Siegessäule April 2014

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Inge Jens „Am Schreibtisch: Thomas Mann und seine Welt“, Rowohlt, 208 Seiten, 19,95 Euro Es mag spannendere Ideen geben, als die Geschichte eines Möbelstücks zu erzählen, selbst wenn es sich um Thomas Manns Mahagonischreibtisch handelt. Und die Mann-Expertin Inge Jens interessiert sich auch eher für seinen Besitzer, der ein ausgesprochen fetischisiertes Verhältnis zu diesem Möbel unterhielt. Was dieses Buch zu solch einem puren Lesevergnügen macht, ist vor allem das präzis gezeichnete Porträt des Schriftstellers als egomanische Diva und unerbittlicher Patriarch, nach dessen Bedürfnissen sich der Tagesablauf der ganzen Familie richten musste.

„Bronko, meine Frau Mutter und ich“, Querverlag, 224 Seiten, 14,90 Euro Mai-Britt lässt sich den ausgesprochen hässlichen Hund Bronko aufschwatzen, den sie wiederum ihrer Mutter unterjubelt. In der örtlichen Tierarztpraxis trifft sie auf eine Vertretungsärztin, die ihr Herz höherschlagen lässt. Die wohnt eigentlich in der Schweiz und gibt dort Hundekurse – Mai-Britt will ihr nachreisen und braucht Bronko als Vorwand. Doch den Hund gibt es nicht mehr ohne die Mutter. Und so geht es auf eine turbulente Reise – in eine nicht unkomplizierte, aber amüsante Mutter-Tochter-Beziehung – und in eine Liebesgeschichte … Ein weiteres Lesevergnügen von Karen-Susan Fessel.

W. T. Wallenda „Schneespuren gibt es nicht“, Himmelstürmer, 282 Seiten, 15,90 Euro Privatdetektiv Herbert Schmadtke stolpert als Berufsneueinsteiger die Karriereleiter hinauf: vom Ladendiebstahl (Spezialgebiet Edeldessous) geht’s über Drogenschmuggel bis hin zum Mord in einem eingeschneiten Luxushotel. Stets hilfreich an seiner Seite ist sein Lebenspartner, der Schnulzenromancier Konny Wels. Die launigen Abenteuer der beiden schildert W. T. Wallenda in einem lässig-lockeren Plauderton, wobei diese Krimikomödie durch ausgedehnte kalauernde Pingpong-Dialoge bisweilen auf der Stelle tritt.

Inga Westerteicher (Hg.) „Liebe Freundin: Briefe berühmter Frauen“, Edition Ebersbach, 128 Seiten, 15,80 Euro Auch wenn Virginia Woolf, Rosa Luxemburg oder die Begründerin des Weltfrauentags, Gertrud Bäumer, in diesem Band zu Wort kommen, ihre ausgewählten Briefe bleiben hinter den Erwartungen zurück, die die Namen wecken. Privates und Belangloses wie Gartentipps waren bestimmt für die jeweilige Adressatin von Interesse. Für Leser, die kein Teil des jeweiligen Beziehungsgeflechts sind, bleibt es großteils einfach das Geschnatter zwischen zwei guten Freundinnen. Texte: as/chal/ascho/rob

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Fabian Hischmann: „Am Ende schmeißen wir mit Gold“, Berlin Verlag, 256 Seiten, 18,99 Euro

Karen-Susan Fessel FOTO: RABEA EDEL

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Buchtipps

Fieberwahn Ausgezeichnet mit dem Publikumspreis der Leipziger Buchmesse startet Fabian Hischmann in eine große Zukunft • Vielleicht schnallen es langsam die Letzten der wertkonservativen Literaturkritiker – zu denen auch der grandiose, aber eben nicht unfehlbare ARD-Buch-Guru Denis Scheck gehört: Bret Easton Ellis gehört zu den einflussreichsten Autoren der Gegenwart. Zwar trumpft er nicht gerade mit intellektuellem Tiefgang, bei ihm dreht sich alles um die eiskalte Oberfläche, um Labelwahn, Starruhm, Drogen, Sex, Brutalität. Doch dafür ist er ein Meister seines Fachs, der Popliteratur. Sein halluzinogener Schreibstil sucht seinesgleichen und hat Heerscharen an jungen Autorinnen und Autoren inspiriert. Und daher ist es sicher kein Zufall, dass ausgerechnet der Name Bret Easton Ellis als letzter in der Danksagung von Fabian Hischmanns großartigem Debütroman „Am Ende schmeißen wir mit Gold“ steht. Wie bei Ellis flimmert und funkelt Hischmanns Sprache und zieht seine Leser tief hinab in die Gemütswelt seines lethargischen Protagonisten Max. Der frischgebackene Lehrer schaut am liebsten Tierdokus, liegt auf dem Sofa und fummelt an seinem Sack herum. Perspektiven, Wünsche, Lust am Leben? All das scheint man bei Max vergebens zu suchen. Der Anruf seiner Eltern lockt ihn schließlich während der Sommerferien zurück in seine alte Heimat, ein kleines Nest in Süddeutschland. Seine Eltern wollen Urlaub auf Kreta machen und brauchen jemanden, der auf Lio aufpasst, Max’ alten Hund. Kaum ist er angekommen, die Eltern unwiderruflich aus dem Haus, trifft er auf zwei Schatten seiner Vergangenheit, Maria und Jan. Mit beiden verbindet Max mehr als

bloße Freundschaft, doch was genau, das bleibt wie so vieles in dem Buch unausgesprochen und letztlich der Fantasie des Lesers überlassen. Da gab es vielleicht eine Liebesaffäre, eine Dreiecksbeziehung, einen Mordversuch, Eifersucht, unerfülltes Verlangen. Viele Vielleichts, viel alter Gefühlsballast, den Max mit sich herumschleppt. Und schließlich werfen ihn eine defekte Gasleitung und ein Feuer endgültig aus der Bahn. Die Handlung ist nahezu zweitrangig in dem kleinen Buch, das den Publikumspreis der diesjährigen Leipziger Buchmesse zugesprochen bekam – mehr als die Hälfte der knapp 1200 Abstimmenden votierten dafür. Vielmehr ist es die Atmosphäre, die Hischmann kreiert, die einen fesselt, dieses Fiebrige, Herzrasende, selbst wenn im Buch gerade tiefster Winter herrscht und der Schnee alle Geräusche verschluckt. Und genau das ist eben die Kunst eines Ellis. Einen Ton anzuschlagen und damit eine bestimmte Grundstimmung zu erzeugen und sie bis zum bitteren Ende beizubehalten. Da kann Hischmann locker mithalten. Und ebenso wie bei Ellis bleiben auch seine Charaktere, ja, sogar Max, in einer gewissen Unschärfe. Ob er nun hetero, homo, bi ist, lässt sich bis zum Schluss nicht beurteilen, egal, ob er mit seinem besten schwulen Freund Valentin in der Heimsauna zusammen wichst. Immerhin, und das sei als wichtiger Unterschied festgehalten, scheint Hischmann nun nicht gänzlich am Leben zu verzweifeln wie ein Ellis, was sich auch in Max widerspiegelt. Das tut ganz gut. Nur den Preis der Leipziger Buchmesse, quasi den Ritterschlag der „Experten“, den bekam er nicht zugesprochen, sondern Saša Stanišic mit „Vor dem Fest“. Womit aber ein weiterer heimlicher Gewinner feststehen dürfte – das Literaturinstitut in Leipzig, welches beide besucht haben. Roberto Manteufel


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