0 MVV + 0%

MVV +10%

MVV +20%

MVV +30%

* p < 0.01, *** p < 0.0001 (n = 38)

Abb. 2: Atemgrenzwert (MVV) in Abhängigkeit des Rucksackgewichtes (+0/10/20/30 % des Körpergewichtes). kompensiert werden konnte. Die Abnahme betrug auf der letzten Belastungsstufe (+30 % KGw) 21 Liter gegenüber einem mittleren Ausgangswert von 138 L/min ohne Rucksackbelastung (–15 %, p < 0.0001) (Abb. 2,Tab. 2). Die Resistance (R5) stieg bei 30 % zusätzlicher Gewichtsbelastung um durchschnittlich 0.05 kPa/L/s (+16 %; p < 0.0001).Während die Resonanzfrequenz (Fres) ebenfalls einem kontinuierlichen Anstieg von 11.2 auf 16.2 Hz folgte (+45 %, p < 0.0001) (Tab. 2), nahm die Reactance (X5) als komplexes Maß der Leitfähigkeit um -0.06 kPa/L/s gegenüber dem Ergebnis ohne Zusatzgewicht ab (–70 %; p < 0.0001). Die Korrelation zwischen MVV und X5 entsprach darüber hinaus einer polynomen Funktion (r2 = 0.496, p < 0.0001), wobei sich das Spektrum im Negativbereich darstellte (Abb. 3). Signifikante Korrelationen ergaben sich auch gewichtsabhängig zwischen dem Abfall des MVV und den Änderungen der Impedanzparameter R5 (r2 = 0.44, p < 0.0001), Z5 (r2 = 0.37, p < 0.0001) und Fres (r2 = 0.21, p < 0.0001). Von den errechneten Modellparametern zeigte die periphere Resistance (Rp) bereits ab dem Zusatzgewicht von 10 % KGw einen hoch signifikanten Anstieg um 9 kPa/Ls-1 (+41 %, p < 0.0001) und war bei der 3. Belastungsstufe um 100 % größer als ohne Rucksackbelastung (Tab. 2). Die zentrale Resistance (Rz) zeigte hingegen keine wesentlichen Veränderungen.

190


191

138 ± 36 (68 – 199) 740 ± 300 (370 – 1760) 0.33 ± 0.13 (0.16 – 0.7) 0.31 ± 0.13 (0.15 – 0.68) 0.25 ± 0.10 (0.12 – 0.55) - 0.10 ± 0.04 (- 0.25 – - 0.04) 11.2 ± 3.3 (7.3 – 20.7) 0.17 ± 0.10 (0.05 – 0.65) 0.22 ± 0.14 (0.05 – 0.65)

Atemgrenzwert (MVV), L.min –1

Atemzugvolumen (VT), L

Impedance bei 5 Hz (Z5), kPa.Ls –1

Resistance bei 5 Hz (R5), kPa.Ls –1

Resistance bei 20 Hz (R20), kPa.Ls –1

Reactance bei 5 Hz (X5), kPa.Ls –1

Resonanzfrequenz (Fres), s –1

Zentrale Resistance (Rz), kPa.Ls –1

Periphere Resistance (Rp), kPa.Ls –1

0.31 ± 0.17 *** (0.1 – 0.7)

0.17 ± 0.09 (0.1 – 0.7)

13.9 ± 4.4 *** (8.4 – 29.2)

- 0.13 ± 0.08 * (- 0.26 – - 0.27)

0.25 ± 0.11 (0.13 – 0.62)

0.34 ± 0.14 *** (0.19 – 0.76)

0.37 ± 0.15 *** (0.21 – 0.80)

752 ± 335 * (400 – 2140)

130 ± 40 * (73 – 221)

+ 10 % KGw¥

0.42 ± 0.28 *** (0.05 – 1.05)

0.19 ± 0.09 (0.05 – 1.05)

15.4 ± 5.11 *** (9.0 – 30.7)

- 0.18 ± 0.10 *** (- 0.49 – - 0.05)

0.25 ± 0.09 (0.13 – 0.53)

0.36 ± 0.17 *** (0.17 – 1.07)

0.40 ± 0.19 *** (0.20 – 1.11)

796 ± 246 (380 – 2130)

124 ± 42 *** (10 – 224)

+ 20 % KGw¥

0.44 ± 0.28 *** (0 – 1.0)

0.17 ± 0.11 (0 – 1.0)

16.2 ± 6.0 *** (8.6 – 39.8)

- 0.17 ± 0.14 ** (- 0.5 – 0.26)

0.25 ± 0.13 (0.12 – 0.74)

0.36 ± 0.19 (0.18 –1.02)

0.45 ± 0.29 * (0.21 – 1.65)

782 ± 309 (380 – 1650)

117 ± 38 *** (52 – 210)

+ 30 % KGw¥

0 – 2.0

0 – 2.0

9 – 12

0

0 – 0.3

0 – 0.3

0 – 0.3

• 80 %

• 80 %

Normalwerte

Tab. 2: Mittelwerte (mean ± SD) und Range der Messparameter MVV, VT, Z5, R5, R20, X5 und Fres sowie der Modellparameter Rz und Rp ohne und bei zusätzlicher statischer Gewichtsbelastung (+10 %/20 %/30 % des Körpergewichtes); *** p < 0.0001, ** p < 0.001, * p < 0.05; ¥ Zusatzgewicht in Prozent des Körpergewichtes

0 % KGw¥

Parameter


SCHLUSSFOLGERUNG Das Impedanzspektrum der IOS-Messungen weist deutlich auf eine vom Faktor Zusatzgewicht abhängige Obstruktion peripherer Atemwege hin, indem einerseits die R5 deutlich außerhalb des Normbereiches liegt (Abb. 4), andererseits der niederfrequente Resistanceanteil auch deutlich größer ist als die höherfrequente für zentrale Obstruktionen sprechende R20 (Tab. 2). Zudem ist das Reactancespektrum typischerweise im niederfrequenten Bereich negativiert (Abb. 3), was einem größeren Anteil an kapazitiver Energiespeicherung entspricht. Somit führt eine hohe zusätzliche Gewichtsbelastung durch einen überwiegend schulterlastigen Rucksack vor allem jenseits zentraler Atemwege durch die Zunahme resistiver Komponenten des Respirationstraktes zu einer Abnahme der maximalen Ventilationsfähigkeit. 0 -,05 -,1 -,15 -,2

X5, kPa/L/s

-,25 -,3 +10% -,35

+20% +30%

-,4

Baseline (0%) -,45 -,5 -,55 0

25

50

75

100

125

150

175

200

225

250

MVV, L/min

Abb. 3: Korrelation zwischen Atemgrenzwert (MVV) und Reactance (X5) in Abhängigkeit zusätzlicher statischer Belastung (Rucksackgewicht als 10/20/30 % des Körpergewichtes) Möglicher Zusammenhang mit HAPE Auf Grund der inversen Korrelation zwischen Rucksackgewicht und Ventilation ist es in Höhen, wo eine ausreichende respiratorische Adaptation

192


1,2

1

+10% +20% +30%

R5, kPa/L/s

,8

Baseline (0%)

,6

,4

,2

0 0

25

50

75

100

125

150

175

200

225

250

MVV, L/min

Abb. 4: Korrelation zwischen Atemgrenzwert (MVV) und Reactance (R5 / Sollwert < 0,3 kPa/L/s) in Abhängigkeit zusätzlicher statischer Belastung (Rucksackgewicht als 10/20/30 % des Körpergewichtes)

notwendig ist oder diese bereits an ihre Grenzen stößt, durchaus denkbar, dass ein hohes Rucksackgewicht die Anpassungsfähigkeit der Atmung bereits zu einem frühen Zeitpunkt beeinträchtigen kann und damit auch leistungsmindernd wirksam wird. Eine durch zusätzliche Gewichtsbelastung hervorgerufene Einschränkung der maximalen Ventilationsfähigkeit sowie ein dadurch bedingter zusätzlicher Anstieg des pulmonalarteriellen Druckes können vermutlich auf diesem Wege zumindest als Co-Faktoren bei der Entwicklung höhenassoziierter Atemstörungen (HAPE) wirksam werden.

DANKSAGUNG An dieser Stelle sei allen Teilnehmern der Studie sehr herzlich gedankt. Insbesondere danken wir der Firma Jäger GmbH Würzburg für die Bereitstellung der IOS und die beratende Unterstützung durch Dipl.-Ing. HansJürgen Smith.

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194


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195


196


Peter Bärtsch, Erik R. Swenson, Marco Maggiorini

Update: Höhenlungenödem High Altitude Pulmonary Edema S U M M A RY Recent high altitude studies with pulmonary artery (PA) catheterization and broncho-alveolar lavage (BAL) in early high altitude pulmonary edema (HAPE) have increased our understanding of the pathogenetic sequence in HAPE. High preceding PA and pulmonary capillary pressures lead to a non-inflammatory leak of the alveolar-capillary barrier with egress of red cells, plasma proteins and fluid into the alveolar space. The mechanisms accounting for an increased capillary pressure remain speculative. The concept that hypoxic pulmonary vasoconstriction (HPV) is uneven so that regions with less vasoconstriction are over-perfused and become edematous remains compelling but unproved. Also uncertain is the role and extent of pulmonary venoconstriction. With disruption of the normal alveolar-capillary barrier, some individuals may later develop a secondary inflammatory reaction. A high incidence of preceding or concurrent respiratory infection in children with HAPE has been used to support a causative role of inflammation in HAPE. However, alternatively even mild HPV may simply lower the threshold at which inflammationmediated increases in alveolar capillary permeability cause significant fluid flux into the lung. Other major questions to be addressed in future research are: 1. What is the mechanism of exaggerated hypoxic pulmonary vasoconstriction? Is there a link to primary pulmonary hypertension? Several observations suggest that susceptibility to HAPE is associated with endothelial dysfunction in pulmonary vessels. This has not yet been studied adequately. 2. What is the nature of the leak? Is there structural damage, i. e. stress failure, or does stretch cause opening of pores? 3. What is the pathophysiologic significance of a decreased sodium and water clearance across alveolar epithelial cells in hypoxia? 4. What is the role of exercise? Do HAPE-susceptible individuals develop pulmonary edema when exposed to hypoxia without exercise? Answers to these questions will increase our understanding of the pathophysiology of HAPE Anm. d. Herausgeber: Die vorliegende Arbeit wurde aus dem Englischen übersetzt.

197


and also better focus research on the genetic basis of susceptibility to HAPE. Keywords: HAPE, goals for research, pathophysiology, inflammation, hydrostatic edema, capillary pressure.

Z U S A M M E N FA S S U N G Neue Höhenstudien, die Messungen mittels pulmonal-arteriellem Katheter (PA) durchführten und die broncho-alveoläre Lavage (BAL) in der Frühphase des Höhenlungenödems (HAPE) einsetzten, konnten zum Verständnis der pathophysiologischen Abläufe des HAPE beitragen. Hohe initiale PA und pulmonal-kapilläre Drücke führen zu einem nichtinflammatorischen Leck der alveolar-kapillären Barriere mit Austritt von Erythrozyten, Plasmaproteinen und Flüssigkeit in den Alveolarraum. Die Ursachen für den erhöhten kapillären Druck bleiben unklar. Das Konzept der nichtuniformen hypoxisch pulmonalen Vasokonstriktion (HPV) mit der Vorstellung, dass es in weniger konstrigierten Arealen zur Überperfusion und Ödembildung kommt, ist nicht bewiesen. Ebenfalls unklar ist die Bedeutung der pulmonalen Venokonstriktion. Bedingt durch die Desintegration der alveolar-kapillären Membran dürfte es bei manchen Individuen sekundär zur inflammtorischen Reaktion kommen. Kinder mit HAPE zeigen diesbezüglich eine hohe Inzidenz vorausgegangener Atemwegsinfekte. Allerdings könnte auch eine milde HPV die Schwelle vermindern, bei der entzündungsvermittelte Permeabilitätsstörungen der alveolar-kapillären Membran signifikante Flüssigkeitsverschiebungen in die Lunge induzieren. Folgende offene Fragen gilt es zukünftig zu klären: 1. Welches ist der Mechanismus für die exzessive HPV? Gibt es Zusammenhänge mit der primär pulmonalen Hypertonie? Mehrere Beobachtungen vermuten, dass die Empfindlichkeit für ein HAPE mit einer endothelialen Dysfunktion der Lungengefäße einhergeht. 2. Wie sieht das Leck im Detail aus? Handelt es sich um strukturelle Störungen im Sinne des „Stress-Failure“ oder kommt es zur Öffnung der Poren durch Überdehnung? 3. Welches ist die pathophysiologische Bedeutung der verminderten transepithelialen Natrium- und Wasser-Clearance in Hypoxie? 4. Welche Rolle spielt körperliche Belastung? Entwickeln HAPE-empfindliche Personen ein Lungenödem in Hypoxie auch ohne körperliche Anstrengung? Antworten zu diesen Fragen würden unser Verständnis der Pathophysiologie des HAPE verbessern und auch die Forschung mehr in Richtung der genetischen Disposition HAPE-empfindlicher Personen fokussieren.

198


Schlüsselwörter:HAPE,Forschungsziele,Pathophysiologie,Infammation, hydrostatisches Ödem, Kapillardruck.

I. EINLEITUNG Diese Arbeit berichtet über Fortschritte, die in den letzten zwei Jahren im Hinblick auf das Verständnis der Pathophysiologie des Höhenlungenödems (engl. HAPE, high-altitude pulmonary edema) gemacht wurden. Abbildung 1 skizziert ein pathophysiologisches Modell des Höhenlungenödems und zeigt drei bedeutende Fragen auf, die in den letzten Jahren angegangen wurden. 1. Welche Rolle spielen Entzündungsprozesse ? In der bronchoalveolären Lavage-(BAL-)Flüssigkeit fanden sich bei Bergsteigern mit HAPE am Mount McKinley (46) und bei hospitalisierten Patienten mit HAPE (31, 32) in vielen, wenn auch nicht allen Fällen hohe Konzentrationen an Proteinen, Zytokinen, Leukotrien B4 und eine erhöhte Granulozytenzahl. Außerdem war bei Patienten mit HAPE, die

Pathogenesis of HAPE (1999) increased HPVR

exercise sleep

low HVR

high pulmonary artery pressure ? high capillary pressure inflammation

?

HAPE

?

reduced alveolar fluid clearance

Abb. 1: Schema der Pathophysiologie des Höhenlungenödems. Durch die Fragezeichen sind drei wichtige Fragen angezeigt, die in der neueren Forschung angesprochen wurden.

199


Kliniken in den Rocky Mountains aufgesucht hatten, die Ausscheidung von Leukotrien E4 im Urin erhöht (29). Es konnte nachgewiesen werden, dass die HAPE-Anfälligkeit in Japan mit HLA-DR6 (23) und bei Kindern in den Rocky Mountains (12) mit vorausgegangenen oder bestehenden Infektionen der oberen Luftwege assoziiert ist.Andererseits konnten in keiner der in den Alpen durchgeführten prospektiven Studien Hinweise auf Entzündungsreaktionen vor oder im Frühstadium von HAPE gezeigt werden: In-vivo-Thrombin- und Fibrinbildungen (5), Extravasation von jodmarkiertem Albumin und Plasmaspiegel verschiedener Zytokine (ausgenommen IL-6 im HAPE-Frühstadium) (30),renale LTE4-Ausscheidung (4) und exhaliertes Stickstoffmonoxid (NO) (10) waren nicht erhöht. Diese augenscheinliche Diskrepanz lässt sich durch die Annahme erklären,dass die entzündlichen Reaktionen bei HAPE sekundär zur Entwicklung des Lungenödems auftreten, wurden doch die meisten Studien, die von Entzündungsreaktionen berichten, an Patienten durchgeführt, die bereits einen oder mehrere Tage ein Lungenödem hatten.

Abb. 2: Mittlerer pulmonal-arterieller Druck (Ppa) und pulmonaler Kapillardruck (Pc) bei 14 Kontrollpersonen und 16 höhenlungenödemanfälligen (HAPE-s-)Probanden in großer Höhe. Jene HAPE-s-Probanden, die HAPE entwickelten, hatten alle einen pulmonalen Kapillardruck > 19 mm Hg im Gegensatz zu HAPE-s ohne Lungenödem (non-HAPE) und Kontrollpersonen, deren pulmonaler Kapillardruck < 19 mm Hg betrug. Balken zeigen die Durchschnittswerte in jeder Gruppe. * p < 0,05 ** p < 0,01 vs. Kontrollpersonen, † p < 0,01 vs. non-HAPE.

200


2. Welche Mechanismen sind verantwortlich für einen erhöhten Kapillardruck? Es gilt als nachgewiesen, dass ein übermäßiger Anstieg des pulmonal-arteriellen Drucks für die Entwicklung von HAPE ausschlaggebend ist, da dieser Druckanstieg dem HAPE vorausgeht (7), und Medikamente, die den pulmonal-arteriellen Druck senken, den Gasaustausch bei HAPE verbessern (19, 45) und sowohl in der Behandlung (36) als auch in der Prophylaxe (7) von HAPE wirksam sind. Weiters lässt sich bei HAPE-anfälligen Personen eine übermäßige Erhöhung des pulmonal-arteriellen Drucks unter Hypoxie (27) und bei körperlicher Belastung (13, 18) nachweisen. Beim letzten Symposium haben M. Maggiorini und R. Naeje gezeigt, dass der abnorme Anstieg des pulmonal-arteriellen Drucks bei Personen, die HAPE entwickeln, begleitet wird von einem erhöhten Kapillardruck über 20 mm Hg (34) (Abb. 2). Dieser Schwellenwert deckt sich mit früheren Ergebnissen, die an Hunden erhoben wurden: Es besteht ein PO2-unabhängiger kritischer Kapillardruck von 17 bis 24 mm Hg, über welchem die Lunge fortwährend an Gewicht zunimmt (9, 26). Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass ein pulmonaler Hochdruck in den Kapillaren eine wichtige Rolle bei der Pathophysiologie von HAPE spielt.In diesem Update stellen wir ergänzende Daten vor, die über den Mechanismus, der für eine Erhöhung des Kapillardrucks verantwortlich ist,Aufschluss geben können. 3. Welche Rolle spielt die alveoläre Flüssigkeits-Clearance? Dieses Thema wird in unserem Update nicht behandelt.

II. ROLLE VON ENTZÜNDUNGSPROZESSEN Wir haben in Zürich (490 m) und in der Capanna Regina Margherita (4.559 m) bronchoalveoläre Lavagen bei 8 Bergsteigern durchgeführt, die kein HAPE entwickelten, bei 6 Bergsteigern, die HAPE 12–24 Stunden nach der BAL entwickelten, und bei 3 Bergsteigern mit radiographisch dokumentiertem HAPE zur Zeit der BAL. Die wichtigsten Ergebnisse, die bisher nur in einem Abstract (48) publiziert wurden, sind in Tabelle 1 dargestellt. Unsere Daten zeigen, dass HAPE im Frühstadium ein hydrostatisches Lungenödem ist und nicht durch Permeabilitätsveränderungen als Folge einer Entzündung hervorgerufen wird. Da nur ca. 1 % der Proteinkonzentrationen in der BAL-Flüssigkeit durch „Blutung“ erklärt werden kann, postulieren wir, dass die Extravasation einer proteinreichen Ödemflüssigkeit durch Erweiterung von Poren oder Fenstern erfolgt und dass

201


Bronchoalveoläre Lavage

550 m

Zellzahl (x 104/ml)

KONT

HAPE-S

KONT

n=8

n=9

n=8

8,1

Makrophagen (%)

4.559 m

6,3

HAPE-s (gesund) n=6

9,5

8,1

HAPE-s (krank) n=3 9,8

94

95

83

82

85

Neutrophile (%)

1

0

0

0

1

Erythrozyten (% BAL-Zellen)

1

4

6

51*

74*

Gesamtprotein (mg/dl)

1

2

14

13

163*

IL-8 (pg/ml)

0,10

0,05

PAP systolisch (mm Hg)

22

26

0,18 37*

0,19 61*

0,16 81*

* p<0,05 vs. 550 m

Tab. 1: Bronchoalveoläre Lavage (BAL) in 550 m und am zweiten Tag in 4.559 m bei 8 Kontrollpersonen (KONT) und bei 9 HAPE-anfälligen Probanden (HAPE-s), von denen 3 zur Zeit der BAL ein Lungenödem hatten. Von den 6 HAPE-s ohne Lungenödem zum Zeitpunkt der BAL entwickelten 4 innerhalb von 18 Stunden nach der BAL ein HAPE.

Pressure and inflammation in pulmonary edema

inflammation increase of intravascular pressure HAPE

Endotoxin or viral priming

ARDS

Abb. 3: Rolle des Kapillardrucks und der Entzündungsreaktion bei HAPE und ARDS. Weitere Erklärungen entnehmen Sie bitte dem Text.

202


ein „Stress-Failure“ mit strukturellen Schäden wie Ruptur der Basalmembran (50) im Frühstadium des HAPE selten ist. Wie sind unsere Daten nun vereinbar mit jenen Daten, bei denen Entzündungen bei HAPE gefunden wurden, wie z. B. in den Rocky Mountains, am Mount McKinley und in Japan? Wir nehmen an, dass in diesen Fällen die Entzündung eine Folge von HAPE war,obwohl wir keine direkten Beweise für eine solche Entwicklung in unseren Probanden liefern können. Jedoch sind erhöhte Thrombin- und Fibrinbildungen in fortgeschrittenen Fällen von HAPE in großer Höhenlage (5) und nach Hospitalisierung in Tallage (6) vereinbar mit einer sekundären Entzündungsreaktion.Wir spekulieren im folgenden Konzept über die Rolle des Kapillardrucks und von Entzündungsprozessen bei HAPE (Abb. 3): Bei anfälligen Bergsteigern mit abnormem pulmonal-arteriellen Druckanstieg unter Hypoxie liegt dem HAPE im Frühstadium ein hydrostatisches Leck zugrunde, das zu einer erhöhten Permeabilität für Proteine mit hohem Molekulargewicht führt. Die pathophysiologischen Vorgänge, die zu HAPE führen, unterscheiden sich demnach grundlegend von der Pathophysiologie des akuten Lungenversagens (ARDS), bei dem es zur erhöhten Gefäßdurchlässigkeit aufgrund einer Entzündungsreaktion durch Zytokine bei normalem pulmonal-arteriellem Druck kommt. Es ist aber denkbar, dass sich HAPE auch bei einem normalen Anstieg des intrakapillaren Drucks in Höhenlagen entwickeln kann, wenn permeabilitätsverändernde Faktoren vorhanden sind, wie es zum Beispiel während oder kurz nach einer Infektion der oberen Luftwege oder in Tiermodellen bei hypoxischem Lungenödem durch Endotoxin -„Priming“ der Fall ist.Somit kann sporadisches HAPE auch bei nicht anfälligen Personen auftreten, die bei einem Aufenthalt in großer Höhenlage vorübergehend eine erhöhte Durchlässigkeit der Lungenkapillaren aufweisen.

III. KAPILLARDRUCK 1. Mechanismen der Flüssigkeitsfiltration Es gibt zwei Erklärungen für das Auftreten einer pulmonalkapillären Hypertonie bei höhenlungenödemanfälligen Personen. Die erste ist eine inhomogene hypoxische Vasokonstriktion, die in den Bereichen mit der geringsten arteriellen Vasokonstriktion eine regional übermäßige Durchströmung (Überperfusion) der Kapillaren verursacht und dort zu einem Lungenödem reich an Proteinen und roten Blutkörperchen führt (28). Die zweite ist eine gleichmäßige Vasokonstriktion in den kleinsten Arteriolen oder Venolen (oder in beiden), die zum Flüssigkeitsaustritt aus den

203


Arteriolen oder im Kapillargebiet führt (19, 52). In der isoliert perfundierten Schweinelunge verursacht Hypoxie eine quasi parallele Aufwärtsverschiebung der Beziehung zwischen pulmonal-arteriellem Druck (Ppa)/pulmonalem Blutfluss (Qp) sowie auch der Beziehung zwischen Qp und Filtrationsrate, was vermuten lässt, dass Hypoxie jeder Zunahme von Qp eine fixe Filtrationsmenge zufügt (35). Diese Ergebnisse könnten durch einen Anstieg des Gefäßwiderstands distal von der Region erklärt werden, in welcher die Flüssigkeitsfiltration stattfindet, am wahrscheinlichsten in kleinen durchlässigen Arteriolen und Venolen. Mit Hilfe arterieller und venöser Okklusionstechniken konnte gezeigt werden, dass Hypoxie bei Schweinelungen zu einem beträchtlichen Anstieg des pulmonalen Gefäßdruckgradienten über dem „mittleren” Segment führt (Abb. 4) (41). Basierend auf Vergleichen mit direkten Druckmessungen in 0,9-mm-Lungenarterien und Venen und der Mikropunktion von subpleuralen Arterien und Venen (ø 30–50 µm) im selben Präparat wurde gezeigt, dass das „mittlere“ Segment des pulmonalen Gefäßbetts Arterien und Venen mit einem Durchmesser < 900 µm aber > 50 µm beinhaltet (Abb. 4) (21). Da es Hinweise gibt, dass die kleinen Arteriolen die Stelle

Pressure gradients (mmHg)

25 20 15 10

arteries ~ 900 µm capillaries

"middle" segment

5 0

small arteries ~ 100 µm

arterial

veins ~ 900 µm

venous normoxia

hypoxia

Abb. 4: Segmentierte Verteilung des Druckgradienten bei Hunden unter Normoxie und Hypoxie, gemessen mit arteriellen, venösen oder beiden (doppelte) Okklusionstechniken. Hypoxie erhöht vorwiegend den pulmonal-arteriellen Druck über dem „mittleren“ Segment, welches Arterien und Venen mit einem Durchmesser < 900 µm aber > als 50 µm einschließt. Die vorliegende Abbildung fasst die von Hakim et al. veröffentlichten Ergebnisse zusammen (20, 21).

204


des transvaskulären Austritts bei deutlich erhöhtem Ppa unter Hypoxie sind (52) und dass pulmonale Venen sich als Reaktion auf Hypoxie zusammenziehen (38, 55) und den Widerstand in der Region distal von der Flüssigkeitsfiltration erhöhen, bedarf es vielleicht keiner inhomogenen Vasokonstriktion, um die alveoläre Ausschwemmung in Patienten mit HAPE zu erklären. Trotzdem sollten wir ein Element der regionalen Heterogenität von HPV beibehalten (entweder an arteriellen oder an venösen Stellen oder beiden), um die auf Röntgenbildern oder CT -Scans beobachtete Inhomogenität des Ödems erklären zu können. Wenn man von einer inhomogenen Vasokonstriktion ausgeht, so muss postuliert werden, dass die Spitze des Lungenkatheters bei unserer letzten Studie (Abb. 2) immer in Arterien eingeführt wurde, die ödematöse Lungenbereiche perfundierten, d. h. Bereiche mit geringem Widerstand und hohem Durchfluss. Es ist aber wahrscheinlicher, dass wir den konstanten Befund eines erhöhten Kapillardrucks bei Probanden mit HAPE deshalb erhielten, weil die arterielle Okklusionsmethode den Druck in Gefäßen mit fast 100 µm Durchmesser (21) misst und weil der erhöhte pulmonal-kapilläre (Pc-)Druck die Folge einer übermäßigen hypoxischen Konstriktion pulmonaler Venen ist. 2. Hämodynamische Antwort auf inhaliertes Stickstoffmonoxid und Prostacyclin. Studien mit nichtinvasiven Messungen des pulmonal-arteriellen Drucks konnten nachweisen, dass das Einatmen von Stickstoffmonoxid (NO) in 4.559 m Höhe den systolischen pulmonal-arteriellen Druck bei HAPEanfälligen Probanden auf Werte senkt, die bei nichtanfälligen Probanden gemessen werden (45). Diese Beobachtung hat zur Vermutung geführt, dass höhenlungenödemanfällige Probanden möglicherweise eine herabgesetzte endogene NO-Synthese haben. Diese Vermutung wurde nun durch die Assoziation zwischen gesteigerter hypoxischer pulmonaler Vasokonstriktion und herabgesetzter NO-Synthese (8, 10) gestärkt. Die Wirkung der NO-Inhalation auf erhöhten pulmonal-arteriellen Druck in der Höhe wurde jedoch nie prospektiv untersucht oder mit der Wirkung anderer Vasodilatoren verglichen.Wir haben in unserer prospektiven Studie die Wirkung von inhaliertem NO und inhaliertem Iloprost, einem synthetischen Prostaglandin, auf pulmonale Hypertonie in 4.559 m Höhe bei 14 Kontrollpersonen und 15 HAPE-anfälligen Bergsteigern nach einem schnellen Aufstieg untersucht. Bei drei der 15 HAPE-anfälligen Probanden wurde auf dem Thoraxröntgenbild zur Zeit der Katheterisierung des rechten Herzens ein HAPE im Frühstadium diagnostiziert, und 5 Pro205


Auswirkungen des inhalierten Stickstoffoxids und Iloprost auf die pulmonale Hämodynamik in 4.559 m Höhe

Ausgangswert

iNO (40ppm)

iPG (20µg)

3,7 ± 0,2 3,7 ± 0,1

4,1 ± 0,2** 4,2 ± 0,2**

3,9 ± 0,2 4,0 ± 0,2*

Herzindex (l.min-1.m-2)

Kontrolle HAPE-s

Durchschnittlicher Ppa (mm Hg)

Kontrolle HAPE-s

26 37

± 1 ± 2††

18 ± 1** 17 ± 1** 23 ± 1**†† 23 ± 1**††

Pc (mm Hg)

Kontrolle HAPE-s

13 19

± 1 ± 1††

11 ± 1** 14 ± 1**†

PVRI (dyn.sec.cm-5)

Kontrolle HAPE-s

359 614

11 ± 1** 12 ± 1**§

± 25 161 ± 14** 153 ± 11** ± 42†† 264 ± 24**†† 283 ± 48**†

Tab. 2: Auswirkung des inhalierten Stickstoffoxids (iNO) und Iloprost (iPG) auf die pulmonale Hämodynamik bei 14 Kontrollpersonen und 15 höhenlungenödemanfälligen Probanden (HAPE-s). Ppa, pulmonal-arterieller Druck; Pc, pulmonaler Kapillardruck; PVRI, pulmonaler Gefäßwiderstandsindex. Die angegebenen Werte sind Mittelwerte ± SEM. * p < 0,05, ** p < 0,01 vs. Ausgangswert; † < 0,05, †† p < 0,01 vs. Kontrolle, § p < 0,05 iNO. banden entwickelten HAPE in den darauffolgenden 12 bis 24 Stunden. Puls, systemischer arterieller Blutdruck (Psa), Ppa und pulmonal-arterieller Okklusionsdruck (Ppao) wurden ständig registriert, am Ende der Expiration aufgezeichnet und zur Analyse auf einem PC gespeichert.Wir berechneten Pc durch eine mono-exponentielle Anpassung der Verlaufskurve des Druckabfalls, der sich nach rascher Inflation des Ballons des pulmonalen Arterienkatheters einstellte (16). Das Herzminutenvolumen (Q) wurde mittels Thermodilutionstechnik bestimmt. Der Prozentanteil der kapillar-venösen Komponente am gesamten PVR (cv-PVR%) wurde mittels folgender Formel berechnet: {(Pc-Ppao)/Q}/PVR. NO wurde in einer Konzentration von 40 ppm inhaliert. 20 µg (2 ml) Iloprost wurde 8–10 min lang mit Hilfe des Respigard-IITM Apparats (Teilchen mit 2–6 µm ø) inhaliert. Die pulmonale Hämodynamik wurde immer wieder zu Beginn und jeweils 10 Minuten nach Beginn jeder Intervention gemessen. Die Reihenfolge der hämodynamischen Intervention, zuerst NO und dann Iloprost, war durch die längeren Halbwertszeiten von Iloprost (6 Stunden) gegeben. Zu Beginn wurden auch die arteriellen und gemischtvenösen Blutproben zur Messung der Plasmakonzentration von Endothelin-1 (Radioimmuntest) entnommen. Nach dem Aufstieg waren der durchschnittliche (± SEM) Ppa (26 ± 1 vs. 37 ± 2; p < 0,001) und Pc (13 + 1 vs. 19 ± 1; p < 0,001) bei HAPE-anfälli-

206


*

* 30

†ƒ †ƒ †

20

VRI%, HAPE H

HAPE susceptible subjects

*

*

VRI%, HAPEcontrol

cv-PVRI in %

40

VRI%, HAPE+ non-HAPE

High altitude 50

10

Baseline

iNO

iPG

Abb. 5: Auswirkungen des inhalierten Stickstoffoxids (NO) und Iloprost (iPG) auf die kapillar-venöse Komponente des gesamten pulmonalen Gefäßwiderstands (cv-PVRI%) in Prozent bei 14 Kontrollpersonen und 15 höhenlungenödemanfälligen (HAPE-s-)Probanden in großer Höhe. Iloprost, nicht aber NO verminderte cv-PVRI% bei beiden HAPE-s-Probanden mit (HAPE) und ohne Höhenlungenödem (non-HAPE). Die angegebenen Werte sind Mittelwerte ± SEM; * p mindestens < 0,05 vs. Kontrollpersonen; † vs. Ausgangswert; ƒ vs. iNO. gen Personen höher als bei den Kontrollpersonen. Der cv-PVR% betrug bei HAPE-anfälligen Probanden 33 % und bei den Kontrollpersonen 25 % (p < 0,01). Das Herzminutenvolumen unterschied sich zwischen den Probandengruppen nicht. Die Wirkung von inhaliertem NO und Iloprost auf die pulmonale Hämodynamik ist in Tabelle 2 dargestellt. Inhaliertes NO und Iloprost verringerten den systemischen Gefäßwiderstand im Durchschnitt um 10 % (p = 0,08). Bei HAPE-anfälligen Probanden verringerte das inhalierte Iloprost, nicht aber das NO den Pc und den cvPVR%. Im Gegensatz dazu verringerten bei HAPE-resistenten Probanden beide Vasodilatoren Pc und cv-PVR % (Abb. 5). Bei den Endothelin-1-Plasmawerten zeigte sich kein Unterschied zwischen Kontrollper-

207


sonen und HAPE-anfälligen Personen.HAPE-resistente Probanden zeigten tendenziell eine höhere Endothelin-1-arterio-venöse (gemischt-venöse) Differenz (0,58 ± 0,12 vs. 0,24 ± 0,10 pg/ml; p = 0,04) als HAPE-anfällige Probanden. Zusammenfassend zeigt die vorliegende Studie, dass bei HAPE-anfälligen Personen weder inhaliertes NO noch Iloprost den durchschnittlichen Ppa auf in Bezug zur Höhe normale Werte senkt und dass Iloprost, nicht aber NO den cv-PVR % auf einen normalen Level reduziert. Eine weniger markante Endothelin-1-arterio-venöse Differenz bei HAPE-anfälligen Probanden weist auf eine größere Anzahl an Endothelin-1-Rezeptoren bei diesen Probanden hin und somit auf eine erhöhte Aufnahme, welche mit einer größeren Vasokonstriktion verbunden ist. 3. Regulation des pulmonalen Gefäßtonus Geringere ausgeatmete NO-Konzentrationen bei HAPE-anfälligen Probanden, die normobarer Hypoxie oder großer Höhenlage (Abb. 6) ausgesetzt waren, weisen auf eine herabgesetzte NO-Synthese bei dieser

Exhaled Nitric Oxide HAPE-R [pmol/sec]

70

HAPE

HAPE at 4559m

[pmol/sec]

70

60

HAPE-S at 100m (FiO2 = 0.12)

60

n=24 50

50

40

40

n=10 n=13

n=10

30

30

20 12

24

36

40

[h]

Duplain et al, AJRCCM 162: 221 – 224, 2000

20

Normoxia

Hypoxia 2h

Hypoxia 4h

Busch et al, AJRCCM in press

Abb. 6: Ausgeatmetes NO während eines 40-stündigen Aufenthalts in 4.559 m Höhe bei Personen, die HAPE entwickelten, und Kontrollpersonen (linkes Feld) sowie bei Personen mit und ohne HAPE-Anfälligkeit während einer 4-stündigen normobaren Hypoxieexposition (FIO2 = 0,12) in Tallage. 208


Gruppe hin. Es gibt aber Hinweise, dass ausgeatmetes NO kein verlässlicher Marker für die vaskuläre endotheliale Funktion bei gesunden Probanden ist. Wir konnten aber zeigen, dass inhaliertes NO den Ppa bei HAPE-anfälligen Probanden sehr wohl normalisierte, jedoch nicht bei HAPE-resistenten Probanden. Im Gegensatz zu früheren Studien mit nichtinvasiven Messungen des systolischen pulmonalen Blutdrucks zeigen unsere Ergebnisse, dass eine herabgesetzte NO-Synthese nicht alleine für eine exzessive pulmonal-vaskuläre Reaktivität bei HAPE-anfälligen Probanden in großer Höhenlage verantwortlich ist. Es ist wahrscheinlich, dass zusätzliche Faktoren wie sympathetische Aktivität (11) und Konzentration der Arachidonsäure-Metaboliten in der Lunge (46) auch zum erhöhten Ppa bei HAPE-anfälligen Probanden beitragen. An Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass die venöse Seite der pulmonalen Zirkulation unter Hypoxie 20 bis 25 % des gesamten PVR ausmacht (1, 24). In der vorliegenden Studie betrug die kapillar-venöse Komponente des gesamten PVR bei den Kontrollpersonen 25 % und bei HAPE-anfälligen Personen 33 %, was auf einen erhöhten venösen Widerstand bei letzteren hindeutet. Außerdem hat das inhalierte Iloprost, nicht aber NO den cv-PVR% bei HAPE-anfälligen Probanden verringert. Ein erhöhter Gefäßwiderstand in weiter entfernten pulmonalen Venen könnte dieses Ergebnis erklären. Das Unvermögen von NO, cv-PVR % zu senken, könnte an seiner schnellen Inaktivierung aufgrund der hohen Affinität von Hämoglobin für NO (22) liegen. Ein Vergleich von inhaliertem NO mit dem nichtselektiven NO-Donor-Natrium-Nitroprussid (NNP) zeigte ähnliche Ergebnisse. Mittels der vaskulären Okklusionstechnik bei blutperfundierten Rattenlungen und ein bis drei Monate alten Lämmern konnte gezeigt werden, dass sowohl NNP als auch das inhalierte NO Arterien und Venen mit geringem Widerstand erweiterten, während NNP nur den Widerstand bei großen pulmonalen Venen verringerte (42, 49). Zusammenfassend sind die hämodynamischen Ergebnisse, die wir bei HAPE-anfälligen Probanden gefunden haben, mit einem erhöhten pulmonalen Gefäßwiderstand auf der arteriellen als auch der venösen Seite vereinbar, wobei der Widerstand des venösen Segments wahrscheinlich durch die hypoxische Konstriktion größerer pulmonaler Venen verursacht wird. Eine erhöhte sympathetische Aktivität (53), Arachidonsäure-Metaboliten (20) und erhöhte Endothelin-1-Plasmawerte (2) dürften ebenfalls dazu beitragen, dass der Widerstand im venösen Segment der pulmonalen Zirkulation gesteigert wird. Es bedarf weiterer Studien, um zu untersuchen, ob die durch Endothelin-1 herbeigeführte Vasokonstriktion bei HAPE-anfälligen Probanden den höheren Plasmawerten (44) oder der erhöhten Aufnahme 209


von Endothelin-1 durch die pulmonale Zirkulation zuzuschreiben ist, wie Endothelin-1-Messungen in unserer Studie vermuten lassen.

I V. Z I E L E D E R F O R S C H U N G I N D E R Z U K U N F T 1. Klinische Merkmale, die durch HAPE-Modelle erklärt werden sollen Ein pathophysiologisches Modell für HAPE muss den folgenden klinischen Beobachtungen Rechnung tragen: • unterschiedliche interindividuelle Anfälligkeit (3) • vermehrtes Auftreten mit zunehmender Höhe und/oder schnellerer Aufstiegsgeschwindigkeit (3) • Auftreten von HAPE vorwiegend innerhalb der ersten 5 Tage eines Aufenthalts in einer bestimmten Höhe (25) • HAPE- Resistenz, wenn innerhalb einiger Tage nach Erholung von einer HAPE-Episode ein erneuter Aufstieg erfolgt (33) • schnelle Rückbildung des Ödems mit restitutio ad integrum (3) 2. Morphologie und Austrittsmechanismus: Pathomechanismus In Kaninchenlungen,die unter großem Druck perfundiert und fixiert wurden, wurden folgende Veränderungen gefunden (50): Rupturen der epithelialen und endothelialen Schichten der Alveolarwand treten bei einem transmuralen Druckgradienten über 30 cm H2O auf und nehmen bei einem weiteren Druckanstieg zu, sodass es auch zu Rupturen der Basalmembran kommt. Man fand solche Veränderungen, für die West den Begriff „capillary stress failure“ einführte, auch in den Lungen von Ratten, die innerhalb von 30 Minuten einer Höhenlage von 8.800 m ausgesetzt wurden (51). Ein solches „Stress-Failure“ könnte alveoläre Blutungen erklären, sollte aber zu einer Aktivierung der Blutplättchen und Blutgerinnung durch Kontakt zwischen Blut und Basalmembran oder durch Aktivierung durch Gewebsfaktor führen. Wie aber bereits vorher unterstrichen, zeigt die Analyse der BAL-Flüssigkeit im Frühstadium von HAPE, dass Blutungen nur ca. 1 % des Proteins in der BAL ausmachen und dass eine Blutplättchenaktivierung in diesem Stadium nicht erkennbar war (5). Somit bleibt es weiterhin fraglich, ob „Stress-Failure“ der Hauptmechanismus für das Leck bei HAPE, insbesondere im Frühstadium und in leichten Fällen, ist. Tierversuche, in denen Höhenexposition und Lungenarteriendruckanstieg vergleichbar sind mit den Verhältnissen, unter denen HAPE bei Menschen auftritt, könnten helfen, Antwort auf diese Frage zu geben.

210


3. Endotheliale Dysfunktion in der pulmonalen Zirkulation Es konnte gezeigt werden, dass ausgeatmetes NO in HAPE-anfälligen Probanden vs. Kontrollpersonen sowohl unter Hypoxie (FIO2 = 0,12) (8) als auch vor und während der Entwicklung von HAPE in großer Höhenlage verringert war (10) (Abb. 6).Weiters waren Nitrate und Nitrite in der BAL-Flüssigkeit (48) in HAPE-anfälligen Probanden vs. Kontrollpersonen bei unserer Studie verringert, was auf eine herabgesetzte NO-Produktion in den Lungen der ersten Gruppe hindeutet. Obwohl ausgeatmetes NO kein genauer Indikator für das in den Endothelialzellen produzierte NO ist (43), sind diese Ergebnisse trotzdem vereinbar mit einer in den Lungen herabgesetzten NO-Synthase-Aktivität, die auch in den pulmonalen Gefäßen vorkommen könnte.Die erhöhten Plasmawerte von Endothelin in HAPE-anfälligen Personen als Reaktion auf verringertes NO, oder umgekehrt, sind vereinbar mit der Hypothese einer pulmonalendothelialen Dysfunktion bei HAPE-anfälligen Personen (44). 4. Mechanismen, die für einen erhöhten pulmonalen Kapillardruck ausschlaggebend sind Die Hypothese einer inhomogenen hypoxischen Vasokonstriktion (28) muss am Menschen mit hochauflösenden bildgebenden Verfahren der pulmonalen Zirkulation (SPECT, CT oder PET) oder in Tiermodellen mit Mikrosphärentechnik untersucht werden.Idealerweise sollten diese Techniken bei den gleichen Personen auch mit einer Darstellung der Lungendichte als Marker für interstitielle und alveoläre Flüssigkeitsakkumulation kombiniert werden. Eine solche Ko-Registrierung könnte es möglich machen, herauszufinden, ob sich Ödeme in den Bereichen des größten Blutflusses (geringste hypoxische Vasokonstriktion) bilden, was das Konzept einer inhomogenen hypoxischen arteriellen Vasokonstriktion und damit eines Überperfusionsödems unterstützen würde, oder ob sie in Bereichen des geringsten Blutflusses (größte Vasokonstriktion) vorkommen, was die Bedeutung der pulmonalen Venokonstriktion unterstützen würde. Da nicht alle Vasodilatoren auf die exakt gleiche Weise funktionieren, wie durch die Unterschiede zwischen inhaliertem NO und Iloprost (vide supra) gezeigt wurde, sollten gründliche Studien mit Vasodilatoren und Hemmern von vasoaktiven Substanzen wie z. B. Endothelin die Lokalisationen und Mechanismen der hypoxischen Vasokonstriktion beim Menschen verdeutlichen helfen. 5. Rolle von körperlicher Belastung Körperliche Belastung führt durch zwei unterschiedliche Mechanismen zu erhöhtem pulmonalem Kapillardruck (13): 211


a) Die Zunahme des pulmonalen Blutflusses kann zur Hyperperfusion führen. b) Ein weiterer Anstieg des überschießenden pulmonal-arteriellen Drucks führt zu einer Linksverlagerung des intraventrikularen Septums und behindert dadurch die Füllung des linken Ventrikels (diastolische Funktionsstörung) (39). Daraus ergibt sich die Frage, ob HAPE bei anfälligen Personen auch ohne körperliche Betätigung (d. h. in einer hypobaren Kammer) auftritt. Diese Frage ist dann von Bedeutung, wenn Familien im Rahmen einer Genanalyse nach anfälligen Mitgliedern untersucht werden sollen. 6. Rolle der alveolären Flüssigkeitsclearance ß2-Agonisten erhöhen den transepithelialen Natrium- und Wassertransport von den Alveolen ins Blut (14). Diese Stoffe verringern aber auch den pulmonal-arteriellen Druck (15, 47), steigern die Atmungstätigkeit unter Hypoxie (54) und verstärken den interzellulären Kontakt (37), alles wahrscheinliche oder nachgewiesene Präventivmaßnahmen bei HAPE.Obwohl nun solche Medikamente einen optimalen Therapieansatz für HAPE dar-

100

C ontrols (n=11) H A P E -S (n=9)

80

*

40

*

PASP (mmHg)

PASP (mmHg)

80

60

* 60

40

*

20

20

0

rest

N R -m em bers (n=27) A R -m em bers (n=14)

100

0

W orkload (75-150 W att) at m ax. PAS P

rest

W orkload (75-150 W att) at m ax. PAS P

Abb. 7: Systolischer pulmonal-arterieller Druck, gemessen mit DopplerEchokardiographie vor und während körperlicher Betätigung bei HAPEanfälligen Personen und Kontrollpersonen (linkes Feld) und bei gesunden Trägern des PPH-1-Gens und bei Familienmitgliedern ohne das PPH-1Gen. Die Daten sind den Literaturangaben 17 und 18 entnommen.

212


stellen könnten, können sie nicht eingesetzt werden, um die Rolle der alveolären Flüssigkeitsclearance in der Entstehung von HAPE eindeutig einzuschätzen. Es sind selektivere Stimulatoren des alveolären Natriumtransports (wie Corticosteroide) oder Inhibitoren in Tierversuchen (wie Amiloride und seine Analoge) notwendig, um diese Frage zu untersuchen. 7. Genetische Basis von HAPE Die Forschung sollte sich auf Genpolymorphismen konzentrieren, die für Unterschiede in der Aktivität von Enzymen verantwortlich sind, welche bei der Pathophysiologie von HAPE eine Rolle spielen dürften, wie z. B. das Angiotensin-Converting-Enzyme (ACE) oder die NO-Synthase beeinflussen.Zusätzlich sollte die Verbindung zwischen HAPE-Anfälligkeit und dem menschlichen Leukozytenantigen HLA-DR6, die bei japanischen Bergsteigern gefunden wurde, auch bei kaukasischen Populationen untersucht werden.Weiter sind Untersuchungen von Familien anfälliger Personen auf Anfälligkeitsmarker wie erhöhte hypoxische pulmonale Vasokonstriktion nötig, um eine Basis für Linkage-Analysen zu schaffen. Interessant könnte noch sein, dass die HAPE-Anfälligkeit und die Anfälligkeit für primäre pulmonale Hypertonie (PPH) Ähnlichkeiten aufweisen. HAPE-anfällige Personen haben eine abnorme Erhöhung des pulmonal-arteriellen Drucks unter Hypoxie und bei körperlicher Belastung (18). Eine ähnlich abnorme Erhöhung des pulmonal-arteriellen Drucks als Reaktion auf Belastung wurde auch in gesunden Trägern des PPH-1Gens gefunden (17) (Abb.7).Diese Arbeitsgruppe verfügt auch über erste Daten, welche einen ähnlich abnormen Anstieg des pulmonal-arteriellen Drucks unter 2-stündiger Hypoxie (FIO2 = 0,12) in klinisch gesunden PPH-Genträgern und in HAPE-anfälligen Personen zeigen. Was also bedeutet eine ähnliche Hyperreaktivität der pulmonalen Zirkulation bei körperlicher Betätigung und Hypoxie bei gesunden PPH-Genträgern und HAPE-anfälligen Personen? Das PPH-Gen induziert einen defekten Rezeptor für ein mitogenes Hormon (BMPR-2) der transformierenden Wachstumsfaktorfamilie (TGF-Familie) und verstärkt dadurch die Proliferation und Verdickung der Gefäßwand. Es könnte auch möglich sein, dass die abnorme pulmonale Vasoreaktivität gesunder PPH-Träger mit dem PPH-Gen in Verbindung steht. Vielleicht führt das Wissen über die genetische Grundlage der Hyperreaktivität bei PPH-Genträgern bezüglich körperlicher Belastung und Hypoxie zum Verständnis der genetischen Abnormalitäten, welche für die HAPE-Anfälligkeit verantwortlich sind.

213


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220


Roland Silbernagl, Mario Blumthaler

Solare UV–Belastung in Österreich Solar UV-radiation in Austria S U M M A RY The global decrease in the concentration of atmospheric ozone and the discovery of the Antarctic ozone whole have let to concerns about increasing levels of UV-radiation on the Earth’s surface. After detection of the decrease of ozone also above the northern hemisphere the Austrian Department of Environment arranged the construction of a national UVnetwork. The aim of the network is the continuous monitoring of the erythemally weighed irradiance in Austria. The network started the routine measurements at nine sites in 1999. The measured UV-data are published daily as UV-Index, which is a unit-free number proportional to UV-irradiance. One detector of the network is situated at the Research Station Hoher Sonnblick (3106 m a.s.l.), that is representative for the high mountain areas in the Alps. The dependence of UV-irradiance at the surface of the Earth on solar elevation, cloudiness, albedo and the height above sea level is discussed. Additionally the stress to human skin caused by UV-radiation on a glacier is estimated from measurements of the actinic flux. Keywords: Austrian UV monitoring network, UV-Index, erythemally weighted irradiance, erythemally weighted actinic flux.

Z U S A M M E N FA S S U N G Die Entdeckung der dramatischen Abnahme des stratosphärischen Ozons über der Antarktis 1985 (Ozonloch) führte zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit bezüglich des Themas UV-Strahlung. Als Folge der beobachteten Ausdünnung der Ozonschicht auch über der nördlichen Hemisphäre veranlasste das österreichische Bundesministeriums für Familie, Jugend und Umwelt 1996 die Errichtung des österreichischen UVB-Messnetzes zur kontinuierlichen Registrierung der solaren erythemwirksamen Strahlung. 1999 nahm das aus derzeit neun Messstationen bestehende Messnetz den Routinebetrieb auf. Die Veröffentli-

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chung der Daten geschieht täglich in Form des UV-Index, einer dimensionslosen, der UV-Bestrahlungsstärke proportionalen Maßzahl. Mit der Messstation Hoher Sonnblick (3.106 m NN) ist ein für das Hochgebirge repräsentativer Standort in das UV-Messnetz eingebunden. Die Abhängigkeit der UV-Belastung von der Sonnenhöhe, der Bewölkung, der Albedo und der Seehöhe werden angeführt und eine Abschätzung für die tatsächliche Belastung der menschlichen Haut im Hochgebirge vorgenommen. Schlüsselwörter: Österreichisches UVB-Messnetz, UV-Index, erythemwirksame Bestrahlungsstärke, aktinischer Fluss.

D A S Ö S T E R R E I C H I S C H E U V- M E S S N E T Z Die Geschichte der Messungen von solarer ultravioletter Strahlung (UV) beginnt erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts (1). Die ersten UVMessnetze wurden 1974 in den USA (2) und 1975 in Australien (3) errichtet. Das österreichische UV-Messnetz (4, 15) wurde 1996 im Auftrag des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom Institut für Medizinische Physik der Universität Innsbruck aufgebaut und nahm 1999 den Routinebetrieb auf. Das Institut für Medizinische Physik ist derzeit Betreiber des UV-Messnetzes, für die Kalibrierung, Wartung und Kontrolle der Strahlungsdetektoren verantwortlich und ist gegenüber dem Bundesministerium für die Erfassung, Visualisierung und Veröffentlichung der Daten verpflichtet. Das UV-Messnetz besteht ausschließlich aus den Messgeräten „UV-Biometer Modell 501“ der Firma Solar Light Comp (Abbildung 1). Die UV-Biometer Modell 501 sind für die kontinuierliche Erfassung der erythemwirksamen solaren Strahlung ausgelegt. Die erythemwirksame Strahlung ist jener Teil der Sonnenstrahlung, die den Sonnenbrand der menschlichen Haut verursacht. Das Wirkungsspektrum des Erythems – die Abhängigkeit der schädigenden Wirkung der einfallenden Strahlung in Abhängigkeit von deren Wellenlänge – ist den Wirkungsspektren z. B. für Hautkrebs, Konjunktivistis (Bindehautentzündung des Auges), das Katarakt (Trübung der Augenlinse) oder für die DNA-Schädigung menschlicher Zellen ähnlich. Die heute übliche Klassifikation der UV-Strahlung in die 3 Bereiche UVC (100–280 nm), UVB (280–315 nm) und UVA (315–400 nm) beruht auf der biologischen Wirksamkeit der Strahlung, wobei die Maxima der Wirkungsspektren im UVB liegen. Die spektrale Empfindlichkeit der UV-Biometer sollte dem genormten Erythemwirkungsspektrum (5) angepasst sein. Dies ist technisch jedoch

222


Abb. 1: Die Strahlungsdetektoren (UV-Biometer Modell 501) des UVBMessnetzes w채hrend ihrer Kalibrierung in Innsbruck

Relative spektrale Empfindlichkeit von 7 UV-Biometern 0 10

Empfindlichkeit

10

10

10

10

Erythemwirkungsspektrum Snr. 1240 Snr. 2020 Snr. 2021 Snr. 2022 Snr. 2023 Snr. 2024 Snr. 3858

-1

-2

-3

-4

280

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320

340

360

380

Wellenl채nge [nm] Abb. 2: Die relativen spektralen Empfindlichkeiten der UV-Biometer sind dem Wirkungsspektrum des Erythems angeglichen. Die auff채lligen Variationen 체ber 330 nm sind produktionsbedingt und kleiner als 1/1000 der maximalen Empfindlichkeit.

223


schwierig und die Detektoren weisen individuelle Unterschiede in ihren spektralen Empfindlichkeiten auf (Abbildung 2). Die Messunsicherheit aufgrund dieser produktionsbedingten Unterschiede wird im laufenden Betrieb mittels einer detektorspezifischen Korrektur minimiert. Die Messunsicherheit des UV-Index liegt im Bereich ± 7 % (doppelte Standardabweichung) für Strahlungsintensitäten größer als 0.6 UVI. Die Stabilität der UV-Biometer wird mit Hilfe der an jeder UV-Messstation parallel installierten Pyranometer kontrolliert, welche die Totalstrahlung (zwischen 300 und 3.000 nm Wellenlänge) detektieren. Zusätzlich werden mit einem Referenzdetektor in den Sommermonaten Vergleichsmessungen an allen Stationen durchgeführt. Die UV-Biometer werden mindestens alle 2 Jahre am Institut für Medizinische Physik in Innsbruck kalibriert. Derzeit sind 9 UV-Biometer in das UV-Messnetz eingebunden. Die Auswahl der Messorte (Abbildung 3) in Österreich erfolgte einerseits aufgrund von Landestopographie, Bevölkerungsdichte und Verfügbarkeit vorhandener Wetter- bzw. Luftgütemessstellen, andererseits aufgrund der Studie „Vorschlag für die Auswahl von Messstationen für eine österreichweit flächendeckende Messung der UV-Strahlung“ von A. Schmalwieser und G. Schauberger (6). Die Installation der UV-Biometer erfolgte an Luftgütemessstellen des Immissionsdatenverbundes [IDV], an teilautomatischen Wetterdaten-Erfassungsstationen [TAWES] der Zentralanstalt für Meteorologie und Geophysik [ZAMG] und an Messstationen von universitären Instituten. Die kontinuierlich gemessene UV-Strahlung wird über 10 bzw. 30 Minuten aufsummiert und einmal täglich per Internet an den Messnetzbetreiber zur Korrektur übertragen.Die in den Nachtstunden korrigierten Daten des Vortages werden derzeit auf der Internetseite „http://www.bmu.gv.at/“ des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft unter dem Thema „UV Index“ sowie auf der Internetseite „http://www.uibk.ac.at/projects/uvindex“ des Instituts für Medizinische Physik und tabellarisch im Teletext des ORF auf Seite 644 veröffentlicht. Im Internet werden die Tagesverläufe der UV-Daten aller Stationen und eine Landkarte Österreichs dargestellt, welche die auf das gesamte Bundesgebiet verallgemeinerte UVBelastung zur Mittagszeit zeigt (Abbildung 3). Die Karte kann nicht zur individuellen Prognose der maximalen Aufenthaltsdauer im Freien ohne Sonnenbrand verwendet werden, aber sie soll dem Betrachter einen Anhaltspunkt für die tatsächlich gemessene UV-Belastung geben, die in manchen Situationen wesentlich von der persönlichen Einschätzung abweicht. 224


Abb. 3: Verteilung der Messstationen in Österreich. Die gemessenen UVDaten und die auf das gesamte Bundesgebiet verallgemeinerte UV-Belastung werden täglich im Internet veröffentlicht.

DER UV-INDEX Die Veröffentlichung der UV-Daten geschieht als UV-Index. Diese vom Hauttyp unabhängige,dimensionslose Maßzahl ist direkt proportional zur erythemwirksamen Strahlungsintensität (CIE-Norm), die auf eine ebene, horizontale Fläche einfällt. Die Strahlungsintensität ist eine physikalisch messbare Größe. Die WMO (5) empfiehlt seit 1997 die Verwendung des UV-Index als Maß für die UV-Belastung, da dieser im Gegensatz zu den bisher gebräuchlichen medizinischen Einheiten (z. B. minimaleErythemDosis/Stunde [MED/h] oder SunBurnTime [min]) keine empirisch erhobene Schwellwertdosis enthält. Die Schwellwertdosen für das Erythem sind vom Hauttyp abhängig, variieren von Person zu Person sehr stark (von 150 bis 600 [J/m2]) und sind nicht einheitlich genormt. Der UV-Index soll dem Anwender eine qualitative Einschätzung der UV-Belastung ermöglichen. Der UV-Index liegt typischerweise zwischen 0 und 10 in unseren Breiten. Die Berechnung der individuellen maximal möglichen Expositionszeit der Haut (SunBurnTime), ohne einen Sonnenbrand zu riskieren, erfolgt nach Formel 1.

ESW [ J/m2] SBT [min] = UVI *1,5 [J/m2 /min] 225


mit: SBT ........ SunBurnTime = maximale Expositionszeit vor Sonne ohne ................ Sonnenbrand ESW....... individuelle Erythem-Schwellwertdosis UVI ....... UV-Index Die Unsicherheit der berechneten Expositionszeit ergibt sich aufgrund des individuellen Erythem-Schwellwertes, der bekannt sein muss, und der Beschränkung des UV-Index auf eine ebene, horizontale Fläche. Direkt der Strahlungsquelle zugewandte Hautpartien werden allerdings stärker belastet und die maximale Expositionszeit vermindert sich. Eine obere Schranke für die tatsächliche UV-Belastung für räumliche Gegenstände oder Lebewesen liefert die Messung des aktinischen Flusses. Als aktinischen Fluss bezeichnet man die aus dem gesamten Raum auf eine definierte Kugeloberfläche einfallende Strahlung. Aufgrund der Detektorgeometrie ist der aktinische Fluss unabhängig von der Einfallsrichtung der Strahlung.Der erythemgewichtete aktinische Fluss kann nur eine obere Schranke für die Strahlungsbelastung der Haut sein, da die Haut zweidimensional ist und beim Sonnenbad nur von einer Seite bestrahlt wird.

ERGEBNISSE Der wesentlichste Einflussparameter auf den zeitlichen Verlauf der UVBelastung an der Erdoberfläche während eines Tages ist die Sonnenhöhe. Die Streuprozesse in der Atmosphäre und die mit dem Sonnenstand einhergehende Änderung des optischen Weges durch die Atmosphäre zur Erdoberfläche führen zu der typische Glockenform des Tagesverlaufes der UV-Strahlung. Die Streuprozesse der Photonen sind stark von der Wellenlänge abhängig; je kleiner die Wellenlänge eines Photons, desto größer ist seine Wahrscheinlichkeit, an den Luftteilchen gestreut zu werden. Daher ist das Verhältnis der diffusen Strahlung (Himmelsstrahlung) zur direkten Strahlung im UVB-Bereich wesentlich größer als das der Totalstrahlung. Wolken bewirken im UV-Bereich zusätzlich Streuungen und Reflexionen von Photonen (8, 9). Bei besonderen Wolkenkonstellationen kann durch Reflexionen an nahen Wolken die Bestrahlungsstärke im UV-Bereich im Vergleich zu einem wolkenlosen Himmel sogar bis zu 10 % erhöht sein. Andererseits kann bei vollkommener Bedeckung des Himmels die UVBBestrahlungsstärke um etwa 90 % im Vergleich zum wolkenlosen Himmel abgeschwächt werden (Abbildung 4).

226


8

14.07.2001 13.07.2001

7

UV-Index

6 5

-91.9%

4 3 2 1 0 8:00

10:00 12:00 14:00 16:00 18:00 20:00 22:00

Zeit [MESZ] Abb. 4: Tagesverlauf der UVB-Strahlung in Innsbruck am 13. und 14. Juli 2001. Am 13. Juli ging am Nachmittag ein schweres Gewitter nieder. Vor 14.30 fiel kein Regen, aber die Gewitterwolken verminderten extrem das Tageslicht. Am 14. Juli war der Himmel zumeist wolkenlos. Da das Erythemwirkungsspektrum seinen Schwerpunkt im UVB-Bereich hat, ist die erythemwirksame Strahlung sehr eng mit dem Ozongehalt der Atmosphäre korreliert. Je niedriger der Ozonwert, desto weniger Strahlung wird absorbiert und desto höher ist der UV-Anteil am Sonnenspektrum an der Erdoberfläche. Die Maxima der erythemwirksamen Strahlung des Jahres 2001 wurden am 29. und 30. Mai gemessen, an denen die Ozonwerte über Österreich mit 288 DU bzw. 291 DU die niedrigsten der Sommermonate 2001 waren und schönes Wetter herrschte. Die Erhöhung fällt besonders im Jahresgang der UV-Indizes von 1997 bis 2001 an den Stationen Dornbirn, Innsbruck und Mariapfarr auf (Abbildung 5). Am Sonnblick ist die erwartete Erhöhung aufgrund der lokalen Bewölkungssituation nicht erkennbar.

227


UV-Tagesmaxima von 1.1.1997 bis 31.8.2001

UV-Index

12 Dornbirn 10 410 mNN

Innsbruck 577 mNN

10

8

8

6

6

4

4

2

2

0 12 Mariapfarr 10 1153 mNN UV-Index

12

Sonnblick 3106 mNN

0 12 10

8

8

6

6

4

4

2

2

0 1.Jan 1.Mar 1.Mai 1.Jul 1.Sep 1.Nov

1.Jan 1.Mar 1.Mai 1.Jul 1.Sep 1.Nov

0

Abb. 5: Jahresverlauf des UV-Index an den Stationen Dornbirn, Innsbruck, Mariapfarr (Lungau) und Sonnblick. Der rot markierte Messtag ist der 29. Mai 2001, an dem sowohl das Wetter über Österreich schön war als auch der Ozonwert der Stratosphäre ein Minimum einnahm. Am Sonnblick ist die Erhöhung durch das ortspezifische Kleinklima (Quellwolkenbildung über dem südlich gelegenen Gletscherplateau) weniger stark ausgeprägt. In wesentlich geringerem Maß beeinflusst das Reflexionsvermögen des Bodens, die Albedo, die Strahlungsbelastung auf die belebte Umwelt. Die Albedo im UVB-Bereich von Gras und Erdreich liegt unter 3 %,von Sand bei etwa 15 %, Schnee reflektiert zwischen 50 % und 90 % der auftreffenden UV-Strahlung (9, 10). Die Auswirkung der Albedo auf die Strahlung ist von der Seehöhe des Bodens abhängig. Eine Zunahme der Albedo von 5 % auf 50 % erhöht die UV-Belastung um 20 % in Meereshöhe bzw. um etwa 16 % in 3.000 m NN (11). Weitere Einflüsse auf die UVStrahlung sind Trübung der Atmosphäre,Abstrahlungsschwankungen der Sonne bzw. der Abstand der Erde zur Sonne.

228


U V- B E L A S T U N G I M H O C H G E B I R G E Beim Aufenthalt im Hochgebirge treffen im Hinblick auf die zu erwartende UV-Belastung für den Menschen gleich mehrere ungünstige Faktoren zusammen. Erstens nimmt die UV-Strahlung mit der Höhe stärker zu als die Totalstrahlung. Als Abschätzung gilt: Die Zunahme der erythemwirksamen Strahlung pro 1.000 m Höhendifferenz beträgt etwa 18 % (13), die Zunahme der Totalstrahlung etwa 8 %/1.000 m (14), bezogen auf die Strahlung an der Talstation, falls beide Stationen schneefrei sind. Aufgrund der verminderten Luftdichte und des verkürzten optischen Wegs des Lichts durch die Atmosphäre nimmt die Anzahl der Streu- und Absorptionsprozesse ab, welche die UV-Strahlung stärker beeinflussen als die Totalstrahlung. Der Anteil der direkten Strahlung nimmt zu. Zweitens wird die Luft mit zunehmender Höhe sauberer. Weniger Aerosole, Staubteilchen, bedeuten weniger Absorption und daher mehr Strahlung am Boden. Drittens nimmt – zumindest bei Gletscherwanderungen – die Strahlung aufgrund des größeren Reflexionsvermögen von Schnee zu. Und viertens selektieren die heimischen Bergsteiger selbst jene Tage mit erhöhter UV-Belastung, da der Großteil von ihnen die Bergfahrt nur bei geeignetem Wetter unternimmt. Als repräsentativer Messpunkt für den hochalpinen Raum wurde 1998 der UV-Detektor an der Forschungsstation Hoher Sonnblick (3.106 m NN) in das Messnetz eingebunden. Die höchsten hier gemessenen UV-Werte liegen bei 11. 7. Die Zunahme der UV-Strahlung mit der Höhe zeigt sich eindeutig am 2. Mai 2001: Tagesmaximum in Innsbruck (577 m NN) am 2. 5. 2001: 6.0 UVI Tagesmaximum am Sonnblick (3.106 m NN) am 2. 5. 2001: 8.1 UVI Das entspricht den UV-Maxima in Innsbruck zur Zeit des Sonnenhöchststandes im Juni. Die während einer Wanderung am 2. Mai im Hochgebirge aufgenommene Strahlungsdosis zwischen 1.000 m und 1.600 m überschreitet die für ungeschützte, nicht vorgebräunte Haut des Typs 2 angegebene Schwellwertdosis von 250 J/m2 theoretisch schon um mehr als das 13fache. Der UV-Index berücksichtigt jedoch nicht die direkte Reflexion der Strahlung vom Boden auf die Haut. Abhängig von der Schneeart und dessen Verschmutzung kann zwischen 50 und 90 % der UV-Strahlung reflektiert werden; im gleichen Maß stärker wird die Haut belastet. Daher ergeben die Messungen mit einem UV-Biometer eine untere Grenze für die

229


UV-INDEX

500

18

450

16

400

14

Obere Schranke 350

12

300

10

250

8

Untere Schranke

200

6

150

4

100

2 0

50

Aktinischer Detektor Erythemdosimeter [gemessener UVI]

8:00

10:00

12:00

14:00

16:00

18:00

2

20

Bestrahlungsstärke [mW/m ]

UV-Belastung am Jungfraujoch (3576 mNN) Schweiz, am 30.Juli 2001

20:00

0

Zeit [MESZ] Abb. 6: Die blaue Linie stellt den gemessenen UV-Index am Jungfraujoch am 30. 7. 2001 dar. Sie beschreibt die untere Grenze für die tatsächliche Belastung der menschlichen Haut durch UV-Strahlung, da per Definition der UV-Index mit einem ebenen, horizontalen Detektor gemessen wird. Die obere Schranke wird anhand des aktinischen Flusses mit halbkugelförmiger Detektorgeometrie abgeschätzt.

tatsächliche UV-Belastung. Eine obere Schranke für diese Belastung lässt sich aus dem aktinischen Fluss, gemessen mit einer kugelförmigen Detektorfläche, abschätzen (Abbildung 6). Für einen schönen Tag am Jungfraujoch (Schweiz, 3.576 m NN) ergibt dies fast eine Verdoppelung der UV-Belastung im Vergleich zu einem horizontalen Detektor. Es wird darauf hingewiesen, dass die aus dem aktinischen Fluss berechnete Bestrahlungsstärke nur eine obere Schranke und keine Methode zur Bestimmung einer medizinisch relevanten Dosis ist. Die Verdoppelung der UV-Belastung sollte jedoch bei der persönlichen Vorsorge gegen den Sonnenbrand bei Gletschertouren berücksichtigt werden.

230


AUSBLICK Momentan wird an Verbesserungen des österreichischen UVB-Messnetzes gearbeitet. In nächster Zukunft werden die aktuellen UV-Daten der einzelnen Stationen sofort an das Institut für Medizinische Physik der Universität Innsbruck übertragen, wo sie sogleich korrigiert und im Internet veröffentlicht werden. Somit können dem Interessierten die momentan gültigen UV-Werte alle 10 Minuten zur Verfügung gestellt werden. Davon erhoffen wir uns – auch durch eine breitere Streuung in anderen Medien – eine größere Reichweite in der Bevölkerung und eine höhere Akzeptanz. Eine Kooperation mit dem Meteorologischen Institut der Universität München zur Erweiterung des UV-Messnetzes um 3 Stationen in Bayern ist in Vorbereitung. Schließlich ist die Umsetzung der von der WMO ausgegebenen Richtlinien für die Veröffentlichung des UV-Index vorgesehen. Einteilung, Bezeichnung, Farbcode usw. des UV-Index werden weltweit standardisiert. Damit sollte der direkte Vergleich der österreichischen UV-Daten mit den Daten jedes anderen nationalen Messnetzes möglich sein.

L I T E R AT U R (1) Urbach F.: Man and ultraviolet radiation; edited by Passchier W. F., Bosnjakovic B. F. M.: Human ecposure to ultraviolet radiation, risks and regulations, Intern. Congress Series , Excerpta Medica, Amsterdam, New York, Oxford (1987). (2) Scotto J., Cotton G., Urbach F., Berger D., Fears T.: Biologically effective ultraviolet radiation: measurements in the United Stated 18741985, Science 239, p.762-764 (1988). (3) Barton, I. J., Paltridge G. W.: The Australian climatology of biologically effective ultraviolet radioation. Australian J. Dermatol. 20, p. 68-73 (1979). (4) Blumthaler M., Silbernagl R.: Vorstudie zur Errichtung eines UVBMessnetzes in Österreich. Schriftenreihe des österreichischen Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie, Band 22/1998, Wien 1998.

231


(5) CIE: McKinlay A. F., Diffey B. L.: A reference action spectrum for ultraviolet induced eryhtema in human skin. Commision Internationale de l'Eclairage (CIE)-Journal, Vol. 6, No. 1, p. 17-22 (1987). (6) Schmalwieser A.W., Schauberger G.:Vorschlag für die Auswahl von Messstationen für eine österreichweit flächendeckende Messung der UV-Strahlung. Schriftenreihe des Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie, Band 22/1998, Anhang. (7) WMO-Report Nr.127: Report of WMO-WHO meeting of experts on standardization of UV-indices and their dissimination to the public, Les Diablerets, Switzerland, July 1997. (8) Ambach W., Blumthaler M., Cede A.: Attenuation of solar UVBand total irradiance by cloudiness. Meteorol. Zeitschrift N.F. 4, 213217 (1997). (9) Blumthaler M., Ambach W., Salzgeber M.: Effects of cloudiness on global and diffuse UV Irradiance in a high-mountain area, Theor. Appl. Climatol. 50, p. 23-30, (1994). (10) Feister U., Grewe : Spectral albedo measurements in the UV and visible region over different types of surfaces, Photochem. Photobiol. 62, 736-744 (1995). (11) Blumthaler M., Ambach W.: Solar UVB-albedo of various surfaces, J. Photochem. Photobiol. 48, 85-88, 1988. (12) Modellrechnung mit „DISORT“: Stamnes K., Tsay S. C., Wiscomde W. and K. Jaya Weera: A numerically stable algorithm for discretordinate-methode radiative transfer in multiple scattering and emitting layered media, Appl. Optics 27, 2502-2509 (1988). (13) Blumthaler M., Ambach W., Ellinger R.: Increase in solar UV radiation with altidude. J. Photochemistry and Photobiology B: Biology 39, 130-134 (1997). (14) Blumthaler M., Ambach W.: Human solar ultraviolet radiant exposure in high mountains. Athmospheric Environment Vol. 33, Nr. 4, 749-753 (1988). (15) Silbernagl R., Blumthaler M.: Vorstellung des österreichischen UVB-Messnetzes,Wetter und Leben 50, Heft 3/98, p. 273-282 (1998).

232


T h o m a s K ü p p e r, D e t l e f We r m e l s k i r c h e n , T h o r b e n B e e k e r, O l i v e r R e i s t e n , R o b Wa a n d e r s

Erste-Hilfe-Kenntnisse von Westalpenbergsteigern First Aid Knowledge of Alpine Mountaineerer S U M M A RY Objective: The study evaluates the knowledge in First Aid of mountaineerer who climb typical routes of moderate difficulty in the western Alps with special regard to alpine emergencies. Additionally the mountaineerer’s ability to self-assess their knowledge was investigated.An analysis of the mountain accidents of the area studied showed the real demand of knowledge. Design: Cohort investigation with mountaineerer who reached Margherita Hut (4559m, Monte Rosa), n = 283; questionnaire of 17 questions with 5 answers each (11 themes). Physicians educated in alpine medicine according to the guidelines of UIAA (n = 20) served as control group. Results: The knowledge in general is low. Best results were obtained at the themes “cardiac emergencies”, “altitude sickness”, and “hypovolaemic shock”,the worst at “hypothermia”,“traumatic injuries / fractures”,“treatment of pain” and “management of emergencies”. It should be stressed that traumatic injuries represent about 50 % of mountain accidents in the same region. Comparing individual self-assessment with the correctness of the questionnaire clearly demonstrated a very insufficient ability of the mountaineerer to truly assess their knowledge. Differences between sex, age, nationality, mountaineering experience and professional experience (medical education) are discussed and we give suggestions for the structure of future education courses in alpine First Aid. Keywords: First Aid, Mountaineering, Accidents, Education, Self-assessment.

Z U S A M M E N FA S S U N G Studienziel: Wir untersuchen die Erste-Hilfe-Kenntnisse von Westalpenbergsteigern, deren Tourenschwerpunkt „klassische“ Routen mittleren Schwierigkeitsgrades ist. Besonderer Wert wurde dabei auf Kenntnisse

233


gelegt, die bei alpinen Notfällen relevant sind. Das Spektrum alpiner Notfälle der gleichen Region wurde als typische Anforderung zugrunde gelegt. Zusätzlich wurde überprüft, inwieweit die Sportler in der Lage sind, eine zutreffende Selbsteinschätzung ihrer Kenntnisse vorzunehmen. Studiendesign: Kohortenstudie an Bergsteigern, die die Margheritahütte (4.559 m, Monte Rosa) erreicht haben (n = 283). Fragebogen mit 17 Fragen mit je 5 Antworten. Die Kontrollgruppe bestand aus Ärzten, die die Alpinärzteausbildung der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin gem. UIAA-Richtlinien erfolgreich abgeschlossen hatten. Ergebnisse: Die Kenntnisse sind generell minimal. Die besten Resultate wurden bei den Themen „Herznotfälle“, „Höhenkrankheit“ und „Volumenmangelschock“ erzielt, die schlechtesten bei „Unterkühlung“, „traumatische Verletzungen / Frakturen“, „Schmerzbekämpfung“ und „Notfallmanagement“. Obwohl traumatische Notfälle etwa 50 % aller alpinen Notfälle in der Region darstellen,zeigen die Antworten einen breiten Mangel sogar an Basiswissen zu diesem Thema. Die Selbsteinschätzung der Kenntnisse zeigte eine sehr geringe Übereinstimmung mit den tatsächlichen Kenntnissen und ist kein Mechanismus, der die Alpinisten erkennen lässt, ob ihr Wissen adäquat ist oder einer Auffrischung bedarf. Unterschiede zwischen den Geschlechtern, Alter, Nationalität, Bergerfahrung und Berufserfahrung (medizinische Ausbildung, Bergführer ...) werden dargestellt und diskutiert sowie Vorschläge zur Struktur zukünftiger Breitenausbildungsmaßnahmen gemacht. Schlüsselwörter: Erste Hilfe, Bergunfälle,Ausbildung, Selbsteinschätzung.

EINLEITUNG Im Vergleich zu Notfällen in besiedelten Bereichen vergeht bei alpinen Notfällen wesentlich mehr Zeit, bis organisierte Rettungskräfte eintreffen, und außerdem werden Opfer wie Helfer mit Notfällen konfrontiert, die nie in Wohngebieten vorkommen, wie z. B. Höhenlungenödem (HAPE), und deren Erstversorgung natürlich nicht in normalen ErsteHilfe-Kursen gelehrt wird. Für den gesamten Zeitraum zwischen Eintritt des Notfalles und Eintreffen organisierter Rettung – oft mehrere Stunden, in Regionen mit optimaler Infrastruktur und Alarmierung mittels Mobiltelefon im Mittel immer noch 30 Minuten (Th. Küpper, unveröffentlichte Daten) – muss die Erstversorgung des Patienten von den Bergkameraden gewährleistet werden. Hierfür benötigen diese erweiterte Erste-Hilfe-Kenntnisse und spezifisches Wissen hinsichtlich typisch alpi-

234


ner Notfälle. In jedem europäischen Land ist irgendein System zur Breitenausbildung der Bevölkerung in erster Hilfe etabliert und mancherorts gibt es auch Lehrgänge seitens der Bergrettung oder der alpinen Vereine. Die vorliegende Studie untersucht 1. ob die Kenntnisse von Westalpenbergsteigern mittlerer Leistungsstufe („klassische“ Hochtouren) adäquat ist, 2. ob die Ausbildungsschwerpunkte mit der Notfallrealität des Hochgebirges übereinstimmen, 3. inwieweit die Ausbildungsangebote die Zielgruppe erreichen, 4. ob durch diese Ausbildungsangebote die Fähigkeiten zur effektiven Hilfeleistung verbessert werden und 5. ob die Selbsteinschätzung der Fähigkeiten ein geeignetes Instrumentarium ist, Aus- bzw. Weiterbildungsbedarf zu erkennen.

M AT E R I A L U N D M E T H O D E N 294 Bergsteiger, die die Capanna Margherita (4.559 m, Monte Rosa) erreicht haben, bearbeiteten freiwillig einen Fragebogen, bestehend aus 17 Fragen zu 11 Themen (Tab. 1). Der Fragebogen lag in der jeweiligen Muttersprache vor (D, F, E, I). Zu jeder Frage mussten 5 vorgegebene Antworten einzeln auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Somit bestand jeder Fragebogen aus 85 Einzelstatements. Fragen wie Antworten bezogen sich ausschließlich auf grundlegende, jedoch alpin relevante ErsteHilfe-Kenntnisse. Die Kontrollgruppe umfasste 20 Ärzte, die die Alpinärzteausbildung der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin gem. UIAA-Richtlinien erfolgreich abgeschlossen hatten. Anschließend an die Fragen mussten sich die Probanden hinsichtlich ihrer Kenntnisse selbst einschätzen (1 = sehr gute Kenntnisse bis 5 = kaum / keine Kenntnisse). Die erhobenen Kollektivdaten umfassten Alter, Geschlecht, Nationalität, Berufsausbildung (Arzt, Medizinstudent, RetThema

Fragen

Kälteschäden Frakturen (Extremitäten, Rippen) Höhenerkrankungen / Akklimatisation Herz-Kreislauf-Notfälle Hypovolämischer Schock Schädel-Hirn-Trauma Schneeblindheit Schmerzbekämpfung Blitzschlag Hitzschlag Notfallmanagement / Strategie

3 3 2 2 1 1 1 1 1 1 1

235

Tabelle 1: Themen des Fragebogens


tungsdienst, Bergführer), alpintechnische Ausbildung und alpine Erfahrung sowie Art des Bergsteigens (geführte / nicht geführte Touren). Die Datenanalyse wurde deskriptiv und mit nicht parametrischen Testverfahren (c2-Test, Mann-Whitney-U-Test) durchgeführt, wobei p < 0.05 als signifikant und 0.05 < p < 0.075 als Tendenz interpretiert wurde. Der Vergleich zwischen Selbsteinschätzung der Kenntnisse und den Ergebnissen des Fragebogens wurde als Relation zwischen der Richtigkeit der 5 Antworten der jeweiligen Fragen und dem 5-schrittigen Score in % durchgeführt. Ein xy-dot-plot dieser Rechnung zeigt Punkte nahe der Nulllinie als realistische Einschätzung der Kenntnisse. Werte > 0 zeigen, dass die Selbsteinschätzung der Person geringer ist als ihre realen Kenntnisse, was bedeutet, dass diese Person mit einer „Sicherheitszone“ unterwegs ist und umgekehrt. Eine Analyse der Subpopulationen wurde zur Aufdeckung möglicher Unterschiede durchgeführt (Subpopulationen siehe Tabelle 5). Die realen Anforderungen, die die alpine Realität an die Bergsteiger im Falle von Notfällen stellt, wurde anhand von 212 Bergnotfällen aus der gleichen Region unter besonderer Berücksichtigung der Diagnosen und der NACA-Indices (National Advisory Committee for Civil Aviation, Tabelle 2) untersucht und die ermittelten Kenntnisse der Alpinisten vor dem Hintergrund dieser Anforderungen diskutiert.

ERGEBNISSE 1. Kollektiv 283 Fragebögen konnten ausgewertet werden (d. h. mindestens 16/17 Fragen bearbeitet). 100 (35,3 %) kamen von deutschen, 95 (33,6 %) von italienischen, 38 (13,4 %) von Schweizer, 23 (8,1 %) von französischen Traumascore

Interpretation

Lokalisation

Interpretation

0

Gesund

a

1

Keine Soforttherapie

b

Praxis

2

Therapie, keine Hospitalisation

c

Straße

3

Therapie + Hospitalisation

d

Einfache Erreichbarkeit / Pisten

4

Mögliche Vitalgefahr

e

Leichtes Gelände

5

Akute Vitalgefahr

f

Schwieriges Gelände

6

Reanimation

g

Extremgelände

7

Tot

Tabelle 2: Modifizierter NACA-Index [34], [35]

236

Hospital


und 30 (10,6 %) von Bergsteigern anderer Nationen. 231 waren männlich (81,6 %) und 52 weiblich (18,4 %), die Altersverteilung (36,8 ± 11,2 Jahre) ist in Abbildung 1 dargestellt. Das Altersmittel war in der Gruppe der männlichen Bergsteiger etwas höher als bei den weiblichen Alpinisten (37,5 ± 11,5 vs. 36,8 ± 11,2 Jahre, p < 0,05). Zwischen den Geschlechtern war kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Intensität ihrer Sportausübung feststellbar (12,2x/Jahr ± 24,2 vs. 7,5x/Jahr ± 10,1), die Männer besaßen allerdings eine längerfristige Bergerfahrung (14,5 ± 10,7 vs. 7,2 ± 5,7 Jahre, p < 0,001). Abgesehen davon, dass die Subpopulation der Bergführer ausschließlich männlich war, fand sich weder ein Geschlechtsunterschied hinsichtlich der alpinen oder alpinmedizinischen Ausbildung noch hinsichtlich der beruflichen medizinischen Vorkenntnisse.Insgesamt besaßen 17,3 % berufliche medizinische Kenntnisse, 82,7 % dagegen keinerlei medizinische Vorbildung. Irgendeine sportspezifische Ausbildung hatten 207/283 (73,1 %) der Befragten. Lediglich 142/283 (50,2 %) hatten einmal einen Bergsportlehrgang besucht, 153/283 (54,1 %) einen Lehrgang in erster Hilfe oder Kameradenrettung. Frauen sind häufiger mit Bergführern unterwegs als Männer (30,8 % vs. 16,8 %, p < 0,05) und tendieren offensichtlich dazu, früher in ihrer alpinen Karriere eine systematische Ausbildung – auch für Notfälle – zu bekommen als Männer. Deutsche und Schweizer Alpinisten waren signifikant älter als die italienischen (D: 38,5 ± 10,8 rsp. CH: 39,8 ± 11,2 vs. I: 34,1 ± 12,1 years, p < 0.01) und sie sind häufiger in der Höhe (D: 9,0 ± 23,7 rsp. CH: 21,6 ± 35,9 vs. I: 8,6 ± 12,0x/Jahr, p < 0,05 rsp. p < 0,01). Schweizer Bergsteiger sind häufi-

Abb. 1: Altersverteilung der Probanden

237


ger mit Bergführern unterwegs (CH: 18,4 %, D: 2,0 %, I: 5,3 %: p < 0,001 rsp. p < 0,01). Deutsche zeigen eine Tendenz zu alpinsportlicher Ausbildung (D: 56,0 %, CH: 55,3 %, I: 41,1 %), Schweizer besitzen dagegen häufiger eine Erste-Hilfe-Ausbildung (74,0 % vs. 52,6 %, p < 0,05) und beide Gruppen sind dramatisch besser ausgebildet als ihre italienischen Sportsfreunde (17,9 %, p < 0,001). 2. Fragebogen Sowohl die Einzelfragen als auch die Themenblöcke differierten in der Korrektheit der Beantwortung. Insgesamt wurden nur 542 aller 4.269 gegebenen Fragen richtig beantwortet (12,7 %). 101/283 Probanden waren nicht in der Lage, auch nur eine einzige Frage richtig zu beantworten, 49 (17,3 %) hatten eine, 14,1 % zwei, 14,8 % drei und 7,1 % vier Fragen richtig (Abbildung 2). Die besten Resultate erzielten 2 Befragte mit jeweils 12 bzw. 10 richtig beantworteten Fragen, beide kamen aus der Gruppe ohne medizinische Vorkenntnisse. Ein bemerkenswerter Unterschied fand sich hinsichtlich der korrekten Beantwortung bei den verschiedenen Themen. Die besten Resultate wurden bei Herznotfällen (26,9 %), Akklimatisation / Höhenerkrankungen (27,2 %) und hämorrhagischer Schock (27,9 %, Abbildung 4) erzielt, die schlechtesten bei Unterkühlung (1,8 %), Rücken- / Wirbelsäulenverlet-

Abb. 2: Altersverteilung der Probanden

238


Abb. 3: Richtig beantwortete Themen [in %]

Abb. 4: Diagnosen und NACA-Indices der Realeinsätze zungen (0,7 %), Schmerzbekämpfung (2,8 %) und Notfallmanagement (2,8 %) und Frakturen (12,7 %, Abb. 3 & 4). Da eine Frage zunächst nur dann als „richtig“ bewertet wurde, wenn alle 5 zugehörigen Statements korrekt beantwortet worden waren, war es notwendig, eine Einzelanalyse der Statements vorzunehmen, um zu überprüfen, ob die richtig Beantwortung gehäuft an bestimmten Fakten scheiterte. Insgesamt waren 13.932 / 23.970 Statements korrekt (58,1 %, Mittelwert 151,9 ± 45,5,Abbildung 5). Diejenigen Statements, die in weniger als 25 % oder mehr als 75 % richtig beantwortet wurden, sind in Tabelle 3

239


Richtig in über 75%

Richtig in weniger als 25%

• Herznotfälle: Richtige Abgrenzung gegenüber akuten Atemwegsinfekten (Bronchitis) • Hypothermie: Chance erfolgreicher Wiederbelebung auch nach längerer Stillstandszeit (z. B. 1/4 hour) • Schneeblindheit: Mögliche Gefahr auch bei Nebel (ohne direkte Sonne) • Höhenerkrankung: Höhenlungenödem benötigt sofortige Hilfe und bessert sich nicht über Nacht ohne konsequente Versorgung • Höhenerkrankungen: Mögliche Lebensgefahr bei weiterem Aufstieg

• Wiederbelebung: Falscher Druckpunkt • Frakturen: Sichere Symptome einer Oberschenkelfraktur nicht erkannt • Frakturen: Richtige Lagerung von Patienten mit Rippenfrakturen • Höhenerkrankung / Luftnot allg.: Richtige Lagerung von Patienten mit Luftnot • Rückenverletzungen: Besondere Unterkühlungsgefahr von Patienten mit spinalem Trauma ist praktisch völlig unbekannt

Tabelle 3: Besonders oft richtig / falsch beantwortete Statements (Teil-)Kollektiv

Gesamtkollektiv Männlich Weiblich Italiener Schweizer Deutsche Ohne Alpinsportausbildung Bergsteigerkurs Erste Hilfe-Kurs Andere relevante Ausbildung Berg- und Erste Hilfe-Kurs Mit Bergführer unterwegs Ohne Bergführer unterwegs Weniger erfahrener Bergsteiger Erfahrener Bergsteiger Wenig intensives Bergsteigen Intensives Bergsteigen Junger Bergsteiger Älterer Bergsteiger Nichtmedizinische Berufsausbildung Medizinische Berufsausildung allg. Bergführer Rettungssanitäter / Bergwachtmitglied Medizinstudent / Arzt

Richtige Differenz zum Antworten [%] Gesamtkollektiv

Score

Differenz zum Gesamtkollektiv

12.7 12.7 12.8 2.5 19.6 23.7 8.0 14.1 17.5 13.8 17.2 10.1 12.7 10.0 14.7 11.7 14.8 11.7 13.6 10.5

– n.s. n.s. < 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.01 < 0.001 n.s. < 0.001 < 0.001 n.s. < 0.001 < 0.001 < 0.05 < 0.001 < 0.05 < 0.05 < 0.001

3.4 ± 0.86 3.3 ± 0.87 3.6 ± 0.79 3.8 ± 0.75 3.2 ± 0.83 3.1 ± 0.82 3.7 ± 0.94 3.2 ± 0.82 3.2 ± 0.78 3.1 ± 1.10 3.1 ± 0.77 3.5 ± 0.88 3.4 ± 0.85 3.6 ± 0.74 3.3 ± 0.92 3.5 ± 0.82 3.2 ± 0.91 3.3 ± 0.87 3.5 ± 0.85 3.6 ± 0.75

– n.s. n.s. p < 0.001 n.s. p < 0.05 p < 0.05 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. p < 0.05

26.4

< 0.001

2.7 ± 1.00

p < 0.001

15.4 18.3

< 0.05 < 0.001

2.4 ± 0.68 2.8 ± 0.79

p < 0.001 p < 0.001

43.8

< 0.001

2.6 ± 1.31

p < 0.001

Tabelle 4: Richtigkeit der Testergebnisse und der Selbsteinschätzungsscore des Gesamtkollektivs und der Teilkollektive

240


aufgeführt. Zusätzlich zu diesen wichen 9 falsche und 17 richtige Statements um mehr als sx vom Mittelwert ab. Bei den falschen handelte es sich um fehlende Kenntnisse von 1.auftretender Gefahr bei weiterer Aktivität bei fortgeschrittener Unterkühlung („Afterdrop“), 2. die Reaktion der Pupillen, wenn Wiederbelebungsmaßnahmen erfolgreich durchgeführt werden, 3. der Notwendigkeit, ein Blitzopfer auch nach Frakturen zu untersuchen, 4. die Möglichkeit der Schmerzminderung durch vorsichtigen distalen Zug und 5. die Erstmaßnahmen bei Hitzschlag. Besonders gut beantwortet wurden dagegen 1. Diagnose der Unterkühlung, 2. Stromlosigkeit von Blitzopfern im Gegensatz zu Stromunfällen, 3. Möglichkeit von Lebensgefahr auch dann, wenn der Blitz das Opfer nicht direkt getroffen hat, 4. Diagnose der Höhenkrankheiten, 5. präventive Strategien gegen Höhenerkrankungen, 6. Notwendigkeit von Schmerzbekämpfung im Falle von Erfrierungen, 7. mögliche Gefahr von SchädelHirn-Traumen auch dann, wenn das Opfer auf eine weiche Unterlage gefallen ist und keine äußeren Verletzungen aufweist, 8. richtige Trennung von kardiopulmonalen Notfällen und Hitzschlag und 9.Diagnose von Rippenfrakturen. Die Ergebnisse der Subpopulationen relativ zum Gesamtkollektiv sind in Tabelle 4, Unterschiede zwischen den Subpopulationen in Tabelle 5 aufgeführt. Erhebliche Unterschiede fanden sich zwischen den Nationalitäten, wobei italienische Bergsteiger in nahezu allen Themen im Vergleich zu Schweizer und deutschen Alpinisten drastisch schlechtere Ergebnisse erzielen konnten: Unterkühlung 1,5 % richtig (CH: 12,3 %, D: 8,3 %, p < 0,001), Höhenerkrankungen / Akklimatisation (I: 1,1 %; CH: 25,0 %; D: 38,0 %; p < 0,001), Herz-Kreislauf-Notfälle (I: 6,1 %; CH: 21,1 %; G: 25,0 %; p < 0,001), Schneeblindheit (I: 1,1 %; CH: 31,6 %; D: 30,0 %; p < 0,001), Schmerzbekämpfung (I: 0,0 %; CH: 13,2 %; G: 21,0 %; p < 0,001), hämorrhagischer Schock (I: 1,1 %, CH: 36,8 %, G: 52,0 %; p < 0,001), Blitzschlag (I: 2,2 %; CH: 10,5 %; G: 11,0 %; p < 0,05) und Frakturen (I: 0,0 %; CH: 4,4 %; G: 7,3 %; p < 0,001, p < 0,01). Französische Alpinisten zeigen die gleiche Tendenz wie die italienischen, aufgrund der geringen Fallzahl wurde hier jedoch auf eine statistische Analyse verzichtet. Die Analyse der Subpopulationen zeigt bemerkenswert geringe Unterschiede, die Kenntnisse scheinen vielmehr von jeglicher strukturierter Ausbildung unabhängig zu sein und mehr durch das persönliche Interesse des Sportlers bestimmt zu sein (Tabellen 4 + 5). Bemerkenswerterweise finden sich in 5 der 11 Themen keinerlei Unterschiede zwischen den Subpopulationen: Kälteschäden / Unterkühlung, Herz-Kreislauf-Notfälle (32,9 % richtig!), Hitzschlag (10,2 %), Blitzschlag (7,8 %) und Schädel-

241


Teilkollektive

Ohne Alpinsportausbildung vs. Bergsteigerkurs Ohne Alpinsportausbildung vs. Erste-Hilfe-Kurs Ohne Alpinsportausbildung vs. andere relevante Ausbildung Ohne Alpinsportausbildung vs. Berg- + Erste-Hilfe-Kurs Mountaineering course vs. Erste-Hilfe-Kurs Mountaineering course vs. andere relevante Ausbildung Erste-Hilfe-Kurs vs. andere relevante Ausbildung Erste-Hilfe-Kurs vs. Berg- + Erste-Hilfe-Kurs Andere relevante Ausbildung vs. Berg- + Erste-Hilfe-Kurs Mit vs. ohne Bergführer unterwegs Wenig erfahren vs. erfahren Wenig intensives vs. intensives Bergsteigen Junge vs. ältere Bergsteiger Nichtmedizinische Berufsausbildung vs. medizinische Ausbdg. Nichtmedizinische Berufsausbildung vs. Bergführer Nichtmedizinische Berufsausbildung vs. Sanitäter Nichtmedizinische Berufsausbildung vs. Student / Arzt Sanitäter vs. Student / Arzt Sanitäter vs. Bergführer Sanitäter vs. medizinische Berufsausbildung Student / Arzt vs. Bergführer Student / Arzt vs. medizinische Ausbildung Bergführer vs. medizinische Ausbildung

Unterschied in den Testergebnissen

Unterschiede des Selbsteinschätzungsscores

< 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.001 n.s. < 0.001 n.s. < 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.001 n.s. < 0.001 < 0.001 < 0.001 < 0.001

p < 0.001 p < 0.001 p < 0.01 p < 0.001 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. p < 0.01 p < 0.01 n.s. p < 0.001 p < 0.001 p < 0.001 p < 0.001 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s.

Tabelle 5: Unterschiede zwischen den Teilkollektiven Hirn-Trauma (21,6 %). Die Gruppe mit Erste-Hilfe-Ausbildung ist den anderen nur gering hinsichtlich ihrer Kenntnisse zum Thema Frakturen überlegen (p < 0,05), „Schneeblindheit“ wird in der Gruppe derer mit alpinsportlicher Ausbildung besser beantwortet (p < 0,05). Ein besonders charakteristisches Beispiel, dass ein Großteil der Kenntnisse offensichtlich weitgehend unabhängig von der beruflichen bzw. alpinsportlichen oder alpinmedizinischen Ausbildung ist, zeigt das Thema Hypothermie: Hier erzielte die Gruppe mit medizinischer Vorbildung 6,7 % richtige Antworten, Alpinisten mit Erste-Hilfe-Ausbildung 7,6 %, Alpinisten mit alpintechnischen Lehrgängen 5,4 % und Sportler ohne jegliche Ausbildung 5,5 % (Unterschiede nicht signifikant). Es muss betont werden, dass die Bergführer bei den Themen Hypothermie und Notfallmanagement 0,0 % richtige Antworten erzielten und dass die Gruppe

242


der Medizinstudenten und Ärzte bei Hypothermie nur 9,8 % und bei Hitzschlag nur 5,9 % erzielten, während sie bei dem extrem seltenen Notfall Blitzschlag die Fragen zu 23,5 % richtig beantworteten. Die Themen Schock und Höhenerkrankungen sind dagegen mehr von der Ausbildung abhängig mit wesentlich schlechteren Ergebnissen im Teilkollektiv ohne Ausbildung (p < 0,001). Während sich nur geringe Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Bergsteigern oder solchen mit langjähriger oder kürzerer Bergerfahrung finden, sind Alpinisten, die ihr Hobby vielleicht nur kurz, dafür aber mit hoher Intensität betreiben,den Gelegenheitsbergsteigern in etlichen Themen deutlich überlegen: Hypothermie (p < 0,001), Hitzschlag (p < 0,05), Blitzschlag (p < 0,01), Schneeblindheit (p < 0,001), Notfallmanagement (p < 0,001). Eine besondere Betrachtung verdienen diejenigen, die durch berufliche Vorkenntnisse gegenüber den Laien im Vorteil sein müssten (Bergführer, Rettungsdienstpersonal, Medizinstudenten , Ärzte): Ihre Ergebnisse weichen entgegen den Erwartungen von denen der Laien nur in wenigen Fällen ab! Im Vergleich zu den Laien signifikante Unterschiede fanden sich nur bei Höhenerkrankungen und Frakturen (beide p < 0,001) für die Mediziner und Kälteschäden für die Bergführer (p < 0,05). Die Unterschiede zwischen den genannten Gruppen mit Vorkenntnissen sind dagegen eher marginal, die Studenten und Ärzte waren den anderen lediglich bei Höhenerkrankungen (p < 0,01), Herz-Kreislauf-Notfällen (p < 0,01) und Frakturen (p < 0,05) überlegen. Die Kontrollgruppe war der Studiengruppe in allen Parametern hoch signifikant überlegen (p < 0,001).Die Statements wurden in 81,2–94,1% richtig beantwortet, die Themen zu 53–82%. Auch hier waren jedoch drei Bereiche feststellbar, die deutlich schlechter als die übrigen beantwortet wurden: 1. dass Rückenverletzte ein erhöhtes Unterkühlungsrisiko aufweisen (Ausfall der peripheren Gefäßreaktion mit Erhöhung des peripheren Blutflusses, nur in 22,2 % korrekt), 2. dass ein Hitzschlag nicht mit Eiswasser behandelt werden sollte (thermische Vasokonstriktion mit dem Risiko einer weiteren Erhöhung der Körperkerntemperatur, nur in 22,2 % korrekt) und 3. beim Thema Notfallmanagement, dass ein Verletztentransport im flacheren Gelände viel anstrengender sein kann als im Steilgelände, wo Seiltechniken dominieren (nur in 33,3 % richtig). 3. Bergunfälle in der Monte-Rosa-Region Bei der Analyse von 212 Bergrettungseinsätzen der Region mit insgesamt 291 Diagnosen waren die vorherrschenden NACA-Indices 2d (16,0 %), 3d (19,5 %) und 3e (18,4 %) (Abbildung 6).Nur 3,0 % der Personen waren

243


unverletzt, während 49,5 % Traumadiagnosen aufwiesen, wobei Frakturen im Beinbereich, der Wirbelsäule und Kopfverletzungen besonders häufig waren. Bei 39,8 % der Traumadiagnosen handelte es sich um Fußoder Knöchelverletzungen, gefolgt von 21,6 % Kopfverletzungen. In 6,6 % lautete die Diagnose „Polytrauma“. Tote wurden in dieser auf Anforderungen bei Hilfsmaßnahmen abzielenden Untersuchung nicht berücksichtigt. 23,2 % aller Diagnosen waren internistische (zzgl. Höhenerkrankungen, s. u.), wobei es sich nahezu ausschließlich um Angina pectoris / Myokardinfarkt handelte. „Typische alpine Diagnosen“ (Hypothermie, Hitzschlag, Sonnenstich, Erschöpfung) wurden in 13,1 % der Fälle gestellt, zzgl. 7.9 % Höhenerkrankungen. Bei den letzteren handelte es sich in 51,7 % um akute Bergkrankheit, in 41,4 % um Höhenlungenödem und in 6,9 % um Höhenhirnödem. Der Anteil von nur 2,8 % Hypothermie 1°, 0,7 % 2° und 0 % 3° ist bemerkenswert gering (siehe Diskussion). Im Mittel betrug die Zeit zwischen Alarmeingang und Abheben des Helikopters 17,9 Min. (± 50,6) zzgl. durchschnittlich 10,0 (± 8,9) Min. Anflugzeit zum Notfallort (Th.Küpper,unveröffentlichte Daten).Bei der Abflugzeit muss allerdings berücksichtigt werden, dass im Wallis i. Gs. zu anderen Regionen Nachteinsätze mit entsprechend langer Vorlaufzeit enthalten sind. Falls also im optimalen Fall der meist tagsüber stattfindende Notfall sofort und per Mobiltelefon gemeldet werden kann, ist der Verunglückte auch unter diesen optimalen Bedingungen etwa eine 1/2 Stunde völlig auf die Hilfe durch seine Kameraden angewiesen. Das reale Zeitintervall zwischen Unfall und Alarmeingang ist jedoch im Einzelfall unbekannt. Als sicher ist jedoch anzunehmen, dass die meisten Verunglückten deutlich länger als unter optimalen Bedingungen durchschnittlich 30 Minuten auf Kameradenhilfe angewiesen sind. 4. Selbsteinschätzung der Kenntnisse Im Mittel betrug der Selbsteinschätzungsscore 3,4 (± 0,86, n = 262). Nur 1,9 % der Probanden schätzen ihre Kenntnisse als „sehr gut“ ein, 9,9 % als „gut“. Im Gegensatz dazu schätzten 36,6 % ihre Kenntnisse als „ziemlich schlecht“ und 11,8 % als „sehr schlecht“ ein (p < 0,001). Die Selbsteinschätzung und die festgestellten Kenntnisse weichen insbesondere bei drei Themen voneinander ab: 1. bei Höhenerkrankungen / Akklimatisation wird die Kenntnis unterschätzt (Score 3,1), 2./3. Frakturen und Notfallmanagement: Die Kenntnisse werden überschätzt (Score 3,3 rsp. 3,3). Abbildung 7 zeigt die Abweichung der Selbsteinschätzung von den Testergebnissen. Das Gesamtkollektiv zeigt dabei eine nahezu ideale Normal244


Abb. 5: Abweichung des Selbsteinschätzungsscores vom Ergebnis des Fragebogens verteilung (Abbildung 8).Wenn man den Bereich von – 25 bis +25 als relativ gute Einschätzung akzeptiert, beweisen nur 50,7 % des Kollektivs eine relativ gute Selbsteinschätzungsfähigkeit, während 33,6 % ihre Fähigkeiten überschätzen und 1,0 % sich völlig verschätzen (Abweichung >80). Auf der anderen Seite unterschätzen 15,7 % ihre Fähigkeiten, der Anteil derer, die ihre Fähigkeiten überschätzen, ist allerdings signifikant größer (p < 0.001). Diese für die Gesamtauswertung der Fragen gemachten Aussagen sind für die einzelnen Fragen bzw. Themen identisch. Die Teilkollektive mit beruflichen Vorkenntnissen weisen gering bessere Scorewerte auf, nicht jedoch eine höhere Zuverlässigkeit ihrer Einschätzung.

DISKUSSION Die vorliegende Studie untersucht die Erste-Hilfe-Kenntnisse von Bergsteigern vor dem Hintergrund der realen Anforderungen, die medizinische Notfälle in den Bergen von ihnen verlangen. Typisch für solche Notfälle ist der große Zeitraum, der benötigt wird, um organisierte Rettung zu alarmieren, ein Zeitraum von einigen Stunden oder sogar mehr, auch wenn derzeit bereits in einigen Regionen bis zu 50 % aller Notrufe mittels Mobiltelefon erfolgen (1).Während dieses Zeitraumes muss die Seilschaft zwangsläufig der Strategie „stay and play“ folgen. Jegliche Entscheidung zwischen dieser und der „Scoop-and-run“-Strategie ist in Anbetracht der Umstände überflüssig und eine Diskussion der Vor- und Nach245


teile der einen oder der anderen Strategie ist ebenso wie die Wertung der zahlreichen methodischen Probleme, mit denen alle Studien zum Vorteil der einen oder der anderen Strategie behaftet sind,nicht indiziert (2).Aufgrund des generellen Konsenses über den Vorteil eines möglichst kleinen Zeitraumes zwischen dem Notfalleintritt und adäquater Hilfe im Hinblick auf das Patientenoutcome [Übersicht in (3)] sind erweiterte Kenntnisse der Kameradenhelfer von Vorteil für den Verunglückten. In städtischer Umgebung sterben 20 % der fatalen Verläufe an Verletzungen, die bei sachgerechter erster Hilfe überlebt werden sollten (4). Dieser Anteil ist in einem kalten, nassen, windigen und hypobaren (hypoxischen) alpinen Gelände eher noch größer. Als Konsequenz sollten Bergsteiger während des Zeitraumes bis zum Eintreffen organisierter Rettung zu erweiterten, den realen Anforderungen entsprechenden Erste-Hilfe-Maßnahmen in der Lage sein. Daher sind fundierte Kenntnisse und Übung in der Bewältigung alpiner Notfälle für eine verantwortungsvolle Sportausübung unerlässlich. Alpenvereine wie auch Rettungsorganisationen bieten in den meisten europäischen Ländern zahlreiche Ausbildungsmöglichkeiten an.Allerdings folgen die Ausbildungsinhalte zumeist „normalen“, also nicht alpinen (städtischen / zivilen) Notfallanforderungen und berücksichtigen nicht das Spektrum und die Charakteristika der alpinen Umgebung (5). Neureuther beschrieb bereits 1969 den Zusammenhang zwischen den Kenntnissen und der Qualität der ersten Hilfe im alpinen Gelände. Die schlechten Kenntnisse, die die Probanden unserer Studie zeigten, sind vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund, dass ein wesentlicher Teil des Kollektivs eigentlich von einer umfangreichen Ausbildung profitieren sollte, als besonders schwerwiegend zu betrachten (6). Bis jetzt wurde keine Studie publiziert, in der untersucht wird, ob das Wissen der Alpinisten adäquat ist, ob die Ausbildungsangebote die Zielgruppe erreichen und welche Themen während der Ausbildung besonders betont werden sollten. Auch gibt es keine Hinweise darauf, inwieweit ein Bergsteiger in der Lage ist, aus Selbsteinschätzung eben dieser Kenntnisse heraus einen Aus- oder Weiterbildungsbedarf zu erkennen. Wir konzentrierten uns auf Alpinisten,die „klassische“ Hochtouren bevorzugen, also technisch mittelschweres, häufig verschneites Gelände, leichtere Grate oder Wände, oft mit Gletscherpassagen, und häufig oberhalb von 3.000 m. Bei dieser Gruppe dürfte es sich, abgesehen von den reinen Wanderern in Europa, ebenso wie in anderen Gebirgen der Welt um das größte Teilkollektiv unter den Bergsteigern handeln.Für die Untersuchung dieses Kollektivs ist die Lage der Capanna Margherita ideal, da sie abge246


sehen von den seltenen Anstiegen über die Monte-Rosa-Ostwand oder die Lyskamm-Nordwand nur von solchen Personen angesteuert wird. Unsere Kollektivdaten unterstützen dieses Statement, denn die meisten Probanden weisen eine längere alpine Erfahrung in diesem Gelände auf. Die Bergunfälle der Region zeigen ein mit anderen Regionen der Westalpen vergleichbares Spektrum, wie beispielsweise dem Montblanc-Gebiet (3), (7). Der enorme Unterschied hinsichtlich korrekter Antworten zwischen Studien- und Kontrollgruppe zeigt, dass ein systematischer Fehler beispielsweise durch Formulierungsprobleme des Fragebogens nicht anzunehmen ist. Daher und weil das untersuchte homogene Kollektiv als typisch für „klassische“ Hochtouren zu betrachten ist, repräsentieren unsere Ergebnisse generelle Tendenzen mit überregionaler Gültigkeit. Wie alle anderen Studien über alpine Notfälle schließen wir solche Notfälle nicht ein, die ohne Alarmierung organisierter Rettung bewältigt wurden. Da diese Fälle aber offensichtlich ohne größere Probleme seitens der Seilschaft beherrscht wurden, ist dies für die aktuelle Fragestellung der Ermittlung von Defiziten mit dem Ziel einer weiteren Verbesserung der Ausbildung und damit der Sicherheit ohne Konsequenzen. Überraschend ist bei der Unfallanalyse der im Gegensatz zu anderen Studien geringe Anteil der Diagnose „Hypothermie“ [z.B. (8)]. Da etwa 46,5 % der sommerlichen Bergunfälle bei äquivalenten Chilltemperaturen zwischen +5 und – 25 °C und weitere 4,6 % bei Extremtemperaturen unter – 25°C passieren (Küpper, unveröffentlichte Daten) und die Opfer wie oben dargestellt längere Zeit diesen Bedingungen weitgehend reglos ausgesetzt sind, muss dieser minimale Anteil falsch sein und beruht vermutlich auf diagnostischen Lücken oder mangelnder Dokumentation durch Notärzte und Rettungsmannschaften (9). Auch finden sich in unserem Kollektiv weniger Höhenerkrankungen als in Studien, die unter ähnlichen Bedingungen durchgeführt wurden und die etwa 40 % solcher Diagnosen aufwiesen [z. B. (8)]. Bei den von uns analysierten Bergunfällen dieser Region fanden sich derartige Diagnosen ausschließlich nur bei Notärzten, die eine höhenmedizinische Zusatzausbildung besaßen. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer gesonderten alpinmedizinischen Notfallausbildung und erklärt den niedrigeren Anteil der genannten Diagnosen in unserem Kollektiv. Die Ergebnisse des Fragebogens zeigen sowohl für das Gesamtkollektiv als auch für jedes Teilkollektiv, dass die alpin notwendigen Erste-HilfeKenntnisse völlig unzureichend sind.Dies gilt insbesondere für die Berufsgruppen, die aufgrund ihrer Ausbildung zumindestens Grundkenntnisse zu den gestellten Fragen besitzen sollten, wie beispielsweise Medizinstu247


denten, Ärzte, Rettungsdienstangehörige und Bergführer. Auffallend ist, dass auch diese Personengruppen nicht in der Lage sind, typische Notfallthemen ihrer Sportart wie Unterkühlung oder Notfallmanagement zu beantworten, auch liegen bei einfachsten Tätigkeiten wie Patientenlagerung große Defizite vor. Bislang liegen keinerlei Vergleichszahlen vor, denn unser Kollektiv kann mit anderen Kollektiven, beispielsweise urbaner Population, nicht verglichen werden.Aber der mittlere Erfolg von nur 12,7 % korrekten Antworten spiegelt einen Kenntnisstand, der keinesfalls mit einer verantwortungsvollen Sportausübung in alpiner Umgebung vereinbar ist. Der Unterschied zwischen italienischen und französischen Alpinisten auf der einen und Schweizer und deutschen (und österreichischen) auf der anderen Seite mag mentalitätsbedingt im Sinne eines unterschiedlichen Risikoverständnisses sein. So ist es auffällig, dass gerade italienische und französische Bergsteiger signifikant seltener versuchen, den Mangel an eigenen Kenntnissen zu kompensieren, indem sie sich erfahrenen Bergsteigern oder Bergführern anschließen. Vielmehr sind ausgerechnet diejenigen, die die fundiertesten Notfallkenntnisse zeigen, nämlich die Schweizer, zusätzlich signifikant häufiger in Begleitung eines Bergführers unterwegs. Wir konnten aus Frankreich und Italien keine Informationen über die Ausbildungsangebote bekommen, die genau genug sind, um einen direkten Vergleich zu den anderen Ländern vornehmen zu können. Aber die Ergebnisse zeigen für alle Länder, dass der individuelle Kenntnisstand nahezu unabhängig von der Teilnahme an Ausbildungsmaßnahmen ist und offensichtlich überwiegend vom persönlichen Interesse des Alpinisten bestimmt wird. Argumente, die dieses Statement unterstützen, wären die im Vergleich zu den Teilkollektiven mit medizinischer / alpinistischer Ausbildung vergleichbaren Kenntnisse sowie die Ergebnisse der Themen HerzKreislauf-Notfälle und Frakturen:Die Herz-Kreislauf-Notfälle zeigen trotz ihrer Komplexität und ihrer im Vergleich zu den Frakturen relativen Seltenheit im Hochgebirge einen deutlich besseren Kenntnisstand als das medizinisch wesentlich weniger komplexe und alpin viel häufigere Thema Frakturen. Ein weiteres Beispiel wäre das Thema Unterkühlung, bei dem Alpinisten, die ohne Bergführer und mit hoher Intensität unterwegs sind, unabhängig von ihrem Ausbildungsstand wesentlich bessere Kenntnisse besitzen als andere. Die Kenntnisse sind also unabhängig von den realen Anforderungen, von denen etwa 50 % auf das Thema Frakturen entfallen. Diese Probleme sind von anderen Zielgruppen, die in erster Hilfe ausgebildet werden sollten, bekannt, wobei verschiedenste psychologische Barrieren die wichtigsten Gründe sind (10), (11), (12), (13), ebenso wie die Tat248


sache, dass Personen mit individuell höherem Risiko keineswegs mehr an erster Hilfe interessiert sind als andere(12). Dabei belegen die Ergebnisse der Kontrollgruppe klar das enorme Potenzial, das Personen mit entsprechendem Interesse entwickeln können. Dabei muss betont werden, dass die im Fragebogen überprüften Kenntnisse Grundkenntnisse alpiner erster Hilfe darstellen und nicht Bestandteil der erwähnten Alpinärzteausbildung sind. Breivik et al. konnte zeigen, dass gute Erste-Hilfe-Kenntnisse auch von Laien weitgehend autodidaktisch und praktisch unabhängig von professioneller Ausbildung erarbeitet werden können (14). In dieser Untersuchung stellte sich der Einfluss der Massenmedien als einer der wichtigsten Motivationsfaktoren heraus. Eine intensivere Verbalisierung des Bedarfs durch die Massenmedien, insbesondere der alpinen Fachpresse, könnte für das Kollektiv der Alpinisten die Motivation vergleichbar heben. Ein weiteres Ergebnis von Breivik war, dass gute Kenntnisse vor allem von Personen erreicht wurden, die bereits in Kindergarten und Schule sowie im Militärdienst mit der Thematik vertraut gemacht wurden. Dies deutet die Notwendigkeit eines breit angelegten und systematischen Ausbildungskonzeptes an. Die Bergwacht Nordrhein hat die Ergebnisse der vorliegenden Studie daher bereits in ihr Konzept der Breitenausbildung umgesetzt und erste Erfahrungen liegen vor. Die Österreichische Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die entsprechende Konzepte für die Breitenausbildung erarbeiten und evaluieren wird, um sie dann der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Ein Vergleich unserer Daten mit anderen Kollektiven ist vor allem auch aus methodischen Gründen schwierig (15), (16), aber einige generelle Tendenzen sind feststellbar: 1. ist der Kenntnisstand der Zielgruppe minimal und 2. ist es prinzipiell leicht, eine breitere Interessentenschicht in effektiver (alpiner) erster Hilfe auszubilden – wenn sie denn teilnehmen. Weniger als 50 % der Bevölkerung sind in der Lage,in weniger als 5 Sekunden den Carotispuls zu finden (17). Ähnlich schlechte Ergebnisse sind auch hinsichtlich anderer Erste-Hilfe-Kenntnisse feststellbar (14). Aber diese konnten durch adäquates,zielgruppenorientiertes Training auf mehr als 90 % Richtigkeit optimiert werden (14), (5). Leider zielen die meisten Ausbildungskonzepte auf Notfälle in „ziviler“ (städtischer) Umgebung oder Verkehrsunfälle [z. B.: (18), (5)], also auf Zielgruppen, die sich von Alpinisten und den an diese gestellten Anforderungen erheblich unterscheidet. Für diese sind spezifische Themen notwendig (5). Leider stehen hier bislang nachwievor nur begrenzte Daten zur Verfügung und die meisten Untersuchungen leiden an erheblichen methodischen Problemen (15), (16): 249


Die Studie von Lauber, die wie die meisten anderen in den europäischen Alpen durchgeführt wurde, führt Verletzungen und Frakturen an den Beinen als die größte Diagnosegruppe auf, aber alle nicht traumatischen Notfälle wurden in die Studie gar nicht eingeschlossen (19). Z’Brun schloss in sein Kollektiv nur diejenigen ein, die in sein Spital eingeliefert wurden, was bedeutet, dass alle Notfälle, die seitens niedergelassener Kollegen oder der Bergkameraden behandelt wurden, nicht enthalten sind (20). Allerdings sind einige seiner Ergebnisse mit denen von Lauber vergleichbar. Neuere Studien zeigten muskuloskelettale und Weichteilverletzungen als Ursache von mehr als 70 % der nicht fatalen Notfälle, aber in dieser Studie aus 8 kalifornischen Nationalparks sind Verkehrsunfälle und solche, die bei nicht alpinen Sportarten passiert sind, ebenfalls eingeschlossen (21). Gemäß der Daten der National Outdoor Leadership School (NOLS) machen muskuloskelettale und Weichteilverletzungen einen Anteil von 85% aus, aber auch hier sind zahlreiche andere Outdoor-Aktivitäten eingeschlossen (22). Twombly beschreibt an Teilnehmern von Bergsportlehrgängen, daß 94 % „eine Verletzung“ erlitten und 69 % „krank geworden“ sind (23). Bei den Verletzungen handelte es sich in den meisten Fällen um Schürfwunden, kleine Schnittwunden und Blasen und die häufigsten Erkrankungen waren Kopfschmerzen, Durchfall und Bauchschmerzen. Da es sich aber um eine Selbsterfassung durch die Teilnehmer am Ende der Lehrgänge handelte, waren primär alle diejenigen von der Erfassung ausgeschlossen, die aufgrund der Beschwerden die Ausbildungsmaßnahme vorzeitig abbrechen mussten.Crouse’s Daten zeigen, dass 62 % an einer Erkrankung oder Verletzung litten, wobei auch hier die muskuloskelettalen Probleme an der Spitze lagen (62 %), gefolgt von kleineren Traumen (17 % Schürf- / Schnittwunden) (24). Allerdings wurden nur diejenigen erfasst, die den Appalachentrail vollständig begangen hatten (2.100 Meilen!). Als Konsequenz führt die Studie keinerlei schwerere Erkrankung oder Verletzung auf, die zum Abbruch des Unternehmens geführt hat. Zusammengefasst können die bislang vorliegenden Studien nicht als Datengrundlage für moderne Ausbildungskonzepte in alpiner erster Hilfe benutzt werden (15). Einige Konsequenzen können dennoch in zukünftige Ausbildungskonzepte übernommen werden. Bei jedem Thema und jeder Ausbildungssituation sollte in drei Schritten vorgegangen werden, wie dies detailliert von Donelan diskutiert wird (25), (26): Der Teilnehmer muss das Problem erkennen, muss dann eine Lösungsmöglichkeit bekommen und zuletzt muss ihm die Erklärung dieser Lösung gegeben werden. Die limitierte Zeit zwingt zu einer Schwerpunktwahl zwischen 250


überwiegend praktischer Ausbildung im Gelände oder überwiegend theoretischer Ausbildung. In Übereinstimmung mit Taubenhaus und Rettig würden wir favorisieren, dass vor allem die Prinzipien unterrichtet werden.Eine Person,die die Prinzipien erster Hilfe kennt,kommt in der Realsituation besser zurecht als eine Person, die zwar die praktischen Techniken geübt, ihren Sinn aber nicht verstanden hat und der dann die nötige Flexibilität fehlt (27), (5). Natürlich sollten Themen, die im Gebirge einen besonderen Schwerpunkt bilden, ebenso besonders betont werden wie sportartspezifische Notfälle wie beispielsweise Hypothermie und Höhenerkrankungen. Im Gegensatz dazu erscheinen Kenntnisse in der Wiederbelebung als weniger wichtig: In einer gepoolten Untersuchung aus 15 Einzelstudien zeigten Waydhas et al. eine Überlebensrate von 0,5 % [n = 562, Polytrauma in städtischer Umgebung (28)]. Hieraus kann geschlossen werden, dass ein Patient, der im alpinen Gelände mit den extrem langen Rettungszeiten wiederbelebt werden muss, praktisch keinerlei Überlebenschance hat – außer es handelt sich um eine schwere Unterkühlung oder vielleicht auch einen miterlebten Blitzunfall, sicherlich eine sehr seltene Situation.Dem entsprechen auch die Einsatzdaten:In unserer Datensammlung von 2.730 alpinen Rettungseinsätzen aus der Schweiz (Wallis) und Österreich (Tirol) befinden sich nur 7 Reanimationen in alpinem Gelände (0,26 % aller Einsätze, Th. Küpper, unpublizierte Daten). Im Gegensatz zu diesen seltenen Notfällen muss eine Seilschaft unbedingt in der Lage sein, geringere Notfälle (Wunden, Blasen, Durchfall, leichtere Höhenerkrankung) vollständig unabhängig zu beherrschen. Die Unterschiede zwischen Realanforderungen und Kenntnissen haben wir dargestellt.Dies sollte genutzt werden,um traditionelle „urbane“ Lehrkonzepte in solche für die Zielgruppe der Alpinisten umzuwandeln. Insbesondere sollte hier auch das Thema Notfallmanagement/Taktik ein integraler Bestandteil der Ausbildungsmaßnahmen sein. Wenn möglichst viele Alpinisten ausgebildet werden sollen, sollte die Lehrgangsdauer 3 (bis 4) Tage nicht überschreiten. Unseres Erachtens sind die Vorschläge, die für den Wilderness First Responder (WFR) gemacht wurden (29), allenfalls für Bergführer und Alpinsportausbilder zu realisieren, und es erscheint unrealistisch, eine derart umfangreiche Ausbildung für eine große Zahl an Alpinisten zu etablieren. Derzeit gibt es noch keine Daten, die Empfehlungen begründen, in welchen Abständen Alpinisten eine sportspezifische Erste-Hilfe-Ausbildung auffrischen sollten. Roth et al. zeigten, dass die Kenntnisse in Wiederbelebung bereits in 1 Jahr erheblich abnehmen, Safars Arbeitsgruppe kam ebenso wie Spitzer zu ähnlichen Ergebnissen (30), (31), (32). Bei Rettungsassistenten 251


war dieser Wissensverlust nur etwas weniger ausgeprägt (33). Auf der Basis dieser Studien und unter Berücksichtigung der Probleme, die Betroffenen zu einer Ausbildung zu motivieren, würden wir derzeit eine Aufrischung des Wissens alle 3 Jahre empfehlen. Das Problem, die Zielgruppe zu erreichen und zu motivieren, wird durch das Ergebnis, dass die Selbsteinschätzung der persönlichen Kenntnisse offensichtlich ein völlig unzureichender Mechanismus ist, die Notwendigkeit von Ausbildungsmaßnahmen zu erkennen, zusätzlich erschwert. Die Akzeptanz „Safety regimes“ für das Bergsteigen zu erlernen könnte gesteigert werden, wenn die alpinen Verbände und die Fachpresse das Thema konsequent aufgreift und diese Themen integraler Bestandteil aller alpinsportlichen Ausbildungsmaßnahmen wird. Die Tatsache, dass auch Bergführer, Sanitäter und Ärzte grundlegende Fragen zur ersten Hilfe nicht beantworten können, ist eine Herausforderung für die zuständigen Fachverbände. Eine Chance kann darin bestehen, dass diese Gruppen Selbsteinschätzungsscores aufweisen, die allenfalls minimal besser sind als die der medizinischen Laien. Offensichtlich haben die Betroffenen das Problem also erkannt, aber noch keine Konsequenzen daraus gezogen. Zukünftig wird es nötig sein, zielgruppen- und sportartspezifische Ausbildungsangebote zu erarbeiten und deren Inhalte regelmäßig an die Ergebnisse der alpinen Unfallforschung anzupassen.

WIDMUNG Die Autoren widmen diese Studie Marco Hauser, Lausanne, ehemaliger Simultanübersetzer der Schweizer PTT, der den Fragebogen kurz vor seinem unerwarteten Tode in die verschiedenen Sprachen übersetzte.

L I T E R AT U R (1) Jelk, B.: Unfälle des Jahres 1999. Clubnachrichten des SAC Zermatt, 2000. 25 (1): p. 6. (2) Spaite, D.: et al.: Emergency service systems in research: Problems in the past, challenges of the future. Ann Emerg Med, 1995. 26 (2): p. 146-152. (3) Marsigny, B., F. Lecoq-Jammes and E. Cauchy: Medical mountain rescue in the Mont-Blanc massif.Wild Environ Med, 1999. 10: p. 152156.

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(4) Waller, J. A.: Urban-oriented methods. Failure to solve rural emergency care problems. Jama, 1973. 226 (12): p. 1441-6. (5) Rettig, A.: Bergunfälle – Maßnahmen und Probleme bei der Erstversorgung. Österr Schwesternzeitung, 1973. 1: p. 174-177. (6) Neureuther, G.: Probleme bei der Erstversorgung beim Bergunfall. MMW, 1969. 7: p. 332-339. (7) Foray, J. et al.: [Mountaineering accidents. A statistical study of 1819 cases]. Chirurgie, 1982. 108 (9): p. 724-33. (8) McLennan, J. and J. Ungersma: Mountaineering accidents in the Sierra Nevada. Am J Sports Med, 1983. 11 (3): p. 160-163. (9) Küpper, T., J. Steffgen, and P. Jansing: Cold exposure during helicopter rescue operations in the Western Alps. Int Arch Occup Environ Med, submitted. (10) Goniewicz, M.: [The ability of drivers to give first aid – testing by questionnaire]. Wiad Lek, 1998. 51 (3-4): p. 208-215. (11) Everson, G. et al.: Ineffectiveness of a mass mailing campaign to improve poison center awareness in a rural population. Vet Hum Toxicol, 1993. 35 (2): p. 165-167. (12) Lejeune, P. O. and H. H. Delooz: Why did persons invited to train in cardiopulmonary resuscitation not do so? Eur Heart J, 1987. 8 (3): p. 224-8. (13) Pearn, J. et al.: Who accepts first aid training? Aust Fam Physician, 1980. 9 (9): p. 602-605. (14) Breivik, H. et al.: Life-supporting first aid self-training. Crit Care Med, 1980. 8 (11): p. 654-8. (15) Federiuk, C.: Clinical update on emergency medical care in the wilderness. Wilderness Environm Med 10, 1999. 10: p. 20-24. (16) Oberli, H.: [Mountain accidents, alpine rescue teams]. Z Unfallmed Berufskr, 1981. 74 (1-2): p. 3-9. (17) Bahr, J. et al.: Skills of lay people in checking the carotid pulse. Resuscitation, 1997. 35 (1): p. 23-26. (18) Proske, J., A. Pommer and A. Dávid: Verletzungsspektrum häuslicher Unfälle. Notfallmed, 2000. 26 (1+2): p. 49-53.

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(19) Lauber, A. and C. Arnold: Statistik Bergrettungseinsätze Air-Zermatt: Triage-Probleme, praktische Beispiele. Z Unfallmed Berufserkr, 1981. 74: p. 29-37. (20) Z'Brun, P.: 10 Jahre Bergunfälle in einem Regionalspital. Gibt es ein „Sterben auf Zeit“? Z Unfallmed Berufskr, 1981. 74: p. 177-185. (21) Montalvo, R. et al.: Morbitity and mortality in the wilderness. West J Med, 1998. 168 (248-254). (22) Gentile, D. et al.: Wilderness injuries and illnesses. Ann Emerg Med, 1992. 21: p. 853-861. (23) Twombly, S. and L. Schussman: Gender differences in injury and illness rates on wilderness backpacking trips.Wilderness Environ Med, 1995. 4: p. 363-376. (24) Crouse, B. and D. Josephs: Health care needs of Appalachian Trail hikers. J Fam Pract, 1993. 36: p. 521-525. (25) Donelan, S.: Teaching emergency care skills. Wilderness Environm Med, 1999. 10: p. 125-127. (26) Donelan, S.: Teaching wilderness emergency care. Wilderness Environm Med, 1999. 10: p. 40-43. (27) Taubenhaus, L. J.: What to do until the ambulance comes. Phase I of community emergency care program. N Y State J Med, 1972. 72 (4): p. 500-2. (28) Waydhas, C. et al.: Reanimation polytraumatisierter Patienten: Notwendig, erfolgversprechend oder sinnlos? Notfallmed, 1989. 15 (4): p. 282-285. (29) Lindsey, L. et al.: Wilderness First Responer: Recommended Minimum Course Topics. Wilderness Environm Med, 1999. 10: p. 13-19. (30) Roth, H. J., A. Gaham and R. Juchems: [Evaluating the knowledge of lay helpers following a single completed course in cardiopulmonary resuscitation]. Med Klin, 1988. 83 (11): p. 367-9. (31) Safar, P. et al.: Education research on life-supporting first aid (LSFA) and CPR self-training systems (STS). Crit Care Med, 1981. 9(5): p. 403-4.

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(32) Spitzer, G.: [Effectiveness surveillance of first aid education of lay persons]. Hefte Unfallheilkd, 1978. 132: p. 92-4. (33) Stratman, D., H. Nolte and S. Sämann: [An investigation of the effectiveness of the training of ambulance personnel]. MMW Munch Med Wochenschr, 1974. 116 (50): p. 2199-204. (34) Tryba, M., H. Brßggemann and V. Echtemeyer: Klassifizierung von Erkrankungen und Verletzungen in Notarztrettungssystemen. Notfallmed, 1980. 6: p. 725-727. (35) Durrer, B.: [Charakteristics of emergency therapy in mountain accidents]. Ther Umsch, 1993. 50 (4): p. 228-233.

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Dank der Herausgeber den Fördernden Mitgliedern und Sponsoren der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin

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Mit freundlicher Unterstützung der SÜDTIROLER LANDESREGIERUNG, Assessorat für Gesundheits- und Sozialwesen, Abteilung Gesundheitswesen.

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